So einfach von GotoAyumu (Yamato Ishida x Taichi Yagami / Hiroaki Ishida x Yamato Ishida) ================================================================================ Kapitel 30: ------------ Mit gemischten Gefühlen packe ich einige meiner Sachen in eine Tasche und schaue mich dann noch einmal im Zimmer um. Gestern bekam ich einen Anruf aus der Klinik, dass ich bereits morgen mit meiner Therapie anfangen kann, da eher ein Platz frei wurde. Nun kann ich nicht einmal zum Unibeginn anwesend sein. Mein Blick bleibt an Taichi haften, der auf meinem Bett sitzt und mich ebenfalls ansieht. „Du hast Angst, oder?“, fragt er mitfühlend. Aus eigener Erfahrung weiß er, was es bedeutet, sich stationär behandeln zu lassen. Zumindest psychische Krankheiten betreffend. Ich wende mich von ihm ab und verlasse mein Zimmer, ohne Tai zu antworten. Mein Kopf schmerzt, weshalb ich in die Küche gehe, um Kaffee zu kochen. Auf Tabletten kann ich derzeit nicht zurückgreifen, da mein Freier, als er vor ein paar Tagen nach Hause ging, alle Suchtmittel mit sich nahm, und bisher konnte ich mich im Bezug auf Neubeschaffungen unter Kontrolle halten. Der Entzug war schlimmer als erwartet, weshalb ich auf eine Wiederholung gern verzichte. Noch nie hatte ich derart starke Schmerzen, die mich mehr als sonst wünschen ließen zu sterben. Wäre mein Freier nicht gewesen, der meinen krampfenden Körper in den extremen Phasen fest umklammert hielt, hätte ich mir im Affekt womöglich wirklich das Leben genommen. Ich war vollkommen unzurechnungsfähig, kaum ansprechbar und meine Erinnerungen sind sehr lückenhaft. Nicht einmal, ob mein Freier während dieser Zeit mit mir geschlafen hat, kann ich mit Sicherheit sagen. Viele Geschehnisse wirkten auf mich völlig irreal. Ich weiß nicht, was im Delirium geschah und was wirklich passierte. Auf meine Nachfrage lächelt mein Freier jedoch nur und schweigt ansonsten zu dem Thema. Als die ersten Entzugserscheinungen auftraten, warnte er mich noch einmal, dass ein kalter Entzug äußerst hart wäre und gefährlich werden könne, dass es in der Klinik anders abliefe, etwas weniger schmerzhaft, aber vor allem geschützt wäre. So, wie mein Freier darüber sprach, klang es, als hätte er eigene Erfahrungen auf diesem Gebiet. Für mich jedenfalls blieb von Anfang an nur die Option des kalten Entzugs. Ich hoffe nicht wieder rückfällig zu werden und diese Tortur noch einmal durchleben zu müssen. Das letzte Heroin spritzte ich mir vor fünfzehn Tagen, beim Konsum von GHB sowie Schlaf- und Schmerzmitteln sind es noch ein paar Tage mehr. Verlangen nach all diesen Substanzen verspüre ich trotzdem sehr stark. „Yamato“, spricht mein Freund mich an, als er in die Küche kommt. Er setzt sich mir gegenüber an den Tisch, auf den Platz meines Vaters. „Möchtest du auch Kaffee? Oder soll ich dir lieber eine Flasche Whiskey holen?“, frage ich bissig, stehe auf und nehme zwei Tassen aus dem Schrank. Meine Worte tun mir bereits leid, trotzdem kann ich nicht verhindern, dass sich meine Sorge in Vorwürfen und gemeinen, teils unsachlichen Bemerkungen äußert. Ich hasse mich dafür, mein Fühlen, Denken und Handeln nicht in Einklang bringen zu können, wenn die Stimmen in mir durcheinanderschreien, der Körper jedoch völlig anders agiert, unkontrolliert, aber auf irreale Art bei Bewusstsein. Seit ich keine Drogen mehr nehme, kommt es mir so vor, als wären die Dissoziationen wieder schlimmer geworden. Vielleicht überlagerten sie sich aber auch lediglich mit dem Rausch. Ich fülle die Tassen mit Kaffee und stelle beide auf den Tisch. Dann setze ich mich wieder und trinke vorsichtig einen Schluck. „Versuchst du überhaupt vom Alkohol loszukommen? Permanent riechst du danach und deine Augen haben einen ganz anderen Ausdruck bekommen. Sie wirken müde, gleichgültig, als hättest du aufgegeben. Warum unternehmen deine Eltern nichts?“ Mein Freund klammert sich an seine Tasse, als hätte er Angst, sonst den Halt zu verlieren. Ich frage mich, ob er die Hitze an den Händen nicht spürt oder ob er den Schmerz gerade braucht. „Sie drohten mir bereits mehrfach mit einer erneuten Einweisung. Dummerweise ist es sinnlos, wenn ich nicht bereit bin zu entziehen. Vermutlich haben sie ihre Machtlosigkeit inzwischen eingesehen, denn seit einiger Zeit sagen sie nichts mehr. Außerdem hielt ich ihnen den Spiegel vor, zumindest meinem Vater.“ Mit Tränen in den Augen betrachte ich meinen Freund. Durch die Drogen bekam ich nie richtig mit, wie krank Taichi eigentlich ist. Nicht nur sein Körper hat unglaublich abgebaut, sein ganzes Wesen ist kaum wiederzuerkennen. „Du hast dich verändert. Nein, der Alkohol hat dich verändert. Merkst du das nicht?“ Tai trinkt etwas von seinem Kaffee, wobei er mich fixiert. „Wie geht es dir jetzt, Yamato? Es ist ein Scheißgefühl, wenn man hilflos zusehen muss, wie der Mensch, den man liebt, sich selbst zugrunde richtet, nicht wahr?“ Fassungslos starre ich ihn an. „Was soll der Unsinn? Das ist kein Spiel, Taichi! Wenn du mich verletzen willst, dann auf eine Weise, die dich nicht umbringt! Warum gehst du so weit, verdammt! Ich habe den Entzug gemacht, bin clean und ab morgen in stationärer Behandlung. Findest du nicht, dass jetzt du an der Reihe bist, dir helfen zu lassen?“ Mein Freund senkt seinen Blick und starrt schweigend in seine Tasse. „Du fragtest mich, ob Drogen und Sex mit anderen Männern mir mehr wert wären als du. Wie sieht es bei dir aus? Ist dir der Alkohol mehr wert als ich?“ Wieder bekomme ich keine Antwort. Genervt trinke ich den Rest meines Kaffees und verlasse wortlos die Küche. Tränen laufen über meine Wangen, als ich mein Zimmer betrete und mir am geöffneten Fenster zitternd eine Zigarette anzünde. „Shit!“, fluche ich leise. Unruhig nehme ich einige tiefe Züge, um mein Verlangen nach härteren Drogen zu mindern. Ich kann keine Therapie beginnen, wenn ich Taichi in seinem jetzigen Zustand allein lassen muss. Heftig weinend rutsche ich an der Wand hinab, an der ich lehne. „Yama… ich….“ Behutsam legt mein Freund seine Hand auf meine Schulter. Ich hebe meinen Kopf, um ihn anzusehen, und bemerke sofort seinen stark alkoholverseuchten Atem. Wütend stoße ich ihn von mir. „Geh!“, schreie ich ihn an. „Ich…“ Meine Stimme versagt. Liebevoll nimmt Taichi mich in den Arm und streichelt beruhigend durch meine Haare. „Morgen früh brauchst du mich nicht zur Klinik zu begleiten“, sage ich nach einem kurzen Moment tonlos. „Willst du allein gehen?“ „Nein“, antworte ich kühl. „Also fährt dich dieser widerliche Kinderficker.“ Die Aussage meines Freundes ist herablassend und voller Hass. Ich löse mich aus der Umarmung, werfe die fast heruntergebrannte Zigarette aus dem Fenster und zünde mir eine neue an. Dann drehe ich Tai den Rücken zu und schaue nach draußen. „Ja. Er gibt mir Stabilität, Sicherheit und Zuneigung. Ich brauche ihn und seine Nähe.