Seelenschatten von Maginisha (wenn das Dunkel sich erhebt) ================================================================================ Kapitel 17: Das Testament ------------------------- Breaking the habit (Linkin Park) Memories consume Like opening the wound I´m picking me apart again You all assume I´m safe here in my room (unless I try to start again) Clutching my cure I tightly lock the door I try to catch my breath again I hurt much more Than anytime before I had no options left again Das Testament “Das ist nicht dein Ernst!”, tobte Angelina. Ihre Augen sprühten förmlich Feuer und der Vergleich mit einem wütenden Stier schien nicht unbedingt weit hergeholt zu sein. Unbequemerweise kam sich Harry dabei vor, wie das sprichwörtliche rote Tuch; und das nicht nur für Angelina. Hermine sprach seit mehreren Tagen nicht mehr mit ihm und Ron war nicht bereit gewesen, für einen von ihnen Partei zu ergreifen. Das hatte zur Folge, dass man ihn eigentlich nur noch in Gesellschaft von Monika antraf. Ron hatte sich auch geweigert, Harrys Austrittsbeschluss aus der Mannschaft weiterzugeben, so dass Harry sich nach zwei Trainingseinheiten, die er der Einfachheit halber geschwänzt hatte, einer ziemlich verblüfften und dadurch nur noch umso aufgebrachteren Mannschafts-Kapitänin gegenüber wieder fand. „Sag mal hörst du mir überhaupt zu?“, fauchte Angelina jetzt und machte eine Bewegung auf Harry zu. Instinktiv wich er ihr einen Schritt zurück, hielt sich aber selbst davon ab, die Bewegung zu Ende zu führen, mit der er nach seinem Zauberstab gegriffen hatte. „Fass mich nicht an!“, zischte er leise. „Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte. Entweder ihr kommt damit klar oder ihr lasst es. Im Gegensatz zu Jack und Andrew kann ich doch sogar mit einem fast gleichwertigen Ersatz aufwarten. Warum regst du dich eigentlich so auf?“ „Warum ich mich…“, stammelte Angelina, nur um daraufhin mit neu gewonnener Kraft auf ihn einzubrüllen. „Das werde ich dir sagen, Harry Holzkopf Potter. Weil Ginny gut ist, sogar sehr gut, aber eben nicht so gut wie du. Es besteht überhaupt kein Grund für dich, aus der Mannschaft auszusteigen. Warum überhaupt? Kannst du mir das mal erklären?“ „Es macht mir keinen Spaß mehr.“, log Harry, ohne mit einer Wimper zu zucken. „Ich habe Besseres zu tun, als albernen, kleinen Bällen nachzujagen, als hinge mein Leben davon ab.“ Und es gibt Sachen, auf die das tatsächlich zutrifft, fügte er ihn Gedanken hinzu. Sein Blick suchte Ron, doch der starrte genauso wie alle anderen recht betreten zu Boden. Nicht einer von ihnen hatte ernsthaft versucht, sich in den Streit zwischen Harry und Angelina einzumischen. Selbst Monika hatte ihren Mund sofort wieder zugeklappt, als Angelia sie angefahren hatte. Aber er nicht, schwor sich Harry. Er würde nicht vor diesem Mädchen kuschen und schon gar nicht, nachdem es ihm schlicht unmöglich war, ihrer Bitte oder besser ihrem Befehl zu folgen. Sie hatte eben einfach keine Ahnung, was wirklich wichtig war. Sie alle hatten keine Ahnung. „Wenn das alles war, was du von mir wissen wolltest, kann ich ja gehen.“, sagte Harry kalt und ließ Angelina und den Rest der Mannschaft einfach stehen. Er fühlte ihre Blicke in seinem Rücken und das Gefühl war keinesfalls angenehm. Entschlossen schluckte er den Knoten in seinem Hals hinunter und beschleunigte seine Schritte. Wenn er Sirius erst einmal zurückgeholt hatte, würde sich alles schon wieder einrenken. Und danach würde er sich seinem nächsten Problem widmen: der Beseitigung Voldemorts. Ihm war immer noch nicht wohl bei dem Gedanken, jemanden töten zu müssen, aber wenn sich das nicht vermeiden ließ, wollte er wenigstens gut vorbereitet sein. Unentschlossen blieb Harry vor dem großen Eichenportal stehen. Eigentlich hatte er keine besondere Lust, sich jetzt im Gryffindor-Turm sehen zu lassen. In der letzten Zeit hatte er ständig das Gefühl, beobachtet zu werden, und das lag sicherlich nicht nur an dem Spiegel, der immer noch an der Wand des Gemeinschaftsraumes hing. Seine Mitschüler schienen sofort, wenn er den Raum betrat, zu verstummen das Thema zu wechseln. Es war, als hätte Harry etwas an sich, dass die anderen vor ihm zurückschrecken ließ, und wenn er ehrlich war, gefiel ihm dieser Zustand im selben Maß, wie er ihn hasste. Er wollte nicht alleine sein und hätte viel dafür gegeben, endlich mal wieder mit jemandem reden zu können. Andererseits ersparte ihm diese Tatsache viele unangenehme Fragen, die er im Moment nun mal einfach nicht brauchen konnte. Düster starrte er an den Mauern empor, die für ihn einmal das beste Zuhause dieser Welt bedeutet hatten. Wo war diese Zeit geblieben? „Hast du dort oben eine rotfüßigen Widerbusch entdeckt oder was suchst du da?“, erklang einen Stimme dicht neben Harry. „Hallo Luna“, antwortete er ohne hinzusehen. „Ich hab noch nie gehört, dass sie so weit im Norden vorkommen. Allerdings ist es ja möglich, dass sie sich anpassen können.“, mutmaßte Luna weiter, während sie höchst interessiert die Wand über ihren Köpfen ansah. Ohne sein Zutun musste Harry grinsen. „Ja, schon möglich.“, antwortete er bemüht ernst. „Sie machen sich Sorgen um dich.“, sagte Luna ohne den Blick von der Wand abzuwenden. „Wer? Die rotäugigen Wildschweinborsten?“, feixte Harry. Lunas hervorquellende Augen musterten ihn daraufhin vorwurfsvoll. „Es heißt rotfüßige Widerbusche.“, wies sie ihn zu Recht. „Aber ich rede von deinen Freunden.“ „Ach ja?“, knurrte Harry und starrte lieber wieder die Wand an, als Lunas Blick noch weiter standhalten zu müssen. „Warum macht ihr euch denn Sorgen. Mir geht es gut.“ Brüsk wandte er sich ab und eilte auf das Portal zu. „Das ist nett von dir.“, rief Luna ihm nach. Entgegen seines besseren Wissens, das ihm zuraunte, dass er besser weitergehen sollte, blieb Harry stehen und sah sich nach ihr um. „Was ist nett von mir?“ „Na, dass du mich zu deinen Freunden zählst.“, erklärte Luna und lächelte Harry an. „Ich hatte noch nie Freunde.“ Dann winkte sie ihm noch einmal zu und machte sich auf den Weg in Richtung der Gewächshäuser. Lange blickte er ihr nach, bis sich eine Schar schnatternder Zweitklässler an ihm vorbeizwängte und ihn somit aus seinen Gedanken riss. Für den Rest des Tages verkroch Harry sich in einer Ecke des Gemeinschaftsraumes, plagte sich mit seinen Hausaufgaben ab, wobei das Fehlen von Hermines Hilfe immer deutlicher spürbar wurde, und versuchte zum Schluss, ein wenig Solomons „Macht der Stille“ zu lesen. Doch so interessant dieses Werk über das wortlose Wirken von Zaubern auch war, fiel es Harry heute einfach schwer, sich darauf zu konzentrieren. Das ständige Kichern und Geschnatter der Mädchen, die Kabbeleien der jüngeren Schüler und das Gequietsche, wenn wieder jemand eine Partie Koboldsteine verlor, hallten doppelt und dreifach in seinem Kopf wieder. Je mehr er versuchte, diese Geräusche zu ignorieren, desto lauter wurden sie. Man hätte glauben können, die Anderen versuchten ihn zu ärgern. Immer wieder war er kurz davor einfach aufzuspringen und alle anzubrüllen, dass sie doch endlich einmal ruhig sein sollten. Doch er tat es nicht. Stattdessen versteckte er sich nur noch tiefer hinter seinem Buch und starrte die Seiten an, als würde sich auf diese Weise ein geheimer Sinn darin manifestieren. Irgendwann öffnete sich das Potraitloch und die Gryffindor-Quidditch-Mannschaft betrat den Raum. Harry blickte nur kurz auf, und verschanzte sich dann wieder hinter seiner Lektüre. Als ein Schatten auf ihn fiel, sah er hoch. Vor ihm stand Angelina, das Gesicht blass, den Mund fest zusammengepresst. „Ich wollte dir nur verkünden, dass Ginny deinen Posten übernimmt. Sie lässt dir ausrichten, dass du ihn aber jeder Zeit wiederhaben kannst.