So einfach von GotoAyumu (Yamato Ishida x Taichi Yagami / Hiroaki Ishida x Yamato Ishida) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- So Einfach Die Abartigkeit meiner selbst wird mir wieder einmal deutlich bewusst, als ich die Narben auf meiner Haut betrachte. Finde ich sie schön? Oder abstoßend? Jedenfalls erinnern sie mich. Daran, dass ich leben will. Dass es immer weitergeht. Aber geht es das wirklich? Oder ist am Ende doch alles sinnlos? Sicher, denn es ist egal, was wir tun. Das Ende ist immer das gleiche. Es klingelt. Schwerfällig erhebe ich mich von meinem Bett. Ich schaue zur Uhr. Das wird Tai sein, wie immer um diese Zeit. Wie jeden Tag. Ich überlege kurz, mir ein Hemd überzuziehen, lasse es aber. Tai ist den Anblick meines Körpers schon gewohnt. Und ich mag es, wenn seine Augen mich immer wieder unbewusst mustern, um die Zeichen, seine Zeichen, zu betrachten. Langsam gehe ich den Flur entlang. Bedächtig, um das Pulsieren in meinem Kopf nicht zu verstärken. Als ich die Tür öffne, schaue ich direkt in die braunen Augen Tais. Schnell senke ich den Blick. „Komm rein.“ Ich wende mich ab und gehe in die Küche, um Kaffee zu kochen. „Danke.“ Die Antwort von Tai kommt automatisch, als ich ihm die Tasse reiche. Dann schließe ich die Tür meines Zimmers, setze mich auf den Stuhl an meinem Schreibtisch und versuche beschäftigt zu wirken. Mein Freund hat auf dem Bett Platz genommen, wie immer. Ich spüre seinen Blick in meinem Rücken. Es macht mich irre, doch ich sage nichts. Das Ticken der Uhr scheint immer lauter zu werden. Unerträglich laut. Angespannt stehe ich auf und schalte den CD-Player ein. Zwischen mir und den Tagen dieser Ewigkeit Versperren Mauern mir den Weg Wenn nichts als Leere übrig bleibt Erinnerung, Besessenheit Auf der Suche nach dem zweiten Ich verbrannt „Mach es aus!“, schreit Tai mich plötzlich an. Ein Schauer durchfährt meine Glieder und ich drehe mich langsam zu ihm um. Seine Augen fixieren mich. In seinem Gesicht spiegelt sich unendlicher Schmerz wider. Ich schalte die Musik ab und lasse ihn in meinem Zimmer allein zurück. Der Kopfschmerz wird stärker, als ich schwer atmend die Küche betrete. Was war das gerade? Weshalb hat er mich so angesehen? Gefühle. Verdammt, warum waren da Gefühle? Ich darf es nicht zulassen, nicht noch einmal. Weder von meiner noch von seiner Seite. So einfach ist es nicht. Ich kann ihn nicht lieben. Er kann mich nicht lieben. Wir sind nicht fähig zu solchen Gefühlen. Wir sind zu gar keinen Gefühlen fähig und doch spüren wir so unendlich viel. Es tut weh. Ich will es töten. Alles in mir. Jeden noch so kleinen Schmerz, jedes Gefühl. Und doch will ich fühlen. Ich will nicht tot sein. Nicht innerlich, wenn die Hülle noch lebt. Ich spüre das Pulsieren in meinen Adern. Es macht mich wahnsinnig, doch es gehört zu mir. Ich identifiziere mich damit. Ohne wäre ich unvollständig. Genau wie ohne Tai. Er ist wie ein Teil von mir. Wie krankhaftes Gewebe, wie befallene Organe, die man dennoch zum Leben braucht. Man lernt, mit der Behinderung umzugehen, mit ihr zu leben. Sie gehört dazu. Sie macht einen aus. Man selbst ist die Krankheit. Vielleicht ist sie heilbar. Das faule Fleisch operativ entfernbar. Aber dann wäre man nicht mehr man selbst. Ich wäre nicht mehr ich. Ich betrete das Badezimmer und drehe hinter mir den Schlüssel im Schloss. Meine Hände zittern. Ich bekomme kaum Luft. Es fühlt sich an, als würde mir jemand die Kehle abdrücken. Mir wird schwindelig und ich sacke langsam zu Boden. Ich spüre die kalten Fliesen an meinen Beinen. In meinem Kopf hämmert es immer lauter und ein Rauschen in meinen Ohren vernebelt meinen Verstand. Vor meinen Augen verschwimmt das Bild. Ich versuche nach etwas zu tasten, das mir Halt geben könnte. Meine Finger bekommen das Waschbecken zu greifen, an dem ich mich mühsam hochzuziehen versuche. Meine Beine drohen nachzugeben, aber ich schaffe es, mich einigermaßen aufrecht zu halten. Mein Blick hebt sich und starrt nun genau auf mein Spiegelbild. Die Lippen sind spröde, eingerissen und genauso weiß wie der Rest des ausgemergelten Gesichtes. Die blonden Haare hängen strähnig und ungekämmt herunter. Ein erbärmlicher Anblick. Ich ertrage mich selbst nicht und wende mich angewidert ab. Als ich mein Zimmer wieder betrete, ist mein Freund nicht da. Wahrscheinlich ist er gegangen. Erschöpft lasse ich mich auf mein Bett fallen. Tai. Verdammt! Schon wieder Tai. Warum beherrscht er in letzter Zeit so oft meine Gedanken? Ich will das nicht! Ich will nicht seine Geisel sein! Es darf keine Abhängigkeit entstehen. Abhängigkeit macht schwach und ich will nicht schwach sein! Aber ist es dafür nicht längst zu spät? Bin ich durch ihn nicht schon viel zu verletzlich? Ist er nicht schon viel zu tief in mich eingebrannt? Wie ein Stigma? Ich muss… Durch ein Klopfen an meiner Tür werde ich aus den Gedanken gerissen. Tai? Ist er doch nicht gegangen? Ich quäle mich aus dem Bett und öffne. „Papa.“ Ich schaue ihn verwirrt an. Er sollte doch eigentlich geschäftlich unterwegs sein, warum… „Yamato.“ Er sieht mich besorgt an. „Bist du krank? Du siehst schlimm aus.“ „Was willst du hier?“ „Na hör mal, ich wohne hier schließlich.“ Sein Blick verfinstert sich. Ich habe jetzt keine Lust auf Grundsatzdiskussionen, schiebe mich an ihm vorbei in den Flur und ziehe Stiefel und Mantel an. „Wohin willst du?“ „Raus“, sage ich knapp, nehme meinen Schlüssel von der Kommode und lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Ich hab keine Angst in der Dunkelheit, die mich umgibt Hier kann man die Tränen gar nicht sehen Die Wellen brechen über mir Am Meeresgrund lauf ich zu dir Ich such nicht mehr und dennoch find ich dich Der Text des Liedes, welches Tai vorhin zur Verzweiflung gebracht hat, geht mir durch den Kopf. Die Straßen sind ziemlich leer, obwohl gerade erst die Dämmerung einsetzt. Wahrscheinlich ist es den Leuten zu kalt und sie machen es sich lieber in ihren Wohnungen gemütlich. Ich mag die Kälte. Ich habe kein bestimmtes Ziel. Was sollte ich auch für eines haben? Es ist wie im Leben. Man braucht keine Ziele, um das zu erreichen, was letztlich alle erreichen. Der Tod kommt so oder so. Er ist für alle unausweichlich. Ob ich nun ein tolles Leben mit vielen Zielen und ehrenwerten Tätigkeiten habe oder ob ich ein Niemand bin… wen interessiert das? Es ist irrelevant. Wenn man stirbt, war es das. Es gibt kein Leben danach, keine Wiedergeburt oder dergleichen. Wir verfaulen in unseren Särgen unter der Erde oder werden gleich verbrannt. Und wir bekommen es noch nicht einmal mehr mit. Also, wozu das ganze Theater im Leben? Für andere? Für mich selbst? Tai. Ich… Nein! Gewaltsam hole ich mich aus meinen Gedanken. Ich will nicht an ihn denken müssen. Meine Schritte führen mich direkt in eine Seitengasse. Nach einigen Metern bleibe ich stehen und lehne mich erschöpft gegen die Mauer. Ich schließe meine Augen. Einige Straßengeräusche dringen an meine Ohren, hin und wieder vernehme ich Worte von Menschen, die sich unterhalten oder telefonieren. Ich zittere und merke, wie meine Beine allmählich nachgeben. Langsam rutsche ich die Mauer entlang nach unten. Mir ist schwindelig und schlecht. Meine Gedanken kreisen immer schneller und schneller. Ich kann ihnen nicht mehr folgen. Sie werden lauter. Ein Rauschen in meinen Ohren. Es dringt in meinen Kopf. Es sticht. Es pulsiert. Ich versuche, die Augen offen zu halten. Sind sie offen? Punkte. Überall Punkte. Sie tanzen. Sie werden größer. Und schwärzer. Meine Kehle. Ich will etwas sagen. Sie brennt. Es schmerzt. Trocken. Alles trocken. Kein Laut kommt hervor. Nichts. Ich versuche zu schlucken. Etwas hindert mich. Jemand hindert mich. Tai. Taubheit. Etwas anderes spüre ich nicht. Langsam öffne ich die Augen. Wie viel Zeit ist wohl vergangen? Wie lange sitze ich bereits in dieser gammeligen Gasse? An die Wand des baufälligen Hauses gelehnt? Ein Haus, welches überflüssig ist, allenfalls das Gesicht der Stadt verschandelt. Es ist mir so ähnlich. Wir beide warten darauf, endlich erlöst zu werden und aus dem Bewusstsein der Menschheit zu verschwinden. Doch wie ihm wird es auch mir verwehrt. Ich versuche meine Beine zu bewegen, um aufzustehen. Ich spüre sie nicht. Die Kälte hat sich bis zu meinen Knochen durchgenagt. Bedächtig lege ich den Kopf in den Nacken und blicke erschöpft nach oben. Der Himmel ist grau bedeckt und vereinzelt tänzeln Schneeflocken gen Erde. Diese Leichtigkeit habe ich schon immer beneidet. Unbeschwerte Freiheit. Grenzenlosigkeit. Und doch auch diese Kälte und Leblosigkeit, ebenso wie ich sie fühle. Sanfte Atemwölkchen gesellen sich zu dem Bild, welches sich meinen Augen bietet. Doch sie haben keine große Lebensspanne, denn sie lösen sich nach kurzer Zeit in Nichts auf und machen den Weg für neue frei. Es ist ein Kommen und Gehen. Leben und Sterben. Kein Kampf um Existenz. Keine kläglichen Versuche, etwas zu leisten, unvergesslich zu werden. Wozu auch. Eine gleicht der anderen. Und selbst wenn nicht, so erfüllen sie doch keinen bestimmten Zweck für das Bestehen des Universums. Sie entstehen ungefragt, lautlos und genauso gehen sie auch. „Yama…“ Eine Stimme dringt unwirklich an mein Ohr. Wie in Trance senke ich meinen Blick und drehe meinen Kopf in die Richtung, aus der mein Name gerufen wurde. Tai. Verdammt. „Was tust du denn da? Willst du erfrieren?“ Er schaut mich vorsichtig besorgt an. Keine schlechte Idee, aber diese Methode ist mir den Erfolg betreffend zu unsicher. Aber warum ist er hier? Warum ausgerechnet er? Ich will ihn nicht sehen. Ich darf ihn nicht sehen! „Was willst du, Taichi?“ Meine Stimme klingt härter als beabsichtigt, woraufhin er leicht erschreckt und mich dann verzweifelt ansieht. Ich kann den Schmerz in seinen Augen lesen, doch es ist zu spät. „Lass mich einfach in Ruhe. Ich kann dich nicht mehr ertragen. Deinen Anblick, deine Nähe, deinen Geruch, deine Berührungen, deine Stimme… all das kotzt mich an. Verstehst du? Du hinderst mich am Leben. Du erdrückst mich, nimmst mir die Luft zum Atmen… ich…“ „Nein!“ Ich sehe Tränen in seinen Augen. „Das ist nicht wahr! Das bist alles nur du selbst! Wach endlich auf, verdammt!“ Bei diesen letzten Worten dreht er sich weg. Langsam und recht wackelig setzt er sich in Bewegung und mit jedem Schritt entfernt er sich weiter von mir… bis ich ihn aus den Augen verliere. Mit zitternder Hand versuche ich die Wohnungstür zu öffnen. Es brennt noch Licht, das bedeutet, mein Vater ist noch wach. Es ist spät geworden, denn ich saß noch eine gefühlte Ewigkeit an diesem maroden Haus. Ich hatte gehofft, dass ich meinem Vater nicht mehr begegnen würde, wenn ich in der Nacht erst nach Hause käme. Ich versuche mich unbemerkt in mein Zimmer zu schleichen, doch ich höre Bewegung im Wohnzimmer. „Wo warst du so lange?“, fragt er übertrieben streng. „Das geht dich nichts an.“ Bestimmt kommt er auf mich zu und stellt sich mir in den Weg. Er erhebt die Hand. Ich schaue ihm provozierend in die Augen und warte auf den süßlich bitteren Schmerz. „Nimm ein heißes Bad, sonst erkältest du dich. Deine Lippen sind ganz blau und du zitterst.“ Er senkt die Hand, dreht sich um und geht ohne ein weiteres Wort zurück ins Wohnzimmer. Ich hatte mein Zittern nicht wahrgenommen, sonst hätte ich es vor ihm verborgen. Ich hasse es, wenn man mir Schwäche anmerkt. Ich hasse mich, wenn ich Schwäche zeige. Ich hasse mich, weil ich schwach bin. Ich hasse mich, weil ich ich bin. Die ersten Sonnenstrahlen fallen auf mein Gesicht, als ich die Augen öffne. Benommen blicke ich auf meinen Wecker. Zu früh, um aufzustehen. Eigentlich will ich gar nicht mehr aufstehen. Wozu auch? Ich drehe mich um und ziehe die Decke über meinen Kopf. Wenn ich lange genug so liegen bleibe, ersticke ich vielleicht irgendwann. Unsinniger Gedanke. Ich hasse meine Gedanken. Tai. Seine Worte kreisen mir noch immer im Kopf herum. Im Grunde weiß ich, dass er Recht hat. Mich macht wütend, dass er es auch weiß. Mich macht wütend, dass er es laut ausgesprochen hat. Was soll ich jetzt tun? Es einfach zu ignorieren ist nicht möglich. Dabei wollte ich ihn nicht mehr sehen, nie wieder an ihn denken. Doch mit diesen Worten hat er mich an sich gebunden. War es das, was er damit bezweckte? Ist er wirklich so berechnend? War sein Verhalten bisher nur Fassade? Ich stehe auf und schalte meinen CD-Player ein. Vielleicht hilft mir die Musik, meinen Gedanken Einhalt zu gebieten. Zurück im Bett ziehe ich die Decke wieder über meinen Kopf und lausche den Klängen des Musikstückes. Der Abgrund, so nah und es hämmert in deinem Kopf Du spürst nur noch die Kälte unter deiner Haut Doch auch der Sturm verweht die Gedanken nicht Den lebenslangen Kampf Und auch der Regen löscht die Tränen nicht Und dein Gesicht verbrennt - es brennt Du wagst nicht, dich zu bewegen, dein Herzschlag verlangsamt sich Die Stunden vergehen, doch es bleibt kalt Doch auch der Sturm verweht die Gedanken nicht Den lebenslangen Kampf Und auch der Regen löscht die Tränen nicht Und dein Gesicht verbrennt Du fragst nicht mehr, was sollte sich jetzt noch ändern? Du fragst nicht mehr, denn du trägst die Antwort in dir Du kannst nichts mehr hören, das Rauschen ist längst verstummt Dein Körper gespalten - fast alles bleibt Du fragst nicht mehr, was sollte sich jetzt noch ändern? Du fragst nicht mehr, das Blatt kann sich nicht mehr wenden Du fragst nicht mehr, welchen Weg du gehen sollst Du fragst nicht mehr, denn du trägst die Antwort in dir Die Antwort. Ich kenne sie schon lange, doch richtig gestellt habe ich mich ihr nie. Ansätze waren immer da, kurze Überlegungen und Impulse, aber es hat nie gereicht. Wollte ich nicht? Konnte ich nicht? Was spielt das jetzt noch für eine Rolle. Letztlich wusste ich doch immer, dass es unvermeidbar sein würde. Das Ende ist immer das gleiche, ob ich mich diesem nun stelle oder nicht. Es gibt kein Entkommen, also kann ich mich dem ebenso gleich ergeben. Zu verlieren habe ich nichts, außer meinem Leben. Aber darin liegt ja auch der Sinn. Sinn… wenigstens am Ende gibt es so etwas wie Sinn. Also liegt der eher im Tod als im Leben? Den Platz für jemand anderen freimachen, niemandem mehr zur Last fallen… sich selbst nicht mehr quälen, ist das letztlich der einzige Sinn? Wozu werden wir dann geboren? Der Sinn des Lebens liegt darin, zu leben. Schöne Worte, doch ich verstehe sie nicht. Ich kann sie nicht umsetzen, so sehr ich auch wollte. Und ich wollte wirklich. Jetzt bin ich zu erschöpft, um noch irgendetwas zu wollen. Alles ist taub. Das Pulsieren in meinem Kopf ist verschwunden. Leere. Kein Gedanke. Ich bemerke noch nicht einmal, wie ich mich aus meinem Bett erhebe und mein Zimmer verlasse. Auch nicht, wie mein Vater in den Flur schaut und mir etwas zuruft. Ich sehe nichts, ich höre nichts, ich spüre nur eine unbeschreibliche Leichtigkeit. So fremd und doch so sanft umhüllend. Es ist, als könnte ich zum ersten Mal frei atmen. Als würde ich zum ersten Mal fühlen. Fühlen, was es bedeutet, glücklich zu sein. Eine weiße Zimmerdecke. Kahle Wände, von denen der Putz beginnt abzublättern. Trostlos, steril. Seit Wochen der gleiche Anblick. Tag für Tag. Ich liege auf meinem Bett und starre ins Nichts. Es ist einer der wenigen Momente, in denen ich ein paar Minuten für mich habe. Mein Zimmernachbar nutzt den Ausgang, um ein paar Dinge in der Stadt zu erledigen. Ich möchte gerade etwas Musik anschalten, weil ich die Stille nicht mehr ertrage, als es an der Tür klopft. „Herr Ishida, Besuch für Sie.“ Hinter der Stationsschwester betritt Takeru, mein kleiner Bruder, den Raum. Mit den Worten „bitte vergessen Sie nicht, dass die Besuchszeit in einer halben Stunde endet und Besuch auf den Zimmern eigentlich nicht gestattet ist“ verlässt sie den Raum wieder und schließt die Tür hinter sich. „Immer wieder freundlich!“ Takeru schaut ihr grimmig hinterher. Dann wendet er sich mir zu. „Wie geht es dir heute?“ Ich schweige und drehe meinen Kopf weg. Draußen vor dem Fenster sehe ich Schneeflocken tanzen. Es ist noch immer Winter, dabei kommt es mir wie eine Ewigkeit vor, die ich hier bereits eingesperrt bin. Das ist meine Strafe, weil ich zu schwach war. Weil ich versagt habe. Wieder einmal. Wie so oft. Ich bin nicht fähig zu leben, aber sterben kann ich auch nicht. Wozu bin ich nütze? Wieso gibt es mich überhaupt? Ich habe Tai seit damals in dieser Gasse kein einziges Mal mehr gesehen. Habe ich Sehnsucht nach ihm? Oder ist es dieselbe Abhängigkeit wie damals? Hat sich denn nichts geändert? Ist noch alles wie zuvor? Wofür das alles dann? Wenn es letztlich doch umsonst war… „…to! Yamato!“ Die Stimme meines Bruders reißt mich aus diesen Gedanken. Ich drehe meinen Kopf und schaue ihn an. Seine Augen sehen traurig zu mir. Er mustert mein Gesicht. Als wollte er etwas sagen, öffnet er den Mund, doch ohne ein einziges Wort schließt er ihn wieder. Dann steht er auf und öffnet die Zimmertür. Mit einem Blick zurück sagt er: „Ich komme morgen wieder.“ Ein weißer Raum Die Gedanken unerkannt Ein Hauch von Dir verdrängt die Nacht in mir Vergänglichkeit rinnt durch meine Hand Abgesehen vom Vergessen ist nichts, was bleibt Was bleibt? Ist der Morgen noch unendlich weit? Die Welt kann noch warten Im Zwang ihrer selbst Besteht die Zeit nur aus Narben an mir Wozu gibt es Ewigkeit? Die Welt kann noch warten Im Wahn, ungestört Besteht die Zeit nur aus Narben an mir Wozu gibt es Ewigkeit? Dein eigenes Bild Im Spiegel unbewegt Die Stimme lautlos in meinem Kopf Ein Meer versiegt Und man ertrinkt darin Abgesehen von der Zeit ist nichts, was bleibt Ich öffne meine Augen, entferne die Kopfhörer aus meinen Ohren und setze mich langsam auf. Es ist dunkel im Zimmer, sodass ich nur Konturen wahrnehmen kann. Meine Gedanken sind bei Tai. Ein Traum mit ihm. Mit uns. Von der Vergangenheit. Aber irgendwie auch nicht. Ich stehe auf, gehe ins Bad und wasche mein Gesicht mit kaltem Wasser. Es nervt, dass selbst die Badzimmertür nicht abschließbar ist. Nach dem Abtrocknen verlasse ich das Bad und gehe leise aus dem Zimmer. Ich gehe nach vorn zum Schwesternzimmer. Die Nachtschwester bemerkt mich erst nach einer kurzen Weile und schaut mich fragend an. „Herr Ishida? Können Sie nicht schlafen?“ „Doch… naja, nicht so richtig.“ „Albträume?“ „Nein, eigentlich nicht.“ „Ich schließe Ihnen erst einmal den Aufenthaltsraum auf und mache Ihnen einen beruhigenden Tee. Setzen Sie sich schon hinein.“ „Danke“, sage ich und leiste Folge. Normalerweise stehe ich in der Nacht nicht auf. Selbst, wenn ich nicht schlafen kann oder wirklich schlecht träumte. Doch dieser Traum von Tai… und mir… er hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen. Ich konnte nicht in diesem Zimmer bleiben. Allein mit meinen Gedanken und… Gefühlen? „So, hier ist Ihr Tee. Lesen Sie etwas oder lösen Sie Rätsel. Das macht meist müde. Falls Sie etwas brauchen, wissen Sie, wo Sie mich finden. Wenn Sie wieder ins Bett gehen, geben Sie mir bitte Bescheid.“ Ich nicke, habe aber nur zur Hälfte zugehört. Meine Gedanken kreisen in meinem Kopf. Die Stimmen werden lauter und ein unbändiges Verlangen beginnt in mir aufzusteigen. Ich fasse mir an die Schläfen und massiere sie etwas, doch es nützt nichts. Mein Blick irrt suchend im Raum umher. Die Wirklichkeit scheint zu verschwimmen, das Sichtfeld verengt sich, alles scheint sich aufzulösen, zu verzerren, wird größer und kleiner, lauter und leiser, wie in Watte gepackt, verschleiert und doch unglaublich klar… ein lautes Klirren beendet den Wahnsinn. Ich schaue hinab auf meine Hand, dann zur Glasscheibe der Tür, die in tausend Scherben zersprungen ist. Ich höre die eiligen Schritte der Schwester, sie kommt auf mich zu. „Herr Ishida!“ Sie packt mich am Arm. „Herr Ishida!“ Sie dreht mein Gesicht in ihre Richtung. Dann zieht sie mich in Richtung des Schwesternzimmers. „Setzen Sie sich, Herr Ishida! Ich rufe den diensthabenden Arzt.“ Ich komme der Aufforderung nach, setze mich und starre abwesend zu Boden. Was ist passiert? Meine Erinnerungen sind verschwommen. Mein Kopf dröhnt und ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Am Rande bekomme ich mit, wie der Arzt erscheint, die Schwester ihm die Sachlage erklärt und er sich dann an mich wendet. „Zeigen Sie mir bitte Ihre Hand, Herr Ishida.“ Ich reagiere nicht. „Herr Ishida! Können Sie mich hören, Herr Ishida?“ Ich sehe ihn an und doch sehe ich durch ihn hindurch. Ich spüre, wie er vorsichtig meine Hand begutachtet. Mit einer Pinzette entfernt er ein paar Glassplitter. „Es muss geröntgt werden, um auszuschließen, dass noch Glassplitter in einer der Wunden sind.“ „Was ist passiert, Herr Ishida? Wieso haben Sie das getan?“ Ich antworte nicht. „Ihnen ist klar, dass das Konsequenzen haben wird, Herr Ishida?“ Ich blicke auf und der Bezugstherapeutin direkt in die Augen. „Sie hatten sich in den letzten Wochen doch schon einiges erarbeitet? Wieso solch ein Rückfall? Aber eigentlich sollte es gar kein Suizidversuch werden, habe ich recht, Herr Ishida? Was war der Auslöser für Ihr dysfunktionales Verhalten?“ Meine Augen bleiben an ihren haften. „Also gut. Die Folgen kennen Sie, Herr Ishida. Time out für die nächsten 24 Stunden, danach kein Ausgang ohne Begleitung, ebenso Besuchsverbot, Ihre Verhaltensanalyse ist innerhalb der nächsten zwei Stunden im Schwesternzimmer abzugeben und zur nächsten Gruppensitzung vor den anderen Patienten vorzutragen, sowie Ihre positiven Sanktionen, die Sie umzusetzen haben. Haben Sie das verstanden, Herr Ishida?“ Ihr Blick scheint mich fast zu durchbohren. „Herr Ishida!“ Ich schaue auf meine verbundene Hand. Die Wunden pulsieren etwas. Aber nur ganz leicht. Was war nur passiert? Ich hasse mich, ich hasse Tai dafür. Es ist alles seine Schuld. „Ja“, höre ich mich leise sagen. Ich bin getaucht im stillen See Und habe nicht um Rat gefragt Dabei wird mir wohl jetzt erst klar So tief hat’ ich’s noch nie gewagt Erst ruhig und sanft, so eisig kalt Dann von der Strömung hart erfasst Die Angst, die mich begleitet Ergreift mich nun in wilder Hast In der Tiefe Deiner Träume will ich wieder bei Dir sein Der Atem, wie Gedankenblasen Steigt er auf und mischt sich nun Mit jenem Unsichtbaren Das all unser Tun verschlingt Und ohne Sinn für jedes Ziel Die Kraft auf falschem Weg verzehrt Der Hoffnung alles anvertraut Bin ich ans Licht zurückgekehrt In der Tiefe Deiner Träume will ich wieder bei Dir sein Und der Wind trägt mich fort, immer weiter Die Uhren stehen still, nur das Licht vergeht Zurück. In meiner Welt. Eine Welt, aus der ich eigentlich entfliehen wollte. Es fühlt sich so falsch an. Ich gehöre nicht mehr hierher. Und dennoch muss ich jetzt damit leben. Leben… falls man das so nennen kann. Warum habe ich nicht ernsthaft versucht zu gehen? Wäre dem so gewesen, hätte ich es geschafft. Was hat mich abgehalten? Oder was hat mich erst so weit gebracht? Wie konnte es dazu kommen? Wollte ich wirklich sterben? Ich weiß es nicht. Diese Zerrissenheit zwischen leben wollen und sterben frisst mich auf. Sie lähmt mich, hindert mich am Atmen, am Leben. Und doch existiere ich weiter. Ich bin ein Gefangener meiner selbst. Unfähig über mich zu richten, nicht bereit mich zu akzeptieren. Ich erhebe mich von meinem Bett und schalte den CD-Player aus. Reglos stehe ich in meinem Zimmer. Mein Blick schweift durch den Raum. Ich sehe Dinge, die mir gehören, die mich ausmachen. Doch bin das wirklich ich? Vieles davon bedeutete mir irgendwann einmal etwas. Doch jetzt… jetzt ist da nichts mehr. Keine Gefühle der Zuneigung, noch nicht einmal Besitzanspruch. Wertlos. Genau wie ich. Ich darf nicht nachdenken. Das ist schlecht. Ablenkung. Ich muss etwas tun, damit ich nicht denken kann. Ich verlasse das Zimmer, um in die Küche zu gehen. „Yamato.“ Mein Vater, der am Küchentisch sitzt, sieht von seiner Zeitung auf. „Setz dich. Möchtest du Kaffee? Er ist gerade erst durchgelaufen.“ Er steht auf, nimmt eine Tasse aus dem Schrank, füllt sie mit Kaffee und hält sie mir entgegen. „Danke.“ Ich setze mich ihm gegenüber an den Tisch. Die Atmosphäre ist angespannt. Ich merke, dass er um Normalität bemüht ist, doch es gelingt ihm nicht ganz. Er verkrampft, sobald er mich sieht. Er weiß nicht, wie er mit mir umgehen soll. Ich würde ihm gern sagen, dass ich kein rohes Ei bin und in Watte gepackt werden muss, doch ich schweige. Wie so oft in letzter Zeit. „Wie läuft die Therapie?“ Ich seufze innerlich. Wieder das Thema. Es ist so sinnlos. „Ganz gut“, lüge ich. Stille. Wir sehen uns nicht an. Das Schweigen ist unerträglich. Draußen höre ich Autos vorbeifahren. Vor dem Fenster wiegt sich ein kahler Baum im eisigen Wind. Schutzlos trotzt er allem, was ihn zerstören will, nur damit er im Frühling neu erblühen kann. Aber wofür der ganze Kampf? Immer wieder aufs Neue? Um letztlich doch zu sterben... es gibt eben kein Entkommen, egal wie sehr man sich auch anstrengt. Egal wie stark der Lebenswille ist. Wozu also anstrengen? „Yamato?“ Ich löse mich von meinen Gedanken und sehe meinen Vater an. „Deine Gedanken…“ Sorge gemischt mit Angst zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. „Du driftest wieder ab und starrst apathisch ins Nichts.“ „Tai kommt nachher noch vorbei.“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, aber ohne jede Emotion. Ich liege auf meinem Bett. Meine Augen sind geschlossen. Ich spüre die Wärme von Tais Körper, obwohl wir uns nicht berühren. Er liegt neben mir. Wir schweigen. Es ist dieselbe Zeit wie immer. Wie früher. Früher… eigentlich hat sich nichts geändert. Tai besucht mich jeden Tag um die gleiche Zeit. Manchmal haben wir Sex, die meiste Zeit schweigen wir uns an. Über das, was passiert ist, reden wir nicht. Er fragt auch nicht. „Möchtest du einen Kaffee?“ Ich stehe auf und ziehe mir ein Hemd über. „Yamato.“ Tai setzt sich auf und sieht mich durchdringend an. „Was bin ich für dich?“ Mein Hemd langsam zuknöpfend öffne ich die Tür und gehe in die Küche. Dort angekommen setze ich Kaffee auf und während ich warte, gleitet mein Blick aus dem Fenster. Wieso diese Frage? Wieso jetzt? Es sollte so bleiben, wie es ist. Er darf es nicht wieder kaputt machen. Ich will nicht darüber nachdenken, denn sonst müsste ich mich mir selbst stellen. Meine Gefühle sind tot. Nur das hält mich am Leben. Und ich muss leben… existieren. Für meinen Vater, für meinen Bruder und meine Mutter. Für Tai? Als ich mich gewaltsam aus meinen Gedanken hole, bemerke ich, dass Tai den Raum betreten hat und mich am Tisch sitzend beobachtet. „Woran hast du gedacht?“, möchte er wissen. Sein Gesichtsausdruck ist kalt und ohne jegliche Regung. Schon seit unserem Wiedersehen. Er ist anders. Ich habe meinen Tai vor langer Zeit verloren. Ich weiß nicht, ob der Tai, den ich kannte, noch lebt. Aber was habe ich auch erwartet. Ich habe ihn schließlich zu dem gemacht, was er jetzt ist. Ich habe ihn dazu getrieben, so zu werden. Meine Verdorbenheit, mein Egoismus und meine Abartigkeit haben ihn mit in den Abgrund gerissen. Ich hätte ihn schützen müssen. Ich hätte mich von ihm lossagen müssen, als es noch nicht zu spät war. Ich… was denke ich? Wieso… Gefühle? Ich darf nicht… Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als ich Tais Hand spüre, wie sie eine Strähne aus meinem Gesicht streicht. Sein Blick ist starr. Ich schaue ihn entsetzt an. „Glaubst du, ich schone dich, aus Angst, du könntest dir wieder etwas antun? Du kannst nicht ewig weglaufen. Und ich lasse dich nicht sterben. Erinnerst du dich? Ich sollte dich töten. Du wolltest durch meine Hand sterben. Damals konnte ich es nicht. Doch heute…“ Seine Hand gleitet hinab zu meinem Hals. Er umfasst ihn sanft. Dann drückt er zu. Augenblicklich verändert sich meine Wahrnehmung. Das Rauschen in meinen Ohren nimmt zu und das Pulsieren in meinem Kopf wird stärker. Sein Gesicht verschwimmt vor meinen Augen. Ich schließe sie angestrengt. Meine Hände ergreifen ganz automatisch seinen Arm und krallen sich darin fest. „Bist du jetzt glücklich? Gleich wird es vorbei sein. Ich werde dir das abnehmen, was du allein nicht geschafft hast.“ Bei diesen Worten schiebt er mit seiner freien Hand meinen Ärmel etwas nach oben und streicht behutsam über die längs verlaufende Narbe an meinem Handgelenk. „Du wolltest mich einfach so verlassen. Warum? Was ist geschehen? Mit dir? Mit uns?“ Leichte Melancholie schwingt in seiner Stimme mit. Ich will etwas sagen, doch es gelingt mir nicht. Selbst das Schlucken ist annähernd unmöglich geworden. Ein verzweifelter Versuch bringt mich zum Husten. Ich öffne meine Augen. Ich sehe Tais Gesicht. Seine Augen sind von Tränen erfüllt. Dann verdunkelt sich meine Sicht und ich sacke zusammen. Schmerz. Meine Kehle brennt. Ich versuche zu schlucken. Mit viel Anstrengung gelingt es. Ich möchte die Augen nicht öffnen. Ich weiß, dass er im Zimmer ist. Tai. Er hat sein Versprechen wieder nicht gehalten. Er hat es wieder nicht geschafft. Nur leere Worte. Bin ich enttäuscht? Wütend? Erleichtert? Glücklich? In meinem Kopf dreht sich alles. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Erst jetzt bemerke ich, dass Tai den CD-Player eingeschaltet hat. Ich versuche mich auf die Musik zu konzentrieren. Bleibt falscher Glanz in Deinem Lachen, wenn alles sich wendet Bleibt falscher Glanz in Deiner Nähe Du schwankst, wenn die Erde Dich dreht Kein Wort auf Deinen Lippen, hat die Stille Dich nicht so gestört Nur schwarz und weiß, in Deinem Innern ist die Verteilung der Schuld längst geklärt Du wartest noch auf die Klarheit, Du vergisst, Du bist mittendrin Kannst Du mich sehen, falls man Dich finden will Wird nichts Dich verändern „Yamato. Ich weiß, dass du wieder bei Bewusstsein bist.“ „Du merkst aber auch alles.“ Meine Stimme klingt rau und belegt. „Wieso hast du es nicht zu einem Ende gebracht? Soll das denn ewig so weitergehen?“ „Ich weiß nicht. Sag du es mir.“ Schwerfällig setze ich mich auf. Tai muss mich in meinem Zimmer auf das Bett gelegt haben, nachdem ich das Bewusstsein verlor. Ich schaue ihn an, kann seinem Blick jedoch nicht standhalten. Merklich nervöser werdend versuche ich einen Punkt zu fixieren. Doch meine Augen irren im Raum umher. Ich spüre, dass er mich noch immer ansieht. „Was erwartest du jetzt von mir? Was soll ich deiner Meinung nach machen? So tun, als wäre nichts gewesen, ist ja offensichtlich der falsche Weg.“ „Richtig. Gut erkannt.“ Ich bilde mir ein, Bitterkeit in seiner Stimme zu hören. Ich sehe zu ihm. Sein Blick haftet auf den verschiedenen Tablettenverpackungen, die auf meinem Nachttisch liegen. Mit einem Kopfnicken in diese Richtung fragt er: „Helfen die überhaupt? Ich habe nicht das Gefühl.“ Mit einem Schulterzucken antworte ich: „Keine Ahnung. Ich weiß ja nicht, wie es ohne wäre.“ Er schweigt. Ich versuche irgendeine Regung in seiner Mimik zu erkennen. Nichts. Dieselben kalten Augen. Seit diesem Vorfall. „Und die Therapie? Bringt die denn was?“ Ungläubig sehe ich ihn an. „Wie bitte?“ Ich versuche meine Gedanken zu sortieren. Mit einer solchen Frage, mit einer solchen Unterhaltung habe ich nicht gerechnet. „Ich kann keine Verbesserung erkennen, Yamato. Du bist nur noch verschwiegener geworden.“ „Du hast doch keine Ahnung!“, schreie ich ihn an. Ruhig gibt er zurück: „Natürlich nicht. Wie sollte ich auch. Du redest ja nicht mit mir.“ „Geh.“ Ich versuche ihn bei diesen Worten nicht anzusehen. Ich drehe mich weg. Ich will ebenso wenig, dass er mich ansehen kann. Erleichtert höre ich, wie er aufsteht und durch das Zimmer läuft. Ohne auch nur ein Wort zu sagen. Ohne jegliche Gegenwehr. Habe ich gehofft, dass er sich sträubt? Dass er um mich kämpfen würde? Dass er nicht so einfach gehen würde? Unerwartet legt Tai seine Arme um meinen Körper. Ich spüre den warmen Atem an meinem Ohr, fühle seinen Herzschlag in meinem Rücken. Er drückt mich näher an sich. Ich möchte mich wehren, bin jedoch wie gelähmt. Flüsternd fragt Tai, ohne sich von mir zu lösen: „Wie fühlt es sich an? Wie fühlt sich körperliche Nähe ohne Sex an? Wie fühlen sich die Gefühle eines anderen für dich an? Erträgst du sie? Kannst du sie ertragen? Willst…“ „Sei still!“, schreie ich verzweifelt. „Sei still“, wiederhole ich es flüsternd, jedoch so leise, dass Tai es kaum verstanden haben kann. Ich möchte mich aus seiner Umarmung befreien, rühre mich jedoch nicht. Es ist, als wäre sämtliche Kraft aus mir gewichen. „Warum wehrst du dich nicht? Du willst das alles doch gar nicht. Oder willst du es doch? Schaffst du es nicht einmal, ehrlich zu dir selbst zu sein?“ „Nein!“ Meine Stimme zittert. Ebenso wie mein Körper. „Ich schaffe es nicht. Ich darf es nicht.“ „Wieso nicht?“, möchte Tai wissen, doch ich kann ihm keine Antwort darauf geben. Mich noch immer im Arm haltend sitzen wir auf dem Boden meines Zimmers, als die Dämmerung beginnt und die Dunkelheit langsam Einzug hält. Draußen fallen wieder erste Schneeflocken und ich sehe, wie ein einsames Blatt den verbitterten Kampf verliert, seinen sonst kahlen Baum verlässt, um durch die eisige Winterluft gewirbelt zu werden und irgendwann sanft zu Boden zu gleiten. Es ist beachtlich, dass es so lange durchhalten konnte. Anscheinend war der Wind bisher nicht stark genug, um ein totes Blatt mit sich zu reißen. Doch es war nur eine Frage der Zeit. Ich bemerke ein starkes Schütteln meines Körpers, als ich ein Stück weit in die Realität zurückgerissen werde. Tai. Er sitzt vor mir. Seine Hände zerren an mir und ich sehe, dass seine Lippen sich bewegen und scheinbar zu mir sprechen. Ich kann ihn nicht hören. Nicht verstehen. In meinem Kopf ist völlige Leere. Die Umgebung verschwimmt. Ich fühle nichts. Nicht einmal mehr seine Berührungen. Alles ist taub und doch irgendwie seltsam intensiv. Dann durchfährt mich ein zwiebelnder Schmerz. Meine Augen sind weit aufgerissen, als ich die Silhouette Tais vor mir in der Dunkelheit erkenne. Seine Hand ist noch von der Ohrfeige, die er mir gerade verpasst hat, erhoben. Tränen laufen seine Wangen hinab. „Wer bist du?“ Seine Stimme ist brüchig und klingt verzweifelt. „Ich erreiche dich nicht mehr! Du verschwindest in irgendeine Welt und niemand weiß, ob du je zurückkehren wirst.“ Ich schaue ihn an, unfähig etwas zu sagen. Ich verstehe seine Worte, doch ich begreife sie nicht. „Verdammt nochmal! Rede mit mir! Yamato!