Magenta II von Maginisha (Zwischen Azeroth und Kalimdor) ================================================================================ Kapitel 10: Wildes Land ----------------------- Die Sterne waren bereits verblasst und das Schwarz des nächtlichen Himmels einem gleichmäßigen, dunklen Blau gewichen. Ein farbloses, dünnes Band zeichnete die unregelmäßige Linie des Horizonts nach, wo die Schimmernde Ebene an Tanaris grenzte. Schon bald würde diese Linie breiter werden. Sie würde sich wandeln und von einem unbedeutenden Lichtschimmer zu einer leuchtenden Explosion aus Orange und Rosa, Violett und Purpur werden, bis die Sonne sie schließlich durchbrechen und diesen Teil der Welt mit gleißendem, weißen Licht überschütten würde. Aber noch war dieses Ereignis eine Stunde wenn nicht länger entfernt und Abbefaria beschloss, dass dies der richtige Zeitpunkt war, um zu ihrem Treffen mit dem Goblin aufzubrechen. Der Nachtelf erhob sich leise aus der Lagerstatt, die die Gnome ihm für die Nacht zugewiesen hatten. Es war eine nette Geste gewesen, wenngleich auch nicht mehr, denn bei seiner Größe glich das Gnomenbett eher einer kleinen Kiste, in die er sich nur mit Mühe zwängen konnte. So hatte er die Nacht damit verbracht, an die Wand gelehnt Emanuelles gleichmäßigen Atemzügen und ihrem gelegentlichem Gemurmel zu lauschen, das ihre Träume begleitete. Auch jetzt zuckten die Augenlider der Gnomin, während sich ihre kleinen Hände bewegten, als würden sie n einer neuen, großartigen Erfindung herumschrauben. Sanft berührte Abbefaria sie an der Schulter. „Hühner…“, murmelte die Gnomin und drehte sich auf die andere Seite. „Ich will…Hühner.“ Abbefaria seufzte innerlich. Irgendwie hatte er gehofft, dass Emanuelle die Sache vergessen würde, nachdem sich die Kiste des Magiers als leer herausgestellt hatte. Doch das verschwundene Buch schien zusammen mit der Tatsache, dass der Lehrling des Magiers tatsächlich in ein Huhn verwandelt worden war, erst recht ihren Ehrgeiz geweckt zu haben. Jetzt wollte sie dieses Buch unbedingt finden, selbst wenn sie die ganze Welt nach dem Anhänger der Scharlachroten Bruderschaft absuchen müsste, an den Magus Tirth das Buch verkauft hatte. Es war eine glückliche Fügung, dass dieser ebenfalls in Richtung Tausend Nadeln aufgebrochen war, als er die Rennbahn verließ. So war es für Abbefaria ein Leichtes gewesen, Emanuelle davon zu überzeugen, die Hilfe des Goblins anzunehmen. Zumindest sehr viel leichter, als die kleine Magierin wach zu bekommen. „Uaah.“, gähnte Emanuelle schließlich und blinzelte Abbefaria schlaftrunken an. „Wassn los?“ „Wir müssen aufbrechen.“, antwortete er. „Schon?“ Die Gnomin gähnte erneut und streckte sich ausgiebig. Dann sprang sie so plötzlich auf, dass Abbefaria fast zurückgeschreckt wäre. „Aber ja, wir müssen los!“ Sie hüpfte aus ihrem Bett, streifte im Vorbeigehen Umhang und Gürtel über, steckte noch verschiedene Gegenstände in ihrem Rucksack und drehte sich an der Tür angekommen zu Abbefaria um. „Worauf wartest du denn noch? Na los, los!“ „Als hätte man einen Schalter umgelegt.“, brummte der Druide leise und folgte der voraustrippelnden Gnomin gemessenen Schrittes. Ihr Weg führte sie zwischen dunklen Gebäuden hindurch, über unbeleuchtete Wege und Gassen, bis sie schließlich die Rennbahn erreichten, die den Ort in zwei unterschiedliche Lager teilte. „Dort drüben ist Goblingebiet.“, flüsterte Emanuelle aufgeregt. „Ob wir uns tarnen sollten?“ „Tarnen?“ Abbefaria sah zweifelnd auf sie herab. „Oh, na ja, ich weiß nicht. Uns Dreck ins Gesicht schmieren oder so, damit man uns nicht sieht.“ „Ich glaube, da habe ich eine bessere Idee.“, gab der Druide zurück und veränderte seine Form. Sein Gesicht wurde länger, die Nase breiter und die Fangzähne sprossen hervor. Schwarzes Fell ersetzte die violette Haut und schließlich berührten vier große, samtene Pfoten den harten, kalten Sandboden. Als die Transformation abgeschlossen war, knurrte Abbefaria Emanuelle spielerisch an und knickte dann die Vorderpfoten ein. „Gute Idee.“, lachte Emanuelle und kletterte auf den Rücken der schwarzen Raubkatze. Der Druide drehte den Kopf zurück und versuchte einen fragenden Ton in sein Maunzen zu legen. „Ja, bereit.“, antwortete Emanuelle und Abbefaria fühlte, wie sich ihre kleinen Hände an seinem Nackenfell festkrallten. Mit einer fließenden Bewegung erhob er sich und setzte in nur drei Sprüngen über die Rennbahn hinweg, bevor er im Gewirr der Goblinhütten untertauchte. Den strengen Geruch, der diesen Teil der Rennbahn umgab, nahm er durch seine Verwandlung nur noch intensiver wahr. Es kribbelte unangenehm in seiner Nase. Gleichzeitig war er jetzt jedoch in der Lage noch andere Nuancen aus dem allgemeinen Gestank herauszulesen. Er roch Öl und Schwefel, Kohle und Eisen, den würzigen Geruch einer längst verloschenen Pfeife und etwas, das an den ranzigen Geruch von Waltran erinnerte. Dieser letzte Geruch wurde immer intensiver, bis sie an einer Hausecke unvermittelt auf seine Quelle trafen. Im Schatten einer der grünen Hütten lag ein schlafender Koloss, dessen gewaltiger, von blauer Haut überzogener Körper im Rhythmus zweier Geräusche erbebte. Das eine war ein volltönendes, dunkles Schnarchen, während das andere eher dem hohen Pfeifen des Windes ähnelte. Verursacht wurden die Geräusche von den zwei Köpfen, die auf dem riesigen Stiernacken des Ogers saßen und noch im Schlaf versuchten, einander zu übertrumpfen. In einer seiner Hände hielt der Oger eine durchsichtige Kristallkugel. „Hey, das ist meine.“, wisperte Emanuelle entrüstet. „Warte, ich hole sie.“ Bevor Abbefaria etwas dagegen unternehmen konnte, war die Gnomin von seinem Rücken gerutscht und wuselte auf den schlafenden Riesen zu. Mit angehaltenem Atem beobachtete der Druide, wie die Gnomin über die Beine und den wulstigen Leib des Ogers stieg und auf Zehenspitzen stehend nach der Kristallkugel angelte. Bevor sie sie jedoch erreichte, kam Bewegung in den enormen Körper. Der andere Arm des Ogers schwenkte in Richtung der Gnomin und wischte sie einfach beiseite, so dass sie im hohen Bogen im Staub landete. Dann kratzte er sich hingebungsvoll am Bauch, murmelte etwas vor sich hin und rollte sich dann auf die Seite, so dass die Kugel unter ihm begraben wurde. „So eine Gemeinheit!“, schimpfte Emanuelle und wollte schon einen neuen Versuch starten, sich der Kugel zu bemächtigen, als Abbefaria sie kurzerhand am Schlafittchen packte. Für so etwas haben wir keine Zeit, knurrte er, wohl wissend, dass sie ihn zwar nicht verstand, aber den bedrohlichen Ton in seinem Knurren sicherlich zu deuten wusste. Daher kümmerte er sich auch nicht weiter um ihren Protest und trabte mit ihr in die Richtung davon, aus der er ein Geräusch gehört hatte, dass verdächtig nach einem Goblin klang, der nicht auffallen wollte. Die fledermausohrige, grüne Gestalt schraubte an etwas herum, das zu großen Teilen von einem fleckigen Tuch bedeckt war. Derselbe, stechende Geruch, der überall in Nähe der Goblinhütten in der Luft lag, wurde hier atemberaubend, so dass Abbefaria unwillkürlich niesen musste. Der Goblin machte einen halben Meter hohen Satz und fuhr dann auf dem Absatz herum, das spitze Werkzeug in seiner Hand wie eine Waffe erhoben. Als er Abbefaria sah wurde er merklich blass unter seiner grünen Haut. „Eine Ra-ra-ra…“, stotterte er, bis ihm Emanuelle auffiel, die ihm aus dem Maul der riesigen, schwarzen Raubkatze fröhlich zuwinkte. „Huhu!“, rief sie und schwenkte wild die Arme. „Wir sind doch noch pünktlich, oder?“ Der Goblin, der jetzt zu begreifen schien, um wen es sich bei dem vierfüßigen Begleiter der Gnomin handelte, klappte den Mund wieder zu, um ihn in derselben Bewegung zu einer verdrießlichen Grimasse zu verziehen. „Ich hatte Euch früher erwartet.“, quäkte er. „Ich brauche noch Hilfe mit einer der Quetschmuffen. Die muss nachgezogen werden und dazu sind mindestens zwei Leute notwendig.“ „Kein Problem.“, zwitscherte Emanuelle fröhlich. „Abbefaria schafft das sicher auch alleine. Lass mich mal runter.“ Der Druide setzte die Gnomin gehorsam auf den Boden und verwandelte sich vor den immer noch misstrauisch guckenden Augen des Goblins zurück. „Ishnu-Alah!“, grüßte er den grünen Griesgram, doch der winkte nur ungeduldig ab. „Ja, ja…jetzt komm endlich und schnapp dir nen linken 27er. Ich hab nicht die ganze Nacht hier verbracht, damit sie uns jetzt noch erwischen.“ „Einen was?“ Abbefaria hatte keine Ahnung, wovon der Goblin sprach. „Er meint einen 27er-Schraubenschlüssel für M1-Verschraubungen im Linksdrehwinkel.“ „Was?“ Emanuelle verdrehte die Augen und wackelte zum Werkzeugkasten des Goblins. „Nimm das hier.“, sagte sie und drückte dem völlig verwirrten Nachtelfen einen länglichen Metallgegenstand in die Hand, den sie aus der Kiste gefischt hatte. „Und lass dir zeigen, wie du ihn benutzen musst.“ Der Goblin kletterte auf eine kleine Trittleiter und zog die scheckige Plane ein Stück zurück, so dass darunter etwas Rotes zum Vorschrein kam. An einer Stelle war eine Klappe geöffnet, durch die man in das Innere der Konstruktion blicken konnte. Auf eine der Verstrebungen deutete der Goblin jetzt und erklärte: „Dort ansetzen und eine Vierteldrehung im schrägen Winkel nach unten. Aber nicht zu weit, sonst fliegt uns das ganze Ding um die Ohren. Ja so, nein halt, anders rum…ok…so jetzt ja…HALT!“ Abbefaria wagte nicht, sich zu bewegen. Seine beiden Hände steckten im Inneren dieser vermaledeiten Maschine, die knackte, und ratterte und vor allem stank und so überhaupt nicht das war, war er erwatet hatte. Hinter ihm sprang der Goblin von seiner Leiter, flitzte um die Maschine herum und rief von dort, dass er das Werkzeug jetzt entfernen und die Klappe schließen sollte. Abbefaria gehorchte und kurz darauf begann das Ding unter dem Tuch zu brummen. „Steh da nicht so rum, hilf mir lieber die Plane abzumachen.“, keifte der Goblin, während er immer wieder besorgte Blicke in Richtung des Horizonts warf. „Wenn ihr nicht bald losfahrt, wird das nie was.“ „Losfahren?“ Abbefaria, der sich innerlich schon auf irgendeinen verrückten Plan eingestellt hatte, sah sich nun, da sie Plane endgültig auf den Boden rutschte, einer völlig absurden Maschine gegenüber. Sie bestand aus etwas, dass Abbefaria an die Zeichnungen von Fuhrwerken erinnerte, die bei den Menschen benutzt wurden, um Ackerbau zu betreiben. Zwei Holzräder saßen an einer langen, hölzernen Deichsel, an deren Ende wiederum ein Rad saß. Dort, wo bei einem normalen Ackergespann jedoch die Pferde oder Ochsen angebunden wurden, hatte der Goblin zwei große, rote Fässer angebracht, die am vorderen Ende spitz zuliefen. Aus ihnen drang der intensive Geruch, der allem anzuhaften schien, das die Goblins betraf. Als Abbefaria sah, dass am vorderen Ende der Fässer grinsende Gesichter aufgemalt worden waren, wurde ihm schlagartig klar, dass es sich hierbei um einen Rennwagen der Goblins handeln musste. Davon hat Deadly also gesprochen, dachte er bei sich und konnte sich durchaus vorstellen, wie es sich anfühlte, wenn zwei dieser Ungetüme auf einen zugerast kamen. Der Goblin legte eine Hand auf eines der Fässer und warf sich stolz in die Brust. „Darf ich vorstellen, die Mirage 2000. Ich habe selbst noch ein paar Verbesserungen daran vorgenommen.“ „Hoffentlich keine, die uns in die Luft sprengen.“, unkte Emanuelle, doch ihre leuchtenden Augen straften die Boshaftigkeit in ihrer Stimme Lügen. Es war nicht zu übersehen, dass die Gnomin begeistert war. „Im Gegenteil.“, plusterte sich der Goblin auf. „Das hier ist das Sicherste, was ich je gebaut habe. Ich hab auch nur den Super- und nicht den Super-Duper-Treibstoff eingefüllt. Damit seid ihr zwar nicht ganz so schnell, aber…“ „Das macht überhaupt nichts.