“ „Gut.“, nickte Harry nur. „Nein, nichts ist gut.“, erwiderte Angelina ungeduldig. „Ich möchte, dass du dir im Klaren darüber bist, dass dein Austritt aus dieser Mannschaft endgültig ist. Ich muss wissen, wer dabei ist und wer nicht. Jemanden, der es sich alle zwei Tage anders überlegt, kann ich nicht brauchen.“ „Schon klar.“, gab Harry gereizt zurück. „Ich werde es mir nicht anders überlegen. Viel Glück noch.“ Angelina blieb noch einen Moment stehen, als wartete sie darauf, dass er seine Meinung doch noch einmal änderte, aber dann schüttelte sie leise vor sich hin murmelnd den Kopf und ging. Als am nächsten Morgen die Posteulen über die Haustische in der Großen Halle hinwegflatterten, sah Harry nicht einmal mehr hin. Wer hätte ihm auch schreiben sollen? Umso überraschter war er dann auch, als eine stattliche, sehr gepflegt wirkende Eule, mit dunklem, glänzendem Gefieder nur wenige Zentimeter neben seinem Frühstückteller landete und ihm würdevoll ihr Bein entgegenstreckte. Zweifelnd sah Harry die Eule an. „Du musst dich geirrt haben.“, sagte er leise zu ihr. Es gab einfach niemanden, der ihm hätte schreiben können; mal abgesehen von Hagrid, der aber immer die Schuleulen für seine Briefe benutzte. Und das hier war gewiss keine der Schuleulen. Er schubste den Vogel sacht, doch diese verharrte mit stoischer Ruhe in seiner Position. Am Ende erbarmte er sich und band die Pergamentrolle von ihrem Bein los. Ohne zu zögern breitete das Tier wieder die Flügel aus und ließ Harry mit dem Brief allein. „Harry Potter, Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberei“ stand in steifen Buchstaben darauf. Anstatt eines Absenders befand sich lediglich ein eingeprägtes Zeichen auf dem Pergament, das Harry jedoch nicht kannte. Eilig öffnete er den Brief und begann zu lesen. „Sehr geehrter Mister Potter, wir, die Kanzlei Brightwood und Staff, wurden mit der Regelung des Nachlasses von Mister Sirius Black betraut. Wie wir Ihnen zu unserem Bedauern mitteilen müssen, sind große Teile seines Testamentes durch früher getroffene Regelungen der Mutter des Verstorbenen außer Kraft gesetzt worden. So sind Sie leider aufgrund ihrer nichtmagischen Großeltern mütterlicherseits nicht in der Position, Anspruch auf irgendeinen Gegenstand zu erheben, dessen Erwerb mittel- oder unmittelbar auf die Verwendung des Familienerbes der Blacks zurückzuführen ist Gegewärtig wird noch geprüft, auf welche Gegenstände aus dem persönlichen Besitz von Mister Black das nicht zutrifft. Diese werden natürlich nach Abschluss der Prüfung umgehend Ihren Händen zugeführt werden. Wir entschuldigen uns für diese Umstände und verweisen Sie für weitere Fragen an Mrs. Narzissa Malfoy, die bis zur weiteren Klärung der Besitzverhältnisse die vorläufige Verwaltung des Nachlasses übernommen hat, bis sämtliche Erben ausfindig gemacht werden konnten. Hochachtungsvoll M. Brightwood Dem Brief beigefügt war lediglich eine kurze Liste von Gegenständen, die sich auch ohne genauere Untersuchung als relativ wertlos bezeichnen ließen. „…ein Taschenkalender des Jahres 1980, einige persönliche Briefe, ein Schlüsselbund, eine Ausgabe des Buches „Der Barsch und Du“, ein Taschenspiegel, eine Tube Brillant Schuhcreme, sechs Paar schwarze Socken…“, las Harry leise vor sich hin. „Was für ein Blödsinn. Den Kram können sie auch gleich behalten. Außerdem werde ich diese Sachen sowieso nicht bekommen, wenn Sirius wieder da ist.“ Trotz dieser Feststellung ging ihm die Sache mit dem Testament den ganzen Tag über nicht mehr aus dem Kopf. Warum wurde schon so schnell eine Testaments-Eröffnung vorgenommen? Es gab doch überhaupt keinen Beweis dafür, dass Sirius tatsächlich tot war. Im Gegenteil hatte Harry ziemlich gute Indizien dafür, dass dem nicht so war. Außerdem hatte sich doch, soweit Harry wusste, alles, was Sirius besaß, im Grimmauldplatz, Nr. 12 befunden. Und war nicht eben dieses Gebäude das Hauptquartier des Phönix-Ordens? Das Haus war das letzte Mal, als Harry es betreten hatte, noch durch den Fidelius-Zauber vor der Entdeckung durch Unbefugte geschützt gewesen; Dumbledore selbst hatte den Zauber ausgesprochen. Wenn das Haus nun wieder zugänglich war, musste Dumbledore den Zauber gelöst haben. Warum hatte er das getan? Eine unglaubliche Wut auf den Schulleiter machte sich in Harry breit. Warum hatte Dumbledore das nicht verhindert? Es war einfach nicht fair, dass er Sirius so einfach aufgab; dass er diesen Geiern erlaubte, sich so auf Sirius Erbe zu stürzen. Bei dem Gedanken, dass wahrscheinlich sogar Sirius’ andere Cousine Bellatrix Lestrange einen Anteil von diesem Erbe beanspruchen würde, drehte sich Harry buchstäblich der Magen um. Er musste etwas dagegen unternehmen und Dumbledore sollte ihm gefälligst dabei helfen. Er war immerhin Schuld an dem ganzen Übel. Gleich nachdem die letzte Stunde beendet war, hastete Harry zum Büro des Schulleiters. „Rhabarbertorte.“, keuchte er vor dem Wasserspeier angekommen. Gehorsam schob sich die Steinfigur zur Seite und gab den Aufgang mit der steilen Wendeltreppe frei. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend stürzte Harry die Treppe hinauf und kam etwas außer Atem im Türrahmen des Büros zum Stehen. „Professor, ich muss etwas mit Ihnen besprechen.“, platzte er heraus, noch bevor er sich lange in dem runden Raum umgesehen hatte. „Ich muss doch sehr bitten, Mister Potter.“, rügte ihn eine wohlbekannte Stimme neben ihm. „Wie sie vielleicht feststellen können, sind Sie nicht der Einzige, der die Aufmerksamkeit des Schulleiters beansprucht. Also nehmen Sie sich ein bisschen zusammen und warten Sie draußen.“ „Professor McGonagall.“, stellte Harry verdattert fest. „Ich hab Sie nicht gesehen. Aber das hier ist wirklich wichtig.“ „Professor McGonagall hat Recht, Harry.“, sagte Professor Dumbledore ruhig. „Ich werde mir gerne anhören, was du zu sagen hast. Aber solange wir hier noch beschäftigt sind, wirst du bitte draußen auf dem Flur warten.“ Mit hochrotem Kopf stolperte Harry die Treppe wieder hinunter, verfolgt von dem missbilligenden Gemurmel der verschiedenen Portraits der ehemaligen Schulleiter. Es erschien ihm wie Stunden, bis Professor McGonagall endlich aus der Öffnung hinter dem Wasserspeier trat und Harry heranwinke. „Sie können jetzt hinaufgehen, Mister Potter.