“ Mein Körper verkrampft und meine Kehle zieht sich schmerzhaft zusammen, als ich höre, wie mein Freund aufsteht und ohne ein Wort zu sagen das Zimmer verlässt. Ich sprach absichtlich auf meinen Freier an, um Tais Reaktion zu testen. Er scheint zwar noch eifersüchtig zu sein, gibt ansonsten aber auf und flüchtet lieber mithilfe des Alkohols in die Emotionslosigkeit. Erfüllt von Selbsthass schlage ich auf die Wand ein, solange, bis meine Hand blutig, geschwollen und taub ist, anschließend sinke ich zitternd und weinend zu Boden. Die Zigarette werfe ich aus dem Fenster, bevor ich endgültig zusammenbreche. Mein Kopf dröhnt, mir ist schwindelig und mein Körper wie gelähmt. Ich will nach Taichi rufen, bringe jedoch keinen Ton über meine Lippen. Wahrscheinlich würde er in seinem Alkoholrausch ohnehin nichts mehr mitbekommen. „Wie geht es dir?“, fragt mein Freier sorgenvoll und nimmt mich fest in den Arm. „Gehen wir in den Besucherraum“, schlage ich vor, statt zu antworten. Langsam laufen wir den Gang entlang, wobei ich die Hand meines Freiers nicht loslasse. Glücklicherweise ist der Raum leer. Ich schalte die Lampe außen über der Tür ein, die als Besetztzeichen fungiert, um ungestört zu sein. Wir nehmen auf dem Sofa Platz und ich lehne mich liebebedürftig bei meinem Freier an. „Taichi war heute wieder nicht hier, hab ich recht?“ „Nein.“ Inzwischen bin ich seit knapp einem Monat in stationärer Behandlung, doch mein Freund besuchte mich bisher kein einziges Mal, wohingegen mein Freier sogar seinen Terminplan nach meinen Besuchszeiten richtet. Dafür bin ich ihm unglaublich dankbar, denn ohne ihn hätte ich bereits aufgegeben und die Therapie abgebrochen. Ich telefoniere zwar hin und wieder mit meinem Vater, aber dadurch verstärkt sich meine Sehnsucht eher, als dass es mir Kraft und Motivation zum Durchhalten gibt. Unerwartet dreht mein Freier meinen Kopf in seine Richtung und küsst sanft meine Lippen. „Du machst dir Sorgen um ihn, nicht wahr?“, fragt er leise und versucht mir durch seine Nähe Halt zu geben. Resigniert schmiege ich mich an ihn, mein Blick verläuft sich im Nichts. „Vorhin rief ich bei ihm zu Hause an. Ich wollte wenigstens seine Stimme kurz hören, aber seine Mutter ging ans Telefon. Zunächst wollte sie mir nichts sagen, fing dann aber zu weinen an und setzte mich darüber in Kenntnis, dass Tai in den letzten Wochen zweimal wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus war. Er soll oft unterwegs sein, nur noch selten nach Hause kommen und auf Anfragen über seinen Verbleib oder sein Tun nicht reagieren.“ Mit einem Flehen schaue ich meinen Freier an. „Bitte, ich muss hier raus! Das alles bringt doch ohnehin nichts!“ „Yamato, beruhige dich! Nach so wenigen Wochen kannst du über Erfolg oder Misserfolg noch gar nicht urteilen. Wirf das bisher Erreichte nicht so leichtsinnig weg.“ Ein spöttisches Lachen entweicht meiner Kehle. „Erreicht? Was habe ich denn erreicht, außer meinen Freund in den Tod zu treiben?“ Mich selbst verachtend balle ich meine Hände auf meinen Oberschenkeln schmerzhaft stark zu Fäusten und versuche meine Tränen zu unterdrücken. „Das ist Unsinn. Taichi ist alt genug, um sich für sein Verhalten selbst zu verantworten. Du bist der Meinung, schuld an seiner Alkoholabhängigkeit zu sein, dabei ist es seine Entscheidung, zur Flasche zu greifen, statt eine andere Art der Kompensation zu wählen.“ Ich werde von einem heftigen Weinkrampf erfasst, der mich daran hindert, zu antworten. Beruhigend streichelt mir mein Freier über den Rücken. „Hör mal, Yamato. Es bringt niemandem etwas, wenn du die Therapie jetzt abbrichst. Damit hilfst du weder deinem Freund noch dir selbst.“ „Aber er stirbt! Taichi stirbt! Der Alkohol tötet ihn!“, schreie ich hysterisch. Mit einem sehr intensiven Kuss bringt mein Freier mich zum Schweigen. Anfangs wehre ich mich, lasse das Zungenspiel letztlich aber doch zu, da ich weiß, dass es seine Art ist, mich wieder zur Vernunft zu bringen. „Ich verstehe deine Angst, aber manchmal ist es besser, rational zu bleiben und sich nicht von seinen Gefühlen zu überstürzten, eventuell sogar kontraproduktiven Handlungen verleiten zu lassen.“ Er streicht mir einige Haarsträhnen hinter die Ohren und küsst mich erneut. „Bitte vergiss dich selbst nicht. So hart es klingt, aber du hast genug eigene Probleme, die es zu bewältigen gilt.“ „Tai ist mir wichtiger.“ „Ich weiß. Nur, glaubst du wirklich, dass er für deinen Tod verantwortlich sein möchte? Yamato, ihr müsst es endlich schaffen, aus diesem verfluchten Teufelskreis auszubrechen, sonst bringt ihr euch irgendwann gegenseitig den Tod.“ Nachdenklich verharre ich in den Armen meines Freiers und schließe meine Augen. „Also gut. Ich beende die Therapie“, lenke ich mit einem unguten Gefühl ein. „Danke. Wie läuft es eigentlich? Hast du deiner behandelnden Psychologin inzwischen von der Vergewaltigung erzählt?“ „Nein, aber das ist auch nicht notwendig. So schlimm war es nicht.“ Demonstrativ legt mein Freier seine Hand auf meinen Oberschenkel und streicht über die Innenseite entlang nach oben. „Als ich dich das letzte Mal im Heroinrausch genommen habe, bist du wegen der Erinnerung an den Missbrauch weinend zusammengebrochen. Du wolltest nicht einmal angefasst werden.“ „Daran erinnere ich mich nicht“, lüge ich meinen Freier unbeabsichtigt an. Seine Hand ruht zwischen meinen Beinen. „Aber wenn es so war, tut es mir leid, denn ich schlafe wirklich gern mit Ihnen.“ „Dir muss nichts leidtun. Was dieses Arschloch mit dir gemacht hat, ist nicht deine Schuld, versteh das endlich!“ Ich schweige. Seufzend umfasst mein Freier meine Taille. Mit einem Lächeln reagiere ich darauf, setze mich mit gespreizten Beinen auf seinen Schoß und verwickle ihn in einen langen, sinnlichen Kuss. „Ich finde Sie unglaublich süß, wenn Sie versuchen mich zu erziehen.“ Verführerisch lecke ich an seinem Ohr entlang, während ich gleichzeitig den Knopf seiner Hose löse. Entschlossen hält mein Freier mich am Handgelenk fest. „Nein, Yamato. Nicht jetzt und vor allem nicht hier. Warum willst du immer mit Sex von deinen Problemen ablenken?“ „Verdammt, ich habe es einfach nur nötig!“ Wütend rutsche ich von meinem Freier herunter und laufe nervös durch das Besucherzimmer. „Seit ich hier bin, hatte ich keinen Sex mehr. Ich habe es satt, immer nur Hand an mich legen zu müssen“, schreie ich laut durch den Raum. „Das alles hier… ich ertrage es nicht mehr. Überall Regeln, Verbote, Bestrafungen und wofür? Wofür, frage ich dich?“, richte ich meine Verzweiflung direkt auf meinen Freier. Der steht auf und zieht meinen zitternden Körper in seine Arme. Kraftlos lasse ich es geschehen. „Heroin“, hauche ich. „Oder GHB… bitte… irgendwas… damit ich das hier überstehe und Taichi vergesse.