“, unterbrach Abbefaria ihn. „Und zwar deswegen nicht, weil wir uns nicht in dieses Ding setzen werden.“ „Aber warum denn nicht?“, fragten der Goblin und Emanuelle wie aus einem Mund. „Weil…“ Der Druide brach ab und deutete mit einer hilflosen Geste auf die ratternde Maschine. „Weil so etwas einfach…weil…weil…“ Ein breites Grinsen erschien auf dem Gesicht des Goblins. „Ich glaube, er hat Schiss.“, sagte er und stupste Emanuelle mit dem Ellenbogen in die Seite. „Haste dir ja ein ganz schönes Hühnchen angelacht.“ „Wenn´s nur so wäre.“, seufzte Emanuelle. „Dann hätte ich ein Problem weniger.“ Abbefaria atmete flach und hatte die Hände zur Faust geballt. Einerseits rumorte es tief in seinem Inneren, wenn er sich vorstellte, sein Leben dieser Höllenmaschine anzuvertrauen. Doch andererseits saß der Stachel des Spotts tief und bohrte sich nur noch tiefer in seine Seite, als der Goblin ihm einen abfälligen Blick zuwarf und sagte: „Na schön, dann werde ich das Baby eben selber testen. So ein großer Kerl…und so die Hosen voll.“ „Also gut.“, presste der Druide zwischen den Zähnen hervor. „Ich steige in dieses Ding. Aber wenn irgendetwas dabei schief geht…“ „Darüber machen wir uns dann Gedanken, wenn es passiert.“, lachte Emanuelle und klatschte in die Hände. „Also los. Ich wollte schon immer mal Rennwagen fahren.“ Und während Emanuelle und Abbefaria sich in das unbequeme Gefährt zwängten, erschien am Horizont der erste Schimmer von Orange, der das Ende der Nacht in Kalimdor einläutete. Magenta zweifelte ernsthaft an ihrer Wahrnehmung. Es war ihr vollkommen unbegreiflich, wie so etwas überhaupt nur im Bereich des Möglichen liegen konnte. Es war…einfach zu unwahrscheinlich, um wahr zu sein. Und doch sang und trällerte Demuny vor sich hin und tanzte durch das Zimmer, während draußen vor dem Fenster gerade die ersten Anzeichen eines Sonnenaufgangs erschienen waren. Die Hexenmeisterin war stark in Versuchung mit irgendetwas nach ihr zu werfen. Da das aber vermutlich keinerlei Wirkung gezeigt hätte, verlegte die Magenta sich darauf ihren Kopf so tief wie möglich unter dem Kopfkissen zu verstecken um diesem lärmenden, weißen Etwas in ihrer Schlafkammer zu entkommen. Aber es half alles nichts, denn kaum hatte sie das getan, zupfte jemand energisch an der Bettdecke. „Magenta? Magenta, schläfst du?“ „Ja.“, brummte es unter der Bettdecke hervor. „Ok. Aber wenn du aufgewacht bist, möchtest du dann mit mir zu Gregor gehen? Er hat mir ein Pferd versprochen.“ „Nein.“ „Na gut, dann geh ich eben alleine. Ich muss mich ja auch noch vom Doktor verabschieden. Und danach statte ich dem Lächelnden Jim noch einen Besuch ab. Ich hoffe nur, es kümmert sich jemand um ihn, während ich weg bin. Ist das nicht schrecklich, was Captain Vimes erzählt hat. Da eröffnet der Gute so ein tolles Restaurant mitten in der Wildnis und dann kommt irgendjemand daher und brennt es einfach nieder. Meinst du, das waren Drachen? Ich hab gehört, es gibt Drachen in den Sümpfen ganz im Süden. Wäre es nicht aufregend, wenn wir einen Drachen treffen würden?“ „Ja, total aufregend.“, seufzte Magenta. „Aber dass seine Frau und sein kleiner Sohn im Feuer umgekommen sind, ist schrecklich.“, Magenta glaubte ein Schluchzen in Demunys Stimme zu hören. „Der arme Mann. Kein Wunder, dass er so ist, wie er ist. Meinst du, es würde ihm helfen zu erfahren, wer seine Familie getötet hat?“ Magenta erinnerte sich an den gestrigen Abend zurück. Sie hatte Demuny begleitet, weil sie gehofft hatte, James Hyal die Grüße seines Bruders ausrichten zu können. Doch der Mann hatte nur vor dem Gasthaus gesessen und den Boden angestarrt, während er sich teilnahmslos Löffel für Löffel von der Priesterin in den Mund schieben ließ. Demuny hatte ihr erzählt, dass er jedes Mal, wenn jemand versuchte ihn in einen geschlossenen Raum zu bringen, anfing zu schreien und um sich zu schlagen. Das Gleiche passierte auch, wenn man in seiner Gegenwart ein Feuer anzündete. „Ich weiß nicht, ob das helfen würde.“, murmelte Magenta schließlich dumpf unter der Bettdecke hervor. „Aber wenn wir an den Ruinen vorbeikommen, können wir ja mal nachsehen, ob wir ein paar Spuren finden, so wie der Captain vorgeschlagen hat.“ „Das ist wirklich eine gute Idee!“, antwortete Demuny. „Ich bin dann erstmal ein Pferd holen.“ „Viel Spaß.“, brummelte Magenta, die genau wusste, dass sie jetzt nicht mehr würde einschlafen können. Außerdem wurde es langsam ziemlich stickig hier unten. So ergab sie sich in ihr Schicksal und entstieg den Tiefen ihres Bettes. Sie schnaufte ein paar Mal und rieb die Zehen aneinander, während sie auf der Bettkante saß und aus dem Fenster sah. Langsam aber sicher wurde es hell draußen und nicht mehr lange, dann würde die Sonne über dem Horizont zu sehen sein. Unwillig ihr Bett endgültig zu verlassen blieb Magenta reglos sitzen und wartete auf die ersten Sonnenstrahlen. Der Goblin betrachtete noch einmal seine Konstruktion. Es war wirklich ein Wunderwerk der Technik. Mit einem selbstgefälligen Gesichtsausdruck beugte er sich über den vor ihm liegenden Nachtelfen. Das arrogante Langohr festzuschnallen hatte ihm durchaus Vergnügen bereitet. „Und? Bereit?“, fragte er mit einem höhnischen Grinsen. „Ja!“, antwortete Emanuelle. „Nein.“, fauchte Abbefaria. Und wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre er auch sofort wieder aus diesem Ding ausgestiegen. Aber er hatte sein Wort gegeben und so sehr er es auch bereute, gab es jetzt kein Zurück mehr, denn die Sonne würde jeden Moment aufgehen und dann, so hatte der Goblin ihnen versichert, hätten sie alle drei ein richtig, richtig großes Problem. „Dann zünden wir jetzt die erste Stufe.“, erklärte der Goblin und verschwand aus Abbefarias Gesichtsfeld. Irgendwo unter ihm klirrte und knackte etwas und dann begann die Maschine zu zittern. Abbefarias Finger schlossen sich um die hölzernen Griffe, die zu diesem Zweck an dem Rahmen angebracht worden waren. Er fühlte sich wie ein Tier in der Falle oder schlimmer noch: am Bratspieß, denn der Goblin hatte ganze Arbeit dabei geleistet, ihn an der Fahrzeugkonstruktion festzubinden. Lederne Riemen hielten seine Arme und Beine dicht an die Mittelachse gepresst und selbst sein Kopf war von einem breiten Riemen fixiert worden, damit - so der Goblin - die Wucht des Starts ihm nicht den Hals brach. Allerdings wurde Abbefaria das Gefühl nicht los, dass er, sollte irgendetwas schief gehen, in weit größerer Gefahr sein, wenn er sich nicht rechtzeitig von diesem Höllengefährt losreißen konnte. Emanuelle hingegen schien zuversichtlich, was vielleicht auch daran lag, dass sie diese Fahrt aufrecht und nicht in liegender Position antreten musste. Es sei ein Problem der Erodünamick, wie sie dem Nachtelfen glaubhaft versichert hatten, dass er bei seiner Größe einfach liegen musste, während die Gnomin auf einem Sitz irgendwo hinter seinem Kopf thronte und die Bedienung der Schalter und Hebel übernehmen würde. Etwas krachte und aus den roten Fässern schossen fauchend zwei riesige Flammen hervor. Abbefaria wollte automatisch seine Füße einziehen, da ihm die Hitze der Flammensäulen bereits über die Schienbeine strich, doch er konnte sich einfach nicht rühren. Stattdessen musste er hilflos zusehen, wie Emanuelle ihm begeistert zuwinkte, eine Schutzbrille von ihrer Stirn vor die Augen zog und mit einem letzten, überzeugten Lächeln einen großen Hebel herunterzog. Ein Ruck, der alles in den Schatten stellte, was Abbefaria je erlebt hatte, katapultierte das Gefährt nach vorne. Der Atem wurde ihm aus den Lungen gepresst und er fühlte sich, als würde er Tonnen wiegen. Ohrenbetäubendes Jaulen kreischte in seinen Ohren und eine Glutwelle lief über seinen Körper hinweg. Instinktiv schloss er die Augen und erwartete den nächsten Schlag, doch der blieb aus. Stattdessen sank das steinerne Gefühl auf seiner Brust stetig und als er ein paar Mal schluckte ließ auch der Druck auf seinen Ohren nach. Dafür pfiff jetzt die Landschaft nur wenige Zentimeter unter ihm in rasendem Tempo vorbei. Die riesigen, roten Fässer vor ihm dröhnten und spuckten Feuer und blauen Rauch aus und die ganze Konstruktion wackelte und klapperte, als würde sie jeden Moment auseinander fallen. Unruhig versuchte er, seine Position zu verändern, um einen Blick darauf zu erhaschen, wohin sie fuhren. Hinter ihm rief Emanuelle etwas, doch er konnte es nicht verstehen. „Was?“, schrie zu ihr hinauf, doch die Worte wurden im vom Mund weggerissen, kaum dass er sie ausgesprochen hatte. „Lieg still!“, kreischte sie aus Leibeskräften. „Du bringst uns noch um!“ Was die ledernen Gurte nicht geschafft hatten, brachte nun der panische Unterton in der Stimme der Gnomin fertig. Abbefaria versteifte sich auf seinem Liegeplatz und wagte nur noch ganz flach zu atmen. Sehr viel anderes blieb ihm auch nicht übrig, denn die Maschine beschleunigte erneut. Abbefaria konnte schlecht einschätzen, wie schnell sie tatsächlich waren, da über ihm nur der blaue, wolkenlose Himmel zu sehen war, doch es war definitiv schneller als ihm angenehm war. Seine Welt bestand nur noch aus Lärm, Staub und Gestank und dem sicheren Gefühl, mit offenen Augen seinem Ende entgegen zu rasen. „Ist es nicht wundervoll?“, fragte Demuny und tätschelte ihrem Reittier den Hals. „Gregor hat es extra für mich ausgesucht.“ Magenta musste zugeben, dass sie ausgesprochen neidisch war. Das hellbraune Pferd mit der weißen Mähne sah unverschämt gut aus und der dunkelblaue Farbton der Satteldecke unterstrich seine Fellfarbe ganz wunderbar. Es hatte kluge Augen und eine weiche Schnauze, die Magenta am liebsten gestreichelt hätte. Aber da sie wusste, wie Pferde im Allgemeinen auf sie reagierten, beschränkte sie sich darauf, es von Weitem zu betrachten und rang sich sogar dazu durch, Demuny zu beglückwünschen. Die Priesterin strahlte bis über beide Ohren. „Ich habe Gregor auch gebeten, ein Pferd für dich auszusuchen.“, erklärte sie. „Komm und sieh es dir an.“ „Ähm…ja…also.“, stammelte Magenta. „Weißt du, ich glaube, das ist keine gute Idee.“ „Aber warum denn nicht. Komm schon, du wirst es mögen.“ „Es geht weniger darum, ob ich es mag, sondern eher darum, ob es mich mag.“, versuchte Magenta irgendwie zu erklären. „Und außerdem habe ich überhaupt kein Geld für ein Pferd.“ „Oh das macht nichts.“, lachte Demuny. „Die Pferde sind auch nur geliehen. Gregor ist froh, wenn jemand dazu kommt, sie zu bewegen. Wir müssen lediglich aufpassen, dass ihre Hufe nachts nicht im Wasser stehen. Nun komm schon.“ Voller böser Vorahnungen folgte Magenta Demuny zum Pferdestall. Ungute Erinnerungen an ihren letzten Besuch in so einem Gebäude wurden bei ihr wach, die auch nicht verflogen, als ihr ein Mann mit einem dicken, braunen Schnauzbart kräftig die Hand schüttelte. „Gregor Vimes mein Name.“, dröhnte er und strich sich über die Haarpracht in seinem Gesicht. „Na dann wollen wir mal sehen, ob wir nicht ein Pferdchen für dich finden.“ „Ich will wirklich nicht…“ „Ach was.“, winkte der Mann ab. „Demuny hat letztens meinen Fuß versorgt, als mir einer der Hengste draufgestiegen ist. Mit dem alten Zausel Gustaf hätte ich wahrscheinlich eine Woche oder länger das Bett hüten müssen. Außerdem müssen die Tierchen mal raus. Seeflotte schön und gut, aber was, wenn uns mal jemand von Land angreift? Wollen wir dann zu Fuß durch die Sümpfe waten? Also, Mädchen, was soll´s denn sein?“ Magenta zögerte. Wenn sie jetzt noch weiter darauf bestand, kein Pferd zu wollen, würde sie vielleicht das Misstrauen der beiden erregen. Und Magenta hatte nicht die geringste Lust zu erklären, dass die Pferde an ihr Dämonen witterten und sie deshalb nicht auf sich reiten lassen wollten. Daher zeigte sie wahllos in den Stall und sagte. „Das da.