“, erklärte sie Harry- wie er fand überflüssigerweise. „Miss Johnson hat mir übrigens mitgeteilt, dass Sie nicht mehr Mitglied der Quidditch-Mannschaft für Gryffindor sind. Darf ich erfahren, warum das so ist?“ Einen Augenblick lang war Harry versucht, einfach mit „Nein“ zu antworten, doch das wäre wohl nicht besonders klug gewesen. „Ich habe…“, begann er, „im Moment andere Dinge im Kopf.“ „Andere Dinge?“ Es war der Lehrerin anzusehen, dass sie mit dieser vagen Antwort nicht besonders zufrieden war, doch zu Harrys Erstaunen, fragte sie nicht weiter nach. „Es ist Ihre Entscheidung, Mister Potter.“, sagte sie mit einem gezwungenen Lächeln. „Obwohl ich sagen muss, dass ich sie sehr bedauere. Vielleicht darf ich Sie stattdessen auf der Tribüne begrüßen? Wir suchen immer noch einen Kommentator…“ Einen Moment lang war Harry versucht, dieses Angebot anzunehmen, doch dann schüttelte er langsam, aber bestimmt den Kopf. „Nein, Professor, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre.“ „Wie Sie meinen.“, nickte Professor McGonagall knapp und nach Harrys Empfinden irgendwie erleichtert über diese Eröffnung. „Ich sehe Sie im Unterricht.“ Professor Dumbledore erwartete Harry an seinem Schreibtisch sitzend. Seine hellblauen Augen musterten Harry wie schon so oft über die Ränder seiner halbmondförmigen Brille und schienen ungeachtet der Szene, die sich vor einigen Minuten abgespielt hatte, nicht den geringsten Vorwurf zu enthalten. Trotzdem kam Harry diese Situation eigenartig fremd vor. Es war, als wäre es schon Jahre her, dass er diesem Mann alles hatte anvertrauen können. Mit einem Mal kam ihm sein Plan, Dumbledore mit dieser Sache zu betrauen, lächerlich vor. Hatte Harry nicht quasi mit der Aufgabe des Grimmauldplatzes schon bewiesen, dass auch er Sirius aufgegeben hatte? „Was wolltest du nun mit mir besprechen, Harry?“, fragte der Schulleiter sanft und bot Harry gleichzeitig einen soeben herbeigezauberten Stuhl als Sitzgelegenheit an. Störrisch ignorierte Harry diesen und blickte stattdessen zu Boden. „Ich habe heute einen Brief bekommen.“, sagte er leise. „Von einem Notar. Sie haben Sirius’ Testament geöffnet.“ „Ich weiß“, seufzte Dumbledore, „und ich wünschte, ich hätte dir das ersparen können, Harry. Doch leider stand es nicht in meiner Macht, das zu verhindern.“ „Aber sie hätten verhindern können, dass die das Haus betreten.“, brauste Harry auf. „Sie hatten es doch mit einem Schutz belegt.“ „Den ich aufgrund der gegebenen Umstände entfernen musste, Harry.“, wies Dumbledore ihn zurecht. „Jeder Zauberer hinterlässt charakteristische Merkmale, wenn er einen so starken Zauber wirkt. Früher oder später hätte man diesen Zauber auf mich zurückgeführt. Damit hätte ich nicht nur die Geheimnisse des Phönix-Ordens gefährdet, sondern nebenbei auch noch das Gesetz gebrochen, Harry. Sirius´ Haus gehört nun einmal den Erben.“ „Auch Bellatrix Lestrange?“, hakte Harry wütend nach. „Nun, ich denke, man ihr wird ebenfalls ein Teil des Erbes zustehen.“, gab der Schulleiter offen zu. „Doch vielleicht beruhigt es dich, dass sie im Moment nicht in der Lage sein wird, dieses Erbe offiziell anzunehmen. Würde sie es versuchen, würde sie auf der Stelle verhaftet werden.“ „Und was ist, wenn Sirius zurückkommt.“, warf Harry aufgebracht ein. „Es gibt doch noch überhaupt keinen Beweis dafür, dass…“ „Harry!“ Dumbledore schien für einen kurzen Moment die Gewalt über seine Gesichtzüge zu verlieren. Müdigkeit und Erschöpfung waren darin zu sehen, gepaart mit einem gewissen Maß an Ungeduld. Doch dann hatte er sich auch schon wieder in der Gewalt und lächelte Harry freundlich an. „Ich weiß, wie schwer es für dich ist, diese Tatsache zu akzeptieren. Doch glaube mir, wenn ich dir sage, dass diese Hoffnung jenseits aller Möglichkeiten liegt. Sirius wird niemals wieder zurückkommen. Und auch wenn ich glaube, dass es ihm sicherlich nicht gefallen würde, wie man mit dir und den anderen, die er in seinem Testament bedenken wollte, umgeht, so sei dir versichert, dass er sicherlich nicht besonders an den Sachen gehangen hat, die jetzt ihren Besitzer wechseln.“ Ungläubig sah Harry Dumbledore an. Hatte er denn überhaupt nichts verstanden? „Es geht doch gar nicht um die Sachen.“, flüsterte er leise. “Es ist nie darum gegangen.“ Noch bevor Dumbledore etwas dazu sagen konnte, hatte Harry ihm schon den Rücken zugedreht und war aus dem Büro gestürmt. Ihm war plötzlich schrecklich kalt, denn anders war das Zittern, das seinen Körper erfasst hatte, wohl kaum zu erklären. Er hätte am liebsten geweint, geschrieen, doch seine Augen blieben trocken und seine Kehle war wie zugeschnürt. An einem Fenster in irgendeinem Gang blieb er schließlich stehen und blickte hinaus in die einbrechende Dunkelheit. In Hagrids Hütte brannte bereits Licht und auch in den Gängen des Schlosses entzündeten sich eine nach der anderen die Fackeln. Doch ihr Licht brachte keine Helligkeit in das Dunkel, das Harry umgab. Eine unsichtbare Mauer trennte ihn von dem, was er kannte, und ließ nur noch den Weg nach vorne zu. Doch dieser Pfad war schmal, so schmal, dass Harry mit einem Mal Zweifel kamen, ob er ihn wirklich gehen konnte. Er war letztlich… ganz allein. Seine Freunde, seine ehemaligen Freunde, würden ihm nicht helfen. Sein einstmals mächtigster Verbündeter schien zu einer regelrechten Bedrohung geworden zu sein, deren Existenz Harry nicht zuletzt selbst verschuldet hatte. Er hätte sich Dumbledore niemals in diesem Maße anvertrauen dürfen. Wahrscheinlich würde er es unter diesen Umständen nicht einmal schaffen, auch nur in die Nähe des Torbogens zu kommen, der sich immerhin immer noch im Zauberei-Ministerium befand. Es war einfach unmöglich… Das merkwürdige Gefühl, beobachtet zu werden, machte sich in Harry breit. Er fuhr herum und starrte in die Dunkelheit. Warum gab es ausgerechnet in diesem Teil des Ganges eigentlich keine Fackel? Harry spürte, wie sich seine Nackenhaare langsam aufstellten. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück, bis er die Brüstung in seinem Rücken spürte. Ein mulmiges Gefühl stieg in seiner Brust auf und legte sich wie eine unsichtbare Kette darum. Irgendetwas war dort. Die Schatten in dem Gang schienen immer tiefer zu werden, sich zu einer körperhaften Masse zusammenzuballen. Harrys Atem begann in der Luft zu kondensieren; sein Herz raste. Just in dem Moment, als er glaubte, es nicht mehr länger aushalten zu können, trat Sirius in den Gang hinaus. Seine schwarzen Augen musterten Harry, doch sein Gesicht blieb ausdruckslos. Die erste Erleichterung, die Harry bei Sirius´ Anblick empfunden hatte, wich bei unter diesem Anblick einem nagenden Schuldgefühl, dem Gefühl versagt zu haben. Er durfte sich einfach nicht so hängen lassen, dazu war diese Sache zu wichtig. Schwierigkeiten welcher Art auch immer waren nichts, von dem Harry sich aufhalten lassen durfte. Sirius’ Leben stand hier auf dem Spiel und Harry war der Einzige, der noch an ihn glaubte. Wer, wenn nicht er, würde Sirius retten wollen? „Ich habe es dir versprochen und dieses Versprechen, werde ich auch einhalten.