“ „Es tut mir leid, Yamato“, erwidert mein Freier unter Tränen und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Erschöpft und außer Atem vom Steigen der Treppenstufen drehe ich den Schlüssel im Schloss. Kurz stutze ich, denn die Tür ist nicht verschlossen. Am Morgen meines Therapiebeginns schlief Taichi noch, als ich mich auf den Weg machte. Vermutlich war er wieder alkoholisiert und ging ohne abzuschließen. Mit Betreten der Wohnung lasse ich meine Tasche achtlos im Flur stehen und gehe rasch in die Küche. Dort fülle ich ein Glas mit Wasser und leere den Inhalt der Plastiktüte, welche ich noch immer in der Hand halte, auf dem Tisch aus. Fahrig drücke ich einige Schmerz- und Schlafmittel aus ihren Blisterverpackungen und schlucke sie mit etwas Flüssigkeit herunter. Dann setze ich Kaffee auf, ziehe meine Schuhe sowie Jacke aus und nehme meine Tasche, um sie in mein Zimmer zu bringen. Vor der Tür bleibe ich verwundert stehen, da ich mir einbilde Musik zu hören. Ist Tai da? Kommt er etwa hierher, wenn seine Mutter nicht weiß, wo er sich aufhält? Warum? Will er allein sein, damit er ungestört trinken kann? Beim Öffnen der Tür überkommt mich die Angst, in welchem Zustand ich meinen Freund vorfinden werde. Ich erstarre und lasse meine Tasche fallen, als ich sehen muss, wie er in meinem Bett eine blonde Frau von hinten nimmt. Bei dem Anblick wird mir ebenso schlecht wie von dem Gestank in meinem Zimmer, einem Gemisch aus Alkohol und Parfüm. „Yamato…“, sagt Tai eher überrascht als erschreckt. Anhand seines Gesichtsausdrucks sehe ich, dass er betrunken ist. Er lässt von dem Mädchen ab, welches mich völlig irritiert mustert. Wie versteinert stehe ich an der Tür, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Auch fühle ich nichts, weder Hass, Wut noch Traurigkeit oder Eifersucht. Trotzdem laufen Tränen meine Wangen hinab. „Taichi, wer ist das?“, durchbricht das Mädchen plötzlich die unangenehme Stille. Dieser sieht mich unverwandt an. „Mein Freund.“ „Was…“, hakt sie nach, wird von Tai allerdings unterbrochen. „Ich liebe ihn. Du bist lediglich ein Ersatz.“ „Und ich glaube, du hast zu viel getrunken, mein Süßer“, erwidert sie lachend und berührt meinen Freund am Arm. „Geh“, befiehlt er ihr kalt, ohne seinen Blick von mir abzuwenden. Das Mädchen schaut mich abfällig an, als gäbe sie mir die Schuld an Taichis Verhalten. Als sie merkt, dass ich nicht reagiere und auch Tai nicht weiter auf sie eingeht, steht sie auf, zieht sich an und nimmt ihre Tasche, ohne sich von meinem Freund zu verabschieden. „Verrecke, du dreckige Schwuchtel!“, zischt sie mir hasserfüllt zu, während sie an mir vorbeigeht, um das Zimmer und die Wohnung zu verlassen. Noch immer stehe ich unbewegt da und noch immer sieht Taichi mich an. Nach einer Weile erhebt er sich von meinem Bett und kommt unsicheren Schrittes auf mich zu. Dicht vor mir bleibt er stehen, streicht liebevoll über meine Wange und küsst die Tränen von meiner Haut. Ein starker Alkoholgeruch steigt mir in die Nase. Ich schließe meine Augen und lasse seine Berührungen unbeteiligt zu. Allmählich spüre ich die Wirkung der Tabletten. Mir wird schwindelig, schlecht und es fällt mir schwer, aufrecht zu stehen. Leicht benommen öffne ich meine Augen wieder und sehe, wie die Realität verschwimmt. Die Farben sind wesentlich greller, die Formen verändern sich, alles wirkt grotesk und die Geräusche entfernen sich langsam. Ich versuche Tai zu fixieren, bekomme ihn aber nicht zu fassen. Er ist ungreifbar, ich erkenne ihn kaum. Allmählich verliere ich die Kontrolle über meinen Körper, gerate ins Wanken und letztlich aus dem Gleichgewicht. Als ich zu Boden falle, fühle ich keinen Schmerz. Am Rande meiner Wahrnehmung merke ich, dass mein Freund mich in den Arm nimmt und auf mich einredet, doch ich verstehe nicht, was er sagt. Dann wird alles dunkel. Schlaftrunken öffne ich meine Augen. Sie schmerzen stark und mein Kopf droht fast zu zerspringen. Es ist dunkel, sodass ich einen Moment brauche, um mich zu orientieren. Bedächtig setze ich mich auf und erkenne endlich, dass ich in meinem Bett zu Hause, und nicht in der Klinik, liege. Angestrengt versuche ich mir ins Gedächtnis zu rufen, was geschehen ist. Ich hatte Tabletten geschluckt, offenbar in einer Menge, die in der Bewusstlosigkeit endete. Schwerfällig stehe ich auf und schleppe mich über den Flur in die Küche. Ich brauche Schmerzmittel, sonst kann ich keinen klaren Gedanken fassen. Verwirrt blicke ich auf den Küchentisch. Dort steht lediglich ein zur Hälfte mit Wasser gefülltes Glas. Ich werde leicht panisch und schaue mich im Raum um. Der Kaffee in der Kanne, den ich vorhin aufgesetzt hatte, dürfte inzwischen kalt sein. „Suchst du deine Tabletten?“ Erschreckt zucke ich zusammen und drehe mich rasch um. Taichi steht an den Türrahmen gelehnt und betrachtet mich ernst. „Ich habe mich der wenigen Tabletten, die du übriggelassen hast, angenommen. Für deine Therapie ist dieser Rückfall nicht gerade förderlich, oder?“ Sein Tonfall klingt eher besorgt als vorwurfsvoll. „Wie lange hast du Ausgang?“ „Ich gehe nicht zurück in die Klinik. Die Therapie habe ich abgebrochen“, entgegne ich, während ich aus dem Schrank eine Tasse nehme und mit Kaffee fülle. Anschließend setze ich mich an den Tisch. „Hältst du es nicht mehr aus?“, fragt Tai, der mich die ganze Zeit beobachtete. „Nein.“ Begierig trinke ich einen Schluck des koffeinhaltigen Getränkes, in der Hoffnung, meine Kopfschmerzen etwas lindern zu können. „Außerdem bringt es nichts, wenn ich nicht bereit bin mich darauf einzulassen.“ Schweigend sehen wir uns an. „Taichi, du meintest vorhin, du würdest mich lieben. Warum hast du mich nicht einmal in der Klinik besucht?“ „Ich wollte, aber sie ließen mich nicht zu dir, weil ich… alkoholisiert war.“ Er weicht meinem Blick aus. „Deine Mutter erzählte mir von deinen Krankenhausaufenthalten aufgrund von Alkoholvergiftungen. Wegen meines Drogenkonsums habe ich nicht das Recht, dir Vorhaltungen zu machen, dennoch habe ich Angst, dich an den Alkohol zu verlieren, falls das nicht schon längst geschehen ist.“ Ohne etwas darauf zu antworten, kommt mein Freund auf mich zu und nimmt mich in den Arm. „Fass mich nicht an!“, schreie ich und stoße ihn derb von mir. „Du stinkst noch immer nach dieser Frau!“ Tai scheint durch meinen plötzlichen Gefühlsausbruch ernüchtert, denn er bleibt auf Abstand und sieht nur bestürzt zu mir hinab. „Geh duschen und wasch dir den Gestank von der Haut, erst dann lasse ich dich wieder an mich ran. Wie viele Frauen hast du eigentlich in der Zeit, in der ich weg war, gevögelt? Jeden Tag eine andere? Oder war es immer dieselbe?“ „Yamato…“ „Hör auf mich so anzusehen. Los, sag schon. Ich will es wissen.