So einfach von GotoAyumu (Yamato Ishida x Taichi Yagami / Hiroaki Ishida x Yamato Ishida) ================================================================================ Kapitel 9: ----------- Ich stehe im Badezimmer und betrachte die Person, die ich darin sehe. Da steht ein junger Mann mit nassen, blonden Haaren. Unzählige Wassertropfen laufen die helle Haut hinab, welche einen schönen Kontrast zu den vielen blassrosa bis dunkelroten Narben bildet. Ganz frische Verletzungen zieren weder den linken Arm noch den Oberkörper, was darauf hindeutet, dass seit längerem keine Rasierklingen zum Einsatz kamen. Mein Blick wandert weiter über den Körper. Er ist dünn, aber noch nicht bedenklich abgemagert. Ich schließe die Augen und atme tief ein. Langsam öffne ich sie wieder und schaue meinem Gegenüber direkt ins Gesicht. Dunkle Schatten zeugen von wenig Schlaf. „Das bin ich“, versuche ich mir laut zu verdeutlichen. Diese Worte klingen merkwürdig und fremd in meinen Ohren. Ein unangenehmes Gefühl stellt sich ein. „Das bin ich“, wiederhole ich meine Aussage, um deren Sinn zu begreifen. „Das ist der Mensch, den ich abgrundtief hasse, der gleichzeitig aber von Taichi geliebt wird.“ Ein bitteres Lachen entweicht meiner Kehle. „Was für ein Paradoxon.“ Angewidert wende ich mich ab. Einmal mehr muss ich feststellen, dass ich es nicht schaffe, meinen Selbsthass auszublenden. Rasch ziehe ich mir einen Bademantel über und verlasse zügig das Badezimmer, um dem aufkommenden Verlangen nach Schmerz und Selbstschädigung nicht nachgeben zu können. Die Klingel ertönt und verkündet das Ende der Stunde. Sofort packe ich meine Sachen zusammen, verlasse den Raum und laufe die Stufen hinab auf den Hof. Es ist kühler geworden, sodass ich meine Jacke anziehe, welche ich, über den Arm gelegt, getragen habe. Am Schultor bleibe ich stehen und blicke mich um. Gerade als ich mir eine Zigarette anzünden will, entdecke ich Tai, der schnellen Schrittes auf mich zukommt. „Stehst du hier schon lange?“, erkundigt er sich. Ich verstaue die Zigarettenschachtel und das Feuerzeug in meiner Jackentasche und schüttele den Kopf. Wir wenden uns zum Gehen, doch dann wird die Aufmerksamkeit meines Freundes von etwas abgelenkt. „Warte kurz.“ Ich beobachte, wie er zielgerichtet auf meinen Klassenkameraden zugeht und beeile mich zu Tai aufzuschließen. Er packt meinen Mitschüler gewaltsam am Kragen, welcher einen Moment braucht, um die unerwartete Situation zu erfassen. „Sag mal, ist Wahnsinn ansteckend?“, fragt er provozierend und sieht dabei mich an. Als Antwort bekommt er die Faust meines Freundes zu spüren, welche er ihm hart ins Gesicht schlägt. Mein Klassenkamerad geht zu Boden. Wütend funkelt er Tai an, während er sich über die gerötete Wange streicht. „Steh auf“, befiehlt mein Freund und zieht meinen Mitschüler am Kragen wieder auf die Füße. „Was willst du eigentlich von mir?“, will der empört wissen. „Dass du in Zukunft deine Finger von Yamato lässt“, antwortet Tai hasserfüllt. Sein Gegenüber beginnt laut zu lachen. „Eifersucht macht aus Menschen Idioten“, bemerkt er amüsiert und bekommt es sogleich mit einem Schlag in den Magen quittiert. Er geht keuchend in die Knie, hält sich vor Schmerzen den Bauch. „Reagierst du immer so übertrieben, wenn jemand Hand an deinen Schatz legt? Ich weiß nicht, von wem sich Yamato noch vögeln lässt, aber ich habe ihn nur ein einziges Mal genommen. Und selbst da mussten wir mittendrin abbrechen.“ Mein Freund schaut verdutzt zu mir, doch ich widme meine Aufmerksamkeit meinem Klassenkameraden. Seine Aussage irritiert mich. Zum ersten Mal nannte er mich beim Namen. Auch bilde ich mir ein, Bedauern in seiner Stimme gehört zu haben. Ich werde aus diesem Menschen einfach nicht schlau, doch genau das weckt mein Interesse und meine Begierde. „Yamato“, holt Tai mich aus meinen Gedanken. „Ich wäre mir an deiner Stelle dennoch nicht sicher“, grinst mein Mitschüler hämisch. „Wenn ich es darauf anlegen würde, würde Yamato sich wieder von mir ficken lassen.“ Er schaut zu mir, als erwarte er eine Reaktion. Ich lächle vielsagend. Ohne Vorwarnung tritt Tai meinen Klassenkameraden in die Seite, sodass der mit einem Schmerzensschrei zusammenbricht. Als mein Freund nachtreten will, halte ich ihn fest. „Taichi!“, sage ich bestimmt. „Lass mich los! Dieser Wichser geht mir auf die Nerven mit seiner selbstgefälligen Art.“ Er windet sich, wodurch ich gezwungen bin meine Umklammerung zu verstärken. Es kostet mich alle Kraft, Tai an seinem Vorhaben zu hindern. So wütend habe ich meinen Freund selten erlebt. „Nein, Tai. Das bringt doch nichts. Letztlich bekommst nur du Ärger, wenn du ihn zusammenschlägst. Noch dazu genau vor der Schule.“ „Warum setzt du dich für diesen Penner ein? Was willst du von dem?“ Ich schaue auf meinen Klassenkameraden herab, der gerade versucht, aufzustehen. Seine Blicke sagen mir, dass ich diesen Vorfall bereuen werde. Ich lächle und beantworte schließlich Tais Frage. „Spielen.“ Mein Freund gibt seine Gegenwehr auf und sieht mich entgeistert an. Ich wende meine Augen von meinem Mitschüler ab, dessen Mimik ich nicht zu deuten vermag, und blicke Tai an. „Empfindest du etwas für ihn?“ Sein Tonfall ist abfällig und sein Gesichtsausdruck angewidert. „Ja“, gebe ich ehrlich zur Antwort. Mein Klassenkamerad, der inzwischen wieder aufrecht steht, schaut mich verwirrt an, sagt jedoch nichts. „Von ihm geht eine Faszination aus, derer ich mich nicht entziehen kann. Er weckt seltsame, perverse Begierden in mir. Taichi, du fragtest einmal, was ich von anderen bekommen könnte, dass du mir nicht geben kannst. Hass. Selbst in deiner Brutalität spüre ich Liebe. Im Gegensatz zu jemandem, der wirklich hasst, ist das Gefühl bei dir vollkommen anders.“ „Heißt das, der Wichser hat mit seiner Behauptung recht? Du würdest dich wieder von ihm ficken lassen?“ Ich schweige, halte dem Blick meines Freundes aber stand. Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Du bist echt das Letzte, Yamato!“ Tai macht Anstalten zu gehen, doch ich halte ihn am Arm zurück. „Taichi…“, setze ich an, komme jedoch nicht zu Wort. „Fass mich nicht an, du dreckige Hure!“, speit er mir giftig entgegen, reißt sich los und lässt mich mit meinem Mitschüler stehen. Ich spüre, dass dieser von hinten an mich herantritt, während ich meinem Freund nachschaue und überlege, ob ich ihm folge. Er greift mir in die Haare und zieht meinen Kopf derb zu sich, sodass seine Lippen direkt an meinem Ohr sind. „Ich sagte doch, ich mache dir das Leben zur Hölle. Und das funktioniert am besten über deinen Stecher, wie mir scheint.“ Ich drehe mich um und setze ein Grinsen auf. Grob ziehe ich meinen Klassenkameraden zu mir heran. Ich streiche ein paar Strähnen aus seinem Gesicht, dann zwinge ich ihm einen Zungenkuss auf, welchen er zu meiner Verwunderung erwidert. Als wir uns voneinander lösen, entgegne ich in kühlem Ton: „Weit gefehlt, mein Süßer.“ Ich stoße ihn so stark von mir, dass er ins Wanken gerät. „Aber in einem hast du recht. Wir sind noch lange nicht miteinander fertig.“ Nachdenklich sitze ich auf meinem Bett und spiele wahllos Akkorde, ohne auf die Sauberkeit der Töne zu achten. Seit dem Vorfall mit meinem Klassenkameraden sind zweieinhalb Wochen vergangen. Damals haben Tai und ich zum letzten Mal miteinander gesprochen. Zwar sehen wir uns jeden Tag in der Schule, doch auch wenn sich unsere Blicke beim Aneinandervorbeigehen treffen, sagt keiner ein Wort. Es tut weh, von meinem Freund mit traurigen Augen bedacht zu werden. Ich weiß, dass er darauf wartet, von mir angesprochen zu werden, und doch bin ich unfähig zu handeln. Mir ist bewusst, dass ich die Schuld an der vorherrschenden Situation trage, aber eine Lösung der Problematik erscheint mir als unmöglich. Ich höre auf zu spielen und starre auf einen unbestimmten Punkt. Meine Gefühle für Taichi sind klar, da bestehen meinerseits keine Zweifel mehr. Allerdings befürchte ich, dass mein Freund mir nach all dem nicht mehr glaubt. Ich seufze. Es bringt nichts, mir den Kopf zu zerbrechen. Ich sollte mit Tai reden. Es gibt einiges zu besprechen und vor allem zu klären. Außerdem vermisse ich ihn, seine Nähe, seine Stimme, seinen Geruch, ihn zu berühren, ihn zu spüren. Mein Verlangen, ihn zu sehen, wird übermächtig. Ich stehe auf und stelle die Gitarre an ihren Platz, dann verlasse ich das Zimmer. Im Flur ziehe ich meine Low Chucks und eine Jacke an. Schnell schreibe ich meinem Vater noch einen Zettel, um ihn über meinen Aufenthaltsort in Kenntnis zu setzen. Den Schlüssel und das Portemonnaie in die Taschen steckend mache ich mich auf den Weg zu meinem Freund. Unschlüssig stehe ich vor der Wohnung der Yagamis. Mittlerweile bin ich mir meiner Sache nicht mehr so sicher. Vielleicht habe ich die Blicke meines Freundes falsch gedeutet und er will mich gar nicht sehen. Immerhin war er so sauer und hasserfüllt, dass er mir derbe, vulgäre Beleidigungen an den Kopf geworfen hat. Seine abwertenden Bezeichnungen für meine Person sind mir jedoch egal. Vielmehr bereitet mir die extreme Verachtung, welche er mir entgegenbrachte, Sorgen. Ich weiß, dass diese sich hauptsächlich gegen mich richtet und weniger gegen meinen Mitschüler, was ich durchaus verstehe. Letztlich bin auch ich mir meiner Perversität bewusst. Ich setze dadurch viel aufs Spiel und laufe Gefahr, Tai zu verlieren. Meine Gedanken werden unterbrochen, als sich die Tür plötzlich öffnet und ich direkt in die braunen Augen meines Freundes blicke. „Tai… ich…“, beginne ich stotternd. „Was willst du?“, unterbricht mich dieser in geringschätzigem Tonfall. „Ich denke, wir müssen reden.“ „Müssen wir das?“ Mein Freund schiebt sich an mir vorbei und geht die ersten Stufen hinab. Dann dreht er sich noch einmal zu mir um. „Ich denke, es ist alles gesagt.“ Bestürzt sehe ich Tai nach, der die Treppe weiter nach unten läuft. Ich kann und will nicht glauben, dass es das gewesen sein soll. Er darf sich nicht von mir trennen. Angsterfüllt renne ich hinter ihm her, greife ihn fest am Arm und ziehe ihn zu mir herum. „Sagte ich dir nicht, du sollst deine dreckigen Finger von mir lassen? Also fass mich nicht an!“ In seiner Stimme kann ich außer Ablehnung nichts erkennen, seine Augen verraten mir, dass er tief verletzt ist. Wütend und doch hilflos steht er vor mir. „Nein, ich lasse dich nicht los. Und ich lasse dich auch nicht gehen.“ Ich versuche ruhig zu wirken, aber meine Panik zeigt sich bereits in Form von Zittern, welches inzwischen meinen ganzen Körper erfasst hat. „Was willst du denn noch von mir? Lass dich von einem anderen vögeln, du scheinst ja genug zur Auswahl zu haben.“ „Ich schlafe aber mit niemandem außer dir. Es gab bisher nur eine Ausnahme und davon weißt du. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass du mir nicht glaubst.“ Ich sehe Verwirrung im Gesicht meines Freundes. „Warum hast du dich nie verteidigt, wenn dir vorgeworfen wurde, du würdest dich von jedem ficken lassen? Selbst meine Beleidigungen hast du wortlos über dich ergehen lassen. Warum, Yamato?“ Tais Fassade beginnt zu bröckeln und ein Stück Verzweiflung schimmert hindurch. Ich zucke mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich weil es mir egal ist, was andere Menschen über mich denken.“ „Und ich? Ist es dir auch egal, was ich denke?“ „Nein. Aber dir vertraue ich.“ „Ich weiß“, sagt mein Freund nach einer kurzen Pause. Er schaut betreten zu Boden. „Bei dir ist das mit dem Vertrauen so eine Sache. Du weißt, was ich meine.“ Ich nicke. „Deshalb versuche ich so ehrlich wie möglich zu dir zu sein. Aus diesem Grund kann ich dir auch keine Versprechungen machen. Du weißt, dass ich mich oft selbst nicht einschätzen kann und die Kontrolle über mein Verhalten und meine Handlungen verliere. Das soll keine Entschuldigung für meine Verfehlungen sein, ich möchte mich nur erklären. Zudem bin ich mir darüber im Klaren, dass ich dich mitunter sehr verletze.