“ Flehentlich sieht er mir in die Augen. Als er das Erhoffte offenbar nicht zu finden vermag, sagt er mit trauriger, aber tonloser Stimme: „Du lässt mir keine Wahl. Du reagierst auf nichts, bist nicht einmal richtig anwesend, geschweige denn ansprechbar. Ich will nicht, dass du dir wieder etwas antust. Ich will dich nicht verlieren! Es tut mir leid.“ Durch ein leichtes Frösteln erwache ich. Es ist noch dunkel, sodass ich nur die Konturen meines Zimmers ausmachen kann. Ich setze mich schwerfällig auf. Mit einem Blick zur Seite stelle ich die Ursache für mein Frieren fest. Tai, der neben mir liegt, hat meine Bettdecke vollständig in Beschlag genommen. Ich schlinge die Arme um meine Beine und lege meine Stirn auf die Knie. Dass ich jetzt hier sein kann, ist großes Glück. Fast hätte Tai mich wieder in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie gesperrt. Nur mit Mühe konnte ich ihn davon abbringen. Mein Herz beginnt bei dem Gedanken schneller zu schlagen. Ich muss mich zusammenreißen. Ich will auf keinen Fall zurück in die Klinik. Die vier Wochen Aufenthalt waren bereits mehr, als ich ertragen konnte. Ich habe Angst, Angst vor mir selbst, aber niemand darf mehr wissen, was ich denke, was in mir vorgeht oder was ich fühle. Und falls ich mich doch entscheiden sollte zu gehen, wird es mir dann hoffentlich leichter fallen und niemand da sein, der es verhindern kann, weil keiner damit rechnet. Es wird nicht einfach sein, zu lächeln, wenn ich lieber schreien würde. Nähe zuzulassen, wenn ich sie nicht ertrage. Aktiv zu sein, wenn ich mich lieber verkriechen würde. Aber einen Anfang habe ich bereits geschafft und es hat gut funktioniert. Als Tai die Polizei und den Notarzt rufen wollte, um mich zwangseinzuweisen, bekam ich Panik bei dem Gedanken an die Klinik. Ich schaffte es, mich aus meiner Apathie zu befreien und ihm das Telefon aus der Hand zu nehmen. Dann brach ich unter Tränen zusammen und flehte ihn an, mir das nicht anzutun. Ich werde nie vergessen, wie hilflos er in diesem Moment vor mir stand. Wie ratlos er mich anschaute. Ich fühlte mich elend, weil ich ihn so sehr manipulierte. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Und ich werde auch in Zukunft nicht anders handeln können, falls es erneut zu solchen Situationen kommen sollte. Es sei denn, ich sage mich endgültig von Taichi los. Es wäre sowieso besser für alle Beteiligten. Ich sollte generell allein bleiben, dann würde niemand traurig sein, wenn ich eines Tages tot bin. Das Rascheln der Bettdecke holt mich aus meinen Gedanken. Ich höre, wie Tai sich ebenfalls aufsetzt. Kurz darauf spüre ich, wie seine Hand behutsam über meinen Arm streicht. „Wo bist du nur schon wieder? Woran hast du gedacht?“ „An die Zukunft“, lüge ich. Dass es entfernt die Halbwahrheit ist, versuche ich mir einzureden, um mein Gewissen zu beruhigen. Ich hasse es, zu lügen, werde es mir aber unangenehmerweise angewöhnen müssen. „Eine Zukunft, in der du noch lebst oder in der du dich umgebracht hast?“, fragt er mit Bitterkeit in der Stimme. „Was wäre dir denn lieber?“, gebe ich bissig zurück. Seine Hand verfestigt den Griff um meinen Arm. Dann legt er seine andere Hand an meine Schulter und drückt mich hart zurück auf das Laken. Mit Gewalt dreht er meinen Körper und entblößt mein Gesäß. Als ich merke, dass er sich auch seiner Hose entledigt, werfe ich ihm kühl und mit ruhiger Stimme an den Kopf: „Willst du mich jetzt vergewaltigen?“ Tai hält inne. „Würdest du das so empfinden?“ Ich beginne zu lachen. Es ist ein kaltes, gefühlloses Lachen. „Tu es doch einfach! Nimm dir, was du willst. Keine Angst, ich werde dich nicht anzeigen. Mein Körper ist sowieso zu nichts anderem zu gebrauchen. Dann bin ich wenigstens zu einer Sache nütze. Und zwischen uns…“ „Ja?!“, schreit Tai. Er hat mich inzwischen losgelassen und meinen Unterleib mit der Decke verhüllt. „Was ist zwischen uns? Du denkst, uns verbindet nichts außer Sex, hab ich Recht? Hast du das wirklich immer so empfunden? Gibt es denn kein einziges Gefühl in dir? Bist du wirklich innerlich tot?“ „Nein, verdammt! Nein!“ Ich zittere heftig am ganzen Körper und beginne zu schluchzen. In meiner Brust verkrampft sich alles. Meine Atmung geht schwer und stockend. Doch der Schmerz, den ich spüre, ist nicht körperlich. Es ist Tai. Beziehungsweise meine Gefühle für ihn. „Da ist etwas. Da ist so viel! Es tut weh! Es zerreißt mich! Ich will das nicht, doch je mehr ich mich dagegen wehre, desto schlimmer wird es. Ich fühle, ich fühle so viel. Doch manchmal ist all das weg. Dann ist da nichts.“ Ich stocke. Dann spreche ich leise, aber immer noch schluchzend, weiter: „Ich kann das nicht steuern. Es passiert einfach. Von einem Moment auf den anderen. Ohne Grund. Ich wünschte, ich könnte alles in mir töten!“ Den letzten Satz speie ich hasserfüllt aus. Ich breche weinend zusammen. Tai sitzt neben mir. Ohne ein Wort. Ohne eine Reaktion. Ich erwache aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Als ich die Augen öffne, fehlt mir für einen Augenblick die Orientierung. Mein Kopf schmerzt und als ich versuche aufzustehen, werde ich durch ein plötzliches Schwindelgefühl gezwungen, mich wieder zu setzen. Ich hasse meinen Körper. Er widert mich an. Ich wage einen zweiten Versuch, mich zu erheben. Nur mühsam gelingt es mir und schwerfälligen Schrittes schleppe ich mich ins Bad. Vor dem Waschbecken sehe ich im Spiegel meine erbärmliche Gestalt. Da ich nicht weiß, ob Tai oder mein Vater noch in der Wohnung sind, schließe ich die Tür und drehe den Schlüssel im Schloss. Aus dem Medizinschränkchen neben der Dusche hole ich eine kleine Packung, die ich hinter ein paar Verbandsmaterialien versteckt hatte. Es wundert mich, dass mein Vater es noch nicht gefunden hat. Vorsichtig entnehme ich ein kleines Papierplättchen und öffne es. Die Rasierklinge sieht in meiner Hand so harmlos und unscheinbar aus. Kaum zu glauben, wie viel Macht sie doch besitzt. Kaum zu glauben, dass sie Leben zerstören und auslöschen kann. Ich setze mich auf die kalten Fliesen. Es fällt mir schwer, mich auf meinen Beinen zu halten. Bedächtig ziehe ich das Hemd aus und lege es neben mich auf den Boden. Mein Blick fällt auf meinen linken Unterarm. Mit den Fingern zeichne ich einige der Narben nach, manche sind bereits vollständig verblasst, andere schimmern noch rosa. Ich drücke die Klinge auf eine noch freie Stelle der Haut und ziehe sie langsam ein Stück darüber. Die Wunde klafft ein wenig auseinander. Ich sehe darin weißes Fleisch, bevor sie sich mit Blut füllt und allmählich überquillt. Rote Bahnen verlaufen ungleichmäßig über meinen Arm und enden in einer kleinen Lache am Boden. Ich beobachte die fallenden Tropfen. Sie sehen so schön aus. So ruhig und friedlich. Es wäre ganz leicht. Ich könnte jetzt so einfach gehen. Einfach so. Stattdessen schneide ich wieder und wieder in mein Fleisch, einmal mit mehr Druck, dann wieder mit weniger. Ich denke nichts. In meinem Kopf herrscht völlige Leere. Meinen Körper spüre ich nicht. Es existiert kein einziges Gefühl in mir und gleichzeitig bin ich erfüllt von Schmerz, Verzweiflung, Traurigkeit, Wut, Selbsthass und Gleichgültigkeit, aber auch Freude, Zuneigung und Liebe. Diese Zerrissenheit treibt mich in den Wahnsinn. Ich hasse mich für alles, was ich bin. Auch deshalb muss ich diesen Körper zerstören. Jeder muss sofort meine Hässlichkeit erkennen können. Aus dem rauschähnlichen Zustand erwachend betrachte ich das Ergebnis eingehend. Blut strömt unablässig aus den Wunden. Ich rutsche auf den Knien zur Toilette und mit etwas Zellstoff wische ich über meine Haut. Kurz kommen die zahlreichen Schnitte zum Vorschein. Wankend erhebe ich mich und bewege mich angestrengt Richtung Waschbecken. Während ich meinen linken Arm unter laufendes Wasser halte, um ihn zu säubern, angele ich mit der freien Hand nach den Verbandsmaterialien. Ich versorge die Wunden, ziehe mein Hemd wieder über und beginne die Spuren meines Tuns zu beseitigen. Dann atme ich tief durch und verlasse den Raum. Ich gehe durch den Flur in die Küche, um mir eine Tasse Kaffee zu holen. Am Küchentisch sitzt Tai. Er schaut aus dem Fenster und scheint mich nicht zu bemerken. Ich bleibe stehen, betrachte ihn. Seine braunen Haare, die seitlichen Konturen des Gesichtes, die Linie des Halses übergehend zu seinen breiten Schultern. Ich möchte ihn berühren. Ich möchte seine großen, sanften Hände auf meiner Haut spüren. Doch das darf nicht mehr geschehen. Es würde ihm nur wehtun. Ich würde ihm nur wehtun. Ich muss mich von ihm lösen. Endgültig. Es ist besser so. Für alle Beteiligten. Das Pulsieren in meinem Kopf wird unerträglich. Kapitel 2: ----------- Ich betrete mein Zimmer. Meine Wahrnehmung ist verschleiert, nur mein Blick richtet sich starr auf den Nachttisch. Wie fremdgesteuert gehe ich zu ihm hin und setze mich auf das Bett. Meine Hände greifen nach den Medikamentenschachteln, öffnen sie und entnehmen die Blisterverpackungen. Dann drücken meine Finger die einzelnen Tabletten heraus. Abwesend öffne ich die Wasserflasche, welche immer neben meinem Bett steht. Eine nach der anderen schlucke ich diese kleinen weißen Tabletten hinunter, dann lasse ich mich rückwärts auf mein Bett fallen. Ich warte, ohne einen Gedanken zu haben. Behaglich ergebe ich mich in die Leichtigkeit, lasse mich von ihr tragen. Mein Bewusstsein ist ausschließlich auf die Erwartung gerichtet. Die Erwartung, was jetzt passiert, wie es sich anfühlt. Ich schließe die Augen. In einem Moment der völligen Ergebenheit vermischt sich unerwartet Sehnsucht mit Zweifel. Ich sitze im Wohnzimmer. Meine Augen folgen dem routinierten Verlauf des Sekundenzeigers der Wanduhr. Tai ist gegangen, ohne ein Wort zu sagen. Keine Reaktion auf meine Aussage, dass ich ihn nie wieder sehen möchte. Es schien fast, als würde es ihn überhaupt nicht interessieren. Tränen füllen unbemerkt meine Augen. Dass meine Sicht auf die Uhr verschwimmt, nehme ich nicht wahr. Die Gedanken an Tai sind das Einzige, was momentan meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Warum tut es so weh, obwohl es doch meine Entscheidung war? Meine Brust schmerzt und ich kann nicht atmen, bei dem Gedanken, ihn nie wieder zu sehen. Ich weiß, dass es richtig ist, auf Abstand zu gehen. Ihn von mir fern zu halten. Ich bin nicht gut für ihn. Ich bin für niemanden gut. Tai ist schon viel zu lange mein Spielzeug gewesen. Ich habe ihn benutzt und behandelt, wie es mir gerade passte. Das habe ich jetzt erkannt. Aber wenn er mir wirklich auch etwas bedeutet, wenn da wirklich Gefühle für ihn sind, muss ich ihn loslassen. Auch wenn ich dadurch meinen letzten Halt verliere. Oder vielleicht gerade deshalb? Lächelnd schüttele ich meinen Kopf. Warum diese Gedanken? Jetzt ist es sowieso egal. Bald wird die Wirkung einsetzen und dann ist es vorbei. Endlich. Unwiderruflich. Entfernt nehme ich das Zufallen der Wohnungstür wahr, bevor mein Vater das Wohnzimmer betritt. „Yamato“, höre ich ihn sagen, tue allerdings so, als hätte ich ihn nicht mitbekommen. Er läuft auf mich zu und nimmt neben mir auf dem Sofa Platz. Ich sehe ihn mit tränenverschleiertem Blick an. Dann registriere ich die Situation erst wirklich. Beschämt senke ich den Kopf, um vor meinem Vater zu verbergen, dass ich weine. Dass es dafür zu spät ist, versuche ich zu ignorieren. „Was ist passiert?“, fragt er vorsichtig. Ich antworte nicht und bleibe reglos sitzen. Hilflos schaut mich mein Vater an. Ich bemerke seine Unsicherheit, schaffe es aber nicht, ihm diese zu nehmen. Ich weiß, dass mein Verhalten schuld an allem war. Ich versuchte es zu ändern, doch jedes Mal entglitt es mir und verselbstständigte sich. Immer und immer wieder. Ich war völlig machtlos. Es fühlte sich an wie fremdgesteuert. Als wäre mein Handeln, Denken und Fühlen gespalten. Als wäre ich nicht mehr komplett ich. Bei diesen Gedanken hebe ich meinen Kopf und schaue meinem Vater ins Gesicht. Seine Augen ruhen noch immer auf mir. Sie wirken müde und besorgt. „Es tut mir leid“, flüstere ich und beginne lautstark zu weinen. Ich bemerke, wie die Arme meines Vaters mich sanft umfangen und er mich liebevoll an sich drückt. Mit seiner Hand streicht er beruhigend über meinen Kopf. Worte bringt er mir nicht entgegen. Ich lasse die Berührungen und Gesten der Zuneigung geschehen. In diesem Moment fühle ich mich unendlich geborgen. Ich bin nicht allein, das war ich nie und trotzdem empfand ich immer wieder Einsamkeit und Leere, die dann durch Nähe aber allenfalls verschlimmert wurden. Ich kettete Menschen an mich, nur um sie von mir zu stoßen und gleichzeitig festzuhalten. Es ist beschämend. Ich bin so jämmerlich. So armselig. So erbärmlich. „Yamato“, setzt mein Vater unerwartet an, wobei er mich noch fester an sich drückt und behutsam über meinen Ärmel streicht, „warum hast du das diesmal getan?“ Er spricht es aus ohne jeglichen Vorwurf oder Ärger in der Stimme. Ich bin wie gelähmt und erschüttert, dass er es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und langer Oberbekleidung so einfach mitbekommen hat, und hoffe, dass er meine Bestürzung nicht bemerkt. Was will er hören? Was soll ich ihm sagen? Die Wahrheit? Er wird es nicht verstehen. Er wird nach Gründen suchen, die es jedoch nicht gibt. Nie gegeben hat. Trotzdem wird er sich die Schuld geben. Das will ich nicht. Das ertrage ich nicht. Außer mir kann niemand etwas dafür. „Ich weiß es nicht.“ Tränen laufen noch immer über meine Wangen. Verdammt! Ich bekomme meine Gefühle einfach nicht unter Kontrolle. Ich verabscheue mich dafür, so schwach zu sein. Überhaupt Schwäche zu zeigen. Sanft, aber bestimmt versuche ich mich aus der Umarmung meines Vaters zu lösen. Er gibt mich widerstandslos frei. Ich weiß, dass er mich nicht bedrängen möchte. Dennoch hält er mich am Arm fest, damit ich mich nicht wieder sofort zurückziehe und er die Verbindung zu mir vielleicht endgültig verliert. „Ich habe Angst. Angst um dich. Angst davor, dass du dir erneut etwas antust und ich es nicht verhindern kann. Ich würde am liebsten die ganze Zeit bei dir bleiben, dich vor dir selbst schützen, vor einem unwiderruflichen Fehler bewahren. Ich liebe dich und möchte dich nicht verlieren!“ Jetzt weint auch mein Vater, dennoch schaut er mich unverwandt an. In seinen Augen lese ich gleichermaßen Entschlossenheit wie Unsicherheit. „Wer sagt, dass es ein Fehler wäre?“, entgegne ich teilnahmslos. „Vielleicht wäre es ja besser für alle, wenn ich endlich verrecken würde.“ Ohne Vorwarnung schlägt mein Vater mir mit der flachen Hand ins Gesicht. „Wach endlich auf! Weißt du eigentlich, was du den Menschen, die dich lieben, antust? Wie kannst du so leichtfertig über deinen Tod sprechen? Wie kannst du so selbstzerstörerisch mit dir umgehen? Warum tust du dir selbst solche schrecklichen, irreversiblen Dinge an?“ Er deutet auf meinen Arm. „Halt den Mund!“ Ich bin wütend und reiße mich los. „Glaubst du, das macht mir Spaß? Ich mache das alles freiwillig? Oder absichtlich? Ich wäre froh, wenn ich nicht ich sein müsste.“ Mein Körper zittert. „Dabei wollte ich doch eigentlich nur glücklich sein.“ Mit diesen Worten verlasse ich schutzlos den Raum und lasse meinen Vater allein zurück. Es schmerzt nicht mehr Und all das berührt mich nicht mehr Alles verändert sich und bleibt doch bestehen Frag mich nicht Was ich gerade denk' und wie's mir geht Du hast keine Chance, es je zu verstehen Ich bin lieber allein… Ich sitze zitternd auf dem Boden meines Zimmers an die Wand gelehnt und schaue aus dem Fenster. Die Musik aus meinem Player nehme ich kaum noch wahr. Die Zimmertür habe ich beim Reinkommen hinter mir verschlossen. Mein Vater versucht durch abwechselndes Klopfen, Rufen und Warten, mich zum Öffnen zu bewegen. Das Zittern wird stärker. Krampfhaft halte ich mir die Ohren zu. Ich ertrage es nicht mehr. Die Vorwürfe, resultierend aus der Hilflosigkeit. Angst, die auch die meine ist. Zuneigung von meiner Familie, die mich Schmerz und Glück zugleich empfinden lässt. Liebe. Taichi. Verzweiflung. Sehnsucht… meine Gedanken werden schwerfällig. Müdigkeit überkommt mich. Ich versuche mir über die Augen zu wischen, doch meine Hände gehorchen mir nicht richtig. Ohne vollständige Kontrolle darüber lasse ich sie wieder sinken. Ich bemerke nicht, wie mein Vater seine Kontaktversuche aufgibt und sich von meinem Zimmer entfernt. Mich plagt ein unbändiger Durst. Ich schaue zu der Wasserflasche neben meinem Bett. Mein Blickfeld verschwimmt und ich kann die Konturen kaum noch erkennen. Sie verbiegen sich, kommen näher, entfernen sich wieder, werden größer und kleiner. Die Farben sind grell, die Realität unwirklich. Schwankend versuche ich mich zu erheben. Meine Beine knicken weg und ich schaffe es gerade noch, mich an der Wand festzuhalten. Für einen Moment kommt Panik in mir auf, da ich mein Zimmer nicht erkenne. Hastig sehe ich mich nach etwas mir Bekanntem um. Ich sehe die Wasserflasche. Sie kommt näher, doch als ich sie greifen will, steht sie plötzlich wieder neben meinem Bett. Meine Kehle ist trocken. Ich versuche zu sprechen, doch es schmerzt nur. Ich stütze mich von der Wand ab, um meinen Weg wieder aufzunehmen, doch es gelingt mir nicht, meine Beine unter Kontrolle zu halten. Unkoordiniert wanke ich durch mein Zimmer, ohne meinem Ziel näher zu kommen. Dann geben sie nach und ich falle unsanft zu Boden. Schmerz empfinde ich dabei nicht. Ich rolle mich auf den Rücken und schaue zur Decke. Mein Blickfeld verengt sich. Ich kneife die Augen zusammen. Erneut versuche ich mich aufzurichten. Plötzlich merke ich ein Ziehen in der Bauchgegend. Unter Schweißausbrüchen gelingt es mir, mich auf mein Bett zu setzen. Der Schmerz wird stärker, sodass ich mich nach hinten fallen lasse und auf der Seite zusammenkrümme. Nur entfernt nehme ich das resolute Klopfen an meiner Tür wahr. Da ist eine Stimme, die ich nicht kenne, welche nachdrücklich meinen Namen ruft. Fast gleichzeitig mit dem Aufbrechen der Tür verkrampfen sich meine Eingeweide und reißen mich endgültig brutal aus der erhofften Erlösung. Naiv, wie ich war, hätte ich nicht gedacht, dass Sterben so wehtun kann. Mein Körper krümmt sich vor Schmerzen, ich winde mich auf dem Bett hin und her, unfähig, meinen Vater, die Polizisten und die Sanitäter, welche sich gewaltsam Zutritt zu meinem Zimmer verschafft haben, zu bemerken. Ich ringe nach Luft, doch etwas blockiert meine Atmung. Die Sanitäter sind inzwischen bei mir und überprüfen meine Vitalfunktionen. Einer versucht gezielt mich anzusprechen, während der andere die Medikamente eingehender betrachtet. Krämpfe beginnen mich zu schütteln und Übelkeit steigt in mir auf. Mein Körper wehrt sich gegen die kleinen Fremdkörper, die ihn zerstören wollen. Ich würge und spucke eine Mischung aus Speichel, Galle und halbverdauten Tabletten auf meinen Teppich. Die Sanitäter verständigen sich über irgendwas, während der eine mir etwas injiziert. Mein Bewusstsein trübt sich, ich sehe noch kurz den entsetzten Blick meines vor Angst gelähmten Vaters, dann wird alles dunkel. Das Wasser trägt Dich nicht, wirst Du untergehen? Die Kälte scheint für Dich nicht mal wahrnehmbar zu sein Kein Blick zurück Und alles hinter Dir verstummt Vielleicht ist es ganz leicht, sich nicht umzudrehen Manchmal fragst Du Dich, warum am Anfang schon das Ende steht Alles, was Dir wichtig ist, bei anderen verloren geht Es bleibt kein Weg zurück Alles um Dich herum versinkt Vielleicht ist es ganz leicht, zu gehen Dringt der neue Tag in Deine Welt, um Dich zu sehen Alles zerspringt, doch nichts vergeht, Dein kaltes Herz Bringt der neue Tag ein wenig Licht, um Dich zu sehen Alles zerfällt und nichts erreicht Dein kaltes Herz All die Fragen sind verbrannt, Du hast sie nie gestellt Weil die Antwort, eingerahmt, im Wind schnell von den Wänden fällt Du siehst den Weg zurück Du schaust nach vorn, drehst Dich nicht um Vielleicht ist es ganz leicht, zu sehen Ich verstaue gerade die letzten Sachen in meinem Koffer, als es an der Tür klopft. Eine Schwester öffnet die Tür und als ihr Blick auf mich fällt, lächelt sie. „Herr Ishida, Ihr Vater ist bereits da.“ „Ja, ich bin sofort fertig.“ Hastig schaue ich mich noch einmal um, ob ich auch nichts vergessen habe, dann verlasse ich das Zimmer. Auf dem Flur kommt mir mein Vater entgegen und nimmt mir die schwere Tasche ab. „Ich muss noch einmal zur Ärztin, bevor ich gehen darf. Wartest du unten in der Caféteria?“ „Natürlich.“ „Wie geht es Ihnen heute, Herr Ishida?“ Die Stimme der Ärztin klingt fast schon sanft. „Gut“, antworte ich knapp. „Wie sieht es mit suizidalen Gedanken aus?“ „Keine.“ Ihr Lächeln wandelt sich in Besorgnis. „Ihnen ist klar, Herr Ishida, dass ich Sie nur entlasse, wenn ich sicher gehen kann, dass Sie sich nicht gleich wieder etwas antun werden, wenn Sie ohne Aufsicht sind.“ „Ja“, sage ich monoton. Sie seufzt. „Herr Ishida, ich kann es nicht verantworten, Sie so gehen zu lassen. Gibt es etwas, worüber Sie reden wollen?“ Ich schüttele den Kopf. Doch als ich ihren analysierenden Blick sehe, gebe ich nach. „Ich habe Angst.“ „Dachte ich es mir. Aber es ist gut, dass Sie es aussprechen. Und glauben Sie mir, es wäre schlimm, wenn Sie keine Angst hätten.“ „Aber was ist, wenn ich es wieder nicht schaffe? Wenn ich wieder an einen solchen Punkt komme?“ „Sie haben hier viel gelernt, Herr Ishida. Denken Sie immer daran und, vor allem, nehmen Sie sich selbst ein bisschen Druck raus. Sie können nicht alles mit einem Mal ändern und es wird auch hin und wieder Rückschläge geben. Mit Sicherheit wird es nicht immer einfach sein, aber ich bin zuversichtlich, dass Sie es schaffen können.“ „Das Lithium…?“ Ihr Gesichtsausdruck wird sorgenvoll. „Dadurch, dass Sie eine Überdosis genommen haben und im Zuge dessen eine Zeitlang überhaupt keins mehr verabreicht bekamen, kann es durchaus sein, dass sie die Wirkung von früher nicht mehr erzielen. Aber das wird die Zeit zeigen. Wichtig ist, dass Sie vor allem jetzt am Anfang wieder sehr engmaschig zur Blutspiegelkontrolle gehen. Bisher haben Sie es gut vertragen, aber bei der kleinsten Veränderung suchen Sie bitte den Arzt auf, okay? Sie wissen selbst am besten, wie gering die therapeutische Breite dieses Medikaments ist.“ „Ja. Verstanden.“ Mit einer Kaffeetasse in der Hand sitze ich am Küchentisch, mir gegenüber mein Vater. Schweigend nippen wir an dem heißen, schwarzen Getränk. Nach einer Weile durchbricht er die Stille. „Yamato?“ „Hmm?“ „Ist dir bewusst, wie knapp es war?“ Ich schaue ihn verdutzt an. Es ist das erste Mal seit damals, dass er das Thema anspricht. „Ja, ich weiß.“ Ich bin bemüht, meine Stimme nicht wehmütig klingen zu lassen. „Man erklärte mir, dass es für Lithium kein Antidot gibt, aber das war dir sicher bewusst, oder?“ „Ja, ich hatte mich belesen“, gebe ich ehrlich zur Antwort. „Sie mussten dich narkotisieren, weil du bereits gekrampft hattest. In der Klinik haben sie dich einer Hämodialyse unterziehen müssen. Mit einem Spiegel von über drei Millimol pro Liter warst du dem Tod näher als dem Leben!“ Tränen füllen seine Augen. Mir ist die Schwere der Intoxikation durchaus bewusst. Die potentiell letale Dosis liegt bei über vier Millimol pro Liter und die hatte ich angestrebt. Doch die Wachsamkeit meines Vaters vergaß ich in meinen Plan einzukalkulieren. „Ich weiß“, flüstere ich mit einem Kloß im Hals. „Worauf ich hinaus möchte, ist, dass ich den Schlüssel deines Zimmers einbehalten werde. Selbstverständlich klopfe ich an, bevor ich es betrete. Ebenso möchte ich, dass du mir deine Medikamente gibst. Alle! Ich werde sie dir künftig zuteilen und für dich unzugänglich aufbewahren. Ich hoffe, du verstehst, weshalb ich so handeln muss.“ Mir bleibt der Mund offen vor Ungläubigkeit und ich will protestieren. Doch als ich die Verzweiflung in den Augen meines Vaters sehe, entscheide ich mich zu schweigen und nicke einfach nur. „Danke.“ „Schon gut.“ Wir wissen beide, dass es ein Greifen nach einem nicht vorhandenen Strohhalm ist. Ein beklemmendes Gefühl überkommt mich. Ich stehe auf und schenke mir Kaffee nach. „Du auch?“ Er schüttelt den Kopf. „Danke, ich habe noch. Ach ja, Tai hat sich sehr oft nach dir erkundigt. Er würde dich gern besuchen, wenn es dir besser geht. Ich habe ihm gesagt, dass du heute wahrscheinlich entlassen wirst, aber er meinte, er wolle warten, bis du dich von selbst bei ihm meldest.“ Das beklemmende Gefühl wandelt sich in ein Gefühl der Angst. Wie soll ich ihm gegenübertreten? Ich wollte mich von ihm fernhalten, ihn nie wieder sehen, doch allein sein Name weckt in mir eine unglaubliche Sehnsucht. Meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen und erschwert mir die Atmung. Sofort springt mein Vater panisch auf. „Was ist los?“ Seine Stimme überschlägt sich und seine Augen schielen bereits zum Telefonhörer. „Nichts. Alles okay. Wirklich!“ Mühevoll zwinge ich mich zu einem Lächeln, um ihn zu beruhigen. Es gelingt und er setzt sich wieder auf seinen Stuhl. Zitternd hebt er seine Tasse zum Mund, um hastig ein paar Schlucke zu trinken. Ihn so zu sehen tut mir weh. Ich verachte mich dafür, was ich den Menschen, die ich liebe, immer wieder antue. Dabei sollte ich doch eigentlich tot sein. Warum bin ich nur nicht gestorben? Ich stehe nervös vor der Wohnungstür, neben der ein Schild mit der Aufschrift „Yagami“ angebracht ist. Zaghaft betätige ich den Klingelknopf und warte. Von drinnen sind Schritte und die Stimme einer Frau zu hören. Kurz darauf wird die Tür geöffnet und Taichis Mutter steht mir gegenüber. Als sie mich erkennt, schenkt sie mir ein mitleidiges Lächeln. „Hallo, Yamato.“ „Hallo.“ Beschämt schaue ich zu Boden. Durch ihren Blick wird mir deutlich, dass sie über die vergangenen Ereignisse aufgeklärt ist. „Tai müsste in seinem Zimmer sein. Du weißt ja, wo es ist.“ Sie lächelt noch immer dieses Lächeln. Ich ertrage es nicht, schiebe mich vorsichtig an ihr vorbei, murmele dabei ein kurzes „Danke“ und gehe schnellen Schrittes zum Zimmer meines Freundes. Ich öffne die Tür ohne anzuklopfen und sehe in ein überraschtes Gesicht. „So schnell hatte ich nicht mit dir gerechnet… wenn überhaupt.“ Ich setze mich auf sein Bett und schaue ihn an. Er sieht müde und erschöpft aus. Dunkle Ringe zeichnen sich unter seinen Augen ab. Sein Körper wirkt dünner und zerbrechlicher. „Alles in Ordnung?“, fragt er. „Du bist wieder so abwesend.“ „Ja, alles okay. Tut mir leid.“ Ich stehe auf und mache ein paar Schritte auf ihn zu. Er rührt sich nicht, folgt meinen Bewegungen aber mit seinen Augen. Direkt vor ihm bleibe ich stehen. Ich sehe ihn nicht an. Mein Körper zittert und meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich bekomme kein Wort heraus. Kraftlos sinke ich zu Boden, mit einer Hand schaffe ich es noch, mich an dem Hemd meines Freundes festzukrallen. Vor Tai kniend halte ich den Kopf gesenkt. Tränen füllen meine Augen und laufen nun unentwegt meine Wangen hinab. Meine Finger graben sich tiefer in den weichen Stoff, sodass meine Hand schmerzt. Ich beginne zu husten. Erschwert durch das Weinen verschlucke ich mich und muss erneut husten. Plötzlich spüre ich Tais Hand auf meiner und wie er sanft versucht meine verkrampften Finger von seinem Hemd zu lösen. Er kniet sich zu mir hinab, packt mich an den Schultern und redet beruhigend auf mich ein. Seine Worte dringen zwar an mein Ohr, doch sie ergeben für mich keinen Sinn. Ich hebe meinen Kopf und schaue ihn mit tränenverschleiertem Blick an. Die Umgebung ist komplett ausgeblendet, ich nehme nur noch Tai wahr. Seine Stimme, die sich in mein Gehirn gebrannt hat. Seine Berührungen, die meiner Haut bittersüßen Schmerz zufügen. Ihn selbst, der mich bis zur bedingungslosen Abhängigkeit an sich gekettet hat. Und je mehr ich versuche mich zu wehren, je mehr ich ihn von mir stoße und verletze, desto größer wird das Verlangen, die Sehnsucht nach ihm. Zittrig hebe ich meine Hand zu seiner Wange und streiche flüchtig darüber. Dann lasse ich sie fallen, geschüttelt von einem erneuten Weinkrampf. Ich sacke immer weiter in mich zusammen. Aus meinem Körper scheint jegliche Kraft gewichen zu sein. Am Rande meines Bewusstseins bekomme ich mit, wie Tai angestrengt versucht mich zu beruhigen und in einer aufrechten Position zu halten. Es gelingt ihm kaum und nur mit viel Mühe schafft er es, meinen Körper mit seinen Armen zu umfangen. Er drückt mich fest an sich, sodass sein mir wohlbekannter Duft in die Nase steigt. Ich schließe die Augen und versuche mich zu beruhigen, meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Mit zunehmender Normalisierung kehrt auch meine vollständige Wahrnehmung zurück. Ich höre und verstehe die liebevollen Worte Tais, mit denen er noch immer versucht mich zu beruhigen. Mein Sichtfeld erweitert sich wieder, sodass ich außer meinem Freund auch das Zimmer, ja sogar die Küchengeräusche durch die geschlossene Tür wieder bemerke. Einen Moment halte ich noch inne, dann versuche ich mich aus der Umklammerung zu lösen. Zögernd gibt mich Taichi frei und schaut mich mit einem seltsamen Blick an. Ich schaffe es nicht, diesem standzuhalten, und drehe mich weg. Dann stehe ich, noch immer leicht zitternd, auf und nehme wieder auf dem Bett Platz. „Wieso…“, beginne ich, halte jedoch inne, als es an der Tür klopft und Taichis Mutter hereinkommt. „Möchtet ihr etwas essen oder trinken? Ich habe gerade einen Karottenkuchen im Ofen. Soll ich euch etwas bringen?“ Fast zeitgleich verneinen mein Freund und ich höflich, da wir beide wissen, welche unangenehmen Auswirkungen der Genuss dieser selbstgemachten Gerichte von Tais Mutter haben können. Etwas verblüfft, dass offenbar niemand Interesse an ihrem Essen hat, verlässt sie das Zimmer wieder. „Sie kapiert es nie“, ruft Tai aus und schlägt sich mit der Hand leicht gegen die Stirn. Ein flüchtiges Lächeln huscht über meine Lippen. „Lass sie doch. Ist ja bisher noch nichts Ernstes passiert, oder?“ „Ja, aber nur, weil mittlerweile alle vorgewarnt sind und keine Lust haben, sich mit dem Zeug vergiften zu lassen. Ich weiß nicht, warum sie trotzdem stundenlang in der Küche steht. Letztlich isst sie es eh allein und wenn ich ehrlich sein soll, frage ich mich auch, wie sie das bisher überleben konnte.“ Jetzt muss ich richtig lachen. Es ist doch immer wieder ein Erlebnis, bei Tais Familie zu Besuch zu sein. „Ist deine Schwester eigentlich auch da?“ „Nein, soweit ich weiß, ist Kari bei Takeru. Du weißt doch, frisch Verliebte…“ Bei diesen Worten scheint die Atmosphäre zwischen uns kälter zu werden und die Distanz größer. Ernst schauen wir uns an und keiner wagt es, den Blick zuerst abzuwenden. Tai ist es, der das Schweigen bricht. „Was ist das jetzt eigentlich zwischen uns? Glaube nicht, dass sich für mich in den fünf Monaten, die du jetzt weg warst, irgendwas geändert hat. Ich habe deine Abstoßungsversuche von mir damals nicht akzeptiert und ich werde es auch heute nicht tun. Begreife endlich, dass du nicht immer nur weglaufen kannst.“ Mir steckt ein Kloß im Hals, als ich antworte: „Dieses Thema ist einer der Gründe, weshalb ich hier bin. Ich hatte viel Raum zum Nachdenken und lange Zeit Abstand von dir. Mir ist einiges klar geworden, aber vor allem, dass ich dich brauche. Und vermisse. Und… liebe.“ Die letzten Worte waren kaum noch mehr als ein Flüstern. Am liebsten würde ich im Boden versinken, so sehr schäme ich mich. Wie kann ich mich nur selbst so erniedrigen? Was ist nur los mit mir? Ich weiß doch, dass es für alle besser wäre, mich von ihm abzuwenden. Wieso mache ich dann gerade das genaue Gegenteil? Eine plötzliche Bewegung der Matratze lässt mich aus meinen Gedanken hochschrecken. Tai hat sich neben mich auf das Bett gesetzt und sieht mich durchdringend an. „Du hast gerade an nichts Gutes gedacht, hab ich Recht?“ „Kommt auf den Standpunkt an, würde ich sagen“, entgegne ich kühl. Unvermittelt hebt Tai seine Hand zu meinem Gesicht, zieht mich an sich und gibt mir einen Kuss. Ich bin zu verwirrt, um mich dagegen zu wehren. Er lächelt. Etwas unsicher stehe ich auf und drehe den Schlüssel im Schloss herum, anschließend gehe ich wieder zurück. Mit ernster Miene drücke ich meinen Freund auf das Laken. Dann öffne ich mit meinen Fingern die Knöpfe seines Hemdes. Er sieht mich unverwandt an und lässt es geschehen. Nachdem ich ihn seines Hemdes entledigt habe, beginne ich ihm die Hose auszuziehen. Mit einem Blick auf sein Gesicht sehe ich, dass er noch immer lächelt. Das verunsichert mich noch mehr und ich verpasse den Moment, in dem er den Spieß rumdreht. Mit einer schnellen Bewegung setzt er sich auf und dreht mich so, dass ich nun unter ihm liege. Geschickt entledigt er mich meiner Kleider und beginnt meine nackte Haut zu küssen. Mit seiner Zunge fährt er die zahllosen Narben nach. Meine Atmung wird schwerer vor Erregung und ich suche mit meinen Fingern in dem Laken nach Halt. Als Tai mit seinen Lippen tiefer wandert, bäume ich mich leicht auf. Hitze steigt in mir auf und vor meinen Augen beginnen Punkte zu tanzen. Mein gesamter Körper ist zum Zerreißen gespannt und ich kann ein Stöhnen nicht zurückhalten. Abrupt entzieht sich Tai und schaut zu mir auf. Dann richtet er sich über mir auf, spreizt meine Beine und winkelt sie an. Sein Grinsen weicht einem Gesichtsausdruck, in dem keine Gefühlsregung mehr erkennbar ist. Mit kalter, fast schon wahnsinniger Stimme raunt er mir ins Ohr: „Ich werde dich niemals gehen lassen. Mit jeder Faser deines Körpers werde dich an mich binden. Auch gewaltsam. Denn du gehörst mir!“ In meinem Zimmer auf dem Bett liegend starre ich an die Decke. Mein Körper glüht und schmerzt an den Stellen, an denen Tai mich liebkost, aber auch mir Verletzungen zugefügt hat. Gewaltsam und ohne jedes Mitleid war er in mich eingedrungen und bei jedem Stoß fragte er mich wieder und wieder mit kaltem Blick, ob es mir so gefallen würde, ob es das wäre, wonach ich suchte. Ich antwortete nicht. Mein Kopf war leer, kein einziger Gedanke war greifbar. Ich bestand nur noch aus Gefühlen. Gefühle des Ekels und Hasses gegen mich selbst, Verwirrung aufgrund dieser bizarren Situation, sowie heftiges Verlangen und unendlich zärtliche Zuneigung. Mit den Fingern berühre ich meine Lippen, auf denen ich Tais forderndes Begehren feucht und innig zu spüren bekam. Ich schließe die Augen und bilde mir ein, seinen Duft wahrnehmen zu können. Meine Lust ist erneut entfacht. Oder ist es doch nur der Wunsch nach Triebbefriedigung? Wäre nicht jeder andere genauso gut? Ist es wirklich Taichi, um den es mir geht? Mühsam erhebe ich mich und verlasse mein Zimmer. Im Flur auf dem Weg zur Küche treffe ich auf meinen Vater. Seit ich aus der Klinik entlassen wurde, hat er unbezahlten Urlaub genommen. Er meint, damit er für mich da sein kann. Ich finde, es ist eine nette Umschreibung für Kontrolle. „Kaffee?