Magenta II von Maginisha (Zwischen Azeroth und Kalimdor) ================================================================================ Kapitel 15: Die Verderbnis von Erde und Samenkorn (Teil 2) ---------------------------------------------------------- Wald. Soweit das Auge reichte, wiegten sich die grünen Baumspitzen im Wind und die Strahlen der untergehenden Sonne brachen sich zwischen den Blättern und Nadeln. Inmitten der grünen Fläche ragte ein riesiger Baum auf. Sein Stamm schien bis in den Himmel hinauf zu wachsen und seine Krone stützte das aufflammende Sternenzelt mit seinen ausladenden Ästen. Ein Baum so groß wie ein ganzes Land und so unerschütterlich wie die Erde selbst, ein Symbol für Leben und Weisheit und die Größe eines gesamten Volkes. Doch etwas stimmte nicht. Etwas war nicht so, wie es sein sollte. Eine Gestalt, aufrecht wie ein Mann, mit Hufen, geschwungenen Hörnern und einem langen, hin und her schlagenden Schwanz bewegte sich mit großen Schritten auf das lebende Denkmal zu. Die Platten seiner goldenen Rüstung klirrten aneinander und das dämonische Feuer in seinen Augen loderte vor Gier. Er erreichte den Baum und seine in langen Klauen endenden Hände strichen mit fahrigen Bewegungen über die Rinde des uralten Baum. Sie schabten sie Kruste ab und bohrten sich tief in das weiche Holz. Unter ihnen pulsierte das Leben, eine Quelle unendlicher Kraft, die nur darauf wartete, dass der riesige Dämon sich ihrer bediente. Ein Schauder lief durch den Wald, als die scharfen Krallen die Lebenssäfte des Baumes vergossen und ein dunkler Klagelaut wehte über das Tal. Der riesige Dämon hob den Kopf und sein mit grünem Feuer durchsetzter Blick bohrte sich direkt in Magentas. Du kannst nicht verleugnen, was du bist, sagte eine Stimme direkt in ihrem Kopf. Dann wandte sich der Dämon wieder dem Baum zu und begann die gewaltigen Kräfte in sich aufzusaugen. Und während er stärker und stärker wurde starb der Baum unter seinen Händen. Er verdorrte und Magenta konnte seinen Schmerz spüren, konnte fühlen, wie er das Leben aus ihm heraus floss, während der dämonische Parasit an seinem Stamm sich aufblähte und wuchs und immer mehr Kraft in sich aufnahm, bis er schließlich unbesiegbar werden würde. „NEIN!“ Der Schrei hatte Magentas Lippen verlassen, bevor sie sich ihrer Umgebung bewusst wurde. Um sie herum herrschte ein schummeriges, feuchtes Halbdunkel nur schwach erhellt vom Schein eines heruntergebrannten Lagerfeuers. Magenta schüttelte sich wie ein Hund um die Erinnerung an den Traum loszuwerden, doch ein kleiner Rest davon haftete ihr an wie ein fauler Belag auf der Zunge, der sich mit allem Wasser dieser Welt nicht wegwaschen lassen würde. Trotzdem wäre ein Schluck Wasser in diesem Moment nicht übel gewesen. Magentas Hand tastete nach ihrer Wasserflache, nestelte mit steifen Fingern den Verschluss herunter und trank dann mit gierigen Zügen die abgestandene, lauwarme Flüssigkeit. Als sie die Flasche bis auf den letzte Tropfen geleert hatte, war ihr Durst zwar immer noch nicht gestillt, doch immerhin auf ein erträgliches Maß gesunken, das es ihr ermöglichte, sich in ihrer Umgebung umzusehen. Das erste, was ihr auffiel, war, dass sie allein war. Wo waren ihre Begleiter? Abu, Demuny, Rakscha und dieser impertinente Druide. Hatten sie sie etwa allein zurückgelassen? Magenta lauschte, doch außer ihrem eigenen Atmen und fernen Wasserrauschen konnte sie nichts hören. Halt, das stimmte nicht ganz. Etwas bewegte sich aus der Dunkelheit auf sie zu. Sie vernahm das Tappen von krallenbewehrten Pfoten, das eindeutig auf sie zukam und kurz außerhalb des hellen Kreises, in dem Magenta lag, stehen blieb. Die Hexenmeisterin kniff die Augen zusammen und starrte in die Dunkelheit, die eindeutig zurückstarrte. Ein Hecheln zeigte ihr, dass sie sich das Ganze nicht nur einbildete. Ihre Hand glitt fahrig in Richtung ihres Dolches, als ein dunkles Knurren sie mitten in der Bewegung erstarren ließ. Dann erst schob sich langsam eine lange, schwarze Schnauze in den Lichtschein, gefolgt von einem schwarzbefellten Kopf mit glühenden, gelben Augen und einer ganzen Reihe spitzer, weißer Zähne. Als Magenta die Hand wieder sinken ließ, hörte der Wolf auf zu knurren und sah sie aufmerksam an. „Ich kenne dich.“, sagte Magenta und legte den Kopf schief. „Du gehörst der Jägerin.“ Der Wolf sah sie weiter an. Anscheinend fand auch er ihre Bemerkung nicht besonders geistreich. „Und jetzt?“, fragte Magenta. „Bist du gekommen, um mich zu holen?“ Der Wolf sah sie noch einen Augenblick lang an, drehte sich dann um und tappte zurück in die Dunkelheit. „Hey!“, rief Magenta ihm nach und erschauerte bei dem Echo, dass ihre Stimme in dem steinernen Gang erzeugte. Plötzlich erschein ihr der Platz am Feuer wie eine Falle, ein Präsentierteller, auf dem jeder vorbeikommende Feind sofort sah, was ihn erwartete, während Magenta von ihrer Umgebung rein gar nichts erkennen konnte. Die Schritte des Wolfes wurden leiser. Fast panisch sprang Magenta auf, raffte ihre Habseligkeiten zusammen und folgte dem Tier in die völlige Finsternis. Sie rannte und keuchte, stolperte über etwas, von dem sie lieber nicht wissen wollte, was es war, raffte sich wieder auf und hastete weiter. Das Rauschen des Wassers wurde immer lauter und machte es Magenta fast unmöglich, den Schritten des Wolfes zu lauschen. Blind und orientierungslos, die Hände weit vorgestreckt tastete Magenta sich durch die Dunkelheit, immer damit rechnend, dass sich auf einmal ein Abgrund unter ihr auftat und sie verschluckte. Dann plötzlich knickte der Gang vor ihr ab und ein schwacher, grauer Lichtschein sickerte durch das Dunkel. Ein wolfförmiger Schatten geisterte über die Wand und ließ Magenta schneller laufen. Sie hatte den Ausgang gefunden. Blinzelnd trat die Hexenmeisterin aus dem Gang und fand sich auf einer Steinterrasse wieder, die ein merkwürdig bizarres Bild eröffnete. Die Höhle, die vor ihr lag, hätte schön, ja nahezu malerisch sein können. Breite Wasserfälle ergossen sich aus verschiedenen Höhen in ein flaches Wasserbecken, das fast den gesamten Höhlenboden einnahm. Farne wucherten in Ufernähe und riesige Bäume umstanden die Wasserfläche und streckten ihre ausladenden Kronen in Richtung der Decke, wo durch große Öffnungen Tageslicht hereinfiel. Doch die Verderbnis hatte auch hier Einzug gehalten, so dass die Wasserfälle schleimig und grün waren, die Farne heimtückisch wirkten, die Bäume wild und verwuchert waren und die einfallende Sonne durch den allgegenwärtigen, fauligen Nebel in ein diffuses, graugrünes Zwielicht verwandelt wurde. Die feine Gischt, die von den Wasserfällen herauf wehte, prickelte auf Magentas Haust und ließ sie schnell ein Tuch vor das Gesicht binden, bevor sie dem schwarzen Wolf den gewundenen Uferpfad an den Wasserfällen entlang folgte. Auf ihrem Weg sah sie immer wieder abgestorbene Pflanzenwesen und der leichte Brandgeruch in der Luft verriet ihr, dass Abumoaham hier durchgekommen sein musste. Auch die großen Schleimpfützen auf dem Boden waren sicherlich nicht von ungefähr hierher gekommen. Doch wo waren der Magier und die anderen? In ihren Überlegungen versunken hatte Magenta den schwarzen Wolf aus den Augen verloren. Leise fluchend lief sie weiter den Weg entlang, bis sie schließlich von einem Felsplateau unter sich Stimmen hörte. Doch sie konnte nicht verstehen, was sie sagten. Vorsichtig schob sie sich durch einen verkrauteten Farnbusch nach vorne und linste über den Rand hinunter. „Sam ist zurück.“, verkündete die Jägerin gerade. „Wie es aussieht, hat eure Freundin sich erholt und ist auf dem Weg zu uns. „Das gut sein.“, nickte Abumoaham. „Wir nicht sollten verlieren weitere Zeit.“ „Sollten wir nicht nachsehen, ob sie unsere Hilfe benötigt?“ Demuny war gerade dabei, einen Kratzer an ihrer Wade zu verbinden. Die Augen des Druiden klebten förmlich an dem Stück weißer Haut, dass sie dabei entblößte. „Vielleicht wir besser gehen langsam weiter.“, entgegnete Abumoaham. „Magenta uns wird einholen schnell. Ihr sie gut geheilt und sie stark.“ Der Druide erwiderte etwas darauf, dass Magenta wiederum nicht verstand. Begierig zu hören, was er dazu zu sagen hatte, beugte sich Magenta noch ein Stück vor. In diesem Moment ruckte der Kopf der Jägerin nach oben und sie starrte Magenta direkt ins Gesicht. Unwillkürlich schrak Magenta zurück und spürte dabei, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Mit klopfendem Herzen hockte sie tief geduckt zwischen den triefenden Blättern und ärgerte sich über sich selbst. Verdammt! Sie hatte doch gar nichts Unrechtes getan. Immerhin sollte sie dem Wolf doch folgen. Sie hatte das Recht hier zu sein. Trotz aller dieser Beteuerungen wollte das Brennen auf ihren Wangen nicht nachlassen und Magenta war mehr als froh, dass das Tuch auf ihrem Gesicht die verräterische Röte verdeckt hatte. Die Stimmen unter ihr waren wieder zu einem undeutlichen Murmeln geworden, doch Magenta brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie die Nachtelfe mit spöttisch gekräuselten Lippen von ihrem peinlichen Versuch sich anzuschleichen berichtete. Magenta ignorierte das Stechen in ihren Augen. Warum hatten sie auch diesen räudigen Köter geschickt, anstatt an ihrem…nun ja Bett auszuharren, bis sie sich erholt hatte? Sie hätten warten können. Mit einem erstickten Keuchen riss sich die Hexenmeisterin das Tuch herunter, wischte damit die verschiedenen Flüssigkeiten aus ihrem Gesicht und schmiss es dann mit Nachdruck auf den steinernen Weg. Wütend trat sie darauf herum, als habe der Stofffetzen irgendeine Schuld an ihrer derzeitigen Situation. „Magenta?“ Abumoahams Stimme ließ die Hexenmeisterin auffahren. Der Magier lächelte und kam mit weit ausgebreiteten Armen auf sie zu. „Ich mir Sorgen gemacht um dich. Aber jetzt du wieder da.“ Was nicht dein Verdienst ist , dachte Magenta grimmig und versuchte ebenfalls zu lächeln. Das Lächeln erstarb, als der Magier sie in eine allumfassende Umarmung schloss. „Du so gute Magierin gewesen. Ich mich freuen, du endlich hast begriffen Feuerball-Zauber.“ Was? Magenta glaubte sich verhört zu haben. „Ich…ich…“, stotterte sie und schloss dann mit einer entschiedenen Bewegung den Mund, als der Rest der Truppe herannahte. Dies war kein guter Zeitpunkt um die Unterschiede zwischen Magier- und Hexenmeister-Magie zu diskutieren. Irgendwann würde sie jedoch noch einmal ein ernstes Wort mit ihrem Geliebten darüber wechseln müssen. „Magenta!“ Demunys Gesicht erstrahlte in einem warmen, mitfühlsamen Lächeln. „Geht es dir gut? Hast du noch Schmerzen?“ „Nein, alles in Ordnung.“, antwortete Magenta und musste fast gegen ihren Willen ebenfalls die Mundwinkel heben. „Und ich hatte schon befürchtet, wir müssten die Dämonen ohne Euch bekämpfen.“, sagte Rakscha, stellte ihren Bogen ab und kraulte mit einer beiläufigen Geste den schwarzen Wolf zwischen den Ohren. „Das wäre ja nun wirklich zu schade gewesen.“ Magenta überlegte einen Augenblick lang, ob ihr schon einmal jemand begegnet war, der derart fließend Sarkasmus sprach. Dann fiel ihr Blick auf den Druiden, der alles Mögliche betrachtete, angefangen von den Steinwänden, über Demunys Silhouette bis hin zu seinen eigenen Schuhspitzen, und sie musste aus unerfindlichem Grund schon wieder lächeln. Eigentlich war es mehr ein breites Grinsen, das gerade drohte, ihr Gesicht in zwei Hälften zu teilen, als Abumoaham sie in die Wirklichkeit zurückholte. „Wir wirklich sollten weitergehen.“, mahnte der Magier. „Es hier unten nicht sicher und Lord Schlangenzunge sicherlich schon waren, dass wir ihm machen unsere Aufwartung.“ „Oh ja.“, schnaubte die Jägerin belustigte und legte wie zufällig die Hand auf den Griff der Axt, die in ihrem Gürtel hing. „Ich kann es kaum abwarten, ihm seinen Kopf zu Füßen zu legen. So nennt man das bei euch Menschen doch, nicht wahr?“ Allgemeines Gelächter löste die eigenartige Stimmung, die sich bei diesem Wiedersehen in der Luft gelegen hatte, und die Gruppe setzte ihren Weg in Richtung des zweiten Teils der Höhlen von Maraudon fort. Abbefarias Hand glitt für einen Moment zu dem Beutel an seinem Gürtel. Dort lag neben einigen anderen Dingen ein einfacher Holzstock, der auf den ersten Blick keine Besonderheit erkennen ließ. Der Druide hatte ihn auf dem Grund des Sees gefunden, in dem sie auf Noxxion getroffen waren. Zwar verhieß das Äußere des unscheinbaren Aststücks keine großen Wunder, doch allein die Tatsache, dass er weder von den zersetzenden Wassern noch von der Fäulnis, die die gesamte Höhle im Würgegriff hielt, verschlungen worden war, gab dem Druiden die Hoffnung, dass sie damit den ersten Teil von Celebras’ Szepter gefunden hatten. Hoffnungsvoll folgte er Rakschas selbstsicheren Schritten, die sie an den giftigen Wasserfällen vorbei zu einer Felsterrasse führten, an deren Ende ein dunkler Höhleneingang gähnte. An der Schwelle des Ganges, aus dem Abbefaria ein unangenehm warmer Hauch entgegenschlug, machte die Jägerin halt und wandte sich an die blaue Windschlange an ihrer Seite. „Aozumi, du bleibst hier.“, erklärte sie fest und beantwortete das protestierende Zischen des Tieres mit einer entschiedenen Geste. „Hier , habe ich gesagt. Es ist zu gefährlich und du wärst uns ohnehin nur im Weg.“ Die Windschlange musterte ihre Herrin aus kalten, geschlitzten Augen und schwang sich dann mit einem eindeutig verletzt klingenden Laut in die Luft, wo sie von den gelbgrünen Schwaden verschluckt wurde. Rakscha sah ihr nach und schüttelte unmerklich den Kopf. „Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe.“, brummte sie leise auf Darnassisch. Dann nahm sie ihre Waffe wieder auf und trat als erste in den Tunnel, der sie zu Schlangenzunges Sitz führen sollte. Ohne lange zu überlegen folgte Abbefaria ihr. Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, bis Abbefaria die drückende Stille schließlich nicht mehr aushielt. Ebenso leise wie die Jägerin fragte er: „Woher habt Ihr Aozumi? Die meisten Jäger, die ich kenne, werden von Katzen, Wölfen oder Bären begleitet.“ Rakschas linke Augenbraue wanderte nach oben. „Ihr kennt nicht viele Jäger, oder?“ Abbefaria zog es vor, nicht darauf zu antworten. „Nun“, fuhr die Nachtelfe mit einem kleinen Seufzer fort, „ich fing sie bei einem Ausflug ins Brachland. In den Höhlen des Wehklagens. Ihr habt sicherlich schon davon gehört?“ Der Druide antwortete wiederum nicht, doch diesmal, weil die Worte der Jägerin mehr als schmerzliche Erinnerungen weckten. Er hatte von diesen Höhlen gehört. Eine Gruppe von Druiden, die Naralex, ein weiser Vertreter seines Standes, um sich geschart hatte, war einst aufgebrochen um die trockenen Steppen des Brachlandes wieder mit grünem Leben zu füllen. Doch jemand oder etwas hatte ihre Pläne durchkreuzt und viele seiner Anhänger so wie auch Naralex selbst waren in den verderbten Teilen des Smaragdgrünen Traumes gefangen worden. Unfähig ins diesseitige Leben zurückzukehren lagen sie in den Tiefen der Höhlen im ewigen Schlummer gefangen und harrten auf Rettung. „Habt Ihr…?“ Abbefaria wusste nicht, wie er die Frage formulieren sollte, ohne einen Vorwurf darin einzuweben. „Den Druiden in den Höhlen geholfen?“, beendete Rakscha die Frage selbst. „Nein. Ich war allein und hatte genug damit zu tun, den merkwürdig veränderten Kreaturen dort aus dem Weg zu gehen. Doch eine Gruppe von Abenteurern hatte die verderbten Druiden in einem Teil der Höhle zurück gedrängt. Zwischen den toten Körpern und zerdrückten Schlangeneiern fand ich eine gerade geschlüpfte Windnatter. Sie zischte und fauchte, doch ihre Flügel waren noch verklebt, so dass sie sich nicht erheben konnte. Ich wickelte sie in ein Tuch und nahm sie mit.“ Die Jägerin musterte Abbefaria für einen Augenblick. „Und nein, ich weiß auch nicht, ob die Gruppe Erfolg hatte. Druiden sind nicht gerade dafür bekannt, dass sie ihre Geheimnisse mit jedem teilen. Wenn Ihr also wissen wollte, ob die Druiden befreit werden konnten, müsste ihr Euch an Fandral Staghelm oder sonst jemand wenden, dem solche Informationen zugänglich gemacht werden.“ „Es tut mir leid.“, murmelte Abbefaria. „Ich bin…ich kann…“ „Spart euch Euren Atem.“, schnappte die Jägerin und verzog dann die Lippen zu einem verschwörerischen Grinsen. „Immerhin sind wir jetzt Kampfgefährten und ich würde nur ungern auf Euren Beistand hier verzichten. Shan’do .“ Das letzte Wort hätte aus dem Mund der Jägerin leicht spöttisch oder verletzend klingen können. Doch Abbefaria merkte, dass sie es ernst meinte und ihm tatsächlich vertraute. Vielleicht sogar mehr als er sich selbst. Er wollte noch etwas erwidern, als die Jägerin warnend die Hand hob. Sie deutete auf etwas hinter Abbefaria und der Druide fuhr wie ertappt herum, die Hand an seinem Dolch. Doch bevor er ihn ziehen konnte, erkannte er, dass es sich lediglich um die Hexenmeisterin handelte, die unbemerkt an Rakscha und ihn herangetreten war. „Ich…oh.“ Im Gesicht der jungen Frau ihm gegenüber erschien ein trotziger Ausdruck. „Ich dachte, Ihr wüsstet gerne, dass hinter der nächsten Tunnelbiegung Dämonen lauern.“ Rakscha schnaubte abfällig. „Dass Ihr das bei der Gesellschaft, in der Ihr Euch befindet, noch wahrnehmen könnt, ist erstaunlich.“, giftete die Jägerin und wies auf den gehörnten Dämon zu Füßen der Hexenmeisterin. „Sein Gestank bereitet einem Übelkeit.