“ „Heißt das, ich soll es einfach akzeptieren?“, unterbricht mich Tai. „Ich soll zusehen, wie du dich und somit auch mich zerstörst? Es geht nicht nur um dein Leben, mach dir das endlich bewusst!“ „Was soll ich tun, Taichi?“, frage ich mit brüchiger Stimme. Ich lasse den Arm meines Freundes los und meinen eigenen sinken. Mit einem Mal scheint alle Kraft aus meinem Körper zu entweichen. Mein Freund schaffte es gerade noch, mich zu stützen, bevor ich zusammensacke. Langsam laufen wir ein Stück bis zur nächsten Seitengasse. Dort setzt Tai mich behutsam auf den Boden und hockt sich vor mich. „Geht es?“, fragt er besorgt, während er mir seine Hand auf die Schulter legt. „Du zitterst.“ „Was soll ich tun?“, wiederhole ich meine Frage, allerdings so leise, als würde ich es mehr zu mir selbst sagen. Schützend umfängt mein Freund mich mit seinen Armen und drückt meinen Körper fest an sich. Ich höre seinen Herzschlag und schließe die Augen. „Beruhige dich erst einmal“, flüstert er sanft in mein Ohr. „Ich habe Angst, dich zu verlieren.“ Tränen füllen meine Augen und ich kralle meine Finger in Tais Pullover. „Bitte, lass mich nicht los.“ „Yamato.“ Mein Freund schiebt mich leicht von sich und schaut mich ernst an. „Du verlierst mich nicht, aber ich lasse mir auch nicht alles gefallen. Ich weiß, dass dein Verhalten manchmal unkontrolliert, beinahe zwanghaft ist, dennoch toleriere ich es nicht. Wenn du dir Fehltritte leistest, musst du auch die Konsequenzen in Kauf nehmen.“ „Ich habe ihn geküsst“, werfe ich ganz unvermittelt ein und wische mir die Tränen aus den Augen. „Was?“ Verwirrt schaut Tai mich an. „Meinen Klassenkameraden. Nachdem du damals weg warst. Er ist der Meinung, mir schaden zu können, indem er dich mit einbezieht. Davon muss ich ihn abbringen.“ Ich sehe Unverständnis im Gesicht meines Freundes. „Deine Logik ist völlig abstrus. Manchmal frage ich mich wirklich, was in deinem Kopf vorgeht. Du kannst so weltfremd sein, dass es beängstigend ist.“ „Mag sein, aber ich will dich für mich allein.“ Liebevoll streiche ich über Tais Wange, hinab zu seinem Hals. „Ich lasse nicht zu, dass dich jemand für seine Zwecke missbraucht.“ Mit meiner Hand umfasse ich seinen Nacken, ziehe seinen Kopf zu mir heran und küsse ihn. Meine andere Hand legt sich um seine Kehle und drückt zu. Unser Zungenspiel ist leidenschaftlich, verliert jedoch an Intensität und bricht schließlich vollends ab, als mein Freund zu Husten beginnt. Seine Atmung ist flach und unregelmäßig und ich spüre, dass sein Körper erschlafft. Ich lasse Tai los und drehe ihn so, dass er sich sitzend bei mir anlehnen kann. Sachte lege ich meine Arme um ihn und registriere seine hektische Atmung. „Wohin wolltest du eigentlich?“ Mein Freund braucht eine Weile, um mir antworten zu können. „Ich sollte für meine Mutter ein paar Besorgungen machen“, antwortet er schließlich, noch immer etwas benommen. „Sollten wir uns dann nicht langsam auf den Weg machen?“ „Nein. Halt mich bitte einfach fest.“ Seine Stimme zittert. Ich frage mich, ob er weint, schweige allerdings und ziehe ihn enger in die Umarmung. Sein Haar duftet angenehm nach Shampoo, für einen Moment schließe ich meine Augen. Eine Lösung für das Problem haben wir nach wie vor nicht gefunden, doch im Grund wissen wir beide, dass es die nicht gibt. Es ist nur die Verzweiflung, die uns weiter sinnlos danach suchen lässt. Ich drehe den Schlüssel im Schloss und öffne die Wohnungstür. Müde ziehe ich im Flur die Schuhe aus und hänge meine Jacke an den dafür vorgesehenen Haken. Das Portemonnaie und den Schlüssel lege ich zurück auf die Kommode. „Yamato, du kommst spät.“ Mein Vater schaut aus dem Wohnzimmer zu mir. „Ja, tut mir leid.“ Langsam gehe ich ein paar Schritte auf ihn zu, bleibe aber im Türrahmen stehen. Der Fernseher läuft und auf dem Tisch steht eine angefangene Flasche Wein, daneben ein halb geleertes Glas. „Setz dich, ich muss mit dir reden.“ Eigentlich will ich nur noch in mein Bett. Der Tag war seltsam anstrengend, mein Kopf schmerzt fürchterlich und ich habe das Gefühl, gleich zusammenzubrechen. Meine Beine scheinen mein Gewicht kaum noch tragen zu können. Ich stütze mich am Holz des Rahmens ab. „Geht es dir nicht gut? Du siehst schlecht aus, sehr blass und erschöpft.“ Mein Vater blickt mich voller Sorge an. Ich überlege, was ich ihm antworten soll, drifte mit meinen Gedanken jedoch ab. Unsere Unterhaltung und das Verhalten von Tai gehen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Irgendwas war anders als sonst. Irgendwas hat sich verändert. Ich beginne zu frösteln. Liegt das an der Müdigkeit? Oder dem unguten Gefühl, welches sich gerade einstellt? Mein Denken blockiert und ich verliere den Faden. Bewegungslos starre ich auf den Boden. „Doch“, antworte ich meinem Vater abwesend. „Yamato! Du scheinst gerade wieder in eine Apathie abzudriften. Versuche in der Realität zu bleiben. Sieh mich an!“ Ich hebe meinen Kopf, blicke aber durch meinen Vater hindurch. „Hörst du mich? Verstehst du meine Worte?“ Mein Nicken ist automatisiert und kaum merklich. „Dann sprich mit mir! Komm zu mir!“ Ich rege mich nicht und bleibe wie versteinert in der Tür stehen. Zwar nehme ich meinen Vater und seine Bemühungen wahr, schaffe es jedoch nicht, darauf einzugehen. Dieser steht auf und geht in meine Richtung. Vor mir bleibt er stehen. Mit beiden Händen packt er mich an den Schultern und schüttelt meinen Körper. „Wehr dich, verdammt nochmal! Gib dich nicht immer kampflos auf!“ Ich frage mich, ob mein Vater recht hat. Aber selbst wenn, es ist nicht von Bedeutung. Mir ist mittlerweile egal, ob ich lebe oder sterbe. Die körperlichen Erschütterungen werden kraftvoller und intensivieren zusätzlich meine Kopfschmerzen. „Papa, bitte lass mich los.“ Meine Stimme ist tonlos und leiser als beabsichtigt. Sofort hält mein Vater inne und beobachtet meine Mimik genau. „Setzen wir uns. Du siehst aus, als würdest du gleich das Bewusstsein verlieren.