“ „Mal war es dieselbe, mal eine andere. Was spielt das für eine Rolle? Letztlich waren sie alle nur ein Ersatz für dich. Oder glaubst du, die optische Ähnlichkeit der Frauen zu dir ist zufällig?“ Ziemlich sprachlos greife ich nach meiner Tasse und leere sie in einem Zug. Dann stehe ich auf und gehe zur Kaffeemaschine, da in der Kanne noch ein letzter Rest Kaffee übrig ist. „Heißt das, du suchst dir gezielt blonde Mädchen mit schulterlangen Haaren und ähnlicher Statur aus, nimmst sie von hinten und stellst dir dabei vor, mich zu vögeln?“ Betreten senkt mein Freund seinen Blick. „Das ist pervers, Taichi.“ „Aber wenn du mit fremden Männern Sex hast, ist das in Ordnung“, entgegnet er leicht ungehalten. „Nein. Ich allerdings will dich damit nicht verletzen. Es geht allein um Selbstverletzung.“ „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie sehr du mir wehtust, wenn du dich einem anderen hingibst? Warum benutzt du nicht mich für deinen Selbsthass?“ „Weil ich mich in dieser Beziehung an dir nicht verletzen kann. Ich habe keine Schuldgefühle, wenn ich mit dir schlafe. Ich fühle mich nicht dreckig und minderwertig, wenn ich von dir berührt und genommen werde.“ Tai kommt ein paar Schritte auf mich zu und schlingt von hinten seine Arme um meine Taille. „Du kleiner, verdammter Lügner“, säuselt er in mein Ohr. „Als würdest du dich nicht auch zu deinem Vergnügen ficken lassen. Zumindest von deinem Vater und vermutlich auch von diesem pädophilen Wichser, hab ich recht?“ „Sagte ich nicht, du sollst mich nicht anfassen?“ Als ich mich zu wehren versuche, dreht mein Freund meinen Körper zu sich herum und stößt mich kraftvoll gegen den Kühlschrank. Schmerzhaft stark packt er mich an den Handgelenken, um eine Flucht meinerseits zu verhindern. „Ich fasse dich an, wann, auf welche Weise und so oft ich will. Und jetzt will ich dich ficken. Warum zierst du dich so? Als Stricher bist du es doch gewohnt, auf Kommando die Beine breit zu machen, oder?“ Panik kommt in mir auf. Ich befinde mich wieder im Geräteraum der Turnhalle, das widerliche Grinsen, sein Geruch, das Gefühl seiner Bewegungen in mir, der Geschmack seines Spermas, meine Wehrlosigkeit. „Bitte lass mich los… ich will nicht…“, hauche ich angsterfüllt. „Ich weiß, dass du es willst. Und jetzt halt still!“ Reglos und völlig abwesend sitze ich auf den kalten Fliesen, an die Wanne gelehnt, im Badezimmer. Warmes Blut läuft in Rinnsalen meinen Arm hinab, doch ich nehme es kaum wahr. Legte Tai es vorhin darauf an, mich eines Besseren zu belehren? Als er mich in der Küche mit harten Stößen von hinten nahm, fühlte ich mich ekelhaft und dreckig. Nur war es nicht Taichi, der sich schmerzhaft in mir bewegte, sondern der Sportlehrer. Wie damals ließ meine Gegenwehr schnell nach und ich ergab mich der peinvollen Entwürdigung. Ich war nicht mehr in der Lage, Realität von Dissoziation zu unterscheiden. Der Sex war rücksichtslos, aber auf eine andere Art, als ich es von meinem Freund normalerweise gewohnt bin. Er zeigte keinerlei Emotionen, es fehlte jegliches Gefühl. Erinnerungen an früher wurden in mir wach. Damals war der Sex genauso kalt und bedeutete nichts, doch heute kann ich zugeben, dass wir uns etwas vormachten und uns selbst verleugneten. Trotzdem stimmt die Aussage des Sportlehrers bezüglich meiner Daseinsberechtigung, wie Taichi vorhin bestätigte. Ich muss gevögelt und erniedrigt werden, zu etwas anderem bin ich nicht nütze. Nachdem er schließlich genug hatte, ließ Tai von mir ab. Sofort brach ich zitternd zusammen, mein Freund würdigte mich keines Blickes und ging, ohne ein weiteres Wort an mich zu verschwenden. Es dauerte lange, bis es mir gelang, mich ins Bad zu schleppen. Ich hoffte, durch das Schneiden etwas empfinden zu können, doch mein Körper ist nach wie vor taub und ich fühle mich leer. Entfernt nehme ich wahr, dass die Wohnungstür ins Schloss fällt und jemand durch den Flur poltert. Wankend kommt Taichi ins Badezimmer. Er ist völlig betrunken, in den Händen hält er drei Flaschen Whiskey, von denen eine bereits zu zwei Dritteln geleert ist. Offenbar verließ er die Wohnung nur, um weiteren Alkohol zu beschaffen. „Warum“, fragt er undeutlich und zeigt auf meinen Arm. Ich antworte nicht. „Gefiel dir nicht, was ich mit dir gemacht habe?“, spricht er lallend weiter. „Dabei habe ich es dir doch ordentlich besorgt.“ Er stolpert auf mich zu, stellt die Flaschen ab, wobei die fast geleerte umfällt, und packt mich grob am Arm. „War dir das etwa nicht genug, du billiges Flittchen?“ „Selbst wenn, so besoffen wie du bist, würdest du ohnehin keinen mehr hochbekommen, um mich ausreichend zu befriedigen. Und jetzt lass mich los, verdammt!“ Wütend funkle ich meinen Freund an. Wider Erwarten lässt er mich tatsächlich los und trinkt stattdessen die angefangene Whiskeyflasche in einem Zug aus. „Idiot! Willst du dich ins Koma saufen?“ „Was kümmert es dich? Komm, mach schön die Beine breit und öffne deinen hübschen Mund nur, um meinem Schwanz zu lutschen. Etwas anderes kannst du ohnehin nicht, mein Liebling.“ Lüstern beugt sich Tai zu mir hinab, greift mit einer Hand in meinen Schritt und versucht mit der anderen mich in eine liegende Position zu drücken. Kraftvoll schlage ich ihm meine Faust ins Gesicht. Mein Freund ist unvorbereitet, aufgrund seiner starken Alkoholisierung verliert er das Gleichgewicht und fällt unsanft zu Boden, wobei er die Flaschen umwirft und eine der ungeöffneten zu Bruch geht. „Also gut, du hast es nicht anders gewollt, Taichi.“ Mühsam erhebe ich mich und verlasse das Bad. Im Flur nehme ich meinen Wohnungsschlüssel sowie den meines Freundes von der Kommode, schließe von innen ab und verstaue beide Bunde in meinen Hosentaschen. Mit fragendem Blick krabbelt Tai auf mich zu, in der Hand die einzig verbliebene volle Flasche Whiskey. „Was wird das? Wieso…“ Energisch laufe ich auf meinen Freund zu, entreiße ihm den Alkohol, suche erneut das Bad auf und zerschmettere ungehalten das Glas auf den Fliesen. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit verteilt sich auf dem Boden, vermischt sich mit dem Inhalt der anderen Flasche und meinem Blut. Der Geruch im Raum ist beißend. Ich drehe mich um und blicke Taichi entschlossen an. „Diese Wohnung wirst du in nächster Zeit nicht verlassen. Ich mache mit dir den kalten Entzug.“ „Du sperrst mich ein?“ Mein Freund benötigt einige Versuche, um sich zu erheben, schafft es aber letztlich und steht auf unsicheren Beinen vor mir. „Lass mich raus!“, zischt er in drohendem Ton. Mit verzweifelter Wut drücke ich ihn brutal gegen die Wand, meinen verletzten, blutverklebten Unterarm an seine Kehle. „Nein. Und solltest du dich nicht fügen, schlage ich dich bewusstlos. Das meine ich ernst. Es reicht, Taichi. Ich werde dich nicht an den Alkohol verlieren.