“ Der Dämon bleckte die Zähne und schnarrte. „Na Ihr riecht auch nicht gerade nach Rosen und Lavendel.“ Als die Jägerin sich daraufhin nur umwendete und ihn keiner Antwort würdigte, hob der kleine Kerl den Arm und schnüffelte kritisch. „1 a Schwefel.“, konstatierte er und zuckte mit den Achseln. „Ich weiß gar nicht, was sie will.“ Die Hexenmeisterin wollte offensichtlich noch etwas erwidern, als hinter der Tunnelbiegung plötzlich Kampfgeräusche zu hören waren. Alarmiert sprang sie auf und auch Abbefaria beeilte sich, der Jägerin zu folgen. Als sie die Nachtelfe erreichten, wischte diese gerade die Schneide ihrer Axt an ihrer Hose sauber. „Es war nur eine einzelne Patrouille.“, knurrte sie. „Kein Grund zu Beunruhigung.“ Ein meckerndes Lachen war die Antwort. „Wie Ihr mal keine Ahnung habt.“, spottete der dämonische Begleiter der Hexenmeisterin und trat zu dem niedergestreckten Dämon. Der tote Teufel hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm, wenn man einmal von der Größe absah. Außerdem hatte er keine Hörner und seine Beine endeten in krallenbewehrten Zehen und nicht in Hufen, wie es bei dem Wichtel der Fall war. „Das hier ist ein Grell. Oder auch ein Grellkin, wie ich anhand seiner Größe vermute. Die genaue Unterart kann ich ja nicht mehr bestimmen, da Ihr ihn ja gleich niederstrecken musstet.“, meckerte der Dämon. „Habt Ihr euch wenigsten gemerkt, ob er von Schatten oder von Flammen umgeben war?“ „Nein.“ Die Jägerin hob erneut ihre Augenbraue. „Und ich glaube auch nicht, dass das irgendwie wichtig wäre.“ „Oh natürlich ist es das.“, fauchte der Dämon und raufte sich die struppige Mähne. „Das hier war lediglich ein Diener und von denen lässt sich leicht auf die Herren schließen. Flammengrellkin deuten daraufhin, dass wir es mit Höllenrufern zu tun haben. Schattengrellkin hingegen bedeuten, dass wir auf Schwindler und Schattenpirscher treffen. Da gibt es himmelweite Unterschiede. Vor allem, weil sich die zweite Art hervorragend tarnen kann. Aber wenn Ihr gerne einen Dolch aus dem Hinterhalt zwischen die Rippen bekommt, könnt Ihr ja gerne vorgehen.“ Der Dämon verschränkte die dünnen Arme vor der mageren Brust und seine Herrin beeilte sich, es ihm gleichzutun. Aber Abbefaria hatte gesehen, dass sie den Ausführungen ihres Dieners ebenso gespannt gelauscht hatte wie der Rest. Wie es schien, hatte sie davon nicht die geringste Kenntnis gehabt. Abumoaham, der zusammen mit Demuny ebenfalls bei dem toten Dämon angelangt war, beeilte sich geschickt, die Situation zu entschärfen. „Wir besser gehen alle zusammen und sein vorsichtig. Dämon sich nicht wird anpirschen können an große Gruppe.“ „Meinetwegen.“, antwortete der Dämon anstelle seiner Meisterin. „Nur wenn wir auf die Typen mit dem Höllenfeuer treffen, wird er sich bestimmt freuen, wenn er den Boden unter uns allen gleichzeitig in Flammen setzen kann. Aber erleichtern wir ihm ruhig die Arbeit…“ „Pizkol!“ Die Stimme der Hexenmeisterin war scharf und schneidend „Es reicht jetzt. Du wirst vorgehen und ich folge dir.“ Zunächst wollte der Dämon noch protestieren, aber der Gesichtsausdruck der Hexenmeisterin duldete keinen Widerspruch, so dass er sich grummelnd fügte und auf leisen Hufen voran schlich. „Bleib dicht hinter mir und seid leise.“, wies die Hexenmeisterin den Rest der Gruppe an. „Ich kann die Dämonen spüren, bevor wir sie sehen.“ Als Rakscha den Mund öffnete, um etwas zu sagen, fügte sie hinzu: „Und ich bin auch in der Lage, sie schnell und geräuschlos zu bannen. Also los jetzt.“ „Wir dir folgen.“, stimmte Abumoaham zu und reihte sich hinter ihr ein. Demuny folgte ihm sogleich und auch Rakscha trat in den Gang, so dass Abbefaria, ehe er sich versah, den letzten Platz in der Gruppe eingenommen. Der Druide folgte seinen Kameraden mit einem mulmigen Gefühl in die kahle Höhle, in deren Tiefen Lord Schlangenzunge auf sie wartete. Einige Zeit später kniete Magenta schwer atmend neben einem toten Satyr und kramte eine Phiole aus ihrem Gepäck. Beiläufig strich sie eine widerspenstige Haarsträhne zurück und zapfte dann die Halsschlagader der toten Kreatur an. Sie hatte aufgehört zu zählen, wie viele Dämonen sie bereits nieder gemetzelt hatten, aber es waren einige gewesen. Die beiden Nachtelfen waren mit jedem fallenden Dämon und jedem Meter, den sie tiefer in die Höhle vordrangen, immer schweigsamer geworden. Magenta ahnte, was diese Reaktion auslöste, wenngleich die Wirkung der sie umgebenden magischen Ströme auf Magenta selbst genau die umgekehrte Wirkung hatte. Sie fühlte sich besser denn je. „Seid Ihr fertig?“ Die Stimme der Jägerin verriet ihre Anspannung. „Ja, das hier war die letzte Phiole.“, antwortete Magenta in liebenswürdigem Tonfall. Sie verkorkte das Glasgefäß, ließ es in ihre Tasche gleiten und warf noch einen prüfenden Blick auf die Kreatur, der sie es entnommen hatte. Der Satyr hatte den Oberkörper eines muskulösen Mannes, stark behaarte, mehrfach abgewinkelte Beine, die in gespaltenen Hufen endeten und gewaltige, prankenförmige Hände mit scharfen Klauen an den Enden seiner Finger. Am bemerkenswertesten erschienen Magenta jedoch seine Gesichtzüge, die auf groteske Weise denen der Nachtelfen glichen. Daran änderten auch der starke Bartwuchs und die ungepflegte Mähne auf dem Kopf des Dämons nichts. Denn ebenso unübersehbar wie die mächtigen, gebogenen Hörner auf der Stirn der Kreatur waren die spitz zulaufenden, überlangen Ohren, die Magentas Eindruck, sie betrachte einen seltsam verzerrten Nachtelf, noch mehr verstärkten. Irgendwie erinnerte sie sich schwach, dass es da tatsächlich einen Zusammenhang zwischen den stolzen Volk und der Entstehung der Satyren gab. Aber vermutlich war das wieder einmal Teil einer Geschichtsstunde gewesen, in der Magenta lieber gedöst hatte, anstatt den Ausführungen ihres Lehrmeisters zu lauschen. „Schlangenzunges Sitz muss doch hier irgendwo sein.“, sagte Demuny und schaute ein wenig furchtvoll an den von violetten Kristallen übersäten Wänden empor. Ihr Licht tauchte das helle Haar der Priesterin in einen amthystfarbenden Schein und ließ ihre Haut wie die einer Nachtelfe leuchten. „Ich meine, wir stolpern hier schon seit Stunden herum und haben ihn noch immer nicht gefunden. Vielleicht sollten wir zurückgehen.“ Magenta lauschte der Besorgnis der Priesterin alarmiert. Wenn selbst die zuversichtliche Demuny langsam die Hoffnung verlor, wurde es vielleicht an der Zeit, dass sie die Gruppe tatsächlich zum Sitz des Dämonenfürsten brachte. Denn im Gegenteil zu Rakschas Vermutung, Magentas Orientierungssinn entspräche etwa der Begabung eines Fisches, wenn es darum ging einen Baum hinauf zu steigen, wusste die Hexenmeisterin sehr wohl, wohin sie hätten gehen müssen, um direkt zur Schlangenzunges Sitz zu gelangen. Allerdings hatte sie gefürchtet, so nicht genug Satyrblut zu bekommen, so dass sie ihre Kameraden zunächst noch ein wenig durch die verschlungenen Gänge geführt hatte, bevor sie ihr Ziel nur allzu schnell erreichten. Doch jetzt wurde es augenscheinlich Zeit, den richtigen Weg einzuschlagen. „Es ist nicht mehr weit.“, versprach sie und diesmal entsprach das tatsächlich der Wahrheit. „Hinter der nächsten Tunnelbiegung müssten wir endlich auf den Herren dieser Hallen treffen.“ „Ihr sprecht von diesem Abschaum als hätten wir es mit einem rechtmäßigen Herrscher zu tun.“, fauchte Rakscha sichtlich gereizt. „Dabei sind er und die anderen, üblen Kreaturen nichts weiter als niederträchtige Eindringlinge, die an sich reißen, was sie in ihre stinkenden Krallen bekommen können.“ „Wir können ja den nächsten Satyr, den wir treffen am Leben lassen.“, gab Magenta treuherzig lächelnd zurück. „Dann fragen wir ihn, wie es denn sein kann, dass er und seine Kameraden hier inmitten von nachtelfischer Architektur hausen. Ich bin wirklich gespannt auf seine Erklärung.“ Der giftige Pfeil, den Magenta abgeschossen hatte, saß augenscheinlich tief, denn die Jägerin funkelte sie nur noch einmal wütend an und spannte dann ihren Bogen, um den Anfang des nächsten Kampfes zu signalisieren. Die Gruppe von Dämonen, die aus zwei Satyren und der doppelten Zahl Grellkins bestand, hatte der geballten Wut der Nachtelfe gepaart mit Abumoahams Eiszaubern nicht viel entgegen zu setzen und so starben sie schnell und ohne weitere Wachen zu alarmieren. Über ihre toten Körper hinweg ereichte die Gruppe eine weitläufige Halle, deren Decke irgendwo über ihnen im grauen Zwielicht verborgen lag. Schwarzflammige Kohlenpfannen verbreiteten mehr Wärme denn Licht und über allem lag der allgegenwärtige Gestank der Dämonen. Eine Mischung aus Schwefel und den Resten von Nethermagie, die Magenta als Einzige nicht unangenehm fand. Die magisch aufgeladene Luft brachte etwas in ihrem Inneren zum Klingen, von dem sie bis jetzt eigentlich zurückgeschreckt hatte, es zu benutzen. Die Hexenmeisterin konnte nicht abstreiten, dass dieser Reichtum an Macht und Magie ihre Laune erheblich verbesserte und sogar für eine Weile die Leere zu füllen wusste, die die starken Zauber im Kampf mit Noxxion in ihrer Seele zurückgelassen hatte. Ein durch und durch angenehmes Gefühl, über deren Konsequenzen sie sich später Gedanken machen würde. Jetzt galt es erstmal die Quelle der großen Ansammlung dämonischer Magie zu finden, die sie ganz in ihrer Nähe spüren konnte. Schlangenzunge gab sich keine besondere Mühe, seine Anwesenheit zu verbergen. Nun ja, wenn ich so tief unter der Erde hausen würde und Herscharen von Dämonen zu meiner Bewachung hätte, würde ich das vermutlich auch nicht tun , dachte Magenta bei sich und gab dem Rest der Gruppe ein Zeichen, dass sie sich langsam und vorsichtig in Richtung des steinernen Torbogens in Bewegung setzen sollte, der an einem Ende der Halle lediglich von zwei flachen Kohlebecken flankiert wurde. Zumindest sah es im ersten Moment so aus. „Vorsicht! Dämon!“, zischte Rakscha und hob ihren Bogen. Magenta war mit einem Schritt neben ihr und legte eine Hand auf den Pfeil und drückte ihn entschieden nach unten. „Nicht so schnell.“, flüsterte sie und kniff die Augen zusammen. „So nah an Lord Schlagenzunges Sitz wollen wir doch keine unangenehmen Überraschungen provozieren.“ „Was für Überraschungen denn?“, schnappte die Jägerin und ihr Wolf ließ ebenfalls ein warnendes Grollen hören. „Wir scheuchen die Dämonen auf und töten sie. Das hat doch bis jetzt gut funktioniert.“ Magenta rollte mit den Augen. „Ja, aber das hier ist anders. Ich weiß, dass Ihr den Schattenpirscher direkt vor uns bemerkt haben mögt. Aber ich verwette ein Gold, dass mindestens noch einer von ihnen auf der anderen Seite der Tür postiert ist. Und es würde mich nicht wundern, wenn hinter dem Torbogen noch weitere Pirscher lauern. Also wollt Ihr mich das jetzt bitte auf meine Weise erledigen lassen?“ Die Nachtelfe lachte heiser auf. „Die Wette nehme ich an. Das wären dann schon zwei Goldstücke, die ich von euch bekomme.“ „Ach ja?“ Magenta konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. „Na dann passt mal auf.“ Sie sprach die Formel, die den Dämon, der vor ihnen in den Schatten lauerte in die Zwischendimension verbannte. Kaum jedoch hatte die durchsichte Energiehülle den Satyr umschlossen, schoss mit einem Grollen ein zweiter Satyr mit hoch erhobenem Schwert aus den Schatten hervor. Ohne lange zu zögern ging er damit auf Magenta los, die gerade noch rechtzeitig einen Schritt zurück wich und sogleich begann einen Zauber zu weben. Sie war jedoch zu langsam. Noch bevor der Dämon sie erreicht hatte, wurden seine Hufe von einem massiven Eispanzer am Boden festgefroren. Ein schwarzer Schatten schoss empor und verbiss sich in seiner Kehle und brachte ihn zu Fall und ein gut gezielter Schuss der Jägerin machte seinem Leiden schließlich ein schnelles Ende, noch bevor er einen weiteren Schwertstreich ausführen konnte. „Einer noch fehlen.“, brummte Abumoaham und wies auf den gefangenen Dämon. „Du ihn freilassen und wir ihn töten auch.“ „Mhm…“, machte Magenta und überlegte. Der gefangene Satyr hieb mit den mächtigen Klauen gegen die fragile Hülle, die ihn umgab. Lange würde ihn der Zauber dort nicht mehr halten können. „Ich glaube, ich habe eine bessere Idee.“ „Was?“ Rakschas Gesicht verriet ihre Empörung nur zu offensichtlich. „Was für einen Unsinn habt ihr denn jetzt schon wieder vor? Wir töten diesen Dämon und Ende der Diskussion. Ihr führt euch schon viel zu lange auf wie…“ „Wie was?“, schnappte Magenta. „Ein Experte für Dämonen. Tut mir leid, Euch das mitteilen zu müssen, aber ich bin hier der Experte für Dämonen. Mein Wissen mag unzureichend und lückenhaft sein, aber wenigstens besteht es nicht nur darin zu wissen, wie ein Dämon von innen aussieht. Und übrigens habe ich ein Gold gewonnen.“ „Ihr nicht streiten sollt.“, versuchte Abumoaham die Wogen zu glätten. „Vielleicht du uns erklären deinen Plan?“ „Nein, keine Lust.“, fauchte Magenta. „Wenn es nicht klappt, könnt ihr euch immer noch beschweren, aber ich habe keine Lust, mir das Gejammer schon vorher anzuhören. Es war immerhin nicht meine Idee, den mächtigsten der hier ansässigen Dämonen in seinem Wohnsitz aufzusuchen um ihm irgendein dummes Szepterteil abzujagen. Oder etwa doch?“ Magenta sah, dass der Druide schuldbewusst den Kopf senkte. „Das ging jetzt ausnahmsweise mal nicht an Eure Adresse.“, blaffte die Hexenmeisterin. „Aber wo wir gerade dabei sind: Ihr könntet euch gleich mal etwas nützlich machen, wenn Ihr Euch schon so gut wie gar nicht an den Kämpfen beteiligt. Los, kommt mit, ich brauche Eure Hilfe.“ Erstaunt und ein wenig argwöhnisch trat Abbefaria vor. Was hatte die Hexenmeisterin vor? Und warum fing sie jetzt an ihre Robe zu zerreißen? „Haltet das mal!“, brummte sie und drückte ihm den weißen Stofffetzen in die Hand. Dann nahm sie ihren Dolch zur Hand und sah ihn fragend an. „Irgendwelche Zauber, mit denen man Schmerzen unterdrückt?“ „Was…ich?“, stotterte Abbefaria. „Ich meine, vielleicht könnte ich…“ „Ach, spart es euch. Heilt einfach den Schnitt.“ Die Hexenmeisterin setzte den Dolch auf die Handfläche und biss die Zähne zusammen. „Au, verflucht.“ Helles, warmes Blut tropfte auf den weißen Stoff in Abbefarias Hand. Entsetzt starrte er auf das sich langsam ausbreitende Rot, bis die Hexenmeisterin ihn schließlich anstieß und die blutende Hand unter die Nase hielt. „Das tut verdammt weh, also unternehmt gefälligst was dagegen.“, herrschte sie ihn an. Er murmelte die Heilformel und die ohnehin nur oberflächliche Wunde auf der Hand der Hexenmeisterin schloss sich sogleich wieder. „Ah, viel besser.“, seufzte die Hexenmeisterin und nahm Abbefaria das blutige Tuch ab. Er verzog das Gesicht zu einer freundlosen Grimasse. Je länger das Ganz hier dauerte, desto mehr wuchs in ihm der Wunsch einfach wegzulaufen, bis er diese verfluchte Höhle mit all ihren Insassen weit hinter sich gelassen hatte. Die Hexenmeisterin schien das jedoch nicht zu bemerken. „Also gut, dann hört zu. Ich werde den Satyr gleich aus der Verbannung entlassen. Und wenn ich das tue, möchte ich, dass Ihr ihn fesselt. Ihr könnt doch diese Ranken aus dem Boden hervorrufen. Schaft Ihr das?“ „Ja, aber…“, wollte Abbefaria protestieren. „Danke, mehr wollte ich nicht wissen.“, unterbrach die Hexenmeisterin ihn und wandte sich ihrem dämonischen Diener zu. „Pizkol, von dir muss ich mich jetzt wohl verabschieden.“ Der gehörnte Kerl sah zu ihr auf. „Oh, macht dir um mich keine Sorgen. Es wurde sowieso Zeit, dass ich mich mal mit anderen Hexenmeistern treffe. Es liegt wirklich nicht an dir, aber…“ „Vorerst verabschieden.“, korrigierte die Hexenmeisterin sich augenrollend. „Ich hatte nicht vor, dich freizulassen.“ „Ach verdammt.“ Die Hexenmeisterin schnippte mit den Fingern und der kleine Dämon löste sich in Luft auf. „Denkt daran: Dämonen nehmen euch grundsätzlich beim Wort. Wortwörtlich.“, belehrte sie Abbefaria und streifte dann die Ärmel zurück. „Also los, ich entlasse den Dämon. Seid Ihr fertig?“ Abbefaria nickte und griff mit seinem Geist tief hinein in den steinernen Boden. Er musste erstaunlich lange suchen, bis sein Ruf beantwortet wurde. Die dämonischen Energien schienen alles Leben aus der Erde gezogen zu haben, doch dann fand er schließlich, wonach er suchte. Die Wurzeln eines verkrüppelten Baumes folgten seinem Ruf und als sich die Fingernägel der Hexenmeisterin schon schmerzhaft in Abbefarias Arm bohrten, weil der Schattenpirscher mit gezückter Waffe auf sie zustürmte, wanden sich endlich die hilfreichen Wurzeln um seine Hufe und banden ihn an Ort und Stelle. Die Ranken wanden sich um seine Beine und Hände, verhinderten, dass er noch weiter mit dem Schwert um sich hieb und verstopften schließlich auch seinen Mund, mit dem er unaufhörlich Verwünschungen in ihre Richtung ausstieß. „Halt, halt.“, rief die Hexenmeisterin und wedelte mit der Hand. „Ich brauche ihn lebend.“ Abbefaria stoppte den Wuchs der Wurzeln und sah die Hexenmeisterin fragend an. „Und jetzt?“ „Jetzt werden wir ihn überzeugen uns zu helfen.“, lächelte die Hexenmeisterin und der Ausdruck auf ihrem Gesicht gefiel ihm gar nicht. „Und ich glaube, er wird mich sehr überzeugend finden.“ Damit entwand sie Abbefaria den blutigen Stofffetzen und trat vor den Dämon. Abbefaria fröstelte bei den bösen Worten, die wie klebriger Teer von ihren Lippen tropften und die Sine des Dämons vergifteten. Abbefaria sah, wie der Blick der Kreatur brach, wie seine Glieder erschlafften und er zur Marionette der Hexenmeisterin wurde. Hätte er sich nicht um eine so abgrundtief böse Kreatur gehandelt, hätte Abbefaria fast Mitleid mit dem Satyr bekommen können. „Ihr könnt ihn freilassen.