“, flüsterte Harry. „Hast du mich gehört. Ich lasse dich nicht allein. Ich schaffe es… irgendwie.“ Unfähig, Sirius’ Blick noch weiter standzuhalten, sah Harry zu Boden. Er kam sich schlecht und schwach vor. Er hasste dieses Gefühl. Er wollte stark sein, für sich und für Sirius. Niedergeschlagen machte er sich auf den Weg zurück in den Gryffindor-Turm. Ohne einen Gedanken an seine Hausaufgaben zu verschwenden, ging er direkt in den Schlafsaal hinauf, entzündete ein paar Kerzen und kramte seinen Koffer unter dem Bett hervor. Vorsichtig wickelte er die Pergamentrolle mit der Übersetzung aus einem alten Pullover und las die Geschichte noch einmal genauestens durch. Es gab überhaupt keinen Zweifel daran, dass dieses Tor, von dem dort die Rede war, und der Torbogen im Ministerium ein und dasselbe waren. Vielleicht war es dahinter tatsächlich so viel schöner, dass Sirius einfach vergessen hatte, zurückzukommen. Aber dann hätte er Harry nicht diesen Hilferuf geschickt, denn um nichts anders konnte es sich doch bei diesem Abbild seines Selbst handeln. Vielleicht war er auch von den Wachen gefangen genommen worden, die in der Geschichte erwähnt wurden. Was immer es auch war, Harry musste ihm einfach helfen… Aber wie? Den Blick ins Leere gerichtet, starrte Harry eine ganze Zeit lang vor sich hin, bis irgendetwas seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Er begriff zuerst nicht, was es war, das ihn an seinem Koffer mit einem Mal so – nun, “störte“ war nicht wirklich das richtige Wort dafür. Es war, als würde er ein Suchbild betrachten, dessen geheimer Sinn sich weigerte, sich Harry zu offenbaren. Langsam begann er, die einzelnen Kleidungsstücke herauszunehmen, bis letzten Endes am Boden des Koffers einige silbrig glänzende, scharfkantige Glasstücke zurückblieben: die Überreste von Sirius’ Zwei-Wege-Spiegel. Harry hatte ihn am Ende des Sommers nach einem erfolglosen Versuch, mit seinem Paten Kontakt aufzunehmen, voller Wut und Enttäuschung in den Koffer geworfen, wo er zerbrochen war. Sirius hatte ihm damals natürlich nicht antworten können, weil er den zweiten Spiegel, den man für diesen magischen Weg der Kommunikation benötigte, nicht bei sich gehabt hatte. Aber jetzt… Wie von der Tarantel gestochen fuhr Harry hoch, stolperte fast über seinen Koffer und holte mit vor Erwartung zittrigen Fingern den Brief, den er heute von der Kanzlei erhalten hatte, aus seiner Schultasche hervor. Die zweite Seite… die Liste… ja, da stand es: ein Taschenspiegel. Das musste der zweite Spiegel sein; der, der Sirius gehört hatte. Wenn man sein Geheimnis nicht kannte, musste er genauso wie Harrys Spiegel wie ein einfacher, alter Spiegel aussehen. Und dieser Spiegel befand sich jetzt in den Händen von… „Narzissa Malfoy“, flüsterte Harry leise. Für einen Moment glaubte er ein schwaches Aufleuchten in den Spiegelscherben zu erkennen, doch so schnell wie es gekommen war, war es auch schon wieder verloschen. Rasch nahm Harry das größte der scharfkantigen Glasstücke zur Hand und sah konzentriert hinein. Er konnte darin lediglich sein linkes Auge und ein Stück seiner Nase erkennen. Vorsichtig hielt er das Glas ins Licht und wischte noch einmal mit dem Ärmel seines Pullovers darüber. „Narzissa Malfoy“, wiederholte Harry nun etwas lauter und diesmal war das Aufleuchten des Spiegels deutlich zu erkennen. Für einen Moment war so etwas wie Schneetreiben darin zu sehen, so als würde man einen Fernseher ohne Empfang betrachten, doch dann erlosch auch dieses Bild wieder. Frustriert ließ Harry den Spiegel wieder sinken. Wahrscheinlich waren die Stücke eben einfach nicht genug, um damit kommunizieren zu können. Auch ein Reparo! brachte nicht den gewünschten Effekt; der Spiegel war und blieb kaputt. Wenn es doch nur eine Möglichkeit gäbe, ihn zu reparieren, dann hätte Harry… ja, was hätte er eigentlich? Die Möglichkeit, mit Narzissa Malfoy zu reden? War es das, was er wollte? Auf dem Rücken liegend, den Blick gegen den Betthimmel gerichtet, überlegte Harry an dieser Möglichkeit herum. Mrs. Malfoy hatte sich Harry gegenüber bis jetzt recht positiv verhalten und wenn man Dumbledores Informationen - zumindest was ihre Person betraf - glauben durfte, stand sie nicht auf der Seite der Todesser. Zudem hatte sie offensichtlich im Gegensatz zum Rest ihrer Familie nicht allzu negative Gefühle Sirius gegenüber gehabt. Je mehr er darüber nachdachte, desto einleuchtender erschien ihm die Idee, diese Frau ins Vertrauen zu ziehen. Sie hatte außerdem bestimmt genug Einfluss, um Harry Zugang zum Zauberei-Ministerium zu verschaffen. Wenn nur dieser Spiegel nicht kaputt gewesen wäre… Als er Schritte auf der Treppe hörte, zog Harry eilig die Vorhänge seines Himmelbettes zu. Er wollte jetzt keine Gesellschaft. Die anderen Jungen kamen nach und nach in den Schlafsaal getrottet. Keiner von ihnen sprach besonders viel und das, was Harry durch den dicken Stoff hören konnte, waren allenfalls gezwungene, belanglose Sätze, die sie sich wahrscheinlich nur an den Kopf warfen, um die unangenehme Stille zu übertönen. Denn ganz sicher interessierte es keinen von ihnen wirklich, was Neville heute im Gewächshaus getrieben hatte. Mitleidig hörte Harry zu, wie der Junge ganz aufgeregt von seinen neuesten Fortschritten mit seinen Blumen erzählte, obwohl ihm wahrscheinlich schon gar keiner mehr zuhörte. Ganz spontan beschloss Harry, Neville in den nächsten Tagen einmal in das Gewächshaus zu begleiten. Nach und nach verklang dann auch das Gespräch. Samtene Stille breitete sich über den Raum aus und drückte Harry unangenehm auf die Ohren. Er war nämlich immer noch hellwach und drehte und wendete sein Spiegel-Problem im Kopf hin und her. Irgendwann hielt er es einfach nicht mehr aus. Egal, wie er sich hinlegte, er konnte einfach nicht einschlafen. Leise schob er die Decke zurück und schlüpfte auf Socken, die Schuhe in der Hand aus dem Raum. Auch hier war alles gespenstisch ruhig. Am Durchgang zum Gemeinschaftsraum stoppte Harry und ließ sich schon fast automatisch auf alle Viere wieder, um nicht in den Blickwinkel des Überwachungsspiegels zu kommen. Ganz in Gedanken versunken robbte er sich auf Händen und Knien durch den Raum, bis er irgendwann mit dem Kopf gegen einen Sessel knallte. Ärgerlich fuhr er hoch und rieb sich die schmerzende Stelle. Dabei fiel sein ängstlicher Blick auf den Spiegel, der friedlich im Licht einiger einzelner Mondstrahlen vor sich hin glänzte. „Ich bin so ein Esel.