“ Mit Tränen in den Augen knie ich im Badezimmer auf dem Boden und sammle die Scherben der zerbrochenen Whiskeyflaschen auf. Anschließend fülle ich einen Eimer mit Wasser und Reinigungsmittel, um die Fliesen zu wischen. Dabei fällt mein Blick auf meinen Arm, welcher blutverkrustet ist. Aufgrund der Ereignisse vergaß ich die Wundversorgung vollkommen. Auch muss ich Taichis Eltern über seinen Verbleib in den nächsten Tagen informieren, doch ich befürchte, dass sie mit meinem Vorhaben nicht einverstanden sein werden und verlangen, dass ihr Sohn nach Hause kommt. Zwar bin ich mir selbst nicht sicher, ob ich es schaffe, den Entzug mit meinem Freund durchzuziehen, allerdings kann ich ihn vom Alkohol fernhalten, während er bei sich zu Hause durch die Sucht seines Vaters ständig damit konfrontiert und verleitet wird. Fortwährend verschwimmt meine Sicht und behindert mich beim Reinigen des Bodens, trotzdem gelingt es mir, die Tränen zurückzuhalten. Meine Kehle ist wie zugeschnürt und ich verspüre einen unangenehmen Schmerz beim Schlucken. Ich halte inne, betrachte die Glasscherben. Aus einem Impuls heraus nehme ich eines der größeren Stücke und mustere gebannt die Bruchkanten. Dann schaue ich zu der Rasierklinge, die noch immer neben der Badewanne liegt. Es wäre einfach, jetzt alles zu beenden. So einfach. Ich hätte es schon längst tun sollen. Für Taichi. Plötzlich ertönt die Türklingel, reißt mich aus meinen Gedanken und verhindert deren Umsetzung. Erschreckt lasse ich die Scherbe fallen. Ich stehe auf und laufe langsam, weiterhin in einem tranceähnlichen Zustand, durch den Flur und öffne die Tür. Sofort zieht mein Arm die Aufmerksamkeit meines Freiers auf sich, einen Moment später sucht dieser Augenkontakt. Ohne ein Wort zu sagen, betritt er die Wohnung, entledigt sich seiner Schuhe sowie Jacke und schiebt mich vorsichtig, aber bestimmt an den Schultern zurück ins Bad. Dort setzt er mich auf den Wannenrand. „Ist das Verbandsmaterial da drin?“ Mein Freier deutet auf das kleine Medizinschränkchen neben der Dusche. Ich nicke kaum merklich. Schweigend versorgt er die Wunden, dann schaut er sich im Raum um und wieder zu mir. „Was genau ist eigentlich passiert, Yamato? Am Telefon sagtest du nur, du brauchst Hilfe. Dabei klangst du ebenso apathisch, wie ich dich jetzt vorfinde. Komm, ich fahre dich zurück in die Klinik. Es ist eindeutig zu früh, dir Ausgang zu gewähren.“ „Das geht nicht“, murmle ich mit belegter Stimme. „Ich habe die Therapie abgebrochen.“ Seufzend setzt sich mein Freier neben mich auf den Wannenrand. „Erzähl mir bitte, was passiert ist.“ Er deutet auf den Wassereimer und den von mir errichteten Scherbenhaufen. Bei seinem Anblick legt sich ein Lächeln auf meine Lippen. Ein Symbol meiner Beziehung zu Taichi. Ich lache laut, zugleich kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie brennen auf meinen Wangen, als würde diese salzige Körperflüssigkeit meine Haut verätzen. Dennoch kann ich nicht aufhören zu weinen. Oder zu lachen. „Yamato.“ Mein Freier hockt sich vor mich und nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände. „Beruhige dich.“ Ich nehme seine Worte kaum wahr und reagiere auch nicht darauf. „Hörst du mich überhaupt?“ In der Hoffnung, mich zur Besinnung zu bringen, schüttelt er meinen Körper. Anstatt zu verstummen wird mein Lachen hysterischer. Verzweifelt schlägt er mir kräftig ins Gesicht, um mich in die Realität zurückzuholen. Voller Entsetzen schaue ich meinen Freier an und streiche mit meinen Fingern über die schmerzende Wange. „Yamato?“, fragt er vorsichtig. „Ja.“ Meine Antwort ist nicht mehr als ein Flüstern. Ich wende meinen Blick ab und schaue zu Boden. „Danke.“ Die Berührung meines Freiers ist nur flüchtig, dennoch zucke ich leicht zusammen. „Deine Haut ist stark gerötet. Tut es sehr weh?“ „Nein.“ Erneut schaut sich mein Gegenüber im Raum um. „Die zerbrochenen Whiskeyflaschen und der starke Alkoholgeruch lassen vermuten, dass es um deinen Freund geht, hab ich recht?“ „Taichi entgleitet jegliche Kontrolle über seinen Alkoholkonsum und somit über sich selbst.“ Trotz ruhiger Stimme ist ihr Vibrieren deutlich hörbar. „Er kam völlig betrunken in die Wohnung, woraufhin ich den Entschluss fasste, mit ihm einen kalten Entzug zu machen. Als ich die Wohnungstür verschloss und die Schlüssel an mich nahm, begriff Tai, dass ich es ernst meine und fing an mich auf unterstem Niveau zu beschimpfen. Ich ging nicht auf seine Beleidigungen ein, was ihn noch wütender machte und handgreiflich werden ließ. Ab diesem Moment verlor auch ich die Beherrschung und schlug ungehemmt auf ihn ein, bis er bewusstlos am Boden lag.“ Die Worte kommen über meine Lippen, als würde sie ein Fremder sagen, unbeteiligt, emotionslos. „Wo ist dein Freund jetzt?“ „Ich habe ihn in mein Bett gebracht.“ Mit festem Griff packt mich mein Freier am Arm und zieht mich hinter sich her zu meinem Zimmer. Er setzt sich auf die Bettkante, während ich neben ihm stehenbleibe, und streicht Taichi liebevoll durch die Haare, dann über die Wange. „War es wirklich nötig, ihn so zuzurichten, Yamato?“ Ich schaue meinen Freund nicht an, weiß aber, wie schlimm er aussieht, da ich seine Verletzungen, Platzwunden und Schwellungen, so gut es ging, behandelte. „Nein. Vermutlich nicht.“ Wütend balle ich meine Hände zusammen, grabe meine Fingernägel schmerzhaft stark in meine Handinnenflächen. „Kennst du den Grund, weshalb er sich derart betrunken hat? Weißt du, ob zuvor etwas vorgefallen ist?“ „Nein“, antworte ich steif. Erinnerungen an den erzwungenen Sex in der Küche drängen sich mir auf. „Hmm… ich glaube nicht, dass du es schaffst, mit ihm einen Entzug durchzuziehen. Du bist selbst zu labil und noch nicht lange genug clean.“ Ich meide den Blick meines Freiers. Meinen Rückfall in Form von Medikamentenmissbrauch verschweige ich lieber. „Wenn es mir nicht gelingt, Tai zu helfen, werde ich mit seinen Eltern sprechen und ihn durch sie zwangseinweisen lassen. Diesen Schritt würde ich uns allen jedoch gern ersparen. Aber ohne Sie schaffe ich es wirklich nicht.“ „Wenn du mich weiterhin hier festhältst, garantiere ich für nichts mehr“, spricht mein Freund die Drohung zum wiederholten Mal hasserfüllt aus. „Das Risiko gehe ich ein“, entgegne ich ruhig, während ich ohne aufzusehen Worte auf ein Blatt Papier vor mir schreibe. Seit ich Tai seiner Freiheit beraubte, um ihn zu einem kalten Entzug zu zwingen, sind fast zwei Tage vergangen. Seine Eltern waren erwartungsgemäß gegen mein Vorhaben, vermutlich auch, weil sie mir aufgrund vergangener Ereignisse noch immer misstrauen. Letztlich schaffte ich es, Tais Eltern zu überzeugen, nachdem ich sie mit dem Alkoholproblem des Vaters konfrontierte. Dabei musste ich entsetzt feststellen, dass sein Trinkverhalten von ihnen als normal eingestuft wird. Erst, als ich meine Geduld sowie jegliches Verständnis verlor, sogar in den Hörer schrie und ihnen Vorwürfe bezüglich ihrer Unverantwortlichkeit machte, begannen die Eltern meines Freundes nachdenklich zu werden und gaben schließlich meinem Willen nach. Ich hebe meinen Blick und beobachte Tai, wie er ziellos durch das Zimmer läuft, sich auf mein Sofa setzt, wieder aufsteht, um kurz darauf nervös auf dem Bett Platz zu nehmen. Der Entzug macht sich deutlich bemerkbar, er zittert stark und ist schweißnass. Seine Haut ist fahl, seine Haare fallen ihm strähnig ins Gesicht. „Yamato, bitte! Ich halte das nicht mehr aus!