[24/7] Zwischen den Zeilen von halfJack ================================================================================ Kapitel 35: Kontrolle --------------------- Kontrolle   Es war nicht schwer, sich auf die Unterhaltungen mit L einzulassen. Die beiden Männer hatten bereits Monate zuvor über etliche Themen gesprochen, während sie noch gemeinsam die Universität besuchten und die Zeit zwischen den Seminaren und Vorlesungen im Park oder Café verbrachten. Damals, im Frühjahr desselben Jahres, als die Kirschblütenblätter gerade begannen wie Schnee von den Bäumen zu fallen, hatte Light seine Erinnerungen noch nicht verloren und sich geschworen, dass er darauf eingehen würde, wenn L in ihm einen Freund zu finden hoffte, ob es nun ehrlich gemeint sein sollte oder nicht. Und dieses Vorhaben war ihm unerwartet leicht gefallen. Gegenüber L eine solche Rolle zu schauspielern fiel ihm sogar sehr viel leichter als bei seinen Mitschülern und Kommilitonen, weil er sich dafür kaum zu verstellen brauchte, es sogar eher ein Anreiz war, sich dem Detektiv relativ offen zu zeigen. Nur seine echten Emotionen verbarg Light wie stets, wenn sie ihm nicht zum Vorteil gereichten. Darum war er sich absolut sicher, sein eigenes Verhalten in der erinnerungslosen Zeit größtenteils richtig voraussagen zu können. Er würde sich mit L anfreunden, denn früh genug hatte er erkannt, dass er das ohnehin auch in Wirklichkeit wollte. Mit der Rückkehr seiner Erinnerungen und der Wiederauferstehung Kiras würde sich Light gewiss entsinnen, warum diese Freundschaft nichts an ihrer Feindschaft änderte. Und so hatten sich ihre Gespräche vor, während und nach dem Verlust seiner Identität in bestimmten Punkten immer geglichen. Jetzt spürte Light, dass sie beide mehr denn je abdrifteten. Sie führten Gespräche, die nichts mit dem Fall um Kira zu tun hatten. Gespräche, die keine zwischenmenschlichen Dinge behandelten. Es war, als wollten sie übereinstimmend ihre Probleme zerreden, sie regelrecht beiseite diskutieren, indem sie sich über alles und nichts austauschten, um ihren Gedanken keinen Freiraum zu geben. L sprach und Light hörte unwillkürlich die Worte dahinter, auch wenn er seine Ohren davor zu verschließen versuchte. Er befürchtete, nein, er wusste beinahe schon, dass es auf Gegenseitigkeit beruhte. Von den anderen Mitgliedern der Sonderkommission war Chefinspektor Yagami als letztes gegangen. Er hatte sich von seinem Sohn verabschiedet, ihm irgendetwas gesagt, das Light nicht bewusst wahrnahm, auf das er nur mechanisch reagierte. Das einstudierte Verhalten lief ab wie ein Programm. Es wirkte natürlich und wohlerzogen, höflich und respektvoll. Light hörte sich reden, aber er verstand kein Wort davon. Innerlich war seine Aufmerksamkeit auf die eintretende Situation gerichtet, die er den Rest des Tages gleichsam gefürchtet und herbeigesehnt hatte: der Moment, wenn er wieder mit L allein sein würde. Dieser stand mit abgewandtem Körper vor dem langgezogenen Tisch, auf dem die zahlreichen Monitore der Computer und Überwachungskameras aufgereiht waren. Reglos hielt er den Blick auf die von den Polizisten zurückgelassenen Ordner gesenkt. Unterdessen schaute Light hinüber zu Rem. Stets verschwiegen hatte die Todesgöttin den Beredungen beigewohnt und nur dann etwas von sich gegeben, wenn sie direkt befragt wurde, aber auch in diesen Fällen blieben ihre Antworten vage und waren absolut nichts wert. Vor der Umsetzung seines Planes hatte ihr Light dies aufs Schärfste eingebläut, es ihr regelrecht befohlen, obwohl er selbst nur ein Mensch war und Rem ihm als vermeintlich unzerstörbares Monstrum schon mehr als einmal gedroht hatte, ihn zu töten. Doch das Monstrum, welches sich in Lights Seele