“ Gregor Vimes Augenbrauen wanderten nach oben. „Bist du dir sicher? Ich meine, du brauchst wirklich nicht bescheiden sein. Such dir nur ruhig ein Pferd…“ „Nein, ich will das da.“, sagte Magenta bestimmt und sah erst jetzt genauer hin, auf was sie da eigentlich zeigte. Das Tier drehte ihr den Hintern zu und wedelte mit einem dicken, grauen Schwanz an dessen Ende eine schwarze, buschige Quaste saß. Als hätte es gemerkt, dass man es ansah, drehte es sich um und verzog sein langes Gesicht zu einem lauten Schrei. „Iiiiii-aaaaah.“, machte der Esel und kaufte weiter an einem Heuhalm. „Oh, na prima.“, murmelte Magenta. „Jetzt kommt es nur darauf an, wer den größeren Dickkopf von uns beiden hat.“ Emanuelle guckte auf die Anzeigen vor ihr. Sie waren - wenn überhaupt - in Goblin beschriftet und die Anordnung der Hebel und Knöpfe war weder ergonomisch noch für jemanden mit gesundem Menschenverstand gedacht. Ein Gnom hätte sich in Grund und Boden geschämt, so etwas als fertig zu bezeichnen. Aber es funktionierte. Und wie es funktionierte. Die Landschaft schoss nur so an ihnen vorbei und die Grenze zum Gebiet von Tausend Nadeln kam mit jeder verstreichenden Sekunde näher. Das allerdings stellte Emanuelle vor ein Problem, das sie noch nicht bedacht hatte. Es war kein Problem für sie, den Rennwagen über die flache Ebene zu manövrieren. Im Gegenteil. Sie fand es sogar interessant und aufregend. Aber das, was dort vor ihr lag, sah nicht aus wie eine Ebene. Eher wie ein steinerner Wald mit sehr vielen, sehr großen und vor allem sehr harten Hindernissen. Die Gnomin griff nach einem Hebel, der vermutlich die Geschwindigkeit regelte, und zog daran. Es gab ein Geräusch, das nach einem verklemmten Zahnrad mit ungeschmierter Vierzehnkantmuffe klang, es tat sich jedoch nichts. Vorsichtshalber warf Emanuelle einen Blick nach dem zweiten Fahrgast. Der Nachtelf verharrte immer noch in seiner sicherlich nicht sehr bequemen Position und hatte die Augen geschlossen. Also schön, dachte Emanuelle, dann wollen wir doch mal sehen, wie dieses Baby in der Kurve liegt. In diesem Moment erreichten sie Tausend Nadeln. Die riesigen, steinernen Säulen schossen auf Emanuelle zu, die hektisch an allen möglichen Hebeln zog und drückte. Der Goblin-Rennwagen sprang von rechts nach links, die Düsenraketen jaulten protestierend auf, während die Felswände in atemberaubender Geschwindigkeit an ihnen vorbei rasten. Rechts. Links. Rechts. Links. Links. Rechts. Bremsen. Ausweichen. Treibstoffzufluss drosseln. Und Vollgas. Emanuelle hatte keine Möglichkeit über irgendetwas nachzudenken. Sie zog und drückte ganz automatisch alles, was ihr die Maschine an Auswahlmöglichkeiten bot. Staub wurde aufgewirbelt und verdreckte ihre Brille. Sie musste husten, konnte nichts mehr sehen. Die Felsen sprangen sie an wie hungrige Wölfe. Sie waren überall zugleich. Es war ein Meer als Felsnadeln, die über Emanuelle bis in den Himmel hinaufragten, während sie zwischen ihnen hindurchjagte wie eine zornige, rote Hornisse. Zwischen den Wänden wurde das Echo der tobenden Maschine tausendfach zurückgeworfen und das Dröhnen ließ die Erde erbeben. Kleine Felsbrocken rollten von denn Plateaus der Felsnadeln hinab und rissen auf ihrem Weg nach unten orange Staublawinen mit sich. Berglöwen suchten erschrocken das Weite und die weißen Wolkenschlangen zischten dem Eindringling, der es so frech in ihr Hoheitsgebiet vordrang, eine Warnung hinterher. Von all dem bemerkte Emanuelle jedoch nichts. Sie war viel zu beschäftigt damit, den zunehmenden Bodenunebenheiten Herr zu werden, die den Rennwagen wie einen flachen Stein über Wasser hüpfen ließen. Plötzlich tauchte ein Hindernis vor ihr auf. Irgendjemand hatte quer über den Canyon eine Barrikade aus Brettern und Dornenbüschen gebaut. Panisch zog Emanuelle an allen Hebeln, die sie in der Eile erreichen konnte. Der Rennwagen legte sich in eine Rechtskurve und raste auf eine Felswand zu. „Nein! Halt! Stopp!“, rief Emanuelle, doch es war bereits zu spät. Die roten Raketen voran schossen sie eine kleinen Abhang hinauf. Der schmale Weg wurde zur Sprungschanze, die ebenso überraschend endete, wie sie begonnen hatte. Der Rennwagen verlor die Bodenhaftung und wurde von seinem eigenen Schwung über die Kante getragen. Einige Augenblicke lange wurde er zum Fluggeschoss, segelte fast schwerelos durch die Luft, bis der Höhepunkt der Flugbahn überwunden war und das Gefährt mit voller Geschwindigkeit gen Boden raste. Vor sich konnte Emanuelle kleine, vierfüßige Gestalten erkennen, die wild durcheinander liefen und viel zu schnell größer wurden. „Weg da!“, schrie sie und wedelte wild mit den Armen. Mit einem gewaltigen Krachen setzte der Rennwagen inmitten der in alle Richtungen flüchtenden Hufträger auf. Unter der Wucht des Aufpralls löste sich die Verankerung der rechten Antriebsrakete, die sich daraufhin in ein unkontrollierbares Flug-Objekt (bei den Gnomen auch gerne U.F.O genannt) verwandelte. Das rote, grinsende Etwas raste durch die Siedlung, in der sie gelandet waren und verwüstete den größten Teil der zeltartigen Gebäude. Es flog hin und her, wie eine Katze mit einer brennenden Bratpfanne am Schwanz, bis es irgendwann einen Ausgang aus dem Talkessel fand und fauchend und pfeifend zwischen den Steinsäulen verschwand. Das zweite Antriebselement hingegen steckte in einer Felsspalte fest und spuckte dort Feuer und Rauch in die Luft. Mit einem Ächzen zog sich die Gnomin an der Kante des Fahrersitzes nach oben und sah sch um. Ihr bot sich ein Bild der Verwüstung, die ihren Höhepunkt in dem zerstörten Rennwagen fand, in dessen Trümmern sie saß. „Goblins!“, murmelte Emanuelle und aus ihrem Mund klang es wie eine Beleidigung. „Jeder Gnom hätte bei diesem Ding zuerst eine vernünftige Bremse eingebaut.“ Sie löste den Gurt, der sie an den Sitz gebunden hatte und kletterte dann vorsichtig über die zersplitterten Gestänge des Rennwagens nach unten. Dort angekommen lief sie schnurstracks um das Wrack herum, um auf der anderen Seite nach ihrem nachtelfischen Beifahrer zu suchen. Doch sie fand lediglich die in unzählige Stücke gebrochene Achse. Die ledernen Riemen darauf waren leer und hingen schlaff und in Fetzen herab. „Das ist eigenartig.“, sagte Emanuelle und besah sich einen der Riemen genauer. Die Stellen, an denen die Riemen zusammengehört hatten, waren nicht etwa unter der Belastung gerissen, sondern wiesen eindeutige Spuren von Krallen auf. Ein lautes Knurren ließ Emanuelle herumfahren. Über der Gnomin auf einem Felsen hockte eine riesige, schwarze Raubkatze. Ihr Nackenfell war aufgestellt und die spitzen, weißen Reißzähne von der Länge einer Gnomenhandfläche blitzten gefährlich im Sonnenlicht auf. Der rote Rachen war weit aufgerissen und tief aus der Kehle drang ein wütendes Fauchen. Die riesige Katze duckte sich zum Sprung und ihre messerscharfen Krallen bohrten sich in den orangeroten Fels. So verharrte sie lauernd und grollte Emanuelle an. „Es…äh…tut mir leid?“, sagte Emanuelle und versuchte ein gewinnendes Lächeln. „Diese Bruchlandung war nicht geplant.“ Die Katze fauchte erneut und die Muskeln spannten sich unter dem schwarzen Fell. „Hey, wir beide leben noch oder etwa nicht?“, rief Emanuelle jetzt ärgerlich und zog eine Schnute. „Es hätte wirklich schlimmer kommen können. Also hör auf rumzufauchen und komm da endlich runter.“ Erstaunt über so viel Unverfrorenheit klappte Abbefaria das Maul tatsächlich zu und beschränkte seinen Protest auf ein leises Grummeln. Ihm dröhnte immer noch der Schädel und wenn er sich die Trümmer des Rennwagens so ansah, konnte er wahrscheinlich wirklich froh sein, dass er sich noch rechtzeitig hatte befreien können. Das änderte jedoch nichts daran, dass er der Gnomin die Schuld an diesem Unfall gab und keinerlei Lust verspürte, sich mit ihr zu unterhalten. Murrend sprang er von dem Felsen herunter und fing an, die Gegend zu erkunden. Das Dorf, in dem sie gelandet waren, war vollkommen verlassen, doch wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, bis die Bewohner zurückkamen und ein Ziel für den Unmut über die Zerstörung suchen würden. Witternd lief er umher. Die Bewohner mussten über eine große Anzahl Vieh verfügt haben, denn es roch überall nach unsauberem Stall und Tierfell. Interessiert besah er sich die wenigen Spuren, die auf dem hartgebackenen Boden zu erkennen waren, genauer und kam zu dem Schluss, dass es sich bei den Tieren um Pferde handeln musste. Es dauerte eine Weile, bis er bemerkte, dass neben den Pferdespuren etwas ganz Entscheidendes fehlte: Es gab Spuren der Pferde, nicht aber von Reitern. Mit einem erschrockenen Maunzen drehte er auf den Hinterpfoten um und sprintete zum Wrack zurück. „Wir müssen hier weg“, erklärte er Emanuelle ohne Umschweife, nachdem er sich zurückverwandelt hatte. „Haben wir das Schmollen also aufgeben.“, begrüßte die Gnomin, die zwischen den Trümmern herumkrabbelte, frostig. „Was meinst du denn, was ich hier mache?“ Der Druide langte über die zerbrochenen Wagenteile hinweg, erwischte die Gnomin am Arm und drehte sie zu sich herum. „Ich meinte, wir müssen sofort hier weg. Das hier ist ein Zentaurendorf.“ „Ja und?“ Emanuelle schien wenig beeindruckt. „Die hab ich vorhin gesehen. Sind gelaufen wie aufgeschreckte Kaninchen.“ „Kaninchen mit Speeren und einem ausgeprägten Hang zur Grausamkeit.“, knurrte Abbefaria. „Wen sie nicht sofort umbringen, wird von ihnen verschleppt und versklavt. Wobei wir sicherlich Glück hätten, wenn sie sich für die erste Variante entscheiden würden.“ Emanuelle legte nachdenklich einen Finger auf die Nase. „In diesem Fall sollten wir vielleicht wirklich Eile walten lassen. Aber der Rennwagen ist völlig zerstört, und wenn diese Halb-Pferd-Halb-Mensch-Wesen ebenso schnell laufen wie ihre tierischen Verwandten, sollten wir uns sicherlich nicht zu Fuß auf den Weg machen, um ihnen zu entkommen. Meinst du, du kannst an den Felsen hochklettern?“ Abbefaria warf einen Blick auf die steilen Felswände, die den Canyon eingrenzten. „Unmöglich.“, urteilte er. „Um da rauf zu kommen, müsste ich schon fliegen können.“ „Mhm.“, machte Emanuelle. Die Gnomin kletterte aus den Trümmern und fing an, im Kreis herumzulaufen. Dabei murmelte sie unverständliche Dinge vor sich hin und schüttelte immer wieder den Kopf. Schließlich blieb sie stehen und fasste eines der großen Zelte, die das verschwundene Antriebselement zum Einsturz gebrachte hatte, ins Auge. „Ja, das könnte gehen.“, meinte sie und deutete auf das Zelt. „Ich brauche die Plane da. Dazu noch ein paar von den langen Zeltstangen, jede Menge Seil und etwas Wasser. Wenn ich nicht bald etwas zu trinken bekomme, kippe ich um. Ich kann so nicht arbeiten.“ Abbefaria war nicht überzeugt davon, dass die Gnomin den Ernst der Lage verstanden hatte, doch die war nicht der Ort und die Zeit um zu streiten. So seufzte er und sagte: „Ich kümmere mich um die Plane und den Rest. Dort drüben ist eine Höhle und ich glaube, ich habe vorhin Wasser dort drinnen rauschen hören.“ „Das werde ich mir mal ansehen.“, antwortete Emanuelle. „Bin gleich wieder da.“ „Das hoffe ich doch.