“, fragt er und ich nicke. Ich sitze an meinem Schreibtisch und versuche angestrengt meine Gedanken zu Papier zu bringen. Angeblich soll das helfen, sie zu sortieren, besser zu verstehen und vor allem mich an deren Umsetzung zu hindern. Ich bezweifle, dass es die gewünschte Wirkung zeigen wird, bin aber dennoch gewillt, es wenigstens zu probieren. Ich schreibe über Tai, meine Beziehung zu ihm, meine Gefühle, über meine Einstellung zum Leben und zum Tod, meine Familie. Als ich auf die Uhr sehe, verfalle ich in Panik. Tai wird gleich hier sei. Hastig stehe ich auf, verlasse das Zimmer und betrete das Bad. Ich schließe ab, entledige mich meiner Kleider und krame ein Handtuch aus dem Schrank unter dem Waschbecken hervor. Als ich mich aufrichte, sehe ich flüchtig mein Spiegelbild und halte inne. Zufrieden, fast liebevoll betrachte ich meine Narben. Einzelne zeichne ich mit meinen Fingern nach. Als der Blick auf den Rest meines Körpers fällt, wende ich mich angeekelt ab. Er ist das Abbild meiner Seele; widerlich, hässlich und verdorben. Unruhe steigt in mir auf, ich stütze mich auf das Waschbecken und versuche kontrolliert aus- und einzuatmen. Ich fühle mein Herz schwer gegen den Brustkorb schlagen. Mit meinen Augen suche ich flehentlich nach Erlösung, schaue wild im Raum umher und verharre beim Anblick des Medizinschränkchens. Angespannt gehe ich darauf zu. Mit jedem Schritt spüre ich das stärker werdende Pulsieren in meinem Kopf. Ich presse meine Hand gegen die Schläfe und schüttele verzweifelt den Kopf, als könnte ich mich so von der quälenden Stimme befreien. Doch sie wird lauter, beginnt mich anzuschreien und versucht mein Handeln zu bestimmen. Ich möchte mich wehren, stattdessen hebe ich aber meine andere Hand und öffne die Tür des Medizinschrankes. Ich bilde mir ein, meinen Herzschlag hören zu können, schließe panisch die Augen und spüre nach einer heftigen, kopflosen Bewegung einen gleißenden Schmerz in meiner rechten Hand. Die Stimme wird ruhiger, doch sie ist noch da. Ich schaue zur Wand, gegen die ich soeben geschlagen habe, hole erneut aus und schlage wieder und wieder mit aller Kraft dagegen, bis in meinem Kopf Stille herrscht. Dann sinke ich schwer atmend zu Boden und breche weinend zusammen. Frisch geduscht verlasse ich das Badezimmer, als mein Vater vom Einkaufen zurückkommt. Sofort fällt sein Blick auf meine lädierte Hand. „Was ist passiert?“, fragt er besorgt. „In der Dusche ausgerutscht“, antworte ich knapp. Gleichzeitig frage ich mich, warum ich versuche, ihn anzulügen. Er sagt nichts dazu, doch seinem Gesichtsausdruck entnehme ich, dass meine Vermutung richtig ist. Er glaubt mir nicht. Ich beobachte ihn beim Auspacken der Einkaufstüten und ein quälendes, schlechtes Gewissen meldet sich. „Es tut mir leid“, murmele ich. „Schon gut“, entgegnet er, ohne mich dabei anzusehen. Zurück in meinem Zimmer schaue ich erneut auf die Uhr. Tai müsste schon längst da sein. Ich setze mich wieder an meinen Schreibtisch und beginne, mein Geschriebenes noch einmal durchzulesen. Nach ein paar Sätzen lege ich es beiseite, stehe auf und gehe zum Kleiderschrank, öffne ihn, schließe ihn wieder und setze mich anschließend unruhig auf das Bett. Mehrmals fällt mein Blick auf die Uhr, während ich mir die schlimmsten Dinge ausmale, die passiert sein könnten. Nach einer gefühlten Ewigkeit voller Sorge und Angst öffnet sich die Tür zu meinem Zimmer und Tai kommt herein. Ich schaue ihn völlig aufgelöst an. „Was ist denn mit dir los?“, fragt er irritiert, als er mich zusammengekauert auf dem Bett sitzen sieht. Ich möchte ihn anschreien, doch mit den Nerven am Ende schaffe ich es nicht, ihm eine Antwort zu geben. Er nimmt neben mir Platz, ohne mich zu berühren. Schweigend starren wir vor uns hin, bis ich endlich die Kraft aufbringen kann, ihn zu fragen: „Wo warst du?“ „Was?“ Er schaut überrascht zu mir. „Du hättest schon längst hier sein müssen.“ Ich fixiere weiterhin einen unbestimmten Punkt in meinem Zimmer, um der Versuchung nicht zu erliegen, ihn anzusehen. „Tut mir leid, ich hatte noch etwas zu erledigen. Hat etwas länger gedauert als erwartet.“ „Was hattest du denn noch so Wichtiges zu erledigen?“, möchte ich wissen. Leicht verärgert entgegnet er: „Bin ich dir jetzt schon Rechenschaft schuldig, was ich tue, wenn du nicht bei mir bist?“ Wut steigt in mir auf und ich habe Schwierigkeiten, sie nicht an ihm auszulassen. Ich schlucke eine bissige Bemerkung, die mir auf der Zunge liegt, hinunter, um die Kontrolle nicht zu verlieren. Gedanklich sage ich mir immer wieder vor, dass ich mich zusammenreißen muss. Es darf nicht wieder alles eskalieren, sobald ich in Tais Nähe bin! „Yamato.“ Seine Stimme holt mich in die Realität zurück und ich blicke fragend zu ihm. „Ich liebe dich.“ Meine Augen weiten sich. Fassungslos starre ich ihn an. Warum sagt er das? Warum gerade jetzt? Ich will etwas darauf antworten, doch ich schaffe es nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. In meinem Kopf ist vollkommene Leere und doch herrscht ein unbändiges Chaos. Seine Augen, die mich voller Liebe anschauen, brennen sich erbarmungslos in mein Hirn. Ein stechender Schmerz durchfährt meinen gesamten Körper, als er seine Worte wiederholt. Dann zieht er mich zu sich und schließt mich sanft in seine Arme. Unfähig zu begreifen, was gerade passiert, und ohne mich zu wehren, lasse ich es geschehen. Ich merke, wie ich ruhiger werde und mich langsam entspanne. „Geht es wieder?“, durchbricht Tai die Stille. „Ja, aber bitte lass mich noch nicht los!“ „Verdammt!“, ruft Tai genervt. Ich liege mit einer Decke auf dem Sofa und schaue zu, wie er sich zum vierten Mal in den Tod stürzt. Genervt legt er den Kontroller beiseite und schaut zu mir. „Ich bekomme es einfach nicht hin! Sie springt nicht so, wie ich das möchte, aber der Weg ist der richtige. Siehst du, dieser Gegenstand dort ist rot hervorgehoben. Aber wenn ich… was?!“ Er hält inne. Sein Gesichtsausdruck ist fragend. „Nichts.“ Ich lächle. „Dann würdest du nicht so schauen.“ „Du fändest es nicht toll.“ „Und woher willst du das wissen?“ „Weil ich dich kenne.“ „Nun sag schon“, quengelt er. Ich seufze, setze mich auf und grinse ihn an. „Ich dachte nur gerade daran, wie süß du bist, wenn du spielst.“ Noch ehe er protestieren kann, beuge ich mich vor und gebe ihm einen Kuss auf den Mund. Nach kurzer Verblüffung seinerseits beginnt er mehr zu fordern, indem er mit seiner Zunge über meine Lippen leckt und anschließend mein harmloses Küsschen zu einem innigen Zungenkuss ausweitet. Ich erwidere diesen leidenschaftlich, während ich mit meinen Fingern hastig seine Hose öffne. Mir ist heiß und meine Haut fühlt sich an, als würde sie vor Erregung verglühen. Tais Hände umfassen entschlossen meine Handgelenke, er löst sich von mir und drückt mich grob gegen die Sofalehne. „Das ist, glaube ich, jetzt keine gute Idee“, flüstert er schwer atmend. „Wieso nicht?“, will ich wissen, doch als ich keine Antwort erhalte, versuche ich mich von ihm zu lösen. Ich schaffe es nicht, da er mich fest im Griff hat und diesen auch bei meiner Gegenwehr nicht lockert. „Tai! Was soll das?“ In meiner Stimme schwingt eine Mischung aus Panik und Verärgerung mit. Keine Regung. Er starrt mich nur unentwegt mit seinen braunen Augen an. Mein Herz schlägt schneller. Er ist unnahbar, unberechenbar. Ich fühle mich hilflos, ausgeliefert und ratlos. In meinem Kopf rasen die Gedanken, doch ich kann keinen greifen. Er fixiert mich noch immer, ohne sich zu rühren. Ein beklemmendes Gefühl steigt in mir auf. Ich schließe die Augen und drehe meinen Kopf zur Seite. Krampfhaft versuche ich mich zu beruhigen. Der Griff um meine Handgelenke ist mittlerweile so fest, dass es zu schmerzen beginnt. In meinen Fingerspitzen macht sich bereits ein Taubheitsgefühl breit. „Tai…“ Meine Stimme klingt ungewollt flehend. „Ich gehe mir einen Kaffee holen. Möchtest du auch einen?“, fragt er ohne jede Emotion, dann gibt er mich frei, schließt seine Hose wieder und verlässt mein Zimmer, ohne meine Antwort abzuwarten. Reglos liege ich auf meinem Bett. Die Spielekonsole läuft noch immer, ich habe sie nicht ausgeschaltet. Tai ist gegangen, nachdem er den Kaffee in der Küche getrunken hatte. Er kam nicht mehr zurück, sondern verabschiedete sich mit einem Rufen aus dem Flur. Ich verstehe noch immer nicht, was geschehen ist. Wieso verhält er sich manchmal aus heiterem Himmel so merkwürdig? Dass sich ein solcher Vorfall nicht das erste Mal ereignete, macht den Sachverhalt nicht einfacher. Er ist in solchen Situationen wie ein anderer Mensch, nein, eher unmenschlich. Seine Augen sind leblos und er scheint ohne jede Emotion zu sein. So kalt. So fremd und unnahbar. Ich frage mich, ob es nur bei mir so ist. Bringe ich ihn dazu, so zu werden? Ist es meine Schuld? Ich weiß, dass ich nicht gut für ihn bin, ihn kaputt mache. Sind diese Zustände Auswirkungen davon? Bei diesem Gedanken bekomme ich Gänsehaut, sodass ich die Bettdecke fester um meinen Körper ziehe. Vor meinen Augen flackert das Bild. Ich blinzele und eine Träne rollt mir seitlich die Wange hinab. Einmal mehr wird mir schmerzlich bewusst, was ich durch meine bloße Existenz für Schaden anrichte. Erfüllt von Selbsthass drehe ich mich auf den Bauch, drücke mein Gesicht in das Kissen und lasse meinen Gefühlen freien Lauf. Schläfrig öffne ich meine Augen. Für einen Moment fehlt mir die Orientierung. Ich setze mich auf und versuche in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Die Konturen der Einrichtung sagen mir, dass ich mich in meinem Zimmer befinde. Wahrscheinlich bin ich vor Erschöpfung eingeschlafen. Schwerfällig erhebe ich mich aus meinem Bett, gehe zum Lichtschalter und betätige ihn. Die Helligkeit sticht in meinen Augen, sodass ich sie schmerzend wieder schließe. Das Rauschen in meinen Ohren ist unerträglich und ich spüre ein starkes Pulsieren in meinem Kopf. Erneut öffne ich die Augen, diesmal vorsichtig, um sie an das Licht gewöhnen zu können. Dann betätige ich die Türklinke und verlasse das Zimmer. Ich versuche leise zu sein, als ich durch den Flur laufe, um meinen Vater nicht zu wecken, doch dann vernehme ich die Geräusche des Fernsehers und deute daraus, dass er sich noch im Wohnzimmer aufhalten muss. Gähnend betrete ich das Bad, schalte das Licht an und gehe zum Medizinschrank. Ich öffne ihn und entnehme eine Schachtel Schmerztabletten. Aus einer Blisterpackung drücke ich vier Stück heraus, den Rest lege ich zurück in den Schrank. Vor dem Waschbecken drehe ich den Wasserhahn auf, nehme die Tabletten in den Mund und schlucke sie mit ein wenig kaltem Wasser herunter. Dann wasche ich mir das Gesicht. Den Hahn schließend schaue ich in den Spiegel. Zwei blaue Augen mit Schlafzimmerblick und dunklen Augenringen darunter schauen mich müde an. Die Haut sieht fahl und die Wangen eingefallen aus. Ich betaste mit meinen Fingern die Lippen, die rau und aufgerissen sind. ‚Eine fremde Person‘, geht es mir durch den Kopf. Dann wende ich mich gleichgültig ab und verlasse das Bad. Ich werfe einen vorsichtigen Blick in das Wohnzimmer und sehe meinen Vater auf dem Sofa liegen. Lautlos betrete ich den Raum und merke beim Näherkommen, dass er während des Fernsehens eingeschlafen ist. Ich mache kehrt und komme mit einer Decke wieder. Behutsam lege ich sie über den Körper meines Vaters, bedacht darauf, ihn nicht zu wecken. Dann schalte ich den Fernseher ab und gehe zurück in mein Zimmer. Unruhig wälze ich mich von einer Seite auf die andere. Ich versuche eine einigermaßen erträgliche Schlafposition zu finden, doch es gelingt mir nicht. Irgendein Körperteil ist immer im Weg, die Decke ist verkrempelt oder meine Schlafsachen verdreht. Genervt setze ich mich auf und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Ein unangenehmes Kribbeln beginnt in meinen Zehen und erstreckt sich schnell bis zur Wade. Ich schüttle mein Bein, in der Hoffnung, dass es aufhört. Es kribbelt stärker und ich schüttle es erneut, diesmal energischer. Es bringt nichts. Im Gegenteil, dadurch wird es nur schlimmer und treibt mich letztlich in den Wahnsinn. Innerhalb kürzester Zeit sind auch die Arme, dann der ganze Körper betroffen. Gereizt springe ich aus dem Bett und bewege mich fahrig durch das Zimmer, innerlich flehend, dieses Gefühl abschütteln zu können. Es gelingt mir nicht. Es gelingt mir nie. Dessen bin ich mir auch bewusst und doch versuche ich es jedes Mal wieder. Ich ziehe an meinen Schlafsachen herum, spüre jede kleine Falte überdeutlich. Es drückt, kratzt, juckt und schmerzt auf der Haut, sodass ich fast hysterisch werde. Generell wird jede Berührung, jeder Hautkontakt zur Qual. Verzweifelt entkleide ich mich nach einer Weile, streiche das Bettlaken glatt und lege mich mit ausgestreckten Gliedmaßen auf den Rücken. Die rechte Hand lege ich auf meine Brust, um meinen Herzschlag spüren zu können. Ansonsten versuche ich meine Aufmerksamkeit weg von meinem Körper auf etwas Schönes zu lenken. Angestrengt krame ich in meinen Erinnerungen. Erstaunt darüber, wie viele kleine und große Dinge mir einfallen, die mir wirklich Freude bereitet haben, begebe ich mich auf eine Reise durch mein Gedächtnis. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. Mit der Zeit werde ich ruhiger. Langsam schließe ich die Augen. Ich fühle, wie mein Körper schwerer wird und ich falle. „Wie lange bist du eigentlich noch krankgeschrieben?“, möchte Tai wissen, während er wie wild auf den Kontroller einhämmert. Ich sitze an meinem Schreibtisch und schaue den verpassten Schulstoff durch, den Tai mir nach dem Unterricht immer vorbeibringt, wobei er dann meist bis in die späten Abendstunden bleibt. „In drei Wochen habe ich wieder einen Termin bei meinem Psychiater, der dann entscheidet, wie es weitergeht.“ „Hmm“, brummt Tai und ist dabei, ins Nichts zu springen. Ich wende mich erneut den Schulmaterialien zu. „Schöne Grüße… Fuck!“ Frustriert wirft er den Kontroller beiseite und schaut mich an. „Würdest du das bitte lassen? Die Dinger sind teuer.“ Ohne vom Schreibtisch aufzusehen, füge ich hinzu: „Was wolltest du sagen, bevor du deinen Wutanfall hattest?“ Tai sieht mich entgeistert an. „Was ist denn mit dir los? Du wirkst so unterkühlt.“ „Was soll los sein. Ich bin beschäftigt. Außerdem möchte ich nicht, dass du mein Eigentum mutwillig zerstörst.“ „Bitte? Seit wann bist du so empfindlich? Wenn du ein Problem hast, dann sag es mir ganz offen, aber lass es nicht an mir aus.“ Gereizt entgegne ich: „Habe ich es denn nicht gerade ganz offen gesagt?“ „Das ist jetzt nicht dein Ernst, Yama. Es geht momentan nicht wirklich um diesen dämlichen Kontroller, oder?“ „Worum soll es sonst gehen?“ „Sag du es mir.“ In seinen Augen sehe ich Provokation. „Ich weiß nicht, was du von mir willst. Du scheinst wohl eher ein Problem zu haben.“ Fassungslos starrt mein Freund mich an. Ich wälze weiterhin die Unterlagen, ohne aufzusehen. Darauf konzentrieren kann ich mich allerdings nicht mehr, viel zu sehr hat Wut von meinen Geist Besitz ergriffen. Sie vernebelt meinen Verstand und bestimmt mein Handeln. Aber es ist nicht nur Wut, sondern, neben Gefühlen wie Verzweiflung, Angst, allerdings auch Zuneigung, noch ein anderes, welches ich hingegen nicht einordnen kann. Ich spüre nur, wie mir die Situation allmählich entgleitet und ich die Kontrolle verliere. „Ja, ich habe ein Problem“, schreit Tai mich an. „Du bist das Problem beziehungsweise dein Verhalten. Merkst du das selbst nicht?“ Zorn steigt in mir auf. „Wenn ich dir so zuwider bin, dann geh! Ich brauche dich nicht! Und du bist ohne mich sowieso besser dran.“ Meine Stimme wird kalt und ich blicke gleichgültig ins Nichts. „Ich sollte eigentlich längst tot sein. Wenn…“ Augenblicklich fühle ich einen gleißenden Schmerz auf meiner Wange. Ich verharre und genieße meinen bittersüßen Triumph. Dann höre ich wie durch einen Nebel Tais herabwürdigendes Lachen. „Bist du schon so tief gesunken, dass du um Erniedrigung förmlich bettelst?“ Seine Stimme wird ernst und im Unterton schwingt eine tiefe Traurigkeit mit. „Warum gelingt es deinem Selbsthass, dich so zu beherrschen? Er wird dich zerstören, Yamato. Hörst du?“ Er packt mich an den Schultern und schüttelt mich, als wollte er versuchen, mich aus meiner eigenen Welt zurückzuholen. „Du wirst an ihm zugrunde gehen! Willst du das wirklich?“ Ich reagiere nicht. Mein Blick ist starr und leer. Entfernt vernehme ich noch die Worte meines Freundes, ihren Sinn begreife ich jedoch nicht. Die Umgebung ist seltsam irreal; die Konturen verschwimmen, die Größenverhältnisse wechseln irregulär und die Farben sind übersteuert. In meinen Ohren wird das Rauschen immer lauter und das Stechen in meinem Kopf intensiver. Wie fremdgesteuert antworte ich schließlich: „Ja, dann ist das alles wenigstens endlich vorbei. Niemand muss mehr meinetwegen leiden. Und alle wären glücklich.“ Liebevoll zieht Tai mich an sich und umfängt mich mit seinen Armen. Wie aus einem Traum erwachend nehme ich auf einmal den zitternden Körper meines Freundes wahr. Ich rieche den Duft seiner Haare, den ich so liebe, spüre die Wärme seines Körpers, die mir sagt, dass er am Leben ist, und höre sein unregelmäßiges Atmen. Er weint. „Ich nicht“, flüstert er, zu mehr scheint er derzeit nicht fähig zu sein. „Ich leide nicht deinetwegen und ich wäre nicht glücklich ohne dich. Bleib bei mir, okay? Und wenn du es im Moment nicht schaffst, für dich zu leben, dann lebe für mich. Ich weiß, ich bin egoistisch, aber wenn ich mir vorstelle dich zu verlieren, dann…“ Seine Stimme versagt und ich merke, wie sein Körper schwerer wird und in sich zusammenzusacken droht. Unter großem Kraftaufwand versuche ich ihn aufrecht zu halten, doch ich bin zu schwach. Es gelingt mir nicht. Ich kann ihn nicht stützen. Gemeinsam sinken wir zu Boden. Völlig aufgelöst und hilflos sitzen wir auf dem Teppich meines Zimmers und versuchen uns gegenseitig Halt zu geben. Kapitel 3: ----------- Entspannt sitze ich auf einer Bank im Park, habe mich zurückgelehnt und halte die Augen geschlossen. Ich versuche mir noch einmal die soeben beendete Therapiestunde ins Gedächtnis zu rufen. Es ging um den Umgang mit Gefühlen und die rechtzeitige Erkennung von dissoziativen Zuständen sowie Skillstraining. Wie bereits die Sitzungen zuvor. Entweder bin ich zu blöd oder das Ganze hat einfach keinen Sinn. Ich kann zumindest nicht feststellen, dass sich irgendetwas verbessert hat. Es ist nur ein an mich verschwendeter Platz, den jemand anderes mit Sicherheit dringender gebrauchen könnte. Die Sonne scheint mir warm ins Gesicht und kitzelt sanft auf meiner Haut. Es scheint ewig her, dass ich so lange Zeit an der frischen Luft war. Bewusst atme ich ein und aus und versuche dabei den Duft des Sommers in mich aufzusaugen. Ich nehme den belebenden Geruch des Rasens und der Erde wahr sowie den des Holzes der Bäume. Durch einen erfrischenden Windstoß, der etwas Abkühlung von der aufkommenden Mittagshitze bringt, dringt das Rascheln der Blätter an mein Ohr. Vögel zwitschern aufgeregt und flattern ruhelos umher. Ich öffne langsam meine Augen, kneife sie aber sofort zusammen. Die Sonne blendet mich, sodass ich die Hand vor mein Gesicht halte und warte, bis ich mich an die Helligkeit gewöhnt habe. Dann lasse ich meinen Blick durch den Park schweifen. Vereinzelt gehen Leute mit einem Hund spazieren, Jogger drehen ihre Runden sowie Fahrradfahrer, die das Rad durch den Park allerdings schieben müssen. Jeder von ihnen lebt sein eigenes Leben. Ihre Wege kreuzen sich hier zufällig, vielleicht zum ersten und letzten Mal, vielleicht schon des Öfteren. Aber für einen winzigen Augenblick nehmen sie am Leben des Anderen teil und wahrscheinlich ist es ihnen noch nicht einmal wirklich bewusst. Vermutlich interessiert es sie auch nicht. Direkt an mir vorbei geht ein älterer Mann und spricht vor sich hin. Ich schaue mich um. Weit und breit ist niemand zu sehen, mit dem er reden könnte. Ich drehe den Kopf wieder und sehe ihm nach. Unbeirrt läuft er weiter und führt Selbstgespräche oder er sieht eine Person, die ich und wahrscheinlich auch viele andere nicht sehen können. Anscheinend ist er sehr einsam, wenn nicht sogar allein. Leider gibt es viele solcher Existenzen, die von niemandem beachtet, allenfalls blöd angeschaut werden. Warum diese Menschen so geworden sind, fragt keiner, weil es auch niemand wissen will. Man müsste über den Rand seiner eigenen, kleinen, heilen Welt hinausschauen, wozu nur die wenigsten bereit sind. Mir steht es jedoch nicht zu, jemanden zu verurteilen, auch ich werde diese Welt nicht retten können. Ich möchte ja nicht einmal in ihr leben. Ich kann nicht in ihr leben. Es fühlt sich falsch an. Ich passe nicht hinein. Selbst wenn ich wollte. Allmählich spüre ich die brennende Hitze auf meiner Haut. Als ich versuche aufzustehen, wird mir schwindelig, sodass ich mich wieder setze. Das sind die einzigen Momente, in denen ich meine Narben verfluche, denn somit bleibt mir kurze Kleidung verwehrt und die Wärme staut sich noch mehr. Ich bin nicht der Meinung, dass es egal ist, ob andere die Male sehen. Es geht niemanden etwas an, außer Tai vielleicht. Generell frage ich mich, weshalb ich in den Park gekommen bin. Sicher, er liegt auf dem Weg zu meiner Therapie, aber das ist nicht erst seit heute so und sonst hat er mich auch nicht interessiert. Zudem hasse ich den Sommer eigentlich und bin froh, wenn ich mich zu Hause bei heruntergelassenem Rollo verkriechen kann. Ist es möglicherweise doch eine kleine Veränderung? Ist es vielleicht doch nicht so sinnlos, wie ich dachte? Oder ist es nur eine von vielen Launen, die bei mir immer mal wieder durchkommen? Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als ich spüre, dass sich jemand neben mich auf die Bank setzt. Ich schaue zur Seite und direkt in das stark zerfurchte Gesicht einer alten Frau. Sie lächelt mich an. „Hallo, junger Mann“, sagt sie in freundlichem Ton. „Guten Tag“, gebe ich verlegen zurück. Es fällt mir schwer, mit solchen Situationen umzugehen. „Ja, das ist es wahrlich. Ein guter Tag. Herrliches Wetter… ist Ihnen nicht warm in Ihren langen und noch dazu schwarzen Sachen?“ Sie mustert mich verwundert und zugleich interessiert. Wie ich diese Frage hasse. Ich versuche zu lächeln und mir nicht anmerken zu lassen, dass ich kurz vor einem Hitzschlag stehe. „Nein“, erwidere ich versucht gelassen, sehe aber bereits leicht doppelt. Ich muss so schnell wie möglich aus der Sonne. Aber die Frau tut mir leid. Es ist offensichtlich, dass sie in den Park kommt, um mit jemandem reden zu können. Dabei spielt es keine Rolle, wer ihr Gegenüber ist oder ob sie ihn kennt. Es geht einfach nur um den Kontakt zu anderen Menschen. Vielleicht hat sie keine Verwandtschaft, wahrscheinlicher ist allerdings, dass ihre Verwandten nichts mehr von ihr wissen wollen oder nie Zeit haben. „Kommen Sie öfter hierher? Der Park ist so wundervoll. Ich bin eigentlich jeden Tag hier, wenn das Wetter es zulässt. Hier geht die Zeit noch etwas langsamer. Menschen, die diesen Ort aufsuchen, sind meist nicht in Eile. Sie suchen Ruhe, Natur, wollen dem Alltag entfliehen… Weshalb sind Sie hier?“ Mein Blick richtet sich in die Ferne. Einen Moment schweige ich, dann sage ich mit nachdenklicher Stimme: „Ich weiß es nicht.“ Bedächtig öffne ich die Wohnungstür. Der hämmernde Schmerz in meinem Kopf lähmt mich und meine Bewegungen. Die Gedanken stehen still. Meine Handlungen sind wie programmiert. Ich schließe noch nicht einmal die Türen hinter mir. Im Badezimmer öffne ich den Medizinschrank und hole die Schmerzmittelpackung heraus. Ein Schwindelgefühl zwingt mich, Halt am Waschbecken zu suchen. Mich mit einer Hand abstützend drücke ich die Tabletten einer Blisterpackung heraus, nehme sie einzeln auf und schlucke sie ohne Wasser hinunter. Schwer atmend greife ich mir an die Brust und versuche durch Druck auf den Brustkorb das krampfartige Herzstechen zu lindern. Ich merke, wie meine Beine zu zittern beginnen. Das Kreiseln in meinem Kopf fängt an sich mit einem die Sinne verhüllenden Nebel zu vermischen, wobei das Dröhnen mich allmählich in den Wahnsinn treibt. Mit großer Anstrengung gelingt es mir, mich aufrecht zu halten. Ich entnehme der kleinen Schachtel noch eine Blisterpackung, aus der ich erneut die kleinen, weißen Arzneimittel eine nach der anderen herausdrücke und hastig mit meinen inzwischen ebenfalls zitternden Händen zum Mund führe und hinunterschlucke. Mit einem Mal überwältigt die Schwäche meinen Körper, ich verliere das Gleichgewicht, schaffe es nicht mehr, mich weiterhin am Waschbecken festzuhalten, und falle unsanft auf die kalten Fliesen. Ich bleibe liegen, unfähig mich zu bewegen. Mein Kopf ist abgesehen von den Schmerzen und dem Nebelschleier vollkommen leer. Mein Bewusstsein beginnt in das Nichts abzudriften, als plötzlich starke Übelkeit in mir aufsteigt. Krampfhaft versuche ich, meinen Körper in Richtung Toilette zu bewegen, doch er verweigert sich mir. Meine Gliedmaßen sind schwer wie Blei und fremd, so als wären sie kein Teil von mir. Ich habe jegliche Kontrolle über mich verloren. Unweigerlich setzt der Würgereflex ein und ich erbreche ein Gemisch aus Speichel, Galle und Medikamenten neben mich auf die Fliesen. Tränen füllen meine Augen, während ich leblos in meinem eigenen Erbrochenen liege. Ich öffne meine Augen und versuche mich zu orientieren. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass ich im Bad zusammengebrochen bin und mich übergeben musste. Dann habe ich offenbar das Bewusstsein verloren. Mein Blick schweift durch den Raum, den ich als mein Zimmer erkenne. Ich liege auf dem Bett, auf der Stirn ein kalter Waschlappen. Es ist angenehm, da mein Kopf nach wie vor stark schmerzt. Ich will mich bewegen, doch mein Körper ist noch immer wie gelähmt, die Arme und Beine kaum fühlbar, aber mit einem leichten Kribbeln. In der Hoffnung, es ignorieren zu können, schließe ich die Augen wieder. Gerade als ich meine Gedanken etwas sortieren will, höre ich meinen Vater den Raum betreten und merke, wie er sich auf meine Bettkante setzt. Ich sehe ihn an. „Yamato, ein Glück.“ Er scheint erleichtert zu sein. „Wie geht es dir?“ Es fällt mir schwer, etwas zu sagen. Meine Kehle ist trocken. Zudem habe ich einen schalen Geschmack im Mund. „Es ging schon besser“, gebe ich mit kläglicher Stimme zu. „Kann ich bitte etwas Wasser bekommen?“ „Natürlich.“ Er nimmt ein Glas von meinem Nachttisch, welches er wahrscheinlich schon in weiser Voraussicht dort hingestellt hat. Behutsam hilft er mir, mich ein wenig aufzurichten, stützt mich mit der einen Hand, während er mir vorsichtig mit der anderen das Glas an die Lippen hält, damit ich in kleinen Schlucken daraus trinken kann. Dann stellt er es wieder beiseite, streichelt mir liebevoll über den Rücken, bevor er mich zurück auf das Betttuch legt. „Kannst du dich erinnern, was passiert ist?“ Seine Besorgnis ist nicht zu überhören. „Ich glaube schon“, überlege ich. „Ich war bei der Therapie und auf dem Rückweg habe ich eine Pause im Stadtpark eingelegt. Vermutlich war ich etwas zu lange in der Sonne. Als ich nach Hause kam, war mir bereits schwindelig und mein Kopf schmerzte außergewöhnlich stark. Dann weiß ich nur noch, dass ich mich im Badezimmer nicht mehr auf den Beinen halten konnte und mich übergeben musste.“ „Das klingt verdächtig nach einem Sonnenstich. Wichtig ist jetzt, dass du dich nicht überanstrengst. Bleib am besten noch eine Weile liegen. Ich werde dich erst einmal in Ruhe lassen, damit du etwas schlafen kannst.“ Er streicht mir sanft über die Wange, dann erhebt er sich. „Papa?“, frage ich mit beinahe flehender Stimme. „Kann ich bitte eine Kopfschmerztablette bekommen?“ Er schaut mich mitleidig an. Seine Augen sehen traurig und unglaublich müde aus. Im Allgemeinen wirkt er sehr erschöpft. Die Schultern hängen schlaff herunter, die Haltung ist leicht gebeugt und sein Gang schleppend. Auch habe ich meinen Vater schon lange nicht mehr von Herzen lachen hören. Das Lächeln, welches er mir hin und wieder schenkt, strahlt eher Traurigkeit als Frohsinn aus. Plötzlich überkommt mich ein unbeschreibliches Gefühl von Zuneigung und ich würde ihn gern umarmen. Sein Blick ruht noch immer auf mir, nimmt jetzt aber strengere Züge an. „Nein, Yamato.“ „Was?“ Entsetzt und ungläubig zugleich schaue ich ihn an. „Du hast schon verstanden. Soweit ich es erst einmal verhindern kann, gibt es für dich keine Schmerzmittel mehr. Als ich dich im Bad gefunden habe, lagst du in deiner eigenen Kotze, oder eher Medikamentengalle, denn du hattest ja wieder einmal nichts gegessen. Du hast zwanzig Schmerztabletten geschluckt, auf nüchternen Magen! Yamato, was ist nur los mit dir? Willst du dich mit aller Macht zugrunde richten? Egal mit welchen Mitteln?“ Betrübt unterbricht er sich und Tränen füllen seine Augen. Schuldbewusst drehe ich meinen Kopf weg, ich schaffe es nicht mehr, ihn anzusehen. Mit zitternder Stimme spricht er weiter: „Ich weiß, ich kann dich nicht dazu zwingen, zu essen. Ich weiß, ich kann dich nicht davon abhalten, Tabletten zu schlucken. Ich weiß, ich kann nicht verhindern, dass du dir mit einer Rasierklinge tiefe Wunden zufügst. Aber bleibt mir wirklich nichts, außer dir beim Sterben zuzusehen?“ Die eintretende Stille im Raum wird nur vom Schluchzen meines Vaters unterbrochen. Ich liege von ihm abgewandt wie versteinert auf meinem Bett. Eine Antwort gebe ich nicht. Mein Blick ist auf die Seiten eines Buches gerichtet, welches ich gerade zu lesen versuche. Bereits zum dritten Mal beginne ich den Absatz. Meine Augen nehmen die Buchstaben zwar auf, doch deren Bedeutung wird von meinem Gehirn nicht erkannt. Ich lasse das Buch sinken und schaue geistesabwesend aus dem Fenster. Die Worte meines Vaters hängen mir noch immer nach. Seine Hilflosigkeit und Verzweiflung, sein Blick, seine Tränen, zeigen mir das verheerende Ausmaß meiner Existenz. Ich hindere ihn nicht nur am Leben, sondern zerstöre ihn auch. Ebenso wie Tai, äußerst brutal vergewaltige ich seine Seele, wieder und wieder. Ich sehe zu, wie er an mir zerbricht. Aber statt ihn vor mir zu schützen, füge ich ihm weitere abscheuliche Verletzungen zu. Ich will ihn an mich ketten, sodass er sich nicht befreien kann, selbst wenn er wollte. Meine Abhängigkeit soll auch die seine sein. Er wird mir gehören, bis in den Tod. Wenn nötig mit Gewalt. Ein Klopfen reißt mich aus meinen Gedanken, doch bevor ich etwas sagen kann, öffnet sich die Tür und Tai betritt mein Zimmer. Er wirft seine Schultasche vor das Sofa und setzt sich zu mir an das Bett. „Und, wie geht es dem Patienten heute? Ich habe von deinem Vater erfahren, was passiert ist. Und das, obwohl du sonst nie freiwillig in die Sonne gehst und soweit ich weiß wegen des Lithiums auch gar nicht darfst. Was war los?“ Noch gar nicht ganz anwesend schaue ich meinen Freund an. Seine dunklen Augen sehen mich fragend an. Mein Blick wandert zu seinem leicht geöffneten Mund, dann hinab zu seinem Hals. Erregung überkommt mich, als ich in meiner Vorstellung seinen Nacken sanft mit meinen Fingern liebkose, diese dann zärtlich um seine Kehle lege und erbarmungslos zudrücke. Tais Hand an meiner Wange holt mich zurück in die Realität. Doch bevor ich die Situation komplett erfassen kann, spüre ich seinen warmen Atem und seine Lippen, die flüchtig die meinen berühren. Bevor ich auf den Kuss eingehen kann, entzieht Tai sich mir geschickt. „Wieder da?“, fragt er mit einem eigenartigen Lächeln. „Ich…“ Unfähig mich zu sammeln, sitze ich angespannt in meinem Bett, während sich meine Finger außerhalb von Tais Sichtfeld tief in dem Laken verkrampfen. Die Hand meines Freundes ruht wegen des Kusses neben meinen Beinen. Als er sie wegziehen möchte, streicht er dabei wie zufällig darüber, hält inne und betrachtet mich mit einem merkwürdigen Grinsen. „Wenn ich jetzt zwischen deine Beine greifen würde, was würde sich mir da offenbaren, Yamato?“ Meine Augen weiten sich und ich fühle, wie Hitze in mir aufsteigt. Verlegen schaue ich zur Seite. „Du bist erregt, habe ich Recht?“, raunt er, während er sich mir nähert. Mit seiner Zunge leckt er sinnlich über meinen Hals, bevor er erbarmungslos hineinbeißt. Eine Mischung aus lustvollem Stöhnen und Schmerzensschrei entweicht meiner Kehle. Von mir ablassend, aber in seiner Position verharrend flüstert er: „Das gefällt dir, was?“ Er lässt seine Hände fühlbar über meinen Körper gleiten und legt dann seine Finger um meinen Hals. „Die Frage ist nur, ob dich der Sex oder die Gewalt geil macht. Oder ist es eine Mischung aus beidem?“ Ich sehe ihn an. Die Lust beherrscht noch immer meinen Körper, doch meine Stimme klingt emotionslos: „Nichts von beidem. Bei jedem Anderen lässt mich sowohl das eine als auch das andere kalt. Es sind normalerweise nur Mittel, um mich zu spüren und meinen Selbsthass zu steigern.“ Tai lässt nicht von mir ab, fragt aber skeptisch: „Und was ist bei mir anders?“ Ich schweige. Der Druck auf meinen Kehlkopf verstärkt sich leicht. „Also gut, du hast die Wahl. Soll ich dich jetzt bis an die Grenze zur Vergewaltigung ficken oder mit meinen eigenen Händen töten?“ Seine Augen sind eiskalt. Einmal mehr habe ich das Gefühl, dass mein Freund nicht mehr er selbst ist. Ich frage mich, ob er die Situation noch erfassen kann und ob er wirklich die Option, mich zu töten, umsetzen würde. „Drück zu“, gebe ich zur Antwort. Seine Reaktion interessiert mich. „Verstehe, du entscheidest dich für den Tod und somit gegen mich.“ Er lässt mich noch immer nicht los. Ich muss lachen. „Und so etwas wie eine Vergewaltigung wäre eine Entscheidung für dich? Klingt makaber, findest du nicht?