eingenistet hatte, war stärker und grausamer, als ein Todesgott es je hätte sein können. Jetzt fing der selbsternannte Herrscher einer neuen Welt den Blick des furchteinflößend skelettartigen Wesens ein und hielt ihn beschwörend fest. Von L unbemerkt ruckte er leicht mit dem Kopf zur Seite, um Rem zu bedeuten, dass sie sich unauffällig zurückziehen sollte. Das zu einem Schlitz verengte Auge der Todesgöttin flackerte zu dem Meisterdetektiv hinüber. Dann nickte sie stumm, drehte sich fort und verschwand lautlos im massiven Material einer der Wände. Light atmete tief durch. Er fixierte den gekrümmten Rücken seines Freundes. Seine Ängste waren unbegründet und die Distanz konnte er nur bedingt aufrechterhalten. Er musste die Konfrontation suchen, bevor er es später bereute. Entschlossen durchquerte er den Raum, blieb hinter L stehen und legte, ohne weiteres Zögern, eine Hand auf dessen Schulter. Er spürte, wie dieser leicht zusammenzuckte. War er so sehr in seinen Überlegungen versunken gewesen? „Bist du nicht müde?“, fragte Light milde, wobei er die Hand sanft auf dem Schulterblatt seines Freundes ruhen ließ. „Du kannst ruhig schon ins Bett gehen, Light-kun.“ „Das ist keine Antwort auf meine Frage.“ Light stützte sich links und rechts von Ls Körper am Tisch ab und beugte sich an ihm vorbei nach vorn. Zuoberst auf dem unangerührten Stapel mit Dokumenten lag, unscheinbar und ungefährlich wirkend, das auf zwei leeren Seiten geöffnete Death Note. „Du siehst nicht so aus, als hättest du noch etwas Wichtiges zu erledigen.“ „Habe ich nicht?“ Light wandte ein wenig den Kopf zur Seite, um dem Detektiv ins Gesicht schauen zu können, von welchem er momentan nur das Profil erkannte. Wie eingefroren starrte L mit stechenden Pupillen in das von pechschwarzen Linien zerfurchte Weiß des todbringenden Papiers. Gespielt resignierend seufzte Light. „Du bist durch nichts mehr von deiner Meinung abzubringen, nicht wahr?“ Er nahm einen Füller, der neben den Ordnern lag. Bedächtig schraubte er ihn auf. „Wenn du dir wirklich so sicher bist, dann ist es doch ganz einfach.“ Dicht hinter ihm stehend hielt Light seinem Partner den Füller entgegen. Die Tinte an der Spitze der Feder schimmerte nachtblau im unnatürlich farblosen Licht. „Schreib meinen Namen und das Problem hat sich erledigt.“ Noch immer bewegte sich L nicht. Er vernahm die Worte nah an seinem Ohr. „Du bist dir doch sicher, oder nicht? Du hast schließlich erst letztens gesagt, dass du mich töten würdest. Hiermit ist es ganz leicht.“ Langsam klang Light ungehalten, beinahe verzweifelt. Er langte nach Ls Arm, legte ihm den Füller in die Hand und umschloss dessen Finger mit dem eigenen Griff, damit das Schreibwerkzeug nicht wieder fallen gelassen wurde. Zur leeren Seite des Death Notes geführt verharrte die Federspitze wenige Zentimeter über dem Papier. „Na los, mach schon, L. Schreib meinen Namen und töte mich. Es ist so einfach. Da du glaubst, dass ich Kira bin, hast du gar keine andere Wahl. Wie willst du mich sonst aufhalten? Wie willst du die Welt vor Kira retten, wenn du nicht bereit bist, dafür auch einen Unschuldigen zu opfern? Zögere nicht. Tu es einfach. Nur ein paar Schriftzeichen, ein paar wenige Striche und ich sterbe direkt vor deinen Augen, ohne Hoffnung auf Rettung, einfach so. Alles, was dir vorher so schwer vorkam, wird danach sicher ganz leicht.“ „Hör auf.“ Ls Stimme war leise und tonlos. Doch Light fühlte das unmerkliche Zittern von dessen Hand in seiner eigenen und erahnte die kaum sichtbare Veränderung in dessen Mimik. „Was auch immer das hier ist, es ist nicht leicht.