“, murmelte Abbefaria und warf einen besorgten Blick zum Himmel. Dort oben konnte er die schmalen Schatten mehrere Aasvögel erkennen, die ganz offensichtlich mit einer bald anstehenden Mahlzeit rechneten. Er und Emanuelle konnten nur beten, dass sie kein Bestandteil davon sein würden. Magenta konnte es immer noch nicht glauben, aber sie saß tatsächlich auf dem Rücken eines Reittieres. Es war zwar alles andere als ein stolzes Ross und sie war auch nicht in der Lage, es zu irgendeiner schnelleren oder langsameren Gangart zu überreden, als diejenigen, die der Esel sich in den Kopf gesetzt hatte, aber dafür versuchte er auch nicht, sie alle paar Meter abzuwerfen. Im Gegenteil lief er so ruhig auf der schlecht ausgebauten Straße, dass sie sogar in der Lage war, endlich die letzten Verzierungen an ihrer Robe von Arcana anzubringen. Wann sie das gute Stück endlich einmal nach Ratchet bringen würde, stand zwar in den Sternen, aber bevor sie nicht diesen verfluchten, zweiten Teil des Folianten gefunden hatte, würde sich die Reise in die Küstenstadt im Brachland vermutlich sowieso nicht lohnen. So ritt sie gemütlich hinter den anderen her, die inzwischen schon etwa eine halbe Meile voraus waren, und bemühte sich Nadel- und Moskitostichen so gut wie möglich auszuweichen. Das erste gelang ihr recht gut, mit dem zweiten hatte sie jedoch weniger Glück. „Jetzt reicht´s.“, fauchte sie irgendwann und murmelte die Formel, die ihren Wichtel beschwor. „Ich hab Arbeit für dich.“ Pizkol streckte sich genüsslich und blinzelte wie eine Katze nach dem Mittagsschlaf. „Was soll es denn sein, Meisterin?“ „Ich wünsche, dass du diese scheußlichen Fliegeviecher erledigst, bevor sie mich stechen.“ „Was?“ Alle Ruhe und Schläfrigkeit des Wichtels war mit einem Schlag verschwunden. „Ich soll Insekten jagen? Warum sollte ich so etwas Idiotisches tun?“ „Weil ich es dir befehle.“, erwiderte Magenta mit einem zuckersüßen Lächeln. „Also los, mach dich nützlich. Und sei froh, dass ich dich dazu nicht in einen kleinen Käfig stecke und an einer Stange in die Luft hänge.“ Der Wichtel antwortete mit einem grimmigen Fluch und einem Feuerball, der das nächstbeste Insekt in ein Häuflein Asche verwandelte. „Siehst du, so hab ich mir das vorgestellt.“, grinste Magenta und fuhr fort, die Borte aus Spinnenseide an den Saum der Robe zu nähen. Ab und an warf sie dabei einen Blick auf die Landschaft, die rechts und links des Weges lag. Die knorrigen Bäume, die wie alternde Krieger auf einem längst verlassenen Schlachtfeld wirkten, hatten ihre Wurzeln tief in den sumpfigen Boden gegraben. Ihre Äste waren von fleckigen Flechten überwuchert, die wiederum unter dicken Schichten von Spinnenweben zu verschwinden drohten. Überall trat das Wasser an die Oberfläche und bildete schlammgesäumte Wasserwege, die kreuz und quer durch den Morast liefen. Dunstschleier hingen zwischen den Pflanzen am Ufer und krochen wie nebelhafte Schlagen über die Wasser. Millionen von Insekten zirpten, brummten, summten und lärmten geschützt im Dickicht und wurden nur noch vom Chor der unzähligen Frösche übertönt. Ein Baumstamm schwamm mitten auf einem der kleinen Flüsse, doch als Magenta näher hinsah, bemerkte sie, wie der Baumstamm sie mit tückischen, gelben Augen ansah…und dann mit einem schnellen Schlag des Schwanzes abtauchte. „Also hier gehe ich bestimmt nicht baden.“, murmelte die Hexenmeisterin und vertiefte sich wieder in ihre Handarbeit, während ihr Esel über die einzige, befestigte Straße zuckelte, die es in diesem Sumpf gab. Derweil stieg die Sonne höher und höher und verwandelte die morgenkühle Luft in eine schwülwarme Atmosphäre, die das Atmen schwer machten und sich wie ein Schleier über die Landschaft legte. Die Marschen von Duskwallow hießen ihre Gäste nicht willkommen. Irgendwo im Inneren der konnte Emanuelle tatsächlich Wasser rauschen hören. Um sie herum war es dunkel und die Luft war modrig feucht. Vermutlich lag das an dem Wasserstrom, der irgendwo vor ihr liegen musste. Vorsichtig, um nicht auf einem losen Stein auszurutschen oder in einen sich plötzlich auftuenden Abgrund zu fallen, tastete sie sich weiter in das schummrige Halbdunkel der Höhle vor. Je weiter sie kam, desto lauter wurde das Rauschen des Wassers. Sie folgte dem Geräusch um einige Biegungen herum, bis sie schließlich auf einen Wasserlauf stieß, der unterirdisch durch das Höhlensystem floss. Das Wasser hatte sich ein glattes Bett in den Sandstein gegraben, an dessen Ufer einzelne, matt leuchtende Kristalle aus den Felsen wuchsen. Der Schein fiel auf eine Reihe von primitiven Zeichnungen an der Wand. Interessiert musterte Emanuelle die Malereien. Sie zeigten fast ausschließlich Zentauren bei der Jagd. Gefleckte Hunde liefen an ihrer Seite und sie warfen mit Speeren nach großen, gelben Katzen. Einige Bilder zeigten auch Kämpfe mit anderen Tiermenschen, bei denen es sich augenscheinlich um Tauren handeln musste. Ein besonders kunstvolles Exemplar stellte eine große, geflügelte Schlange dar, deren Augen von zwei blitzenden, blauen Opalen gebildet wurden Während Emanuelle ihren Durst stillte und dabei die Wände betrachtete, wurde sie das Gefühl nicht los, dass irgendwo im Dunkel noch mehr war als nur die Farbe an der Wand. Fast war es so, als würde sie etwas beobachten. „Hallo?“, sagte die Gnomin und ihre Stimme hallten unheimlich und dumpf von den Wänden wieder. Als das Geräusch verklungen war, senkte sich wieder eine beunruhigende Stille über den Ort. Es kam Emanuelle so vor, als wäre sogar das Rauschen des Wassers auf unerklärliche Weise leiser geworden. Sie rief noch einmal, bekam aber erneut keine Antwort. Trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass auf der anderen Seite des Wassers etwas saß und wartete. Emanuelle überlegte. Sie hatte keine Angst vor irgendwelchen Monstern, aber es schien ihr trotzdem nicht ratsam, den Wasserlauf allein zu überqueren. Vor allem, weil sich in dem reißenden Storm nicht abschätzen ließ, wie tief das Wasser war. Und doch wusste sie, dass sie diesen Ort nicht verlassen würde, bevor sie nicht ergründet hatte, was auf der anderen Seite war. Mit einem letzten, misstrauischen Blick auf das andere Ufer drehte sie sich um und wackelte zurück zum Eingang der Höhle. Draußen war der Nachtelf immer noch damit beschäftigt, Materialien für Emanuelles neuesten Plan zusammenzutragen. Doch der Plan war jetzt nicht mehr wichtig. Viel wichtiger war das auf der anderen Seite des Wassers. „Du musst mitkommen.“, erklärte Emanuelle ohne Umschweife. „Was?“ Abbefaria ließ die Balken fallen, die er gerade getragen hatte und sah Emanuelle erstaunt an. „Ich denke, das hier wird unser Ausweg.“ „Wird es auch.“, sagte Emanuelle ungeduldig. „Aber erstmal musst du mitkommen. Ich habe da etwas entdeckt.“ „Und was.“ „Das weiß ich nicht. Aber es ist wichtig. Jetzt komm endlich.“ Der Nachtelf verschränkte störrisch die Arme. „Erst will ich wissen, um was es geht.“ Emanuelle verdrehte sie Augen. „Ich hab doch gesagt, ich weiß nicht, was es ist. Aber ich muss auf die andere Seite dieses Flusses. Und du wirst mich hinbringen.“ Der Blick, den der Nachtelf ihr daraufhin zuwarf, gefiel Emanuelle überhaupt nicht. Aber immerhin setzte er sich in Bewegung und folgte ihr, wenn auch widerwillig, bis zu dem Flusslauf. „Kannst du sehen, was auf der anderen Seite ist?“, fragte die Gnomin ungeduldig. „Ich sehe nur einen Gang. Er sieht genauso aus wie die Gänge auf dieser Seite und knickt nach ein paar Metern nach links ab. Sonst ist dort drüben nichts.“ „Dann muss es in diesem Gang sein.“, vermutete Emanuelle. „Los, bring mich nach drüben.“ „Nein.“ Emanuelle glaubte sich verhört zu haben. „Was soll das heißen: nein? Ich muss aber dort rüber.“ Die leuchtenden Augen des Nachtelfen bohrten sich in ihre. „Wir müssen vor allem von hier verschwinden. Wenn die Zentauren zurückkommen und wir…“ „Sind dann schon längst von hier verschwunden.“, beendete Emanuelle ungeduldig seinen Satz. „Glaub mir doch, wenn wir erst dort drüben sind, wird sich alles zum Guten wenden. Du musst mir glauben.“ Zögernd warf der Nachtelf einen Blick auf die andere Seite des Wassers. „Mir gefällt das nicht. Aber in Ordnung. Ich werde dort rüber gehen. Alleine.“ Er schnitt jeglichen, weiteren Protest mit einer entschiedenen Geste ab. „Du wirst nach draußen gehen und an einer Lösung arbeiten, wie wir hier fort kommen. Und wenn die Zentauren auftauchen, lauf weg und versteck dich irgendwo. Wenn wir uns trennen, werden wir vielleicht nicht so leicht erwischt.“ Emanuelle war nicht mit dieser Lösung einverstanden, aber sie sah ein, dass mit ihrem langohrigen Begleiter wohl nicht gut verhandeln war. So fügte sie sich seinen Wünschen und verschwand wieder in Richtung des Höhlenausgangs. Als die Gnomin hinter der nächsten Biegung verschwunden war, atmete Abbefaria hörbar aus. Dann wandte er sich dem gegenüberliegenden Ufer zu und starrte auf den finsteren Gang, der vor ihm lag. Was er seiner kleinen Begleiterin nicht verraten hatte, war, dass er dort drüben etwas gespürt hatte. Es war wie ein Rufen, ein Locken, ein Versprechen. Er wusste nicht, wie er das Gefühl erklären sollte. Es war, als würde er auf eine morsche Tür blicken, hinter der ein Sturm tobte. Die kleinste Erschütterung würde das Schloss brechen lassen und die Naturgewalten entfesseln. Er wusste, dass es gefährlich war und doch war er in der Lage, sich der Versuchung zu entziehen. Zur Sicherheit verwandelte er sich wieder in eine Raubkatze, nahm ein paar Schritte Anlauf und setzte mit einem gewaltigen Sprung über das reißende Wasser hinweg. Auf der anderen Seite angekommen, sah er sich noch einmal um und verschwand dann auf leisen Pfoten in der Dunkelheit. Zurück blieben nur das verlassene Ufer und die Bilder an der Wand, die im Schein der leuchtenden Steine merkwürdig lebendig wirkten. „Es seltsam.“, sagte Abumoaham und zügelte sein Pferd an einer Weggabelung. Nur wenige Schritte neben dem Weg lag die halb verfallene Ruine eines Wehrturms. Schlingpflanzen und Moose wucherten über den dicken Steinbrocken, deren Bruchkanten eigentlich zu frisch waren, um schon einen so starken Bewuchs zu zeigen. „Dieser Sumpf seien wie Dschungel. Wie hässlicher und nasser Dschungel. Menschen versuchen zu kultivieren und zu fassen Fuß hier, aber sobald sie wenden Rücken zu Natur, sie sich holt zurück, was ihr gehört. Man hat Gefühl, irgendetwas lauern zwischen all diese Wirrwarr.“ „Ich weiß, was Ihr meint.“, pflichtete Demuny ihm bei. „Ich habe in meiner Zeit hier die tollsten Geschichten darüber gehört, was es alles in diesen Sümpfen geben soll. Die Erzählungen reichen von Fröschen, die so groß sind wie Kindsköpfe, bis hin zu lebenden Leichen und weißen Krokodilen.“ „Es ist wirklich ziemlich warm hier.“, bemerkte Bladewarrior. Der Krieger, der Theramore noch erhobenen Hauptes verlassen hatte, schwitzte inzwischen in seiner glänzenden Rüstung vor sich hin. „Wie halten die Wachleute von Theramore das nur aus?“ „Eine Frage der Gewöhnung.“, erklärte die Priesterin. „Diejenigen, die neu hierher kommen, absolvieren zunächst ein Training auf der Halbinsel. Dort am Meer bringt der Wind noch einige Abkühlung. Außerdem darf man nicht unterschätzen, wie kalt die Nächte hier werden.“ „Ich eigentlich gar nicht will wissen, wie Nächte sein in diese Sümpfe.“, brummte Abumoaham. „Wir uns besser beeilen zu kommen an Gasthaus-Ruine. Je eher wir erledigen Arbeit dort, je eher wir kommen zu Hütte von Tabetha.“ „Oh, es ist nicht mehr weit.“, versicherte Demuny. Wenn mich nicht alles täuscht, müssen wir nur noch um die nächste Wegbiegung reiten. Dort müsste dann das Gasthaus `Zur süßen Ruh` liegen. Der Magier drehte sich im Sattel herum und warf einen Blick zurück auf den Weg. Er sah nichts als eine leere, mühsam befestigte Straße. Die Hexemeisterin, die er auf dem Weg erwartet hatte, fehlte. „Wo seien Magenta?“, fragte er und wendete sein Pferd. „Sie doch nicht wird gegangen sein verloren?“ „Ich hoffe nicht.“, sagte Demuny erschrocken. „Wer sich in diesen Sümpfen verirrt, wird nur als Leiche wieder gefunden werden und vermutlich noch nicht einmal das.“ Abumoaham stieß einen unterdrückten Fluch aus. „Ich nicht genug aufgepasst. Ihr warten hier, während ich gehe auf Suche. Es hoffentlich nicht lange dauert.