“ „Du musst, denn ich lasse dich nicht gehen.“ „Gib mir die verdammten Schlüssel!“ Taichis Tonfall wird energischer, aggressiver. „Nein“, erwidere ich bestimmt. Unvermittelt steht mein Freund auf und kommt schnellen Schrittes auf mich zu. Ich halte Blickkontakt, bis er mich stark gegen die Lehne des Stuhls presst, seine Hand fest an meiner Kehle. Bedächtig schließe ich meine Augen, woraufhin er den Druck noch verstärkt. „Ich frage dich noch einmal und rate dir zu antworten! Wo sind die Schlüssel?“ Er betont jedes einzelne Wort mit Nachdruck. Ein leichtes Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Nimm mir das Bewusstsein, besser noch das Leben, und suche sie.“ Taichi lässt mich los und sieht abschätzig zu mir herab. „Ich muss dich töten, um meine Freiheit wiederzuerlangen?“ „Ja“, stimme ich umgehend zu. „Aber was willst du mit deiner Freiheit, wenn ich dafür sterben muss? Oder bin ich dir inzwischen so egal geworden, dass du mich nicht mehr in deinem Leben brauchst?“ „Wenn ich deine Frage bestätige, was würdest du tun? Dich selbst umbringen?“ „Nein, nicht bei deinem momentanen Zustand. Dein Alkoholmissbrauch hat dich in einer Art verändert, die mir nicht gefällt. Ohne mich wirst du deine Sucht nie in den Griff bekommen.“ Tais lautes, spöttisches Lachen erfüllt den Raum. „Deine Arroganz ist beeindruckend, wenn man bedenkt, wessen Schuld die derzeitige Situation ist.“ „Es ist deine Schuld, Taichi“, begegne ich seinem Vorwurf kühl. „Du allein hast diesen Weg gewählt. Ich habe dich nie dazu aufgefordert, dich zu betrinken, geschweige denn gezwungen. Aber ich zwinge dich damit aufzuhören. Ich weiß, dass meine Maßnahmen wenig Aussicht auf Erfolg haben, weil du nichts ändern willst, trotzdem gebe ich dich nicht auf.“ Nun lächelt Tai mich sanft, aber mit einer unbeschreiblichen Traurigkeit in seinen Augen an. „Du kannst ja doch kämpfen, Yamato. Aber ich hasse es, dass du diese Kraft nur aufbringst, wenn es fast zu spät ist. Und dann ausschließlich für andere, nicht einmal für dich selbst. Den Hass gegen dich wirst du nie überwinden können, oder?“ Ich antworte nicht, sondern wende mich wieder zu meinem Schreibtisch und notiere einige Gedanken. „Kommt dieser Kinderficker heute wieder?“ „Nein. Er macht lediglich Besorgungen für uns, damit ich dich nicht allein in der Wohnung lassen muss. Ansonsten wirst du ihn nicht in deiner Gegenwart ertragen müssen.“ „Stimmt, gestern hat er es dir ordentlich auf dem Küchentisch besorgt“, wirft mein Freund beiläufig, aber hörbar feindselig, ein. Der Stift in meiner Hand hält mitten im Wort inne und ich starre regungslos auf das Blatt Papier. „Du dachtest, ich würde schlafen, nicht wahr?“ Tai streichelt sinnlich über meinen Nacken. „Warum lässt du dich immer wieder von diesem Typen vögeln? Ist der Sex mit ihm wirklich so gut, dass du nicht darauf verzichten willst.“ „Ich brauche ihn und die Art, wie er mich nimmt.“ „Auch auf die Gefahr hin, dass du mich verlierst?“ Von einem unangenehmen Gefühl beherrscht wende ich mich meinem Freund zu. „Nein.“ „Dann…“ „Deine Hand ist eiskalt“, unterbreche ich Tai absichtlich. „Und du siehst nicht gut aus.“ Besorgt stehe ich auf und fahre mit meinen Fingern durch seine feuchten Haare. Der fiebrige Blick meines Gegenübers verfinstert sich, lieblos stößt er mich gegen den Schreibtisch und drängt sich dicht an meinen Körper. Ich gleite mit meinen Händen haltlos über die Arbeitsfläche, zerknittere dabei das Papier, der Stift fällt zu Boden. „Was soll ich machen, damit du nur mir gehörst? Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, wie viele alte Säcke und perverse Schweine schon in dir waren. Sei ehrlich, hat der Sportlehrer dich wirklich vergewaltigt? Ich denke eher, dass er tatsächlich einer deiner Kunden war, du nach dem Job allerdings Angst vor möglichen Konsequenzen bekommen hast. Letztlich bist du eben nichts weiter als ein dreckiger, relativ anspruchsloser Stricher, der nahezu jeden ranlässt.“ Erschüttert weiten sich meine Augen, bevor meine Mimik ausdruckslos wird. „Du hast recht. Es war nur ein Job. Sonst nichts“, stimme ich meinem Freund teilnahmslos zu. „Wirst du deine Aussage vor Gericht revidieren? Der Termin ist doch bald, wenn ich mich nicht irre. Oder hältst du an deiner Lüge fest und belastest einen Unschuldigen?“ „Er ist nicht unschuldig. Und falls die anderen Betroffenen aussagen, ist seine Verurteilung ziemlich sicher. Deshalb hat meine Aussage ohnehin kaum Bedeutung.“ „Du bist immerhin für seine Verhaftung verantwortlich.“ Genervt versuche ich mich von Taichi zu befreien. „Was willst du eigentlich? Dir ist doch völlig egal, was mit diesem Mann passiert oder ob er ein Vergewaltiger ist.“ Leichte Panik steigt in mir auf, die ich erfolglos versuche zu unterdrücken. Ich will nicht mehr daran denken müssen. Meine Haut brennt an den von ihm berührten Stellen, Schmerz breitet sich in meinem Unterleib aus, Ekel überkommt mich und Übelkeit kriecht meine Kehle empor. „Geh. Fass mich nicht an“, murmle ich kaum hörbar. „Was?“ Mit seinen Fingern hebt Tai mein Kinn und zwingt mich ihn anzusehen. Ich bringe ihm ein liebloses Lächeln entgegen. „Geh duschen, das wird dir gut tun. Vielleicht bekommst du davon auch wieder einen klaren Kopf.“ Mein Freund mustert mich mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht zu deuten vermag. Ich spüre, dass sein Zittern sich noch verstärkt. Langsam nimmt er ein paar Schritte Abstand von mir. Stumm blicken wir einander an, suchen bei dem anderen hilflos nach Halt. Allerdings schweben zugleich unausgesprochene Vorwürfe im Raum sowie lähmende Angst und Traurigkeit. Zwischen uns bleiben so viele zahllose Worte, doch nach einem kurzen Augenblick dreht Taichi mir den Rücken zu und verlässt schweigend das Zimmer. Angespannt sitze ich am Küchentisch, eine Tasse heißen Kaffees mit meinen Händen umschließend, als es an der Wohnungstür klingelt. Erleichtert öffne ich und presse mich sofort an den Körper meines Freiers, bevor er überhaupt eintreten kann. Der legt seine Arme um mich, drängt mich behutsam zurück in den Flur und lässt die Tür leise ins Schloss fallen. Mit sanfter Gewalt drückt er mich mit dem Rücken gegen die Wand. Der Kuss ist innig, schmeckt aber salzig von meinen Tränen. „Du bist blass, mein Süßer“, haucht mein Freier auf meine Lippen und fährt mit seinem Daumen über meine deutlich sichtbaren Augenringe. „Was ist passiert? Wo ist Taichi?