“, erklärte die Hexenmeisterin. „Er gehorcht jetzt meinem Willen. Mit einem Wink entließ der Druide die Wurzeln wieder zurück in ihren tiefen Schlaf. Zurück blieb der Dämon, der jetzt von unsichtbaren Fesseln gehalten wurde. „Was beim Heiligen Licht…“ Demuny war mit offenem Mund neben Abbefaria getreten. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war hinreißend und das Licht in der Höhle schien den weichen Schimmer ihrer Haut noch zu betonen. „Magenta, das ist unglaublich.“ Sie klatschte begeistert in die Hände. „Unfassbar wäre wohl der richtige Ausdruck.“, murrte die Jägerin. „Unfassbar dämlich um genau zu sein. Und das soll Euer Plan sein?“ „Du uns jetzt endlich einweihen musst.“, beharrte auch Abumoaham. „Ja, das muss ich wohl.“, überlegte die Hexenmeisterin. „Eure Aufgabe wird es nämlich sein, euch zu verstecken und still abzuwarten, was passiert. Und egal, was passiert, ihr werdet euch nicht von der Stelle rühren.“ Abumoaham schien nicht zufrieden. „Aber was du vorhaben?“ „Ich werde versuchen, Schlangenzunge von hier fortzulocken, damit wir nach dem fehlenden Szepterteil suchen können.“, stöhnte Magenta. „Und wenn es klappt, dann kriegen wir das Ding ganz ohne einen weiteren Finger zu rühren. Und wenn nicht…nun, darüber machen wir uns dann Gedanken.“ „Und ich sage, das ist ein dämlicher Plan.“, warf Rakscha ein. „Habt Ihr denn einen besseren?“, wollte Demuny wissen. „Nein.“, gab die Jägerin zu. „Dann sollten wir Magenta eine Chance lassen.“, bekräftigte die Priesterin. „Immerhin ist sie tatsächlich diejenige, die sich mit Dämonen am besten auskennt.“ „Also schön.“, antwortete die Jägerin und warf die Hände in die Luft. „Aber ich werde ihr keine Träne nachweinen, wenn das nicht klappt.“ „Aber ich euch gerne hätte geliehen mein Taschentuch.“, bemerkte Abumoaham noch, bevor die Hexenmeisterin auch ihn mit einer entschiedenen Geste zum Schweigen brachte. Mit angehaltenem Atem verfolgten Abbefaria und die restliche Gruppe von einem Versteck hinter einigen großen Felsen aus, wie die Hexenmeisterin mit dem Satyr an ihrer Seite auf den Eingang zu Schlagenzunges Sitz zuschritt. Neben einer der Säulen an dem steinernen Torbogen ging sie in Deckung und reichte dem Dämon das blutbefleckte Tuch. Der Satyr nahm es und machte sich mit ungelenken, langsamen Schritten auf den Weg durch den Torbogen. Magenta drückte sich fest an den unangenehm warmen Stein, hielt den Atem an und lauschte. Der Aufgabe, die sie dem Satyr gegeben hatte, war eigentlich einfach. Und doch konnte es sein, dass er sich wieder aus ihrer Kontrolle befreie, bevor er den Auftrag ausgeführt hatte. Oder das Schlangenzunge ihre Bezauberung entdeckte. Oder dass er dem Satyr schlichtweg nicht glaubte. Die Jägerin hatte Recht. Im Grunde genommen war dieser Plan tatsächlich dämlich. Ängstlich horchte Magenta auf die lauter werdenden Stimmen, die aus dem Raum hinter dem Torbogen hervordrangen. Sie verstand zwar nur Bruchteile davon, aber die groben Züge der Unterhaltung ließen sich durchaus erahnen. „Menschen? Hier?“, brüllte Lord Schlangenzunge. Die gewaltigen Muskeln unter seiner violetten Haut ließen die dunkleren Tätowierungen auf seiner Brust hin und her springen. „Und du sagst, du hast einen von ihnen getötet? Zeig her!“ Er schnappte sich den Stofffetzen, den sein Diener in den Klauen hielt und roch daran. „Ah, süßer Blutduft. Von einem Menschen. Weiblich.“ Er nahm den Schattenpirscher fest ins Visier. „Und was soll das heißen, sie haben Noxxion besiegt. Das kann nicht sein. Wie soll das geschehen sein? Habe ich ihn nicht regelmäßig mit dem Besten vom Besten gefüttert. Es ist unmöglich.“ Der Satyr schüttelte nur den Kopf und antwortete nicht. „Was ist los? Hast du deine Zunge verschluckt? Und was ist mit deinen Augen? Lass mich deine Augen sehen.“ Lord Schlangenzunge wollte nach dem Schattenpirscher greifen, doch dieser wich zurück. „Verletzung.“, knurrte er. „Menschenpriesterin.“ Lord Schlangenzunge wurde hellhörig. „Das heißt, es gibt noch eine Weibliche unter ihnen?“ „Zwei. Nachtelfe und Mensch.“ Lord Schlangenzunges Krallen öffneten und schlossen sich begierig. „Und sonst noch? Wie viele sind es?“ „Insgesamt fünf.“ „Nur FÜNF?“, donnerte Lord Schlangenzunge. „Und du hast sie nicht alle getötet? Du verdienst es nicht am Leben gelassen zu werden.“ Der Schattenpirscher zuckte zusammen und wich noch ein Stück zurück. Ein Schauer durchfuhr seinen Körper und für einen Moment erschien es, als wolle er den Mund öffnen und etwas sagen. Doch dann ließ er die schon erhobene Klaue wieder sinken und senkte den Kopf. „Verzeiht, Meister.“ „Verzeiht? VERZEIHT?“ raste Lord Schlangenzunge und seine dunklen Augen schienen funken zu sprühen. „Die Magie dieser Menschenpriesterin muss mächtiger sein, als ich dachte. Seit wann habe ich solch kriecherisches Gewürm in meinem Gefolge?“ Er fuhr zu den beiden andere Schattenpirschern herum und bellte: „Du und du! Ihr findet heraus, was an diesem Gewäsch dran ist. Wenn ihr diese Gruppe findet, bringt mir ihre lebelosen Körper hierher. Und schickt mir auf dem Weg einen Grellkin hier vorbei. Er wird ausreichen, um dieses winselnde Bündel hier zu erledigen. Ich werde meine kostbare Macht nicht an ihn verschwenden.“ „Meister!“ Der Schattenpirscher wagte es tatsächlich noch einmal das Wort an ihn zu richten, nachdem sein Todesurteil bereits ausgesprochen war. „Meister, Ihr solltet das nicht Euren Dienern überlassen. Unter den fünf befindet sich auch ein äußerst mächtiger Druide. Er könnte in der Lage sein, sich gegen die Verderbnis zu wehren. Ja, sie sogar zu beseitigen. Sie gaben damit an, dass sie so auch Noxxion besiegt hätten. Nur ein mächtiger Dämon wie Ihr wird in der Lage sein, ihm die Stirn zu bieten. Ich selbst fühle noch die Folgen seiner Magie in mir. Es ist…fürchterlich…“ Der Schattenpirscher brach hustend und sich in Krämpfen windend zusammen. Schließlich erbrach er etwas kleines, grünes. Lord Schlangenzunge trat hinzu und nahm den vor Geifer triefenden Gegenstand auf. Es war ein frisches, grünes Blatt. „Das ist UNGEHEUERLICH!“ Lord Schlagenzunges Pranken zermalmten das Blatt und ließen es als vertrocknete Asche zu Boden rieseln. „Meinen Bogen! Ich werde mich selbst um diese impertinente Plage kümmern.“ Lord Schlangenzunge griff nach der Waffe, die man ihm reichte und wollte schon aufbrechen als er den am Boden kauernden Dämon noch einmal ins Auge fasste. „Wenn ich herausfinde, dass du mich belogen hast, dann werde ich dir persönlich die Eingeweide herausreißen und mir einen neuen Gürtel daraus machen. Und wenn du es nicht hast…“, ein Grinsen breitete sich auf der hohnlächelnden Fratze des Dämonenlords aus, „dann töte ich dich, weil du deine Pflichten nicht erfüllt hast.“ Mit diesen Worten stürmte er zusammen mit seinen beiden engsten Dienern aus der Halle und ließ er den unglückseligen Satyr zurück, der sich immer stärker unter Magentas Bezauberung zu winden begann. Seine Krallen schabten über den Fels und sein Rückgrat zuckte, als wolle er sich selbst in Stücke reißen. Da traten ein paar Schuhe und der Saum einer zerrissenen Robe in sein Blickfeld. „Gut gemacht.“, lobte die Hexenmeisterin, die ihn im Bann hielt. „Du hast dich als äußerst nützlich erwiesen. Ich wünschte, ich könnte dich behalten, doch das wird leider nicht gehen. Du weißt zu viel.“ Ein violettes Licht umfing den gesamten Körper des Satyrs, Flammen schienen ihn von innen heraus zu verzehren und das verdrehte, verkümmerte Ding, das der Dämon anstatt einer Seele in sich trug, wurde in tausend Stücke gerissen. Mit einem gurgelnden Laut erstarb die Gegenwehr des am Boden Liegenden und in Magentas Händen materialisierte sich ein dunkel schimmernder, violetter Seelensplitter. „Der könnte noch einmal nützlich sein.“, flüsterte sie mit einem Lächeln und ließ den Splitter in ihre Tasche gleiten. Es war ja nicht so, dass es ihr Spaß machte, das zu tun. Es war…nötig. Nichts weiter. Und jetzt mussten sie so schnell wie möglich diesen Szepterteil finden. Ich hoffe nur, Schlangenzunge hat ihn nicht bei sich , dachte Magenta, während sie an den Torbogen trat und ihren Gefährten winkte, damit sie ihr bei der Suche halfen. Abumoaham war der erste, der die Halle betrat. „Du hast besiegt mächtigen Dämonenfürsten?“ fragte er und in seiner Stimme schwang ein Erstaunen mit, das Magenta ärgerlich werden ließ. „Nein, nicht besiegt.“, erwiderte sie zwischen den Zähnen hindurch. „Nur hereingelegt. Und jetzt lasst uns lieber diesen Szepterteil finden, bevor er das herausfindet und zurückkommt.“ Sie wandte sich an den Druiden. „Wie sieht dieser fehlende Teil des Szepters, den wir suchen, denn aus?“ Der Nachtelf zuckte mit den Schultern. „Es könnte alles sein. Ich vermute aber, dass es ein Edelstein ist.“ „Nun, davon gibt es hier ja nicht besonders viele.“, spottete die Hexenmeisterin und wies auf die zahlreichen Regale, die die Wände der Halle bedeckten. Darin befand sich allerlei Trödel, Knochen, Federn, Rüstungsteile, Überbleibsel ehemaliger Gegner und vor allem aber Kristalle über Kristalle in allen Farben. Rund und spitz, rohe und bearbeitete, in Amuletten und ohne. Einer wurde sogar von einer kleinen Drachenstatuette gehalten, doch keiner davon erschien dem Druiden wirklich passend, um die Spitze von Celebras Szepter zu bilden. „Da können wir ja ewig suchen.“, stöhnte Demuny. „Ich meine, gibt es denn keine besonderen Kennzeichen?“ Der Druide schüttelte traurig den Kopf. „Wenn ich es wüsste, würde ich es Euch sofort verraten.“ „Also…, wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, dann muss der Prophet eben zum Berg gehen.“, überlegte Magenta. „Ich meine, in dem Stein muss doch irgendwelche druidische Naturmagie enthalten sein. Die müsstet Ihr doch ausspüren können, oder nicht?“ Der Druide nickte zögerlich. „Warum sucht Ihr dann nicht einfach danach?“, fragte Magenta weiter. War sie eigentlich die Einzige, die hier irgendwie mitdachte? „Weil…“, der Nachtelf zögerte und suchte offensichtlich nach den richtigen Worten, „Wenn ich meinen Geist öffne, werden die Schatten mich sofort angreifen und ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, sie abzuwehren. Und wenn wir etwas nicht gebrauchen können, dann ist das noch ein korrumpierter Druide.“ Die Hexenmeisterin blinzelte überrascht. Dann grinste sie. „Ihr könnte ja richtig witzig sein. Aber die Sache mit den Schatten lasst mal meine Sorge sein. Meditiert ruhig oder was auch immer und ich kümmere mich um den Rest.“ Abbefaria war nicht wohl dabei, sich in die Hände der Hexenmeisterin zu begeben. Zu lebhaft waren die Erinnerungen an den bezauberten Satyr. Aber was sollte er tun? Sie konnten schließlich nicht abwarten, bis Schlangenzunge zurückkam. Innerlich jedoch rümpfte er die Nase über die große, dunkelblaue Gestalt, die neben der zuversichtlich lächelnden Hexenmeisterin aufragte. Der Leerwandler , wie sie ihn nannte, würde die dämonische Magie um ihn herum aufsaugen und sie so lange von ihm fernhalten, bis er den Stein für Celebras Szepter gefunden hatte. So ganz glaubte er nicht an diesen Plan, aber wieder einmal was es der beste, den sie hatten. Mit einem Seufzen schloss er die Augen. Wenn mich die andere Druiden jetzt sehen könnten, würden sie mich vermutlich sofort des Zirkels verweisen , dachte er grimmig. Er leerte seinen Geist von derartigen Gedanken und öffnete ihn seiner Umgebung. Es war, als hätte er in Gedanken einen Raum voller Rauch beraten. Es biss und stach in seinen Augen und in seiner Lunge. Er unterdrückte mit Macht einen Hustenreiz. Das hier ist nicht echt. Nur die geistige Übersetzung der dämonischen Magie. Neben ihm waberte ein dichtes, dunkles Loch. Ihm wurde übel, wenn er dort hinsah, als würde er in einen finsteren Abgrund starren, aus dem es kein Entkommen gab. Er spürte den Sog, der von dem düsteren Spalt ausging und der auch an ihm zerrte. Doch in erster Linie saugte er den Rauch auf, der Abbefaria umgab und machte es dem Druiden damit möglich, sich zu orientieren. Mit Beunruhigung bemerkte er, dass der Spalt sich auszubreiten begann. Ich habe also nicht unendlich Zeit. Beeilen wir uns besser. Er tappte halb blind zwischen den geisterhaften Regalen herum und suchte nach einer Spur, etwas, dass ihn darauf hinweisen konnte, wo sich Celebras Stein befand. Doch da war gar nichts. Das kann nicht sein , fluchte Abbefaria lautlos. Er muss hier sein. Da endlich sah er ein schwaches, grünes Leuchten. Es kam aus dem Regal gleich hinter dem Thron der Dämonenlords. Die Quelle war ein unscheinbarer Bergkristall, nicht besonders rein oder ansehnlich, aber dennoch war die Magie in seinem Inneren ganz klar nicht dämonischen Ursprungs. Erleichtert löste Abbefaria die Meditation wieder auf. „Und?“ Vier Augenpaare sahen ihn neugierig an. „Ich habe ihn.“, erklärte er und hatte im nächsten Moment die quietschende Demuny am Hals. „Ihr seid der Beste!“, rief die Priesterin und drückte ihn noch einmal fest an sich. „Und was ist mit mir?“, beschwerte sich die Hexenmeisterin, deren dämonischer Begleiter sich fast auf anderthalbfache Größe aufgebläht hatte. „Du bist die Beste!“, rief die Priesterin und ließ von Abbefaria ab, um auch die Hexenmeisterin in die Arme zu schließen, doch die schob sie lachend von sich. „Ja, ja, verschieben wir die Umarmerei lieber auf später und holen erstmal den Stein.“, wehrte sie die Annäherungsversuche ab und machte eine einladende Geste in Abbefarias Richtung. „Wenn Ihr vielleicht so freundlich wärt?“ Abbefaria nickte und griff nach dem Stein. Ein leises Prickeln durchfuhr seine Hand und bestätigte ihm, dass er die richtige Wahl getroffen hatte. Er ließ den Stein zu dem Stab in seinen Beutel gleiten. „Nicht besonders beeindruckend.“, brummte Abumoaham. „Jeder Manakristall schöner sein.“ „Ist doch egal, ob beeindruckend oder nicht.“, erwiderte die Hexenmeisterin. „Hauptsache, wir haben ihn. Und jetzt nichts wie…oh, was ist das?“ Abbefaria folgte dem bezauberten Blick der Hexenmeisterin und erblickte einen Gegenstand, den er schon einmal gesehen hatte. Er war rund und von violetter Farbe. „Noch eine Höllenkugel?“, fragte er unbedarft. „Was?“ Der Aufschrei der Hexenmeisterin war halb Erstaunen, halb Entzücken. „DAS ist eine Höllenkugel? Oh, ich muss sie haben.“ „Warum du wollen Höllenkugel?“, fragte Abumoaham. „Wir bereites haben Höllenkugel für Tabetha.“ „Aber ich…mein Meister. Er schickte mich ebenfalls, um eine solche Kugel zu holen.“, erklärte die Hexenmeisterin aufgeregt. „Ich kam nur noch nicht dazu, eine zu besorgen. Oh bitte ich will sie mitnehmen.“ „Nein.“, schritt Rakscha ein. „Wir haben bereits eine von diesen besudelten Kugeln bei uns. Noch eine ist definitiv eine zu viel. Außerdem würde es sofort auffallen, dass sie weg ist, wenn Schlagenzunge zurückkommt.“ Der Blick der Hexenmeisterin klebte förmlich an der Kugel. „Ach, nur weil sie die Spitze seinen Throns bildet? Meint Ihr wirklich, das würde er bemerken.“ „Ja, das meine ich.“, schnarrte die Jägerin. „Und nun lasst endlich die Herumalberei und lasst uns von hier verschwinden.“ Murrend folgte die Hexenmeisterin ihnen und warf dabei noch mehrmals einen Blick zurück Abbefaria fürchtete, dass, wenn er sie aus den Augen ließ, sie tatsächlich zurücklaufen könnte, und die Kugel gegen den Willen der Gruppe trotzdem entwenden könnte. So trat er neben sie und wiederholte die einladende Bewegung, die sie ihm gegenüber gezeigt hatte. „Wenn Ihr vielleicht so freundlich wärt?“ Die Hexenmeisterin funkelte ihn für einen Moment lang böse an, dann grinste sie plötzlich und hob scheltend den Zeigefinger. „Übertreibt es nicht mit dem Humor. Da steht Euch nämlich überhaupt nicht.“ „Soll nicht wieder vorkommen.“, antwortete Abbefaria mit einer Verbeugung. „Und jetzt bitte nach Euch.“ „Nur nicht drängeln.“, gab sie zurück und setzte sich aber gehorsam in Bewegung. Für eine Weile gingen sie schweigen nebeneinander her, zurück auf dem Weg, der sie zu den vergifteten Wasserfällen führen würde. Magenta ärgerte sich immer noch, dass sie diese Höllenkugel nicht bekommen hatte, wo doch die Gelegenheit so günstig gewesen war. Sie hatte noch nicht einmal Jhazdok zurücklassen können, um die Kugel noch für sie zu holen, weil sowohl die Jägerin wie auch der Druide sie nicht aus den Augen gelassen hatten. Schöne Verbündete , schimpfte sie in Gedanken und beschloss, es den beiden irgendwie heimzuzahlen. Missmutig sah sie zu dem Druiden an ihrer Seite. Der wiederum schien sämtliches Interesse an Magenta verloren zu haben und beobachtete schon wieder Demuny, die mit Abumoaham ein Stück weit vor ihnen durch die düsteren Gänge schritt. Oh beim wirbelnden Nether, das darf doch nicht wahr sein , dachte Magenta und verdrehte innerlich die Augen. Die Art, wie er sie mit Blicken förmlich durchbohrte, war nahezu Mitleid erregend. Wenn Magenta in diesem Moment irgendeine Form von Mitleid für ihren langohrigen Mitstreiter übrig gehabt hätte. Allerdings ergab sich hier auch ein interessantes Potential. Genüsslich grinsend setzte sie den Dolch an. „Wisst Ihr, Ihr werdet ihr Herz nicht gewinnen, wenn ihr weiterhin nur auf ihren Hintern starrt.