“ Der Magier drückte seinem Pferd die Fersen in die Flanke und sprengte in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren. Abbefarias Augen hatten sich schnell an das Dunkel gewöhnt. Wie alle seines Volkes sah er auch nachts fast ebenso gut wie am Tage. So fiel es ihm nicht schwer dem verwinkelten Gang zu folgen, der ihn tiefer und tiefer in den Berg hinein führte. Bald schon war das Rauschen des Wassers hinter ihm verklungen und er war nur noch umgeben von Tonnen erdrückenden Steins. Trotzdem schlich er weiter, getrieben von einer unbekannten Kraft, die ihn von irgendwo in diesem Labyrinth zu rufen schien. Das Gefühl, sich dem Ziel zu nähern wurde unablässig stärker, bis sich schließlich der Gang vor ihm verbreiterte und in einer Art Plattform endete. Das Felsplateau lag am Rand einer größeren Höhle, deren Fußboden sich mehrere Meter unterhalb seines Standpunkts befand. Doch diese Tatsache musste dem Nachtelfen kein Kopfzerbrechen bereiten, denn er hatte gefunden, wonach er gesucht hatte. Vor ihm am Rand der Plattform stand eine alte Holzruhe. Sie war etwa so lang wie sein Unterarm und nur halb so hoch. Ihre Beschläge waren rostig, das Holz aufgequollen und verzogen. Ein modriger Geruch ging von der Truhe aus, der Abbefaria unwillkürlich an ein Grab denken ließ. Wie es schien hatte sie eine ganze Zeit im Wasser verbracht. Abbefaria verwandelte sich zurück und strich mit der Hand über den Deckel der Truhe. Sie fühlte sich rau an und er meinte ein leichtes Prickeln in den Fingerspitzen zu spüren. Mit dem Gefühl stieg Widerwillen in ihm auf. Etwas in seinem Inneren begehrte auf und wollte die Truhe auf keinen Fall öffnen. Doch die Neugier trieb ihn unerbittlich vorwärts. Bedächtig legte er beide Hände auf die Seiten des Deckels und klappte ihn langsam nach oben. Die Truhe leistete keinen Widerstand und offenbarte bereitwillig, was in ihr lag. Abbefarias Blick fiel auf einen Stapel vergilbter Pergamente. Sie waren lose gebunden und es schien, dass sie einmal Teil eines Buches gewesen waren. Die Seiten waren eng mit seltsamen Zeichen beschriftet, die Abbefaria nicht lesen konnte. Etwas in ihm sträubte sich immer noch, das Schriftstück zu berühren, doch eine stärkere Kraft ließ ihn die Hände ausstrecken und nach dem Manuskript greifen. Es fühlte sich warm und trocken an, was angesichts des Zustands der Truhe recht erstaunlich war. Möglicherweise hatte der Verfasser die Seiten durch Magie vor der Zerstörung bewahrt. Oder aber, sie haben sich selbst geschützt, flüsterte eine kleine Stimme in seinem Kopf. Doch diese Idee war so absurd, dass er den Gedanken weit von sich schob. Dies war ein Haufen kleblosen Pergaments, es war völlig unmöglich das… Abbefarias Gedanken brachen ab, als er einer Bewegung unter seinen Finger gewahr wurde. Die schwarzen Zeichen auf den Seiten schienen sich zu bewegen. Wie ein Haufen leserlicher Ameisen krochen sie über das Papier und fast meinte er, ein leises Rascheln zu hören, so als streife jemand ganz leicht mit einer Feder über das Papier. Fasziniert sah er zu, wie die Buchstaben begannen, über seine Haut zu kriechen. Fast konnte er spüren, wie die Magie aus den Zeichen ihn durchdrang und ihm neue Wege eröffnete. Wege, die er allein nie beschreiten würde. Es dauerte einige Herzschläge, bevor er die Pergamente abrupt fallen ließ und den Deckel über ihnen zuschlug. Heftig atmend stützte er sich auf die Truhe und starrte voller Entsetzen auf den geschlossenen Deckel. Was immer auch dort drin war, es war gefährlich und er würde sich lieber die Hand abhacken, als noch einmal hineinzugreifen. Allerdings konnte er die Truhe auch nicht hier lassen. Jemand, dessen Gewissen ihn nicht an der Nutzung dieser Kräfte hindern würde, konnte sie finden. Ob es ihm gefiel oder nicht, er musste die Truhe von hier fortschaffen. Vielleicht würde er irgendwo jemanden finden, der sich ihrer annehmen und den Inhalt vernichten würde. Denn irgendwie bezweifelte Abbefaria, das sich die Papiere im Inneren einfach so verbrennen lassen würden. So klemmte er sich die Truhe unter den Arm und machte sich im Laufschritt zurück zum Ausgang der Höhle. „Fertig!“, rief Magenta und besah sich stolz ihr Werk. Die Robe mit dem blauen Unterstoff und dem braunen Besatz sah nicht schlecht aus und die goldenen schimmernden Verzierungen ließen das Stück fast edel erscheinen. Es war auf jeden Fall nicht so auffällig wie das, was sie jetzt trug. Am liebsten hätte Magenta sie sofort angezogen, doch ihre jetzige Robe war immerhin ein Geschenk von Abumoaham und außerdem… „Wo zum Henker bin ich eigentlich?“, entfuhr es der Hexenmeisterin. Sie sah sich um und konnte weder Brücke noch Weg erkennen. Rund um sie herum breitete sich nicht als endloser Sumpf aus. Vorwurfsvoll versetzte sie dem Esel einen leichten Schlag gegen den graubefellten Hals. „Was soll das? Wo hast du mich hier hingebracht?“ Hinter ihr ertönte ein meckerndes Lachen gefolgt vom Knistern eines Feuerballs, der ein weiteres Insekt zu Asche verwandelte. „Ich glaube, er will die zu der Siedlung da vorne bringen. Ist doch nett von ihm.“ Magenta warf Pizkol einen wütenden Blick zu und richtete dann den Blick nach vorne um zu sehen, wovon ihr nichtsnutziger Wichtel sprach. Mitten zwischen den krummen, bemoosten Bäumen erhob sich eine Palisade von beträchtlicher Größe. Die Angespitzten Baumstämme waren so breit, dass ein erwachsener Mann sie nicht hätte umfassen können. Doch ganz offensichtlich war diese Festung auch nicht von Menschenhand erbaut worden: Neben dem Eingang der Siedlung standen zwei muskelbepackte Oger. „Das fehlt mir grad noch.“, murmelte Magenta und versuchte den Esel zum Wenden zu bringen, aber das Tier rückte und rührte sich nicht. Magenta glitt von seinem Rücken und wollte nach den Zügeln fassen, als der Graue den Kopf zurück warf, ein lautes Iaaah ausstieß und ohne weitere Vorwarnung nach hinten auskeilte. Erstaunt hörte Magenta ein stumpfes Geräusch gefolgt von einem erstickten Schmerzenslaut. Sie warf einen Blick vorbei an dem Hinterteil des Esels und sah jemanden in einer grüngrauen Lederrüstung am Boden liegen. Ohne zu zögern griff sie nach ihrem Dolch und richtete ihn auf die Person am Boden. „Wer Ihr auch seid. Steht auf und ergebt Euch.“ „Alles was Ihr wollt, aber haltet dieses verrückte Vieh fest.“, war die gekeuchte Antwort. Die Gestalt am Boden rappelte sich auf und Magenta erkannte, dass es sich um einen Mann mittleren Alters handelte. Er war von oben bis unten mit Schlamm besudelt und wischte sich mühsam den Matsch aus dem Gesicht. „Schlangen und Spinnen, Alligatoren und Orks, Untote und Oger… all das bin ich ja gewohnt.“, knurrte er. „Aber dass ich mich nun auch noch mit Eseln rumschlagen muss. Lady Jaina zahlt mir nicht genug für so einen Unfug.“ Langsam ließ Magenta die Spitze ihres Dolchs ein wenig sinken. „Ihr gehört zu den Truppen von Theramore?“, fragte sie erstaunt. „So könnte man es sagen.“, ächzte der Mann und kippte den Inhalt seines Stiefels in den nächsten Fluss. „Wir sind so etwas wie die geheime Eingreiftruppe. Wir überwachen sowohl die Aktivitäten der Horde wie auch unsere eigenen Truppen. In diesem Gebiet prallen zu viele Interessen aufeinander, auch wenn man es diesem öden Sumpf nicht ansieht.“ „Und das erzählt Ihr mir einfach so.“, stellte Magenta fest und hob zur Sicherheit ihre Waffe wieder. „Oder werdet Ihr mir jetzt gleich erzählen, dass Ihr mich wegen dieser Information leider umbringen müsst.“ Der Mann sah Magenta verdutzt an und begann dann schallend zu lachen. „Wenn ich das gewollt hätte, hätte ich Euch wohl einfach geradewegs nach Brackenwall spazieren lassen. Ich bin mir sicher, die Oger, die dort angesiedelt sind, hätten Euch sicherlich einen warmen Empfang bereitet. Wahrscheinlich in einem Suppentopf.“ „Ich wäre ja nicht so blöd gewesen, dort hin zu reiten.“, gab Magenta patzig zurück. „Ihr wart aber schon auf dem besten Weg dazu.“, erwiderte der Mann und wies in Richtung der Palisaden. „Zwar sind die Orks und ihre Alliierten wohl angewiesen, uns Menschen in Ruhe zu lassen, doch es gibt immer wieder genug, die sich nicht daran halten. Ihr tätet besser daran, Euch von Ihnen fernzuhalten. Nicht alle sind mit der Politik, die ihr großer Kriegshäuptling vertritt, einverstanden.“ „Ich werd´s mir merken.“, antwortete Magenta gepresst und griff nach den Zügeln des Esels. „Und Ihr solltet nächstes Mal besser vorsichtig sein, an wen Ihr euch heranschleicht. Es gibt sicher Leute, die mit Schlimmerem bewaffnet sind, als mit einem Esel.“ „Ich werd´s mir merken.“, grinste der Mann und war verschwunden, bevor Magenta auch nur zweimal geblinzelt hatte. „Blöder Kerl.“, brummte Magenta und zog ihre störrischen Esel in eine Richtung, in der sie die Straße vermutete. Als Abbefaria sich dem Ausgang näherte, hörte er von draußen verdächtige Geräusche. Etwas, das wie das Geifern und Knurren mehrerer Tiere klang, ließ ihn langsamer werden und schließlich ganz stehen bleiben. Wie es schien, waren die Einwohner des Dorfes zurückgekehrt. Er überlegte, was jetzt zu tun war und ob seine Begleiterin es wohl geschafft hatte zu entkommen, als er eine helle Stimme hörte, die rief: „Bleibt mir ja vom Leib. Ich warne Euch zum letzten Mal. Euer Freund hat schon Bekanntschaft mit meinen Feuerbällen gemacht. Also weg mit euch, ihr räudigen Tölen, und lasst mich in Frieden.“ Damit wäre wohl beantwortet, ob die Gnomin fliehen konnte, dachte Abbefaria bei sich und schob sich vorsichtig in Richtung des Ausgangs, bis er sehen konnte, was vor der Höhle vor sich ging. Emanuelle thronte hoch oben auf einem Gebilde, die sie aus den Planen und Stangen zusammen gezimmert hatte. Der Nachtelf hatte keine Ahnung, wozu es dienen sollte, doch im Moment war es zunächst einmal ein wirksamer Schutz gegen die Meute sabbernder und winselnder Vierbeiner, die sich um den Fuß der Konstruktion gescharrt hatten. Sie sahen aus wie die Tiere auf den Zeichnungen mit ihrem gefleckten Fell, den runden Ohren und kräftigem, gedrungenen Körperbau, der in einem kurzen, stumpfen Schwanz endete. Es schienen jedoch keine Hunde zu sein, wie er zunächst angenommen hatte, denn anstatt zu bellen, stießen sie immer wieder seltsam klingende Laute aus, die fast wie ein Kichern klang. Die albernen Geräusche täuschte jedoch bei Weitem nicht über die kräftigen Kiefer hinweg, die immer wieder nach der Gnomin zu schnappen versuchten. „Macht, dass ihr wegkommt!“, rief Emanuelle erbost und schickte einen Feuerball in Richtung der Kläffer. Die wichen dem Geschoss geschickt aus und schienen mit ihrem Gekicher die Gnomin noch verspotten zu wollen. Abbefaria konnte von seinem Standpunkt aus jedoch sehen, wie sich eines der Tiere um die Konstruktion herumschlich. Offensichtlich um die abgelenkte Gnomin von hinten anzufallen. Ohne lange zu überlegen schickte er seine Magie aus. Die Dornenranken, die aus dem Boden schossen, durchbohrten den Körper des überraschten Tieres, das noch einmal schmerzerfüllt aufjaulte und dann leblos zusammensackte. Sein erschlaffter Körper wurde von den Ranken hoch in die Luft geschleudert und dann regelrecht in Fetzen gerissen. Knochen, Fleischbocken und Gedärme fielen als blutiger Regen wieder zu Boden. Erschrocken zog der Druide die Magie wieder zurück und die Pflanze verschwand wieder im Boden. Eigentlich hatte er das Tier nur fesseln wollen. Irgendetwas stimmte hier nicht. „He da!“, rief Emanuelle von ihrem Turm herunter und winkte heftig. „Gerade rechtzeitig. Wenn du dich mal um den Rest kümmern könntest?