“, will er schließlich besorgt wissen. „In meinem Bett. Er fiebert etwas. Ich weiß nicht, ob es sich um eine Entzugserscheinung handelt oder ob sein Immunsystem zu geschwächt ist. Möchten Sie Kaffee?“ „Ja, danke“, antwortet mein Freier und setzt sich auf einen der Stühle. „Hast du seine Körpertemperatur gemessen?“ „Stündlich. Sie bleibt relativ konstant zwischen 39,3°C und 39,7°C. Vor etwa drei Stunden, als er die Temperatur von 39°C überschritt, verabreichte ich ihm ein Fiebermittel, welches jedoch kaum Wirkung zeigte.“ Ich stelle die Tasse vor meinen Freier auf den Tisch und nehme ihm gegenüber auf dem anderen Stuhl Platz. Schweigend trinken wir einen Schluck des inzwischen nur noch warmen, koffeinhaltigen Getränks. „Sollte das Fieber bis morgen nicht unter 39°C sinken, wäre es besser, einen Arzt zu konsultieren.“ Mit einem leichten Kopfnicken stimme ich ihm zu. „Wie verläuft der Entzug ansonsten?“ „Tai war wach und bekam mit, wie Sie mich vorgestern in der Küche nahmen. Die darauffolgende Auseinandersetzung verlief allerdings rein verbal, war ziemlich unterkühlt und schnell beendet. Später am Abend verlor er jedoch mehrfach wegen Kleinigkeiten die Beherrschung, wurde aggressiver und zunehmend gewalttätiger. Bisher gelang es mir, seine Tätlichkeiten abzuwehren und ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Trotzdem ist mir bewusst, dass Tai mir körperlich weit überlegen ist, auch wenn der Alkohol ihn mehr und mehr zerstört. Im Ernstfall hätte ich also kaum eine Chance.“ „Hast du Angst, dass es dazu kommt?“ „Natürlich.“ Betrübt trinke ich einen weiteren Schluck Kaffee. „Ich liebe ihn und möchte ihn nicht verlieren.“ „Denkst du, du kannst die Situation auch bei Eskalationen richtig einschätzen und entsprechend handeln? Ich meine, lässt du ihn im Notfall wirklich in die Psychiatrie einweisen? Bist du tatsächlich in der Lage, ihm etwas anzutun, wofür du ihn an seiner Stelle hassen würdest?“ „Ja“, antworte ich ohne zu zögern. „Aus eben genannten Gründen. Genau deshalb darf ich auch nicht nachsichtig sein und muss schon jetzt…“ Mitten im Satz verstumme ich und schaue verkrampft in meine Tasse. „Sprich weiter, Yamato“, fordert mein Gegenüber mich umgehend auf. Ich reagiere nicht darauf, bleibe reglos. „Soll ich dir einen Schuss setzen?“ Sofort hebe ich meinen Kopf und blicke meinem Freier in die Augen. „Was?“, frage ich vorsichtig, in der Hoffnung, mich nicht verhört zu haben. „Dein Verlangen nach Heroin ist unerträglich stark, oder?“ Nervös stehe ich auf und stelle meine Tasse in die Spüle. „Ich muss nach Taichi sehen.“ „Warte, Yamato!“, ruft mein Freier mir nach, doch ich ignoriere es. Im Flur holt er mich ein, hält mich am Handgelenk fest und zieht mich dicht an sich. „Du läufst weg und du belügst dich, mein kleiner Liebling“, flüstert er in mein Ohr. „Und ich bin mir sicher, dass du gleich zusammenbrechen wirst, da ich dich mit dir selbst konfrontiere.“ Resolut versuche ich mich von meinem Freier zu lösen, muss jedoch bestürzt feststellen, dass mir die Kraft fehlt, um gegen ihn anzukommen. „Da du keine Drogen hast, musst du exzessiver auf andere selbstschädigende Maßnahmen zurückgreifen, um die verschiedenen Probleme und Situationen bewältigen zu können, hab ich recht?“ „Nein, das stimmt nicht“, entgegne ich eher halbherzig. „Wann hast du die letzte Nahrung zu dir genommen? Als wir uns vor zwei Tagen sahen, hast du bereits das Essen verweigert und ich befürchte, daran hat sich nichts geändert.“ „Ich bin einfach nicht hungrig.“ „Die Problematik bezüglich deines Hungers war früher schon einmal Thema. Aber wie willst du deinem Freund helfen, wenn du dich selbst kaum auf den Beinen halten kannst? Zieh bitte dein Hemd aus.“ Seufzend löse ich die Knöpfe aus ihren Löchern und streife den Stoff von meinen Schultern. Mein Freier sieht sich aufgrund etlicher, überwiegend frischer Wunden, die meinen Oberkörper und den linken Arm zieren, bestätigt. „Erkennst du selbst nicht, was gerade passiert? Du bist mit Taichis Entzug völlig überfordert, zumal auch du noch psychisch von Drogen abhängig bist. Eure Schwierigkeiten sind dir zwar durchaus bewusst, du weißt, wann und auf welche Weise du handeln müsstest, verkraftest es aber nicht. Aus diesem Grund versuchst du kalt und gleichgültig zu werden beziehungsweise mechanisch zu handeln, um im Ernstfall nicht zu versagen.“ Starr blicke ich zu Boden. „Ich befolge Ihren Rat, streng und unnachgiebig zu sein“, sage ich beinahe trotzig. „Im Grunde ist das auch richtig, Yamato, aber du darfst dabei nicht deine Gefühle abtöten, sonst verlierst du jegliches Gespür für die Situation und verhältst dich unter Umständen unangemessen oder sogar kontraproduktiv.“ „Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll“, gebe ich verzweifelt zu. „Du schaffst es nicht, Süßer. Zumindest nicht ohne dich selbst zu zerstören und ich bezweifle, dass Taichi damit einverstanden wäre. Es wird Zeit, dir einzugestehen, dass du deinem Freund auf diesem Weg nicht helfen kannst.“ „Warum sagen Sie das?“, schreie ich meinen Gegenüber mit Tränen in den Augen an. „Er braucht mich, nicht irgendwelche fremden Menschen, die ihn überhaupt nicht kennen. Wissen Sie eigentlich, wie es sich anfühlt, in die Psychiatrie abgeschoben zu werden, und was dort mit einem gemacht wird?“ „Ja, das weiß ich. Meinen Drogenkonsum hatte ich nicht immer unter Kontrolle.“ Nachdenklich betrachte ich meinen Freier. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich fast nichts über diesen Menschen, der mittlerweile eine große Rolle in meinem Leben einnimmt, weiß. „Erzählen Sie mir davon?