“, schimpfte Harry halblaut. Warum war er denn nicht schon früher darauf gekommen. Solomon musste sich doch mit so etwas auskennen. Am liebsten wäre Harry gleich heute Nacht noch zu ihm gegangen, um ihn um die Reparatur zu bitten. Aber konnte er das riskieren? Einige Augeblicke rang Harry noch mit sich, dann schlich er so schell er konnte wieder zurück in den Schlafsaal. Sorgfältig darauf bedacht, jedes unnötige Geräusch zu vermeiden, holte er erneut seinen Koffer unter dem Bett hervor. Vorsichtig suchte er alle Splitter des Spiegels, die er finden konnte, aus dessen Inneren zusammen. Dann warf er sich seinen Tarnumhang über und machte sich wieder auf den Weg nach unten. Er machte sich diesmal nicht die Mühe, sich noch vor dem Spiegel zu verstecken, denn gleich würde Solomon sowieso wissen, dass Harry nicht in seinem Bett lag. Im Schutz des Tarnumhangs huschte er durch die Gänge, immer auf der Hut vor Hausmeister Filch und seiner neugierigen Katze. Die Karte des Rumtreibers hatte er diesmal nicht mitnehmen können, weil er so schon genug Mühe hatte, sich nicht an den Spiegelscherben zu schneiden. Trotzdem kam ihm das Dunkel, durch das er jetzt schlich nicht fremd vor, eher wie eine schützende Hand, die ihn vor fremden Blicken verbarg. Kopfschüttelnd dachte er an die befremdliche Szene mit Sirius und verstand im Nachhinein gar nicht, warum er eigentlich solche Angst gehabt hatte. Mit Sirius an seiner Seite, konnte ihm doch eigentlich gar nichts mehr passieren. Mit wesentlich mehr Zuversicht als noch vor wenigen Stunden klopfte er schließlich an Solomons Tür. Ein schmaler, heller Streifen, der unter der Tür hindurch schimmerte, wies darauf hin, dass der Lehrer ebenfalls noch nicht im Bett war. Schritte waren zu hören, die Tür wurde geöffnet und ein breiter Lichtstrahl fiel auf den Flur. Argwöhnisch spähte Solomon in den Gang hinaus. Er schien nicht besonders erfreut zu sein. „Hallo Professor“, sagte Harry etwas verlegen. „Ich hoffe, ich störe nicht.“ “Mister Potter?“, fragte der Lehrer nach und sah Harry mit hochgezogenen Augenbrauen an. Erst da fiel Harry ein, dass er ja immer noch unter dem Tarnumhang steckte. „Äh, ja, darf ich reinkommen?“ Solomon murmelte etwas, dass sich nicht sehr freundlich anhörte, machte dann aber genug Platz, um Harry hindurch zu lassen. Der beeilte sich, die Scherben vorsichtig in eine Hand zu nehmen, um sich dann aus seinem Umhang zu befreien. Während er noch an dem Verschluss nestelte, nahm sein Lehrer bereits wieder seinen gewohnten Platz in dem steifen Lehnstuhl ein und sah Harry erwartungsvoll aber zumindest nicht allzu böse an. „Ich nehme an, dass Sie einen guten Grund haben, die Schulregeln so gründlich zu missachten, Mister Potter.“, brummte er. „Eigentlich müsste ich Sie jetzt postwendend wieder in ihren Schlafsaal schicken und Ihnen noch dazu eine saftige Strafarbeit verpassen.“ „Und werden Sie das tun?“, wollte Harry wissen, der sich inzwischen aus seinem Umhang befreit hatte und nun wieder beide Hände nutze, um die Spiegelscheren festzuhalten. „Der Sinn des Gebrauchs des Konjunktivs dürfte Ihnen wohl geläufig sein.“, spottete Solomon. „Aber wenn mir Ihr Grund für diese nächtliche Eskapaden nicht gefällt, werde ich Sie bei Mister Filch abliefern, dessen seien Sie versichert.“ Statt einer Erklärung legte Harry die Spiegelscherben sorgfältig vor Solomon auf den Tisch. Der sah im ersten Moment etwas verblüfft aus, schmunzelte dann aber. „Sie haben also einen kaputten Spiegel. Und damit kommen Sie ausgerechnet zu mir?“ Harry nickte. „Ich habe diesen… na ja…im Gemeinschaftsraum. Es ist ja nicht so, dass ich ihn nicht bemerkt habe… Und ich dachte, Sie könnten mir vielleicht helfen, ihn zu reparieren. Es ist ein Zwei-Wege-Spiegel.“ „Und wo ist das Gegenstück dazu?“, wollte Solomon wissen, während er die Bruchkanten der Glasstücke untersuchte. „Weg.“, schwindelte Harry. „Aber er war ein Geschenk und ich…“ „Und Sie wollen dem Schenkenden nicht erklären, warum Sie sein Geschenk so nachhaltig zerstört haben.“, ergänzte der Lehrer Harrys Ausführungen. „Ich verstehe. Nun ja, ganz einfach wird das nicht. Doch wie Sie so richtig bemerkten, habe ich mich schon mit magischen Spiegeln beschäftigt. Wie haben Sie den anderen bemerkt?“ Harry schluckte. Das war der Teil des Gesprächs, vor dem er sich etwas gefürchtet hatte. „Nun ja… er leuchtet ein wenig im Dunkeln. Und ich dachte mir, dass er vielleicht da ist, um so etwas wie heute… ähm, zu verhindern. Damit wir nachts nicht durch die Gegend streifen.“ Solomons Miene war schwer zu durchschauen. Ihm war nicht anzusehen, ob Harry nun ins Schwarze getroffen hatte und ob es ihm etwas ausmachte, dass Harry sein Geheimnis entdeckt hatte. „Gar nicht mal übel, Mister Potter.“, stellte Solomon fest, während er Harry immer noch nicht ansah und stattdessen begann, in seiner Schreibtischschublade herumzuwühlen. „In der Tat dient dieser Spiegel, von dem sie da sprachen, der Überwachung des Schlosses. Allerdings nicht, um Sie und ihre Mitschüler zu überwachen, sondern um Eindringlinge im Falle eines Angriffs schneller ausfindig machen zu können und entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten zu können.“ „Hogwarts? Angreifen?“, Harry wusste nicht, ob er lachen oder einfach nur den Kopf schütteln sollte über diesen Gedanken. „Das ist unmöglich!“ Solomon sah Harry an. Fast hätte man meinen können, etwas wie Mitleid darin erkennen zu können. „Sie haben ja keine Ahnung, was in einem Krieg alles möglich ist.“, sagte er ernst. „Die Sicherheit, die Hogwarts einst geben konnte, ist längst nicht mehr so vollkommen, wie sie einmal war. Obwohl wir vieles unternommen haben, um Sie noch weiter zu schützen, ohne Ihre Freiheiten weiter einzuschränken, wird das auf Dauer nicht mehr möglich sein. Ich verstehe Professor Dumbledores Ansinnen, Ihnen und auch allen anderen Schülern eine unbeschwerte Kindheit so weit wie möglich zu erhalten, aber ich fürchte, dass der Krieg auch vor Hogwarts nicht Halt machen wird. Besondere Situationen erfordern eben besondere Maßnahmen.“ Harry wusste nicht so recht, was er darauf erwidern sollte. Offensichtlich erwartete Solomon aber auch gar keine Antwort, sondern wandte sich wieder Harrys Spiegel zu. „Werden Sie ihn reparieren können?“, fragte Harry nach einer Weile. „Ich denke schon.“, murmelte Solomon versonnen. „Ich muss erst den Kleber dafür anrühren und werde etwa zwei Tage Zeit brauchen. Aber dann sollte er eigentlich wie neu sein.“ “Vielen Dank, Professor.“ „Ach ja, und noch etwas.“, meinte Solomon ernst, als Harry Anstalten machte, zu gehen. „Sie sollten vielleicht trotzdem nicht unbedingt herumerzählen, was Sie über den Spiegel wissen. Wir müssen ja nicht mehr Panik verbreiten, als es die Umstände im Moment erfordern.“ „Alles klar.“, grinste Harry. Als er an der Tür angekommen war, rief ihn Solomon noch einmal zurück. „Ich hab übrigens über Ihre Bitte nachgedacht. Vielleicht wäre es wirklich nicht schlecht, wenn Sie ein bisschen mehr über Höhere Magie erfahren würden, als Sie es im normalen Unterricht bis dato beigebracht bekamen. Ich denke, Sie werden es brauchen.“ „Gut.“, antwortete Harry. „Danke, Professor.