“ Er lenkt meine Schritte zum Sofa und wir nehmen beide darauf Platz. „Ist etwas passiert? Du stehst ja völlig neben dir.“ Ratlos zucke ich mit den Schultern. „Was wolltest du mit mir besprechen?“, lenke ich die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema. Mein Vater sieht mich bestürzt an. Er schweigt einen Moment. „Vielleicht sollten wir das auf später verschieben. Es ist auch schon spät.“ „Nein. Morgen ist keine Schule. Ich würde ansonsten die ganze Zeit darüber nachdenken.“ Meine Worte entsprechen der Wahrheit, auch wenn meine Konzentration ihren Tiefpunkt erreicht hat. Seufzend streicht mir mein Vater durch das Haar. „Ich habe von meiner Firma das Angebot erhalten, für einige Zeit als Auslandskorrespondent nach Berlin zu gehen.“ Verwirrung zeichnet sich auf meinem Gesicht ab. Es fällt mir schwer, die Bedeutung dieser Aussage zu erfassen. Ganz zu schweigen von den Konsequenzen. „Dann nutze die Gelegenheit“, sage ich schließlich ohne nachzudenken. „So einfach ist das nicht. Ich müsste dich hier allein zurücklassen und das bereitet mir großes Unbehagen. Momentan scheint es dir ganz allgemein zwar etwas besser zu gehen, aber der Vorfall von eben zeigt, wie leicht dein Befinden kippen kann und wie labil du eigentlich bist.“ „Also behindere ich dich wieder einmal?“, werfe ich bitter ein. „Das ist Unsinn, Yamato. Aber die Tatsachen sind unumstößlich, noch dazu bist du minderjährig.“ „Heißt das, du lehnst das Angebot ab?“ „Ich möchte deine Meinung dazu hören.“ „Tu das, was sich für dich richtig anfühlt.“ Ich bin darum bemüht, gleichgültig zu klingen und meine Gefühle zu verbergen. Schwerfällig erhebe ich mich. „Ich gehe ins Bett, die Müdigkeit wird übermächtig.“ Wankend verlasse ich das Wohnzimmer und gehe in mein eigenes Zimmer. Umständlich entledige ich mich meiner Kleider. Ich will gerade meine Unterhose ausziehen, als es an der Tür klopft, fast gleichzeitig öffnet sie sich. Die Blicke meines Vaters haften auf meinem Körper. „Du hast dich schon länger nicht geschnitten?“, fragt er vorsichtig, wahrscheinlich weil keine frischen Wunden zu erkennen sind. „Nein“, gebe ich kurz zur Antwort. „Was ist noch? Ich würde gern schlafen gehen.“ „Das verstehe ich, aber das Thema ist noch nicht beendet. Können wir morgen noch einmal darüber reden?“ Ich setze mich auf das Bett. „Meinetwegen.“ „Okay. Dann schlaf gut“, sagt er mit gedämpfter Stimme und schließt die Tür hinter sich. Wie erstarrt bleibe ich sitzen. Ich fühle mich leer, schutzlos, hilflos und ohne Halt. Tränen füllen meine Augen und laufen unablässig über meine Wangen. Mein Vater darf mich nicht verlassen, ohne ihn schaffe ich es nicht, aber das kann ich ihm nicht sagen. Zittrig stehe ich auf und gehe zu meinem Kleiderschrank. Aus den verschiedenen Kleidungsstücken hole ich eine Packung Schmerzmittel und eine Schachtel Schlaftabletten. Mit viel Wasser schlucke ich den kompletten Inhalt beider Verpackungen, dann gehe ich zum Fenster und öffne es. Fahrig zünde ich eine Zigarette an, ziehe den Rauch tief und schnell hintereinander ein. Es ist bereits weit nach Mitternacht. Die Luft ist kühl, sodass ich zu frösteln beginne. Schwindel macht sich bemerkbar, vielleicht weil ich die Zigarette zu heiß geraucht habe. Den Filter, denn mehr ist von der Zigarette nicht übrig, werfe ich aus dem Fenster, welches ich geöffnet lasse. Probleme mit der Koordination und dem Gleichgewicht stellen sich ein, weshalb es sich schwierig gestaltet, in mein Bett zu gelangen. Immer wieder knicke ich ein, stoße irgendwo an oder verwechsle die Richtungen. Mein Zimmer kommt mir unglaublich groß vor. Letztlich schaffe ich es, mehr auf allen Vieren als im aufrechten Gang, mein Bett zu erreichen. Ich ziehe mich mühsam auf die Matratze und bleibe wie tot liegen. Noch immer weine ich und hoffe, dass mich die Wirkung der Tabletten betäubt und vor der Realität, die so schmerzhaft ist, flüchten lässt. Den Kopf unter meinem Kissen vergraben liege ich wie versteinert in meinem Bett. Ich befinde mich noch im Halbschlaf und bekomme nur am Rande meiner Wahrnehmung mit, dass die Tür zu meinem Zimmer geöffnet wird. „Du liegst noch immer im Bett?“, stellt mein Vater fragend fest. Ich gebe knurrende Laute von mir, rühre mich aber nicht. „Es ist halb vier durch, willst du nicht langsam aufstehen?“ „Nein“, nuschele ich in mein Laken. Durch das Absenken der Matratze merke ich, dass sich mein Vater zu mir setzt. Mit seiner Hand streicht er fürsorglich über meinen Rücken. „Sei ehrlich, du hast wieder Tabletten geschluckt.“ Wütend werfe ich meinem Vater das Kissen entgegen, setze mich auf und funkle ihn böse an. „Was soll das jetzt wieder?“ „Liege ich wirklich falsch?“, antwortet er mit einer Gegenfrage. Mein Blick fällt auf meinen Kleiderschrank. Ich schweige. „Warum, Yamato?“ Der Stimme meines Vaters entnehme ich keinerlei Vorwürfe, lediglich Besorgnis. Heftig schüttele ich den Kopf. Ich darf nicht schwach werden, ich darf meinem Egoismus keine Chance geben, ich darf meinen Vater nicht mehr am Leben hindern. „Mach dir bitte keine Sorgen. Ich war einfach nur ziemlich erschöpft und müde.“ Offenbar ist das Lächeln, welches ich ihm entgegenbringe, nicht sehr überzeugend, da er mich eingehend betrachtet. „Wirklich, Papa. Und vielleicht ist es tatsächlich die beste Entscheidung, wenn du gehst, Abstand gewinnst und dich nur auf dich und deine Arbeit konzentrieren kannst.“ „Wie soll das funktionieren, wenn ich in Gedanken letztlich doch nur bei dir bin? Und hör auf dich als Hindernis zu bezeichnen. Das bist du nicht. Ich liebe dich und ich will, dass es dir gut geht.“ Krampfhaft bemüht die Tränen zurückzuhalten, richte ich meinen Blick beschämt nach unten. „Weißt du schon, von welchem Zeitraum die Rede ist?“, frage ich, obwohl ich Angst vor der Antwort habe. „Teilweise. Es soll im Dezember, noch vor Weihnachten, losgehen. Angedacht ist erst einmal ein Jahr, doch eine Verlängerung ist wahrscheinlich.