“, sagte sie im beiläufigen Plauderton und war innerlich entzückt über die ertappte Reaktion, die sie dadurch bei dem Druiden hervorrief. Voller Vergnügen drehte sie die Klinge noch einmal herum. „Oder auf sonst irgendein Körperteil“ „Ich wüsste nicht, was Euch das angeht.“, knurrte der Druide. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lief mit stur auf den Boden gerichtetem Blick weiter. „Oh, im Grunde genommen nichts.“, antwortete Magenta scheinheilig. „Ich versuche lediglich nett zu sein und sage Euch deshalb: Ihr werdet es schwer haben, das Herz irgendeiner Frau zu erobern, wenn Ihr die Zähne nicht auseinander kriegt.“ Innerlich zählte Magenta langsam bis zehn. Und dann noch einmal. Und als dann immer noch keine Reaktion von dem Nachtelfen kam, versucht sie es wieder. „Also ich finde wirklich, Ihr solltet einfach hingehen und mit ihr reden. Seht doch! Abumoaham bekommt das schließlich auch spielend hin.“ „Pah.“, machte der Druide verächtlich und seufzte gleich darauf. „Und überhaupt: Worüber sollte ich mit ihr schon reden.“ „Oh bitte.“, lachte Magenta auf. „Da gibt es doch hunderte von Möglichkeiten. Fragt sie, was sie macht, wo sie herkommt oder meinetwegen nach ihrem Lieblingsessen.“ Der Druide zog es vor nicht zu antworten. Magenta begann langsam, dieses Spiels überdrüssig zu werden, aber noch gab sie sich nicht geschlagen. „Oder sprecht doch mit ihr über Eure Gemeinsamkeiten.“, fuhr sie fort ihn zu bedrängen. „Immerhin verfügt ihr beide über Heilkräfte, da wird es doch irgendein interessantes Gesprächsthema geben.“ Ihr Gegenüber schien einen Augenblick darüber nachzudenken, dann schüttelte er nahezu unmerklich den Kopf und murmelte leise: „Wir sind ohnehin zu verschieden.“ Magenta warf einen Blick auf den Druiden, der mit etwas hängenden Ohren neben ihr her trottete. Widersprüchliche Empfindungen stiegen bei diesem Anblick in ihr auf und hinterließen eine quälende Unentschlossenheit. Sie wollte immer noch ihre Rache, aber aus irgendeinem Grund hatte sie, wenn sie ihn so ansah, auf einmal das Bedürfnis nett zu dem komischen Langohr zu sein. Eine Option, die natürlich überhaupt nicht zur Debatte stand. „Verschieden! Ha!“, machte sie, um die Gesprächpause nicht allzu lang werden zu lassen. „Ich meine, sie ist Priesterin und Ihr Druide. Wenn ich recht informiert bin, ist es schon vorgekommen, dass so eine Verbindung bei Euerem Volk Jahrtausende überdauerte.“ Der Druide ließ ein belustigtes Schnauben hören. „So, habt Ihr das gehört.“ „Na ja, vielleicht wird das in dem Fall etwas schwierig.“, gab Magenta nach einiger Überlegung zu. „Immerhin leben Menschen ja nicht so lange wie Ihr.“ Der Nachtelf neben ihr schwieg beharrlich und Magenta war mit einem Mal dankbar dafür, dass es in dem Tunnel so dunkel war. Da hatte sie mal ein kleines bisschen Wissen über das geheimnisvolle Nachtelfenvolk parat und er wischte es weg wie nichts. Magenta musste zugeben, dass das äußerst frustrierend war. „Ja, gut, okay, schlechter Vergleich.“, murrte sie schließlich unwirsch. „Aber Ihr könntet Ihr von Eurer Heimat erzählen. Ich meine, ich war da und es war wunderschön. Mal abgesehen davon, dass die Einwohner von Darnassus nicht eben die freundlichsten sind. Ich wurde behandelt wie Luft.“ „Dann werdet Ihr irgendetwas falsch gemacht haben.“, erklärte der Druide und hob den Blick zum ersten Mal vom Boden und sah Magenta an. „Wenn jemand, und das gilt im Besonderen für Fremde, sich nicht gemäß der Etikette benimmt, gibt man ihm so die Möglichkeit, sein Verhalten selbst zu korrigieren.“ „Ja, aber woher soll derjenige dann wissen, dass er etwas falsch macht?“, entrüstete sich Magenta. „Er weiß es eben.“, wich der Nachtelf aus. „Und wenn nicht?“, bohrte Magenta weiter. Sie fand das ganze Prinzip ziemlich lächerlich. „Dann wird er uns verlassen, ohne sein Gesicht zu verlieren.“ Magenta ließ die Worte eine Weile sacken. Und ärgerte sich. Abumoaham musste davon gewusst haben, als sie in Darnassus waren. Warum hatte er Magenta nicht darauf hingewiesen? Sie bohrte ihren Blick in den Rücken des Magiers, der sich angeregt mit Demuny unterhielt. Worüber wohl? Und machte ihr das eigentlich etwas aus? Eigentlich nicht besonders. „Meint Ihr, sie mag mich?“, unterbrach die dunkle Stimme des Nachtelfen Magentas Gedanken. „Wer?“, murmelte Magenta abwesend. „Na Demuny.“, sagte der Druide, der die Augen ebenso wie Magenta nach vorn gerichtet hatte. „Ich meine, sie ist mir um den Hals gefallen. Gilt das bei Menschen als Beweis von Zuneigung?“ Magenta brach in prustendes Lachen aus. „Oh bitte. Demuny würde einen Feuer speienden Drachen umarmen, wenn sie der Meinung wäre, er hätte es verdient.“ Ein Blick in das Gesicht des Nachtelfen zeigte ihr, dass das nicht die Antwort war, die er zu hören gehofft hatte. Sein Blick verfinsterte sich und er starrte wieder geradewegs auf den Boden. „Hey, ich…tut mir leid.“, versuchte Magenta das Gespräch wieder in Gang zu bekommen. „Ich meine nur, dass Demuny mit diesen Zuneigungsbekundungen sehr freigiebig ist. Ich meine, sie hat sogar mich umarmt.“ Zuerst zeigte der Nachtelf keine Reaktion, doch Magenta sah, dass seine Mundwinkel zuckten. Sie beschloss, es dabei bewenden zu lassen. Irgendwie hatte sich die ganze Unterhaltung sowieso nicht in die Richtung entwickelt, in die sie gedacht hatte, und so war es vielleicht gut, dass in diesem Moment die giftigen Wasserfälle wieder vor ihnen auftauchten. Die Jägerin machte am Rand des Wasserfalls halt und wies mit ausgestrecktem Arm auf die andere Seite der Höhle. „Wir kamen von dort drüben.“ Magentas Blick folgte dem Fingerzeig der Jägerin und sah hoch oben in der Felswand einen gähnenden Schlund, an dessen Wände fleischige Adern unter dem ungleichmäßigen Herzschlag des verderbten Lebens pulsierten. Schleim, Fäulnis und langsamer Verfall. Die Höhle hinter ihnen dagegen war leer und leblos, ausgezehrt von den gierigen, magiehungrigen Dämonen, die alles Leben aus ihrem Umkreis getilgt hatten. Ein dunkler Ort voller Schatten, die mehr enthielten als nur Dunkelheit. „Dann uns bleibt eigentlich nur ein Weg.“, sagte Abumoaham und strich über seinen Bart. „Wir folgen Wasserlauf und sehen, wohin führt. Irgendwo Wasser fließt immer hin, sagt alte Trollweisheit.“ „Gut, folgen wir also dem Wasser.“, nickte die Jägerin und nahm ihren Bogen. „Ich gehe voran.“ Geschickt sprang die Nachtelfe auf den feuchten Steinen von Ebene zu Ebene, während die ihr folgenden Menschen mehr schlecht als recht hinterdrein kletterten und dabei oft genug Bekanntschaft mit dem glitschigen Untergrund machten. Als letztes erreichte schließlich der Druide den flachen See am Grunde der Höhle. Magenta runzelte die Stirn, als sie ihren weiteren Weg betrachtete. „Urgh. Sagt nicht, wir müssen jetzt durch diese eklige Brühe planschen?“ „Es nichts helfen.“, versuchte Abumoaham sie zu beruhigen. „Und immerhin, Wasser nur gehen bis Hüfte und nicht bis Hals.“ „Oh ja, das ist ein ganz großer Trost.“, maulte Magenta und überlegte für einen Augenblick, ob sie Pizkol beschwören sollte, nur um zu sehen, wie der kleine Kerl sich im Brustschwimmen übte. Doch dann ließ sie den Gedanken wieder fallen. Seit sie die Höhle der Sartyre verlassen hatten, war ihr nicht mehr nach Scherzen zumute. Die angenehme Hochstimmung, die sie dort befallen hatte, war einem bitteren Nachgeschmack gewichen, gepaart mit einem unbestimmten Gefühl der Leere. Missmutig stolperte sie über den schlüpfrigen Untergrund, während sich ihre Kleider mit dem stinkenden Wasser vollsogen. Sie wich ekligen, an bleiche Schädel erinnernden Pilzen aus, die direkt im Flussbett wuchsen, und ignorierte mit zusammengebissenen Zähnen das Gefühl, dass sich immer wieder irgendwelche Schlingpflanzen mehr als üblich um ihre Fußgelenke zu wickeln versuchten. Wenn sie es sich genau überlegte, war sie eigentlich ganz froh, dass sie nicht sehen konnte, was sich in dieser schlammigen Brühe alles um sie herum bewegte. Ein warnender Ruf der Jägerin ließ die Gruppe hinter einem verrottenden Baumstamm Schutz suchen. Auf dem schmalen Uferweg, den Magenta bis dahin nicht bemerkt hatte, war Hufschlag zu hören. Hufschlag, der näher kam. „Seht.“, wisperte der Druide. „Dryaden.“ Doch das, was dort am Ufer entlang stolzierte, hatte wenig mit dem wunderschönen Wesen zu tun, dass sie am Anfang der Höhle kennen gelernt hatten. Die einst mit Blumen durchsetzten Mähnen waren hart und struppig und garstige Flechten hingen wich ein grauer Teppich über ihren eckigen Schultern. Auf dem zart gepunkteten Rückenfell glänzten giftgrünes Moos und Schimmelpilz und ihre Hautfarbe erinnerte an einen aufgewühlten, schlammigen Tümpel. Am schlimmsten jedoch war die Veränderung in ihren Gesichtern. Die ehemals weichen, lieblichen Züge waren hart und kantig. Spitze Zähne wucherten aus den Kiefern hervor und die leicht schräg stehenden Augen waren gelb und voller Heimtücke. Jetzt blieben die zwei Dryaden neben einem Baum stehen und die kleinere von ihnen begann einen Zauber zu weben. Der Baum stöhnte und schüttelte sich, so dass das graue Laub wie ein trauriger Regen zu Boden ging. Gleich darauf wucherten spitze Dornen anstelle der Blätter und zwischen den Rissen der Borke begann ein zähflüssiger, stinkender Saft zu fließen. Die größere der beiden streckte die Hand aus und kostete davon. „Ah, wie wunderbar du unsere Gärten gedeihen lässt.“ Das anschließende Gelächter klang schrill in Magentas Ohren und machte ihr Kopfschmerzen. „Arme Dinger.“, flüsterte Demuny. „Wir müssen sie wirklich befreien.“ „Oh ich wäre mir nicht sicher, ob sie das überhaupt wollen.“, hielt Magenta dagegen. „Wenn du es ihnen anbietest, werden sie dich vermutlich eher zu Dünger verarbeiten.“ „Hast du denn gar kein Herz?“, fragte die Priesterin entrüstet und in den Augenwinkeln glitzerten ein paar Tränen. Vielleicht waren es aber auch nur Wassertropfen. „Und habt Ihr beide den Verstand verloren?“, zischte die Jägerin. „Sie werden uns noch hören.“ Schweigend und möglichst ohne ein weiteres, verdächtiges Geräusch zu machen, folgte die Gruppe den beiden Dryaden, die ihren Weg auf dem Ufer weiter fortsetzten. Sie gingen erneut in Deckung, als die beiden bösen Schwestern an einem Farn halt machten, der über und über mit klebrigen Tropfen und giftige aussehenden Stacheln besäht war. Auf den Zauber der kleineren Dryade hin entrollten sich zwei weitere der tückischen Fangblätter und warteten begierig auf lohnende Beute. Uh, wie eklig, dachte Magenta und war sich nicht sicher, ob sie damit den fleischfressenden Farn meinte, oder vielmehr den dicken, schleimigen Pilz, hinter dem sie in Deckung gegangen waren und dessen blauschimmelige Haut sich beunruhigend hob und senkte, so als wolle irgendetwas daraus hervorbrechen. „Wir müssen ihnen weiter folgen.“, wisperte der Druide so leise, dass seine Stimme fast im Rauschen und Murmelns des Wassers unterging. „Sie werden uns früher oder später zu Celebras führen.“ Na wenn es nach mir geht, lieber früher, seufzte Magenta innerlich und schob sich ebenso wie die anderen weiter durch den ekligen, braunen Fluss auf ein unbekanntes Schicksal zu. Abbefaria litt unter dem, was er sah. Wie hatte all dies geschehen können? Der Gestank, die Fäulnis, der Verfall. Er spürte die Feinseligkeit der verderbten Natur um sich herum fast körperlich und war mehr als einmal versucht, einfach aus dem Wasser zu springen und so schnell ihn seine Füße trugen von hier fortzulaufen. Doch er tat es nicht. Er blieb und atmete weiter die modrige Luft ein, die schmeckte, als wäre sie bereits vor langer Zeit gestorben. Plötzlich blieb die Hexenmeisterin, die direkt vor ihm ging, wie angewurzelt stehen. „Was…“, begann er eine Frage, doch sie hieß ihn mit erhobener Hand schweigen. Sie schien zu lauschen drehte sich dann zu ihm um. „Hinter Euch“, flüsterte sie so leise, dass er sie fast nicht hören konnte. „Da ist etwas im Wasser.“ Abbefaria musterte sie misstrauisch. Sollte das schon wieder ein Versuch sein ihn zu demütigen? Doch dann hörte er das verräterische Plätschern ebenfalls und fuhr auf dem Absatz herum. Hinter ihm lag der braune, zähfließende Fluss wie ein breites Band und mitten in dem trüben Wassern hielt etwas kurz unter der Wasseroberfläche in schnellen Schlangenlinien direkt auf sie zu. Nur noch wenige Augenblicke und es wäre auf Angriffsreichweite heran. Abbefaria spannte sich und griff nach seinem Dolch. Was immer das auch war, würde eine nicht unbedingt angenehme Überraschung erleben. Die Wellenlinie, die den Standpunkt des Angreifers zeigte, glitt näher und näher und verschwand dann plötzlich, kurz bevor sie ihn erreichten. Er spürte eine schleifende Berührung an seinem Fuß und ein langer Körper glitt neben ihm vorbei, bevor er reagieren konnte. Die Hexenmeisterin stieß einen spitzen Schrei aus, als der durch das Wasser gleitende Schatten sie erreichte, und jetzt endlich merkte auch der Rest der Gruppe, dass Gefahr im Verzug war. Doch noch bevor jemand reagieren konnte, war der Schatten schon zwischen Demuny und Abumoaham hindurch geschossen und hielt direkt auf Rakscha zu. Die Jägerin, die ihren Bogen bereits im Anschlag hatte, fixierte das heran gleitende Ungetüm und ließ dann mit einem Mal die Waffe sinken. Abbefaria kam nicht mehr dazu, eine Warnung zu rufen, da schoss ein blauer, geschuppter Körper, mit auslandenden Flügeln vor der Jägerin aus dem Wasser und prallte gegen ihre Brust. Rakscha wankte für einen Augenblick unter der ungestümen Begrüßung der Windschlange und drückte das Tier dann mit einer entschlossenen Geste von sich. „Aozumi, lass das!“, sagte sie streng und blickte dem Reptil in die kalten, gelben Augen. „Du hast uns alle zu Tode erschreckt.“ Die Schlange ringelte sich in der Luft zusammen und steckte den Kopf unter den Flügel. „Versuch nicht mir weiszumachen, dass du dich schämst.“, schimpfte die Jägerin mit dem Anflug eines Lächelns. „Wenn uns jemand gehört hätte, hätte das brenzlig werden können.“ Die Schlange schien nun wirklich beschämt und versuchte, ihren Kopf an der Jägerin zu reiben. Sie erntete ein warnendes Knurren des schwarzen Wolfs dafür, der in dem trüben Wasser nicht mehr stehen konnte und daher mit mühsam oben gehaltenem Kopf neben seiner Herrin herkraulte. „Wir besser weitergehen.“, sagte Abumoaham besorgt und wies mit einem Kopfnicken zum Ufer. „Wir bereits haben verloren die Dryaden. Es schlecht wären, wenn wir uns verlaufen hier unten.“ „Ihr habt Recht.“, nickte Rakscha. „Doch jetzt haben wir die Möglichkeit uns einen Überblick zu verschaffen. Wartet einen Moment, dann kann ich Euch sagen, was uns erwartet.“ Die Jägerin trat zu der Windschlange und legte die Hand auf den schmalen Kopf der des Tieres. Dann begann sie leise Worte auf Darnassisch zu murmeln, die die Schlange leise zischelnd zu erwidern schien. „Eins werden Augen, Ohren, Hand, mein Blick sieht deinen unverwandt. Eins werden Denken, Seele, Geist, zeige mir, wohin du reist. Flieg!“ Der Kopf der Jägerin ruckte plötzlich empor und ihre Augen glühten in einem seltsamen Licht, das sich auf eine schwer zu beschreibende Weise vom normalen Leuchten der Nachtelfenaugen unterschied. Die Schlange hingegen schwang sich in die Luft und war bald mit kräftigen Flügelschlägen im schwärenden Dunst verschwunden. „Vor uns liegt noch ein weiteres Stück Fluss.“, begann Rakscha nach einigen Augenblicken mit leiser Stimme zu sprechen. Ihre Augen waren dabei starr geradeaus gerichtet und sie schien direkt durch den Magier hindurch zu sehen, der jetzt vor sie trat und ihr fasziniert ins Gesicht starrte. „Sie wie in Trance.“, murmelte er und verstummte dann, als sie Jägerin weiter sprach. „Der Fluss verbreitert sich und es liegt ein großer Baum rechts des Weges. Und hinter dem Baum…“, die Stimme der Jägerin brach kurz ab und ein Schatten huschte über ihr Gesicht. Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Als sie die Augen wieder öffnete, war ihr Blick normal und sie sah ihre Weggefährten mit fester Miene an. „Ich habe Celebras gefunden.“, verkündete sie. „Er befindet sich gleich hinter dieser Flussbiegung in der Mitte eines flachen Sees auf einer kleinen Insel. In seinem Gefolge befinden sich drei verderbte Treants.“ Abbefarias Herz begann bei dieser Ankündigung unwillkürlich schneller zu schlagen. „Celebras?“, fragte er atemlos. „Seid ihr sicher, dass er es war?“ Rakscha maß ihn mit einem Blick, der sowohl Missfallen wie auch Resignation enthielt. „Ja, ich bin mir sicher. Es ist ein Hüter des Hains, auch wenn er schwer als solcher zu erkennen ist. Die Verderbnis hat auch ihn verändert.“ „Wie?“ Das Gesicht der Nachtelfe verdüsterte sich. „Das seht Ihr Euch lieber selber an.