“ Die Kälte in seinen Augen weicht nun einem schmerzvollen Ausdruck. „Ich würde alles tun, um dich am Leben und bei mir zu behalten. Verstehst du denn noch immer nicht? Ich liebe dich, Yamato.“ Ich umfasse mit meinen Händen seine Handgelenke und löse somit seinen Griff. Dann ziehe ich ihn zu mir, umschließe ihn mit meinen Armen und drücke ihn fest an mich. Ich möchte ihm antworten, bringe jedoch kein Wort heraus. Tai hat sich mit dem Oberkörper über die Sofalehne gebeugt und beobachtet mich beim Sortieren der Unterrichtsmaterialien. „Bist du sicher, dass du nächste Woche wieder zur Schule gehen wirst?“, fragt er zweifelnd. „Ich finde nicht, dass du schon so weit bist.“ „Das entscheidet der Arzt und nicht du“, entgegne ich ohne aufzusehen. „Schon, aber wie fühlst du dich denn? Denkst du, du schaffst es?“ „Das wird sich zeigen.“ Meine Stimme klingt liebloser als beabsichtigt. Tai sieht mich abschätzig an. „Du bist sauer, oder?“ „Warum sollte ich?“ Ich versuche beschäftigt zu wirken. „Weil ich vorhin nicht mit dir geschlafen habe. Weil ich dir weder in sexueller noch in gewalttätiger Richtung Befriedigung verschafft habe.“ Ich sage nichts, halte aber in meinem Tun inne. „Yamato, sieh mich an. Du bist körperlich noch geschwächt.“ „Na und? Das ist unwichtig. Wie kannst du mich erst heiß machen und dann fallen lassen?“ Unglauben zeichnet sich auf Tais Gesicht ab. „Das ist nicht dein Ernst. Du verlangst nicht wirklich von mir, dass ich dich hart nehme, wenn du krank bist.“ „Ich bin nicht krank, aber selbst wenn, wieso nicht?“ „Ganz einfach, weil es mir keinen Spaß macht, wenn du dich nicht wehrst. Und wenn du zu schwach bist…“ „Du bist pervers“, unterbreche ich ihn. Er lächelt mich an. „Du wohl nicht?“ Ich schließe die Tür auf und betrete die Wohnung. Als ich einen Blick in die Küche werfe, sitzt mein Vater mit der Morgenzeitung bei einem ausgiebigen Frühstück. Ich nehme mir eine Tasse Kaffee und geselle mich zu ihm. Er schaut auf, sieht mich an, als wolle er etwas sagen, schweigt dann aber. Ich weiß, worauf er hinaus möchte, ignoriere es aber. Enttäuscht widmet er sich erneut seiner Zeitung. „Ich werde nächste Woche wieder zur Schule gehen“, durchbreche ich die angespannte Atmosphäre. „Hältst du das für eine gute Idee?“ Seine Augen mustern mich kritisch. „Der Arzt meinte, wenn ich es mir zutraue, wäre es sogar gut, wieder unter Menschen zu kommen.“ „Seit wann bist du gern unter Menschen?“, fragt er argwöhnisch. Ich stelle meine Kaffeetasse ab. „Was soll das denn heißen?“ „Yamato, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dir nach allem, was passiert ist, noch vertrauen kann?! Und so, wie du dich gerade verhältst, läuten bei mir schon wieder alle Alarmglocken.“ Ich lache laut auf. Wütend erhebt sich mein Vater, macht ein paar Schritte auf mich zu und gibt mir eine kräftige Ohrfeige. Mein Lachen verstummt und ich sehe beschämt zu Boden. „Du merkst schon gar nicht mehr, wie sehr du die Menschen, die dich lieben, verletzt. Versuchst du auf diese Weise alle von dir zu stoßen, damit du dich, wenn du niemanden mehr hast, ruhigen Gewissens umbringen kannst?“ Er dreht sich weg und geht zur Tür. Bevor er den Raum verlässt, wendet er sich merklich aufgewühlt noch einmal an mich: „Takeru hat angerufen. Er möchte heute nach der Schule vorbeikommen.“ Bestürzt bleibe ich allein zurück und die Frage, ob mein Vater mit seinen Behauptungen und Vermutungen Recht hat, ergreift quälend Besitz von meinen Gedanken. Erschöpft lasse ich mich auf das Sofa fallen. Mit der Fernbedienung schalte ich den Fernseher ein, dann starre ich auf den Bildschirm, ohne zu registrieren, welches Programm gerade läuft. Der Nachmittag mit meinem Bruder war zwar schön, aber gleichzeitig sehr anstrengend. Auch er versuchte noch einmal, mich davon abzuhalten, wieder zur Schule zu gehen. Wahrscheinlich hat mein Vater ihn zuvor darum gebeten. Denn ebenso wollte er Verständnis für sein Verhalten in mir wecken. Es ist ja nett, dass mein Vater sich um mich sorgt, doch diese ständigen Kontrollen gehen mir unglaublich auf die Nerven. Andauernd schleicht er um mich herum und beobachtet, was ich tue. Allem steht er skeptisch gegenüber. Und letztlich der Unsinn mit den Tabletten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ernsthaft glaubt, dass ich nicht weiß, wo er sie aufbewahrt. Es klopft an der Tür und auf mein eher undeutlich genuscheltes „Ja“ steckt jener eben Bedachte seinen Kopf in mein Zimmer. Als er mich erblickt, tritt er einen Schritt herein. „Hey“, kommt es leise über seine Lippen. „Hey“, erwidere ich schlicht. „Hast du Lust, mit mir zu Abend zu essen? Ich würde uns etwas bestellen.“ Er schaut mich eindringlich an. „Nein, danke. Ich habe keinen Hunger“, antworte ich, ohne ihn anzusehen. Um weitere Diskussionen zu vermeiden, richte ich meine Aufmerksamkeit stur auf den Fernseher und höre kurz darauf, wie die Tür meines Zimmers wieder geschlossen wird. Ich versuche krampfhaft mir das schlechte Gewissen auszureden, welches im Begriff ist, sich einzuschleichen. Ich verstehe dieses plötzlich aufkommende Gefühl nicht, zumal mein Verhalten nicht abnorm war. Und doch ist da etwas, das mich nicht loslässt. Mir kommen Augenblicke von früher in den Sinn. Damals habe ich immer für uns beide gekocht und wenn mein Vater abends erschöpft von der Arbeit kam, stand schon alles bereit. Es war schön, mit ihm zusammenzusitzen und über alles Mögliche zu reden. Aber auch da gab es schon Situationen wie diese, Situationen des Rückzugs, des Unverständnisses sowie meinen auffallend zerstörerischen Selbsthass. Nur war das eine Sache, über die wir uns zu jener Zeit meist ausschwiegen. Wahrscheinlich weil keiner von uns wusste, wie er damit umgehen sollte. Die Klinikaufenthalte haben das Eis wohl gebrochen, doch ob der jetzige Zustand besser ist, wage ich zu bezweifeln. Mein Kopf dröhnt. Bedächtig erhebe ich mich von dem Sofa. Ich bin wie erschlagen. Langsam versuche ich ein paar Schritte zu gehen. Meine Beine fühlen sich an wie Pudding und ich habe die Befürchtung, dass sie das Gewicht meines Körpers nicht mehr lange tragen können. Zielgerichtet bewege ich mich auf meine Tasche zu und krame zittrig die Schachtel mit den Schmerzmitteln heraus, welche ich heute Morgen auf dem Weg zum Arzt in einer Apotheke gekauft habe. Hastig entnehme ich vier Tabletten, dann verstaue ich die Verpackung wieder in den Tiefen meiner Tasche. Ich wende mich um und greife nach der Wasserflasche neben meinem Bett. Mit gierigen Schlucken spüle ich die kleinen weißen Medikamente herunter. Komplett außer Atem setze ich die Flasche ab, verschließe sie wieder und stelle sie zurück neben das Bett. Dann lasse ich mich vollends kraftlos zu Boden sinken und bleibe reglos liegen. „Yamato! Hey, Yamato!“, höre ich eine Stimme sagen. Langsam öffne ich die Augen und registriere allmählich, dass ich noch immer auf dem Boden meines Zimmers liege. Meine Gliedmaßen fühlen sich starr an, als ich versuche sie zu bewegen. „Yamato! Soll ich den Notarzt rufen? Was ist denn passiert?“ „Papa! Jetzt komm mal wieder runter!“, flüstere ich genervt. „Ich bin nur eingeschlafen.“ „Auf dem Fußboden?!“ Er klingt misstrauisch. Langsam erhebe ich mich, bedacht darauf, ihm nicht meine Schwachheit zu zeigen, und setze mich auf das Bett. Aus müden Augen schaue ich ihn an. „Du siehst schlimm aus, mein Sohn.“ Besorgt streicht er mir durch das Haar. Ich drehe meinen Kopf etwas zur Seite und mein Blick fällt auf die geöffnete Zimmertür. Im Türrahmen steht Tai und mustert mich herablassend. „Ich mache dir jetzt eine Hühnerbrühe und die wird ohne Widerrede gegessen! Hast du verstanden?“ Die Strenge in der Stimme meines Vaters lässt erkennen, dass er wirklich keine Proteste mehr duldet. „Und du legst dich erst einmal hin“, fügt er etwas sanfter hinzu, dreht sich um und will das Zimmer verlassen, als er vor meinem Freund leicht verwirrt zum Stehen kommt. Er wendet sich noch einmal an mich: „Ach ja, Taichi ist hier.“ Dann verlässt er den Raum in Richtung Küche. Tai betritt mein Zimmer und schließt hinter sich die Tür. Ohne ein Wort und ohne die Augen von mir abzuwenden, setzt er sich zu mir an das Bett. Ich habe das Gefühl, von seinem Blick durchbohrt zu werden. „Setz dich auf“, sagt er unerwartet kalt. „Oder bist du selbst dazu zu schwach?“ Entgeistert schaue ich ihn an, gehorche aber. Ich merke, dass es mir schwer fällt, mich zu bewegen, versuche es aber vor meinem Freund zu verbergen. Dieser packt mich plötzlich am Arm und zieht mich grob zu sich. Mit der anderen Hand zieht er meinen Kopf brutal ein Stück nach hinten, indem er seine Finger in meinen Haaren festkrallt. Sein Gesicht ist jetzt ganz nah vor meinem, sodass ich fühle, wie sein warmer Atem meine Haut kitzelt. „Das gefällt dir, nicht wahr?“, flüstert er mir ins Ohr. „Aber glaubst du, dass mir das auf Dauer Spaß macht?“ Ich spüre, wie er noch stärker an meinem Haar zieht. Meine Kopfhaut schmerzt bereits und ich kann ein leises Keuchen nicht unterdrücken. Heftig stößt er mich wieder von sich, als auf dem Flur Schritte zu hören sind und kurz darauf mein Vater mit einem Teller Suppe hereinkommt. Er reicht sie mir mit den Worten: „Die wird aufgegessen.“ „Ich werde schon darauf achten, Herr Ishida“, verspricht Tai mit einem vielsagenden Blick auf mich. „Also gut, dann werde ich euch mal allein lassen, aber ich verlasse mich auf dich, Taichi“, sagt er während des Gehens noch einmal eindringlich und schließt hinter sich die Tür. Nach einem Moment des Schweigens steht mein Freund auf und dreht den Schlüssel im Schloss. Als er dann zu mir schaut, kann ich nur Entschlossenheit in seinen Augen erkennen. Ich versuche diesen Blick zu deuten, kann ihm allerdings nicht lange standhalten. Irritiert schaue ich auf meinen Teller Suppe. „Iss!“ Tais Aussage ist als Befehl und nicht als Bitte gedacht. Das war deutlich zu hören. „Sag mal, geht’s noch? Ich bin doch nicht dein Sklave!“ Wut steigt in mir auf. Tai kommt auf mich zu, nimmt mir den Teller aus der Hand und stellt ihn auf den Nachtschrank. Ich will ansetzen etwas zu sagen, doch mein Freund ist schneller. Er presst mich gegen die Wand, an der ich mit meinem Kissen lehne, und setzt sich rittlings auf meine Beine, um mich so festnageln zu können. Ich sehe ihm entsetzt ins Gesicht, welches direkt vor meinem ist. Mit einer Hand streicht er leicht über meine Wange und langsam hinab zum Hals. „Willst du dich nicht wehren? Oder kannst du nicht, weil du keine Kraft mehr hast?“, fragt Tai ungewöhnlich zärtlich. Jedoch ohne eine Antwort abzuwarten, verpasst er mir eine Ohrfeige. Ein zwiebelnder Schmerz durchfährt meine Wange, doch bevor ich mich sammeln kann, zerrt mein Freund mich mit brutaler Gewalt aus dem Bett, sodass ich unsanft zu Boden falle. „Steh auf“, ruft er unnachgiebig und schleift mich mit festem Griff ein Stück über den Teppich durch das Zimmer. Ich halte den Kopf gesenkt, denn ich schaffe es tatsächlich nicht, mich zu wehren. Mit einem Mal stoppt Taichi sein Vorhaben und kniet sich zu mir herab. „Yamato?“, fragt er liebevoll. Als keine Reaktion meinerseits kommt, merke ich, wie er langsam seine Hände unter mein Oberteil schiebt. Mit seinen Fingern gleitet er sinnlich über meine Haut. Meine Atmung wird schwerer und ich möchte mich den Berührungen hingeben. Tai entledigt mich meines Oberteils und schaut mich dann teils schockiert, teils bestätigt an. „Yamato“, sagt er noch einmal, diesmal weniger liebevoll. Ich rühre mich noch immer nicht und bekomme es mit Taichis Gewalttätigkeit quittiert. Er reißt mich erbarmungslos nach oben, stellt sich hinter mich und hält mich so fest, dass ich gezwungen bin, mich im Spiegel meines Zimmers zu betrachten. „Sieh hin, Yamato!“, schreit er mich nun fast an. „Sieh dir deinen Körper an!“ Angewidert schaue ich hin. Da steht ein Mensch mit freiem Oberkörper. Seine Haut ist hell, aber übersät mit alten Narben und frischen Wunden. Die Knochen des Brustkorbes und des Schlüsselbeines zeichnen sich deutlich ab, ebenso wie die Hüftknochen. Auch die Arme sind dünn und knochig und mit zahlreichen Schnitten versehen. Das Gesicht der Person ist ausgemergelt, die Wangenknochen kommen leicht zum Vorschein, die Gesichtsfarbe ist blass mit dunklen Ringen unter den Augen. An einigen Stellen weist die Haut Irritationen mit Rötungen auf und die Lippen sind rau und aufgesprungen, teils blutig, teils bereits verkrustet. Ungewaschenes, blondes Haar hängt strähnig und glanzlos vom Kopf herab. Dann sehe ich der Person zum ersten Mal direkt in die Augen. Sie sind müde und leblos, zeigen keinerlei Regung oder Erkennen. „Siehst du dich?“, fragt mein Freund nun ganz ruhig. „Nein“, entgegne ich monoton, fast apathisch. Tai lockert seinen Griff und schließt mich in seine Arme. Ich stehe am geöffneten Fenster und schaue hinaus. Die Nacht ist klar, sodass die Sterne gut zu sehen sind. Verlangend sauge ich die warme Sommerluft ein, doch sie ist nicht befreiend, sondern gibt mir das Gefühl, zu ersticken. Ich fühle mich schwer und meine Arme hängen schlaff an mir herunter. Mit viel Anstrengung gelingt es mir, den linken zu heben, um das Fenster zu schließen. Aus einem längs verlaufenden Schnitt fließt unaufhörlich Blut, welches in kurzen Abständen zu Boden tropft. Mein Blick fällt auf die andere Hand und auch dort klafft am Handgelenk eine tiefe Wunde. Ich sehe noch einmal aus dem Fenster, dann wende ich mich ab. Gerade als ich mich zu meinem Bett begeben will, öffnet sich die Tür und Tai betritt den Raum. Er schließt ab und verstaut den Schlüssel in seiner Hosentasche. Ohne ein Wort kommt er auf mich zu. Sein Blick ist durchdringend und wie von Sinnen. Hart packt er mich am Handgelenk. Trotz der tiefen Verletzung spüre ich keinen Schmerz. Mit seinem Körper drängt er mich ein paar Schritte zurück, bis ich durch das Fenster und die Wand auf Widerstand stoße. Er presst sich an mich, sodass ich seine Erregung spüren kann. Dann hebt er meine Hand zu seinem Mund und benetzt seine Lippen mit meinem Blut, als er die Wunde zu küssen beginnt. Ich hebe meine freie Hand unter sein Kinn und ziehe ihn mit meinen Fingern zurück auf Augenhöhe und dicht vor mein Gesicht. Mit meiner Zunge fahre ich begierig über die Lippen meines Freundes. Ein süßlich-metallischer Geschmack breitet sich in meinem Mund aus. Dicht an mich gedrängt fordert er mehr und verwickelt mich in einen berauschenden Zungenkuss. Ich spüre, wie er seine Hände forschend über meinen Körper gleiten lässt. Erregung und Hitze steigen in mir auf. Ich kralle meine Nägel in den Stoff von Tais Shirt und versuche, meine Atmung unter Kontrolle zu halten. Seine Finger umfassen sanft meinen Hals, dann drückt er rücksichtslos zu. Erschrocken schaue ich ihm in die Augen, doch sein Blick ist starr. Ich fühle, wie die Kraft immer weiter aus meinem Körper weicht, die Schnittwunden und der Sauerstoffmangel sind zu viel für ihn. Meine Arme entkrampfen und fallen nutzlos nach unten. Das Bild vor meinen Augen verengt und schwärzt sich, die tanzenden Punkte werden immer mehr. In meinen Ohren wird das Rauschen lauter, der Druck in meinem Kopf ist beinahe unerträglich. Es ist mir unmöglich, zu schlucken, womit sich reflexartig ein starkes Husten einstellt. Tai bleibt davon unbeirrt und drückt noch fester zu. Seine Augen sind ohne jede Emotion. Ich versuche zwischen den Hustenanfällen etwas zu sagen, doch es gelingt mir nicht. Dann merke ich, wie ich allmählich das Bewusstsein verliere. Entfernt nehme ich noch Tais Stimme wahr, in der ich jetzt unendliche Liebe und Zuneigung zu hören glaube: „Gleich ist es vorbei, mein Liebling.“ Ich öffne die Augen. Für einen kurzen Moment fehlt mir die Orientierung. Nach einer Weile begreife ich, dass ich in meinem Zimmer bin und dieses merkwürdige Szenario nur ein Traum war. Noch immer etwas benommen, fahre ich mir mit der Hand über das Gesicht. Dann greife ich nach der Flasche neben meinem Bett. Meine Kehle ist so trocken, dass es schmerzt. Durstig nehme ich ein paar Schlucke und stelle sie wieder zurück auf ihren Platz. Mit einem tiefen Seufzer drehe ich mich um und versuche erneut Schlaf zu finden. Es klopft an meine Zimmertür. Nach einem kurzen Moment wird sie geöffnet und mein Vater schaut hinein. Ich bin gerade dabei, meine Schulsachen in meiner Schultasche zu verstauen. „Tai wird gleich da sein.“ Schweigen. „Willst du wirklich schon wieder zur Schule gehen? Du siehst noch sehr krank aus und wirkst kraftlos.“ „Ich werde gehen. Hier verliere ich langsam den Verstand.“ Wieder Schweigen. Plötzlich durchdringt das Läuten der Türklingel die unangenehme Stille. Mein Vater verlässt eilig das Zimmer. Ich wende mich wieder meiner Schultasche zu und packe die letzten Sachen zusammen. Dann erhebe ich mich und gehe zu meinem Kleiderschrank. Vor dem Spiegel bleibe ich stehen. Als ich hineinsehe, erblicke ich Tai. Er steht hinter mir und schaut über den Spiegel direkt in meine Augen. „Bist du fertig? Wir müssen langsam los.“ Erschöpft lasse ich mich auf den Stuhl an meinem Platz sinken. Der Schulweg war anstrengender, als ich erwartet hatte. Ich fühle mich zittrig und meine Glieder schmerzen unangenehm. Müde schließe ich die Augen. „Hey, Yamato. Schön, dass es dir besser geht.“ Schläfrig öffne ich meine Lider wieder und schaue in die Gesichter meiner Bandkollegen. „Hey.“ Mehr kommt nicht über meine Lippen. „Ähm… wir müssen dann mal wieder in unsere Klassen. Der Unterricht fängt gleich an. Aber es würde uns wirklich freuen, wenn du bald zur Band zurückkehren könntest.“ Ich glaube ein mitleidiges Lächeln in ihren Gesichtern zu erkennen, bevor sie sich abwenden und schnellen Schrittes den Raum verlassen. Im selben Moment läutet die Schulglocke. Entnervt schaue ich zum wiederholten Mal auf die Uhr. Diese Stunde kommt mir unendlich lang vor. Das Hämmern in meinem Kopf wird immer stärker und der Schmerz in meinem Hals, mit dem ich heute Morgen aufwachte, bereitet mir Probleme beim Schlucken. Mein Blick fällt auf die Tafel. Ich muss ernüchtert feststellen, dass meine lange Abwesenheit nicht ohne Folgen geblieben ist. Dies merkte ich bereits beim Durcharbeiten der Materialien, die Tai mir mitbrachte. Ich hatte ziemliche Schwierigkeiten beim Verstehen einiger Zusammenhänge und nun bleibt mir der bittere Geschmack der Gewissheit. Die Schulglocke reißt mich aus meinen Gedanken. „Yamato.“ Irritiert sehe ich mich um. Der Lehrer ist die einzige Person, die mich ansieht. „Yamato. Ich hatte während der gesamten Stunde das Gefühl, du wärst nicht bei der Sache gewesen. Bist du sicher, dass du schon wieder zur Schule gehen kannst? Du siehst noch alles andere als gesund aus.“ Hinter mir höre ich ein paar Mitschüler kichern und tuscheln. Ich versuche sie zu ignorieren. „Es tut mir leid, ich…“ „Schon gut. Du sollst zum Direktor.“ Das Gesicht in meinen Händen vergraben sitze ich auf einer Bank auf dem Schulhof. Der Pausenlärm dringt an mein Ohr, doch ich nehme ihn kaum war. Noch immer schwirrt mir das Gespräch mit dem Direktor im Kopf herum. Ich bin jetzt im letzten Jahr der Oberstufe, doch den Abschluss werde ich nicht bekommen. Aufgrund der Klinikaufenthalte habe ich zu viele Fehlzeiten, sodass mir nichts anderes übrig bleibt, als die Klasse zu wiederholen. Ungünstig ist, dass das Schuljahr bereits begonnen hat und ich mitten im Schuljahr die Klasse wechseln muss. Da die Sommerferien bald beginnen, war der Vorschlag des Direktors, die Rückstufung danach vorzunehmen. Eigentlich hatte ich mit einem solchen Verlauf gerechnet. Es wäre blauäugig gewesen, zu denken, dass alles beim Alten bleiben würde. Und doch wünschte ich es mir. Aber wünsche ich mir das wirklich? Nein, ich habe nicht einen Gedanken daran verschwendet. Es ist mir egal. Nur wieso stellt sich bei dem Gedanken an mein weiteres Leben immer wieder so ein seltsames Gefühl ein? Ist es das Wissen, versagt zu haben? Der endlose Fall ohne Boden, selbst wenn ich denke, aufrecht zu stehen? Die Gewissheit, dass ich mein Leben nie in den Griff bekommen werde? Oder die Angst vor dem Leben ganz allgemein? Aber da ist noch etwas. Etwas ganz Wesentliches. „Hey.“ Tai klopft mir freundschaftlich auf die Schultern und nimmt neben mir Platz. Nach einem kurzen Zusammenzucken sehe ich ihn mit großen Augen an, doch mit dem Erkennen wende ich meinen Blick wieder ab und schaue vor mich auf den Boden. „Es ist selten, dich so allein zu sehen. Zumindest in der Schule. Wo sind die Jungs aus deiner Band oder die Mädchen, die dich normalerweise anhimmeln und denen du meist vergeblich zu entkommen versuchst?“ Ich hebe meinen Kopf und sehe meinen Freund an. Seine braunen Haare glänzen in der Sonne und seine Haut schimmert bronzefarben. Ich möchte ihn berühren, von ihm berührt werden. Verlangen steigt in mir auf. „Wen interessiert das?“ Diese Worte sind ein Versuch, uns beide von meiner Gleichgültigkeit zu überzeugen. Ohne Erfolg. „Wenn du meinst“, ist Tais einzige Entgegnung. Den Rest der Pause verbringen wir schweigend nebeneinander auf der Bank sitzend. In Gedanken versunken laufe ich den Schulflur entlang. Ich bemerke nicht die Blicke, die mir Mitschüler entgegenbringen. Meine Aufmerksamkeit gilt allein meinem Vorhaben. Die Unsicherheit in meinem Inneren nimmt zu, als meine Schritte sich dem Proberaum meiner Band nähern. Nervös bleibe ich vor der verschlossenen Tür stehen. Von der anderen Seite erklingen vereinzelte Riffs der Gitarren und des Keyboards. Ich schließe meine Augen und lehne mich gegen die Wand. Erinnerungen steigen in mir auf und machen mir schmerzlich bewusst, wie sehr sich mein Leben durch die Klinik verändert hat. Nicht aufgrund der Ereignisse oder meiner Umwelt, sondern durch mich selbst. Es hat etwas in mir ausgelöst, was mich nicht zurückkehren lässt. Nach außen scheint alles mehr oder weniger wie zuvor zu sein, doch so fühlt es sich nicht mehr an. Mir fällt auf, wie die Menschen meiner Umgebung sich bemühen, mir Sicherheit und Normalität geben zu wollen, aber das schürt in mir nur die Verzweiflung. Die Verzweiflung, dem gerecht zu werden sowie am Leben bleiben zu müssen. Ein Leben, in dem ich mich fremd fühle. Mit einem Seufzen beende ich meinen Gedankengang, kehre der Tür den Rücken zu und mache mich auf den Weg, das Schulgebäude zu verlassen. Draußen scheint die Sonne unerbittlich und brennt in meinen Augen. Als ich das Schultor passiere, erblicke ich meinen Freund Tai. Er steht an die Mauer gelehnt und hat die Augen geschlossen. „Wartest du auf mich?“ Ich bleibe vor ihm stehen. Blinzelnd sieht er mich an. „Ja. Ich habe gesehen, wie du zum Proberaum gegangen bist. Konntest du mit deiner Band alles klären?“ Ich nicke, wende mich rasch von ihm ab und gehe ein paar Schritte voraus. Er folgt mir auf dem Fuß. „Warte doch mal. Wieso hast du es denn so eilig?“ „Das Wetter nervt. Mir ist warm.“ „Dann zieh doch deine Jacke aus.“ Ich bleibe stehen und schaue ihn verständnislos an. „Oh… sorry. Dumm von mir.“ „Allerdings“, ist das Einzige, was ich ihm entgegenbringe, bevor ich meinen Weg fortsetze. „Wie verlief denn dein erster Schultag?“ „Okay.“ „Und wie haben deine Mitschüler reagiert? Wie haben sie sich dir gegenüber verhalten?“ Erneut bleibe ich stehen. „Was soll das eigentlich? Wieso interessiert dich das?“ „Ich… tut mir leid. Vergiss es einfach.“ Ich laufe weiter, als hätte diese Unterhaltung niemals stattgefunden. „Wie geht es dir? Du siehst nicht gut aus.“ Wieder bleibe ich stehen. Zorn steigt in mir auf. „Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?“ Es fällt mir schwer, die Lautstärke meiner Stimme unter Kontrolle zu halten. „Du bist ziemlich gereizt. Hat das einen bestimmten Grund?“ Ich hebe wütend die Hand, um meinem Freund eine Ohrfeige zu verpassen, doch er ist schneller und hält meine Hand am Handgelenk fest. „Lass mich los“, zische ich ihn hasserfüllt an. Er schüttelt den Kopf, zieht mich zu sich heran und umarmt mich liebevoll. „Hast du sie noch alle?“ Empörung und Verzweiflung schwingen in meiner Stimme mit, als ich versuche, mich aus Tais Umklammerung zu befreien. Doch mit zunehmender Gegenwehr meinerseits verstärkt er seinen Griff und den Druck auf meinen Körper nur weiter. „Yamato“, flüstert er in mein Ohr. „Warum bist du mir gegenüber so abweisend und verschlossen?“ Ich spüre, wie Schüler, die an uns vorbeigehen, uns mit seltsamen Blicken mustern, doch es interessiert mich nicht. Tais Geruch vernebelt mir die Sinne und die Nähe seines Körpers bringt mich fast um den Verstand. Meine Atmung ist stockend. Mein Hals schmerzt. Ich spüre, dass mein Kreislauf langsam versagt. Mir wird schwindelig. Tai bemerkt meinen drohenden Zusammenbruch. Sanft drückt er mich zu Boden und lehnt mich mit dem Rücken an die Wand. Dann holt er aus seiner Schultasche eine Flasche mit Wasser, öffnet sie und hält sie mir auffordernd entgegen. „Trink etwas. Dein Kreislauf versagt.“ Hastig nehme ich ein paar Schlucke zu mir. Als ich die Flasche wieder absetze, spüre ich Tais Hand, seinen Daumen, der leicht über meine mit Wasser benetzen Lippen streicht. „Sie sind ganz bleich, jegliche Farbe ist aus ihnen gewichen.“ Mit diesen Worten beugt er sich vor und küsst mich leicht auf den Mund. Ich lasse es teilnahmslos geschehen. Meine Hand zittert, als ich versuche den Schlüssel in das Schlüsselloch der Wohnungstür zu stecken. Es war schwierig, Tai davon zu überzeugen, dass es mir so gut geht, dass ich es allein nach Hause schaffe. Endlich gelingt es mir, die Tür zu öffnen. Im Eingangsbereich entledige ich mich meiner Schuhe. Dann gehe ich in die Küche, setze Kaffee auf und durchsuche meine Schultasche nach einem Brief. Diesen lege ich auf den Küchentisch an den Platz meines Vaters, bevor ich den Raum verlasse, um in mein Zimmer zu gehen. Ich stelle meine Tasche in die Ecke, ziehe die Vorhänge zu, lasse das Rollo herunter und tausche meine Schulkleidung gegen eine schwarze Hose und ein langärmliges Hemd in der gleichen Farbe. Dann schalte ich den Fernseher ein. Das Pulsieren in meinem Kopf wurde durch den Kreislaufkollaps noch verstärkt, zudem fällt mir das Schlucken zunehmend schwerer. Ich gehe ins Bad und als ich mit weit geöffnetem Mund vor dem Spiegel stehe, erkenne ich, dass die Mandeln weiß belegt sind. Vom Bad aus gehe ich wieder in die Küche, um mir eine Tasse Kaffee zu holen. Zurück in meinem Zimmer nehme ich die Schmerzmittel aus meiner Tasche und drücke vier Tabletten aus einer Blisterpackung. Mit dem mittlerweile leicht abgekühlten Kaffee schlucke ich sie hinunter, stelle die Tasse vor mir auf den Tisch und lege mich anschließend rücklings auf das Sofa. Es interessiert mich nicht, was für ein Programm gerade läuft, ich bekomme es ohnehin nicht mit. Der Fernseher dient mir lediglich dazu, die unerträgliche Stille im Raum zu durchbrechen. Musik ertrage ich derzeit nicht. Zu viele Erinnerungen. Zu viel Schmerz. Verlangen steigt in mir auf. Das Verlangen, mir selbst Schmerz zuzufügen. Körperlichen Schmerz. Meine Atmung wird schwerfälliger. In meinen Fingern steigt ein Kribbeln auf, welches sich binnen kurzer Zeit auf die Arme und den gesamten Körper ausweitet. Nervös schaue ich auf die Haut meines Armes, betrachte die verschiedenen Narben, einige älter, manche noch ganz frisch, und fahre mit meiner Hand immer wieder liebevoll über die Unebenheiten. Meine Sehnsucht nach dem Gefühl, wenn die Klinge die Haut zerteilt, wird fast unerträglich. Ich schließe meine Augen und bemühe mich, kontrolliert ein- und auszuatmen. Krampfhaft versuche ich meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken. Doch immer wieder keimt in mir die Frage auf, weshalb ich dem Verlangen nicht einfach nachgebe. Warum versuche ich mich dagegen zu wehren? Letztlich ist das doch das Einzige, was mir noch geblieben ist. Das einzige Gefühl, welches einordbar und erträglich ist. Ich spüre immer mehr Unruhe in mir aufsteigen. Bilder von Wunden, Blut und Rasierklingen tauchen unwillkürlich vor meinen Augen auf. Unter Panik öffne ich sie und starre vollkommen unbewegt an die Decke meines Zimmers. Schüttelfrost erfasst meinen Körper. Mein Kopf glüht und ich spüre, wie mir heiße Tränen seitlich das Gesicht hinab laufen. Gehetzt laufe ich den Schulflur entlang. Zu beiden Seiten stehen Schüler, die lachend mit dem Finger auf mich zeigen. Ich versuche sie zu ignorieren, indem mein Blick stur nach vorn gerichtet ist. Am Ende des Ganges bleibe ich schwer atmend vor einer großen Flügeltür stehen. Als ich den Knauf drehe, muss ich feststellen, dass sie verschlossen ist. Angst steigt in mir auf und ich drehe mich vorsichtig um. Ein großer Raum umgibt mich, ohne Fenster, ohne Türen. In der Mitte hängt eine Glühbirne, eingedreht in die Fassung, von der Decke und bildet die einzige Lichtquelle. Außer mir befindet sich nichts in diesem Zimmer. Die Wände sind schwarz gestrichen. Ich gehe ein paar Schritte, dann bleibe ich stehen. Vor mir steht Tai. Er sieht mich an. Seine Arme sind mit tiefen Schnittwunden versehen, doch es fließt kein Blut aus den Verletzungen. In der Hand hält er ein Skalpell, sauber und silbern glänzend. Ich schaue in den Spiegel, der neben mir an der Wand hängt, und sehe meinen Vater. Blut läuft aus seinen Ohren, er lächelt mich an. Ein markerschütternder Schrei lässt mich zusammenfahren. Ich drehe mich um und setze mich erschöpft auf das Sofa in meinem Zimmer. Der Fernseher ist eingeschaltet und mein Vater ist so vertieft in sein Videospiel, dass er mich gar nicht bemerkt. Eine Weile schaue ich ihm zu, dann wird meine Aufmerksamkeit von Tai abgelenkt, der plötzlich hastig an mir vorbeiläuft. Ich folge ihm. Er wirkt panisch, blickt sich immer wieder um, als würde er verfolgt werden. Dann bleibt er unerwartet stehen, dreht sich zu mir und schreit mich an. Ich verstehe ihn nicht, schließe die Augen und halte mir verzweifelt die Ohren zu. Etwas beginnt an mir zu zerren, ich versuche mich loszureißen, schlage um mich. Dann folgt Stille. Ich schaue mich um. Nichts. Langsam sinke ich zu Boden. Außer meinem Atem ist nichts zu hören. Es wird kalt und ich schlinge schützend meine Arme um meinen Körper. Ich schaue zum Himmel und sehe, wie vereinzelt Schneeflocken hinab fallen. Sie tänzeln leicht im Wind und umgeben mich mit ihrer Reinheit. Ruhig nehme ich die Rasierklinge in die Hand und ziehe sie mit viel Druck längs über die Haut meines linken Armes. Sofort teilt sich das Fleisch und hinterlässt eine weit auseinander klaffende Wunde, doch auch aus ihr fließt kein Blut. Tränenüberströmt blicke ich Tai in die Augen. Er sitzt mir gegenüber und lächelt mich traurig an. Liebevoll hebt er meinen verletzten Arm an seine Lippen. Mit zärtlichen Küssen schließt er die Wunde. Dann streicht er mir sanft die Tränen aus dem Gesicht. Ich schaue ihn an und als mein Blick auf seinen Unterarm fällt, sehe ich meine Wunde. Erschreckt hebe ich den Kopf. Vor mir sitzt mein Vater. Auch er lächelt mich traurig an. Und auch er trägt meine Wunde. Angst ergreift Besitz von mir. Ich zittere. Panisch versuche ich mich aus dem Schnee an die Oberfläche zu wühlen. Meine Finger sind bereits taub von der Kälte. Meine Lunge schmerzt und der Druck auf sie hindert mich am Atmen. Ich versuche zu schreien, bleibe jedoch stumm. Entschlossen drücke ich die Eins, um in den dritten Stock zu gelangen. Die Tür des Fahrstuhls schließt sich und er setzt sich ruckartig in Bewegung. Neben mir steht Tai. „Du kannst nicht fliehen.“ Ich öffne die Augen. Für einen kurzen Moment fehlt mir die Orientierung. Die Dunkelheit in meinem Zimmer lässt vermuten, dass die Sonne bereits untergegangen ist. Aus dem Fernseher dringen für mich unverständliche Geräusche. Kalter Schweiß durchtränkt meine Kleidung und lässt mich frösteln. Zittrig fahre ich mir mit der Hand über das verschwitzte Gesicht und durch die feuchten Haare. Ich bemühe mich aufzustehen, muss aber feststellen, dass meine Kraft kaum ausreicht. Noch immer leicht verwirrt von dem Traum schleppe ich mich in mein Bett, schlucke noch meine Psychopharmaka und versuche erneut Schlaf zu finden. Es ist dunkel. Mein Hals ist trocken und schmerzt. Erneut ist meine Kleidung vollkommen durchgeschwitzt. Mühsam erhebe ich mich aus meinem Bett. Ein Kälteschauer läuft mir über die Haut und ich beginne zu zittern. Langsam gehe ich zu meinem Schrank, nehme ein paar frische Kleidungsstücke heraus und schleppe mich schwerfällig ins Bad. Leise schließe ich die Tür hinter mir, da ich meinen Vater nicht wecken möchte. Mit fahrigen Bewegungen entledige ich mich der nassen Sachen, lasse das warme Wasser der Dusche laufen und stelle mich mit klappernden Zähnen darunter. Stück für Stück drehe ich den Hebel nach rechts, um die Temperatur nach oben zu regeln, dennoch schaffe ich es nicht, das Beben meines Körpers unter Kontrolle zu bekommen. Das Zittern ist zu einem Schlottern übergegangen und allmählich merke ich, wie meine Beine mir ihren Dienst versagen. Langsam rutsche ich die Fliesen entlang nach unten. Am Boden sitzend sacke ich schließlich gänzlich in mich zusammen. Ich habe den Eindruck, als würde mein Körper verglühen, er brennt von innen heraus und doch fühlt es sich so an, als wäre ich kurz davor, den Kältetod zu sterben. Am Rande meiner Wahrnehmung bemerke ich, wie mein Vater erst gegen die Tür klopft und, ohne auf eine Antwort zu warten, eintritt. Verschwommen sehe ich sein angsterfülltes Gesicht, als er meine erbärmliche Gestalt zusammengekauert in der Duschkabine entdeckt. „Yamato!“ Ich höre Panik in seiner Stimme. Schnellen Schrittes kommt er auf mich zu, stellt das Wasser ab und beugt sich zu mir hinunter. „Verdammt, Yamato! Willst du dich umbringen?“ Er steht wieder auf, um ein Badetuch aus dem Schrank zu holen. Dann zieht er mich unsanft am Arm aus der Dusche und wickelt meinen Körper in den Stoff. Mit einer beruhigenden Umarmung versucht er mir Halt und Wärme zu geben. „Was ist nur los mit dir, mein Sohn? Das Wasser war kochend heiß, deine Haut ist feuerrot. Wolltest du dich verbrühen? Ist das jetzt eine neue Methode, dir selbst Verletzungen zuzufügen?