“ Die übrige Meute hatte sich inzwischen zu Abbefaria herumgedreht. Jaulend und kichernd sahen sie in seine Richtung, unschlüssig, ob sie nun weiter ihr bisheriges Ziel verfolgen oder den neu hinzu gekommenen Leckerbissen verspeisen sollten. Ein besonders kräftiges Tier, soweit der Nachtelf erkennen konnte, war es ein Weibchen, schob sich nach vorne und witterte in seine Richtung. Ein kurzes, scharfes Kläffen rief die restlichen Jäger zur Ordnung. Wie ein einziges Tier rotteten sie sich zusammen und bewegten sich geschlossen in seine Richtung. Dabei fächerte ihre Formation immer weiter auf, so dass sie ihm dadurch den Rückzug abschnitten. Diese Tiere waren trotz ihres hässlichen Aussehens äußerst talentierte Jäger. Schließlich hatten sie ihn umringt, so dass ihm nur noch die Flucht in die Höhle oder der Kampf blieb. Abbefaria zögerte. Nach dem, was mit dem letzten Tier passiert war, wagte er es nicht, seine Magie erneut einzusetzen. Er wollte nicht noch eines von ihnen töten, wenn es sich vermeiden ließ. Verwandelte er sich, würde es ihm sicher gelingen, sich mit einem weiten Sprung über die Tiere in Sicherheit zu bringen und zu Emanuelle zu gelangen. Dann jedoch würde er die Kiste nicht mitnehmen können. Und einen körperlichen Kampf mit so vielen Tieren zu gewinnen war schlichtweg unmöglich. Wie er es auch drehte und wendete, er fand keine Lösung für sein Dilemma. Es wurde allerdings höchste Zeit, dass ihm etwas einfiel, denn es konnten nur noch Augenblicke vergehen, bis ihn der erste der gefleckten Jäger angriff. „Also schön.“, presste er zwischen den Zähnen hervor. „Versuchen wir es mal mit etwas anderem.“ Ohne die Tiere aus den Augen zu lassen, ließ er sich in die Hocke sinken und stellte die Kiste langsam vor sich auf den Boden. Dann atmete er noch einmal tief ein und begann zu singen. Es war eine alte Weise, deren Verse und einfache Melodie er oft benutzt hatte, um zu meditieren. Sie erzählte vom Wind und den Bäumen und dem Wasser, das alles Leben gebar. Die Worte kamen zunächst nur zögernd, während er die Magie langsam zwischen die Silben fließen ließ, deren Zauber die Tiere beruhigen sollte. Er hatte keine Ahnung, ob er damit so viele Tiere gleichzeitig betören konnte, aber es blieb ihm keine Wahl, als es zu versuchen. Tatsächlich schien seine List zu funktionieren. Die gefleckten Jäger rührten sich nicht von der Stelle und gingen auch nicht zum Angriff über. Stattdessen standen sie hechelnd, mit gesenkten Köpfen vor ihm und lauschten dem Gesang. Fast schien es, als würden sie tatsächlich gleich einschlafen und Abbefaria wollte sich schon zu seinem guten Einfall gratulieren, als das Leittier zu knurren begann. Das Weibchen hob den Kopf. Es hatte die kräftigen Kiefer entblößt und der Geifer tropfte zwischen den Zähnen hervor. Die schwarzen Knopfaugen leuchteten in einem unheimlichen Feuer und in ihrem Blick lag die pure Mordlust. Ein tiefes Grollen drang aus ihrer Kehle. Abbefaria hörte auf zu singen. Er konnte seinem Atem hören, der sich mit dem Knurren des Tieres mischte. Offensichtlich hatte er einen Fehler gemacht. Regungslos starrte er sein Gegenüber an und erwartete jeden Moment ihre Zähne in seiner Kehle zu spüren. Und dann, ohne Vorwarnung, schlug der gefleckte Jäger zu. Das Tier wirbelte herum und riss noch in der Bewegung seinem Nebenmann die Schulter auf und tötete ihn dann mit einem schnellen Biss in den Hals, bevor sie sich auf das nächste Opfer stürzte. Auch die übrigens Tiere erwachten aus ihrer Trance und fielen übereinander her. Blut spritzte hoch und Abbefaria brachte sich mit einem schnellen Sprung in die Höhle in Sicherheit. Voller Abscheu musste er mit ansehen, wie die Meute sich gegenseitig zerfleischte. Das Leittier lebte am längsten und selbst, als seine Hinterbeine nach einer schweren Verwundung am Rücken schon gelähmt und nutzlos hinter ihm herschleiften, tötete es mit einem kraftvollen Biss noch das letzte verbliebene Tier, bevor es zusammenbrach. Winselnd und blutend lag es auch der Seite und versuchte wieder auf die Füße zu kommen, aber der geschwächte Körper versagte ihm den Dienst. Zu keiner Bewegung fähig beobachtete Abbefaria, wie das Leben aus dem geschundenen Körper wich und das Leittier ebenso wie seine Kameraden zu einem toten Haufen Fleisch wurde. Erst dann übergab er sich neben dem Höhleneingang. Mit einem entnervten Stöhnen zog Magenta den letzten Fuß aus dem anhänglichen Matsch des Sumpfes. Auf dem Weg, den sie gekommen war, war noch eine Spur ihrer Fußstapfen zu sehen, die sich langsam mit Wasser füllte und schließlich unter einer Schicht trüben Brauns verschwand. Schnaufend wischte sich die Hexenmeisterin die Haarsträhnen aus dem Gesicht, die auf ihrer schweißnassen Stirn klebten, als sie das unverkennbare Geräusches eines Reiters hörte, der sich schnell näherte. Alarmiert wollte Magenta schon in den Sumpf zurück fliehen, als der Reiter hinter einem windschiefen Baum auftauchte und sie erleichtert aufatmete. Es war Abumoaham. Der Magier zügelte seinen Rappen neben ihr und sprang sofort vom Pferd. „Du in Ordnung?“, fragte er und Magenta fragte sich ihrerseits, wie oft sie diesen Satz eigentlich schon gehört hatte. „Ja, mir fehlt nichts.“, antwortete sie. „Nur ein bisschen Dreck. Na gut, eine ganze Menge Dreck. Ich bin irgendwie vom Weg abgekommen.“ „Du nicht aufgepasst.“, tadelte Abumoaham. „Ich nicht immer können achten auf dich, wenn du selbst nicht auch geben Acht etwas.“ „Was soll das heißen?“, fragte Magenta verblüfft. „Ich kann doch nichts dafür, wenn der blöde Esel einfach geradeaus läuft, anstatt auf der Straße zu bleiben.“ „Du hättest können lenken ihn.“, sagte der Magier und runzelte vorwurfsvoll die Stirn. „Ich mir Sorgen gemacht.“ „Ich hatte Besseres zu tun.“, fauchte Magenta. Sie wusste, dass Abumoaham Recht hatte. Trotzdem ärgerte sie sich. Am meisten über sich selbst. „Habt ihr denn das Gasthaus schon gefunden und das Rätsel gelöst?“ Magenta konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme zu einem Dolch wurde, mit dem sie gnadenlos auf ihr Gegenüber einhackte. „Nein.“, antwortete Abumoaham. „Wir hätten natürlich gewartet auf dich. Du doch sehen, ich hier. Was du wollen noch?“ Magenta wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie war nass, der halbe Sumpf klebte in ihrer Kleidung und sie wollte einfach nur noch hier weg. Sie wusste, dass Abumoaham nichts dafür konnte, doch er war nun einmal der Einzige, der hier war, um ihre Laune zu ertragen. Ein schlechtes Gewissen begann sich in ihr zu regen, doch sie stopfte es tief nach unten und klammerte sich an ihre Wut. Wütend zu sein war einfacher als schuldig. „Tut mir leid.“, sagte sie trotzdem und fühlte, wie ihr schlechtes Gewissen voll Überschwang hochkochte. „Es gefällt mir hier einfach nicht und dann bin ich auch noch fast von irgendwelchen Ogern gefressen worden. Ganz abgesehen von all dem Viehzeug, was hier rumschwirrt.“ „Um das habe ich mich doch gekümmert.“, maulte eine nölende Stimme hinter ihr. „So was Undankbares.“ Pizkol hockte auf einem Wegbegrenzungsstein und hatte die dünnen Ärmchen verschränkt. „Da rennt und macht und tut man und die Frau Hexenmeisterin hat natürlich trotzdem was zu nörgeln.“ „Wenn du mir bescheid gesagt hättest, dass der Esel falsch läuft, wäre das alles nicht passiert.“ „Wenn du hingeguckt hättest, auch nicht.“ Brodelnde Schatten schlugen ein, wo der Wichtel gerade noch gesessen hatte und lösten den Stein in Nichts auf. Empört drohte der Dämon seiner Meisterin mit der Faust. „Das stand aber nicht in meinem Vertrag!“ „Halt die Klappe und schieß Insekten ab.“, grollte die zurück. Sie schwang sich auf den Rücken ihres geduldigen Grautiers und sah Abumoaham auffordernd an. „Na los, reiten wir.“ Der Magier seufzte. „Manchmal du wirklich schwierig.“ Dann wendete er sein Pferd und gemeinsam ritten er und Magenta zurück zu den anderen. Eine kleine Hand legte sich auf Abbefarias Schulter. „Alles in Ordnung?“ Der Nachtelf sah auf und in ein Paar besorgte, blaue Augen. „Ja, mir fehlt nichts.“, antwortete er. „Ich hab nur…es war nicht…der Zauber hätte anders wirken sollen.“ „Das dachte ich mir.“, antwortete die Gnomin leise. „Aber ich kann nicht leugnen, dass es mir ähnlich ging wie den komischen Hunden. Ich hätte am liebsten irgendetwas angezündet.“ „Irgendetwas stimmt mit meiner Magie nicht.“, murmelte der Nachtelf. „Wenn ich nur wüsste…“ Sein Blick fiel auf die Truhe, die immer noch im Eingang der Höhle stand. Plötzlich ahnte er, warum das alles passiert war. „Wir müssen…“, begann er und brach dann ab, als er ein Geräusch hörte. Es war das unverkennbare Geräusch von Hufen, die auf einem festen Sandboden galoppierten. Die Zentauren kamen zurück. „Wir müssen hier weg.“, beendete er den Satz. „Wenn die Zentauren hier ankommen und sehen, was wir…was ich getan habe.“ „Kein Problem.“, versicherte ihm die Gnomin und zeigte in Richtung der Stangen- und Planenkonstruktion. „Wir müssen nur noch die Daumen drücken, dass sich das Triebwerk auch starten lässt, dann kann eigentlich nichts mehr schief gehen.“ „Ich hoffe es.“, murmelte Abbefaria und starrte auf die Staubwolke, die sich durch den Canyon auf sie zu bewegte. „Also los, versuchen wir es.“ Sie liefen zu dem Planenhaufen und Emanuelle verschwand irgendwo darunter. Abbefaria konnte sie rumoren hören, während das Geräusch der Hufe immer lauter wurde. „Wie lange dauert das denn?“, fragte er gehetzt. „Wir müssen hier weg.“ „Ja. Sofort.“, kam es dumpf unter der Plane hervor. „Nur noch den…ah ja jetzt.“ Ein gewaltiges Röhren erklang irgendwo unter der Plane und die gesamte Konstruktion begann zu zittern. Emanuelle kam mit gerötetem Gesicht und einem Seil wieder unter der Plane hervor. Sie reichte es an den Nachtelfen weiter. „Hier, fest um den Bauch binden.“, erklärte sie und deutete auf ihren eigenen Leib, wo sie bereits ein ebensolches Seil festgeknotet hatte. „Und dann gut festhalten.“ Abbefaria fragte nicht lange. Er wand sich das Seil um den Leib und versah es mit den festesten Knoten, die er je in seinem Leben gemacht hatte. Das Brummen unter der Plane war inzwischen zu einem immer höher werdenden Jaulen geworden, von dem der Nachtelf jetzt erkannte, dass es von der verbliebenen der beiden roten Fässer stammte. Offensichtlich hatte diese verrückte Gnomin vor, sie damit von hier wegzubringen. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, aber da die Alternative daraus bestand, von Speeren gespickt zu werden, machte er diesmal eine Ausnahme. Sein Blick fiel auf den Höhleneingang und er erstarrte. „Ich hab noch was vergessen.“, rief er und wollte anfangen, die Knoten wieder zu lösen. „Keine Zeit.“, schrie Emanuelle, denn das Dröhnen und Tosen war inzwischen so laut, dass man fast sein eigenes Wort nicht mehr verstand. Mit einem Fluch ließ Abbefaria die Knoten Knoten sein, zog seinen Dolch, kappte das Seil und rannte zum Eingang der Höhle. Hinter ihm entfaltete die Erfindung der Gnomin langsam die Plane. Darunter kam das Antriebselement in Sicht, das Emanuelle mit einem Gerüst aus Zeltstangen umgeben hatte. An den Seiten des Gerüsts häufte sich nun die Zeltleinwand zu einem unordentlichen Haufen. „Schnell!