“ L machte Anstalten sich in der Umarmung seines Freundes umzudrehen, sodass dieser ihn losließ. Der Füllfederhalter fiel hinab und besprenkelte, bevor er unbeachtet über den Tisch rollte, mit ein paar wenigen dunklen Spritzern die namenlosen Seiten des Death Notes. Eigentlich hatte Light gehen wollen, doch hielt der Andere ihn, als sie einander zugewandt waren, an beiden Handgelenken fest. Mit forschender Zudringlichkeit fragte L: „Denkst du etwa, ich würde dich nicht verschonen, wenn du Kira bist?“ „Hast du das nicht selbst mehrfach zugegeben?“ „Nein, wenn du Kira bist, wirst du mir keine andere Wahl lassen. Ich bin mir sicher, dass ich dich werde töten müssen. Wie auch immer es geschieht, du würdest mich dazu zwingen. Falls Kiras Tod nicht ohnehin schon unumgänglich feststeht, sobald sein Scheitern besiegelt ist. Zum jetzigen Zeitpunkt mache ich mir darüber noch keine Gedanken. Ich will ihn bloß in die Finger bekommen, ihn überführen, ihn fangen. Wie über ihn geurteilt wird, interessiert mich nicht. Wer weiß, wenn es anders sein sollte und mir Kira in die Hände fällt, dann würde ich ihn vielleicht sogar verschonen. Kein Gericht der Welt könnte ihn auf übliche Weise verurteilen. Wahrscheinlich würde man die meisten Beweise nicht einmal gelten lassen können. Dieses Verbrechen überfordert unser Rechtssystem. Nur im Geheimen könnte man Kira zur Anklagebank führen und bestrafen. Aber vielleicht würde ich das gar nicht zulassen.“ L hob eine Hand zu Lights Gesicht und strich leicht über dessen Wange, sein Kinn, seinen Hals. „Wieso sollte bei solch einem ungewöhnlichen Ausnahmefall, für den es keinerlei Präzedens gibt, irgendein Gericht das Urteil über Kira fällen dürfen? Wenn ich ihn fange, dann kann ich auch über ihn verfügen, das wäre nur fair. Kein anderer sollte die Befugnis über ihn haben. Kira gehört mir.“ Light versuchte das Prickeln in seiner Magengegend zu ignorieren, genauso wie das Vibrieren seiner Fingerspitzen und die Anspannung im Nacken. Er ließ sich von L dirigieren, der ihn am Kinn festhaltend näher an sich zog, sodass sie einander aus kürzester Distanz in die Augen schauen konnten. Während Light gegen das in seinem Inneren aufkeimende Verlangen ankämpfte, fuhr sein Freund eindringlich fort. „Solltest du Kira sein, kette ich dich vielleicht wieder an mich, dieses Mal für immer. Und ich würde dich zwingen, bei mir zu bleiben und an meiner Seite Kriminalverbrechen zu lösen und dadurch Buße zu tun. Die unzähligen Morde könnten nie wiedergutgemacht werden. Darum müsstest du dich ein Leben lang abmühen. Du würdest nie wieder von mir loskommen.“ Jetzt lächelte L auf seine liebenswürdige, kindliche Weise und kam dabei den Lippen seines Freundes so nahe, als wollte er sie mit den eigenen berühren. „Du könntest dich nie mehr von mir befreien.“ Light wandte sich ab. Er drehte den Kopf zur Seite, um nicht der Versuchung zu erliegen, diesen Mund erneut zu vereinnahmen und vom Geschmack seines Feindes zu kosten, den er das letzte Mal auf der Zunge verspürt hatte, als seine Erinnerungen noch verloren und die zwei Männer nur Freunde waren. „Bist du nicht müde?“, fragte L nun seinerseits. Ernst starrte Light auf die Wand, hinter der er die Todesgöttin vermutete, nachdem sie die beiden für kurze Zeit allein gelassen hatte. „Doch“, antwortete er schließlich leise, „das bin ich.“   Abwartend stand Light im Gang und schaute zu seinem Partner hinüber. Dieser verharrte vor der Tür ihres einst gemeinsamen Zimmers. Alles an ihm wirkte so vertraut, die schwarzen zerzausten Haare, das im Kontrast dazu stehende weiße Sweatshirt sowie die ausgebeulten Jeans, die gekrümmte Körperhaltung und die Hände, die L wie immer in scheinbar unbeteiligter Gelassenheit in die Taschen geschoben hatte. „Willst du dort Wurzeln schlagen, Ryuzaki?