“ Die Jägerin schulterte ihren Bogen und verfiel trotz des nahezu hüfthohen Wassers in eine Art Laufschritt. Die Gruppe hatte Mühe ihr zu folgen und einzig Abbefaria schaffte es an ihrer Seite zu bleiben, bis sie die Flussbiegung erreichten. Tatsächlich verbreiterte die Höhle sich hier und ihre Wände schienen sich an den Seiten in den fauligen Nebeln zu verlieren. Der Boden des Flusses hob sich und bald schon ging das Wasser Abbefaria nur noch bis zu den Knöcheln. Doch er bemerkte diese Veränderung kaum, denn sein Blick hing wie gebannt an der vierfüßigen Gestalt, die inmitten der riesigen Wasserfläche auf einem leicht erhobenen Felsstück umherwanderte. Es war unverkennbar ein Hüter des Hains, doch wie schon die Dryaden war auch er zu einem unwirklichen Zerrbild dessen geworden, was er war bevor er der Verderbnis anheim fiel. Die Hufe des Hüters waren schartig und scharfkantig und die Fesseln hatten dornige Widerhaken. Das einstmals wohl bräunliche Fell war mit schwärenden Wunden übersäht und die üppige, aus Blättern bestehende Mähne hing traurig herab und hatte die Farbe von abgestorbenem Gras nach dem Winter. Die Hand des Hüters, die wie eine Wurzel geformt war, war unnatürlich vergrößert und bildete eine groteske Klaue, die sich immer wieder wie in einem eigenen Rhythmus öffnete und schloss, als würde sie nach unsichtbaren Opfern greifen. Abbefaria stieß einen Laut des Entsetzens aus und wusste im selben Moment, da der Kopf des Hüters herumruckte, dass dies ein Fehler gewesen war. Die Miene des verderbten Waldgeistes verzerrte sich zu einer boshaften Fratze und er schüttelte wild den Kopf, auf dem ein schwarzes Geweih voller abgebrochener Spitzen saß. „Sieh an“, lachte Celebras und seine Stimme klang, als würde sich ein knorriger Baum unter einem gewaltigen Sturm biegen. „Besucher. Sie werden ein gefundenes Fressen für unseren Garten sein. Die neuen Schösslinge sind hungrig.“ Wie auf ein Kommando entrollten mit einem Mal einige Pflanzen hinter Rakscha ihre Blätter und klebrige Ranken schossen auf die Jägerin zu. Sie duckte sich mit einem Schrei und wich zweien von ihnen aus. Die dritte jedoch erwischte sie am Bein und brachte die Nachtelfe zu Fall. Blitzschnell begann die zum Leben erwachte Pflanze ihre Nahrung zu sich zu ziehen. „Du nicht so eilig haben.“, donnerte eine Stimme neben Abbefaria und ein Feuerball traf die Ranke, die sich daraufhin winselnd zurückzog. Doch nur für einen Moment, dann schossen die Ranken auf Abumoaham zu, der mit einem Mal selbst damit zu tun hatte, den Tentakeln auszuweichen. Auch Abbefaria brachte sich mit einem schnellen Sprung in Sicherheit und wandte sich wieder dem verderbten Hüter zu. „Celebras!“, rief er laut. „Celebras wartet! Wir sind hier um Euch zu helfen.“ „Helfen?“, kicherte der verderbte Hüter und preschte jetzt durch das flache Wasser heran. „Ich werdet mir helfen, indem Eure Körper Nahrung für meine Kinder werden. Und ich habe viele Kinder.“ Auf einen Wink des Hüters hin setzten sich die drei Treants in Bewegung und stürmten direkt auf den Druiden zu. Ein schwarzer Schatten stürzte mit aggressivem Knurren auf einen von ihnen zu und um den zweiten herum gefror mit einem Mal das flache Wasser. Doch Abbefaria hatte kaum Zeit, Rakscha und Abumoaham dafür einen dankbaren Blick zuzuwerfen, denn der letzte, verbleibende Treant rückte im mit spitzen Ästen und rasiermesserscharfen Splitterzähnen zu Leibe. Die dürre Hand des Baumgeistes packte ihn mit erstaunlicher Kraft und warf ihn zu Boden und sich selbst gleich hinterher. Der Geruch von nassem, fauligem Holz schlug über Abbefaria zusammen, er konnte kaum atmen unter dem Gewicht seines Gegners und seine Hände glitten immer wieder an dessen glitschigen Stamm ab, als er versuchte, ihn von sich runter zu schieben. Der Treant stocherte mit den spitzen Zweigen nach seinen Augen und die Holzähne schnappten nach seiner Kehle. Unter Aufbietung all seiner Kräfte schob der Druide den um sich schlagenden Treant von sich. Dabei rutschte er auf einmal ab und sogleich bohrten sich die messerscharfen Zähne des Treants in sein Handgelenk. Die Splitter drangen tief unter die Haut und brannten wie Feuer. Voller Wut und Schmerz trat Abbefaria mit beiden Beinen nach dem Treant und schleuderte ihn dabei ein Stück zurück. Sogleich sprang der Druide auf die Füße, wob einen Zauber und schickte ihn der verderbten Naturgewalt hinterher. Das grünleuchtende Licht traf auf die dunkle Haut des Baumgeistes und ließ ihn für einen Moment lang grell aufleuchten. Ein überraschter Ausdruck erschien auf dem Gesicht des Treants, dann kippte er mit gebrochenem Blick nach hinten. Gehetzt sah sich Abbefaria um. Um ihn herum war die Gruppe in Kämpfe mit den verschiedensten Pflanzen verstrickt. Abumoaham kämpfte immer noch mit den Schlingpflanzen, denen für jedes Tentakel, das er verbrannte, zwei neue zu wachsen schienen. Demuny und die Hexenmeisterin wurden derweil von einem Kollos attackiert, der vollständig mit Moos und Flechten überwuchert war. Trotz seiner enormen Größe bewegte er sich ziemlich flink und die beiden Frauen hatten ihre liebe Not damit ihm auszuweichen. Rakscha, die Windschlange und ihr Wolf Sam setzten sich tapfer gegen zwei weitere Treants zur Wehr. Im Kopf eines der Baumgeister steckte ein brennender Pfeil und obwohl seine Krone bereits Feuer gefangen hatte, drang der Treant immer noch auf die Jägerin ein. Ein verästelter Blitz aus Aozumis Maul traf den Baumgeist schließlich aus der Luft und ließ ihn endgültig in Flammen aufgehen. Doch bevor die Windschlange einen weiteren Angriff auf den zweiten Baumgeist ausführen konnte, traf sie ein greller, grüner Blitz direkt zwischen die Flügel. Sie stürzte mit einem verzweifelten Zischen zu Boden und blieb dort liegen. Abbefaria fuhr zu der Quelle des Zaubers herum. „Gebt auf, Druide, Ihr könnt nicht gewinnen.“ Celebras war Abbefaria jetzt so nah, dass er den ranzigen Hauch riechen konnte, der von dem Hüter ausging. Ein überlegenes Lächeln enthüllte einer Reihe spitzer Zähne. „Ihr werdet als Futter für meine Kinder enden. Oder vielleicht…“, das Lächeln wurde noch eine Spur breiter, „möchtest du dich uns anschließen?“ Ein spitzer Schmerz fuhr durch Abbefarias Fuß. Der Druide stolperte rückwärts und erstarrte. Aus einem Loch in seinem Stiefel ringelte sich ein Stück einer dünnen, abgerissenen Wurzel, aus der ein schwarzer, fauliger Saft tropfte. Das andere Ende wand sich vor ihm aus dem Boden, schien wie ein Hund Witterung aufzunehmen und kroch langsam auf ihn zu. Hastig zerrte Abbefaria die Wurzel aus seinem Schuh und kroch dann rückwärts noch ein Stück von dem zweiten Stück weg. Sein Fuß brannte und stach und er ahnte, dass, wenn er auch nur einen Augenblick länger gezögerte hätte, ihm die Wurzel das verderbte Gift direkt unter die Haut injiziert hätte. „Celebras, kommt doch zu Euch.“, rief Abbefaria. „Wir sind im Auftrag Eurer Schwester Cavindra hier. Wir werden Euch retten.“ „Retten?“ Celebras Stimme war wie das dunkle Rauschen eines nächtlichen Waldes. „Aber wovor denn? Komm, schließ dich uns an.“ „Niemals!“, presste der Druide zwischen den Zähnen hervor. Er murmelte eine Formel und verbrannte die Wurzel mit dem Stoß eines Mondfeuers. Die Wurzel zog sich mit einem Quietschen zurück und Abbefaria sandte ein Wort des Dankes an Elune, dass die Mondgöttin ihn hier unten nicht im Stich ließ. „Wie du willst.“, sagte Celebras fast traurig. „Dann STIRB!“ Hass loderte in den Augen des Hüters auf. Mit einer Geste beschwor er erneut drei Treants und dann noch drei weitere. Sie drangen auf Abbefaria ein, griffen und schnappten nach ihm und stocherten mit ihren spitzen Fingern nach seinen Augen. Und Abbefaria erkannte, dass er ihnen nicht entkommen konnte, wenn er nicht die Quelle des Zaubers, der sie gerufen hatte bekämpfte, und das war Celebras selbst. Eilig verwandelte er sich in seine Katzenform und brachte sich mit einem beherzten Satz vor den zupackenden Fingern der Treants in Sicherheit. Die Baumgeister waren stark, aber nicht besonders schnell. Abbefaria wartete einen Augenblick, dass sie ihm folgten, dann nahm er Anlauf und setzte mit einem gewaltigen Sprung über die Treants hinweg. Er fühlte die kratzigen Äste, die seinen Bauch streiften und einen Ast, der schmerzhaft gegen seine Hinterpfoten prallte, doch dann war sein Weg zu Celebras frei. Er rannte so schnell er konnte. Aus den Augenwinkeln sah er, dass zwei weitere Gestalten auf den verderbten Hüter des Hains zueilten. Zu seiner Überraschung waren es die Hexenmeisterin und Demuny. Was, wollte er fragen, doch aus seinem Maul drang nur ein fragendes Maunzen. „Elementar.“, keuchte die Hexenmeisterin. „Gebannt. Was jetzt?“ Abbefaria verwandelte sich zurück und ließ dabei Celebras nicht aus den Augen. „Er ist die wahre Gefahr. Wir müssen ihn unschädlich machen.“ „Also schön, dann los.“, nickte die Hexenmeisterin und begann sogleich einen Zauber zu sprechen. Auch Abbefaria sammelte seine Magie und warf dem Hüter seinen Zorn entgegen. Ein grüner und ein schwarzer Blitz durchquerten kurz hintereinander die Distanz zwischen den Kämpfenden und schlugen im Körper des Hüters ein. Die vierbeinige Gestalt wankte und begann dann schallend zu lachen. „Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass die Kräfte des Schatten oder der Natur mir etwas anhaben können. Ich beherrsche sie beide und ich werde euch mit beidem vernichten.“ Celebras hob seine knorrige Hand und Abbefaria machte sich darauf gefasst, neuen Treants gegenüber zu treten. Doch stattdessen wanden sich mit einem Mal Wurzeln aus der Erde neben ihm hervor. Sie umschlangen mit unglaublicher Schnelligkeit die Hexenmeisterin und sie verschwand mit einem Aufschrei im Gewühl der sich windenden Pflanzenstränge. Der Druide kam jedoch nicht dazu, die Pflanze mit einem Zauber zu besänftigen, denn in diesem Moment legte sich eine eisige Schlinge um seinen Hals und schnürte ihm die Luft ab. Ein schwarzes, scheinbar nur aus Rauch bestehendes Tentakel schlang sich um seinen Körper, legte sich über Augen, Ohren und Nase und drohte ihn zu ersticken. Ein grelles Licht blendete ihn und für einen Augenblick wurde der Druck um seine Kehle weniger eng. Er öffnete die Augen und durch den Schattenschleier sah er, wie Demuny verzweifelt versuchte ihn mit irgendwelchen Zaubern aus seinem Gefängnis zu befreien. Er öffnete den Mund, wollte schreien, doch das nutzten die Schattententakel nur aus, um sich seiner nur noch schneller zu bemächtigen. Er fühlte, wie sich eine eisige Kälte in seinem Inneren auszubreiten begann. Gefangen und regungslos musste er mit ansehen, wie die riesige Gestalt des verderbten Hüters hinter Demuny trat und seine Klauenhand nach ihr ausstreckte. Demuny spürte die Anwesenheit des Hüters hinter sich. Mit Tränen in den Augen fuhr sie zu ihm herum und starrte den bösen Geist an, der ihre Freunde gefangen genommen und sie ganz allein zurückgelassen hatte. „Du…du Monster!“, schrie sie ihn an. „Siehst du denn nicht, was du tust? Du bringst sie ja um.“ „Genau das war meine Absicht, du dummer Mensch.“, grinste Celebras und streckte seine riesige Hand, die Demuny an einen verdorrten Baum erinnerte, nach ihr aus. „Und du wirst ihr Schicksal teilen.“ Die Priesterin stöhnte, als die Klauenhand sie ergriff und hochhob. Sie zappelte und trommelte mit ihren Fäusten auf seinen Arm, doch die Hand des bösen Geistes war hart wie Eisenholz und hielt sie einem Schraubstock gleich fest. Bunte Kreise begannen vor ihren Augen zu tanzen und sie musste würgen, als sie der Hüter ganz nah an sein Gesicht hielt und sein fauliger Atem über ihr Gesicht strich. Seine schwarzen Augen musterten sie wie ein besonders interessantes Insekt und mit einer Stimme wie knisterndes Herbstlaub flüsterte er in ihr Ohr. „Dich werde ich meinen Schwestern überlassen. Sie werden sich freuen, wenn sie mit dir spielen dürfen.“ Demuny hörte die Worte und wusste, was er meinte, doch dann stellte sie sich vor, wie die Dryaden früher einmal gewesen sein mussten. Lachende und stets zu Scherzen aufgelegte, fröhliche Schwestern, die leichtfüßig durch den Wald hüpften und einander Blumen in die Haare knüpften. Demuny träumte, wie es wäre, mit ihnen zu spielen, zu tanzen und zu lachen und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht wie warmer Frühlingssonnenschein, als die Angst verschwand. „Wie schade, dass du nicht mit uns spielen wirst.“, hauchte sie fast unhörbar und in ihrer Stimme schwang ernst gemeintes Mitleid mit dem armen Halbgott, der den Rest seiner Tage hier unten allein in dieser dunklen Höhle verbringen würde. Verblüfft lockerte der Hüter seinen Griff ein wenig und Demuny bekam wieder etwas besser Luft. Trotz des schier atemberaubenden Fäulnisgeruchs wandte sie sich dem Waldgeist zu und betrachtete ihn aufmerksam. Sein Gesicht musste einmal sehr schön gewesen sein, doch jetzt entstellte die Verderbnis seine Züge. Borke und schwärende Wunden bedeckten seine Haut und schwarze Flüssigkeit tropfte aus unzähligen Verletzungen auf seiner Brust. Er musste große Schmerzen haben. Ohne zu überlegen, was sie tat, legte Demuny ihre Hände gegen Celebras’ Brust und begann einen Heilzauber zu wirken. Das Licht durchströmte sie mit seiner hellen, wärmenden Kraft und ohne auf ihre eigenen Verletzungen zu achten, sandte sie all die Wärme, all das Licht und all die heilenden Kräfte in den Körper des Hüters. „Nein, was tust du?“ Die Stimme des Hüters war schrill wie sturmgepeitschte Äste, doch Demuny ließ nicht nach. Sie sah, dass sich die Wunden auf seinem Gesicht und auf seinem Körper vergrößerten. Dunkle Flüssigkeit floss jetzt in Strömen über seinen Rücken und seine Beine hinab. Sie musste diese Wunden schließen! „Nein! Hör auf!“ Der Hüter versuchte sie loszulassen, doch seine Arme gehorchten ihm nicht mehr und Demuny Hände schienen an seiner Brust festgewachsen zu sein. Er schüttelte sich, tobte und schrie, keilte mit einen vier Füßen gleichzeitig aus, doch Demuny ließ nicht nach darin die heilenden Energien in seinen Körper zu leiten. Sie wusste, sie würde es schaffen. Sie würde ihn heilen. „NEIN!“ Mit einem gewaltigen Aufschrei brach die vierbeinige Gestalt in die Knie. Sie ließ Demuny los, die hilflos davon kullerte, bis sie ein Paar starker Arme auffingen. „Du hoffentlich nicht verletzt?“, fragte Abumoaham besorgt. Der Magier wirkte reichlich derangiert, seine Robe war zerfetzt und über seine Stirn lief ein tiefer, blutiger Kratzer. „Nein, nein.“, beeilte sich Demuny zu versichern. „Aber ich muss zu Celebras. Er stirbt.“ Sie beeilte sich sich aus der Umarmung des Magiers zu befreien und stürzte dann zu ihrem Patienten. Die riesige Gestalt, die halb Hirsch, halb Nachtelf war, lag schwer atmend auf der Seite. Sein Körper schien eine einzige Wunde, aus denen jetzt statt der schwarzen Flüssigkeit rotes Blut tropfte. Wieder schickte Demuny die heilende Energie des Lichts in den malträtierten Körper und tatsächlich schlossen sich die Wunden diesmal. Die Priesterin verdoppelte ihre Anstrengungen und ging an die Grenzen ihrer Kräfte, bis der Hüter die Augen öffnete und Demuny direkt ansah. Güte lag in seinem Blick und eine Weisheit, die weit über das hinausging, was ein sterbliches Wesen je erfahren konnte. Ein Schauer ging durch den riesigen Körper unter Demunys Händen, dann brach der Blick des Hüters und sein Körper lag still. Zu still um noch eine Spur von Leben zu enthalten. Ungläubig schüttelte Demuny den Kopf. „Das kann nicht sein.“, flüsterte sie und bemerkte nicht einmal, wie ihr die Tränen über das Gesicht liefen. „Ich…ich habe ihn umgebracht.“ Abbefaria fand sich auf allen Vieren wieder, gierig Luft in seine Lungen saugend und verwundert darüber, noch am Leben zu sein. Er hatte die Kälte bereits in seinen Eingeweiden gespürt, hatte das Licht um sich herum verlöschen sehen und dann hatte sich der Zauber plötzlich in Nichts aufgelöst und die Schattenranken waren verweht wie blasser Rauch. Neben ihm wühlte sich die Hexenmeisterin unter den ebenfalls erschlafften Pflanzenranken hervor. Sie war über und über mit grünem Schleim bedeckte und spuckte gleich ein paar Mal aus, bevor sie ein verblüfftes Gesicht aufsetzte. „Das gibt´s doch nicht.“, machte sie ihrer Überraschung Luft und grinste zu Abbefaria hinüber. „Demuny hat Celebras besiegt.“ Tatsächlich sah Abbefaria, wie die Priesterin über dem leblosen Körper des Halbgottes kauerte. Abumoaham legte ihr gerade seine Robe über die bebenden Schultern und zog sie dann sanft an sich. Was war passiert? „Ich vermute, die Priesterin hat versucht, Celebras Verderbnis zu heilen.“ Rakscha war zu ihnen getreten. Über den Schultern der Jägerin lag der Körper der blauen Windschlange, die ein mattes Zischen von sich gab, und der schwarze Wolf humpelte an ihre Seite. „Wie es scheint, war diese dunkle Kraft allerdings das Einzige, was ihn noch am Leben hielt. Durch die Heilung hat sie ihn damit gleichzeitig den Todestoß versetzt.“ „Ich glaube, Demuny ist der einzige Mensch, der jemals jemanden zu Tode geheilt hat.“, bemerkte die Hexenmeisterin mit hochgezogenen Augenbrauen. „Wir sollten zu ihnen gehen.“ Abbefaria verkniff sich eine Bemerkung darüber, dass die Hexenmeisterin alles andere als taktvoll war, und folgte ihr und Rakscha zu der weinenden Demuny und Abumoaham, der sich bei ihrem Näherkommen erhob. „Ihr alle unverletzt? Magenta?“ Die Hexenmeisterin schüttelte den Kopf. „Nein, nichts passiert. Also von ein paar blauen Flecken mal abgesehen.“ „MAGENTA!“ Die schluchzende Priesterin warf sich der Hexenmeisterin an den Hals und klammerte sich an ihr fest. „I-ich-ich-ich…ER IST TOHOHOT“ Die Hexenmeisterin warf einen Hilfe suchenden Blick in die Runde und tätschelte der Priesterin halbherzig den Rücken. „Ja, das äh…nun ja, das kommt vor, nicht wahr. Immerhin wollte er uns auch umbringen.“ „Ja aber…“, schniefte Demuny und der Rest dessen, was sie sagen wollte ging in einem neuerlichen Tränenschauer unter. Erst als Abumoaham ihr ein Taschentuch gereicht und sie sich die Nase geschnäuzt hatte, war sie in der Lage weiter zu sprechen. „Ja aber ich wollte ihn doch heilen.