“ Vorwürfe, Wut, aber auch große Besorgnis schwingen in seinem Tonfall mit. Ich antworte nicht und versuche mich halbherzig aus seiner Umarmung zu befreien. Angestrengt versuche ich das Zittern zu unterdrücken, doch es gelingt mir nicht ganz. „Du frierst, oder? Zieh dir etwas an und geh ins Bett, sonst erkältest du dich noch. Zudem ist es mitten in der Nacht und du musst morgen wieder zur Schule. Wir reden weiter, wenn ich von der Arbeit zurück bin, also sei bitte am Abend zu Hause.“ Ich nicke kaum merklich und sehe meinem Vater nach, als er das Bad verlässt, die Tür hinter sich aber nur anlehnt. Zähneklappernd, weil die entstandene tropische Hitze nun entweichen kann, tupfe ich vorsichtig die restlichen Wasserperlen von meiner schmerzenden Haut und streife anschließend mit Bedacht meinen Schlafanzug über. Durch den beschlagenen Spiegel ist mein Abbild nicht zu erkennen, weshalb ich den Raum sofort verlasse. Als ich den Flur in Richtung meines Zimmers entlanglaufe, spüre ich deutlich die Schwäche in meinen Beinen. Auch die Schmerzen beim Schlucken kehren mit dem Nachlassen der Wirkung des Schmerzmittels allmählich zurück. Erschöpft betrete ich mein Zimmer und schließe die Tür. Mir fällt ein, dass ich den Wecker für die Schule noch nicht aktiviert habe, nehme ihn zur Hand und ein Blick darauf verrät mir, dass es bereits nach drei Uhr ist. Ich stelle ihn zurück auf meinen Nachttisch, hole aus meiner Schultasche vier schmerzstillende Tabletten, schlucke sie mit etwas Wasser aus meiner Flasche herunter und lege mich kraftlos ins Bett. Die Decke ziehe ich straff um meinen Körper. Meine Haut schmerzt noch immer und das Zittern hört nicht auf. Ich versuche meinen Kopf auszuschalten und an nichts zu denken. Tausend Gedanken und Bilder scheinen mich zu umkreisen. Das Rauschen in meinen Ohren lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Nervosität und eine diffuse Angst steigen in mir auf, doch ehe ich mich näher damit auseinandersetzen kann, fallen mir die Augen zu. Meinen Kopf in den Armen vergraben, liege ich auf meiner Bank und versuche das Dröhnen in meinem Schädel vom Pausenlärm der Klasse zu unterscheiden, nachdem ich verzweifelt feststellen musste, dass ein Ausblenden nicht möglich ist. Die Frage, weshalb ich mir das überhaupt antue, keimt in mir auf. Ich richte mich auf und lasse meine Augen über meine Mitschüler schweifen. Ein paar verstummen und drehen sich hastig weg, als unsere Blicke sich treffen, doch die meisten gehen ihren eigenen Interessen nach. Einige brüten angestrengt über den Hausaufgaben für die anstehende Stunde, andere sehen sich in der Gruppe Zeitschriften an oder unterhalten sich über die gestrigen Fernsehsendungen und deren Darsteller. Immer wieder stelle ich fest, dass diese Welt nicht die meine ist. Ein Tippen auf meine Schulter trennt mich von dem Gedanken. „Hey.“ „Hallo, Tai“, entgegne ich, ohne ihn anzusehen. Mein Traum von der letzten Nacht kommt mir wieder in den Sinn und ein unangenehmes Hitzegefühl gesellt sich zu dem leichten Frösteln. „Du siehst noch immer nicht besonders gut aus.“ Er schaut mich besorgt an. „Geht schon wieder“, lächle ich ihn an. Mein Freund zieht sich den Stuhl vom derzeit unbesetzten Nachbartisch heran und nimmt neben mir Platz. „Dein Bandkollege, der, der in meine Klasse geht, fragt, ob du bald wieder zur Probe kommst. Ich dachte, du wärst gestern bei denen gewesen, um alles zu klären.“ Ich schaue ihn an und versuche in seinem Gesicht so etwas wie Vorwürfe zu lesen, doch nichts dergleichen ist zu erkennen. Seine Augen zeigen nur Zuneigung und Besorgnis. „Ja… ich… nein, also… ich meine…“ Ich komme ins Stottern, da ich es nicht schaffe, meine Gedanken zu sammeln und zu sortieren. „Ist okay. Du bist mir keine Rechenschaft schuldig. Wenn…“ „Doch!“, unterbreche ich ihn kopflos. „Doch…“ Eine unbeabsichtigte Pause entsteht. „Was ist los, Yamato?“ „Ich muss mit dir reden.“ Tai möchte etwas sagen, doch ich bedeute ihm zu schweigen. „Nicht hier und nicht jetzt, okay?“ Liebevoll streiche ich ihm eine Strähne aus dem Gesicht, als die Schulglocke ertönt und er reflexartig aufspringt, um in seine Klasse zu gelangen. Ich schaue ihm lange nach und bemerke nicht, dass der Lehrer mit dem Unterricht bereits begonnen hat. Ich liege auf meinem Sofa und warte darauf, dass die Wirkung der Schmerztabletten einsetzt, welche ich vor ein paar Minuten, als ich nach Hause kam, geschluckt habe, während ich mich sinnlos vom Fernsehprogramm berieseln lasse. In den letzten Tagen ist das in meiner Freizeit zur Dauerbeschallung geworden. Ich ertrage die ansonsten vorherrschende Stille nicht, da sind diese nutzlosen Sendungen genau das Richtige, um den Kopf nicht einschalten zu müssen beziehungsweise gar nicht erst in Versuchung zu kommen. Plötzlich erscheint Tai vor meinem inneren Auge. Warum musste ich ihm sagen, dass ich mit ihm reden will? Und was genau soll ich ihm sagen? Ich bin mir selbst noch nicht einmal im Klaren, was ich eigentlich will, nur, dass es so nicht weitergehen kann. Dieses Gefühl, machtlos zu sein, zwischen Leben und Tod festzustecken, wird langsam unerträglich. Ich befinde mich in einem Schwebezustand. Ich werde gelebt. Von anderen. Doch ich unternehme nichts dagegen. Weil ich niemanden verletzen will. Aber warum, wenn mir doch eigentlich alles egal ist? Menschen sind mir nicht wichtig. Ich fühle mich nicht wohl unter ihnen, verstehe die meisten nicht. Und doch gibt es jemanden, bei dem es nicht so ist. Jemand, der mir unendlich viel bedeutet. Ich würde es ihm gern zeigen, aber etwas blockiert. Etwas lässt mich nicht sein, wie ich sein will, nicht handeln, wie ich handeln will. Immer existiert dieser Zwiespalt zwischen Handeln, Denken und Fühlen. Es tut weh, die Verzweiflung und Traurigkeit in seinen Augen zu sehen und zu wissen, dass es meine Schuld ist, dass ich der Grund bin, weshalb er nicht richtig leben kann. Die letzte Nacht zeigte wieder mehr als deutlich, wie viel ich bereits durch mein Verhalten zerstört habe. Es klopft und mein Vater schaut zur Tür herein. „Kommst du essen? Ich habe uns Sushi bestellt.“ Ich stehe auf, schalte den Fernseher aus und folge ihm in die Küche. „Das sieht lecker aus“, sage ich, während ich mich auf meinen Stuhl setze und die Essstäbchen zur Hand nehme. Mein Vater setzt sich mir gegenüber und beginnt ebenfalls zu essen. „Ich dachte, es wäre schön, wieder einmal so zusammenzusitzen. Und du magst Sushi doch sehr, oder?“ „Ja. Danke.“ Ich lächele. Ich weiß, dass er eine Atmosphäre schaffen möchte, in der das anstehende Gespräch etwas entspannter verlaufen kann. „Ich habe die Einladung deines Direktors gelesen. Er schrieb kurz, worum es gehen wird. Mich würde interessieren, wie du darüber denkst.“ Ich lege das Maki, welches ich mir gerade in den Mund stecken will, zurück auf den Teller und schaue meinen Vater bestürzt an. „Ich denke, ich habe keine Wahl.“ Es fällt mir schwer, die Bitterkeit in meiner Stimme zu verbergen. Mit traurigen Augen mustert er mich, dann angelt er sich eines der Nigiri. Eine Weile sitzen wir schweigend da. Der Appetit ist mir vergangen, zumal auch die Schmerzen in meinem Hals allmählich zurückkehren. Behutsam lege ich die Stäbchen beiseite. „Bist du schon satt?“, kommt die Frage, die ich befürchtet habe. „Ich habe wegen heute Nacht noch einmal nachgedacht. Ich ließ dich überhaupt nicht zu Wort kommen und habe einfach geurteilt. Würdest du mir erklären, was eigentlich los war? Kannst du dich noch an dein Handeln erinnern?“ „Ich bin mir nicht sicher.“ Ich schaffe es nicht, ihn anzuschauen, sondern halte den Kopf gesenkt. „Mir war kalt und ich wollte nur, dass es aufhört. Es tut mir leid, ich habe nicht nachgedacht, aber ich tat es nicht in der Absicht, mir zu schaden. Zumindest nicht bewusst.“ „Und da liegt das Problem. Mir bereiten weniger die Momente Sorgen, in denen du weißt, was du tust. Da vertraue ich dir. Aber diese unbewussten Handlungen finde ich gefährlich. Ich habe das Gefühl, dass dich dann nichts mehr erreicht, dass dir nichts mehr wichtig ist. Ich habe Angst, dass du dir in einer solchen Situation wieder etwas antust und ich will…“ „Papa!“, schreie ich ihn beinahe an. „Bitte, hör auf!“ Tränen laufen mir über die Wangen. Mein Vater legt seine Stäbchen aus der Hand, steht auf und macht ein paar Schritte auf mich zu. Ruhig streicht er mir über das Haar. Diese Geste bringt meine ohnehin beschädigte Fassade endgültig zum Einstürzen. Ungehemmt fange ich an zu weinen. Ich fühle mich schwach und schutzlos. Mit einer liebevollen Umarmung versucht mein Vater mir Halt zu geben. Beruhigend streichelt er mir über den Rücken. „Es tut mir alles so leid!“ Ich schaffe es nicht, mein Schluchzen unter Kontrolle zu bringen. „Ich will nicht, dass du meinetwegen unglücklich bist. Aber ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll, dass du stolz auf mich sein kannst. Das Leben ist so schwer. Ich packe das nicht. Es fühlt sich alles so falsch an. Egal, was ich tue. Ich fühle mich falsch an. Es läuft eben immer wieder alles auf den Tod…“ „Shhh!“, unterbricht er meinen aus Verzweiflung hemmungslosen Redeschwall. „Diese Gedanken sind… nein, es ist eher ein Gefühl, oder? Aber es ist nicht rational. Letztlich weißt du, dass es anders ist… du weißt es nicht, weil du es nicht fühlst. Ich… im Grunde begreife ich es nicht. Es tut mir leid, ich möchte dich verstehen, wissen, was in dir vorgeht, doch ich kann nur zusehen. Und versuchen, so gut es geht, für dich da zu sein. Doch es ist schwer, wenn ich nur mitbekomme, dass du dich mehr und mehr kaputt machst, in der Hoffnung, dass es irgendwann vorbei ist. Ich will dir keine Vorwürfe oder Schuldgefühle machen… eigentlich möchte ich dir nur sagen, dass ich dich liebe.“ Mein ganzer Körper bebt durch das Weinen. Halt suchend drücke ich mich fester an meinen Vater. „Ich weiß“, flüstere ich. Mir kommen die Gedanken von vorhin in den Sinn. „Ich liebe dich auch.“ Meine Stimme versagt. Erneut werde ich von einem Weinkrampf geschüttelt und ich habe den Eindruck, keine Luft zu bekommen. Meine Kehle ist wie zugeschnürt und in meiner Brust zieht sich alles zusammen. Es tut weh. Das Gefühl, jemanden zu lieben, ist fast unerträglich schmerzhaft. Tai. Plötzlich taucht sein Bild vor mir auf und eine unbeschreibliche Wärme durchströmt mich. Doch warum kommen mir Zweifel, wenn ich an ihn denke? Und woran zweifle ich? Ich merke, wie ich mich langsam wieder beruhige. Die Situation hat mir etwas die Augen geöffnet, doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Den Kopf in meine Hand gestützt, sitze ich auf meinem Platz und schaue aus dem Fenster. Es nervt mich, dass ich einen Platz in der Mittelreihe bekommen habe, denn so kann ich nur den derzeit leicht bewölkten Himmel und ein wenig von den im Wind wiegenden Bäumen sehen. Vermutlich würde es mich weniger stören, wenn sich der Unterrichtsraum nicht im dritten Stock befände und der Ausblick somit etwas abwechslungsreicher wäre. Das Rascheln des Laubes ist durch die geöffneten Fenster zu hören. Ein paar Mädchen aus meiner Klasse lehnen sich hinaus, geben Zeichen, um anscheinend untenstehenden Freunden etwas zu signalisieren. Hin und wieder rufen sie etwas, in der Annahme, von dem Anderen gehört zu werden. Es ist ein warmer Sommertag, sodass gelegentlich kühle Brisen eine willkommene Abwechslung darstellen. Manchmal fliegt ein Vogel auf einen der Äste, vielleicht um Schutz vor der Sonne zu finden. Ein Frösteln durchfährt meinen Körper. Ich lasse meinen Kopf sinken und berühre mit der Stirn die Tischplatte. In dieser Position verharre ich einen Moment. Die Stimmen und Geräusche um mich herum hallen unangenehm laut und verworren in meinem Schädel wider. Ohne darüber nachzudenken, halte ich mir die Ohren zu. Noch vier Stunden. Entschlossen richte ich mich auf, packe hastig meine Sachen zusammen und verlasse fluchtartig den Raum. Die Zurufe einiger Klassenkameraden registriere ich kaum. Am Ende des Flures sehe ich Tai stehen, der sich angeregt mit mehreren Leuten unterhält, anscheinend Freunde von ihm. Schnellen Schrittes biege ich in den Gang neben mir ein, in der Hoffnung, von ihm nicht gesehen zu werden. Ich laufe zielgerichtet zu den Treppen, diese hinab und durch einen der Nebeneingänge verlasse ich das Gebäude. Die Wärme berührt angenehm meine Haut, doch die Kälte, die sich mittlerweile bis in meine Knochen gefressen hat, vermag sie nicht zu vertreiben. Ebenso das Gefühl, zu verbrennen, wird dadurch nicht gelindert. Ohne noch einmal anzuhalten, laufe ich über das Schulgelände und verlasse es mit einem letzten, kurzen Blick zurück. Kapitel 4: ----------- Das Telefon klingelt. Für einen kurzen Moment überlege ich aufzustehen, um das Gespräch entgegen zu nehmen, entscheide mich dann aber dagegen. Ich hasse Telefonieren und außer Tai würde ich niemand wichtigen verpassen. Meinen Vater vielleicht noch, aber ich denke, dass keiner von beiden versuchen würde mich anzurufen, da sie wissen, dass ich in den meisten Fällen sowieso nicht rangehe. Zudem müssten beide denken, dass ich noch im Unterricht sitze. Oder hat Tai erfahren, dass ich bereits gegangen bin? Möglicherweise hat er mich in der Klasse besuchen wollen und die anderen sagten ihm, dass ich nach der dritten Stunde verschwand. Dann macht er sich eventuell Sorgen und will wissen, ob ich zu Hause bin. Sicher kommt er sofort nach dem Unterricht her. Ich habe diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, da klingelt es an der Wohnungstür. Seufzend erhebe ich mich vom Bett und laufe den Flur entlang. Ohne durch den Spion zu schauen, öffne ich die Tür und blicke direkt in das Gesicht meines Freundes. „Tai?“, frage ich überrascht, doch eigentlich war ich mir sicher, dass er es ist. „Darf ich reinkommen?“ Ich mache einen Schritt zur Seite und bedeute ihm einzutreten. Wir gehen in mein Zimmer. Während er auf dem Sofa Platz nimmt, setze ich mich wieder auf mein Bett. Einen Moment herrscht Stille, Tai sieht sich gelangweilt um, ich beobachte ihn kurz, dann breche ich das peinliche Schweigen: „Müsstest du nicht eigentlich noch in der Schule sein?“ „Und du?“, kommt rasch die Antwort, ohne dass er mich ansieht. „Ich habe eine Krankschreibung. Ich war vorhin beim Arzt.“ „Aha. Wieso, was hast du denn?“ Er wirkt distanziert. „Pharyngitis bakteriellen Ursprungs. Ohne Schmerzmittel kann ich kaum richtig schlucken und es wird nicht besser.“ „Fieber?“ „Phasenweise. Momentan geht es aber.“ Ich schaue meinen Freund an. Sein Blick ist unergründlich. Langsam steht er auf und kommt auf mich zu. Er beugt sich zu mir hinab, packt mich fest an den Schultern und raunt mit vulgärer Stimme in mein Ohr: „Schade. Ich hätte dich, verschwitzt und im Fieberwahn, gern einmal so richtig rangenommen.“ Ich frage mich, ob Tai in diesem Zustand die Realität erkennen kann. Ist das auch eine Art Dissoziation? Und ist er sich dessen bewusst? „Weißt du, dass es mir gefallen würde, dich gegen deinen Willen zu ficken?“, flüstere ich emotionslos zurück. „Ja, aber du kannst es nicht. Ich bin dir körperlich weit überlegen. Gegen mich kommst du inzwischen nicht mehr an und das ist dir bewusst.“ „Sicher? Sollen wir es auf einen Versuch ankommen lassen?“ Fest umgreife ich Tais Handgelenke, ziehe ihn zur Seite und nagele ihn rücklings auf dem Bett fest, indem ich mich in Reiterstellung auf seine Oberschenkel setze. Ein süffisantes Lächeln legt sich auf die Lippen meines Freundes. „Willst du mich wieder vergewaltigen? Aber weißt du, ich steh nicht so darauf, die Kontrolle zu verlieren.“ Mit diesen Worten bäumt er sich auf und versucht sich aus meiner Umklammerung zu lösen. Es gelingt ihm nicht, da ich mein gesamtes Gewicht auf die Arme verlagert habe, um ihn festhalten zu können. Ich beuge mich zu ihm hinab, dicht vor seinem Gesicht halte ich inne. „Dir wird dein Lächeln schon noch vergehen“, hauche ich herausfordernd, bevor ich wollüstig über seine Lippen lecke. Ich spüre, wie Lust in mir aufsteigt und zwinge meinem Freund einen Kuss auf, den er sogleich ohne große Gegenwehr leidenschaftlich erwidert. Plötzlich merke ich, dass er meine Unaufmerksamkeit ausnutzt, blitzschnell seine Handgelenke aus meinen Händen windet, mich an den Hüften packt und den Kuss unterbricht. „Ich könnte das Blatt jetzt ganz leicht wenden.“ Mit diesen Worten hebt er seinen Arm und umfasst meinen Hals. Er drückt leicht zu. Ich schließe die Augen und genieße den Schmerz, der sich bereits jetzt durch die Krankheit einstellt. Mit meiner linken Hand suche ich die meines Freundes, um ihn zu spüren. Er verhakt unsere Finger und verstärkt zugleich den Druck auf meine Kehle. Ich schaue ihn, ein Husten unterdrückend, an. Seine Augen sind, wie immer in diesem Zustand, kalt. Unerwartet lässt er mit einem Mal sowohl meine Hand als auch meinen Hals los und umschließt stattdessen meine Taille. Mit etwas Kraftaufwand hebt er mich von sich herunter und kehrt die Situation um. Nun liege ich unter ihm, langsam beginnt er, meine Hose zu öffnen, wobei er mich genau beobachtet. Ich versuche, mir meine Begierde nicht anmerken zu lassen, habe aber das Gefühl, vor Verlangen zu verglühen. „Tai“, stöhne ich. „Was ist? Hast du Schmerzen? Oder überwältigt dich die Lust gerade?“ Ich hebe meine Hand zu seinem Gesicht und streiche flüchtig über seine Wange. „Ich liebe dich.“ Meine Stimme zittert. Tai hält in seinem Tun inne und sieht mich fragend an. Dann entledigt er mich meiner Hose und knöpft mein Hemd auf. „Warte.“ Ich setze mich auf und sehe ihn auffordernd an. „Zieh dich aus.“ „Ist das ein Befehl?“, fragt mein Freund irritiert. Die Kälte in seinem Ausdruck ist verschwunden. „Sieh es, wie du willst, aber diesmal werde ich dich nehmen.“ Ein leichtes Lächeln zeichnet sich bei ihm ab, während er beginnt, sich zu entkleiden. Als er fertig ist, geht er zur Tür und dreht den Schlüssel im Schloss. „Du kannst nicht fliehen.“ Tai lächelt noch immer. Kurz habe ich das Gefühl eines Déjà-vu, schiebe den Gedanken jedoch beiseite und ziehe meinen Freund am Arm zu mir. „Ich weiß, dass du die Kontrolle nicht gern verlierst, aber lass mich dir ein Stück von meiner Welt zeigen. Ebenso möchte ich in deine Welt eintauchen.“ Tai nickt und ich spüre Nervosität und Erregung in mir aufsteigen. „Aber ich werde dir alles zeigen.“ Ich liege schweigend neben Tai und beobachte ihn. Er liegt auf dem Rücken, seine Augen sind geschlossen. Gleichmäßig hebt und senkt sich sein Brustkorb, ein Zeichen, dass er noch am Leben ist. Mein Körper bebt noch immer von dem Adrenalinstoß, welcher durch die Gewalt, vielleicht auch durch den Sex, ausgelöst wurde. Ich hatte vollends die Kontrolle verloren. Ich war wie im Rausch und es fühlte sich ganz anders an als die Dissoziationen, die ich normalerweise habe. Beinahe hätte ich eine Grenze überschritten, denn ich war bereit, meinen Freund zu töten. Zumindest schaffte ich es nicht, meinen Griff zu lockern, als er langsam das Bewusstsein zu verlieren schien. Es war vermutlich sein Überlebenstrieb, der ihn die Kraft aufbringen ließ, mich von sich zu stoßen. Reglos blieb ich neben ihm sitzen, während er das Husten zu unterdrücken versuchte. Nachdem Tai sich wieder gefangen hatte, blickte er mich mitfühlend an und richtete folgende Worte mit einem Lächeln an mich: „Nicht jetzt. Und nicht hier.“ Aber Tai irrt sich. Es war der perfekte Moment. Nun ist es zu spät, dabei wäre es so einfach gewesen. Ich sitze in der Küche, mit einer Tasse Kaffee vor mir. Meine Gedanken sind bei Tai, der noch immer schlafend in meinem Bett liegt. Inzwischen ist auch mein Vater nach Hause gekommen. Als er eine Unterhaltung mit mir beginnen wollte, fragte ich ihn, ob wir es auf später verschieben könnten, da ich mich momentan nicht so gut fühle. Ich erkannte Besorgnis in seinen Augen, deshalb sagte ich ihm, dass Tai hier wäre. Er nickte verstehend. Offenbar denkt er, dass wir uns gestritten haben. Nun sitzt er im Wohnzimmer und schaut fern. Ich nippe an meiner Tasse und stelle fest, dass der Kaffee inzwischen kalt ist. Ich stehe auf und schütte ihn in das Spülbecken. Normalerweise mag ich kalten Kaffee, doch im Moment ist er mir zuwider. „Was ist denn mit dir? Du verzichtest freiwillig auf deine Dosis Koffein?“ Ich zucke zusammen. „Tai…“, flüstere ich mit belegter Stimme. Dann gelingt es mir, mich wieder zu fangen. Entschlossen sehe ich ihn an. „Gehen wir in mein Zimmer.“ Nach Betreten des Raumes schließe ich die Tür hinter mir ab. „Was hast du denn vor?“, fragt mein Freund skeptisch. Ungeachtet dessen gehe ich an meine Schultasche, hole mein Portemonnaie heraus und aus diesem meine Rasierklinge für den Notfall. Dann wende ich mich Tai zu. „Komm, setz dich zu mir.“ Ohne zu Zögern nimmt er mir gegenüber auf dem Boden Platz. Ich entfalte das Papier und nehme vorsichtig das kleine, metallisch glänzende Werkzeug heraus. Mein Freund hatte nur seine Hose angezogen, weshalb sein Oberkörper noch nackt ist. „Dein Arm“, sage ich ruhig. „Hast du dich unter Kontrolle?“, fragt er ebenso ruhig, streckt mir zeitgleich aber seinen Arm entgegen. Ich sehe ihn an. Dann setze ich die Klinge auf seine Haut und ziehe sie mit starkem Druck durch. Die Wunde verläuft quer über den Arm. In den ersten Sekunden sind nur weißes Fleisch und Sehnen zu sehen, doch schnell quillt unaufhörlich Blut heraus. Ich starre darauf, ohne mich zu regen. Dann sehe ich zu Tai. Dieser scheint keine Schmerzen zu haben, denn er wirkt ganz ruhig und betrachtet seinen Arm. Plötzlich erfasse ich die Situation. „Scheiße!“, schreie ich auf und suche panisch nach etwas, womit ich die Blutung stillen kann. Vor Angst gelähmt stehe ich mitten im Zimmer. Jetzt laufen mir Tränen über das Gesicht. „Scheiße, scheiße, scheiße!!!“, sage ich immer wieder. Mein Körper bebt. „Yamato!“, spricht Tai mich laut an. „Bleib ruhig, okay?“ Entsetzt sehe ich zu ihm, sehe in sein schmerzverzerrtes Gesicht. Ich atme durch und versuche mich zu beruhigen. Es gelingt mir nur mäßig. „Yamato, jetzt überleg bitte, wo du deine Verbandsmaterialien aufbewahrst. Hol sie her. Und ruf bitte den Notarzt an. Ich denke nicht, dass es ohne geht.“ Er hält seinen verletzten Arm mit dem anderen fest, um das Zittern in den Griff zu bekommen. Auf seiner Hose und dem Teppich hat sich mittlerweile eine Blutlache gebildet, die das Ausmaß des Blutverlustes deutlich macht. „Yamato! Könntest du dich bitte beeilen! Das tut verflucht weh.“ Ich löse mich aus meiner Starre und renne zur Tür. Durch das Zittern meiner Hände habe ich Schwierigkeiten den Schlüssel im Schloss zu drehen. Als es mir endlich gelingt, stürme ich aus dem Zimmer, brülle meinem Vater zu, er soll einen Krankenwagen rufen, suche im Bad sämtliche Verbandsmaterialien zusammen und renne zu meinem Freund zurück. Er blutet noch immer sehr stark. Sein Gesicht ist inzwischen bleich und er sieht aus, als stehe er kurz vor der Ohnmacht. Ich setze mich vor ihn und versuche durch einen Druckverband die Blutung zu stoppen. „Was ist denn los?“ Mein Vater steckt fragend den Kopf in mein Zimmer. Ungläubig sehe ich ihn an. „Hast du noch keinen Krankenwagen gerufen? Verdammt nochmal! Schnell!“, gehe ich ihn unbeherrscht an. Entsetzt erfasst er die Situation und verlässt eilig das Zimmer. „Tai…“, versuche ich ein Gespräch anzufangen, während ich noch immer den Verband anlege, der allerdings bereits blutgetränkt ist. „Ich bekomme das Zittern nicht unter Kontrolle“, sind seine einzigen Worte. „Sie sind gleich da“, informiert uns mein Vater, als er zurückkommt. „Was ist denn passiert?“ Diese Worte sind eindeutig an mich gerichtet. „Ich…“ Mein Kopf ist vollkommen leer. Was soll ich sagen? Die Wahrheit? Wenn er erfährt, dass es sich um eine vorsätzliche Körperverletzung handelt, möchte ich seine Reaktion nicht erleben. Vermutlich lässt er mich dann wegen Unzurechnungsfähigkeit wieder einweisen. Und falls die Eltern meines Freundes von meiner Tat erführen, gäbe es sicher zusätzlich eine Anzeige. Allerdings, wenn Tai sterben sollte… Meine Gedanken werden von einem Klingeln an der Tür unterbrochen. Innerlich atme ich auf, einen Aufschub für die Erklärung zu bekommen. Mein Vater öffnet und führt die Sanitäter zu Tai. Dieser sitzt noch immer ganz ruhig auf dem Boden und hält sich den nach wie vor blutenden Arm. Der Verband ist komplett durchweicht und das Blut tropft unablässig auf den Teppich. Während mein Freund behandelt wird, stehe ich starr daneben und betrachte ihn. Wusste er, dass so etwas passieren würde? Hat er damit gerechnet und es in Kauf genommen? Warum? Warum hat er so bereitwillig seinen Arm hingehalten? Und seine Frage… „Wir nehmen ihn erst einmal mit ins Krankenhaus. Die Wunde muss definitiv genäht werden. Wie ist das eigentlich passiert?“, fragt einer der Sanitäter. Meine Augen weiten sich und mein Herz klopft, als wollte es zerspringen. Ein Kloß im Hals behindert nun zusätzlich zu der Krankheit mein Schlucken. Übelkeit steigt in mir auf. „Ich habe mich geschnitten“, höre ich Tai sagen. „Und woran?“, fragt der Sanitäter weiter und schaut sich im Raum um. Ich folge seinem Blick und erschrecke, als ich die Rasierklinge auf dem Boden liegen sehe. „Glas. Mein Freund hat es aber schon entsorgt“, lügt Tai. Er sieht mich nicht an. „Das ist ein ziemlich glatter Schnitt und Splitter sind auch keine darin“, bemerkt der Sanitäter abschließend und wirft mir einen skeptischen und zugleich vielsagenden Blick zu. Sie bringen Tai nach draußen und als er im Krankenwagen sitzt und die Türen geschlossen werden, stehe ich davor, in der Hoffnung, noch einmal in seine Augen sehen zu können. Er schaut nicht zu mir, sondern hält seinen Blick starr auf den Boden gerichtet. Nach der Abfahrt stehe ich noch lange auf der Straße. Zufällig sehe ich nach unten und bemerke meine blutverschmierten Hände. Ich hebe sie ein Stück und betrachte sie eingehend. Sie sind bedeckt von braunem, klebrig verkrustetem Blut. Wie fremdgesteuert kehre ich in die Wohnung zurück. Mein Vater steht im Flur und sieht mich fragend an. Ohne ihn zu beachten, gehe ich an ihm vorbei zu meinem Zimmer. Es riecht stark nach Blut. Im Türrahmen stehend starre ich auf den großen Fleck getrockneten Blutes, in dessen Nähe noch immer die Rasierklinge liegt. Erneut steigt Übelkeit in mir auf. Ich drehe mich um und will ins Bad rennen, remple allerdings direkt gegen meinen Vater. Er will mich festhalten, aber ich stoße ihn beiseite und schließe mich im Badezimmer ein. Würgend knie ich über der Toilettenschüssel, spucke jedoch nur Speichel und Galle aus. Dann fällt mein Blick wieder auf meine Hände. Tais Blut klebt noch immer daran. Ich stolpere zum Waschbecken, drehe den Wasserhahn bei der heißesten Temperatur auf volle Stufe und schrubbe sie gründlich mit Seife und Bürste. Selbst als sie zu schmerzen beginnen, sodass ich es kaum noch ertrage, kann ich nicht aufhören. Erst als ich mein eigenes Blut auf meinen Händen sehe, schaffe ich es, die Bürste beiseite zu legen und das Wasser abzustellen. Mit einem Mal versagen mir meine Beine den Dienst. Ich sacke zusammen und bleibe apathisch an die Toilette gelehnt sitzen. Der Duft von Tais Blut haftet noch immer in meiner Nase und an meinen Händen. Ich liege im Wohnzimmer auf der Couch. Vor mir auf dem Tisch steht eine Tasse mit Beruhigungstee, den mein Vater mir gekocht hat. Eine von den Ärzten für solche Fälle verschriebene Tablette will er mir nicht geben. Teilnahmslos fixiere ich die Uhr, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Ich bin verwirrt, weil ich nicht begreifen kann, was eigentlich passiert ist. Tai wurde verletzt und es ist meine Schuld. Allerdings wollte ich ihn verletzen. Ich wollte ihm etwas von mir geben. Etwas, dass ihn an mich bindet. An mich erinnert. Selbst wenn er mich hassen sollte. Oder ich ihm gleichgültig bin. Vergessen kann er mich jetzt nicht mehr. Aber ist mir die Kontrolle tatsächlich entglitten? Und warum hat Tai mich nicht mehr angesehen? Ich bezweifle, dass er sauer auf mich ist, schließlich wusste er, worauf er sich einlässt. Mein Körper vibriert noch immer, auch wenn die Anspannung langsam nachlässt. Ich bereue nicht, was ich getan habe. Es ist zwar etwas heftiger abgelaufen, aber im Grunde ist die entstandene Wunde ein viel schöneres Stigma, als ich es geplant hatte. „Yamato, trink deinen Tee.“ Die Worte meines Vaters holen mich in die Realität zurück. Er nimmt neben mir Platz und schaut mich besorgt an. „Wie geht es dir?“ Ich setze mich auf, nehme die Tasse und trinke einen Schluck von dem Tee. Dann stelle ich sie wieder ab und antworte tonlos: „Geht schon.“ „Ich habe im Krankenhaus angerufen. Tai geht es soweit gut. Die Wunde musste, wie der Sanitäter bereits sagte, genäht werden. Seine Eltern wurden informiert und haben ihn abgeholt. Er ist jetzt zu Hause.“ Ich schweige, stattdessen schweift mein Blick ins Nichts. „Yamato? Was ist eigentlich wirklich passiert?“, fragt mein Vater vorsichtig in die drohende Stille. Meine Augen weiten sich und mein Körper erstarrt vor Schreck. „Yamato, antworte“, sagt er jetzt in bestimmtem Ton. „Ich…“ Meine Stimme bricht ab. Ich höre meinen Vater seufzen, dann hält er mir eine blutverkrustete Rasierklinge hin. „Die gehört dir, oder?“ Ich nicke zögerlich. Angst steigt in mir auf und mein Magen verkrampft sich. „Hast du sie benutzt oder war Tai es selbst?“, fragt er weiter. Ich antworte nicht. Meine Kehle ist wie zugeschnürt, sodass ich keine Luft bekomme. Ich habe das Gefühl, zu ersticken. Unregelmäßig atme ich aus und ein. „Du warst es, hab ich recht?“ Seine Frage klingt, als würde er hoffen eine andere Antwort zu erhalten. Konzentriert versuche ich die aufkommende Übelkeit zu unterdrücken und meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Ich trinke erneut einen Schluck Tee und schaffe es zögerlich, mich zu beruhigen. Dann sehe ich meinem Vater direkt in die Augen. „Ich war es. Ich habe Tai verletzt. Absichtlich.“ Unglauben macht sich im Gesicht meines Vaters breit. Für einen Moment ist er wie erstarrt. Müsste ich seinen Anblick beschreiben, dann würden Entsetzen, Erschütterung und Fassungslosigkeit zusammen bei Weitem nicht ausreichen. So habe ich ihn noch nie gesehen. Schuldbewusst senke ich den Kopf. „Aber warum?“ Seine Frage ist kaum mehr als ein Flüstern. Ich überlege, ob ich ihm die Wahrheit wirklich zumuten sollte. Oder ob Schweigen besser wäre. „Weil ich ihn liebe“, sage ich schließlich ohne nachzudenken. Erst im Nachhinein wird mir bewusst, welche Bedeutung meine Worte eigentlich haben. „Was?“ Seine Verwirrung ist ihm deutlich anzumerken, doch auch, dass er versucht sich wieder zu sammeln. „Wenn du ihn liebst, warum tust du ihm so etwas an? Yamato, das ist krank.“ Kaum hat er diesen Satz ausgesprochen, sehe ich das Erschrecken über sich selbst in seinen Augen. „Schon okay, Papa. Ich finde es gut, dass du endlich aussprichst, was du wirklich denkst.“ Ich stehe auf und verlasse den Raum. Auf seine Bitte, zurückzukommen, reagiere ich nicht mehr. Wie versteinert sitze ich in meinem Zimmer und betrachte den eingetrockneten, rostroten Fleck auf dem Teppich. Tai muss viel Blut verloren haben. Eine so tiefe Wunde habe ich real noch nie gesehen. Ich schaue unwillkürlich auf meinen Arm, schiebe den Ärmel des Hemdes hoch und mustere meine eigenen, teils verheilten, Schnitte. Verlangen steigt in mir auf, welches durch den noch immer in der Luft liegenden Geruch nach Tais Blut weiter gesteigert wird. Ich nehme eine der Rasierklingen in die Hand, welche ich vorhin aus dem Badezimmerschrank mitgebracht habe. Es wundert mich, dass mein Vater sie scheinbar noch nicht entdeckt hat, sonst hätte er sie mit Sicherheit beschlagnahmt. Fasziniert betrachte ich eines dieser unscheinbaren und doch gefährlichen Dinger. Hätte ich nicht die Oberseite von Tais Arm, sondern die Innenseite, wie ich es kurz in Erwägung zog, gewählt, wäre er vermutlich gestorben. Er wäre vor meinen Augen verblutet. Eine Gänsehaut überkommt mich bei diesem Gedanken. Leicht fahre ich schräg mit der flachen Seite der Klinge darüber, bevor ich sie zum Schneiden ansetzte. Völlig unerwartet wird mein Körper von einer starken Unruhe erfasst und eine diffuse Angst stellt sich ein. Ich sehe Tais Arm vor mir, die zerteilte Haut, das weiße Fleisch mit den Sehnen, die auf den ersten Blick auch Knochen sein könnten, und letztlich das Blut, welches rasch alles bedeckt und unablässig fließt. In meinen Ohren höre ich immer wieder das leise Geräusch, welches beim Zerteilen von Fleisch entsteht. Ein Geräusch, das mich fast in den Wahnsinn treibt. Gelähmt sitze ich da, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Die Klinge gleitet mir aus der Hand und fällt zu Boden. Wie von Sinnen starre ich auf meinen Arm und die zahllosen Male darauf. Plötzlich hebe ich meine rechte Hand und beginne beinahe zwanghaft mit meinen Fingernägeln die verschorften Wunden wieder aufzukratzen. Sie fangen erneut zu bluten an, doch mein Selbsthass ist noch nicht gestillt. Unablässig reiße ich frische Verletzungen in meine Haut, wie ein wildes Tier, welches sich erbarmungslos über seine Beute hermacht. Meine ganze Verachtung bezüglich meiner Schwäche und meiner Person spiegelt sich in diesem Delirium wider. Ich muss erkennen, dass der Vorfall mit Tai Spuren hinterlassen hat, da ich deutlich Hemmungen habe, eine Rasierklinge zu benutzen. Sogar bei mir selbst. Als ich meinen Verstand wiedererlange, sehe ich erst das Ergebnis meines Anfalls. Viele der Wunden sind wieder offen, bluten mehr oder minder stark. Rote Linien ziehen sich über den Arm und laufen an der Unterseite zusammen, wo sie schließlich in Tropfen zu Boden fallen. Ich stehe auf und gehe zu den Verbandsmaterialien, welche noch immer in meinem Zimmer liegen. Gewohnheitsmäßig beginne ich mit der Wundversorgung. Dann ziehe ich meinen Ärmel über den Verband, verstecke die Rasierklingen in meinem Schreibtisch und verlasse das Zimmer. In der Küche sitzt mein Vater, den Kopf in seinen Händen vergraben. Als ich eintrete, schaut er mich an, sagt jedoch nichts. Schweigend setze ich mich zu ihm. Die Atmosphäre ist unangenehm, denn wir wissen beide, dass unsere Beziehung sich verändert hat. Als ich in meinem Zimmer am Schreibtisch ein paar Gedanken in mein Skillsbuch schreiben möchte, fehlt mir jegliche Konzentration. Ich schaue auf die leere Seite und ziehe mit meinen Augen die Gitterlinien des blau karierten Aufdrucks nach. Meine Krankheit ist aufgrund des Antibiotikums inzwischen weitestgehend abgeklungen. Einerseits bin ich froh darüber, weil mich diese Einschränkung genervt hat, doch andererseits bemerke ich immer wieder, dass ein schlechter Zustand meines Körpers meiner Psyche gut tut. Vor allem die Suizidalität sinkt in diesem Zeitraum auffallend. Eine Erklärung für dieses Phänomen habe ich nicht, als ich jedoch meiner Therapeutin vor einiger Zeit davon berichtete, meinte sie, dass diese Tatsache das Ausmaß meines Selbsthasses verdeutlicht. Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl herum, versuche Gedanken an ein wiederholtes Abstürzen mit anschließender Einweisung zu unterbinden. Kurzfristig schaffe ich es und schreibe einige Sätze auf das Papier, dann setze ich allerdings den Stift ab und werfe einen Blick auf die Uhr. Der große Zeiger steht auf der Fünf, während der kleine bald die Acht komplett für sich beansprucht. Heute wird Tai ebenfalls nicht herkommen. Im Krankenwagen sitzend sah ich ihn das letzte Mal, mit gesenktem Kopf, als wollte er mir ausweichen. Danach habe ich kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten. Im Grunde sind erst vier Tage vergangen, aber in Anbetracht der Situation kommt mir diese Zeit unendlich lang vor. Morgen endet meine Krankschreibung und ich muss wieder zur Schule. Wird er da sein, sodass ich ihn sehen kann, oder hat er eine Bescheinigung vom Arzt erhalten? Ich höre den Schlüssel im Schloss und wie mein Vater die Wohnung betritt. Er kommt heute ungewöhnlich spät von der Arbeit. Seit der letzten Unterhaltung haben wir kaum ein Wort miteinander gewechselt. Dazu, dass ich krank geschrieben bin, sagte er ebenso wenig wie zu dem Gespräch, welches er inzwischen mit meinem Direktor geführt hat. Normalerweise begrüßt mich mein Vater, wenn er nach Hause kommt, die vergangenen Tage ging er jedoch direkt ins Wohnzimmer. Wütend schlage ich mit der Faust auf das Holz der Tischplatte. Am liebsten würde ich mich, im Angesicht meiner Schuld, bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln. Allerdings klingt die Wut ebenso schnell wieder ab, wie sie aufgekommen ist, und weicht einer riskanten Leere. Ich kenne das Gefühl der Einsamkeit, selbst wenn viele Menschen um mich herum sind, aber zum ersten Mal fühle ich mich wirklich allein. Ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem ich gehen kann, ohne jemandem, der mir wichtig ist, Schmerz zuzufügen? Tai steht vor mir und schaut mich hasserfüllt an. Langsam gehe ich einen Schritt auf ihn zu, doch er weicht zurück, damit ich ihn nicht erreiche. Er scheint zu schweben, so leicht gleitet er über den Boden. Verzweifelt versuche ich ihn zu fassen, doch er entwischt mir, als wäre er ein Geist und ich würde durch ihn hindurch greifen. Als ich verstehe, lasse ich mich kraftlos auf die feuchte Erde fallen. Das Grab, auf dem ich sitze, scheint erst vor Kurzem gegossen worden zu sein. Weiße Blumen umranken meine Beine, als wollten sie mich am Weglaufen hindern. Tai lächelt. Gemächlich kommt er auf mich zu und schlägt mir hart mit der Faust ins Gesicht. Meine Lippe platzt auf und der süßlich-metallische Geschmack von Blut verteilt sich rasch in meinem Mund. Ich zeige keine Reaktion und halte meinen Kopf weiterhin gesenkt. Dies bekomme ich mit einem Tritt in den Magen quittiert. Ich keuche auf und krümme mich, den Bauch haltend, nach vorn. Plötzlich spüre ich einen gleißenden Schmerz in der Nierengegend. Mir stockt der Atem und ich breche vollends zusammen. Reglos liege ich im Dreck, warte auf Linderung. Der Himmel ist unnatürlich blau, keine einzige Wolke ist zu sehen. In der Ferne, an einen Baum gelehnt, steht mein Vater. Tai hockt sich neben mich und streicht mir sanft durch das Haar, dann krallt er seine Finger darin fest und reißt meinen Kopf brutal nach oben. Ich blicke ihm in die Augen, kann jedoch keine Bewusstseinsspaltung darin erkennen. Er ist bei klarem Verstand. Erneut schlägt er mir ins Gesicht. Ich sammle das Blut in meinem Mund, spucke es ihm entgegen und treffe Nase und Wange. Unbeeindruckt wischt mein Freund es mit seinem Ärmel weg. „Fängst du jetzt doch an, dich zu wehren? Ich dachte schon, du hättest endgültig aufgegeben.“ Tai lässt mich los und ich falle zurück auf das Grab. Schwerfällig setze ich mich auf. Mein gesamter Körper schmerzt, doch ich genieße es. Mein Freund scheint das zu bemerken. „Du bist krank.“ Ich schlage die Augen auf. Verstört taste ich im Dunkeln nach meinem Wecker. Dem beleuchteten Display entnehme ich, dass es vier Uhr dreizehn ist. Zu früh, um aufzustehen. Ich rolle mich auf den Rücken und starre die Zimmerdecke an. Eigentlich habe ich erreicht, worauf ich die ganze Zeit hingearbeitet habe. Es ist mir gelungen, die Menschen, die ich liebe, durch mein Verhalten von mir abzustoßen, um leichter gehen zu können. Ich hatte gedacht, dass bei Eintreten der Situation alles einfacher werden würde und der letzte Schritt nur noch ein kleiner ist. Aber ich habe mich geirrt. „Wir müssen reden, Yamato“, beginnt mein Vater, als er mein Zimmer betritt. Er ist gerade erst nach Hause gekommen und ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mich aufsuchen würde. Umso erstaunter bin ich über die deutliche Aufforderung. Ungefragt setzt er sich auf mein Bett. Ich bleibe auf dem Sofa sitzen, schalte aber den Fernseher leiser. Fragend schaue ich ihn an. „Du warst seit einigen Tagen nicht mehr in der Schule. Und zur Therapie gehst du auch nicht. Erkläre mir, warum?“ Sein Tonfall ist ungewohnt sachlich. „Wozu? Ist doch egal.“ Um meinen Vater zu provozieren, versuche ich gleichgültig zu klingen, zucke allerdings zurück, als er sich vom Bett erhebt und auf mich zukommt. „Na komm, schlag zu. Das habe ich doch verdient“, grinse ich ihn herausfordernd an und frage mich analog, was dieses paradoxe Verhalten eigentlich soll. Ohne es zu wollen, füge ich mit einem Lachen hinzu: „Oder bin ich dir zu krank, sodass du mir lieber feige aus dem Weg gehst.“ Mein Lachen wandelt sich in Zorn und die letzten Worte speie ich meinem Vater giftig entgegen. Ich kann sehen, wie er die Fassung verliert und mich bestürzt ansieht. „Nein, Yamato. Aber ich frage mich ernsthaft, ob du gerade zurechnungsfähig bist.“ „Ah, verstehe. Du willst mich wieder einsperren lassen. Auch eine gute Methode, um den ungeliebten, wahnsinnigen Sohn ganz einfach loszuwerden“, schreie ich ihm entgegen und zerbreche innerlich an meinen Aussagen. „Du wirst ausfallend, Yamato.“ „Ach ja? Ist es nicht das, was du denkst?“ „Nein.“ Mein Vater hebt seine Hand, ergreift mich am Arm und zieht mich in eine Umarmung. Ich will mich wehren, gebe aber schnell meinen Widerstand auf. „Ich habe nicht vor, dich noch einmal in die Obhut der Psychiatrie zu geben. Aber wenn du eine Gefahr für dich oder andere darstellst, lässt du mir keine Wahl. Es liegt also an dir, wie sich deine Zukunft gestaltet.“ Ich spüre den Herzschlag und die Wärme meines Vaters. Gedankenverloren schaue ich ins Nichts und murmele kaum hörbar: „Ich sehe keine Zukunft.“ Rücklings liege ich auf dem Boden in meinem Zimmer, direkt neben der Stelle, an der Tai vor elf Tagen gesessen hat, ganz ruhig, aber mit schmerzverzerrtem Gesicht. Dieser Anblick hat sich ebenso in mein Gedächtnis gebrannt wie die aufklaffende Wunde, die ich ihm zugefügt habe. Seitdem habe ich meinen Freund weder gesehen noch gehört. Ich hatte zwar oft den Telefonhörer in der Hand, doch ich schaffte es nicht, seine Nummer zu wählen. Tausend Gründe fielen mir ein, es nicht zu tun. Zuletzt dachte ich, dass ich ihm Zeit lassen sollte und dass er sich meldet, falls er mich sehen will. Doch eigentlich sind es nur Ausreden, um meine Feigheit zu kaschieren. Ich laufe vor Tai weg, da ich nicht weiß, wie ich ihm gegenübertreten soll. Selbst zur Schule gehe ich derzeit nicht, obwohl mein Vater mich ausdrücklich darum gebeten hat. Generell hat sich seit dem Gespräch mit ihm vor einigen Tagen nichts geändert. Ich vegetiere in meinem Zimmer vor mich hin, verlasse kaum noch die Wohnung und habe auch sonst, abgesehen von meinem Bruder, keinen Kontakt zur Außenwelt. Und selbst der ist in letzter Zeit sehr sporadisch geworden. Plötzlich stört mich die Stille und löst ein beklemmendes Gefühl in mir aus. Träge erhebe ich mich. Es sind nur wenige Schritt bis zu meinem CD-Player, aber sie erschöpfen mich bedenklich schnell. Zum ersten Mal seit meiner letzten Entlassung aus der Klinik schalte ich das Gerät ein und setze mich anschließend auf mein Sofa. Der Regen in mir ertränkt das leere Herz Ein Vakuum, das nicht pulsiert und nicht mehr schmerzt Nächtelang bin ich schreiend aufgewacht Nur die Wahrheit bleibt verbannt Verborgen in Deiner Ewigkeit Dein letztes Wort zu mir verklingt in meinem Kopf Doch Dein Blick hat mehr gesagt Als jedes Wort es wohl vermag Kein Wiederkehren Um unerträglich frei zu sein Meine Tränen sind verbrannt Verloren in Deiner Ewigkeit Siamesische Einsamkeit Zu tief gefallen Und doch kein Stück bewegt Und schon viel zu weit entfernt Gestorben in Deiner Ewigkeit Siamesische Einsamkeit Den Rest der CD nehme ich nur noch entfernt wahr, denn meine Gedanken schweifen ab. Das Lied löste heftige Gefühle für Tai in mir aus. Wut, Trauer, Hass und Liebe sind vorherrschend, doch als sich die Befürchtung als Gewissheit aufdrängt, dass ich ihn nie wiedersehen werde, glaube ich zu spüren, wie sämtliche Kraft aus meinem Körper entweicht. Der Antrieb, weiterzukämpfen, ist endgültig erloschen. Im Kopf gehe ich sorgfältig meine Möglichkeiten durch und wäge ab. Falls ich gehe, werde ich Taichi keinem anderen überlassen. Ich stehe im Bad und bin gerade damit fertig geworden, den Verband an meinem linken Arm zu wechseln, als es an der Tür klingelt. Verwundert ziehe ich mein Hemd über, verlasse den Raum und gehe den Flur entlang zum Eingang. Ich schaue durch den Spion. Mein Kopf ist vollkommen leer, als ich die Tür langsam öffne. „Tai…“, entweicht es mir leise, obwohl ich eigentlich schweigen wollte. Er tritt ohne Aufforderung ein und geht geradewegs in mein Zimmer. Ich schließe die Tür und folge ihm. Nervosität keimt in mir auf. Auf diese Situation bin ich nicht vorbereitet. Nach über zwei Wochen habe ich nicht mehr mit einem Lebenszeichen seinerseits gerechnet, von einem Besuch ganz zu schweigen. Meine Gedanken rasen. Wie soll ich mich ihm gegenüber verhalten? Und wie schaffe ich es, meinen Plan in die Tat umzusetzen? Die Ausgangssituation ist eher ungünstig für mich. Bedacht ruhig schließe ich meine Zimmertür, denn ich habe bemerkt, dass mein Freund direkt hinter mir steht. Ich verharre in meiner Position und drehe mich nicht um. „Hast du Angst?“, flüstert er in mein Ohr. Sein Körper drängt meinen dichter gegen das Holz. Mir wird bewusst, dass es kein Entkommen gibt. „Sollte ich?“, frage ich verächtlicher, als ich eigentlich wollte. Tai legt seine Arme um mich, schiebt seinen rechten Ärmel ein Stück nach oben und reißt das große Pflaster ab, welches die Wunde noch schützen soll. „Sieh hin“, fordert er mich auf. Gefügig senke ich meinen Blick und sehe den großen, mittlerweile verschlossenen Schnitt, welcher sich an den Rändern leicht wölbt und quer über den Arm verläuft. An den Seiten sind noch die Einstichpunkte von der Naht zu sehen und rings umher ist die Haut rötlich-gelb vom Jod verfärbt. Narbengewebe hat sich bisher nicht gebildet. „Ich war gerade beim Fädenziehen. Schau es dir an. Es ist schließlich dein Werk.“ „Tai… was soll das?“ Ein beklemmendes Gefühl beschleicht mich, als mein Freund seinen Körper noch näher an mich drückt. „Yamato…“ Seine Stimme klingt sanft, aber er wirkt auf mich unberechenbar. Vorsichtig zieht er seinen Ärmel wieder nach unten, dann dreht er mich zu sich um und drückt mich mit dem Rücken fest gegen die Tür, seinen unverletzten Arm gegen meine Kehle gepresst. „Bist du zufrieden? Jetzt gehöre ich ganz dir.“ „Ist das so?“ Durch den Druck auf meinen Kehlkopf fällt es mir schwer, zu sprechen, dennoch versuche ich Entschlossenheit in meinen Tonfall zu legen. „Dann werde ich dich jetzt töten.“ Für einen Moment sehe ich Entsetzen in Tais Augen, dann nehmen sie einen ernsten Ausdruck an. „Kannst du das?“ „Lassen wir es darauf ankommen.“ „Okay“, sagt mein Freund mit einem Lächeln und lässt mich los. Ich stehe vor ihm, irritiert und verunsichert. Meine Gedanken sind schwer wie Blei, ergeben keinen Sinn und tragen mich weg von jeglicher Realität. Ein Messer, mein Klappmesser. Nein, zu unsicher. Rasierklinge und Tabletten kommen ebenfalls nicht in Frage. Springen… nein, keine Öffentlichkeit. Erhängen beziehungsweise Erwürgen… ja, das ist es. Ich werde ihm die Luft abdrücken. Wie neulich. Nur diesmal gibt es kein Zurück. Ich werde ihn töten. Hitze steigt in mir auf und mein Herzschlag beschleunigt sich rasant. Tai schaut mich noch immer an. Seine braunen Augen mustern mich aufmerksam. Sie sind schön, ebenso wie sein Gesicht. Niemand außer mir soll ihn bekommen. „Komm. Leg dich auf das Bett.“ Bei diesen Worten spüre ich das Begehren, das mein Freund in mir auslöst. Die Berührung seiner Lippen, die Liebkosung seiner Haut, sein Duft und sein Geschmack, all das gehört mir. Jedes seiner Haare, jede noch so kleine Hautzelle, ich habe ihn gezeichnet und mit der Ewigkeit an mich gekettet. Nun hat er keine Wahl mehr. Bevor ich mich aber ihm widme, gehe ich noch einmal zum CD-Player, um ein letztes Lied einzuschalten. Raumlos irren die Gedanken umher Unerreichbar Atemlos rennst Du hinterher Hoffnungslos Wie schwarzes Wasser rauscht die Zeit vorbei Sie reißt Dich mit Lässt Dich fallen, ich brenne, zerreiß mich, geh weiter Die Wirklichkeit Sie ist der Untergang für mich Vergib der Zeit Im 'morgen' finden wir uns nicht Liebe - lange - ewig Lüge - einsam Aber nicht allein Trümmer - alles selbst zerstört - zu viel riskiert Lebenslanges sich neu Erfinden Schreiend, jedoch ungehört Der Spiegel brennt, alle Seiten - Du siehst Dich Alles so verkehrt Die Wirklichkeit Sie ist der Untergang für mich Vergib der Zeit Im 'morgen' finden wir uns nicht ... sie ist der Untergang für mich ... ein 'morgen' gibt es nicht Während der Titel ‚Die Wirklichkeit‘ lief, hielt Tai die Augen geschlossen. Er wirkt entspannt. Ich streiche ihm voller Liebe über die Wange, beuge mich dann zu ihm hinab und flüstere: „Spürst du die Leichtigkeit?“ Ruhig umschließe ich seinen Hals und drücke stark auf die Halsschlagader, um die Sauerstoffzufuhr zu behindern. Als sein Überlebenstrieb einsetzt und er sich zu wehren beginnt, verstärke ich den Druck. Er öffnet die Augen, scheint mich aber nicht mehr sehen zu können. Auf seinen Lippen glaube ich ein Lächeln zu erkennen, bis allmählich die Gegenwehr nachlässt und seine Augen sich schließen. „Yamato! Hörst du mich?“ Ich kenne die Stimme, die meinen Namen ruft. Als ich mich bewege, fühle ich mich schwerfällig, wie erschlagen. Meine Gliedmaßen schmerzen und es kommt mir so vor, als wäre ich Jahre gelähmt gewesen. Benommen öffne ich die Lider und brauche einen Moment, um mich an die Helligkeit, das künstliche Licht, das in meinen Augen brennt, zu gewöhnen. „Du warst lange ohne Bewusstsein. Ich vermute etwa vierzehn Stunden. Es war nicht einfach, deinen Vater davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist. Besonders, dass du tagsüber fest schlafend im Bett liegst und ich ihn frage, ob ich bei euch übernachten darf, machte ihn stutzig. Ich erklärte kurz, dass wir ein paar Dinge aus den letzten Wochen zu klären hätten, und es sah so aus, als ob er mir glaubte. Ich denke, er hat nicht mitbekommen, dass du dich wieder mit Medikamenten zugedröhnt hast. Die Packung, die noch neben dir lag, als ich wieder zu mir kam, habe ich verschwinden lassen und dein Vater kam erst später nach Hause. Aber was wolltest du mit dem Schlucken von zehn Schlaftabletten erreichen? Ein Suizidversuch war es jedenfalls nicht, denn ich gehe davon aus, dass du genau weißt, welche Dosis für einen Erfolg nötig ist.“ Ich schaue Tai müde an. An seinem Hals zeichnen sich leicht rot-bläuliche Würgemale ab. Zaghaft hebe ich meine Hand und fahre behutsam mit den Fingern darüber. „Nachdem du dich nicht mehr bewegt hast, wollte ich nur noch der Realität entfliehen.“ Das Sprechen fällt mir schwer, da meine Kehle trocken ist und nach Wasser verlangt. Flüsternd füge ich hinzu: „Ich kann dich nicht töten. Es ist dein Leben. Aber…“ Ich muss husten. Mein Freund hält mir die Wasserflasche, welche immer neben meinem Bett steht, entgegen. In seinem Gesicht erkenne ich keine Regung. Ich trinke einen Schluck. „Aber?“, hakt er nach. „Aber du gehörst mir. Ich will und werde dich nicht wieder freigeben!“ Ein Lächeln schleicht sich auf Tais Lippen. „Wie kommst du darauf, dass du das musst? Nur…“ Er streicht mit seinem Daumen leicht über meine Lippen. „…was nütze ich dir im Tod? Warum siehst du immer nur die Extreme?“ Ich setze mich mühsam auf. Die Nachwirkungen der Tabletten stecken mir noch in den Knochen. „Wenn du lebst, kannst du mich jederzeit verlassen.“ „Ich werde dich aber nicht verlassen“, entgegnet mein Freund unbeirrt auf meine Aussage. „Woher willst du das wissen? Bei meinem Verhalten und meinem Charakter ist es doch nur eine Frage der Zeit! Ich mache dir das Leben zur Hölle, um dich an mich zu binden, nur um dich dann wieder von mir zu stoßen, damit es leichter für alle ist, falls ich es endlich schaffe, mich umzubringen. Doch ich schaffe es nicht! Ich kann nur reden und alle terrorisieren, bin zu nichts nütze und zu schwach, um mich und die Welt von mir zu erlösen!“ Verzweiflung steigt in mir auf und meine Worte sind fast geschrien. „Ich kann es nicht wissen, aber ich denke, ich kenne dich besser als jeder andere. Glaubst du wirklich, dass ich dich jetzt noch verlassen kann? Du hast dich wie ein Parasit in mir eingenistet, bedeutest für mich Tod und Leben zugleich.“ Er zieht mich in eine Umarmung. „Aber in einem hast du recht. Du schaffst es momentan weder mich noch dich zu töten. Das liegt aber nicht daran, dass du zu schwach bist, und wenn du ehrlich zu dir selbst bist, weißt du das auch. Noch ist dein Lebenswille stärker als der Wille zu sterben, auch wenn es sich wahrscheinlich oft nicht so anfühlt.“ Bei der letzten Aussage füllen sich meine Augen mit Tränen. Ich verstehe die dadurch entstandenen Gefühle nicht, eine Mischung aus Erleichterung, Angst, Zuversicht, Schmerz und Aussichtslosigkeit. Dennoch nicke ich, bevor ich ihn leicht von mir schiebe. Es tut im Augenblick weh, von ihm berührt zu werden und ich bekomme keine Luft. An Tais Mimik erkenne ich, dass er Verständnis für meine Geste hat. Dann ändert sich sein Gesichtsausdruck plötzlich in Ernsthaftigkeit. „Ein Problem habe ich allerdings noch“, bringt er vorsichtig an. „Welches?“ „Im Sommer kann ich doch unmöglich Rollkragenpullover tragen.“ Irritiert sehe ich ihn an, dann fällt mein Blick auf seinen Hals. Mein Lachen erfüllt das gesamte Zimmer. „Das ist nicht witzig, Yamato!“, schmollt Tai, kann ein Lachen aber auch nicht mehr unterdrücken. Lange schaffen wir es nicht, uns wieder zu beruhigen, vielleicht, um ein unangenehmes Schweigen zu vermeiden, denn wir wissen beide, dass dieses Gespräch zu viele Dinge unausgesprochen im Raum stehen gelassen hat. Ich blättere gerade die Seite meiner Zeitschrift um, als ein Schrei das Schweigen bricht. „Ja! Geschafft!“, jubelt Tai. Ich blicke ihn an, dann richte ich meine Augen auf den Bildschirm. Diesem kann ich entnehmen, dass er seine Mission erfolgreich beendet hat. Ich schaue wieder zu meinem Freund. Er grinst, als er mir stolz von seiner neuen Errungenschaft erzählt. „Siehst du, jetzt habe ich sogar einen AH56A-R. Ich hätte gleich die FIM-43 Redeye verwenden sollen, um den Heli vom Himmel zu holen.“ Sogleich wendet er sich erneut dem Spiel zu. Eine Weile beobachte ich ihn, dann widme ich mich wieder meiner Zeitschrift. Maschinengewehre, Granaten und Raketen bilden die einzigen Geräusche im Raum, hin und wieder begleitet vom Fluchen meines Freundes. „Warum spielst du eigentlich nicht mehr?“, fragt Tai plötzlich, ohne jedoch sein Spiel zu unterbrechen. „Wie bitte?“, frage ich irritiert. „Gitarre. Oder auch der Gesang. Deine Band. Die Musik allgemein.“ Ich lege meine Zeitschrift beiseite. Schweigend schaue ich ihm dabei zu, wie er seinen Handheld malträtiert, den er momentan als Kontroller benutzt, da er per Kabel über den Fernsehbildschirm spielt. „Willst du nicht antworten? Oder kannst du nicht?“ „Ich weiß es nicht. Ich glaube, das alles hat einfach irgendwann an Bedeutung verloren.“ Eine kurze Pause entsteht, bevor Tai besorgt zu mir sieht. „Ist es sinnvoll, zu fragen, ob überhaupt noch etwas Bedeutung für dich hat?“ Ich versuche seinem Blick standzuhalten, schaffe es jedoch nicht lange und schaue stattdessen verlegen nach unten auf meine Hände. Sie zittern leicht. Ich bin froh, als ich merke, dass mein Freund nicht weiter nachhakt, sondern unkommentiert sein Spiel wieder aufnimmt. Ich lenke meine Aufmerksamkeit ebenfalls auf den Bildschirm. Nachdem die Hauptfigur einen feindlichen Wachposten unschädlich gemacht hat, steht sie auf dessen Beobachtungsturm und zielt mit einer M21 auf die Patrouillen am Boden. Kurz ist ein roter Punkt am Kopf eines Gegners zu sehen, dann hört man das Geräusch des sich lösenden Schusses. Der anvisierte Soldat stöhnt kurz auf, bevor er tot umfällt. Ein in der Nähe stehender Kamerad wird aufmerksam, der Alarm geht los. „Scheiße!“, flucht Tai. „Den hatte ich irgendwie übersehen.“ „Knallst du den Rest auch noch ab oder gehst du in Deckung?“ „Hm, ich überlege noch. Ich könnte sie auch nur betäuben und dann rekrutieren.“ „Von denen du die meisten doch sowieso wieder feuerst, weil sie beschissene Werte haben.“ „Ich habe nun einmal nicht so viel Platz auf meiner Basis. Sie ist immerhin noch im Ausbau.“ Inzwischen wurden fast alle gegnerischen Soldaten betäubt und abgeholt. Einige waren allerdings zu zäh, sodass es für sie keine Gnade gab. „Tai?“, frage ich nach einem Moment des Schweigens. „Hmm?“, kommt beiläufig zurück. „Bekommst du diese Zustände eigentlich mit?“ „Welche Zustände?“ „Die, in denen du von jetzt auf gleich umswitcht und dann völlig verändert auf mich wirkst. Ich frage mich, ob du die Situationen als solche erfasst.“ Tai drückt die Pausetaste. Seine Augen versuchen Kontakt zu mir herzustellen. Ich löse meinen Blick vom Bildschirm und lenke meine Aufmerksamkeit auf meinen Freund. „Du meinst, ob ich dann weiß, was ich tue?“ „Ich möchte wissen, ob diese Momente der Wahrheit entsprechen.“ Als wäre er plötzlich störend, legt Tai seinen Handheld beiseite, steht auf und setzt sich zu mir auf das Bett. „Ich bekomme alles mit. Ich handele aktiv, aber du weißt selbst, wie das mit der Kontrolle ist, oder?“ Er streicht mir behutsam eine Strähne aus dem Gesicht. Ich habe das Gefühl, mich in seinen Augen zu verlieren. Meine Umgebung verschwimmt, nur Tais Konturen sowie seinen Geruch nehme ich deutlich wahr. Eigentlich wollte ich mehr über diese Dissoziationen meines Freundes erfahren, denn ich bin nach wie vor der Meinung, dass es genau das ist, was er da erlebt, doch meine Gedanken sind kaum noch greifbar. Ich spüre weitere Berührungen an meinem Körper, die Stellen brennen wie Feuer und ich scheine zu verglühen. Warm fühle ich Tais Atem auf meinen Lippen, dann die Feuchte seiner eigenen auf meinen. Mit sanfter Gewalt drückt der mich nach hinten, sodass ich unter ihm zum Liegen komme. Ich möchte mich wehren, doch mein Körper gehorcht mir nicht. Meine Gliedmaßen kribbeln von innen, als würden tausende Ameisen hindurch laufen. Ich möchte sie abschütteln, schaffe es aber nicht, meine Lähmung zu durchbrechen. Tais Liebkosungen sind wie schmerzende Wunden. Ich schließe meine Augen. „Sieh mich an“, fordert mein Freund mich auf und nimmt meinen Kopf zwischen seine Hände. „Mach bitte weiter. Hör nicht auf!“, höre ich mich sagen. Übelkeit steigt in mir auf. Ich ekle mich vor mir selbst. Ausgelaugt sitze ich in der Küche. Es ist mitten in der Nacht und dunkel im Raum. Das Licht schalte ich absichtlich nicht ein, da ich zum einen nicht auf mich aufmerksam machen möchte und zum anderen die Helligkeit in meinen Augen zusätzlich schmerzen würde. Mein Kopf dröhnt ohnehin schon. Ich nehme die Hände vom Gesicht und schaue auf die Tasse Kaffee und die Packung Schmerzmittel vor mir. Vorhin habe ich bereits vier Stück genommen, doch sie helfen nicht. Dabei hatte ich gehofft, dass das Koffein die Wirkung verstärken würde. Ich nehme die Schachtel zur Hand und öffne sie. Acht Stück sind noch enthalten, welche ich nun entnehme und akribisch vor mir auf dem Tisch aufreihe. Einen Augenblick lang betrachte ich sie, dann schlucke ich eine nach der anderen mit etwas kaltem Kaffee hinunter. Die leere Packung lasse ich in meiner Hosentasche verschwinden. Mir ist das Risiko zu hoch, dass mein Vater sie durch Zufall im Hausmüll entdeckt. Ich trinke meine Tasse leer, schiebe sie von mir und lasse meinen Kopf auf die Tischplatte sinken. Ich fühle mich erschöpft und müde, obwohl kein akzeptabler Grund dafür ersichtlich ist. Seit einiger Zeit gibt es keine nennenswerten Vorfälle mehr, die Beziehung zu meinem Vater und Tai ist auch wieder besser. Warum spüre ich dann kein Glück? Keine Zufriedenheit? Warum ist da keine Leichtigkeit, keine Unbeschwertheit? Stattdessen fühle ich mich in mir selbst eingeengt, kann kaum atmen und betäube sämtlichen Schmerz mit Tabletten. Ich verstehe nicht, was mein Problem ist. Dass ich eigentlich kein Problem habe? Ich wünsche mir keine Probleme, ich wünsche mir nur, dass es anders ist. Dass ich anders… oder einfach weg bin. Oft denke ich, ich fühle wahrscheinlich falsch. Wo es angebracht ist, etwas zu fühlen, spüre ich nur Leere, aber wenn es besser wäre, etwas weniger Emotionen zu empfinden, überfluten sie schmerzhaft meinen ganzen Körper und ich glaube, zu zerspringen. Doch es gibt nur diese beiden Optionen, quälendes Gefühlschaos oder todgleiche Leere und ich ertrage beides nicht. Ich komme einfach nicht zurecht, nicht mit der Welt und schon gar nicht mit mir selbst. Ständig regiert in meinem Inneren die blanke Verzweiflung und ich fühle mich ihr hilflos ausgeliefert. Doch so einfach gehen kann ich nicht. Nicht mehr. Tränen laufen mir über die Wangen. „Verdammt!“ Wütend wische ich sie mit meinem Ärmel weg. „Jetzt versinke ich schon im Selbstmitleid. Ich bin wirklich das Letzte!“ Voller Selbstverachtung stehe ich auf und verlasse die Küche. Ich bemühe mich leise zu sein, um meinen Vater oder Tai, der in meinem Bett schläft, nicht zu wecken. Im Flur ziehe ich meine schwarzen Low Chucks an und auch wenn es Nacht ist, wird es draußen ausreichend warm sein, sodass ich auf meine Lederjacke verzichte. Ich nehme den Schlüssel und das Portemonnaie meines Vaters von der Kommode und verlasse lautlos die Wohnung. Du hast die Augen aufgeschlagen Kannst das Licht doch nicht ertragen Wie um die Schmerzen fortzujagen Schlägst du nach dem Neonstrahl Selbst die Luft schmeckt dir verrußt Denn ganz egal, was du auch tust Wenn du sie atmest Musst du husten Hättest du nur eine Wahl Von überall drängt an deine Ohren Ein beständiges Rumoren Und du fühlst dich so verloren Und du wünschst dich ganz weit weg Deine Haut beginnt zu jucken Deine Augen stark zu zucken Willst dich in die Schatten ducken Doch du findest kein Versteck Viele längst vergessene Geister Heißen dich Willkommen In der eisigen Wirklichkeit Alle Ängste mitgereist Wer hat sie mitgenommen In die eisige Wirklichkeit So viele Jahre war dein Streben All dein Tun und Worte Weben Auf ein großes, neues Leben In der Freiheit konzentriert Nun bist du endlich obenauf Denn alles schien so gut gelaufen War es teuer nicht erkauft Wenn dich am Ende wieder friert? Das Lied geistert mir im Takt pulsierend durch den Kopf, als ich ohne Ziel durch die Stille der Nacht die Straße entlanglaufe. Diese Ruhe und Verlassenheit ist angenehm und beängstigend zugleich. Ich bleibe stehen. Ich erkenne das vor mir liegende baufällige Gebäude und die Seitengasse wieder. Es erscheint mir wie eine Ewigkeit, dass mich meine Schritte ähnlich wie heute in diese Gegend führten. Damals war es kalt, gerade Winter, und es begann zu schneien. Ich biege in die kleine Straße ein. Bewusst setze ich mich an dieselbe Stelle, an der ich schon einmal saß, schließe die Augen und versuche mir die Situation von einst wieder ins Gedächtnis zu rufen. Es schmerzt. Seit damals ist viel geschehen und doch ist alles wie zuvor. Es scheint egal zu sein, welche Veränderungen passieren, meinen ewigen Kreislauf kann ich doch nicht durchbrechen. Diese Erkenntnis kommt mir immer und immer wieder und es ist bitter. Bitter auch, weil mir mit jedem Mal meine Unfähigkeit und Widerwärtigkeit vor Augen geführt wird. Fahrig krame ich aus meiner Hosentasche eine Schachtel Zigaretten. Es ist mein Glück, dass mein Vater noch Gelegenheitsraucher ist und einen TASPO besitzt. Dadurch war es einfach, an die Tabakware zu gelangen. Ich öffne die Packung und entnehme eine der Zigaretten. Mit dem Feuerzeug, welches ich schon seit einer Weile bei mir trage, entzünde ich sie. Es interessiert mich, ob das Nikotin wirklich beruhigend wirkt, und inhaliere den Rauch tief. Ein leichtes Brennen in den Lungen und ein Kratzen im Hals machen sich bemerkbar, vergehen jedoch nach ein paar Zügen rasch. Abgespannt lehne ich mich mit dem Rücken gegen die Wand. Die beruhigende Wirkung scheint sich zu bestätigen, ist aber eher wie ein kurzes Durchatmen, eine kleine Auszeit und nichts anhaltend Langfristiges. Positiver Nebeneffekt ist jedoch die Selbstschädigung. Auch der Geschmack stößt mich nicht ab, dieser leicht bittere Rauch sowie das sanfte prickelnd beißende Gefühl auf der Zunge. Allmählich spüre ich, wie Schwindelgefühle einsetzen. Die Umgebung verzerrt sich leicht, in meinem Kopf beginnt ein Kreiseln und mein Körper scheint zu schwanken, obwohl ich auf dem Boden sitze. Ich ziehe erneut an der Zigarette. Warum ist Tai meinen Fragen bezüglich seiner Dissoziationen ausgewichen? Eigentlich habe ich es in dem Moment nicht so empfunden, doch mit etwas Abstand betrachtet, drängt sich mir der Gedanke auf. Ist er sich seiner doch nicht bewusst oder will er nicht mit mir darüber reden? Ich nehme einen letzten Zug, die Zigarette ist bereits soweit heruntergebrannt, dass es heiß an den Lippen wird, und werfe sie neben mich in den Staub. Ein Gefühl der Angst kommt in mir auf. Ich versuche, den Ursprung zu erkennen, kann jedoch keinen Bezug herstellen. Zittern erfasst meinen Körper. Ich schlinge die Arme um meine Beine und vergrabe mein Gesicht in meinen Knien. Von Schluchzern geschüttelt, bricht erneut Verzweiflung über mich herein. Am Himmel verdrängen die ersten Sonnenstrahlen die letzten Sterne und begrüßen zuversichtlich den neuen Tag. Kapitel 5: ----------- Leise schließe ich die Tür hinter mir, lege das Portemonnaie und den Schlüssel wieder auf seinen Platz, entledige mich meiner Schuhe und begebe mich in die Küche. Dort setze ich Kaffee auf und lasse mich erschöpft auf den Stuhl sinken, auf dem ich in der Nacht schon gesessen habe. Meine Lider fallen zu und ich konzentriere mich auf das mittlerweile stechende Pochen in meinem Kopf. Entfernt nehme ich das Öffnen einer Tür und Schritte im Flur wahr. Kurz darauf kommt mein Vater in die Küche. Erstaunt sieht er mich an. „Yamato.“ Aus müden Augen erwidere ich seinen Blick. „Hast du die ganze Nacht hier gesessen?“ „Ja“, lüge ich ihn an. „Konntest du nicht schlafen?“ Seine Stimme klingt besorgt. Er geht an mir vorbei zur Kaffeemaschine, nimmt eine Tasse aus dem Schrank und schenkt sich etwas von dem braunen Muntermacher ein. „Möchtest du auch?“, fragt er, nimmt aber, ohne eine Antwort abzuwarten, meine Tasse vom Tisch. Dann setzt er sich mir gegenüber und reicht sie mir gefüllt zurück. Schweigend trinken wir unseren Kaffee. „Ist Taichi da?“, durchbricht mein Vater die Stille plötzlich. „Ja. Er schläft noch“, mutmaße ich. „Ihr geht momentan beide nicht zur Schule, oder?“ Anhand seiner Mimik kann ich keine Regung erkennen. „Ja“, antworte ich unvermittelt und sehe ihm dabei fest in die Augen. Er seufzt, verblüfft von meiner Direktheit. „Und warum?“ Seinem Tonfall entnehme ich keinerlei Vorwurf, aber Bestimmtheit. Ich zucke mit den Schultern, weiche jedoch seinem Blick aus. „Yamato…“ „Ich bin müde. Tut mir leid. Und du musst auch gleich zur Arbeit.“ Mit diesen Worten stehe ich auf und verlasse die Küche, ohne mich noch einmal umzudrehen. In meinem Zimmer bemerke ich, dass Tai tatsächlich noch schläft. Ich schließe die Tür ab, entledige mich meiner Kleider und schlüpfe zu ihm unter die Decke. Ich möchte ihn spüren, presse meinen Körper eng gegen seinen, fühle jedoch schmerzhaft, dass er unendlich weit von mir entfernt ist. Ich erwache mit einem unguten Gefühl. Vermutlich liegt es an einem Traum, an den ich mich nicht erinnere, dessen bitteren Beigeschmack ich aber noch deutlich wahrnehme. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass der Nachmittag bereits weit fortgeschritten ist. Schüsse von Maschinengewehren und Granatwerfern dringen an mein Ohr. Mühsam richte ich mich halb auf, um meinen Freund ansehen zu können. Dabei merke ich, dass mir jeder Muskel meines Körpers wehtut. „Na, bist du endlich wach? Wahrscheinlich hast du dich wieder mit einer weit über der Höchstdosis liegenden Menge Schlaftabletten zugedröhnt, um dich in einen komatösen Zustand zu versetzen, hab ich recht?“, meint Tai, ohne sein Spiel zu unterbrechen. „Sag mal, wurdest du beim Fußball einmal zu viel am Kopf getroffen?“, entgegne ich patzig. „Entspricht es denn nicht der Wahrheit?“ Seine Stimme ist ruhig, nahezu kalt. Schwerfällig setze ich mich auf. Ich spüre, wie Anspannung und Ärger in mir aufkommen. Nervös kratze ich über die Haut an meinem vernarbten Arm, wobei die verschorften Wunden durch die Fingernägel zum Teil wieder geöffnet werden und meine Fingerkuppen mit Blut befeuchten. „Was willst du eigentlich von mir? Warum gehst du mich ohne Grund so an?“ „Ich will nichts. Aber ich frage mich, warum du so empfindlich auf offensichtliche Tatsachen reagierst.“ Er legt seinen Handheld beiseite und schaut mich durchdringend an. „Was ist dein Problem, Yagami? Bist du frustriert?