“, frage ich sehr zurückhaltend. „Ursprünglich war es eine unüberlegte Rebellion gegen mein Elternhaus, welche ich letztlich bis heute teuer bezahlen muss. Meine Familie gehört der oberen Mittelschicht an, somit gab es nie finanzielle Probleme. Ihre Erwartungen jedoch waren hoch, ich fühlte mich eingeengt, bevormundet und ständig kontrolliert. Dabei ging es immer nur um Prestige. Alles war nach außen eher Schein als Sein, die perfekte Familie. Doch eigentlich kümmerte sich jeder nur um sich. Ich wollte aus dieser verhassten Lügenwelt ausbrechen. Schon als Kind war ich sehr provokativ, machte immer das Gegenteil von dem, was ich tun sollte. In der Jugend setzte sich dieses Verhalten fort. Mit meinem Drogenkonsum, den ich absichtlich nicht verheimlichte, wollte ich meinen Eltern schaden, indem ich ihren Ruf in der Öffentlichkeit zerstörte. Ich war damals zu dumm, zu uneinsichtig und zu starrköpfig, um zu erkenne, dass ich als Einziger wirklich Schaden nahm. Der unbedachte Umgang mit verschiedenen Drogen zerstörte viel und lehrte mich, was echte Probleme sind. Der Absturz war klassisch, Drogenbesitz, Drogenhandel, Diebstahl, Einbruch, Sachbeschädigung, Körperverletzung. Wenn ich nicht drauf war, was selten vorkam, war ich sehr aggressiv und skrupellos in meinem Vorgehen. Ich kannte kein schlechtes Gewissen und keine Reue. Häufig sah ich Menschen, mit denen ich Zeit verbrachte, an den Drogen zugrunde gehen. Zwei sind vor meinen Augen gestorben, doch ich fühlte nichts. Der ständige Rausch, den ich nur noch durch immer höhere Dosierungen erreichte, stumpfte mich ab. Mehrfach wurde ich wegen einer Drogenpsychose in die Klinik eingewiesen, machte einen Entzug, Therapien, brach ab. Heute weiß ich, dass ich großes Glück hatte, nie auf einer Droge hängengeblieben zu sein. Die Psychosen sind nicht irreversibel, können jedoch durch einmaligen Konsum erneut ausbrechen. Du siehst, ich kenne das Risiko, kann aber dennoch nicht auf die Substanzen verzichten. Es besteht nach wie vor eine Abhängigkeit, auch wenn ich glaube, diese unter Kontrolle zu haben.“ Ohne ein Wort zu sagen, mustere ich meinen Freier und versuche meine Gedanken zu ordnen. Zum ersten Mal sprach er über seine Vergangenheit. Dass Drogen eine Rolle spielten, dachte ich mir bereits, aber nicht in diesem Ausmaß. „Verstehst du nun, warum ich dich ständig bitte, mit Bedacht zu konsumieren? Bei deiner psychischen Verfassung ist es ohnehin unverantwortlich von mir, dich mit Drogen zu versorgen. Allerdings habe ich auf diese Weise Einfluss auf die Art und Qualität der Substanzen, die du zu dir nimmst. Psychedelika könnten beispielsweise fatale Folgen haben, da ein Horrortrip fast garantiert und die Gefahr einer Psychose extrem hoch ist.“ „Wie gelang es Ihnen, sich zu ändern und ein relativ normales Leben aufzubauen?“ Mein Gegenüber lächelt. „So klassisch wie mein Absturz war, so klassisch bin ich ins Leben zurückgekehrt. Ich lernte meine Frau kennen. Zwar liebte ich sie nie, wie ich dich oder meinen Sohn liebe, dafür fehlt das körperliche Verlangen, aber ich liebe sie auf eine andere Art, die sie unendlich wichtig für mich werden lässt.“ „Weiß Ihre Frau, dass Sie noch immer Drogen konsumieren?“ „Nein.“ Für einen Moment herrscht Stille. „Ich habe doch Tai. Warum schaffe ich es trotzdem nicht, mich zu ändern? Ist meine Liebe nicht stark genug?“, frage ich resigniert. „Problematisch ist vielmehr, dass ihr beide zu stark liebt. Diese tiefgehenden, intensiven Emotionen, sowohl positiv als auch negativ, beherrschen euer gesamtes Verhalten und verhindern jegliche Objektivität, welche in der gegenwärtigen Situation jedoch sehr wichtig wäre.“ „Aber ist meine Gefühle abzutöten dann nicht der richtige Weg?“ Zitternd verschränke ich meine Arme vor meinem Körper. Mir ist nicht kalt, aber ich fühle mich schutzlos, angreifbar und verletzlich. Offenbar versteht mein Gegenüber die Geste. Traurig blickt er mich an, macht einen Schritt auf mich zu und nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände. Mit einem leidenschaftlichen Kuss gibt er mir etwas Halt zurück. „Es existiert noch etwas zwischen den Extremen, Yamato.“ Liebevoll drückt er mich an sich. Ich schließe meine Augen und erwidere voller Zuneigung die Umarmung. „Du solltest nach deinem Freund schauen und seine Körpertemperatur kontrollieren. Ich muss nur kurz zur Toilette, dann komme ich nach und wir entscheiden je nach Taichis Verfassung über seinen weiteren Verbleib.“ Noch einmal küsst mein Freier mich auf eine Weise, die mir die Luft zum Atmen raubt und ein leichtes Schwindelgefühl auslöst. Er drängt mich dabei ein wenig zurück, bis ich mit meinem Rücken gegen die Wand stoße. Seine Berührungen sind verlangend, voller Begehren öffnet er meine Hose, liebkost die Haut meines entblößten Oberkörpers und gleitet mit seiner Hand zwischen meine Beine. „Ich würde es dir jetzt gern ordentlich besorgen und einige andere Dinge mit dir tun, aber in Anbetracht der Situation verschiebe ich das auf später“, flüstert er lustvoll in mein Ohr, lässt von mir ab und geht ins Bad. Einen Augenblick bleibe ich an die Wand gelehnt stehen, versuche meine Atmung zu beruhigen, die heftigen Körperreaktionen zu dämpfen und meinen Verstand wieder einzuschalten. Unsicher laufe ich langsam Schritt für Schritt in mein Zimmer. Taichi scheint noch immer zu schlafen. Seine Haut ist von kaltem Schweiß überzogen, er zittert. Ich messe seine Temperatur, streichle, während ich warte, sanft über seinen Arm. Mein Freund fühlt sich viel zu warm an und ein Blick auf das Thermometer bestätigt meine Befürchtung. Angstvoll betrachte ich sein, von der letzten Zeit gezeichnetes, Gesicht. „Was soll ich tun, Taichi?“, hauche ich kraftlos und völlig überfordert. „Bleibt mir wirklich keine Wahl, als dich in die Obhut Fremder zu geben, wenn ich dir helfen will? Warum kann ich dich nicht glücklich machen, verdammt!“ Weinend schlage ich mit der Faust auf die Matratze. Kein physischer Schmerz. Hektisch schaue ich mich um und fixiere die Wand. „Denk nicht einmal daran, Yamato. Damit hilfst du Taichi momentan am wenigsten.“ Von hinten legt er seine Arme um mich. „Halte deine Gefühle aus. Halte den Schmerz sowie das Verlangen nach Schmerz aus und konzentriere dich auf das Wesentliche. Zeig mir das Thermometer. Wie hoch ist das Fieber deines Freundes?“ „Es ist gestiegen. 39,9°C.“ „Zwar ist es normal, das Fieber zum Abend hin steigt, dennoch sollten wir mit ihm ins Krankenhaus fahren und wenigstens abklären, worauf der Körper mit dem hohen Fieber reagiert, damit Taichi die richtigen Medikamente verschrieben bekommt.“ „Und wenn sie ihn dortbehalten wollen?“ Entnervt wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht, mache aber keine Anstalten, mich von meinem Freier zu lösen. „Dann ist es notwendig und du solltest dich dem fügen.“ „Wahrscheinlich haben Sie recht“, lenke ich einsichtig ein. „Ich wecke ihn, damit ich ihn etwas frisch machen und umziehen kann.“ Sachte berühre ich Tais Wange. „Taichi. Hey, wach auf“, flüstere ich in fürsorglichem Tonfall. Mein Freund reagiert nicht. Ich setze ihn behutsam ein wenig auf. „Taichi, hörst du mich? Wach auf. Bitte.“ Er blinzelt und schaut mich dann mit fiebrigen Augen an. Tai wirkt desorientiert, ich bin mir nicht einmal sicher, ob er mich erkennt. „Ihn in diesem Zustand ins Krankenhaus zu bringen, wird schwierig. Ich rufe den Notarzt, bleib du bei ihm, Yamato.“ „Ja“, antworte ich knapp, ohne mich auch nur eine Sekunde von meinem Freund abzuwenden. „Ich kann es nicht, Taichi. Ich schaffe es nicht, dich glücklich zu machen. Bitte verzeih mir und töte mich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)