“, sagte sie und sah die Hexenmeisterin mit großen Augen an. „Wie konnte das denn nur so schief gehen?“ „Tja äh…“ Die Hexenmeisterin wandte sich an Rakscha. „Erklärt Ihr es doch noch einmal.“ Die Jägerin wiederholte, was sie bereits vermutet hatte, und Demunys Augen wurden groß „Indem ich ihn geheilt habe, habe ich ihn umgebracht? Aber das ist ja…“ „Genau das, was passiert ist.“, unterbrach eine tiefe Stimme die Priesterin. „Und ich danke Euch dafür, kleine Priesterin.“ Abbefaria schrak genauso wie der Rest der Gruppe zusammen und fuhr zu der Quelle der Stimme herum. Dort stand eine große, leuchtende Gestalt umgeben von einem Schein aus hellem, reinem Licht. Ihre vier Hufe schienen nicht ganz den Boden zu berühren und durch den strahlenden Körper hindurch konnte man die Umrisse dessen erahnen, was hinter der Gestalt lag. Und doch war es eindeutig, das dies Celebras war. Celebras, wie er einst gewesen war, ein Hüter des Hains und Beschützers der Natur, dessen gütiger Blick jetzt auf der kleinen Gruppe von Abenteurern lag. Er neigte den Kopf mit dem gewaltigen Geweih und beugte das Knie vor Demuny. „Ihr habt geschafft, was ich nicht vermochte. Ihr habt mich von der Verderbnis befreit, die mich einst an diesen Ort band.“ „Ja aber…Ihr seid tot.“, stotterte die Priesterin. Sie trocknete die letzten Tränen und trat dem geisterhaften Hüter dann entgegen. „Ich…es lag nicht in meiner Absicht, Euch zu töten.“ Celebras ließ ein kleines Lachen hören. „Grämt Euch nicht deswegen, kleine Priesterin. Indem Ihr mich von den Fesseln des Leiblichen befreit habt, habt Ihr mich von einem Schicksal erlöst, das weitaus schlimmer war als der Tod. Einst begaben ich und meine Schwestern uns in diese Höhlen, um den gequälten Geist meines Onkels Zaetar zu befreien. Die Verderbnis, die sich hier bereits ausgebreitet hatte, überwältigte uns jedoch. Wir waren verdammt dazu, blind in diesen Gängen umherzuirren, beseelt von dem Wunsch alles Lebendige zu verderben und zu vernichten. Jetzt jedoch bin ich frei.“ Ein Schatten huschte über das Gesicht des Geistes. „Doch obwohl ich selbst jetzt zur Ruhe gekommen sein mag, so habe ich doch in meiner Mission versagt. Solch große Trauer umfängt mich jetzt.“ Abbefaria konnte sich nicht mehr zurückhalten. „Versagt, Shan’do?“ Der Hüter drehte sich zu ihm und seine Lippen formten ein Lächeln. „Ah, ein Druide. Wie ist dein Name, mein Sohn?“ „Abbefaria.“ „Abbefaria… Es ist lange her, dass ich einen von Eurer Art sah, der nicht dem Wahnsinn anheim gefallen war. Und ja, Ihr habt richtig gehört. Ich habe versagt. Ich konnte nicht zu Ende bringen, weswegen man mich schickte.“ Der Hüter wendete den Blick ab und sprach mit leiser Stimme weiter. „Zaetar. Mein Vater Remulos hat versucht, ihm Einhalt zu bieten, aber Zaetar war schon immer sehr eigensinnig. Als er der Prinzessin der Erdelementare verfiel, wusste mein Vater gleich, dass diese Beziehung unter einem Fluch stand, doch Zaetar lachte ihn nur aus und hörte nicht auf ihn. Ich glaube, mein Onkel hatte stets das Gefühl, dass meinem Vater mehr Aufmerksamkeit und Ruhm zuteil wurde als ihm, obgleich er doch der Ältere war. Als dann ich und meine Schwestern zur Welt kamen, machte Zaetar sich blind vor Eifersucht auf, um meinen Vater auszustechen. Wenn er doch nur geahnt hätte, dass er damit sein eigenes Ende herbeiführte. Die Trauer, die ich darüber empfinde, hat nicht nachgelassen, auch nicht nach all der Zeit…“ Abbefaria räusperte sich respektvoll. „Wir wissen um die Geschichte mit den Zentauren, die sich gegen ihren Vater erhoben. Marandis schickte mich, um…“ „Um zu vollenden, was ich nicht vermochte.“, erwiderte Celebras traurig. „Ich wünschte nur, ich könnte Euch irgendwie zur Seite stehen. Doch ich fürchte, meine Kraft wird nicht ausreichen um euch gegen Theradas beizustehen.“ „Vielleicht ja doch.“, erwiderte Abbefaria und zog den Holzstab und den Edelstein aus seinem Beutel. „Eure Schwester sagte, dies hier würde uns dabei helfen unsere Aufgabe zu vollenden.“ Als der Hüter die Gegenstände erblickte, hob er den Kopf und Erstaunen lag in seiner Stimme. „Mein Szepter…nach so vielen Jahren… Einst erschuf ich es, um mich frei und schnell in diesen Hallen zu bewegen, doch es wurde im Kampf zerstört und ging verloren. Ihr jedoch habt es gefunden! Ihr seid wahrlich die Retter dieses Ortes. Bitte hört mir gut zu, Abbefaria. Der Kopf und der Griff des Szepters können nur am Stein von Mauraudon wieder zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Erst wenn beide Teile vereint sind, wird Euch seine Macht wieder zur Verfügung stehen.“ „Der Stein von Maraudon?“ Abbefaria schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht.“ „Dann folgt mir. Ich werde Euch und Eure Freunde zu dem Stein bringen. Und lasst uns rasch gehen. Wir scheint, als nähere sich uns etwas Dunkles mit großer Geschwindigkeit.“ Abbefaria sah auf und lauschte, dich er konnte nicht erkennen, wovon der Hüter sprach. Dann jedoch fiel sein Blick auf den Wolf der Jägerin. Das Tier hatte die Lefzen hochgezogen und sah unverwandt in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Ein dunkles Grollen drang aus seiner Kehle. „Mir scheint, Celebras hat Recht.“, sagte Rakscha mit einem Blick auf ihren Begleiter. „Beeilen wir uns lieber ihm zu folgen.“ Celebras führte die Abenteurer im Laufschritt ein Stück den Weg entlang, bis er in der Nähe eines großen Wasserfalls Halt machte und vor sich auf ein Felsplateau wies, das unter dem Schatten zweier großer Bäume lag. In der Mitte des Plateaus gab es eine Empore, zu der mehrere Stufen empor führten. Und auf der Empore stand ein mannshoher, obeliskenförmiger Stein, in dessen Mitte sich eine stabförmige Vertiefung befand. „Dies ist der Stein von Maraudon.“, erklärte Celebras. „Ihr müsst Euch genau nach meinen Anweisungen richten. Legt die Teile des Szepters in den Stein und lest dann die Formel, die unten in den Sockel eingraviert ist, laut vor. Schnell jetzt! Beeilt Euch!“ Abbefaria tat, wie ihm geheißen wurde. Als er den Stein von Maraudon berührte, hatte er das Gefühl, dass sich tief im Inneren des von Moos und Flechten bewachsenen Felsmassivs etwas regte, als würde sich ein Riese in seinem Schlaf bewegen. Mit zitternden Händen drückte er Stab und Kristall in die Vertiefungen, kniete nieder, wischte den Schmutz auf der steinernen Inschrift beiseite und begann die Formel zu rezitieren. Uralte Worte der Macht flossen über seine Lippen und er spürte die Kräfte, die sich unter ihrem Klang zu regen begannen. Der Stein von Maraudon fing an in einem sanften, grünblauen Licht zu leuchten. Erst schwach, dann immer stärker, je länger Abbefaria sprach. Ein summendes Vibrieren erfasste den Stein und der Bergkristall funkelte im Widerschein seines grünen Leuchtens. Plötzlich erschien eine feine, waagerechte Linie aus weißem Licht in der Mitte des Felsen. Sie wurde heller und heller, gleißende Lichtstrahlen brachen daraus hervor und dann begannen die beiden Hälften des Steins sich in entgegengesetzter Richtung zu drehen. Ein gewaltiges Mahlen und Rumpeln drang aus der Erde hervor, während die Felsen sich gegeneinander verschoben und als sie sich wieder in ihrer ursprünglichen Form zusammen fügten, lag in ihrer Mitte ein prächtiger Stab. Er war fast so lang wie ein Nachtelf, auf seinem dunklen Holz schimmerten silberne und blaue Runenzeichen und der Edelstein an seiner Spitze erstrahlte in demselben sanften, grünen Licht, in dem auch der Stein von Maraudon leuchtete. Gebannt betrachtete Abbefaria die Waffe, als das Leuchten des großen Stein mit einem Mal abbrach und der Stab ihm direkt vor die Füße kippte. Erst im letzten Moment streckte der Druide die Hand aus und schloss die Finger um den schlanken, runenbedeckten Schaft. Er spürte die Macht, die in der Waffe pulsierte und wandte sich mit leuchtenden Augen an Celebras. „Es ist vollbracht.“, sagte der Hüter des Hains und seine Gestalt leuchtete heller als zuvor. „Mein Szepter ist wieder eins. Mit seiner Hilfe werdet Ihr in der Lage sein, meine Aufgabe zu vollenden.“ „Ihr wollt…“ Abbefaria starrte auf den Stab in seiner Hand. „Ja, das will ich.“ Celebras legte Abbefaria die geisterhafte Hand auf die Schulter. „Tragt mein Szepter, es wird Euch den Weg zeigen und Euch vor der weiteren Verderbnis schützen. Und jetzt eilt euch, denn, was immer Euch folgt, ist ganz nah und ich fürchte, es ist Euch nicht gut gesonnen.“ Kaum hatte der Hüter ausgesprochen, ertönte ein urtümliches, tierhaftes Brüllen, das den Boden unter ihnen erzittern ließ. Alarmiert drehte die Gruppe sich herum und blickte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. „Was ist das?“, flüsterte Demuny. Die Hände der Priesterin krampften sich um Abumoahams Taschentuch Celebras trat einen Schritt vor und lauschte. Sein Gesicht verdunkelte sich. „Das ist der Dämon Schlangenzunge. Ich war davon ausgegangen, dass Ihr ihn besiegt habt um ihm den Kopf des Szepters abzunehmen.“ „Tja, nun, wisst Ihr, das war nämlich so.…“, begann die Hexenmeisterin und errötete bis unter die Haarspitzen. „Wir haben das Juwel an uns genommen…nun ja, ohne dass Schlangenzunge anwesend war. Wir hatten gehofft…“ Celebras schnitt ihr mit einer entschiedenen Geste das Wort ab. „Genug der Erklärungen. Wie es scheint, hat Schlangenzunge den Verlust seines Kleinods bemerkt.“ Der Halbgott wandte sich den Abenteurern zu. „Er ist auf dem Weg hierher. Schnell, Ihr müsst gehen. Ich werde ihn und seine Schar aufhalten.“ „Verzeiht, Celebras, aber Ihr seid Geist.“, erwiderte Abumoaham zweifelnd. “Wie Ihr sie wollen aufhalten?“ Der Schein um Celebras’ Gestalt leuchtete für einen Moment hell auf, als der Halbgott ein amüsiertes Lachen erklingen ließ. „Eure Umsicht ehrt Euch, Mensch, aber Ihr braucht Euch um mich keine Sorgen machen.“ Celebras trat zu Demuny und legte der jungen Frau die Hand auf das Haupt. „Die Kraft, mit der mich diese tapfere, kleine Priesterin versorgt hat, wird ausreichen, um einige meiner Schwestern aus den Klauen der Verderbnis zu befreien. Mit ihrer Hilfe und der unserer Pflanzenbrüder wird es mir möglich sein, die Dämonen für eine Weile zu beschäftigen.“ „Und wie lange werdet Ihr sie aufhalten können?“ wollte Rakscha wissen. „Lange genug, damit ihr die Fälle des Irdenen Gesangs erreichen könnt. Darüber hinaus werden Euch die Dämonen nicht folgen.“ „Warum nicht?“ „Nun, Jägerin, das ist ganz einfach.“, sagte Celebras jetzt wieder ernst. „Jenseits der Wasserfälle des irdenen Gesangs beginnt das Reich von Theradas. Selbst Schlangenzunge wäre nicht so dumm, in das Reich der Erdprinzessin vorzudringen. Sie würde ihn gleich der Kakerlake, die er ist, zerquetschen. Und jetzt rasch! Zum Wasserfall! Ich halte sie auf, solange ich kann.“ Abbefaria hätte dem Hüter gerne noch in angemessener Form gedankt, doch dies war nicht der Moment für Förmlichkeiten. So schnell sie konnten, wateten sie durch das grüne Wasser in Richtung der Wasserfälle, deren Rauschen mit jedem Schritt lauter wurde. Je näher sie der Wasserkante kamen, desto stärker wurde der Sog um ihre Beine. Es war nur eine Frage der Zeit, bis einer von ihnen den Halt verlieren würde. „HALTET SIE AUF!!“, gellte ein Schrei über das Tosen und Brüllen des Wassers hinweg und Abbefaria sah die gehörnten Gestalten mehrerer Satyre am Rand des Flusses auf sie zukommen. Schlangenzunge war einer von ihnen. Gleich mehrere der Dämonen stürzten sich auf das Geheiß ihres Herrn hin in die reißenden Wassermassen und kamen mit erschreckender Geschwindigkeit näher. Da schoss plötzlich ein schwarzer Schatten durch die schäumenden Fluten. Als er den ersten Dämon erreichte, schrie dieser auf und wurde blitzschnell unter Wasser gezogen. Ein zweiter folgte kurz darauf. „SAM!“ Rakscha Stimme versuchte gegen das ohrenbetäubende Rauschen des Wasserfalls anzukommen. „KOMM ZURÜCK!“ Ein weiterer Dämon wurde von dem schwarzen Wolf unter Wasser gezogen, doch dieses Mal bekam der Dämon das Tier zu fassen und schleuderte es in hohem Bogen von sich. Der pelzige Körper wurde durch die Luft gewirbelt und landete im flachen Uferbereich des Flusses. Abbefaria sah, wie die Jägerin versuchte, sich in seine Richtung zu kämpfen, doch sie kam nicht gegen die Strömung an und wurde immer weiter auf die Wasserfälle zugetragen. Schlangenzunge hingegen stand immer noch am Ufer und sein hasserfüllter Blick bohrte sich in den schwarzen Wolf, der jetzt wieder auf die Füße gekommen war und sich humpelnd zum Ufer schleppte. Mit einem diabolischen Grinsen legte der Dämonenlord einen Pfeil in seinen Bogen, spannte die Sehne und schoss. „NEIN!“ Abbefaria spürte den Schrei der Jägerin mehr, als das er ihn hörte. Er wurde selbst unter Wasser gedrückt und für einen Moment erfüllte nichts als das dunkle Gluckern und Gurgeln des Flusses seine Ohren. Als er sich wieder an die Oberfläche gekämpft hatte, war er bereits gefährlich nah an den Rand des Wasserfalls geschwemmt worden. Sein Blick suchte das Ufer ab und blieb an dem schlaffen Haufen schwarzen Fells hängen, der leblos im flachen Wasser lag. Aus seiner Seite ragten drei schwarze, gefiederte Pfeile. Ein scharfer Schmerz schoss durch Abbefarias Arm und er spürte einen dumpfen Schlag. Der Druide öffnete den Mund zu einem Schmerzenschrei, doch dunkles Wasser erstickte den Schrei im Keim. Er trudelte, wurde wieder unter Wasser gedrückt und dann kippte seine Welt plötzlich aus den Fugen. Oben und unten drehten sich in immer schneller werdender Abfolge, bis er mit einem gewaltigen Klatschen auf der Wasseroberfläche des Sees aufschlug, der am Fuß des Wasserfalls lag. Die von oben herabfallenden Wassermassen drückten in tief unter die Oberfläche und er wusste, dass er ertrinken würde, wenn er nicht bald zu Atem kam. Instinktiv verwandelte er sich in seine Wassergestalt und begann mit schnellen, kraftvollen Zügen an die Oberfläche zu schwimmen. Magenta hustete und keuchte. Allerdings nur, weil sie bei ihrem Sturz über den Rand des Wasserfalls so viel von dessen Inhalt geschluckt hatte. Netterweise hatte Pizkol sie daran erinnert, dass sie über einen Zauber verfügte, der sie unter Wasser atmen ließ. Trotzdem fühlte sie sich völlig erschlagen, als sie auf den Rand des Sees zu schwamm, der fast die gesamte Höhle einnahm, in der sie sich befanden. Endlich erreichten ihre Füße festen Grund und sie ließ sich mit einem erschöpften Seufzer immer noch mit einer Handbreit Wasser bedeckten Boden sinken. Dann erst kam sie dazu, sich umzusehen. Die Höhle unterschied sich stark von den restlichen Teilen von Maraudon. Von der Verderbnis, die die beiden anderen Teile beherrscht hatte, konnte Magenta hier nichts spüren. Das Wasser des Sees, an dessen Ufer sie saß, hatte die Farbe eines lichten Frühlingshimmel, Kaskaden weißschäumenden Wassers fielen nicht nur aus dem oberen Teil von Maraudon, sondern von allein Seiten in die Höhle ein, auf wenn viele von ihnen niemals den Boden erreichten, sondern irgendwo in der Mitte der hohen, steinernen Wände zu farbendsprühenden Regenbogen zerstoben. Unendlich weit über sich konnte Magenta sehen, wie sich der steinerne Dom nach oben hin öffnete und den reinen, klaren Himmel über ihnen zeigte, in dessen Blau sich nicht eine einzige Wolke mischte. Hatte bei ihrem Aufbruch nicht stürmisches Wetter geherrscht? Wie lange waren sie hier bereits unterwegs? Ein unterdrücktes Schluchzen ganz in ihrer Nähe unterbrach Magentas Gedanken und ließ sie ihren Blick wieder senken. Ein Stück weit am Ufer lag die durchnässte Gestalt der Jägerin. Die blaue, geflügelte Schlange schwebte wie ein Wächter über ihr, währen sie das Gesicht in den Händen vergraben hatte. Magenta erhob sich und ging langsam auf sie zu. Als sie fast heran war, zischte die Schlange warnend und die Jägerin hob den Kopf. Ihr Gesicht schien wie aus Stein gemeißelt. „Was wollt Ihr, Dämonenpaktiererin?“, fragte sie barsch. „Ich…“, begann Magenta und beschloss dann nicht auf die Beleidigung einzugehen. „Wisst Ihr, wo die anderen sind?“ „Nein. Bedauerlicherweise seid ihr die Einzige, die ich bis jetzt sah.“ Magenta konnte die plötzliche Feindseligkeit der Jägerin nicht nachvollziehen. Sie tat ja geradezu so, als sei Magenta daran schuld, dass… „Magenta!“ Abumoahams Stimme ließ Magenta herumfahren. Irritiert sah sie sich um, bis der Magier sie erneut anrief und sie sich bewusst wurde, dass seine Stimme von oben kam. Sie hob den Kopf und sah, wie Abumoaham wie von unsichtbaren Schwingen getragen auf sie zu sank. An seiner Seite schwebte Demuny, die dabei jedoch eine ungleich elegantere Figur machte. Die beiden landeten unweit der Stelle, an der auch Magenta ans Ufer geschwommen war. Mit ein paar großen Schritten war Abumoaham bei ihr und nahm sie für einen Moment fest in die Arme. Dann nickte er ihr aufmunternd zu und wandte sich dann an Rakscha. „Ihr mein Mitgefühl haben.“, sagte er und neigte den Kopf. „Wir und Ihr verloren habt sehr guten Freund.“ „Was…?“, wollte Magenta fragen, doch Demuny schüttelte nur den Kopf. „Der schwarze Wolf“, flüsterte sie leise. „Schlangenzunge hat ihn getötet. Oben am Wasserfall.“ „Oh.“, Magentas Blick wandte sich unwillkürlich nach oben. Für einen Moment bildete sie sich ein, am Rand des Wasserfalls eine aufrecht stehende, gehörnte Gestalt zu sehen, die voller Hass zu ihnen hinunter starrte, doch als sie blinzelte, war die Gestalt verschwunden. „Können wir etwas für Euch tun?