“, attackiere ich ihn wütend. „Soll ich es dir besorgen oder willst du lieber mich ficken? Na los, komm her!“ Ich mache eine eindeutige Geste, doch in meinem Inneren schreit alles gegen diese Provokation, gegen den gesamten Verlauf dieses Gesprächs. Die Kontrolle habe ich allerdings längst verloren. Mein Denken, Fühlen und Handeln haben sich noch weiter gespaltet, sodass ich nur eine Marionette meiner selbst bin. Ich verachte mich für meine Worte, meine Wut und meine Hilflosigkeit. Angst erfasst mich. Angst vor Tai, Angst vor der Situation, Angst vor mir. Mein Freund steht schweigend auf und kommt auf mich zu. Unvermittelt ergreift er mit seiner Hand meine Kehle und drückt fest zu, wobei er mich zurück auf das Bett in eine liegende Position drängt. Ich kann ein Husten nicht unterdrücken, doch Tai lässt nicht von mir ab. Schnell beginnen schwarze Punkte vor meinen Augen zu tanzen und die Geräusche klingen dumpfer und entfernter. Am Rande meiner Wahrnehmung bekomme ich mit, wie mein Freund meine Beine über seine Schultern legt, seine Hose öffnet und ohne Vorbereitung mit einem kräftigen Stoß in mich eindringt. Mein Körper bäumt sich leicht auf. Tai verringert den Druck auf meine Schlagader, dann lässt er meinen Hals los, wird aber mit jedem Stoß brutaler und der Schmerz mit zunehmender Rückkehr meiner Sinne intensiver. Tais Keuchen nimmt zu, ebenso wie seine Bewegungen in mir. Schweiß bildet sich auf unseren Körpern und Hitze durchströmt mich. Meine Atmung geht in ein leichtes Stöhnen über, sodass ich mir auf die Lippen beiße, um es zu unterdrücken. Ich sehe in seine Augen. In ihnen lese ich nichts als Kälte, Herablassung und Besitzanspruch. Ein Gefühl des Trotzes überkommt mich, aber auch eine merkwürdige Zuneigung. Sofort wende ich meinen Blick ab und fixiere die Zimmerdecke. Ich versuche mich auf den Rhythmus zu konzentrieren, um die Schmerzen besser beherrschen zu können, doch mit jedem erneuten Stoß lässt Tai mich die Brutalität seiner Liebe spüren. Hass und Leidenschaft keimen in mir auf. Die Bewegungen meines Freundes werden noch einmal intensiver, dann verharrt er einen Moment in mir, bevor er von meinem Körper ablässt und sich schwer atmend neben mich auf das Bett setzt. Ich starre noch immer zur Decke. Mein Kopf ist jetzt vollkommen leer. Nach einer Weile steht Tai auf, schließt seine Hose und widmet sich wieder seinem Spiel. Ich bleibe noch einen Augenblick liegen, dann erhebe ich mich ebenfalls. Ohne ein Wort und wie fremdgesteuert gehe ich ins Bad, um mir das Blut von der Haut zu waschen. Automatisiert schließe ich die Badezimmertür hinter mir ab. Übelkeit schnürt mir die Kehle zu. Mein Blick ist starr auf die Toilette gerichtet. Wie in Trance mache ich ein paar Schritte darauf zu, bevor ich mich krampfhaft würgend übergebe. Es sind qualvolle und schmerzhafte Minuten, in denen ich ausschließlich Galle und Magensaft spucke, dann sinke ich zitternd und kraftlos zu Boden. Ich spüre einen unangenehmen Druck auf den Augen und meine Speiseröhre fühlt sich an wie weggeätzt. Die Fliesen sind kalt auf meiner nackten Haut, doch das nehme ich kaum wahr. Meine Gedanken gelten ausschließlich Tai und seinem Verhalten. Es war das erste Mal, dass er so extrem reagiert hat, und ich frage mich, was passiert wäre, wenn ich Widerstand geleistet hätte. Mittlerweile traue ich ihm so einiges zu. War er früher auch schon so gewaltbereit? Als Kinder haben wir uns oft geprügelt, aber das jetzt ist ganz anders. Es schwingt eine gewisse Unberechenbarkeit mit. Auf beiden Seiten. Ein beklommenes Gefühl überkommt mich und verstärkt das Zittern meines Körpers. Wackelig und mit Abstützen gelingt es mir, auf die Beine zu kommen. Mein Blick fällt dabei auf meinen linken Arm. Striemen getrockneten Blutes verlaufen asymmetrisch über die helle Haut. Eine leichte Unruhe stellt sich plötzlich in mir ein. Ich gehe zum Medizinschrank und krame aus der hintersten Ecke die kleine Packung Rasierklingen heraus. Kurz betrachte ich sie, dann entnehme ich eine und wickle sie aus dem Papier. Leicht bebend setze ich das kleine Metall längs auf die zu durchtrennende Stelle. Ich zögere. Bilder von damals, als ich Tai schwer verletzte, tauchen in meinem Kopf auf. Ich schließe die Augen und atme tief durch, um sie abzuschütteln und mich zu beruhigen. Dann richte ich die Konzentration wieder auf mein Vorhaben und ziehe die Klinge mit mäßigem Druck gerade durch die Haut. Sofort läuft dunkles Blut meinen Arm entlang und tropft zu Boden. „Shit“, entweicht es mir. Schnell hole ich aus dem Schrank einen Waschlappen und presse ihn auf die Wunde. Vorsichtig hebe ich ihn wieder an, um das Ergebnis zu betrachten, doch die rote Körperflüssigkeit fließt unerbittlich weiter. Offenbar habe ich etwas tiefer geschnitten als beabsichtigt. Ich drücke den Stoff erneut fest darauf und warte. In der Zwischenzeit lege ich mir die benötigten Verbandsmaterialien zurecht und reinige die Fliesen. Nach einer Weile versorge ich die Verletzung, obwohl sie noch relativ stark blutet. Vermutlich muss ich den Verband ziemlich schnell erneuern. Ich wasche die Rasierklinge ab und den Waschlappen sorgfältig aus. Bis auf den Lappen, den ich zum Trocknen über die Badewanne lege, verstaue ich alles wieder in dem kleinen Schränkchen. Irritiert sehe ich mich um. „Verdammt!“, fluche ich, als mir einfällt, dass ich keine Kleidung mitgenommen habe. Ratlos stehe ich im Badezimmer und sehe mich um. Mein Blick fällt auf die Bademäntel. Erleichtert ziehe ich einen der beiden an und verlasse den Raum. Ich gehe in die Küche, setze Kaffee auf und überlege, wie ich Tai gegenübertreten soll. Im selben Moment erübrigt sich die Frage, da er scheinbar aus dem Nichts vor mir auftaucht und mich eingehend betrachtet. Sein Blick irritiert mich und ich will ansetzen, ihm eine Frage zu stellen, als er mir gezielt mit der Faust ins Gesicht schlägt. Blitze erscheinen vor meinen Augen und ein gleißender Schmerz durchfährt meinen Kopf. „Schmerzen kann ich dir auch geben.“ Der Hohn in seiner Stimme ist nicht zu überhören. Ich sehe meinen Freund fest an. Seine Augen funkeln und sind unbeirrt auf mich gerichtet. Ein Lächeln umspielt meine Lippen, als ich ihm meine Faust kraftvoll in die Magengegend ramme. Tai stöhnt auf, sackt in sich zusammen und bleibt gekrümmt und schwer atmend am Boden liegen. Ich fahre mit meiner Hand durch sein strubbliges, braunes Haar, dann beuge ich mich hinab und flüstere in sein Ohr: „Ja, die kann ich dir auch geben.“ Sanft streiche ihm über die Wange und küsse seine Stirn. Dann erhebe ich mich. Aus dem Schrank nehme ich eine Tasse, fülle sie mit Kaffee und verlasse den Raum. Ich sitze auf meinem Bett und trinke schluckweise meinen Kaffee. Immer wieder puste ich, damit er schneller abkühlt, denn momentan muss ich noch aufpassen, dass ich mir nicht die Lippen verbrenne. Mein Blick geht ins Leere. Ich versuche in meine Gedanken Sinn und Ordnung zu bringen. Zu viele Dinge gehen mir durch den Kopf, teils völlig zusammenhangslos. Ein Gefühl der Verzweiflung ergreift Besitz von mir. Abgespannt fahre ich mir mit der Hand über die Augen und das Gesicht. In diesem Augenblick öffnet sich die Tür und Tai kommt, ohne ein Wort zu sagen, herein. Als er auf dem Sofa Platz nimmt, sind seine Augen auf mich gerichtet. Seine Mimik ist ausdruckslos. „Tut es noch weh?“, frage ich, schaffe es aber kaum, mir ein Grinsen zu verkneifen. Tai antwortet nicht, sieht mich aber weiterhin unverwandt an. Ich nippe an meiner Tasse und versuche anhand von Beobachtungen das Verhalten meines Freundes zu durchschauen. „Bist du jetzt gekränkt, weil ich dich mit einem Schlag fertiggemacht habe?“, provoziere ich ihn. „Hast du nicht. Zugegeben, dein Fausthieb ist beachtlich, was in Anbetracht dessen, dass du einmal Kampfsport gemacht hast, aber nicht verwunderlich ist. Dennoch, wäre ich vorbereitet gewesen, hättest du vermutlich kein so leichtes Spiel gehabt.“ Er sieht mich geringschätzig an. „Denkst du das wirklich?“, frage ich ehrlich erstaunt und ziehe die Augenbrauen leicht nach oben. „Ich wusste gar nicht, dass du so arrogant sein kannst“, kommt bissig zur Antwort. „Nicht arrogant. Realistisch.“ Ich stehe auf, stelle meine Tasse auf den Nachttisch und gehe zu meinem Schreibtisch. Aus der Schublade nehme ich mein Klappmesser und lasse die Klinge durch eine Daumenbewegung aufspringen. Langsam laufe ich in Tais Richtung. Vor ihm bleibe ich stehen. Er reagiert nicht, obwohl er das Messer gesehen oder zumindest gehört haben müsste. Ich beuge mich zu ihm hinab und küsse sanft seine Lippen. Gleichzeitig halte ich die Klinge an seine Kehle. Zärtlich löse ich mich von ihm und hauche liebevoll in sein Ohr: „Unterschätze mich nicht. Du weißt, dass du, wenn ich Ernst mache, keine Chance gegen mich hast.“ Ich drücke die Schneide fester auf seine Haut. Mit meinen Fingern streiche ich über seinen Hinterkopf. Rittlings setze ich mich auf seinen Schoß und ziehe an seinen Haaren, sodass er gezwungen ist, mir ins Gesicht zu schauen. „Ich weiß, dass du unzurechnungsfähig bist“, reizt er mich absichtlich. „Aber du wolltest mich schon einmal töten und hast es nicht geschafft.“ Als Reaktion auf seine Aussage verstärke ich den Druck des Messers, sodass es leicht die erste Hautschicht zerteilt und Spuren von Blut an der Klinge haften. Ein flüchtiges Zusammenkneifen seiner Augen verrät mir, dass Tai Schmerz verspürt. „Stimmt. Ich habe es damals nicht geschafft. Aber ich werde dich töten.“ Voller Zuneigung lächele ich ihn an. „Das ist ein Versprechen.“ „Ich wünschte, ich könnte dich irgendwie von deiner Verzweiflung befreien.“ Seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. „Kannst du. Töte mich“, spreche ich meine Gedanken laut aus. Mein Tonfall ist ohne Emotionen. Plötzlich laufen Tränen über Tais Gesicht. Dieser Anblick, dieser von Schmerz und Trauer gezeichnete Gesichtsausdruck, lässt mich innerlich zusammenbrechen. Ich spüre, wie sich mein Brustkorb zusammenzieht und mir das Atmen erschwert. Krampfhaft versuche ich nach Luft zu schnappen, doch das Gefühl des Erstickens bleibt. Meine Kraft schwindet und das Messer droht mir aus den Fingern zu gleiten. Unerwartet legt Tai seine Hand über meine und verstärkt den Druck auf seinen Hals wieder. Dann zieht er es langsam darüber. Die Wunde ist nicht tief, dennoch läuft das Blut über die Haut und mündet in dem Hemdkragen meines Freundes. „Ist es das, was du willst?“, flüstert Tai. Ich lasse das Messer fallen, stattdessen verhake ich unsere Finger. Starr haftet mein Blick auf der Verletzung. Die Sicht verschwimmt, als Tränen meine Augen füllen und sogleich die Wangen hinab laufen. Ich beuge mich zum Hals meines Freundes und küsse die Stelle, über die das Messer gezogen wurde. Dann breche ich endgültig zusammen. Mein Kopf sinkt auf die Schulter von Tai und ich beginne hemmungslos zu weinen. Er umfängt mich mit seinen Armen, doch ich kann seine schwindende Kraft spüren. Erschöpft setze ich mich auf eine Bank im Park, welcher meinen Heimweg kreuzt. Ich spüre immer deutlicher, dass ich konditionell ziemlich stark abbaue. Die kleinsten Erledigungen fühlen sich für mich wie Marathonläufe an. Eigentlich hasse ich es, wenn ich die Wohnung überhaupt verlassen muss. Allerdings nahm ich neulich meine letzten Schmerztabletten ein, sodass ich mich genötigt sehe nach draußen zu gehen. Meinen Vater kann ich nicht darum bitten und Tai würde mir sicher auch keine besorgen. Es nervt, dass man nur eine bestimmte Menge ausgehändigt bekommt, aus diesem Grund war ich gezwungen, in mehrere Apotheken zu gehen. Zudem ist heute ein sehr warmer Tag und mein Kreislauf macht mir zusätzlich zu schaffen. Ich schaue nach unten auf den Boden, dann auf meine Schuhe. Menschen ertrage ich momentan nicht. Ich möchte sie nicht sehen und von ihnen nicht gesehen werden, deshalb versuche ich meine Umwelt zu ignorieren. Mit dem Fuß wippe ich hin und her, um meine Unruhe ein wenig zu kompensieren. Ich greife in meine Hosentasche und hole die Schachtel Zigaretten und das Feuerzeug heraus. Mühsam fische ich eine der Zigaretten heraus und zünde sie an. Dann lehne ich mich zurück und inhaliere den Rauch. Müde schließe ich die Augen und versuche die Geräusche, die von Menschen verursacht werden, auszublenden. Übrig bleiben das Zwitschern der Vögel und das Rascheln des Windes in den Blättern der Bäume. Die Luft ist ein wenig stickig, was den anhaltend hohen Temperaturen zuzuschreiben ist. Ich merke, wie ich mich, vermutlich durch das Nikotin, etwas entspanne. Ich öffne die Augen wieder und sehe mich um. Meine Umgebung scheint unendlich weit weg zu sein. Nah, aber doch nicht greifbar. Es ist, als befände ich mich unter einer Glasglocke. Inmitten der Welt und trotzdem nicht dazugehörig. Als wäre ich nur ein stiller Beobachter. Wozu ist ein Leben nütze, in dem man sich nicht einmal zu Hause fühlt? Doch leider musste ich bitter feststellen, dass Sterben nicht so einfach ist, wie man denkt. Vielleicht waren meine Versuche auch nur halbherzig. Und der Versuch, Tai zu töten? Wieso habe ich damals einen Rückzieher gemacht? Ich werde ihn töten, soviel ist sicher. Vielleicht habe ich momentan noch zu viel Respekt vor seinem Willen zu leben. Oder ich habe selbst noch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass es irgendwann anders wird. Nicht mein Leben, damit habe ich keine Probleme, sondern ich selbst. Aber so viel Zuversicht schaffe ich wirklich nur an richtig guten Tagen aufzubringen. Und die sind selten. Ich kann Tai und meinen Vater verstehen, wenn sie irgendwann keine Kraft mehr haben, sich mit mir zu befassen. Ich hätte mich schon längst zum Teufel gejagt. Und ich begreife auch nicht, was sie davon abhält. Besonders gut behandle ich sie meistens nicht. Nur leider ist mir das lediglich mit genügend Abstand betrachtet bewusst. In den Situationen selbst erfasse ich die Problematik nicht. Und wenn doch, schaffe ich es nicht, dagegen anzugehen. Ich bin in dem Moment wie fremdgesteuert. Ich bekomme mit, was ich sage oder tue, denke aber unter Umständen das genaue Gegenteil und kann nicht in mein Handeln eingreifen, obwohl ich es gern würde. In solchen Augenblicken hasse ich mich so sehr, lasse es aber nicht an mir, sondern an meinem Gegenüber aus. Dadurch wird wiederum der Selbsthass erst recht weiter angestachelt. Es ist ein ewiger Kreislauf, aus dem ich keinen Ausweg finde. Abgesehen vom Tod. Heftig zucke ich zusammen und lasse die Zigarette vor Schreck fallen. Ich war so sehr in Gedanken versunken, dass ich nicht mitbekommen habe, wie die Zigarette heruntergebrannt ist. Die einsetzende Dämmerung zeigt mir, dass der Tag sich langsam dem Ende neigt. Der Park allerdings ist noch relativ gut besucht. Auffällig sind die unzähligen Pärchen, die Händchen haltend spazieren gehen und sich die ganze Zeit verliebte Blicke zuwerfen. Angewidert erhebe ich mich. Ein leichter Schwindel und tanzende, schwarze Punkte vor meinen Augen lassen mich einen Moment innehalten, bis sich alles normalisiert hat. Ich zünde mir noch eine Zigarette an und verfrachte die Schachtel und das Feuerzeug wieder in meine Hosentasche. Dann verlasse ich zügig den Park, denn ich muss vor meinem Vater zu Hause sein. Die Tüte mit den Medikamenten sollte er besser nicht zu Gesicht bekommen. Es ist dunkel. Von meinem Zimmer sind nur noch Konturen erkennbar. Ich sitze auf dem Boden an meinem Fenster und schaue nach draußen. Vereinsamte Straßen und dessen ungeachtet beharrlich leuchtende Laternen bilden die nächtliche Kulisse. Der Lärm des Tages ist deutlich verhaltener geworden. Beinahe angenehm. Nur vereinzelt sieht man Menschen, zu Fuß oder im Auto, die irgendwohin unterwegs sind. Schwere Wolken bedecken den Himmel und lassen die Welt beengter erscheinen. Aus meinem Player dringen leise Töne an mein Ohr. Ein Weg führt zu den Menschen Ein anderer ganz weit weg Ich hab mich längst entschieden Und bleibe unentdeckt Die Stadt voller Geräusche Verworren und verzerrt Und Vögel, die nicht singen Sie schreien vor Schmerz Willkommen in der Wirklichkeit Ein Tänzer, der die Stille wählt Geschichten, die man stumm erzählt Ein Feuer, das nicht brennen will Der Traum von Freiheit irgendwann Die Schuld, die man ertragen kann Ein Licht, das in der Nacht zerfällt Der Himmel ruht in Frieden Die Hölle ruft nach mir Das Streben nach Bewusstheit Verstand, den ich verlier Ich zähle schon die Stunden Wenn meine Stimmung schweigt Willkommen in der Kälte Im Labyrinth der Zeit Vereinzelte Tropfen schlagen gegen meine Fensterscheibe und ziehen mich sachte aus meinem Gedankenkarussell. Blitze leuchten am Himmel, gefolgt von dem Grollen des Donners. Ein Gewitter zieht auf. Der Regen wird stärker und bildet allmählich Pfützen auf dem Asphalt. Ich stehe auf und öffne das Fenster. Die Luft, die mir leicht ins Gesicht weht, ist angenehm kühl und rein. Ich schließe die Augen und atme tief durch. Mein Gesicht wird von dem nun sturzbachartigen Niederschlag befeuchtet. Es fühlt sich an, als würde er meine Haut verführerisch streicheln. Ich merke, dass Lust und Verlangen in mir aufsteigen. Verlangen nach Tais Körper, nach seinen Berührungen. Umhüllt von dessen Duft lasse ich mich fallen, gebe mich ihm hin und genieße das Prickeln auf meiner Haut, welches durch seine Finger und die Küsse seiner feuchten Lippen ausgelöst wird. Ich spüre seinen unregelmäßigen, heißen Atem in meinem Nacken. Ein Schauer überkommt mich und treibt meine Erregung weiter an. Um ein Stöhnen zu unterdrücken, beiße ich mir fest auf die Lippen, doch es gelingt mir nicht ganz. Ein leiser Seufzer durchzieht die Stille. Ich öffne meine Augen. Das Gewitter scheint seinen Höhepunkt erreicht zu haben und geht in friedlichen, gleichmäßigen Regen über. Ich drehe mich vom Fenster weg und blicke mich in dem leeren Raum um. Es ist alles vertraut und doch so fremd. Teilnahmslos bewege ich mich auf den Player zu und schalte ihn ab. Aus meiner Schultasche krame ich eine Packung Taschentücher hervor, dann verschaffe ich meiner noch andauernden Erregung Befriedigung. Erschöpft und müde verlasse ich mein Zimmer in Richtung Bad, entsorge den Zellstoff, wasche meine Hände und sehe in den Spiegel. Leblose Augen blicken mir entgegen. Generell sieht die Person auf der anderen Seite nicht sehr gesund aus, als würde die Lebenskraft allmählich vollends aus ihr entweichen. Mit einer Mischung aus Ekel und Mitleid, die in mir aufsteigen, wende ich mich angewidert ab und gehe zurück in mein Zimmer. Dort hole ich fünf Schlaftabletten aus meiner Schultasche, schluck sie mit etwas Wasser herunter und lege mich, die Decke über den Kopf ziehend, in mein Bett. Draußen höre ich noch immer den beruhigenden Klang des Regens. Vermutlich ist mein Teppich aufgrund des geöffneten Fensters bereits hinreichend durchnässt, doch das interessiert mich nicht. Ich möchte einfach nur noch weg. Vor allem weg von mir selbst. Nach einer Weile fallen mir die Augen zu und ich verliere das Bewusstsein. Das Sonnenlicht im Zimmer blendet mich und schmerzt in meinen Augen, als ich sie verschlafen zu öffnen versuche. Ich drehe mich in meinem Bett und werfe einen Blick auf den Wecker. Erneut muss ich feststellen, dass der Nachmittag bereits vorangeschritten ist und die Sonne bald wieder untergehen dürfte. Ich setze mich auf, schaffe es jedoch nicht, aufzustehen. Mein Kopf pulsiert, als würde er gleich zerspringen wollen. Ich halte ihn mit den Händen fest und presse sie gegen die Schläfen, als könnte ich so die Schmerzen kontrollieren und eindämmen. Kaum Herr meiner Sinne taumele ich durch das Zimmer zu meiner Schultasche, aus welcher ich hektisch die Schmerzmittel hole. Mit zitternden Fingern entnehme ich zwölf Tabletten und schlucke sie gierig mit dem Wasser aus meiner Flasche herunter. Ich atme tief durch, versuche ruhig zu werden. Wackelig stehe ich auf, ergreife zuvor allerdings noch die Zigaretten und das Feuerzeug aus meiner Tasche und schleppe mich zu dem noch geöffneten Fenster. Dort entzünde ich einen Stängel meines neuen Beruhigungsmittels und ziehe den Rauch tief ein. Die Luft draußen ist schwül und drückend und der Asphalt noch nicht restlos getrocknet. Anscheinend hat es noch lange geregnet, vermutlich bis weit in den Tag hinein. Mir fällt auf, dass ich sowohl Tai als auch meinen Vater seit Tagen nicht mehr gesehen habe. Eigentlich muss ich mir jedoch eingestehen, dass ich selbst nicht viel von den letzten Tagen mitbekommen habe. Ich kann mich nicht erinnern, dieses Zimmer überhaupt einmal verlassen zu haben, außer um ins Bad zu gehen. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich und es stellt sich mir die Frage, ob ich gerade auf dem besten Weg dahin bin, vollends die Kontrolle über mich und mein Leben zu verlieren. Aber beängstigt mich das wirklich? Letztlich ist es nichts anderes als Selbstzerstörung und genau das ist mein Ziel. Ich werfe die aufgerauchte Zigarette aus dem Fenster und lehne dieses an. Unschlüssig stehe ich in meinem Zimmer. Mir fehlen Kraft und Motivation, um etwas zu tun, doch andererseits gibt es kaum Schlimmeres als Langeweile. Ich setze mich auf das Bett und starre auf den Teppich vor mir. Für einen Augenblick ziehe ich in Erwägung Tai anzurufen, verwerfe den Gedanken aber gleich wieder. Seine Nähe würde mir jetzt wahrscheinlich schnell zu viel werden. Ohne darüber nachzudenken, schalte ich den Fernseher ein und lege mich auf das Sofa. Von dem Programm bekomme ich kaum etwas mit, da mein Gehirn derzeit nicht aufnahmefähig ist und mir immer wieder die Augen zufallen. Mein Bewusstsein ist gerade dabei, die Realität zu verlassen, als es unsanft von der Türklingel zurückgerissen wird. Ich überlege, liegen zu bleiben, stehe nach dem dritten Läuten aber doch auf. Gähnend laufe ich durch den Flur. Als ich die Tür öffne, blicke ich direkt in die Augen meines Klassenlehrers. Wie angewurzelt stehe ich vor ihm, unfähig ein Wort zu sagen. „Hallo, Yamato“, begrüßt er mich freundlich. „Hallo“, gebe ich unsicher zurück. Ich bemerke seinen Blick, der bestürzt über meinen nackten Oberkörper gleitet. Für einen Moment scheint mein Herz stehen zu bleiben. In der Erwartung, Tai die Tür zu öffnen, hatte ich darauf verzichtet, mir ein Hemd überzuziehen. Am liebsten würde ich vor Scham im Boden versinken. Ich schaue unruhig zur Seite. Nach einer gefühlten Ewigkeit bricht mein Lehrer das unangenehme Schweigen. „Ich wollte mit deinem Vater reden.“ Das hatte ich befürchtet. „Tut mir leid, der ist nicht da.“ Ich hoffe, ihn mit dieser Antwort zum Gehen zu bewegen. „Wann kommt er denn zurück?“, fragt er jedoch hartnäckig. „Ich weiß es nicht. Er hat keine festen Zeiten.“ Das ist nur die Halbwahrheit, denn eigentlich kommt er meist um die gleiche Zeit nach Hause, doch ohne diese Notlüge würde ich meinen Lehrer vermutlich nicht so schnell loswerden. „Darf ich dann hier auf ihn warten?“ Jetzt schaue ich ihn entgeistert an. Am liebsten würde ich ihn anschreien und ihm die Tür vor der Nase zuschlagen. Stattdessen bedeute ich ihm einzutreten. Ich schließe die Tür und zeige meinem Lehrer den Weg zum Wohnzimmer. Dort nimmt er auf dem Sofa Platz. „Möchten Sie etwas trinken?“, frage ich höflich. „Danke, etwas Wasser genügt.“ Er schaut sich interessiert im Raum um. Angespannt gehe ich in die Küche, um das gewünschte Wasser zu holen, zuvor ziehe ich mir in meinem Zimmer allerdings ein Hemd über. Als ich das Glas auf den Tisch stelle, richtet mein Lehrer wiederholt das Wort an mich. „Wie geht es dir eigentlich, Yamato?“ Ich setze mich ihm gegenüber auf den Sessel. „Gut.“ Kaum habe ich es ausgesprochen, ärgere ich mich über meine Dummheit, denn die Antwort kam viel zu schnell, um glaubwürdig zu sein. „Das freut mich zu hören“, entgegnet er, doch seine Skepsis ist ihm deutlich anzumerken. Erneut mustert er mich. An seiner Mimik kann ich erkennen, dass er selbst unsicher ist, was er denken soll, ob er mich verurteilt oder lieber bemitleiden sollte. Dasselbe frage ich mich auch gerade, werde jedoch von den Geräuschen im Flur abgelenkt. Schritte nähern sich dem Wohnzimmer, dann steckt mein Vater seinen Kopf zur Tür herein. „Yamato, seit wann… oh… guten Tag.“ Irritiert sieht mein Vater zwischen dem Besucher und mir hin und her. Ich stehe auf, verbeuge mich flüchtig vor meinem Lehrer und bleibe vor meinem Vater stehen. „Das ist mein Klassenlehrer und er möchte mit dir sprechen“, kläre ich ihn auf, dann verlasse ich fluchtartig den Raum. Ich stehe am Fenster und rauche eine Zigarette, als es an der Tür klopft und kurz darauf mein Vater das Zimmer betritt. Als er mich sieht, wandelt sich sein Gesichtsausdruck in Erstaunen. „Du rauchst?“ Seine Augen ruhen weiter auf mir, als er auf meinem Bett Platz nimmt. „Ja“, gebe ich offen zu, da Leugnen in Anbetracht der Situation ziemlich dämlich wäre. „Ich sage dir ganz ehrlich, dass es mir nicht gefällt, aber verbieten kann ich es dir nicht. Zum einen, weil du es dir nicht verbieten lassen würdest, und zum anderen, weil ich selbst gelegentlich eine Zigarette rauche.“ Ich schweige und inhaliere den Rauch tief. „Ich nehme an, du weißt, warum ich eigentlich hier bin, oder, Yamato?“ Sein Tonfall ist ernst. Ich nicke und werfe den letzten Rest der Zigarette aus dem Fenster. Dann setze ich mich neben meinen Vater auf das Bett. „Es geht um die Schule. Nicht schwer zu erraten, wenn mein Klassenlehrer sich extra die Mühe macht und zu uns nach Hause kommt.“ „Er ist besorgt um dich.“ „Das ist nicht seine Aufgabe.“ „Aber dir etwas beizubringen. Doch das kann er nicht, wenn du mit Abwesenheit glänzt.“ Ich schaue meinen Vater genervt an. „Yamato, denkst du denn gar nicht mehr an deine Zukunft? Du solltest…“ „Nein“, unterbreche ich ihn. Er schaut mich fragend an. „Ich werde keine Zukunft haben, Papa.“ Mein Tonfall lässt erkennen, dass ich diese Worte aus tiefster Überzeugung gesagt habe. Bestürzung ist im Gesicht meines Vaters zu erkennen. Für einen Moment sitzt er mir schweigend und reglos gegenüber, dann löst er sich aus seiner Starre und legt mir seine Hand in den Nacken. „Ist das gerade eine Selbstmordandrohung? Ich hatte dir vor einiger Zeit etwas dazu gesagt. Erinnerst du dich?“ „Willst du mich jetzt wieder wegsperren lassen?“ „Sag du es mir. Ist es notwendig?“ „Wann wäre es in deinen Augen denn notwendig?“ „Wie ich damals sagte, wenn du für dich oder andere eine Gefahr darstellst.“ Ich sage nichts und schaue mit einer Mischung aus Verärgerung und Sorge nach unten. Mein Blick fällt auf den Blutfleck, den Tai mir als bleibende Erinnerung gelassen hat. „Hältst du mich für unzurechnungsfähig?“, frage ich leise. Verwundert schaut mich mein Vater an. „Wie kommst du darauf?“, will er wissen. „Bitte antworte. Und zwar ehrlich.“ Ein unterschwelliges Flehen ist meiner Stimme zu entnehmen sowie die Angst vor der Antwort. Ich schaue weiterhin zu Boden und spüre, wie die Hand meines Vaters von meinem Nacken zu meinem Rücken gleitet und beruhigend darüber streicht. „Zugegeben, es gibt Situationen, in denen ich das wirklich denke. Beispielsweise als der, sagen wir mal, Unfall mit Tai passierte.“ „Warum hast du damals nicht gehandelt?“ Ein Seufzen entweicht meinem Vater. Er fährt sich mit der freien Hand über das Gesicht. „Ich weiß es nicht. Es wäre eigentlich meine Pflicht gewesen.“ Schuldbewusst sieht er mich an, dann wandelt sich sein Ausdruck in Besorgnis. „Du bist mein Sohn. Ich will dich nicht einfach wegsperren. Ich will für dich da sein. Und dir helfen. Nur…“ „Du kannst es nicht“, unterbreche ich ihn. „Nein, vermutlich nicht.“ Wieder herrscht einen Moment lang belastende Stille. „Tai hält mich auch für unzurechnungsfähig.“ Es fällt mir schwer, diesen Satz möglichst sachlich klingen zu lassen. „Aus welchem Grund?“, fragt mein Vater erstaunt. „Habe ich vergessen“, kommt umgehend die Lüge über meine Lippen. „Aber selbst ich zweifle mittlerweile an mir.“ „Wie meinst du das?“ Ich schweige. Dann sehe ich ihn ausdruckslos an. „Ich habe manchmal das Gefühl, nicht mehr ich selbst zu sein, die Kontrolle zu verlieren. Was ist, wenn der Wahnsinn irgendwann überhandnimmt und ich…“ Die Verzweiflung droht mich zu überwältigen, als mein Vater mich plötzlich zu sich zieht und die Arme beschützend um mich legt. Mit einer Hand streichelt er mir einfühlsam durch das Haar. „Nein. Nichts dergleichen wird passieren!“, sagt er eindringlich, doch unterschwellig schwingen Zweifel mit. Ich liege mit offenen Augen zur Decke starrend in meinem Bett. Viele Ereignisse und Gespräche der letzten Zeit gehen mir durch den Kopf, doch es sind nur Fetzen, die ich schwer greifen und nicht zusammensetzen kann. Ich bereue, keine Tabletten zum Schlafen genommen zu haben. Es war blauäugig, zu denken, dass es auch ohne geht. Meine Haut kribbelt und ich spüre sie überdeutlich. Es fühlt sich an, als wäre sie nicht meine Haut. Zu Eng. Zu unpassend. Ich drehe mich auf die Seite, nur um mich kurz darauf wieder auf den Rücken zu legen. Meine Müdigkeit führt zu quälenden Kopfschmerzen. Ich vergrabe meinen Kopf unter dem Kissen und hoffe, dadurch zu ersticken. Nur leider weiß ich, dass dies nicht möglich ist. Kalter Schweiß bildet sich auf meiner Haut und ein unbestimmtes Gefühl der Angst stellt sich ein, welches sich rasch zur Panik steigert. Meine Atmung geht unkontrolliert und stoßweise, mein Herz hämmert schnell und schmerzhaft gegen meine Brust. Ich versuche aufzustehen, bin jedoch für einen Moment wie gelähmt. Kurz überlege ich, nach meinem Vater zu rufen, verwerfe den Gedanken aber. Ich möchte nicht, dass er sich noch mehr Sorgen macht. Das ist mein Problem, mit dem ich allein fertigwerden muss. Ich versuche, tief durchzuatmen und mich ein wenig zu beruhigen. Nachdem ich mich wieder halbwegs im Griff zu haben scheine, stehe ich langsam auf. Sofort knicken mir die Beine weg und ich lande unsanft auf dem Boden. Schwindel überkommt mich und lässt mich leicht verschwommen sehen. Mit viel Anstrengung schaffe ich es, zu meiner Schultasche zu gelangen. Ungeschickt und umständlich gelingt es mir, sämtliche Tabletten aus einer Packung des Schlafmittels herauszudrücken. Einige schlucke ich sofort ohne Wasser herunter, die anderen halte ich fest in der Hand. Mit großem Kraftaufwand bewege ich mich zurück zum Bett, ergreife meine Flasche und schlucke die restlichen Tabletten herunter. Dann bleibe ich auf dem Boden liegen. Ein Blick aus dem Fenster verrät mir, dass der neue Tag bereits begonnen hat. Die Sonne vertreibt die Dunkelheit der Nacht und die Vögel zwitschern laut und wild durcheinander. Ich versuche mich so wenig wie möglich zu bewegen, bis die Wirkung einsetzt, um unkontrolliertes Verhalten zu vermeiden. Hin und wieder beginnt mein Bein zu zucken, das widerliche Gefühl meiner Haut besteht weiterhin, der Schwindel nimmt sogar zu. Meine Umgebung verzerrt sich und ich glaube fast auf einem Schiff und nicht in meinem Zimmer zu sein. Ich versuche aufzustehen, falle aber immer wieder um, da ich das Gleichgewicht nicht halten kann. Nach einer gefühlten Ewigkeit des Kampfes bleibe ich kraftlos liegen. Ich überlege, ob es dieses Mal ein paar Tabletten zu viel waren und ob diese Dosis reicht, um zu sterben, komme jedoch zu dem Schluss, dass es zu wenig gewesen sein dürfte, auch wenn die Nebenwirkungen gerade alles andere als harmlos und lustig sind. Aber immer noch besser als mein vorheriger Zustand. Müde fallen mir die Augen zu und ich bleibe totengleich auf meinem Teppich liegen. Ich sitze gerade an meinem Schreibtisch und mache Notizen in mein Buch, als mein Vater, ohne zu klopfen, mein Zimmer betritt. „Wir müssen reden, Yamato.“ Er schaut mich ernst an. Ich schließe mein Buch und drehe mich zu ihm, bleibe aber auf meinem Stuhl sitzen. Bei seinem Tonfall bin ich auf das Schlimmste gefasst. „Worum geht es?“, frage ich gespielt gleichgültig. „Tais Eltern haben angerufen. Dein Lehrer war auch bei ihnen. Frau Yagami erzählte mir, dass sie noch nicht einmal wusste, dass Tai nicht mehr zur Schule geht.“ „Er war ja auch meistens hier“, bemerke ich beiläufig. „Eben.“ Sein Blick ist leicht vorwurfsvoll. „Worauf willst du hinaus?“ „Sie möchte Tais Kontakt zu dir vorerst unterbinden. Und sie möchte, dass ich sie dabei unterstütze.“ Meine Augen weiten sich. „Wie bitte? Aber du wirst doch nicht darauf eingehen, oder?“ „Doch, Yamato. Das muss ich sogar, wenn ich euer beider Wohl im Sinn habe.“ Mein Vater macht ein paar Schritte auf mich zu. „Bleib, wo du bist!“, schreie ich ihn zornig an, doch er kommt weiter auf mich zu. „Bleib stehen, habe ich gesagt!“ Ich erhebe mich und funkele ihn wütend an. „Yamato, sei bitte vernünftig.“ Der Tonfall meines Vaters ist jetzt strenger. „Vernünftig? Wozu?“ Verzweiflung überkommt mich und ich gehe in Abwehrhaltung. Als er mir direkt gegenüber steht und versucht, mich in eine Umarmung zu ziehen, stoße ich ihn hasserfüllt von mir, sodass er beinahe das Gleichgewicht verliert und zu Boden fällt. „Fass mich nicht an!“, speie ich ihm entgegen, doch meine Stimme versagt fast, als Tränen meine Augen füllen. Resolut ergreift mein Vater meinen Arm. „Yamato!“, sagt er laut und bestimmt. „Beruhige dich und lass uns vernünftig darüber reden.“ „Nein!“ Ich versuche mich aus der Umklammerung zu lösen, ohne Rücksicht darauf, ob ich ihn verletzen könnte. „Ich will mich nicht beruhigen. Und mit dir reden will ich schon gar nicht! Geh! Geh, verdammt nochmal und lass mich allein!“ „Und dann? Was passiert dann?“ Ich sage nichts, doch das ist für meinen Vater Antwort genug. „Du weißt, dass ich dich in solchen Momenten nicht allein lasse. Entweder du nimmst mit mir vorlieb oder ich rufe den Notarzt und lasse dich einweisen. Du hast die Wahl.“ „Warum tötest du mich nicht einfach? Das wäre die barmherzigste Lösung. Wenn du mir Tai wegnimmst, ist sowieso alles egal. Los, töte mich!“ Ich ergreife seine freie Hand und führe sie zu meinem Hals. „Drück zu. Bitte!“ Mein Hass wandelt sich in Verzweiflung und ich sehe ihm mit tränennassem Gesicht in die Augen. Entsetzen und Angst spiegeln sich darin wider. Langsam zieht er seine Hand zurück und legt sie behutsam um meinen Körper. Dann zieht er mich in eine feste Umarmung. Laut weinend breche ich zusammen, sodass er Mühe hat, mich aufrecht zu halten. „Bitte, nimm ihn mir nicht weg! Bitte! Was bin ich denn noch ohne ihn? Bitte!!! Bitte!! Bitte! Bitte.