“ Auf dem Weg zurück überlegte Harry, wie Solomon diesen letzten Satz wohl gemeint hatte. Soweit ihm bekannt war, wussten nur er und Professor Dumbledore von der Prophezeiung um ihn und Voldemort. Ob Dumbledore doch etwas weiter erzählt hatte? Doch dann hatte Harry keine Gelegenheit mehr, lange darüber nachzudenken. Mrs. Norris stand mit einem Mal wie aus dem Boden gewachsen vor ihm, sah ihn einen Moment lang aus ihren leuchtenden Lampenaugen an und entfernte sich dann eilig, wahrscheinlich um Filch zu benachrichtigen. Wenn Sirius wieder da war, musste Harry ihn unbedingt fragen, ob dieser Tarnumhang tatsächlich nicht bei Katzen wirkte. Zwei Tage waren Harry noch nie so unwahrscheinlich lang vorgekommen; noch nicht einmal die letzten Tage, in denen er regelmäßig dem Ende der Ferien entgegengefiebert hatte, konnten annähernd so schlimm gewesen sein. Tagsüber war er unkonzentriert, träumte im Unterricht und konnte sich oft nicht einmal mehr an die Frage erinnern, die er nicht beantworten konnte. Das brachte ihm nicht nur eine Menge Unmut von Seiten der Lehrer ein, sondern resultierte auch noch in einem Berg von Strafarbeiten, die er mit wenig schlechtem Gewissen erst einmal auf das Wochenende verschob. Nachts lag er dafür wach und überlegte sich, was er Mrs. Malfoy erzählen sollte, wenn denn der Spiegel tatsächlich funktionieren sollte. Er konnte schließlich schlecht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Stundenlang malte er sich aus, was er wohl sagen sollte, wie sie reagieren würde und wie es sein würde, wenn Sirius nur erst wieder da war. Am Anfang des zweiten Tages erwachte er morgens mit fürchterlichen Kopfschmerzen aus einem Traum, in dem er mit Sirius und Mrs. Malfoy an einem reich gedeckten Tisch gesessen hatte, während diese über seine Adoption berieten. Danach hatten sie alle mit funkelnden Gläsern, gefüllt mit blutrotem Wein angestoßen. Er konnte sich noch genau an das Geräusch erinnern, mit dem die Gläser zusammengestoßen waren. Wenn Harry es nicht besser gewusst hätte, hätte er vermutet, dass er den Wein tatsächlich getrunken hatte; zumindest dem Zustand seines Kopfes nach zu urteilen. Er erwachte erst richtig aus diesem Zustand, als er einige Meter hinter Ron und Hermine her zu Pflege Magischer Geschöpfe trottete. Neben ihm ging Neville, ganz versunken in ein neues Pflanzenkundebuch, das seine Großmutter ihm am Tag zuvor mit der Post geschickt hatte. Immer wieder las er Harry Stellen daraus vor und Harry tat, als würde er zuhören. Dass er stattdessen die Beiden vor sich akribisch beobachtete und versuchte herauszufinden, worüber sie sich unterhielten, musste er Neville ja nicht unbedingt auf die Nase binden. Immer wieder steckten Ron und Hermine die Köpfe zusammen und ab und an notierte Hermine sich etwas in ihrem Notizblock. Harry kam sich ausgeschlossen vor. Es wurmte ihn, dass die beiden sich immer noch so gut verstanden und trotzig stopfte er die Hände in die Hosentaschen. Bei Hagrids Hütte angekommen erlebte Harry dann gleich zwei Überraschungen. Die erste betraf die Geschöpfe, die sie heute behandeln würden. Anstatt wie sonst die größten und schrecklichsten Monster anzuschleppen, hatte Hagrid ihnen diesmal einen Käfig voller junger Windnattern mitgebracht. Die schlanken, etwa einen Meter langen Tiere, deren Schuppen in verschiedenen Grün- und Brauntönen schimmerten, hatten kurz hinter ihrem Kopf ein Paar gefiederter Schwingen, mit denen sie so elegant durch die Luft glitten, als würden sie darin schwimmen. Hagrid zeigte ihnen, wie man den Windnattern ein Geschirr anlegte, so dass sie sie aus dem Käfig holen konnten. Je vier Schüler bekamen eine der angeleinten Nattern mit dem Auftrag diese zu füttern, indem sie ihnen kleine Futterstücke in die Luft warfen, welche die Tiere mit begeistertem Zischen jagten und noch in der Luft verspeisten. Die zweite der Überraschungen hingegen war nicht besonders positiv und betraf Hagrid selbst. Der sonst so kräftig wirkende Mann, ging leicht gebeugt, seine Haut war grau, die Augen gerötet. Er sah aus, als hätte er sich längere Zeit die Haare nicht gekämmt, denn diese standen noch wüster vom Kopf ab als sonst. Einige frische Kratzer und blaue Flecken ließen wenig Spielraum für Spekulationen, wo ihr Ursprung lag: Grawp. Doch noch bevor Harry sich dazu entschlossen hatte, der kichernden Pavarti die Leine seiner Windschlange in die Hand zu drücken und Hagrid auf seinen riesigen Halbruder anzusprechen, waren schon Ron und Hermine zu ihm hinüber gelaufen und unterhielten sich angeregt mit ihm. Harry musste nur eins und eins zusammenzählen, um zu erraten, worum es sich folglich bei Hermines Aufzeichnungen handeln musste. Ganz offensichtlich hatten sie etwas mit der bevorstehenden Anhörung zu tun hatten. Langsam schob Harry sich näher heran. „Die Zeit ist einfach zu kurz.“, jammerte Hermine. „Ich könnte vielleicht noch mehr finden, wenn ich nur mehr Zeit hätte. Es gibt da einige Bücher, die Madame Pince erst anfordern müsste. Aber bis nächsten Freitag ist das unmöglich zu schaffen. Es ist einfach nicht fair.“ Hagrid schüttelte seinen gewaltigen Kopf. „Schon gut, Hermine, ´s ist nett, dass du es versuchst. Aber ich glaube ´s ist besser, wenn ihr euch da nich’ so reinhängt. `s wird schon werden… irgendwie. Dumbledore hat gesagt, er hilft mir. Wird schon werden.“ Harry wusste nicht, wen Hagrid versuchte davon zu überzeugen, dass er das tatsächlich glaubte. Alles an ihm war ein Bild der Hoffnungslosigkeit und es tat Harry weh, das zu sehen. Er wünschte, er hätte etwas für ihn tun können. Etwas, das Ron und Hermine übersehen hatte. Etwas, auf das die beiden nie kommen würden… Zeit. Hermine hatte gesagt, sie bräuchte mehr Zeit… Harry hätte beinahe laut aufgelacht, als ihm plötzlich eine Idee in den Kopf schoss. Natürlich… Er suchte die ganze Zeit etwas, über das er sein Gespräch mit Mrs. Malfoy anfangen könnte, ohne gleich mit der ganzen Wahrheit ins Haus zu fallen Und hier war seine Gelegenheit, gleich zwei Probleme zu lösen. Er würde sie einfach bitten, noch einen Aufschub für Hagrids Anhörung zu erwirken, sodass vielleicht doch noch Hoffnung bestand, dass Grawp nicht umgebracht wurde. Einen Augenblick lang überlegte Harry, ob er den anderen beiden und vor allem Hagrid davon erzählen sollte, doch er entschied sich dagegen. Was, wenn es nicht klappte? Er wollte keine Versprechen geben, die er nicht halten konnte. Trotzdem wollte er Hagrid ein wenig aufmuntern. Daher wartete er ab, bis sich die anderen Schüler nach der Stunde wieder auf den Weg zurück zur Schule gemacht hatten. Dann erst ging er zu Hagrid hinüber. „Hey, Hagrid!“, sagte er und versuchte dabei ein möglichst unbeschwertes Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern. „`lo, Harry.“, antwortet Hagrid. „Warst mich ja lange nicht mehr besuchen…“ Harry ärgerte sich etwas über den leisen Vorwurf in Hagrids Stimme, tat aber so, als hätte er ihn nicht gehört. „Ja, ich weiß. War eine ganz Menge los in der letzten Zeit.“ „Kann man so sagen.“, brummte Hagrid, während er begann, die Geschirre der Windnattern wieder zu entfernen. „Hör mal, wegen dieser Sache mit Grawp…“, begann Harry vorsichtig. „Nicht dass du denkst, ich würde mich nicht dafür interessieren. Es ist nur…“ „Andere Sachen sind eben wichtiger gewesen, als der dumme, alte Hagrid.“, grollte der. „Ich hab das schon verstanden. Aber ´s is´ okay. Du hast bestimmt ’ne Menge um die Ohren.“ „Aber das meine ich doch gar nicht.