“, fragte Demuny sanft und beugte sich zu der am Ufer kauernden Nachtelfe hinab. Die atmete ein paar Mal hörbar ein und aus, straffte dann die Schultern und stand auf. „Nein.“, sagte sie mit fester Stimme. „Das Einzige, was uns zu tun bleibt, ist, den Weg, den wir begonnen haben, zu Ende zu gehen. Sam starb, weil er uns die Flucht ermöglichen wollte. Es war seine Aufgabe, mich und meine Begleiter zu schützen, und das hat er getan. Ich bin sicher, Elune wird sich seiner annehmen. Also los, gehen wir.“ „Moment.“, warf Magenta ein. „Der Druide, Abbefaria, wo ist er?“ „Ich bin hier.“, sagte eine Stimme hinter Magenta und als sie sich umdrehte stand der Nachtelf nur einen Schritt weit hinter ihr. In seinen Händen hielt er einen langen, schwarzgefiederten Pfeil. „Ihr seid verletzt!“, rief Demuny und wies auf die Seite der Druiden, wo aus einem Loch in seinem Lederwams ein schmaler, aber stetiger Blutstrom floss „Nur ein Kratzer.“, antwortete er ab und murmelte eine heilende Formel, deren grünes Licht das Blut sogleich zum Versiegen brachte. „Schlangenzunge war so liebenswürdig mir noch ein Abschiedsgeschenk zu überreichen.“ Er hielt Rakscha den Pfeil hin. „Hier, nehmt ihn. Als Erinnerung an Sam.“ Die Jägerin zögerte einen Augenblick, dann ergriff sie den Pfeil. Sie drehte ihn ein paar Mal in den Händen und sah Abbefaria dann gerade heraus an. „Ich danke Euch. Ich werde diesen Pfeil behalten, doch nicht als Erinnerung an einen Freund, sondern als Erinnerung daran, zu welcher Heimtücke Dämonen fähig sind. Und irgendwann einmal werde ich diesen Pfeil zu Schlangenzunge zurückbringen und ihm die Spitze tief in sein schwarzes Herz bohren. Das schwöre ich, so wahr ich hier stehe.“ Für einen Augenblick wurde es still und das Einzige, was zu hören war, war das Dröhnen und Rauschen des herabfallenden Wasser. Niemand wagte, sich zu bewegen, bis die Windschlange schließlich ihre Herrin anstupste und sie mit leisem Zischen zum Weitergehen aufforderte. „Aozumi hat Recht.“, sagte die Jägerin und steckte den schwarzen Pfeil in ihren Köcher. Gehen wir lieber weiter.“ Die Nachtelfe schulterte ihren Bogen, sah noch einmal kurz zum oberen Rand des Wasserfalls empor und tauchte dann in das Höhlensystem ein, das hinter einem dünnen Wasservorhang verborgen vor ihnen lag. Ohne zu zögern folgte der Rest der Gruppe ihr. Eine Weile lang liefen sie durch die weit verzweigten Höhlen, deren Boden kniehoch mit klarem Wasser bedeckt war. Magenta konnte Fische erkennen, die ängstlich vor ihnen davon stoben und ab und an sahen sie in der Ferne schwerfällige, dreiköpfige Wesen, deren weiße Schuppen im diffusen Licht der Höhle aufblitzten. „Hydras.“, erklärte die Jägerin auf eine Frage Abumoahams hin. „Vermutlich werden sie uns aber nichts tun, wenn wir ihnen nicht zu nahe kommen. Sie ernähren sich hauptsächlich von Fischen und anderen kleinen Wassertieren.“ „Oh seht mal da, wie hübsch!“ Demuny zeigte nach vorn, wo neben einem schmalen Felsgang zwei riesige Blumen wuchsen. Aus ihren Köpfen strömte Wasser in ein Auffangbecken, das aus ihren Blättern gebildet wurde. Auch wenn sie vielleicht in solche Entzückensschreie wie Demuny ausgebrochen wäre, fand auch Magenta dieses Gebilde ziemlich erstaunlich. „Der Weg zu Theradas führt dort entlang.“, sagte Abbefaria. Er trug Celebras Szepter, das Magenta eigentlich eher an einen Kampfstab erinnerte, immer noch in Händen und wie es schien, führte ihn das magische Artefakt auf geheimnisvolle Weise durch das unterirdische Labyrinth. Nachdem sie die beiden eigentümlichen Pflanzen passiert hatten, wurde der Boden unter ihren Füßen endlich trocken. Oder zumindest so etwas ähnliches, denn statt der Wasserschicht bedeckten jetzt Algen und Flechten den Fußboden, so dass ihre Schritte nur sehr gedämpft von den glitzernden Wänden widerhallten. Im Gegensatz zu der von Fäulnis und Verwesung befallenen Höhle lag hier jedoch nur ein klammer, nach feuchter Erde und grünen Pflanzen riechender Geruch in der Luft. Wäre es nicht so kalt gewesen, hätte Magenta diese Umgebung vielleicht fast ansprechend gefunden. Fröstelnd zog sie die Schultern höher und umfasste ihre Ellenbogen mit den Händen, aber gegen die allgegenwärtige Kälte half das nur wenig. Bald begann die Hexenmeisterin hörbar mit den Zähnen zu klappern. Ich hab s´ja schließlich auch nicht so einen tollen Schwebezauber , dachte sie missmutig und warf einen neidischen Blick auf Demuny und Abumoaham, deren Roben lange nicht so nass waren wie ihre eigene. Wie Demuny ihr bestätigt hatte, war es ihnen mit Hilfe des Zaubers gelungen, nicht vollständig in dem reißenden Fluss unterzugehen und vor allem den anschließenden Absturz am Wasserfall zu vermeiden. Warum ist die Welt eigentlich so ungerecht? , überlegte sie zum wiederholten Male und versuchte noch ein wenig lauter und vorwurfsvoller mit den Zähnen zu klappern. Schließlich blieb die Jägerin abrupt am Fuß einer Felsenrampe stehen und fuhr zu ihr herum. „Lasst endlich diesen infernalischen Lärm.“, herrschte sie Magenta an. „Dort oben erwarten uns irgendwelche unbekannten Gefahren und Ihr gebt Euch alle Mühe, sie auf uns aufmerksam zu machen.“ „Gar nicht.“, maulte Magenta und merkte, wie ihr Gesicht zu glühen begann. Verdammt, die Jägerin hatte sie durchschaut. „Lasst es gut sein, Rakscha“, erhielt sie da plötzlich von unerwarteter Seite Hilfe. Abbefaria warf einen prüfenden Blick die Steinrampe hinauf und musterte dann den kleinen Platz, auf dem sie standen „Wir sind alle müde und ich denke, eine kleine Rast wird uns gut tun.“ „Wie Ihr wollt.“, knurrte die Jägerin. „Ich werde schon einmal ein Stück des Weges allein erkunden.“ Sie war verschwunden, bevor sie jemand aufhalten konnte. Der Rest der Gruppe ließ sich, jeder wo er gerade stand, zu Boden sinken. Ein Feuer zu entfachen wäre jetzt genau das Richtige gewesen, doch so nass wie sie, ihre Sachen und der Höhlenboden waren, war das nur ein hoffnungsloser Wunsch. Ganz davon abgesehen, dass er hier unten keine Bäume und somit auch kein Feuerholz gab. Abumoaham zauberte etwas zu Essen und zu Trinken herbei und anschließend aßen und tranken sie schweigend. Magenta beobachtete Abbefaria, dessen Finger unablässig über die Runen auf dem Holz seines Stabes fuhren, fast so, als würde sich dort eine Antwort auf eine ungestellte Frage verbergen. „Er ist schön.“, sagte sie schließlich und schreckte den Nachtelfen damit aus einen Gedanken auf. „Ja, das ist er.“, bestätigte der und lächelte schwach. „Ich wünschte nur, der Preis, für den ich ihn erhalten habe, wäre nicht so hoch gewesen. Wenn Celebras uns begleitet hätte…“ „Hätte er sich vermutlich beim Sturz den Wasserfall hinunter alle vier Beine gebrochen.“, grinste Magenta. Abbefarias Gesicht verdunkelte sich. „Das ist kein Thema, über das man Witze macht.“ „Entschuldigung.“, nuschelte Magenta nun wieder ernst. „Aber ich verstehe, was Ihr meint. Keiner von uns weiß doch wirklich, was uns erwartet. Was werden wir tun, wenn wir auf einmal Theradas gegenüber stehen? Meine Erfahrung mit riesigen Erdgottprinzessinnen sind nicht gerade die positivsten.“ Abbefaria hob fragend die Augenbrauen. „Lange Geschichte.“, winkte Magenta ab. „Erzähle ich Euch vielleicht mal, wenn wir hier raus sind.“ Sie verfielen wieder in Schweigen und Magenta kaute lustlos auf ihrem Brotkanten herum, als ihr plötzlich etwas einfiel. „Hey, Abu.“, rief sie. „Du kannst doch diesen Flächenzauber, nachdem der Boden immer noch so nachglimmt. Kannst du damit nicht mal die Erde ein bisschen anwärmen.“ „Du meinen Flammenstoß?“, fragte der Magier und überlegte. „Vielleicht das gut Idee. Aber ihr besser alle gehen aus Bereich von Zauber. Ich vielleicht sonst setze in Brand jemanden.“ Kurz darauf saß Magenta auf einem nachhaltig angewärmten Fleckchen Erde und streckte wohlig ihre Glieder aus. „Hier gefällt´s mir.“, murmelte sie mit schweren Augenliedern. „Können wir nicht morgen früh weitergehen?“ Abbefaria öffnete gerade den Mund, vermutlich um sie an ihre Pflicht zu erinnern, als plötzlich Rakscha wie ein Wirbelwind zwischen ihnen auftauchte. „Seid Ihr verrückt geworden?“, fauchte die Jägerin. „Etliche Erdelementare sind auf dem Weg hierher. Ich weiß zwar nicht genau, was sie alarmiert hat, aber ich vermute ganz stark, dass das wohl der Zauber ist, der hier für so unnatürliche Wärme sorgt.“ Magenta zog schuldbewusst den Kopf ein. Immerhin war das mit dem Zauber ihre Idee gewesen. Aber Abu hat ihn gezaubert , dachte sie mit grimmiger Genugtuung. „Schnell jetzt!“, bellte die Jägerin. „Wenn wir uns beeilen, können wir ihnen aus dem Weg gehen. Los, los!“ So schnell sie konnten, packten sie ihre Siebensachen zusammen und hasteten hinter der Jägerin her die steinerne Rampe empor. Ein immer näher kommendes Grollen und Poltern ließ Magenta langsamer werden. „Was ist das?“, fragte sie irritiert. „Das wollt ihr gar nicht wissen.“, giftete die Jägerin und rannte an ihr vorbei. Eine starke Hand packte Magenta und zog sie mit sich in die Sicherheit eines Felsvorsprungs. Nur Augenblicke später rollte eine lebendige Lawine an ihrem Versteck vorbei. In dem Gewühl aus riesigen, großen, mittelgroßen, kleinen, und winzigen Steinen konnte Magenta vereinzelt glühende Augen oder etwas, das an steinerne Gliedmaßen erinnerte ausmachen. Schnell wandte sie den Blick ab und presste sich mit klopfendem Herzen gegen ihren Nebenmann, der ihre Hand immer noch nicht losgelassen hatte. Das Rumpeln und Poltern hinter ihr wollte gar kein Ende nehmen. Etliche Minuten stand Magenta nur da und lauschte dem Wüten der Erdelementare, die nur wenige Meter an ihrem Versteck vorbei rollten. Als sie schon ernsthaft fürchtete, dass dieses Geräusch niemals enden würde oder irgendwann der ganze Berg über ihnen zusammen stürzen würde, verklang das Steinekollern endlich zu einem entfernten Donnern und leisen Knistern und schließlich war die Gefahr vorbei. Jetzt erst wagte Magenta aufzusehen und blickte in ein paar leuchtende Nachtelfenaugen, die sie fragend ansahen. „Wenn es Euch genehm ist, könntet Ihr meine Hand jetzt loslassen, bevor Ihr sie noch ganz zerquetscht?“, fragte Abbefaria und Magenta merkte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. „Oh.“, war alles, war ihr dazu einfiel und sie ließ die Hand des Druiden los, als hätte sie sich verbrannt. Sie war fest davon ausgegangen, dass es Abumoahams Knochen waren, die sie da malträtiert hatte. Wie hatte ihr nur so ein fataler Irrtum passieren können? „Sie weg.“, sagte jetzt der richtige Abumoaham und trat an Magentas Seite. „Wie es scheinen, sie freigemacht gesamten Weg. Wir uns besser beeilen jetzt, bevor zurückkommen.“ Wieder hetzten sie durch die Gänge, vorbei an einladenden, kleinen Seen, an dessen Ufern riesige Echsen mit gezackten Rückenkämmen saßen und ihnen mit blutunterlaufenen Augen hungrig nachstarrten, über Schwindel erregende Felsbrücken, unter denen rauschende Wasser mehr als nur das kühle Nasse beherbergten, wie ein zweiter Blick auf den Schwanz eines riesigen Krokilisken bestätigte, den Magenta im ersten Moment für einen Baumstamm gehalten hatte, durch dumpfe Gänge voller riesiger Würmer, die Abumoaham erfolgreich mit seinen Eiszaubern im Schach behielt, bis die Gruppe schließlich eine ausladende Brüstung erreichte, die den Blick auf eine Höhle mit wahrhaft titanischen Ausmaßen freigab. Steinerne Wände, an denen schimmernde Wasserfälle mit gewaltigem Rauschen in die Tiefe donnerten. Farne hoch wie Bäume wuchsen an den Hängen und krallten sich in das Gestein. Ein Dunstschleier lag über all dem und ließ die Landschaft im von oben herab scheinenden Sonnenschein wie einen Traum aus tausend Regenbogen wirken und gleichzeitig herrschte bis auf die tosenden Wassermassen eine andächtige Ruhe, die Magenta irgendwie an ein Grab erinnerte. Dies hier war kein Ort, an dem sie sein sollten. Am Rand der Brüstung, die schon fast die Breite eines kleines Dorfes hatte, lag eine glatt polierte, steinerne Rampe, auf der leicht ein ganzes Reiterbataillon nebeneinander Platz gefunden hätte. Zwei urtümliche, steinerne Riesen mit groben Gesichtern und moosbewachsenene Gliedern standen rechts und links des Weges und auch wenn sie jetzt noch unbeweglich wirkten, war es offensichtlich, dass sie die Abenteurer nicht ohne weiteres vorbeilassen würden. „Zaetars Grab ist ganz in der Nähe. Ich fühle es.“, erklärte Abbefaria leise und wies auf die beiden Riesen. „Wir müssen sie entweder ablenken oder uns ihnen zum Kampf stellen.“ „Ich sein für Kampf.“, erklärte Abumoaham sofort. „Ich auch.“, schloss Rakscha ihm an und fasste ihren Bogen fester. „Ich wäre dafür, dass wir sie irgendwie überreden, dass sie uns durchlassen.“, piepste Demuny und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die steinernen Kolosse. „Mir wäre es auch lieber, wenn wir den Frieden dieses Ortes nicht weiter stören.“, sagte Abbefaria. „Vielleicht kann ich mich allein durchschleichen und Zaetars Überreste von dort holen.“ „Ich fürchte, das nicht werden möglich sein.“, wand Abumoaham ein. „Ich verstehen, was Ihr vorhaben, doch wenn mich nicht alles täuschen, Ihr werden treffen auf Erdprinzessin Theradas. Ihr nicht könnt besiegen allein.“ Magenta, die sich eigentlich schon in der Position gesehen hatte, das Wohl und Wehe der Gruppe mit ihrer Stimme zu entscheiden, klappte vor lauter Empörung den Mund wieder zu. Sie hatte zwar genau dasselbe sagen wollen wie Abumoaham, aber das hieß noch lange nicht, dass er sie einfach nicht ausreden lassen konnte. Da mochte er Recht haben, wie er wollte. „Also schön, dann kämpfen wir.“, nickte Abbefaria und wandte sich an Demuny. „Ihr könnt hinter uns bleiben. Eure heilenden Hände werden wir nach dem Kampf sicherlich bitter nötig haben.“ Die Priesterin nickte erleichtert und lächelte Abbefaria dankbar an. Magenta presste die Kiefer aufeinander und schwieg. Hatte sie an dieser Stelle eigentlich gar keinen Text? „Also dann los!“, rief die Jägerin und stürmte mit einem Kampfschrei auf die Felsenungetüme zu. Die Windschlange schnellte einem blauen Blitz gleich hinter ihr durch die Luft und warf sich ebenfalls in die Schlacht. Die beiden Steinriesen beantworteten die Attacke mit einem markerschütternden Gebrüll und versuchten die Jägerin zu erwischen, die zwischen ihren trampelnden Füßen hindurchhuschte, doch sie waren zu langsam um sie zu fassen zu bekommen. Eine glitzernde Eisschicht bedeckte mit einem Mal den Boden und einer der Riesen verlor daraufhin das Gleichgewicht. Er stürzte zu Boden und riss einen Teil der Felswand mit sich. Erdbrocken und Steine polterten um Magenta herum zu Boden und die Hexenmeisterin brachte sich mit einem spitzen Schrei in Sicherheit, bevor auch sie zum Angriff überging. Die steinerne Rampe dröhnte unter den gewaltigen Angriffen der Riesen, deren Fäuste wie Windmühlenflügel durch die Luft wirbelten und deren riesige Füße versuchten, die winzigen Gegner unter sich zu zerquetschen. Die Bewegungen der Menschen und Nachtelfen begannen bald zu erlahmen, während die steinernen Ungetüme mit ungeminderter Härte auf sie eindrangen. Schließlich zerbarst der erste der beiden Riesen mit einem lauten Knall, nachdem Abumoaham und Rakscha ihm abwechselnd mit Eiszaubern und Pfeilen zugesetzt hatten und der zweite stürzte bei dem Versuch des Druiden in seiner Katzengestalt habhaft zu werden, vom Rand der Klippe. Eine meterhohe Wasserfontäne spritzte auf, dann verschwand der tonnenschwere Körper in der Tiefe. Der Weg zu Theradas war frei. Abbefaria verwandelte sich zurück in seine Nachtelfengestalt und half Demuny dabei, die Blessuren zu versorgen, die sie bei diesem Kampf davon getragen hatten. An das, was darauf folgen würde, dachte er lieber nicht. Sie waren so kurz vor dem Ziel und er fürchtete, irgendetwas müsse jeden Augenblick ganz gewaltig schief gehen. Da war es einfacher, sich auf Abumoahams verstauchten Knöchel und auf den geknickten Flügel der Windschlange zu konzentrieren, die sich leise zischelnd von ihm behandeln ließ. Aber irgendwann war auch diese Arbeit getan und ihnen blieb nur noch der Weg nach unten in das tiefste Innerste von Theradas’ Reich. „Gehen wir.“, sagte der Druide und versuchte das mulmige Gefühl, das ihn befallen hatte, zu ignorieren. Immer tiefer und tiefer führte sie der steinerne Weg, auf dem Farne und sogar Blumen wuchsen, wie Abbefaria staunend bemerkte. Ihr Anblick inmitten all der Steine und Felsen war eine Wohltat, die der Druide jedoch nicht zu genießen wagte, denn noch stand ihnen die letzte große Prüfung bevor. Am Ende des Weges breitete sich schließlich eine gewaltige Blumenwiese aus, in deren Mitte sich ein großer Erdhügel erhob. Aus diesem Erdhügel wuchsen zwei Bäume hervor, die Abbefaria stark an ein Hirschgeweih erinnerten. Es bestand kein Zweifel. Sie hatten Zaetars Grab gefunden. Doch war das nicht das Einzige, was sie gefunden hatten. Und mitnichten das Einzige, das man mit Fug und Recht als gewaltig bezeichnen konnte. „Beim Licht!“, rief das Demuny neben ihm aus und legte die Hand vor den Mund, als fürchte sie sich davor weiter zu sprechen. „Ist das etwa…“ „Theradas.“, beendete Rakscha ihren Satz. „Das dort muss die Prinzessin der Erdelementare sein.“ „Sie…nun…eigentümliche Erscheinung.