“ Ich habe das Gefühl, sämtlichen Halt zu verlieren. Meine schlimmsten Befürchtungen umfassten einige Monate, aber diese Aussichten sind mehr, als ich verkrafte, ebenso wie die Tatsache, dass bereits Oktober ist. Ich befinde mich im Zwiespalt, ob ich meinem Vater meine wahren Empfindungen bezüglich der Problematik mitteilen soll, und es sieht so aus, als würde der Egoismus wieder einmal gewinnen. „Papa…“, beginne ich leise. „Ich habe mit Taichi gesprochen“, übergeht mich mein Vater. Anscheinend hat er mich nicht gehört, was sich als positiv herausstellt, denn irritiert schaue ich ihn an. „Was? Worüber?“ „Dieses Thema.“ „Du hast mit ihm gesprochen, bevor du zu mir kamst? Ich dachte, ich bin dein Sohn.“ Mein Tonfall ist eher verwirrt als beleidigt. Ich verstehe die Situation gerade nicht. „Und was hat Tai überhaupt damit zutun?“, füge ich noch hinzu. „Ich fragte ihn, ob er hier einziehen möchte, während ich im Ausland arbeite. Da er selbstverständlich erst mit seinen Eltern reden musste, um ihre Zustimmung einzuholen, sagte ich dir vorerst nichts. Denn hätte Taichi meinen Vorschlag abgelehnt, wäre ein Auslandsaufenthalt für mich überhaupt nicht infrage gekommen.“ „Hast du so wenig Vertrauen in mich, dass du einen Aufpasser für mich engagieren musst?“ Anhand der Mimik meines Vaters erkenne ich, was er als nächstes sagen wird. „Zum Einen dachte ich, dass Taichi dein Freund ist und es dir somit gefallen würde, mit ihm zusammenzuwohnen, und zum Anderen, hast du so viel Vertrauen in dich, mit allem allein fertig zu werden, einschließlich dir selbst?“ Ich weiche seinem Blick aus und bedeute ihm somit, dass er richtig liegt. Es hat noch nicht einmal etwas mit Vertrauen zu tun, ich weiß, dass ich zugrunde gehen würde. Es ist ein Paradoxon. Ich ertrage die Nähe von anderen Menschen nicht und bin lieber allein, aber allein bin ich nicht lebensfähig. „Yamato, ich möchte dich zu nichts drängen, zwingen schon gar nicht oder dich in irgendeiner Art und Weise abschieben. Denk in Ruhe darüber nach, okay? Ich verlange nur, dass du ehrlich bist.“ Aufmunternd legt er seine Hand auf meine Schulter. „Ich muss nicht mehr nachdenken. Tai fragte mich neulich, ob wir zusammenziehen wollen. Jetzt weiß ich, woher diese plötzliche Idee kam. Es ist im Grunde gar nicht sein Wunsch, sondern nur ein Gefallen. Dennoch…“ „Nein, du irrst dich. Er war sehr erfreut und hat mit seiner Antwort keinen Augenblick gezögert.“ Dann frage ich mich, ob er diese Entscheidung mittlerweile bereut. Ich denke an unseren letzten Kontakt. Wieder beschleicht mich ein merkwürdiges Gefühl. „Ich bin einverstanden. Und du musst dir keine Sorgen machen. Tai und ich bekommen das schon hin.“ Ich hoffe, dass mein Lächeln nicht so gekünstelt aussieht, wie es sich anfühlt. Mich selbst zur Ruhe ermahnend schlucke ich einige Schmerztabletten ohne Wasser hinunter, dann setze ich mich verunsichert auf mein Sofa. Tief atme ich ein. Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass mir mein Leben gerade vollends entgleitet? Nicht, dass es jemals anders war, aber normalerweise ging der Kontrollverlust meist von mir aus. Und selbst wenn ich die Kontrolle verlor, so hatte ich doch die Kontrolle darüber. Ich kannte das Ziel und ließ es nie aus den Augen. Aber jetzt fühle ich mich einfach nur hilflos. Ich habe kaum Einfluss auf die Geschehnisse um mich herum. Und die immer wiederkehrende Gleichgültigkeit scheint ein Schutzmechanismus zu sein, der allerdings nur mäßig funktioniert und mich mehr tot als lebendig fühlen lässt. Es ist mir nicht möglich, meine Empfindungen als solche zu benennen. Dabei ist dieser Zustand eigentlich nicht neu für mich, nur spielte meine Umwelt sonst keine große beziehungsweise eine andere Rolle. Hinzu kommen die inneren Widersprüche, welche mich wanken und taumeln lassen. Sie verhindern, dass ich einen klaren Gedanken fassen kann, und sorgen dafür, dass mein Kopf überfüllt oder völlig leer ist. Manchmal sogar beides zugleich. Auch jetzt merke ich, dass meine Gedanken ziemlich wirr sind, keinen Sinn ergeben und ohne jede Richtung, geschweige denn Ziel erscheinen. Es ist armselig, wie sehr mein eigenes Denken mich durcheinanderbringt. Doch auch wenn ich nicht sagen kann, was richtig oder falsch ist, weiß ich, dass sich der momentane Zustand nicht unbedingt richtig anfühlt. Fakt ist auch, dass ich mit Veränderungen nicht gut umgehen kann, aber genau das ist es, was in nächster Zeit auf mich zukommen wird. Ein beklemmendes Gefühl breitet sich in mir aus. Ich will nicht über all diese Dinge nachdenken müssen, denn sonst stellt sich mir irgendwann zwangsläufig die Frage, wie lange es noch so weitergehen kann, und darauf habe ich keine Antwort. Ebenso wenig darauf, ob ich es bedauern oder froh sein würde, wenn meine Stimmung und Suizidalität abermals kippen. Vielleicht wäre ich erleichtert, obwohl es für Tai und meinen Vater wahrscheinlich wieder eine größere Belastung bedeutet. Nur bei Tai bin ich mir nicht mehr so sicher. Als wir uns vor ein paar Tagen das letzte Mal trafen, verhielt er sich für mich unverständlich. Vielleicht ist er noch immer sauer, obwohl ich eigentlich keinen Grund dafür sehe. Dennoch ist die Atmosphäre angespannt, oder eher unterkühlt. Die Einkäufe für seine Mutter erledigten wir schweigend, danach blieb ich bis in die späten Abendstunden bei meinem Freund. Wir sprachen noch immer kaum miteinander. Ich war irritiert, als Tai unvermittelt fragte, ob ich mit ihm schlafen würde. Er übernahm den aktiven Part, doch seine Handlungen kamen mir abwesend und automatisiert vor. Der Sex fühlte sich merkwürdig fremd an, ich konnte Taichi nicht spüren, obwohl er in mir war. Danach lagen wir schweigend nebeneinander, ohne dass sich unsere Körper berührten. Irgendwann bin ich gegangen. Ich wollte Tai auf sein Verhalten ansprechen, mir kam jedoch kein einziges Wort über die Lippen. Allgemein, aber auch wegen der momentanen Situation, habe ich ein ungutes Gefühl, was das Zusammenziehen betrifft. Ich glaube, es wird uns endgültig kaputt machen. Und doch, oder gerade deshalb, gibt es für mich keinen anderen Weg mehr. Einen kurzen Moment schließe ich meine Augen. Ich öffne sie wieder, als es an der Tür klopft. „Tai…“, entweicht es meiner Kehle, als er hereinkommt und auf meinem Bett Platz nimmt. Ich bin überrascht ihn zu sehen, denn mit einem Besuch seinerseits hätte ich nicht gerechnet. Auffallend ist, dass mein Freund mich nicht ansieht. Eine Weile beobachte ich ihn, doch er sitzt nur bewegungslos, starr auf den Boden blickend, da. Ich stehe auf, gehe zum Fenster und zünde mir eine Zigarette an. Unverwandt schaue ich Tai an, während ich den Rauch inhaliere. „Warum bist du hergekommen?