“, rief Emanuelle. Das Gebilde zitterte jetzt immer stärker, Funken stoben aus dem aufrecht stehenden Geschoss und versengten Sand und Steine. Abbefaria griff nach der Kiste und wusste im selben Moment, dass er sie nicht würde mitnehmen können. Es blieb nur noch eine Möglichkeit. Er riss den Deckel der Truhe auf, langte hinein und stopfte sich die vergilbten Seiten unter das Hemd. Dann wirbelte er herum und stürzte auf die Maschine zu. Schon konnte er die Zentauren am Ende der Schlucht erkennen. Grobschlächtige, bärtige Gesichter, die Münder verzerrt vom Kriegsgebrüll, die Speere erhoben, um sie auf die Eindringlinge zu schleudern. Zwischen ihnen verschleierte Magierinnen, die mit Blitzen auf ihn zielten. Mit einem beherzten Sprung überwand er die letzten Meter und ergriff irgendeinen Teil des Gerüsts. Ein Feuerstrahl erhellte den Canyon. Er schoss aus der Unterseite der Rakete und katapultierte Emanuelles Konstruktion mit einem Ruck nach oben. Abbefaria konnte nicht atmen. Er konnte nicht schreien. Er konnte nur versuchen sich irgendwie festzuhalten, während die Erde unter ihm ins Bodenlose stürzte und der blaue Himmel auf ihn einstürmte. Für einen Moment schien es, als wollten sie die Sonne berühren, dann setzte das Brennen und Brüllen plötzlich aus. Langsam aber unaufhaltsam neigte sich die Spitze der Maschine wieder gen Boden und…entfaltete mit einem Knall zwei gewaltige Flügel. Getragen vom Schwung und den warmen Aufwinden schraubte sich der Gleiter auf riesigen Schwingen aus Zeltplane höher und höher und ließ das Tal mit all seinen Gefahren weit, weit unter sich. „Hat doch prima geklappt.“, rief Emanuelle und grinste Abbefaria über das Gestänge hinweg an. Die Gnomin saß in einem improvisierten Sitz unterhalb der Flügel. „Ich hätte nicht gedacht, dass es tatsächlich funktioniert.“ „Oh es funktioniert hervorragend.“, knurrte Abbefaria, der an der Vorderseite des Seglers hing und unter sich entschieden zu viel leere Luft sah. Mit einem kräftigen Ruck zog er sich an den Stangen hoch und schwang sich rittlings auf den länglichen Mittelteil der Konstruktion. „He, Vorsicht!“, beschwerte sich die Gnomin. „Ich hab die Statik nicht für irgendwelche Kunststücke berechnet.“ Abbefaria tat, als hätte er sie nicht gehört. Sein Blick glitt über die Landschaft unter ihnen und trotz der leichten Furcht, dass sie doch irgendwann zu Boden stürzen würden, fand er den Anblick äußert faszinierend. Die Felsnadeln, die von unten betrachtet einem Labyrinth aus Felswänden glich, sah von hier oben aus wie ein Strang flacher Insel, die sich in einem langen Band durch den breiten Canyon zogen. Dazwischen lagen Flüsse aus Luft, in denen Raubvögel ebenso wie sie auf dem Wind dahin glitten. Ihre gelegentlichen Rufe gellten zwischen den Felsen. Die warme Luft trug den Geruch von Sand heran, von Felsen und Steinen durchmischt mit dem feinen Aroma von Rauch. Abbefaria sah hinab und erblickte unter ihnen eine kleine Siedlung, die auf einigen der größeren Felsnadeln errichtet worden war. Hängende Brücken verbanden die Ebenen miteinander, auf denen Zelte und Hütten ein buntes Durcheinander bildeten. Die Bewohner kamen aus ihren Behausungen, sahen zu ihnen hinauf und zeigten mit den Fingern auf sie, während der Gleiter vom Wind weiter getragen wurde. Immer höher hinauf führten sie die Luftströme, begleitet vom Flattern der Planen und dem Knarren der Balken. „Wohin fliegen wir?“, fragte der Nachtelf mit halb geschlossenen Augen. Die Sonne hier oben war klar und stechend. „Ich weiß nicht genau.“, kaum die Antwort von schräg unter ihm. „Wir müssen abwarten, wohin die Thermik uns trägt.“ Abbefaria ließ die Antwort einen Moment lang auf sich wirken, bevor er die unvermeidliche Frage stellte. „Haben wir denn kein Steuer?“ Er schielte zwischen den Stangen zu Emanuelle hinunter. Die Gnomin zuckte mit den Schultern. „Ich hatte eins eingeplant, aber die Zeit hat nicht gereicht. Bin froh, dass das Ding überhaupt oben bleibt.“ Abbefaria erwog einen Moment lang, sich aufzuregen, dann besann er sich. Es hätte keinen Wert gehabt, jetzt noch mit dem Schicksal zu hadern. Seine Finger glitten über den Stoff über seiner Brust. Das Pergament darunter raschelte leise wie ein kleines, zufrieden schlafendes Tier. Er beschloss, es nicht zu wecken. Eine plötzliche Windböe erschütterte den Gleiter und lenkte ihn in eine andere Richtung. Vor ihnen erschien die weite, flache Ebene des Brachlandes, das sich nahezu auf einer Höhe mit ihnen befand. Große, dunkle Gebilde bedeckten den Rand der Ebene. Als sie näher kamen, sah Abbefaria, dass es sich um riesige Dornengestrüppe handelte. Er rutschte auf seinem Sitz hin und her. Hoffentlich landen wir nicht ausgerechnet da, dachte er bei sich. Gezwungen dem Weg zu folgen, auf den Wind und Wärme sie leiteten, glitten der Nachtelf und die Gnomin weiter dahin und fügten sich notgedrungen in ihr Schicksal. - Easygoing trat aus dem Schatten einer großen Felsnadel hervor und legte die Hand über die Augen. Wachsam verfolgte er die dunkle Silhouette am Himmel, die gerade ihre Flugbahn geändert hatte und nun in entgegengesetzter Richtung zurückflog. Erst, als sie ganz verschwunden war, entspannte der große Druide sich wieder. „Es ist weg.“, rief er über die Schulter zurück. Sofort erschienen hinter ihm aus dem Schatten die beiden anderen Nachtelfen. Deadlyone trat vor und kniff die Augen zusammen. „Was das wohl war? Für einen Vogel war es zu groß.“ „Vielleicht ein Drache.“, mutmaßte Ceredrian. Er hob abwehrend die Hände, als die beiden anderen ihn ansahen, als hätte er sich höchstpersönlich in einen Drachen verwandelt. „Immerhin hat es die ganzen Zentauren vertrieben, vor denen wir uns versteckt haben.“ „Was immer es auch war, es behelligt uns nicht mehr.“, knurrte Easygoing. „Kommt jetzt. Wir haben schon genug Zeit verschwandet.“ „Was nicht unsere Schuld ist.“, stichelte Deadlyone. Der große Druide brummte etwas Unverständliches. Als wenn es seine Schuld gewesen wäre, dass in der heißen Quelle, die er entdeckt hatte, feindselige Wasserelementare wohnten. „Ich denke, wir sollten wirklich aufbrechen.“, meinte Ceredrian beschwichtigend. „Wenn wir uns beeilen, können wir zum Anbruch der Nacht in Feralas sein.“ Der Priester trat auf den Weg und sah Richtung Westen. Irgendwo dort lag vermutlich ihr Ziel. Während er sich umsah, blieb sein Blick an einem Wegweiser der Horde hängen. Es war ein grob gezimmerter und mit primitiven Zeichnungen und Schnitzereien versehener Baumstamm. Seine Spitze wurde sogar von einem Paar unechter Hörner geschmückt. Die weißen Augenbrauen des Nachtelfen wanderten nach oben, als er des zweiten Wegweisers gewahr wurde, der umgestürzt neben dem ersten im Sand lag. Er war sehr viel kunstvoller gearbeitet, wies eine sorgfältige Bemalung auf und hatte nur ein einziges Schild, auf dem „Thalanaar“ stand. Es gehörte nicht viel dazu, um ihn als ein Stück nachteflischer Arbeit zu identifizieren und gleichzeitig zu schlussfolgern, was mit ihm passiert war. Die Kratzer, die das Holz verunzierten, sprachen eine nur allzu deutliche Sprache. Es hätte nicht einmal mehr der Wurfaxt bedurft, die mitten in dem gesplitterten Schaft steckte, um erkennen zu lassen, dass jemand sich an dem Wegweiser vergangen hatte, um ihn zu beseitigen. Warum derjenige sein Vorhaben nicht zu Ende geführt hatte, ließ sich jedoch nur erahnen. Ceredrian wünschte ihm, dass es schmerzhaft gewesen war. Der Nachtelf hob den Kopf und blickte zu den weit über ihnen liegenden Felsplateaus empor. Dass dort oben Tauren wohnten, hatten sie schnell erkannt. Normalerweise neigte diese Rasse jedoch nicht zu Gewalt oder gar übereifriger Abneigung Fremden gegenüber. Das war eher etwas, das man den Nachtelfen selbst nachsagte. Was also hatte einen oder mehrere von ihnen bewogen, sich in einem derartigen Akt von Vandalismus zu ergehen? Nachdenklich folgte er den anderen, doch er konnte nicht verhindern, dass er immer wieder einen Blick hinauf zu den Zelten warf, zwischen denen weißer Rauch aufstieg. „Puh.“, machte Magenta. In das ewig nasse Aroma des Sumpfes hatte sich der kratzige, beißende Geruch nach verbrannter Erde und klebriger Asche gemischt. Die Hexenmeisterin verzog das Gesicht. Sie spürte wenig Ambition, sich der Quelle des Gestanks noch weiter zu nähern. Doch da sie sich vorgenommen hatte, Abumoaham gegenüber ein wenig guten Willen zu zeigen, trieb ihren Esel zu einer schnelleren Gangart an. So erreichte sie die Unglücksstelle nur kurz nach den anderen. Der Magier war bereits abgestiegen und inspizierten die verkohlten Holzbalken, die noch den Grundriss des einstigen Gasthauses erkennen ließen. Es war buchstäblich bis auf die Grundmauern heruntergebrannt. „Dies nicht sein gewesen normales Feuer.“, urteilte er schließlich. „Ich nicht Experte für Feuer, aber dieses etwas hat angefacht. Mehr als normal. Es geben Spuren davon überall.“ Magenta sah ihn fragend an. „Du meinst, das hier war also auf keinen Fall ein Unfall?“ Der Magier schüttelte den Kopf. „Ausgeschlossen. Dies sein Werk von Menschenhand.“ „Oder von anderen Rassen.“, bemerkte Bladewarrior nüchtern. „Wir bekommen Besuch.“ Der Krieger sprang von seinem Pferd, baute sich schützend vor seinen Begleitern auf und erwartete die Neuankömmlinge mit gezogenem Schwert. Trotz all der Ausrüstung, der Waffe und den Muskeln wirkte er gegen den, der dort kam, allerdings immer noch wie ein schmalbrüstiges Kind mit einem Spielzeug. Der Ork hob einen Arm und holte ein gewaltiges Schwert hinter seinem Rücken hervor. Ein normaler Mann hätte es nicht anheben, geschweige denn damit kämpfen können. Der Ork hingegen schien mit dem Gewicht keine Probleme zu haben. Muskelstränge, ein jeder so dick wie Bladewarriors Unterarm, schwollen unter der dunkelgrünen Haut und ließen die breite Figur noch bulliger wirken, als sie es ohnehin schon war. Mit einem grunzenden Laut rammte der Ork sein Schwert in den Boden. „Aka'Magosh.“ Bladewarrior hob die Spitze seines Schwertes leicht an. „Ich fürchte mich nicht vor dir, noch lasse ich mich von dir verspotten.“ Der Ork betrachtete ihn gelangweilt. Er fuhr sich über den fast kahlen Schädel, den nur noch ein paar schwarze Borsten zierten, und formte das Gesicht zu einem freudlosen Grinsen. Erneut sagte er etwas und machte eine Geste in Richtung des verbrannten Hauses. „Ja genau, das haben deine Freunde getan.“, knurrte Bladewarrior. „Und jetzt wirst du dafür büßen.“ Mit einem Wutschrei erhob der Krieger sein Schwert und stürmte brüllend auf den Ork zu. Der stieß ein spöttisches Grunzen aus und trat im letzten Moment mit einer Schnelligkeit, die Magenta ihm nicht zugetraut hätte, einen Schritt zur Seite. Bladewarriors Angriff ging ins Leere. Aber der menschliche Krieger ließ sich davon nicht entmutigen. Er wirbelte herum und schlug erneut auf den Orks ein. Das grünhäutige Wesen parierte den Schlag mit seiner Armschiene. Es gab ein kratzendes Geräusch, als die Klinge über das Metall schabte. Mit einem Knurren zog sich der Ork ein Stück zurück. Sein Schwert steckte immer noch im Boden. Er erhob beide Hände und streckte sie mit nach oben gerichteten Handflächen in Richtung seines Gegners. Wieder sagte er etwas zu Bladewarrior und es klang nicht sehr erfreut. Unter normalen Umständen wäre allein der Tonfall vermutlich schon die Herausforderung zu einem Duell auf Leben und Tod gewesen. Bladewarrior, der dies offensichtlich genauso sah, zeigte auf das Schwert des Orks. „Los, hol es dir. Ich werde nicht gegen einen unbewaffneten Gegner kämpfen.“ Als der Orks nicht reagierte, richtete der Krieger erneut die Schwertspitze auf ihn. „Nun denn. Dann wirst du eben ohne Waffe sterben.“ In diesem Moment bohrte sich ein kleiner Pfeil in Bladewarriors Hals. Er war ziemlich unscheinbar, bis auf die Tatsache, dass er mit roten Federn geschmückt war und dass seine Spitze, bevor sie die Haut geritzt hatte, verdächtig feucht geglitzert hatte. Bladewarrior machte noch einen Schritt auf den Ork zu, dann fiel ihm sein Schwert aus der Hand und er ging wie ein gefällter Baum zu Boden. Der Ork schüttelte den Kopf und brüllte etwas in Richtung der Büsche hinter ihm. Kurz darauf erschien an seiner Seite ein Troll. Die schlaksige Gestalt hatte mächtige Hauer, die ihm quer aus dem Maul standen, und seine Haut war von einem blassen Grün, dass ihn vor der Sumpflandschaft fast unsichtbar machte. Die orangefarbenen Haare auf seinem Kopf waren zu einem steifen Zopf zusammengebunden und gewährten dem Betrachter ungehinderte Sicht auf ein Paar langer, spitzer Ohren. „Was habt ihr mit ihm gemacht?