“, versuchte Harry zu erklären. „Ich verstehe mich im Moment nur nicht besonders gut mit Ron und Hermine. Und ja, ich hatte auch andere Sachen im Kopf, aber im Endeffekt wird dir das bestimmt mehr helfen als die beiden. Oder eher zusätzlich...“ Hilflos sah Harry Hagrid an. Der wirkte einen Augenblick lang verwirrt, dann trat ein breites Lächeln auf sein Gesicht. „Ich hab zwar keine Ahnung, wovon du grad redest, Harry, aber das geht schon in Ordnung. Wenn du glaubst, ´s is´ das Richtige, dann wirst du Recht haben. Obwohl ´s mir nich’ gefällt, wenn ihr euch streitet. Freunde sollten zusammen halten, dass du ´s nur weißt. Freunde sind wichtig.“ „Ich weiß Hagrid.“, lächelte nun auch Harry. „Und das mit Grawp... Ich kümmere mich drum. Versprochen!“ An diesem Abend wartete Harry nicht bis zur letzten Minute ab, um dann wie sonst üblich in Windeseile zu Solomons Büro zu hetzen, sondern stand bereits um Viertel vor sieben vor dessen Tür. Unentschlossen ob er anklopfen sollte oder nicht, starrte er die Tür an, als könne er sie so dazu bewegen sich zu öffnen und ihm so diese Entscheidung abzunehmen. Erst als sich Schritte näherten, wandte er seinen Blick von ihr ab und dem Ankömmling zu. Kurz darauf wünschte er sich, er hätte es nicht getan. „Potter!“ Snapes schneidende Stimme schien Harry regelrecht tranchieren zu wollen. „Ich wüsste nicht, was Sie hier zu suchen hätten. Ab mit Ihnen und fünf Punkte Abzug, weil Sie auf dem Gang herumgelungert haben.“ „Entschuldigung, Professor“, presste Harry zwischen den Zähnen hervor, „aber ich lungere nicht herum. Ich habe eine Verabredung mit Professor Solomon.“ “So?“, Snapes Augenbrauen wanderten spöttisch nach oben. „Ich dachte ein Wunderkind wie Sie habe eine weitere Unterweisung nicht mehr nötig.“ „Ich verstehe nicht ganz…“, gab Harry leicht verwirrt zurück. Worauf wollte Snape hinaus? „Ich rede davon“, zischte Snape leise, „dass Sie offensichtlich in den letzten Monaten eine unglaubliches Talent für Okklumentik entwickelt haben. Das kommt mir seltsam vor, Potter. Als ich Sie letztes Jahr unterrichtete, waren Sie noch der untalentierteste Dummkopf, der mir dabei je untergekommen ist. Woher diese plötzliche Verwandlung?“ „Vielleicht liegt das am Lehrer.“, antwortete Harry trotzig. Die Vorlage, die Snape ihm geliefert hatte war einfach zu verführerisch, um sie nicht auszunutzen. Snapes Gesicht wurde zuerst weiß und dann rot. Trotzdem blieb seine Stimme leise, was vielleicht daran lag, dass er die Kiefer mit aller Gewalt aufeinander presste. „Seien Sie vorsichtig, Potter. Dumbledore wird nicht immer da sein, um seine schützende Hand über Sie zu halten. Ich weiß, dass Sie etwas aushecken, auch wenn alle anderen die Augen davor verschließen mögen. Und wenn ich Sie dabei erwische, dann mache ich Ihnen das Leben zur Hölle.“ „Ja, darin sind Sie ja gut.“, knirschte Harry, der nicht vergessen hatte, dass er mit Snape einen der Hauptschuldigen an Sirius’ Verschwinden vor sich hatte. Allein dieser letzte Satz hatte ihm die Szene mit Snape in der Küche des Grimmauldplatzes wieder lebhaft ins Gedächtnis geführt. Snape hatte Sirius einen Feigling genannt, der den anderen die Arbeit überließ. Nur zu gerne hätte Harry Snape gezeigt, wie sehr er ihn verabscheute. Eine Stimme in seinem Inneren schien ihm zuzuraunen, wie einfach es doch wäre, dieser fetthaarige Fledermaus ein für alle Mal das Maul zu stopfen. Wie von selbst begann seine Hand sich auf seinen Zauberstab zuzubewegen. In diesem Moment öffnete sich die Tür zu Solomons Büro. Solomon trat hinaus und musterte Lehrer und Schüler, die sich wie Kampfhähne in einer Arena gegenüber standen, mit einem fast wissenschaftlich anmutenden Interesse. „Severus.“, sagte er dann und brach damit das stumme Blickduell, das die beiden sich geliefert hatten. Nur widerwillig wandte Harry seine Aufmerksamkeit von seinem Kontrahenten ab und wenn er sich nicht täuschte, ging es Snape ähnlich. „Ja genau, eben dieser.“, erwiderte Snape nun frostig. „Wir hatten eine Verabredung, wie Sie sich vielleicht erinnern.“ Solomon schien einen Moment lang zu überlegen. “Da scheine ich wohl mit meinen Terminen etwas durcheinander geraten zu sein.“, antwortete er ohne auf Snapes aggressiven Ton einzugehen. „Wie Sie sehen, ist der junge Potter bereits zu seinem Unterricht erschienen und ich würde ihn nur ungern warten lassen. Wenn es Ihnen also Recht ist, werde ich Sie stattdessen nachher aufsuchen, sobald ich hier fertig bin.“ „Sicherlich. Ich habe ja auch nichts Besseres zu tun.“, knurrte Snape mit einem giftigen Seitenblick auf Harry. „Dann lasse ich Sie wohl besser mit Ihrem Musterschüler allein.“ Damit wirbelte er auf dem Absatz herum und eilte mit wehender Robe den Gang hinab. Solomon sah ihm nach und wenn Harry es nicht besser gewusst hätte, hätte er gesagt, dass ein wenig Bedauern in seinem Blick lag. Aber nichts und niemand auf diese Welt konnte sich ernsthaft wünschen, mehr Zeit als unbedingt nötig in Snapes Gesellschaft zu verbringen. Mit einiger Mühe kämpfte Harry auch noch die letzten Reste des Gefühls nieder, dass sich bei dem Streit mit Snape in ihm geregt hatte. Irgendwie war Harry froh, dass Solomon aufgetaucht war. Er war sich nicht sicher, was sonst vielleicht passiert wäre. „Nun denn“, seufzte der Lehrer. „Kommen Sie rein Mister Potter. Ich dachte mir schon, dass Sie heute bereits ein wenig früher erscheinen würden.“ „Naja“, grinste Harry etwas verlegen. „Ich dachte, ich könnte zur Abwechslung mal pünktlich sein.“ “Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige, sagt man.“, dozierte Solomon. „Doch auch sie besteht lediglich in der Kunst realistisch abzuschätzen, um wie viel der andere sich verspäten oder, wie in ihrem Fall, verfrühen wird. Also hören Sie auf, mir Honig um den Bart zu schmieren, und kommen Sie endlich herein.“ „Jawohl, Sir.“, bestätigte Harry und beeilte sich, Solomons Aufforderung Folge zu leisten. Er wollte den Lehrer heute auf keinen Fall verärgern. Womöglich entschloss der sich sonst, den Spiegel doch noch zu konfiszieren oder Professor Dumbledore davon zu unterrichten. Aber Solomon dachte zunächst noch nicht daran, Harry sein kostbares Stück zurückzugeben. Stattdessen ließ er ihn Platz nehmen, während er selber begann, gedankenversunken im Zimmer auf und ab zu gehen. „Sie haben mich gefragt…“, begann er schließlich. „Sie haben mich gefragt, ob ich Ihnen erklären könne, wie Schwarze Magie funktioniert. Nach reichlicher Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Sie zumindest die Grundlagen erfahren sollten, damit Sie wissen, was auf Sie zukommt.“ Solomon machte erneut eine kleine Pause und sah aus dem Fenster. Draußen ballten sich am Horizont bereits wieder dunkle Regenwolken zusammen, die den Sonnenuntergang durch ein düsteres Zwielicht ersetzt hatten. „Die Gründe für diese Entscheidung liegen in meinen Augen auf der Hand. Ich habe von den…Vorgängen gehört, die sich hier im letzen Schuljahr abgespielt haben.