“, frage ich schließlich, doch mein Freund reagiert nicht. „Verdammt nochmal! Taichi, ich rede mit dir!“ Meine Stimme ist lauter und nachdrücklicher. Ich werfe die Zigarette aus dem Fenster und gehe auf Tai zu. Vor ihm bleibe ich stehen und setze mich auf den Boden, sodass er gezwungen ist, mich anzusehen. „Sag mir bitte, was los ist.“ „Haben wir jemals eine Chance gehabt oder war unsere Beziehung von Anfang an zum Scheitern verurteilt?“ Mein Freund spricht leise und ohne Emotionen. Bestürzung, Hilflosigkeit, Wut und Verzweiflung ergreifen Besitz von mir und lähmen mich für einen Augenblick. „Was soll das heißen? Gibst du uns auf? Warum?“ Die Gedanken in meinem Kopf rasen, doch ich bekomme keinen einzigen zu fassen. „Du denn nicht?“ Zum ersten Mal, seit er hier ist, habe ich das Gefühl, dass Tai mich wirklich ansieht. In seinen Augen lese ich Schmerz. Es ist also noch nicht zu spät. „Wie kommst du darauf?“ Ich hebe meine Hand und wische eine einzelne Träne von seiner Wange. „Ich werde uns nie aufgeben, aber das solltest du wissen. Und jetzt sag mir, was wirklich los ist.“ Tai dreht seinen Kopf zur Seite und weicht somit meinen Blicken aus. „Ich habe Angst“, gesteht er mir nach einem Moment des Schweigens. „Wovor?“ „Unserem Zusammenzug.“ Stille erfüllt den Raum, dann beginne ich laut zu lachen. An der Mimik meines Freundes erkenne ich, dass er meine Reaktion nicht versteht. „Du bist ein Dummkopf.“ Liebevoll ziehe ich ihn zu mir in eine Umarmung und flüstere in sein Ohr: „Ich auch. Und wir wissen beide, was das bedeutet. Wir wissen beide, dass wir aneinander zugrunde gehen werden. Aber nichts anderes will ich. Du kannst es nicht vorzeitig beenden!“ Resolut setze ich mich auf Tais Schoß und lege die Hände um seinen Hals. Sanft drücke ich zu. „Sag mir ins Gesicht, dass du mich verlassen willst“, säusele ich mit einem Lächeln. Ich verstärke den Druck massiv, sodass mein Freund zu husten beginnt. „Was ist los? Hat es dir die Sprache verschlagen? Du weißt, dass du jetzt sterben wirst, wenn du mich verlassen willst.“ Energisch drücke ich seinen Oberkörper nach hinten, sodass er auf der Matratze zum Liegen kommt. Ich bleibe auf seinen Oberschenkeln sitzen. Tais Augen sind geschlossen, seine Atmung ist unregelmäßig und schwerfällig. Diesmal bin ich entschlossen, bis zum Ende zu gehen. Ich werde Tai niemals freigeben. „Ich liebe dich, Taichi Yagami!“ Ohne von ihm abzulassen, beuge ich mich vor und küsse meinen Freund. Seine Erwiderung ist verhalten, allmählich scheint alle Kraft aus seinem Körper zu weichen. Als ich mich von seinen Lippen lösen will, spüre ich Tais Finger, die mein Handgelenk umklammern. Er öffnet die Augen und sieht mich eindringlich an. Ich lockere meinen Griff um seinen Hals, was einen erneuten Hustenanfall zur Folge hat. Sanft streiche ich ihm durch das Haar, um ihn zu beruhigen. „Ich werde dich nicht gehen lassen, egal, was du jetzt sagst.“ Mein Freund hebt seinen Arm und streicht mir liebevoll über die Wange. „Mein verletzlicher, kleiner Yamato. Immer wenn deine Angst übermächtig wird, verfällst du dem Wahnsinn. Es ist irgendwie süß, wie du dich dann deiner Verzweiflung hingibst und von ihr beherrscht wirst. Aber keine Sorge, ich werde dich nicht verlassen. Ich gebe zu, dass mir das Zusammenziehen mindestens genauso viel Angst macht wie dir, aber ebenso weiß ich, dass es nur diesen einen Weg für uns gibt.“ Ich muss lächeln, denn genau dieser Gedanke ging mir vorhin selbst durch den Kopf. „Ja, es gibt keinen anderen Weg. Weder für dich, noch für mich.“ Zitternd beuge ich mich hinab und berühre mit meiner Stirn die Schulter meines Freundes. „Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren. Du bist so ein Idiot!“, flüstere ich mit bebender Stimme. „Dabei dachte ich, du spieltest gern Spielchen.“ Tais Tonfall ist leicht sarkastisch. Ein bitteres Lachen entweicht meiner Kehle. „Ja“, bleibt meine einzige Antwort. Ich stehe mit einer Zigarette am Fenster und schaue hinaus. Der Himmel ist wolkenverhangen und die wenigen Blätter, die noch einsam an den kahlen Ästen hängen, wiegen sanft im Wind. Die Luft ist kalt geworden und es riecht nach Regen. Das rasche Voranschreiten der Zeit ängstigt mich. Bis zum Abschied von meinem Vater bleibt weniger als ein Monat. Dann sind Tai und ich weitestgehend auf uns allein gestellt. Nachdenklich nehme ich einen Zug von meiner Zigarette. Rein theoretisch müssten wir uns um finanzielle Aspekte nicht sorgen. Die Eltern meines Freundes kommen für seine Studienkosten auf und beteiligen sich an den Lebenshaltungskosten. Mein Vater bezahlt weiterhin Miete und Nebenkosten der Wohnung, das Schulgeld für mich sowie alle weiteren anfallenden Aufwendungen. Dennoch will ich versuchen neben der Schule zusätzlich etwas Geld zu verdienen, um keine allzu große Last zu sein. „Worüber denkst du nach?“, höre ich Tai in mein Ohr flüstern. Ich habe nicht bemerkt, dass er sein Konsolenspiel unterbrochen hat und hinter mich getreten ist. Mit seinen Armen umfängt er behutsam meine Taille, fast so, als hätte er Angst, mich zu zerbrechen. „Ich verzehre mich nach dir, aber du bist zu dünn. Deine Rippen sind viel zu deutlich fühlbar“, bemerkt Tai liebevoll, während er seine Hände unter mein Hemd schiebt und zärtlich über meinen Oberkörper streicht, jeden einzelnen Knochen des Brustkorbs nachzeichnend. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und somit leicht auf die Schulter meines Freundes. Dieser drängt seinen Körper dichter gegen meinen, mit seinen Fingern knöpft er langsam mein Hemd auf. Ich schließe die Augen. Unkonzentriert lasse ich die Zigarette aus meiner Hand gleiten, sodass sie aus dem Fenster in die Tiefe fällt. „Du bist wunderschön, Yamato.“ Ich spüre, dass Tai mittlerweile bei meiner Hose angelangt ist, sie öffnet und in meine Unterhose vordringen möchte. Sanft, aber bestimmt ergreife ich sein Handgelenk und bedeute ihm innezuhalten. „Was ist? Soll ich aufhören? Willst du nicht?“, fragt mein Freund leise, aber mit Verwunderung in der Stimme. „Doch, allerdings würde ich gern noch einen Moment mit dir so stehenbleiben. Bitte höre nicht auf mich zu berühren, halt mich fest, brenne dich tief in mich hinein, lass mich dich spüren.“ Tai streichelt verspielt über meine Kehle. „Möchtest du darüber reden?“ „Ich dachte einmal mehr über deinen Umzug zu mir nach. Nichts Schlimmes, nur ganz allgemein“, antworte ich wahrheitsgemäß. Mein Freund legt seine Finger um meinen Hals. Sein Atem kitzelt an meinem Ohr. Erregung steigt in mir auf und beschleunigt meine Atmung. Tais Hand wandert weiter zu meinem Nacken, diesen hinab, das Schulterblatt entlang, wieder nach oben zum Schulterknochen bis hin zum Schlüsselbein. Er schiebt mein Hemd etwas nach unten und verteilt Küsse auf Schulter und Hals, immer wieder unterbrochen von Liebkosungen mit seiner Zunge. „Hör auf zu denken und lass dich fallen“, nuschelt mein Freund und beißt spielerisch, aber nicht zaghaft in meine Haut. Ich ziehe die Luft leicht durch die Zähne ein. „Das ist nicht so einfach“, flüstere ich abwesend, denn das Verlangen lenkt meine Aufmerksamkeit ausschließlich auf Tais Berührungen. „Du hast recht. Aber wir wissen beide, dass es kein Zurück gibt.“ Sinnlich beißt er in mein Ohrläppchen. Ich atme geräuschvoll aus. „Hast du keine Angst mehr?“, frage ich schwerfällig. „Doch.“ Ich hebe meine Arme und strecke sie nach hinten aus. Mit den Fingern kralle ich mich in den Haaren meines Freundes fest. „Ich habe dich nie gefragt, was du gefühlt hast, als wir damals Sex hatten, nachdem wir für deine Mutter Besorgungen gemacht haben. Erinnerst du dich?“ Tai schlingt seine Arme fest um meinen Körper und legt seinen Kopf mit dem Kinn auf meine Schulter. Er scheint zu überlegen, denn seine Antwort kommt nicht sofort. „Hilflosigkeit, Angst, sowie Enttäuschung, Wut, Begierde und Liebe. Aber diese Empfindungen lähmten mich, sodass der Sex nahezu emotionslos war.“ Ich lasse meine Arme sinken und lege sie über die meines Freundes. „Ich konnte dich nicht spüren. Es war beinahe unerträglich“, hauche ich. Die Erinnerung an jenen Abend lässt mich frösteln. Mein Körper beginnt zu zittern. „Ist dir kalt?“, fragt Tai fürsorglich. „Nein. Ich fühle Schmerz. Es ist also alles gut.“ Ich schmiege mich mit dem Rücken stärker gegen seinen Brustkorb. „Bedeutet dir Schmerz so viel?“ Der Tonfall meines Freundes ist schwermütig. „Ja. Ich brauche ihn, um leben zu können. Letztlich ist Schmerz das Einzige, worum es geht.“ „Auch in unserer Beziehung?“ „Ja.“ Tai schweigt. Eine Weile stehen wir reglos in meinem Zimmer am Fenster. Mein Freund hält mich von hinten eng umschlungen. Draußen beginnt es zu dämmern und die Luft hat sich weiter abgekühlt. Ich zünde mir eine Zigarette an und inhaliere den Rauch. „Bleibst du heute über Nacht? Morgen ist Sonntag und somit schulfrei. Bitte, lass mich nicht allein“, durchbreche ich die Stille und ziehe ein weiteres Mal an der Zigarette. „Ich rufe kurz meine Eltern an und gebe ihnen Bescheid.“ Mein Freund löst sich von mir und verlässt den Raum. Ohne seine Körperwärme bin ich schutzlos und werde sofort von Kälte erfasst. Bebend schließe ich die Augen und rauche ganz bewusst, genieße das drückende Gefühl in den Lungen sowie den bitteren Geschmack auf der Zunge. Ich höre, dass Tai zurückkommt, die Tür hinter sich schließt und wortlos sein Konsolenspiel fortsetzt. Mit beschleunigtem Tempo laufe ich die Treppen des Gebäudes hinunter. Eigentlich war ich mit Tai am Schultor verabredet, aber mein Klassenlehrer bestand auf eine Unterredung bezüglich meiner Fehlzeiten. Er wies mich nachdrücklich darauf hin, dass ich erneut meine Versetzung gefährde, wenn ich weiterhin so unregelmäßig zum Unterricht erscheine wie bisher in diesem Schuljahr. Tatsächlich blieb ich in letzter Zeit häufiger zu Hause, meist wenn ich die Dosis der Schlaftabletten zu hoch angesetzt hatte, sodass ich morgens nicht aufwachte oder zu benommen war, um zur Schule zu gehen, geschweige denn dem Unterricht zu folgen. Ich werde mich zusammenreißen müssen, wenn ich meinen Vater nicht schon wieder enttäuschen möchte. Ein Abbruch ist jedenfalls keine Option. Ich betrete den Schulhof und ziehe die Jacke enger um meinen Körper. Langsam hält der Winter Einzug. Kalt bläst der Wind in mein Gesicht und lässt mich leicht frösteln. Ich vermute, dass Tai inzwischen gegangen ist, denn ich kann ihn nirgends entdecken. Zielstrebig lenke ich meine Schritte in Richtung Ausgang, als mich jemand am Arm packt und zurückhält. Ich drehe mich um. Es überrascht mich nicht, in das Gesicht meines Klassenkameraden zu blicken. Ein Lächeln umspielt seine Lippen. „Komm mit“, fordert er mich auf. Ohne eine Antwort abzuwarten, zieht er mich hinter sich her. Ich leiste keinen Widerstand. „Täusche ich mich? Sagte ich dir nicht, dass ich keinen Sex mehr mit dir haben werde?“, werfe ich ein. „Sei nicht so überheblich. Ich will nicht mit dir schlafen.