“ Light sprach kühl, fast sogar ein wenig herablassend. Mit emotionsloser Miene neigte L den Kopf in seine Richtung. Auf einmal grinste er unvermittelt und fragte zurück: „Und du, Light-kun?“ Der Angesprochene erwiderte nichts darauf. Er hatte L bereits im Überwachungsraum zum Gehen gedrängt und keinen Hehl daraus gemacht, dass er ihn nicht mit dem Death Note allein lassen würde. Jetzt kam der Detektiv ruhigen Schrittes auf seinen jungen Ermittlungspartner zu, welcher nicht einen Millimeter wich, als er am linken Arm gepackt wurde. Lights Handgelenk anhebend starrte L auf die Armbanduhr, die der Sohn des Chefinspektors von seinem Vater geschenkt bekommen hatte. Alle Alarmglocken schienen in Light zu schrillen, doch äußerlich blieb er vollkommen gleichgültig. „Nach Mitternacht“, sagte L schließlich kaum hörbar. „Fünfundzwanzig also.“ „Was meinst du?“, fragte Light verwundert. Das Datum konnte damit nicht gemeint sein, denn der anbrechende Tag war der einunddreißigste Oktober. Allerdings gab L ihm keine Antwort, stattdessen bedachte er ihn mit einem seiner bohrenden Blicke. „Denkst du, dass die Überwachung zu Ende ist, Light-kun?“, fragte er, ohne seinen Partner von sich zu befreien. „Du weißt genau, dass ich dich nicht aus den Augen lassen werde. Aber du hast deine Unschuld bewiesen, deine Freiheit zurückerlangt. Du könntest jederzeit gehen, wohin du willst, und ich hätte keine Gewalt über dich, um dich daran zu hindern. Dennoch bleibst du hier. Du sitzt mir im Nacken, ist es nicht so? Tagaus, tagein bist du unentwegt an meiner Seite. Die Überwachung ist noch nicht vorbei, aber von nun an stehe ich in ihrem Zentrum. Du willst sichergehen, dass mir die Hände gebunden sind, nicht wahr? Warum tust du das, Light-kun?“ „Weil ich dich kenne“, entgegnete jener gefasst. „Du brauchst einen Freund, der dich vor dir selbst schützt und dich davor bewahrt, etwas Unbedachtes zu tun.“ „Unbedacht?“ L lächelte nicht mehr. Seine Umklammerung wurde noch eine Spur schmerzhafter. „Ich muss dir wohl nicht sagen, dass ich darüber reichlich genug nachgedacht habe.“ „Dann eben aus übereilter kindlicher Neugier.“ „Oder aus Spontaneität und einer gewissen Skrupellosigkeit“, wandte L kaltblütig ein. „Womöglich sind diese Dinge sogar nötig, um den Fall um Kira zu lösen.“ „Vielleicht ist Geduld aber genauso notwendig?“ Ein paar Sekunden hielt L den Arm und Blick seines Freundes weiterhin unnachgiebig fest, bis er seine Finger langsam lockerte und sich von ihm löste. Wortlos drehte er sich um, schlurfte zur Tür zurück und öffnete sie sogleich mit der elektronischen Sicherheitskarte. Danach wandte er sich noch einmal an Light. „Wenn du mich kontrollieren willst...“ L hielt die Tür geöffnet und deutete ein Nicken an. „Bitte.“ Erneut blieb er einen langen Moment stehen, wartete auf eine Reaktion. Als diese nicht einzutreffen schien, wandelte sich der Ausdruck in seinem Gesicht zu einer Gewissheit, dass er genau damit gerechnet hatte, mit dieser abweisenden Distanz, die Light unüberwindlich zwischen ihnen aufbaute. L ersparte sich einen Kommentar dazu. Er schritt durch die Tür ins Zimmer und verabschiedete sich lediglich, wobei er ebenso kühl den Abstand zu seinem Freund wahrte. „Gute Nacht, Light-kun.“ Bevor die Tür jedoch ins Schloss fallen konnte, wurde sie zielsicher von einer Hand aufgehalten. Überrascht drehte L sich um. Kurz darauf schob sich Light gesenkten Blickes ins Zimmer. Er machte die Tür hinter sich zu, lehnte sich dagegen und lenkte dann seine braunen, alles durchschauenden Augen hinauf, um die schwarzen Pupillen des Meisterdetektivs einzufangen. „Wie du willst, L.“ Mehr sagte er zur Erklärung seines Handelns nicht. Die Verblüffung in Ls Miene wich allmählich einem unergründlichen Lächeln. „Ich verstehe.