“, fuhr der Lehrer nach einer Weile fort. „Ich habe auch von dem gehört, was im Zauberei-Ministerium passiert ist. Die Mysteriumsabteilung soll Schauplatz eines recht spektakulären Kampfes geworden sein. Man sagte mir, dass besonders in dem Raum mit den Prophezeiungen großer Schaden angerichtet wurde. Was meinen Sie, wie viele Rückschlüsse die Tatsache zulässt, dass ausgerechnet Harry Potter zugegen war, als Der-Dessen-Name-Nicht-Genannt-Wird in diesen Teil des Ministeriums eindrang.“ „I-ich weiß nicht?“, stotterte Harry, der Solomons Ausführungen nicht mehr so ganz folgen konnte. Worauf wollte der Lehrer hinaus? „Nun ja, ich denke, dass dieser so genannte Lord sich Zugang zu der Abteilung mit den Prophezeiungen verschafft hat, ganz offensichtlich in der Absicht, eine von ihnen zu entwenden. Dass Sie dabei anwesend waren, lässt die Folgerung zu, dass entweder ein sehr großer Zufall am Werk war oder dass Sie mit Absicht dorthin gelangten. Letzteres ist natürlich sehr viel wahrscheinlicher.“ Harry hatte inzwischen den Faden gründlich verloren, zumal in eigentlich immer noch die Frage beschäftigte, ob Solomon nun eigentlich den Spiegel hatte reparieren können. Auch Solomon schien das zu bemerken. „Ich sehe, ich sollte die Sache abkürzen.“, brummte er. „Also, Alles in Allem lässt sich aus dieser ganzen Geschichte folgern, dass ein Prophezeiung existiert, die sie und Den-Dessen-Name-Nicht-Genannt-Wird angeht. Einige Nachfragen an den richtigen Stellen haben das inzwischen so gut wie bestätigt. Um was es dabei geht, ist ebenfalls nicht besonders schwierig zu erraten. Es wird wohl auf einen Kampf hinauslaufen, in dem es heißt: Sie oder Er.“ Ohne es zu wollen, nickt Harry zustimmend. Obwohl ihm die Tatsache nicht besonders behagte, dass Solomon davon wusste, war es auf der anderen Seite ein befreiendes Gefühl, dass jemand endlich aussprach, was wie ein Damoklesschwert die ganze Zeit über seinem Kopf schwebte. „Sie fragen sich vielleicht, warum sonst niemand auf diese nicht besonders schwer zu erkennenden Zusammenhänge gekommen ist.“, führte Solomon weiter aus. „Und ich muss Sie enttäuschen, denn dem ist mitnichten so. Es ist eines der schlecht gehütetsten Geheimnisse des Ministeriums, das mir je untergekommen ist. Trotzdem hat der Einfluss von Minister Fudge noch ausgereicht, um sämtlichen Zeitungen einen Maulkorb zu verpassen, sodass bis jetzt nur unter der Hand darüber diskutiert wird. Jetzt aber, da er nicht mehr da ist, wird auch dieses Stillschweigen nicht mehr lange halten. Doch wie dem auch sei… Das Wichtigste ist in meinen Augen, dass sie vorbereitet werden auf das, was Sie erwarten kann. Es hilft nichts, über diese Sache die Augen zu verschließen. Daher sollen Sie erfahren, welcher Kräfte ihr Gegner sich bedient. Das wird Ihnen nicht dabei helfen, diesen Krieg zu gewinnen, aber es wird Ihnen helfen, seine Schwachpunkte leichter zu nutzen, wenn er denn welche hat.“ Was immer auch diese einleitende Rede hatte bewirken sollen, das, was danach kam, war um Einiges interessanter. Solomon erklärte Harry, dass der Unterschied zwischen sogenannter Weißer und Schwarzer Magie eigentlich lediglich im Ursprung ihrer Kräfte lag. „Ein Magier, der sich lediglich der Kräfte bedient, die ihm von Geburt an und durch eine entsprechende Ausbildung zur Verfügung stehen, nutzt somit ausschließlich Weiße Magie.“, erklärte Solomon. „Wenn er jedoch anfängt, fremde magische Energien für seine Zwecke zu nutzen, begibt er sich auf das nicht ungefährliche Terrain der Schwarzen Magie. Bei vielen, die es versucht haben, ist im Endeffekt mehr Schaden als Nutzen entstanden.“ „Das heißt, dass ich ein und denselben Zauber verüben kann, sowohl mit Schwarzer wie auch mit Weißer Magie?“, fragte Harry verblüfft nach. „Das ist richtig.“, bestätigte sein Lehrer. „Die Unterteilung in schwarz und weiß weckt bei den meisten Magiern die Assoziation, dass es sich dabei um eine Einteilung in gut und böse handelt. Wenn Sie mich fragen, ist das auch gar nicht so verkehrt. Sie können mit Schwarzer Magie weitaus mächtigere Zauber wirken, als die meisten von uns es jemals ohne sie schaffen würden. Wenn Sie erst einmal begriffen haben, wie Sie sich die Sie umgebenden, freie Magie zu Nutze machen können, haben Sie sozusagen unbeschränkten Zugriff. Aber eben dieser macht die Schwarze Magie so gefährlich. Freie, ungelenkte Magie kann verheerende Auswirkungen haben, nicht zuletzt auf den Zaubernden selbst.“ „Und wie würde das aussehen?“, wollte Harry wissen. Ihn wunderte nicht, dass diese Erklärungen nicht im Unterricht gegeben wurden. Für ihn hörte sich das alles auch sehr verführerisch an, auch wenn er nicht im Traum daran dachte, solche Kräfte zu nutzen. Solomon überlegte kurz. Dann öffnete er seine Schreibtischschublade und griff hinein. Zum Vorschein kam ein kleiner, samtener Beutel, aus dem der Lehrer mehrere der Kristalle holte, die er Harry schon beim letzten Mal gezeigt hatte. „Das hier ist, wenn man es so sehen will – und glauben Sie mir, das Ministerium für Zauberei tut das - die harmloseste Form der Schwarzen Magie. Ich habe fremde Energie gebunden um mich ihrer zu bedienen. Es handelte sich dabei zwar nicht um Magie, sondern um Elektrizität, doch der Unterschied ist geringer als man denkt. Nun stellen Sie sich einmal vor, sie würden versuchen, einen der Blitze, die ich hierfür genutzt habe, mit bloßen Händen zu fangen und zu leiten.“ Harry schüttelte den Kopf. „Das wäre unmöglich. Ich würde getötet werden.“ „Nun, nicht unbedingt das.“, schwächte Solomon Harrys Befürchtungen ab. „Zauberer sind von Natur aus etwas widerstandsfähiger als normale Muggel. Aber Sie würden wahrscheinlich schwere Verbrennungen erleiden.“ Unwillkürlich glitt Harrys Blick zu Solomons Händen. Ob er… Solomon hatte Harrys Blick bemerkt. Er sah ihn geradeheraus an und hob eine seiner buschigen Augebrauen. „Eine gute Vermutung, Mister Potter. Sie liegen auch gar nicht so falsch, doch das zu erklären würde jetzt zu weit führen. Auf jeden Fall denke ich, dass Sie verstanden haben, warum diese Art der Magie so gefährlich ist.“ „Ja, Professor.“, nickte Harry. „Gut. Denn nichts läge mir ferner, als Sie nun auf falsche Ideen zu bringen.“, brummte Solomon. „Aber wäre man in der Lage, mit… nun“, Harry zögerte, ob er wirklich aussprechen sollte, was ihm in den Sinn gekommen war, aber er musste es einfach wissen. „Wäre man in der Lage mit Weißer Magie jemanden umzubringen?“ „Mhm…“, machte Solomon und runzelte die Stirn. „Unter normalen Umständen wäre das natürlich eine Frage, die ich sofort verneinen müsste. Kein Zauber dieser Welt kann es mit einem Avada Kedavra aufnehmen. Aber ich muss ihnen sicherlich nicht erklären, dass es noch andere Wege gibt, jemanden zu töten. Wenn sie jemanden fesseln, so dass er sich nicht befreien kann, und denjenigen dann anzünden, wird er sicher sterben. Ob sie dafür nun einen Zauber oder sogar nur ein simples Streichholz benutzen, ist dabei unerheblich. Um aber auf das zu antworten, was hinter Ihrer Frage steht: Man braucht keine Schwarze Magie um jemanden umzubringen. Es ist nur sehr viel leichter damit.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)