“ Für mich war es von Anfang an bemerkenswert, wie mein Mitschüler es jedes Mal aufs Neue schafft, mich neugierig zu machen. Wir steigen die Treppe zu den Kellerräumen hinab, in denen die verschiedensten Klubaktivitäten stattfinden. Auch der Proberaum der Teen-Age Wolves befindet sich hier. Vermutlich hat sich mein Klassenkamerad im Vorfeld erkundigt, welche Örtlichkeiten momentan nicht genutzt werden, damit wir ungestört sind. Als wir schließlich einen relativ abgelegenen Raum betreten, bin ich etwas verblüfft auf eine weitere Person zu treffen. Es handelt sich um denselben Menschen, der mich damals vor den Umkleiden festgehalten hat. Mein Mitschüler schließt hinter uns die Tür. „Und jetzt?“, frage ich gespannt. „Zieh deine Jacke aus“, weist er mich an. Ich stelle meine Schultasche auf den Boden und komme der Aufforderung nach. Der andere Schüler, welcher ebenfalls in meine Klasse geht, nähert sich mir von hinten, dreht meine Arme geschickt auf meinen Rücken und hält sie in dieser Position fest. „Wozu brauchst du dein Schoßhündchen hier?“ Meine Bemerkung hat einen schmerzhaften Druck auf meine Arme zur Folge. „Ich versprach dir, du wirst den Angriff deines Freundes bereuen“, offenbart mir mein Klassenkamerad, während er ein paar Schritte auf mich zu macht. Aus seiner Hosentasche zieht er ein Springmesser, welches er unvermittelt an meine Kehle hält. Mit der freien Hand umfasst er meine Hüfte und zieht meinen Körper näher zu sich heran. „Diesmal werde ich dir Schmerzen bereiten, die selbst dich nicht mehr geil machen“, flüstert er mir verheißungsvoll in mein Ohr. Ich begegne dieser Aussage mit einem Lächeln. „Halt ihn ordentlich fest, du kannst ihm auch wehtun. Und wenn er schreit, bring ihn zum Schweigen“, gibt er seinem Freund Anweisungen. Dann lässt er die Hand über meinen Oberkörper gleiten, zugleich verstärkt er den Druck auf das Messer an meinem Hals. Klopfenden Herzens spüre ich, dass die Klinge ziemlich scharf ist und somit schöne Wunden zufügen kann. Ich wehre mich nicht, sondern ergebe mich ihm in gespannter Erwartung. Mit seiner linken Hand beginnt er die Knopfleiste meines Hemdes zu öffnen. Als er mit den Fingern über meine Haut gleitet, hält er plötzlich inne. Er schiebt den Stoff etwas beiseite und mustert interessiert die Narben. „Lass ihn kurz los“, richtet er sich an seinen Freund, ohne den Blick von mir abzuwenden. Ich schüttele meine Arme leicht aus, um wieder etwas Gefühl darin zu erlangen. „Zieh das Hemd ganz aus.“ Mein Mitschüler zieht die Schneide ein Stück über meine Haut. Ein leichtes Ziehen bedeutet mir, dass die oberste Hautschicht zerteilt wurde. Ich lasse mein Hemd zu Boden fallen. Beinahe liebevoll zeichnet mein Klassenkamerad einige der Vernarbungen nach, hebt dann mein Handgelenk etwas an und betrachtet besonders aufmerksam die Spuren meines Selbstmordversuches. Er nickt seinem Freund zu, woraufhin dieser meine Arme erneut auf den Rücken dreht, um mich besser kontrollieren zu können. „Du scheinst wirklich auf Schmerz zu stehen. Jetzt weiß ich auch, warum du selbst im Sommer die Winteruniform trägst.“ Mein Mitschüler lässt das Messer sinken und leckt über die Stelle, die dessen Klinge durchtrennt hat. So wie es sich anfühlt, nehme ich an, dass die Verletzung harmlos ist und kaum blutet. „Willst du sterben, Yamato?“, fragt er mit ruhiger Stimme. „Willst du mich töten?“, entgegne ich lächelnd. „Nein. Damit würde ich dir wahrscheinlich einen Gefallen tun, hab ich recht?“ Ich schweige. „Wie tief muss ich wohl schneiden, um das Lächeln aus deinem Gesicht zu verbannen?“ Mein Klassenkamerad setzt die Klinge auf meine Brust und zieht sie langsam, mit mäßigem Druck über die Haut. Sofort rinnt Blut aus der Wunde. Mein Gegenüber wiederholt die Prozedur, mit jedem Schnitt wird er mutiger und fügt mir tiefere Wunden zu. Schmerz durchflutet meinen Körper und droht mich zu überwältigen. Ich bekomme das Zittern nicht unter Kontrolle, wodurch der Schüler, der mich festhält, brutaler wird und ich meine Arme kaum noch spüre. „Wo ist deine Arroganz, dein selbstgefälliges Lächeln? Kannst du etwa doch noch Schmerzen empfinden, Yamato?“ Mit zusammengekniffenen Augen und einem verzerrten Lächeln schaue ich meinen Klassenkameraden an. „Lass die Zärtlichkeiten“, stachele ich ihn weiter an und bekomme es sofort mit einem Faustschlag in den Magen quittiert. Ich krümme mich zusammen, werde aber von dem Anderen zurück in eine aufrechte Position gerissen. Mein Mitschüler scheint jetzt seine gesamte Wut an mir auszulassen. Vereinzelte Schreie entweichen meiner Kehle, werden aber sofort erstickt, als mir sein Handlanger den Mund zuhält. Meine Beine knicken weg und ich werde unsanft zu Boden fallen gelassen. Tritte in den Rücken und den Bauch treiben mich an den Rand zur Bewusstlosigkeit. „Brutal genug?“, fragt mein Klassenkamerad, als er sich neben mich hockt und mir liebevoll durch das Haar streicht. „Ich denke, es reicht für heute. Was meinst du, Yamato?“ Ich möchte antworten, aber die Schmerzen, die mich mittlerweile komplett beherrschen, nehmen mir die Luft zum Atmen. „Du bist eine traurige Existenz“, flüstert mir mein Mitschüler ins Ohr. Dann hebt er mit seinen Fingern mein Kinn etwas an und küsst mich. Ich lasse es geschehen. „Aber du faszinierst mich, wie mich noch nie etwas oder jemand fasziniert hat. Du übst eine eigenartige Anziehung auf mich aus.“ Sanft streicht er mir über die Wange. „Ich hab dein Gesicht verschont. Es ist wirklich ungewöhnlich schön für einen Mann, so fein geschnitten.“ Ich reagiere nicht. Mein Klassenkamerad erhebt sich, die beiden nehmen ihre Sachen und gehen zur Tür. „In diesen Raum kommt heute niemand mehr. Du kannst dir also Zeit lassen. Wir sehen uns dann morgen.“ Ich höre, wie die Tür ins Schloss fällt. Langsam versuche ich mich zu bewegen, zucke jedoch unwillkürlich zusammen. Irgendwie schafft es mein Mitschüler immer wieder, mich an meine Schmerzgrenzen zu bringen. Wie erbärmlich. Ich lache laut auf, während Tränen über meine Wangen laufen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)