“, empörte sich Demuny. Die Priesterin preschte nach vorn und zögerte dann, kurz bevor sie den am Boden liegenden Krieger erreichte. Ärgerlich fixierte sie den Troll. „So etwas Feiges. Mit Gift anzugreifen. Du solltest dich schämen.“ Der Troll betrachtete Demuny ausgiebig und sagte dann etwas zu dem Ork, das ihn wiederum die Stirn runzeln ließ. Ein äußert beeindruckendes Spektakel, wie Magenta zugeben musste. Vor allem bei jemandem, der so viel Stirn besaß. Der Ork knuffte den Troll in die Seite, woraufhin dieser meckernd lachte, aber trotzdem Platz machte. Der Ork richtete sich vor Demuny zu seiner vollen Größe auf. „Warte!“, rief Magenta da, bevor ihr einfallen konnte, dass das vielleicht nicht besonders schlau war. „Was du tun denn?“, wisperte Abumoaham ihr zu. Der Magier hatte hinter seinem Rücken bereits begonnen, einen Zauber zu weben, um ihn auf den Ork und den Troll zu schleudern. „Ich weiß nicht genau.“, gab Magenta zu. „Aber es ist doch offensichtlich, dass sie nicht kämpfen wollen. Warum also greift ihr sie ständig an?“ „Sie Horde. Wir Feinde.“ „Ja aber sie tun doch gar nichts.“ Magenta merkte selbst, wie lächerlich sie klang. Ein fast zwei Meter großer und ebenso breiter Ork musste nicht unbedingt etwas tun, um bedrohlich zu sein. „Ich meine, es herrscht doch eigentlich Waffenstillstand zwischen den Fraktionen. Warum halten wir uns nicht einfach daran?“ Abumoaham warf Magenta einen bewundernden Blick zu. „Du weise und fast ebenso klug wie Jaina Proudmoore. Sie sicherlich dich würde beglückwünschen zu diese Einstellung.“ Magenta verkniff sich eine Bemerkung darüber, wie egal ihr das war, was Miss Proudmoore von ihr hielt. Stattdessen trat sie vor und musterte den Ork. „Wir sind wegen des Gasthauses hier. Wir wollen herausfinden, wer das getan hat.“ Sie sprach langsam, obwohl sie wusste, dass er sie ja doch nicht verstehen würde. Dazu zeigte sie mehrmals auf sich und dann auf die verbrannte Ruine. Der grünhäutige Riese folgte ihrer Geste mit den Augen und nickte dann. „Zug Zug.“ Magenta war erstaunt. „Du meinst ich sollte…“ Ihr grünes Gegenüber musterte sie ebenso aufmerksam wie vorsichtig. Magenta versuchte irgendeine Regung in dem Gesicht mit den wulstigen Augenbrauenhügeln, der flachen, breiten Nase und den tief liegenden, pechschwarzen Augen zu erkennen. Doch ebenso gut hätte sie versuchen können, aus einem schlammigen Tümpel die Zukunft vorauszusagen. So machte sie vorsichtig einen Schritt auf die Ruine zu. Dann noch einen. Und noch einen. Als der Ork sich dann immer noch nicht gerührt hatte, holte sie tief Luft und wagte es, der Grünhaut den Rücken zuzukehren und sich auf die Suche nach Hinweisen zu machen. Sie hörte, dass der Ork etwas grunzte und erstarrte in der Annahme, gleich eine Axt oder ein Schwert in den Rücken zu bekommen. Stattdessen tauchte jedoch lediglich der Troll in ihrem Gesichtsfeld auf und begann ebenso wie sie, die Ruine zu durchstöbern. Ein wenig nervös setzte Magenta ihre Suche fort. Der Brandgeruch war atemberaubend und obwohl das Feuer bereits vor einer ganzen Weile hier gewütet hatte, meinte die Hexenmeisterin immer noch eine gewisse Wärme zu spüren, die von dem Holz ausging. Doch wahrscheinlich war das nur Einbildung. Keine Einbildung waren jedoch die Spuren, die Magenta im Sandboden neben dem Gasthaus entdeckte. Das Gras dort war ebenfalls verbrannt, aber in der einstmals weichen Erde hatte irgendjemand große Abdrücke hinterlassen, die durch die Hitze des Feuers konserviert worden waren. Dummerweise konnte Magenta nicht erkennen, wer oder was diese Spuren gemacht haben konnte. Suchend sah sie sich nach dem Troll um, der in diesem Augenblick etwas entdeckt zu haben schien. Er kniete sich auf den Boden und wühlte einen Gegenstand aus dem Ruß hervor, der eigenartig blinkte. Als er Magentas Blick bemerkte, ließ er das kleine Ding schnell in die Tasche gleiten. „Das hab ich gesehen.“, rief Magenta zu ihm herüber. Der Troll grinste und legte den Kopf schief. „Quan?“ „Ja, du hast mich schon verstanden.“, grollte Magenta. „Also schön, ich biete dir einen Handel an. Du zeigst mir, was du hast, und ich zeig dir, was ich habe. Einverstanden?“ Der Troll legte den Kopf auf die andere Seite. Das Lächeln war allerdings verschwunden. „Quan?“ Eine schnelle Folge von für Magenta zusammenhangslos klingenden Silben prasselte wie ein Platzregen auf den Troll ein. Der wandte erstaunt den Kopf und sah Abumoaham an. Er antwortete dem Magier und machte dann einen Schritt auf Magenta zu. „Was hat er gesagt?“, fragte Magenta ängstlich. Sie war sich nicht sicher, was der Troll jetzt tun wollte. „Ich ihn gebeten, zu teilen seine Funde mit dir.“ „Dafür hast du so lange gebraucht?“ „Trolle blumige Aussprache.“ Magenta verkniff sich eine Bemerkung darüber, warum Abumoaham nicht schon früher eingefallen war, dass er Troll sprach, bevor sie sich vor dem Ork und seinem Begleiter zum Narren gemacht hatte. Stattdessen streckte sie verlangend die Hand in Richtung des Trolls aus. Für einen Moment hatte Magenta Angst, dass er sie ihr abbeißen würde, doch dann langte er in seine Tasche und zog einen kleinen, glänzenden Gegenstand hervor. Mit einigem Zögern reichte er ihn an sie weiter. Die Hexenmeisterin betrachtete das Ding in ihrer Hand. Es war eine kleine, weiße Emaille-Plakette. Ein goldener Anker zierte die Oberfläche und darunter war ein Name geschrieben. Der Troll zeigte mit dem Finger auf den Namen und fragte etwas. Magenta ahnte, was er wollte. Vermutlich konnte er die menschlichen Schriftzeichen nicht lesen. „Da steht: Paval Reethe.“, las sie vor. „Er muss aus Theramore sein.“ „Reethe?“, fragte Demuny. Die Priesterin sah von dem immer noch bewusstlosen Bladewarrior auf. „Ich kenne Reethe. Oder besser, ich habe von ihm gehört. Er ist verschwunden. Captain Vimes erwähnte ihn und ein paar andere, als wir einmal zusammen zu Abend aßen. Er sagte, Reethe gehöre wahrscheinlich zu den Dummköpfen, die immer noch so loyal zu Admiral Proudmoore stehen, dass sie ihre Kameraden verraten und ihnen in den Rücken fallen. Wenn es nach ihnen ginge, würden wir die Orks vermutlich immer noch bekämpfen.“ Abumoaham hob an, Demunys Ausführungen zu übersetzen, doch der Troll schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab. Dann sagte er etwas und Abumoaham übersetzte: „Wir kennen Reethe. Wir später uns kümmern um ihn.“ Magenta beschloss, dass sie lieber nicht wissen wollte, was der Troll damit meinte. Sie winkte ihm, ihr zu folgen und wies dann auf die Spuren, die sie gefunden hatte. Der Troll kniete nieder und fuhr mit den breiten Fingern über die Ränder der Abdrücke. Dabei murmelte er etwas vor sich hin. „Das sind Hufspuren, nicht war?“, fragte Magenta neugierig. Sie sprach leise, denn sie wollte nicht, dass Abumoaham sie hörte. Der Troll sah sie fragend an. „Naja Hufe. Wie von Pferden und Kühen. Du weißt schon. Muuuuh.“ Die Züge des Trolls verzogen sich zu einem schwer zu entziffernden Gesichtsausdruck. Dann nickte er. „Muuuh.“, sagte auch er und hielt zwei Finger wie Hörner abgespreizt an seinen Kopf. „Kühe?“, sagte Magenta überrascht und sah zu den anderen hinüber. „Aber warum sollten Kühe den Hof niederbrennen?“ „Vermutlich nicht Kühe, sondern Tauren.“, erklärte Demuny. „Allerdings macht das nicht viel mehr Sinn. Ich habe noch nie von Überfällen durch Tauren gehört. Normalerweise sind die ziemlich friedlich.“ „Vielleicht sollten wir dann noch weiter nach Spuren suchen.“, sagte Magenta. Sie ließ den Troll mit den Abdrücken allein und begab sich weiter auf die Suche nach Hinweisen. Hinter ihr gesellte sich der Ork zu seinem Kameraden. Die beiden beratschlagten kurz und als Magenta wieder hinsah, war der Troll verschwunden. Das grimmige Gesicht des Orks brachte Magenta jedoch dazu, keine Fragen mehr zu stellen, sondern ihren Blick wieder fest auf den Boden zu richten. So tappte sie zwischen den verbrannten Überresten hin und her, bis sie sich schließlich den Kopf an etwas stieß. Sie blickte auf und sah, dass sie vor dem Kamin des Gasthauses stand. Es war der einzige Teil des Gebäudes, der nicht völlig herunter gebrannt war. Über der offenen Feuerstelle hing etwas an der Wand, das Magentas Aufmerksamkeit erregte. Sie streckte die Hand danach aus und schrak im selben Augenblick zusammen, als der Ork wie aus dem Nichts neben ihr auftauchte. Er besah sich das Ding und kratze sich am Kopf, während er etwas vor sich hin murmelte. „D-das ist ein Schild, nicht wahr?“, versuchte Magenta die Kommunikation wieder zum Laufen zu bringen. „Ich frage mich nur, wem er gehört.“ Der Ork beachtete sie nicht, sondern griff hinauf und holte das Schild mit einem Ruck von der Wand. Seine breiten Finger strichen gedankenverloren über den Rand, wo sich einige völlig von Ruß und Dreck bedeckte Symbole befanden. Dann schulterte er den Schild kurzerhand und ließ Magenta alleine stehen. „Hey!“, protestierte sie und lief hinter ihm her. „Ich dachte, wir teilen alles.“ Der Ork, der sie mit Leichtigkeit hätte aus dem Weg räumen können, blieb stehen und sagte etwas. Als er merkte dass sie ihn nicht verstand, deutete er zuerst auf das Schild und dann auf sich. Danach ballte er die Hand zur Faust. Eine Geste, die Magenta durchaus verstand. „Also gut, du willst das Schild mitnehmen.“, sagte sie und trat einen Schritt zurück. „Na meinetwegen gerne. Aber ich will wissen, was da drauf steht.“ Sie deutete auf den Schild, machte eine Geste, als würde sie etwas aufschreiben und sah den Ork dann fragend an. Der überlegte einen Augenblick, wobei er die Stirn wieder in eindrucksvolle Falten legte. Dann grinste er breit. Er legte das Schild beiseite, hob die Hände zum Kopf und streckte zwei Finger aus. „Muuuuh.“, machte er. Dann nahm er den Schild wieder auf, schlug sich mit der Faust vor die Brust, drehte sich um und stapfte mitsamt dem geschwärzten Schild von dannen. Magenta sah ihm nach und konnte immer noch nicht glauben, dass er sie einfach hatte stehen lassen. Und dass sie nicht einmal im Entferntesten daran gedacht hatte, irgendetwas zu zaubern. Das Schild war ebenso wie das Abzeichen verloren. „Aber immerhin wurde keiner verletzt.“, versuchte Demuny sie aufzumuntern, als sie sich deswegen Vorwürfe machte. „Sieh nur, Bladewarrior wird auch langsam wieder munter. Anscheinend hat ihn der Pfeil des Trolls nur betäubt.“ Sie wies auf den ziemlich blassen Krieger, der sich langsam wieder zu regen begann. „Ja und was haben wir nun von dem Ganzen?“, maulte Magenta trotzdem. „Wir wissen, dass wahrscheinlich irgendwelche Kühe das Gasthaus angezündet haben.“ „Tauren.“, verbesserte Demuny. „Wie auch immer.“, brummte Magenta. „Ich finde das auf jeden Fall nicht sehr befriedigend. Und was ist eigentlich mit diesem Reethe?“ „So wie ich kennen Trolle, wir vermutlich in diesem Augenblick schon nicht mehr müssen machen Sorgen um ihn.“, sagte Abumoaham. „Aber du recht haben. Wenn Tauren beteiligt an diese Attentat, wir sollten versuchen herauszufinden, woher sie kommen.“ „Und wie stellen wir das an?“, ätzte Magenta. Die Hexenmeisterin hatte die Nase gestrichen voll von all dem hier. „Wir sollten gehen zu Tabetha.“, entschied Abumoaham. „Wir ohnehin wollten zu ihr. Vermutlich sie wissen Rat in diese Angelegenheit.“ Da niemand einen besseren Vorschlag hatte, warteten sie noch ab, bis Bladewarrior sich wieder alleine auf einem Pferd halten konnte und machten sich dann auf den Weg weiter in Richtung Süden, wo irgendwo im Herzen des Sumpfes Tabethas Anwesen liegen sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)