“, bemerkte Abumoaham trocken und strich sich über den grauen Bart. „Wirklich sehr eigentümlich.“ „Eigentümlich?“, knurrte Magenta und schnaubte. „Sie ist einfach nur stinkend hässlich.“ Abbefaria musste sich beherrschen, um nicht einfach laut loszulachen. Denn, auch wenn er es vielleicht nicht mit diesen drastischen Worten ausgedrückt hätte, hatte Magenta ohne Zweifel Recht. Der Körper der Erdprinzessin war fürchterlich missgestaltet. Sie hatte vier Arme, von denen zwei auf ihren Schultern ansetzten und dort wie ein Paar verkrüppelter Flügel vom Körper abstanden. Ihr Leib, der nur aus Steinen und Felsen bestand, war auslandend und über alle Maßen üppig, sowohl in der Höhe wie auch in der Breite. Die wenige Kleidung, die sie trug, hatte trotz ihrer zelthaften Ausdehnung Mühe, den Körper der Prinzessin zumindest an den wichtigsten Stellen zu bedecken. Die unförmige Gestalt wankte auf gedrungenen Beinen vorwärts, deren Füße in lächerlich hohen Holzsandalen steckten, die ihren schwankenden Gang zu etwas werden ließen, dass an ein überladenes Frachtschiff inmitten eines sturmgepeitschten Meeres erinnerte. Das Fürchterlichste aber war ihr Gesicht, das eigentlich aus drei Gesichtern bestand, die auf groteske Weise ineinander gewachsen waren. Jedes von ihnen hatte ein Paar durchdringender, grüner Augen und bei dem mittleren der drei wuchsen zwei gewaltige Hauer aus dem Unterkiefer, so dass sie ihren Mund überhaupt nicht mehr richtig schließen konnte. Abbefaria konnte sich nichts vorstellen, was er weniger mit dem Wort Prinzessin verbunden hätte. Und nichts, von dem er sich weniger wünschte, dass es ihn in diesem Augenblick entdeckte. „LAUFT!“ „Fleischlinge!“, kreische die Steinprinzessin und ihre Stimme war erstaunlich hoch, wenn man ihre gewaltige Fülle bedachte. „Gewürm! Dreckiger Abschaum! Ihr werdet ihn mir nicht wegnehmen. Er gehört mir. MIR GANZ ALLEIN!“ Die gewaltige Prinzessin stampfte zornig mit dem Fuß auf und die Schockwellen des Aufpralls setzten sich einem kleinen Erdbeben gleich über die Wiese fort. Der Boden unter Abbefaria wankte und er verlor das Gleichgewicht. Gerade noch rechtzeitig verwandelte er sich in seine Katzenform und landete so relativ sanft auf vier Pfoten. Der Rest der Gruppe hatte nicht so viel Glück. Abbefaria sah, wie Rakscha ebenfalls von den Füßen gefegt wurde. Die Jägerin gab noch im Fallen einen Schuss auf Theradas ab, der sein Ziel schnell und sicher traf. Allerdings ohne die gewünschte Wirkung. „Du schießt mir in Auge, du feiges Elfchen?“, lachte die beleibte Prinzessin, als das Geschoss an ihren jadenen Augen abprallte. „Dann will ich sehen, ob ich genauso gut treffen kann wie du.“ Theradas griff nach einem gewaltigen Felsen und warf ihn nach Rakscha. Behände rollte sich die Jägerin ab, als der Felsen knapp neben ihr zerschellte und sie unter einer Lawinen von Steinen und Sand begrub. Sofort wandte sich die tobende Prinzessin einem neuen Opfer zu. Abumoaham versuchte, ihr Fortkommen mit seinen Eiszaubern zu behindern. Aber sie lachte nur, dass ihr gewaltiger Busen wogte, holte tief Luft und blies ihm einen Sturm aus Kieselsteinen entgegen. Allein der Eiswall, den der Magier im letzten Moment um sich herum errichtete, bewahrte ihn davor von den geschossartigen Steinen durchbohrt zu werden. Wie ein steinernes Gewitter prasselten die Steine auf den Eispanzer nieder und bedeckten ihn schließlich vollständig. Unaufhaltsam walzte sich Theradas auf den Steinhaufen zu und rief: „Warte nur, Fleischling. Du magst dich vor mir verstecken, aber entkommen kannst du nicht. Ich finde dich!“ „Hey, du da!“, rief plötzlich eine Stimme vom anderen Ende der Wiese. „Ja du, die mit dem dicken Hintern. Lass deine Finger gefälligst von meinem Abu, hörst du!“ Magenta stand aufrecht am Rand des Felsplateaus und hinter ihr rauschte das Wasser in der Tiefe. Sie schleuderte der Prinzessin eine Beleidigung nach der anderen entgegen, die diese mit gleicher Münze vergalt. Und immer wieder rief Theradas ihnen zu, dass sie ihren Geliebten nicht bekommen würden und dass er für alle Zeiten ihr gehören würde. Für alle Zeiten… Abbefaria hatte das seltsame Gefühl, neben sich zu stehen. Er befand sich zwar noch auf dieser Wiese, er rannte, als Theradas mit ihren gewaltigen Fäusten nach ihm schlug, dass der Boden unter ihnen erzitterte und schwankte. Er floh mit fliegenden Pfoten vor ihren Füßen, die wie steinerne Säulen vor ihm niedergingen und rannte so schnell, dass seine Lunge brannte und er fürchtete, jeden Moment zu stolpern und für immer zu einer Erinnerung im Herzen seiner Freunde zu werden. Doch gleichzeitig überlegte Abbefaria, ob sie überhaupt ein Recht hatten, hier zu sein. Zaetar war hierher gekommen, weil er Theradas liebte. Denn so monströs und deformiert die Prinzessin auch sein mochte, bei einem war sich Abbefaria sicher: Sie war nicht unehrlich und hätte niemals einen Zauber benutzt, um den Hüter des Hains für sich zu gewinnen. Er wusste nicht, woher er das wusste, er wusste nur, dass es die Wahrheit war. Und wegen dieser Wahrheit musste der Kampf jetzt enden. Der Druide stemmte sich mit allen vier Pfoten in die Erde und schlidderte noch einen halbe Drehung weiter, bis er aus dem vollen Galopp endlich zum Stehen kam. Er verwandelte sich in seine Nachtelfengestalt zurück und rief seinen Freunden zu, dass sie stehen bleiben sollten. Niemand hörte auf ihn. Er versuchte, Theradas seinen Entschluss mitzuteilen, dass er nicht mehr gegen sie kämpfen wollte und dass sie nach hause gehen würde, doch auch die Prinzessin hörte ihn nicht und das nächste Erdbeben erschütterte die Blumenwiese und warf Abbefaria auf den Rücken. Er schlug hart mit dem Kopf auf und für einen Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen. Als er das nächste Mal nach oben sah, erblickte er etwas, das er nicht erwartet hatte. Eine geisterhafte Gestalt mit einem Geweih blickte interessiert auf ihn herab. „So.“, sagte die Gestalt und schüttelte unwillig den Kopf. „Hat man es also immer noch nicht aufgegeben, mich zurückholen zu wollen.“ „Zaetar?“ Abbefaria beeilte sich auf die Füße zu kommen. Der Hüter sah seinem Bruder Remulos sehr ähnlich, wenngleich er auch schlanker vom Wuchs war, sein Gesicht etwas länger wirkte und die Mähne auf seinem Rücken eher einen hellen Gelbgrün hatte, wo sie bei Remulos von dunkelgrüner Farbe war. „Ja, der bin ich.“, antwortete der Geist. „Und wer bist du, Träger des Szepter von Celebras?“ „Ich heiße Abbefaria.“, antwortete der Druide. „Und warum, Abbefaria, bist du hier?“ „Ich…“ Der junge Druide wollte antworten, doch seine Aufmerksamkeit galt vor allem auch der Sicherheit seiner Freunde. „Bitte, Zaetar, könnt Ihr Theradas beruhigen? Sie bringt meine Freunde um.“ „Zu Recht, findest du nicht.“, gab Zaetar unbeeindruckt zurück. „Ihr kommt in ihr Heim, bedroht sie und wollt ihr das Einzige nehmen, an dem ihr noch etwas liegt. Und da wundert Ihr Euch, dass sie Euch nicht mit offenen Armen empfängt?“ Abbefaria senkte demütig den Kopf. „Ich weiß, Shan’do, dass Ihr im Recht seid. Doch ich verspreche Euch, dass wir von dannen ziehen werden, ohne unsere Mission zu vollenden. Ich geben Euch mein Wort.“ „Mhm.“, machte Zaetars Geist. „So will ich mir denn zuerst anhören, was du zu sagen hast, Druide. Danach wollen wir entscheiden, was weiter geschehen wird.“ Zaetars Geist drehte sich herum und schritt auf Hufen, die das Gras nicht berührten, auf Theradas zu. Als die Prinzessin ihn sah, blieb sie stehen und ihre Gesichter strahlten hell wie der nächtliche Mond. „Geliebter! Sieh doch! Sie sind gekommen um dich zu holen. Du darfst mich nicht verlassen.“ Zaetars Geist nickte ihr zu. „Und das werde ich auch nicht, meine Geliebte. Ich habe das Wort des Druiden, dass sie unverrichteter Dinge wieder ziehen werden.“ „Sein Wort? SEIN WORT?“, kreischte die Prinzessin empört. „Das widerliche Wort eines widerlichen Fleischlings. Oh bitte, Geliebter, sie sollen gehen. Ihre Anwesenheit an deinem Grab ist ein Frevel, den ich nicht länger dulden kann.“ „Hab Geduld, mein Liebes. Sie werden schon bald wieder dort sein, wo sie hingehören. Doch zuerst lass mich noch kurz mit ihnen reden. Vielleicht werden wir auf diese Weise endlich Frieden finden.“ Zaetars Geist kam zu Abbefaria zurück und auf seinem schmalen Gesicht lag ein schwer zu deutender Ausdruck. Er musterte Abbefaria für einen Augenblick und sah dann zu dem Stab in seinen Händen. „Wenn Ihr dieses Szepter tragt, so heißt das wohl, dass Celebras tot ist. Andernfalls stände er vermutlich jetzt selbst hier und würde versuchen, meine Knochen der warmen Umarmung der Erde zu entreißen.“ „Ja, er starb vor einigen Stunden.“, bestätigte Abbefaria. „Es tut mir leid, das zu hören.“, sagte Zaetar und seine Worte waren ehrlich. „Viel Blut ist geflossen, seit ich damals hierher kam. Fast eben so viel wie böse Worte zwischen mir und meinem Bruder Remulos. Er hat niemals verstanden, warum ich mich in Theradas verliebte. Ebenso wenig, wie er versteht, dass die missratenen Zentauren – meine Söhne und Töchter - ihren Vater brauchen. Er ist so eingebildet, dass er die Wahrheit nicht sehen will. Sieh dich um, Abbefaria. Dieser Platz hallt wieder von Hoffnung und all dem, was mein Vater Cenarius predigt. Und all das entsprang aus mir! Wenn ich gehe, dann wird dieser Ort sterben und mit ihm die Hoffnung. Ich kann den Zentauren das nicht nehmen…nicht einmal ob ihrer Verbrechen gegen mich. Sie brauchen diese Hoffnung, wenn der Hass in ihren Herzen irgendwann verlöschen soll.“ Abbefaria schluckte schwer, als er das hörte. Zaetar mochte ein Gefangener in diesen Hallen sein, doch seine Fesseln beruhten nicht auf Theradas’ Magie oder Heimtücke. Sie waren aus seinen eigenen Taten erwachsen und der Verantwortung, die Zaetar dafür übernommen hatte. Abbefaria fühlte tiefen Respekt dem toten Halbgott gegenüber. „Ich sehe in deinem Geist, dass du beginnst zu begreifen.“, nickte Zaetar und die Miene des Hüters wurde gütiger. „Doch trotz dem, was dir als unerbittliche Härte erscheinen muss, bin ich nicht grausam. Ich wünsche niemandem etwas Schlechtes und das gilt euch für meinen Bruder Remulos. Ich spüre, dass es sein Unfrieden ist, der dich und deine Freunde in diese Höhlen brachte. So will ich denn einen Gefallen von dir und deinen Freunden erbitten als Gegenleistung für Euer freies Geleit. Nehmt dies.“ Abbefaria spürte plötzlich etwas Kleines, Rundes in seiner Hand. Es war erstaunlich schwer für seine geringe Größe. Als er die Hand öffnete, lag auf seiner ausgestreckten Handfläche ein rundes, braunes Samenkorn. „Es ist das erste Samenkorn, das aus dem Leben hervorging, das meine Überreste nährten.", erklärte Zaetar. “Bringt es zur Mondlichtung und sagt meinem Bruder, dass mein Geist hier bleiben wird und dass ich weiterlebe. Ich bin sicher, er wird es verstehen, wenn er in dir sieht, was ich gesehen habe.“ Abbefaria spürte, dass die Zeit, die Zaetar ihnen gewährt hatte, sich dem Ende näherte. Er erhob sich und trat zu seinen Begleitern, die sich in der Zwischenzeit hinter ihn geschart hatten und die Unterredung mit dem Halbgott stumm verfolgt hatten. Selbst sie schienen zu merken, dass dies nicht der Zeitpunkt war, an dem sie noch die Kontrolle über die Geschehnisse hatten. Zaetar trat in die Mitte der Lichtung auf den Hügel, der, wie sie nun wussten, tatsächlich sein Grab war. Theradas stand wie ein lebendig gewordener Berg hinter ihm und starrte grimmig auf die Abenteurer herab. „Mein Zauber wird Euch aus dem Reich den Zentauren herausbringen.“, sagte Zaetar und seine Worte hallten in Abbefarias Kopf wieder. „Seid weise und betretet es nicht wieder, wenn ihr nicht eingeladen seid.“ In diesem Moment trat Rakscha einen Schritt vor und Abbefaria hielt unwillkürlich den Atem an. Wie würde Zaetar auf diesen Frevel reagieren? „Zaetar“, sagte die Jägerin mit ruhiger Stimme. „Ich weiß, ich habe nicht das Recht zu sprechen, doch ich will Euch um einen Gefallen bitten.“ „Meine Geduld ist nicht unbegrenzt.“, grollte der Geist. „Also sprecht und macht es kurz.“ Rakscha nickte. „Ich bitte Euch um die Erlaubnis, diese Hallen wieder betreten zu dürfen. Nicht Euer Reich und das von Theradas. Doch im oberen Teils Maraudons gibt es einen Satyr, mit dem ich noch eine Rechnung offen habe. Außerdem harrt Eure Nichte Cavindra immer noch auf Rettung. Ich würde diese Aufgaben gern zu Ende bringen, wenn Ihr erlaubt.“ Zaetar überlegte einen Augenblick. „Euer Wunsch sei Euch gewährt, Jägerin. Doch solltet Ihr den Fehler machen, noch einmal die Grenze der Wasserfälle des Irdenen Gesangs zu überschreiten, so kann ich nicht garantieren, dass Euch noch einmal dieselbe Gnade zuteil werden wird.“ „Mehr wage ich nicht zu erbitten.“, antwortete Rakscha mit immer noch gesenktem Kopf. „Ich danke Euch.“ „So geht denn und kommt nie wieder hierher zurück.“ Mit diesen Worten hob Zaetar seine knorrige Hand und Theradas breitete ihre vier Arme aus. Der Boden unter ihnen begann zuerst zu vibrieren und dann zu brodeln. Abbefaria spürte voller Panik, wie seine Füße in die Erde einsanken, gefolgt von seinen Beinen, seinem Leib und schließlich verschluckte ihn die gierige Krume ganz. Er konnte sich nicht bewegen, nicht atmen, nicht schreien. Wie gelähmt, gefangen in einem Sarg aus Erde, musste er ausharren, bis das Erdreich um ihn herum wieder lichter wurde und er endlich wieder frische Luft spürte. Stück für Stück wurden er und seine Freunde aus der Erde heraus geschoben und als Abbefaria sich umsah, erkannte er, dass sie sich am Eingang zum Tal der Speere befanden, unweit der Stelle, an der Warug und seine Horde sie ausgesetzt hatten. „Pfui Spinne.“, schimpfte Magenta und sah missbilligend an sich herab. „Also es gibt bei Weitem angenehmere Arten zu reisen. Ich habe überall Erdkrümel in meinen Sachen.“ „Aber immerhin sind wir am Leben.“, tadelte Demuny sie. „Wir sollten dankbar dafür sein.“ „Dankbar bin ich demjenigen, der mir ein Bad und ein Bett besorgt. Das erste besuche ich kurz und das zweite dafür umso länger. Mir ist, als hätte ich fünf Tage nicht geschlafen.“ „Wohl eher sieben.“, korrigierte Rakscha sie, während sie zum Himmel hinauf sah. „Wenn ich mir die Sterne so ansehe, könnte das in etwa hinkommen. Wird Zeit, dass ich mich mal wieder an der Nijel-Spitze sehen lasse. Diese kopflosen Menschen bringen es fertig und senden einen Suchtrupp aus.“ „Dann Ihr uns nicht begleiten, Rakscha?“, fragte Abumoaham. „Ich uns machen Portal in Hauptstadt.“ „Nein, vielen Dank.“, entgegnete die Jägerin ernst. „Ihr habt es ja gehört, ich habe hier noch eine Menge zu tun.“ Sie lächelte kurz und ihr Gesicht wirkte für einen flüchtigen Augenblick weicher. „Außerdem ist das hier meine Heimat. Ich bin wie Zaetar. Ich kann hier nicht einfach weggehen, nur weil es mir vielleicht nicht so gut gefällt. Heimat ist, wo das Herz wohnt, und mein Herz schlägt nun einmal für Desolace.“ „Dann ich Euch wünschen gutes Gelingen auf Euren Wegen und immer genug Pfeile in Eurem Köcher.“, verkündete Abumoaham feierlich. Der Magier legte die Hand an die Stirn und salutierte vor der Jägerin, die das mit einem völlig unrakschahaften Kichern zur Kenntnis nahm. Es klang irgendwie befreiend. „Und für Rest ich machen Portal nach Theramore?“ Abumoaham sah Abbefaria fragend an. „Ich neu gelernt. Vielleicht nicht ganz perfekt. Aber für Freunde ich immer geben Bestes. Und Tabetha bestimmt wollen, Ihr mit uns kommen, wenn ich ihr bringen Höllenkugel.“ Abbefaria überlegte. Seine Mission war es jetzt eigentlich, das Samenkorn zur Mondlichtung zu bringen. Und jemand musste Marandis mitteilen, wie ihr Abenteuer ausgegangen war. Er konnte doch nicht einfach… Als hätte Rakscha seine letzten Gedanken erraten, legte sie ihm die Hand auf den Arm uns sagte: „Seid ohne Sorge. Ich werde Behüter Marandis mitteilen, wie es um das Innere von Maraudon bestellt ist. Immerhin werde ich seine Hilfe brauchen um Cavindra zu befreien.“ „Ihr könntet das Szepter nehmen.“, sagte Abbefaria zögernd und drehte den Stab in seinen Händen. „Es würde sicherlich…“ „Behaltet es.“ Rakscha schob seine Hand mit dem Szepter entschieden wieder zurück. „Ich denke, Celebras hätte gewollt, dass Ihr es behaltet.“ Abbefaria atmete noch einmal tief ein und aus, dann drehte er sich zu den Menschen herum. „In Ordnung. Ich komme mit nach Theramore.“ „Oh wie wundervoll.“, jubelte Demuny und Abumoaham schlug ihm lachend auf die Schulter. Als Abbefaria sich Magenta zuwandte, hielt diese für einen Moment seinem Blick stand und senkte dann die Lider. Kam es ihm nur so vor oder hatten sich ihre Wangen… Er schüttelte den Kopf Wahrscheinlich lag das nur am Licht der untergehenden Sonne, die in diesem Moment den Horizont erreichte. Ihre Strahlen verfärbten den Himmel einen flüchtigen Augenblick lang blutrot, dann erfasste den Druiden ein Wirbel aus Formen und Farben und trug ihn und seine Gefährten fort in das weit entfernte Theramore. Zurück blieb nur eine einsame Nachtelfe, die nach ihrer Windschlange pfiff, ihren Bogen schulterte und sich dann auf den langen Rückweg zur Nijel-Spitze machte, während die Sonne im Westen im Meer versank und ihren Schatten zu einem Schereschnitt vor einer grauen Landschaft werden ließ. Einer Landschaft voller Tod und Staub und Knochen und mit einem Herzen aus Gold. Und Gänseblümchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)