“   Er hörte das Flüstern, doch begriff er die Worte zu Anfang nicht. Light regte sich müde. Graues Morgenlicht drang durch seine geschlossenen Lider. Dann vernahm er es erneut. „Hörst du mich?“ Es war nur ein leises Wispern. Oder bildete er sich das bloß ein, wie so vieles in letzter Zeit? „Wach auf.“ Kälte rann über seinen Rücken wie eisiges Wasser. Sein ganzer Körper tat weh. Seine Muskeln stachen, als wäre er die halbe Nacht durch die Straßen Tokyos gerannt. Warum fiel es ihm so unsagbar schwer, die Augen zu öffnen? „Du darfst nicht schlafen.“ Endlich schaffte er es unter Anstrengung, doch seine Lider kamen ihm verklebt vor, als er sie zu heben versuchte. Er konnte seine Umgebung nicht deutlich erkennen, sah alles nur verschwommen und unscharf. Es war noch gar nicht hell. Keine Farben zeichneten die Konturen des Raumes. Direkt vor dem Bett erhob sich eine schwarze Silhouette. Oder hatte die Person schon die gesamte Zeit unbeachtet dort am Rande ausgeharrt? Light bemerkte ein fein geschnittenes Gesicht, braunes Haar und eine ebenfalls braune Iris, umrahmt von einem weit aufgerissenen Wimpernkranz. Er starrte in sein eigenes Gesicht. „Hast du mich vermisst?“ Der schön geschwungene Mund seines Ebenbildes teilte sich wie ein Messerschnitt zu einem fratzenhaften Grinsen. Gepflegte Hände mit akkurat geschnittenen Nägeln glitten über die Bettkante. Krampfhaft krallten sie sich in den Stoff. „Bald hast du es geschafft, Light. Du hast fast nichts mehr zu verlieren. Du hast fast nichts mehr.“ Ein ersticktes Lachen erfüllte den Raum. Light wusste nicht, ob es von dem schattenhaften Trugbild stammte oder ob es aus seinem eigenen, gequält grinsenden Mund gedrungen war. Seine Wangen schmerzten unter der Beanspruchung seiner Gesichtsmuskulatur. Trotz der Aufregung und Hysterie, die vom Bauch ausgehend in ihm aufstiegen, brannte seine Kehle wie Feuer. „Es dauert nicht mehr lange. Halt nicht ein. Geh weiter. Du wirst doch jetzt nicht aufgeben? Du kannst doch niemals genug bekommen, nicht wahr? Nimm dir mehr. Nimm dir alles. Nimm! Nimm! Nimm!“ Schweiß perlte auf Lights Stirn. Mit kalten Händen fuhr er sich über die Haut, über seine nassen Augen. Er wischte sich das Lächeln vom Gesicht. Panik lähmte seine Glieder, als die gleichfalls eiskalten Hände seines Ebenbildes sich nach vorn reckten und über seinen Körper wanderten, an ihm zerrten, um ihn über den Rand hinab in die Tiefe zu ziehen. „Mach weiter. Du kannst jetzt nicht mehr aufhören. Nur du kannst es tun. Es gibt keinen Weg zurück.“ Ununterbrochen hörte er dieses Lachen, das seinen Leib verkrampfen ließ. Er streckte seine Arme nach vorn, drückte die Handballen gegen die Brust seines fremden Ichs, um es von sich zu schieben. Doch seine Kraft reichte nicht aus. Er fühlte die eisigen Fingerspitzen sein Rückgrat nachzeichnen und ihn unaufhaltsam näher an den Abgrund ziehen. Vergeblich stemmte er sich zurück, kämpfte dagegen an. Wo konnte er Halt finden? Wieso war da nichts mehr? Warum griff er überall ins Leere? „Es ist ganz leicht. Nur ein kleiner Schritt. Sei tapfer, gut so, du schaffst es. Verlier die Kontrolle.“ Ein zweites Paar Hände strich über seinen Bauch und umfing ihn von hinten. Light spürte, wie Handflächen und schlanke Finger sich auf seine Brust legten, ihn in einer sanften Umarmung festhielten. Jemand in seinem Rücken drückte ihn schützend an sich. Als sich eine dieser warmen Hände von ihm löste, um das Trugbild seiner selbst brutal am Hals zu packen, sah Light hinauf und erkannte, dass es L war, der sich über ihn beugte. Dann hörte er seine eigene Stimme laut lachen und schreien: „Komm schon, Light! Füttere mich mit deiner Dunkelheit.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)