“ Mit jedem Wort wird meine Stimme leiser, bricht schließlich vollends ab und weicht hemmungslosen Schluchzern. Mein Vater versucht mir Halt zu geben, ist aber unfähig etwas zu sagen. Der Weinkrampf ist so heftig, dass ich glaube zu ersticken. Ich versuche zu atmen, schaffe es aber nicht. Besorgt versucht mein Vater mich zu beruhigen. „Yamato, versuche langsam aus- und einzuatmen. Du hyperventilierst.“ Er schaut sich im Zimmer um, lässt mich kurz los, um aufzustehen, und kommt mit einer Papiertüte zurück. „Atme hier hinein“, weist er mich an und hält mir die Tüte vor den Mund. Nach einer Weile normalisiert sich meine Atmung, doch ich schaffe es nicht, meine Tränen unter Kontrolle zu bringen. Ich fühle mich leer. Mein Vater redet beruhigend auf mich ein, doch ich höre ihn nicht. In meinen Gedanken bin ich bereits an einem anderen Ort. „Yamato, das bringt doch nichts! Seit Tagen liegst du im Bett, isst nichts, trinkst kaum und wenn du nicht gerade schläfst, starrst du apathisch ins Nichts.“ Mein Vater sitzt am Bettrand und schaut mich besorgt an. Ich reagiere nicht auf seine Worte und schaue unbeteiligt zur Decke. „Ignorierst du mich absichtlich, aus Trotz, oder bist du gerade wirklich in einer anderen Welt und hörst mich nicht?“ Ich verstehe ihn, bin aber unfähig zu antworten. Es kommt mir vor, als wäre ich in Watte gepackt und alles um mich herum ist dumpf und verschleiert. „Yamato!“ Mein Vater schüttelt mich leicht am Oberkörper, vermutlich in der Hoffnung, mich aus meiner Starre zu lösen. „Ich bitte dich! Oder willst du wirklich sterben, dich auf diesem Weg zugrunde richten? Du weißt, dass ich das nicht zulasse. Ich werde dich in die Obhut der Klinik geben, wenn du in den nächsten Stunden kein aktives Lebenszeichen von dir gibst.“ Seine Stimme klingt brüchig, als fiele es ihm schwer, die Tränen zurückzuhalten. „Ich sehe, dass du von Tag zu Tag schwächer wirst. Du siehst schlecht aus. Schon beinahe wie eine Leiche, abgemagert und blutleer. Verstehst du mich? Ich werde dich nicht sterben lassen. Ich liebe dich, mein Sohn! Und ich will dich nicht verlieren!“ Er schafft es nicht mehr, seine Fassung zu wahren, und beginnt zu weinen. Eine Reaktion meinerseits bleibt aus. Ich sitze in der Küche und trinke Kaffee. Gedankenverloren schaue ich aus dem Fenster. Noch ist das Laub der Bäume grün, doch der Sommer neigt sich langsam dem Ende zu. Die Temperaturen sind bereits leicht zurückgegangen, aber für meinen Geschmack ist es trotzdem zu warm. Mir wird bewusst, dass die Zeit unmerklich rasend schnell vergeht. Es ist bereits über eine Woche her, dass ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Mein Vater hatte seine Drohung tatsächlich wahr gemacht und mich einweisen lassen. Dort wurde ich eine Woche lang zwangsernährt, eine halbe Woche später haben sie mich gegen ärztlichen Rat gehen lassen, weil ich darauf bestanden habe. Dadurch, dass ich meinem Vater Besserung versprach, stimmte er letztlich meiner Entlassung zu. Allerdings ist das mit Auflagen verbunden. Wenn er abends von der Arbeit kommt, wird gemeinsam gegessen. Es gibt keine Ausrede oder Ausnahme und ich muss die von ihm zugeteilte Portion aufessen. Letztlich kann ich ihn verstehen, aber dadurch, dass ich lange Zeit kaum feste Nahrung zu mir genommen habe, spielt nun mein Verdauungstrakt verrückt, begleitet von ständiger Übelkeit, Völlegefühl, Sodbrennen sowie Magen- und Bauchschmerzen. Unangenehmerweise muss ich es ertragen, wenn ich nicht wieder zurück in die Klinik will, denn der Aufenthalt würde mit Sicherheit um einiges länger ausfallen. Plötzlich kommt Tai mir in den Sinn. Es ist mittlerweile mehr als ein Monat vergangen, seit wir uns das letzte Mal sahen. Damals versprach ich, ihn zu töten, bevor ich ihn darum bat, mich zu töten. Im Nachhinein erkenne ich den Widerspruch, doch die Verzweiflung von damals kann ich noch heute schmerzlich spüren. Ich nehme einen Schluck von meinem Kaffee, der inzwischen erkaltet ist. Mit einem Blick nach draußen sehe ich, dass die Dämmerung langsam einsetzt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis mein Vater nach Hause kommt und mich wieder zu mästen beginnt. Nervös stehe ich vor der Tür der Yagamis. Mein Zeigefinger betätigt kurz den Klingelknopf, dann warte ich. Ich habe ein flaues Gefühl im Magen, wahrscheinlich Angst, dass ich abgewiesen und weggeschickt werde, ohne dass ich die Möglichkeit hatte, Tai zu sehen, geschweige denn mit ihm zu reden. Es dauert einen Moment, dann öffnet Frau Yagami und blickt mir direkt in die Augen. „Yamato“, sagt sie überrascht. „Hallo“, entgegne ich verlegen. „Wie geht es dir? Möchtest du reinkommen?“ Sie bedeutet mir einzutreten. Ich schüttele den Kopf. „Danke, aber…“ Ich stocke, dann stelle ich hörbar unsicher meine Frage. „Ist Tai da?“ Tais Mutter schaut mich bedauernd an. „Tut mir leid, er hat heute nach der Schule noch Fußballtraining. Es wird wohl spät werden.“ „Verstehe.“ Ich schaffe es nicht, die Enttäuschung in meiner Stimme zu verbergen. Mit einer kurzen Verbeugung verabschiede mich, dann wende ich mich zum Gehen. Den Rücken an den Gitterzaun des Fußballplatzes gelehnt, schaue ich der Mannschaft meines Freundes beim Training zu. Sie scheinen gerade Elfmeter zu üben, da sie sich hintereinander aufgestellt haben und nacheinander Schüsse auf das Tor abgeben. Tai steht lachend mit ein paar Kameraden weiter hinten in der Reihe. Einer von ihnen klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter, während ein anderer ihm kräftig durch die Haare wuschelt. Eifersucht ergreift Besitz von mir. Die Vorstellung, dass für Tai noch andere Menschen außer mir existieren, Menschen, die ihn zum Lachen bringen, bei denen er sich wohlfühlt, lässt Übelkeit, Wut und den Wunsch, ihn brutal an mich zu binden, in mir aufsteigen. Ich balle meine Faust und warte auf den Schmerz, der durch meine sich in das Fleisch bohrenden Fingernägel verursacht wird und mich ein wenig beruhigen soll. Ich schließe die Augen und atme tief durch. Am liebsten würde ich jeden, der Tai zu nahe kommt, töten. Ich mustere ihn sehr genau, als sich unsere Blicke treffen. Er hält inne und bleibt unbewegt stehen. Dann wird er von hinten angestoßen, wodurch seine Aufmerksamkeit wieder von mir abgelenkt wird. Ich überlege zu gehen, entscheide mich jedoch dagegen und lasse mich auf einer der Bänke nieder. Die Sonne steht tief am Himmel und ist gerade im Begriff unterzugehen. Meine Augen ruhen während des gesamten restlichen Trainings auf dem Körper meines Freundes, seinen kräftigen Beine, dem muskulösen Oberkörper, der bronzefarbenen Haut. Er ist schön. Ich möchte ihn berühren, von ihm berührt werden. Erregung steigt in mir auf. Immer wieder bemerke ich, wie Tai verstohlen zu mir hinüberblickt. Als der Trainer das Training beendet, ist die Dämmerung fast in Dunkelheit übergegangen. Die Spieler gehen zu den Umkleidekabinen, um zu duschen und sich für den Heimweg umzuziehen. Umringt von drei anderen Jungs geht auch Tai in diese Richtung. Ich bleibe auf der Bank sitzen und schaue zum Himmel. Die ersten Sterne werden allmählich sichtbar. „Was machst du hier?“, höre ich die Stimme meines Freundes hinter mir fragen. Ich drehe mich um und sehe, dass Tai noch immer sein Trikot trägt und offenbar nur schnell seine restlichen Sachen aus der Kabine geholt hat. „Willst du gar nicht duschen?“, entgegne ich, ohne seine Frage zu beachten. „Das kann ich auch zu Hause noch machen“, winkt er ab und setzt sich neben mich. „Du gehst wieder zur Schule und zum Training, wie ich sehe.“ „Ja.“ „Hast du Spaß?“ „Was?“ Der Frage ist seine Verwirrung deutlich anzuhören. „Wären wir nicht gerade in der Öffentlichkeit, würde ich dich jetzt nehmen. Ich würde dir jeden Gedanken aus deinem hübschen Köpfchen vögeln, bis du an nichts außer mich denken kannst.“ Mein Tonfall ist ruhig, beinahe kühl und ich schaue ihn nicht an, sondern auf den Rasen vor meinen Füßen. „Wir können ja an einen weniger öffentlichen Ort gehen“, kommt Tais Antwort eindruckslos. Ich stehe auf und entferne mich ein paar Schritte von der Bank. „Okay, wohin?“ Mein Freund erhebt sich ebenfalls und deutet auf das Schulgebäude. „Dort dürfte jetzt kaum noch jemand sein. Die Toiletten im dritten Stock.“ Schweigend laufen wir nebeneinander über den Sportplatz. Als wir den Eingangsbereich betreten, beende ich die Stille zwischen uns. „Ohne mich geht es dir besser, oder?“ „Wie kommst du darauf?“ „Es sah so aus. Ich scheine dir nicht besonders gefehlt zu haben.“ „Wenn du meinst.“ Die gleichgültige Art meines Freundes irritiert mich. Will er mich herausfordern, wütend machen oder hat er inzwischen genug von mir? Wir erreichen ohne einen weiteren Wortwechsel den dritten Stock. Zielstrebig gehen wir auf die Toiletten zu. Ich betrete zuerst den Raum, gefolgt von Tai. Ohne darüber nachzudenken, ziehe ich ihn in eine der Kabinen und schließe ab. Unsanft drücke ich ihn mit der Vorderseite zur Wand und ziehe mit einer Hand seine Shorts nach unten. Dann beginne ich meine Hose zu öffnen. „Yamato, warte“, bittet Tai plötzlich. „Warum?“ Während dieser Frage lasse ich meine Hose samt Unterhose an meinen Beinen hinab gleiten und ziehe das Becken meines Freundes näher an mich heran, während ich seinen Oberkörper mit meiner anderen Hand stärker gegen die Wand drücke. „Du meintest deine Worte tatsächlich ernst?“ Eine Mischung aus Unglauben und Bestätigung ist Tais Stimme zu entnehmen. Ohne Vorbereitung und mit einem kräftigen Stoß, der auch mir Schmerz bereitet, dringe ich in ihn ein. Ein unterdrücktes Stöhnen entweicht der Kehle meines Freundes und er versucht vergeblich seine Hände in dem Material der Wand zu vergraben. „Hattest du wirklich geglaubt, ich bluffe? Liebling, du solltest mich langsam besser kennen.“ Ich hebe meine linke Hand und streiche ihm sanft mit meinen Fingern durch sein braunes Haar, die andere Hand lasse ich um seine Taille geschlungen, um unsere Bewegungen besser koordinieren zu können. „Du bist wieder in einer deiner unzurechnungsfähigen Phasen, Yamato. Weißt du überhaupt, was du gerade tust?“ Tais Worte werden immer wieder von seinem Keuchen unterbrochen. Schweißperlen beginnen auf seinem sehnigen Rücken zu glänzen. „Ja, ich schlafe mit der Person, die ich liebe.“ Meine Stöße werden ebenso wie mein Stöhnen intensiver. „Verkrampf dich nicht so, Taichi. Dann tut es weniger weh.“ Ich hauche einen Kuss auf sein Schulterblatt und sauge dabei tief seinen Duft in mich ein. „Das ist nicht so einfach, wenn du mich so brutal gegen die Wand drückst. Außerdem tut es gar nicht so sehr weh.“ „Gib mir deine Hand. Wenn du sie drückst, wird das mehr bringen, als wenn du versuchst ein Loch in die Wand zu graben.“ Er reicht sie mir und es scheint, als wolle er sämtliche Blutzufuhr in meinem Arm unterbinden. Unsere Bewegungen werden schneller. Meine Kleidung klebt durch den Schweiß an meinem Oberkörper und der Raum ist von unserem Stöhnen erfüllt. „Ich will, dass du nur noch an mich denkst. Ich werde dich so lange ficken, bis alle anderen Gedanken aus deinem Kopf verschwunden sind.“ Die Beine meines Freundes beginnen zu zittern und ich muss einiges an Kraft aufbringen, um ihn aufrecht zu halten. Ich stoße kräftiger zu und glaube ein Zusammenzucken von Tais Körper zu spüren. Sein Atem geht schwer, ebenso wie mein eigener. Dann bemerke ich eine leichte Feuchtigkeit im Lendenbereich und ziehe mich aus Tai zurück. Wir sacken beide erschöpft auf die kalten Fliesen, mein rechter Arm liegt noch immer um die Taille meines Freundes. Dieser schaut mich an, sagt jedoch kein Wort. Sein Brustkorb hebt und senkt sich hektisch. Ich versuche meine eigene Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Mein Puls rast und spiegelt sich pulsierend in meinem Kopf wieder. Liebevoll streiche ich meinem Freund eine Strähne seines verschwitzten Haares aus dem Gesicht. „Wie geht es dir?“, frage ich besorgt, als er eine Weile nur reglos dasitzt und mich ausdruckslos ansieht. „Gut.“ Tai beugt sich vor und haucht mir einen Kuss auf die Lippen, dann flüstert er in mein Ohr: „Yamato, ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr, dass es wehtut. Und du weißt das. Dafür brauchst du mich nicht beinahe zu vergewaltigen.“ Er lächelt mich an. „Gut, dann sieh es als Rache für unseren letzten Sex“, grinse ich zurück. Ich sitze auf einem Platz am Fenster und schaue hinaus. Der Lautstärkepegel dieser Klasse ist noch höher als der meiner alten Klasse. Langsam zweifle ich an meiner Entscheidung, zur Schule zurückzukehren, doch mein Vater hat mir kaum eine andere Wahl gelassen. Ich unterliege zwar nicht mehr der Schulpflicht, aber er hat Recht damit, dass er noch immer für mich verantwortlich ist, und ich will ihm nicht noch mehr Kummer bereiten, als ich es ohnehin schon getan habe. Ein Junge, dessen Name ich nicht kenne, der aber offensichtlich in meine neue Klasse geht, kommt auf mich zu. „Hallo.“ Ich blicke ihn fragend an, erwidere aber den Gruß. „Du bist doch der Sänger von den ‚Teen-Age Wolves‘, oder?“ Ein Nicken meinerseits bestätigt seine Aussage. Er beugt sich zu mir hinab, bis seine Lippen so dicht an meinem Ohr sind, dass ich seinen Atem spüren kann. „Dann bist du also der, der es mit dem Fußballer, wie heißt er, Yagami, treibt“, flüstert er kaum hörbar. Ich schaue ihn entgeistert an. Für einen kurzen Moment bin ich wie gelähmt. Als ich die Bedeutung seiner Aussage verstanden habe, springe ich auf und ziehe ihn am Kragen zu mir. „Du bewegst dich auf verdammt dünnem Eis“, drohe ich ihm im Flüsterton. „Du streitest es ab? Du fickst also keine Männer in den Arsch? Dann lässt du dich lieber in den Arsch ficken?“ Ein süffisantes Lächeln legt sich auf seine Lippen. Die Beherrschung verlierend schlage ich ihm ohne Vorwarnung mit der Faust ins Gesicht. Mein Gegenüber ist unvorbereitet, verliert das Gleichgewicht und fällt mit einem lauten Krachen gegen einen der Tische, bevor er zu Boden geht und sich wimmernd die Wange hält. Ein paar der Mädchen aus meiner Klasse kreischen laut auf, einige Jungs kommen ihrem Klassenkameraden zu Hilfe. „Spinnst du?“, brüllt mich einer von ihnen an. Die anderen helfen dem Gefallenen wieder auf die Beine. Dessen Wange ist stark gerötet und es sieht so aus, als wäre sie geschwollen. Er legt seine Hand auf die Schulter des Jungen, der mich gerade angebrüllt hat, dann sieht er mich herausfordernd an. „Lass ihn. Der war nicht ohne Grund mehrfach in der Klapse.“ Eine Mischung aus Entsetzen und Ekel legt sich auf die Gesichter mancher meiner Mitschüler. Einige beginnen zu tuscheln, doch es ist so leise, dass ich sie nicht verstehen kann. „Das hast du dir doch nur ausgedacht“, wirft eines der Mädchen zaghaft ein. „Meinst du? Frag ihn doch.“ Der Junge, der mich als erstes provoziert hat, lacht mich gehässig an. „Yamato, stimmt das?“, kommt die Frage desselben Mädchens schüchtern in meine Richtung. Ich nicke und setze mich wieder an meinen Platz. „Er ist pervers und verrückt, ich habe es ja gesagt.“ Voller Wut balle ich meine Fäuste, bis es zu schmerzen beginnt. Mein Körper zittert vor Anspannung und ich zwinge mich, nicht wieder aufzustehen, um richtig gewalttätig zu werden. Als ich glaube, mich einigermaßen im Griff zu haben, wende ich mich noch einmal an ihn: „Dann solltest du besser aufpassen. Nicht dass ich irgendwann meine Perversität an dir auslebe oder dich in meinem Wahn töte.“ Mit einer Zigarette in der Hand stehe ich vor der Schule an die Mauer gelehnt. Nervös und schnell inhaliere ich den Rauch. Meine Hände zittern. Kurz hatte ich überlegt nach Hause zu gehen. Es ist unangenehm, unter so vielen Menschen zu sein, und der Vorfall in der Klasse hat meine Meinung nicht gerade verbessert. Letztlich habe ich mich meines Vaters wegen dagegen entschieden. Ich werfe die aufgerauchte Zigarette zu Boden und schließe müde die Augen. In der Nacht konnte ich kaum schlafen, da ich versuchen wollte, ohne Schlaftabletten auszukommen. Doch ich habe mich nur von einer Seite auf die andere gewälzt und wachte immer wieder kurze Zeit, nachdem ich eingeschlafen war, schweißgebadet auf. Mein Kopf schmerzt und ich drücke mit den Fingern gegen meine Augen. „Kopfschmerzen?“ Ich nicke, dann öffne ich meine Augen und schaue Tai an. „Willst du eine Tablette, ich habe oben in meiner Schultasche welche.“ „Danke, aber ich habe schon einige geschluckt. Sie helfen nicht.“ „Einige? Wie viele?“ Die Stimme meines Freundes klingt argwöhnisch. Ich schweige und zünde mir noch eine Zigarette an. „Du hast angefangen zu rauchen? Und deine Stimme?“ Als Antwort auf seine Frage zucke ich mit den Schultern. „Tut mir leid, ich hatte vergessen, dass Musik dir nichts mehr bedeutet. Aber du solltest aufpassen, dass du von keinem Lehrer erwischt wirst.“ „Lass das mal meine Sorge sein“, entgegne ich patzig. „Was ist denn los? Warum bist du so schlecht gelaunt? Weil du wieder zur Schule gehen musst?“ „Das auch.“ „Und was noch? Ist etwas vorgefallen?“ Tai greift mich am Ärmel und zieht mich zu sich. „Yama, was ist los?“ „Ein Klassenkamerad ist vorhin ausfallend geworden, da durfte er Bekanntschaft mit meiner Faust machen.“ „Was hat er denn gesagt?“, fragt Tai erstaunt. „Ob ich dich ficken würde.“ Mein Freund schaut mich ungläubig an, dann fängt er plötzlich an zu lachen. „Ist das dein Ernst?“ Offenbar denkt er, ich würde scherzen. Nachdenklich lege ich meine Hand an seine Wange und streiche zärtlich darüber. „Nein“, antworte ich schließlich. Dann gebe ich ihm einen Kuss, den er sogleich leidenschaftlich erwidert. Die Zigarette gleitet mir aus der Hand und ich umschlinge seine Taille, um Tais Körper näher an meinem zu spüren. Kapitel 6: ----------- Müde betrete ich die Wohnung. Meine Schuhe ziehe ich schwerfällig aus und lasse sie mitten im Flur liegen. Auch meine Schultasche werfe ich einfach irgendwohin. Mit dröhnendem Kopf schleppe ich mich in mein Zimmer und lasse mich auf das Bett fallen. Ich schaffe es nicht, meine Augen offen zu halten. Eigentlich würde ich gern meine Schuluniform ausziehen, da es ohne sie vermutlich bequemer ist, aber selbst dazu sehe ich mich nicht mehr in der Lage. Ich will nur noch schlafen. Schlafen, um der Realität zu entfliehen. Schlafen, um mir zu entfliehen. Es ist mitten in der Nacht, als ich aufwache. Anscheinend habe ich mich während des Schlafens nicht bewegt, denn ich liege noch genau so da, wie ich mich auf das Bett habe fallen lassen. Schlaftrunken setze mich auf und strecke mich, um meinen Körper etwas zu lockern. Dann sehe ich mich im Zimmer um. Es ist dunkel, nur ein wenig Licht von den Straßenlaternen scheint durch das Fenster herein. Mein Blick fällt auf meine Gitarre, die in der Ecke hinter der Tür steht. Es ist lange her, dass ich sie in der Hand hatte, dabei gab es Zeiten, in denen sie mir alles bedeutete. Schwerfällig erhebe ich mich und hole ein paar Schlaf- und Schmerztabletten aus meiner Tasche. Ich spüle sie zusammen mit meinen verordneten Medikamenten und ein paar Schlucken Wasser hinunter, dann nehme ich die Gitarre aus dem Ständer und setze mich richtig positioniert zurück auf das Bett. Kurz schlage ich einige Saiten an, anschließend spiele ich sehr sachte einzelne Akkorde. Wie gewohnt schließe ich die Augen und lasse die Töne auf mich wirken. Ein wenig fühle ich von dem, was die Musik mir früher bedeutete, doch die Emotionen sind deutlich zurückgegangen. Es fehlt der Schmerz, dieses tiefe Gefühl, welches ich brauche, um mich auf die Musik bedingungslos einlassen zu können und um Musik machen zu können, die auch andere Menschen erreicht und berührt. Aber möglicherweise könnte ich die Gitarre als Skill verwenden. Eine beruhigende Wirkung scheint das Spielen nach wie vor auf mich zu haben, denn die Medikamente dürften jetzt noch nicht wirken und trotzdem fühle ich mich leicht entspannt. Verhalten beginne ich ein paar Lieder meiner Band zu spielen und nach einer Weile auch vereinzelte Zeilen der Texte dazu zu singen. Eigentlich ist es mehr ein Flüstern, da ich unsicher bin und zudem niemanden wecken möchte. Mit der Zeit spüre ich, wie sich meine Wahrnehmung eintrübt. Die einzelnen Worte kommen mir nur noch stockend ins Gedächtnis und die Feinmotorik lässt nach, sodass ich es kaum schaffe, die Saiten richtig anzuspielen. Benommen stelle ich die Gitarre wieder an ihren Platz, ziehe unbeholfen meine Schulkleidung aus und lasse mich kraftlos in mein Bett fallen. Ich schaffe es kaum mehr, einen Gedanken zu fassen, als ich in eine tiefe Bewusstlosigkeit sinke. „Yamato! Hey, Yamato!“ Entfernt nehme ich wahr, dass jemand meinen Namen ruft, an meiner Decke zieht und meinen Körper leicht schüttelt. Ich bekomme die Augen kaum auf und es dauert einen Moment, bis ich meinen Vater erkenne. „Endlich“, seufzt er. „Du hast vielleicht einen festen Schlaf. Aber du musst aufstehen, die Schule fängt gleich an.“ Er richtet sich auf und will das Zimmer verlassen, im Türrahmen dreht er den Kopf jedoch noch einmal zu mir. „Du bist spät dran. Beeile dich! Ich gehe jetzt zur Arbeit. Bis heute Abend.“ Ich reibe mir die Augen, in der Hoffnung, etwas wacher zu werden, doch ich erreiche lediglich das Gegenteil. Verschlafen stehe ich auf und gehe in die Küche, um Kaffee aufzusetzen. Dann verschwinde ich ins Bad. Schnell ziehe ich meine Unterhose aus und drehe den Duschhahn auf. Prickelnd fließt das Wasser über meine Haut und wirkt entspannend auf die Muskulatur. Kurze Zeit bleibe ich reglos stehen, bevor ich das Wasser wieder abstelle und mir ein Handtuch um die Hüften wickle. Tropfnass gehe ich zurück in die Küche, um mir eine Tasse von dem inzwischen durchgelaufenen Kaffee zu holen, mit der ich in mein Zimmer gehe und sie auf dem Schreibtisch abstelle. Ich trockne mich ab und ziehe meine Schuluniform an. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich wahrscheinlich zu spät kommen werde. Pustend nehme ich einen Schluck von meinem Kaffee. Unschlüssig stehe ich an meinen Schreibtisch gelehnt. Ich ziehe in Erwägung, zu Hause zu bleiben, da ich sowieso keinen Sinn darin sehe, die Schule weiter zu besuchen. Meinem Vater zuliebe entscheide ich mich jedoch dagegen, nehme meine Tasche und verlasse eilig die Wohnung. Gerade als ich die Seite des Buches umblättern will, kommt ein kleiner zerknüllter Zettel angeflogen und trifft mich an der Hand. Ich verdrehe die Augen, da ich von solchen Kindereien gerne verschont bleiben würde. Dennoch entfalte ich das Papier. Darauf steht eine Aufforderung, nach dem Unterricht zu den Umkleiden der Sportmannschaften zu kommen. Ich seufze. Dann lasse ich die Nachricht auf den Boden fallen und schlage die aktuelle Seite im Buch auf, um dem Lehrer bei seinen Ausführungen folgen zu können. In der Mittagspause mache ich mich auf die Suche nach Tai. Als ich den Raum betrete, in dem er üblicherweise Unterricht hat, steht er gerade mit ein paar Mitschülern zusammen und unterhält sich angeregt. Zielstrebig gehe ich auf ihn zu. Ein Mädchen, mit dem ich letztes Jahr noch in eine Klasse ging, grüßt mich freundlich von der Seite. Ich nicke ihr kurz zu und bleibe hinter meinem Freund stehen. „Hey, Yamato. Schön dich mal wieder zu sehen“, spricht mich der Junge an, der Tai gegenüber auf einem der Tische sitzt. Auch ihn kenne ich von früher. Vielleicht wäre ich ebenfalls in dieser Klasse, wenn ich nicht wiederholen müsste. Tai hatte Glück und er darf trotz vieler Fehlzeiten versuchen den Abschluss zu machen. Bei mir war das allein aufgrund der Klinikaufenthalte nicht möglich. „Hallo“, antworte ich und berühre wie zufällig die Hand meines Freundes, als er sich lächelnd zu mir umdreht. „Yama, wir haben gerade…“, beginnt er, doch ich unterbreche ihn. „Hast du kurz Zeit?“ „Ja.“ Seine Miene wird ernst. Wir laufen den Flur entlang, ohne ein Wort zu sagen. Ich gehe die Treppen hinunter, bis wir im Keller angelangt sind, und bleibe vor dem Bandproberaum stehen. „Yama“, flüstert Tai. Er zieht mich am Ärmel zu sich und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. „Deswegen sind wir doch hier, oder?“ Als Antwort presse ich meinen Körper eng an seinen und umschließe ihn verlangend mit meinen Armen. „Ich werde dich jetzt nehmen“, raune ich ihm voller Begierde ins Ohr, während ich mit meinen Händen seine Hose öffne. Dann ziehe ich sie ein Stück herunter und drehe meinen Freund mit dem Gesicht zur Wand. „Warte.“ Der Einwand kommt, als ich gerade meine Shorts bis zu den Oberschenkeln heruntergelassen habe. Tai kniet sich vor mich. Als er beginnt mir einen zu blasen, lege ich meine Hände auf seinen Hinterkopf, um ihn dirigieren zu können. Mit seinem Mund steigert er meine Erregung so weit, dass ich ein leises Stöhnen nicht unterdrücken kann. Ich bedeute ihm aufzustehen. Der Lärm in den Gängen nimmt zu, was ein Zeichen dafür ist, dass die Pause sich dem Ende neigt. Mit meinem Arm drücke ich Tais Oberkörper erneut gegen die Wand, während ich ungehemmt in ihn eindringe. Ich stoße immer wieder kräftig zu, um meine Gier nach ihm zu stillen. Unsere Atmung ist stockend und schwerfällig. Ich steigere das Tempo meiner Bewegungen und erhöhe die Intensität meiner Stöße. Ein qualvoller Schrei entweicht Tais Kehle, den er aber sofort erstickt, indem er seinen Arm zu seinem Mund hebt und in den Unterarm beißt. Unerbittlich stoße ich härter und schneller zu, obwohl ich die Schmerzen meines Freundes bemerkt habe. Mein Keuchen wird lauter, das Hemd meiner Schuluniform beginnt durch den Schweiß an meinem Körper zu kleben. Einen Moment halte ich inne, dann lasse ich ab von Tai. Er zittert, seine Beine geben nach und er sinkt langsam, mir den Rücken zugewandt, zu Boden. „Du blutest“, sage ich und schaue zu ihm hinab. Umständlich steht mein Freund auf und sieht mir direkt in die Augen. Ich streiche liebevoll über sein feuchtes Haar, dann gebe ich ihm einen Kuss auf die Stirn. „Lass uns in den Bandraum gehen, dort gibt es ein Waschbecken.“ Etwas unbeholfen bewegt sich Tai zu der Tür, um sie zu öffnen. Ich lege seinen Arm über meine Schulter, um ihn zu stützen. Hinter uns schließe ich den Raum ab. Am Waschbecken säubere ich mich, dann helfe ich Tai. „Du hast sogar ziemlich stark geblutet“, stelle ich mit leichter Bestürzung fest. „Es hat auch noch nicht ganz aufgehört.“ „Hast du Gewissensbisse?“, lächelt Tai, aber man sieht an seiner Mimik, dass er noch immer Schmerzen hat. Ich schweige und nehme ein neues Papiertuch aus dem Spender. „Konntest du deine Befriedigung erlangen? Das war doch der Grund, weshalb du mich hierher geholt hast. Und es war auch der Grund für den extrem harten Sex, hab ich Recht?“ „Du gehörst mir!“ „Du bist besessen.“ Tai sieht mich ernst an. Ich stehe auf und umfasse mit meiner Hand seinen Hals. „Mag sein.“ Lüstern lecke ich über seine Wange. „Der Wahnsinn beherrscht dich gerade, Yamato.“ „Nein. Ich teile nur nicht gern.“ Ich verstärke den Druck auf die Hauptschlagader meines Freundes. „Aber du teilst mich nicht, nur weil ich mal mit jemand anderem rede. Darauf spielst du doch an, oder?“, sagt mein Freund, unterbrochen von Husten. „Du siehst dabei glücklich aus.“ Meine Stimme bricht ab und Tränen füllen meine Augen. Ich lasse Tai los. Er sieht mich an, dann zieht er mich zu sich in eine liebevolle Umarmung. „Ich liebe dich, Yamato.“ „Ich habe dich so hart genommen, weil ich tief in dir sein, dich ganz ausfüllen wollte. Du sollst mich spüren, das Verlangen, die Gier, die Schmerzen.“ Ich streiche sanft über den Arm meines Freundes, entlang der Narbe. „Fühlst du hier etwas?“ „Nur ein merkwürdiges Kribbeln.“ „Ich werde dir noch mehr antun, wenn du bei mir bleibst.“ „Ich weiß.“ Tai lächelt mich an und gibt mir einen Kuss auf die Wange. „Ich glaube, es hat aufgehört zu bluten. Tut es noch weh?“ „Ja, aber es geht schon. Solange ich noch normal laufen kann…“ Ein Grinsen huscht über seine Lippen, während er sich wieder ordentlich anzieht. „Du kannst hier ja noch ein wenig üben. Die Stunde können wir eh vergessen“, grinse ich zurück. „In den verschwitzten Sachen wäre ich sowieso nicht wieder zurück gegangen. Sonst könnten wir es beim nächten Mal gleich in aller Öffentlichkeit treiben.“ „Können wir, es scheint doch eh schon fast jeder zu wissen“, sage ich mit einem Schulterzucken. Verdutzt schaut Tai mich an. „Wie meinst du das?“ „Ich hatte dir doch von dem Typen in meiner Klasse erzählt. Keine Ahnung, woher er das mit uns weiß.“ Mein Freund sieht mich nachdenklich an. „Das könnte Probleme geben. Ich bin mir nicht sicher, ob die Jungs aus der Mannschaft so locker drauf sind. Noch scheinen sie nichts zu wissen.“ „Vielleicht sollte ich mir meinen Klassenkameraden einmal genauer vornehmen“, schlage ich vor. „Lass es besser. Du als ehemaliger Kampfsportler bist ihm doch sicher weit überlegen.“ „Vielleicht. Aber auf Sex in der Schule sollten wir in Zukunft wohl verzichten.“ „Wieso? Wir dürfen uns nur nicht erwischen lassen“, gibt Tai zur Antwort. An die Wand des Gebäudes gelehnt stehe ich vor den Umkleiden und warte. Meine Tasche liegt neben mir auf dem Boden. Gerade als ich aus ihr eine Flasche Wasser holen möchte, höre ich hinter mir die Stimme des Jungen aus meiner Klasse. „Respekt, dass du den Mut hast, hierher zu kommen.“ Ich drehe mich um und sehe ihn direkt an. Neben ihm steht der Junge, der ihm neulich zu Hilfe gekommen ist. „Warum sollte ich nicht kommen?“, frage ich nüchtern. „Weil es besser für dich gewesen wäre.“ Sein Tonfall kommt einer Drohung gleich. „Woher weißt du von Tai und mir“, schneide ich direkt das Thema an und mache einen Schritt auf ihn zu. „Ich weiß es nicht, es war nur eine Vermutung, die du soeben bestätigt hast. Allerdings ist es mehr als offensichtlich. Dein Interesse für Mädchen hält sich sehr in Grenzen, dabei könntest du jede haben. Aber die einzige Person, der du deine Aufmerksamkeit schenkst, ist dieser Fußballer Yagami.“ Er verzieht das Gesicht. „Was ist dein Problem?“, frage ich mit tonloser Stimme. „Du! Deine Arroganz und deine hübsche Visage.“ „Also bist du einfach nur neidisch und eifersüchtig?“, spotte ich. „Und deshalb verschwendest du meine Zeit?“ Zorn ist in seinem Gesicht erkennbar, welcher sich aber schnell in ein schmutziges Grinsen wandelt. „Nein. Ich will dir lediglich vor Augen führen, wie pervers du bist.“ „So?“ Ich öffne meine Hose und lasse sie mit den Shorts bis zu den Knien sinken. „Dann zeig es mir.“ Durch meine eindeutige Aufforderung irritiert, steht mein Klassenkamerad einen Moment, mich schweigend anstarrend, da. Dann ändert sich sein Ausdruck in eine Mischung aus Ekel und Faszination. „Du bist noch abartiger, als ich dachte“, sagt er verächtlich. Sein Freund tritt hinter mich und drückt meinen Körper in eine gebückte Haltung. Er bleibt neben mir stehen und sorgt mit Druck dafür, dass ich in dieser Position bleibe. Ich sehe, wie der Andere kurz in die Umkleiden verschwindet. Mit einem Schrubber in der Hand kommt er zurück. „Du wehrst dich nicht?“ Er legt seine Hand auf meine Lenden. „Sollte ich?“, entgegne ich teilnahmslos. Als er den Stiel des Putzgerätes tief in mich hineinstößt, kann ich einen Schrei nicht unterdrücken. Der Schmerz ist heftiger als erwartet und Tränen schießen mir in die Augen. Immer wieder stößt er fest zu. Ich kralle meine Finger Halt suchend in die Kleidung seines Freundes. Der sorgt dafür, dass ich nicht zusammenbreche, indem er meinen Körper stützt, zudem verschließt er meinen Mund mit seiner Hand. „Lass ihn ruhig schreien. Hier ist derzeit keiner. Die Mannschaften haben erst später Training.“ „Wenn du meinst“, reagiert der Passivere der Beiden leicht verunsichert und nimmt seine Hand wieder von meinem Mund. Ich versuche selbst, meine Schreie zu unterdrücken, doch es gelingt mir nicht. Ein Gefühl der Erregung kommt in mir auf und mischt sich mit dem Schmerz. Meine qualvollen Aufschreie bei jedem erneuten Stoß wandeln sich in lautes Stöhnen. Übelkeit steigt in mir auf, als ich mir meiner Abartigkeit wieder einmal bewusst werde. Mein Körper zittert und meine Beine versagen. Der Junge, der mich festhält, geht mit mir in die Knie, da ihm die Kraft fehlt, mein gesamtes Gewicht zu tragen. Der Mitschüler, der gerade den Schrubber benutzt, entfernt diesen aus mir und wirft ihn angewidert zur Seite. Dann beugt er sich zu mir hinab. „Erkennst du nun deine Perversität?“ Mit tränennassem Gesicht schaue ich zu ihm. „Die kannte ich schon vorher, du die deine auch?“ Ich lächle ihn bitter an. Hasserfüllt steht er auf und tritt mir hart in den Magen. Ein atemloses Keuchen kommt über meine Lippen und Speichel läuft aus meinem Mund. Ich breche endgültig zusammen und bleibe in mich zusammengekrümmt liegen. Ohne ein weiteres Wort gehen die beiden in Richtung des Schulgebäudes. Eine Weile bleibe ich von Schmerz und Tränen geschüttelt auf dem Boden liegen. Dann versuche ich aufzustehen, da ich vermeiden möchte, dass einer der Sportler das vorherrschende Szenario sieht. Es dauert lange, bis ich es schaffe, mich aufzurichten. Ich sehe zu dem Schrubber. Sein Stiel ist blutverklebt. Jetzt weiß ich, wie Tai sich gefühlt haben muss. Ein Lächeln legt sich bei dem Gedanken auf meine Lippen. Ich ziehe meine Shorts und die Hose ungeachtet des Blutes, welches noch austreten könnte, wieder an. Dann hebe ich mit ganz vorsichtigen Bewegungen das Putzgerät auf, um es in einem der Umkleideräume zu reinigen. Als ich das Holz wieder einigermaßen sauber bekommen habe, stelle ich den Schrubber zurück in den Putzschrank. Draußen hebe ich umständlich meine Tasche auf und gehe langsam und mit bedächtigen Schritten nach Hause. Es klingelt an der Tür. Ich stehe vom Bett auf, um zu öffnen. „Tai“, sage ich leise und lasse ihn eintreten. In meinem Zimmer setzt er sich auf das Sofa, während ich mich wieder auf mein Bett lege. Besorgt sieht er mich an. „Was ist los, Yamato? Du warst seit zwei Tagen nicht in der Schule, eine Krankmeldung liegt auch nicht vor.“ „Mir ist nicht danach, den ganzen Tag auf diesen harten Holzstühlen zu sitzen.“ Mit festem Blick schaue ich ihn an. Tai steht auf und setzt sich neben mich. „Und warum nicht?“ Ich zucke gleichgültig mit den Schultern. „Ich habe gehört, es gab eine Auseinandersetzung zwischen diesem Typen aus deiner Klasse und dir. Ist das vielleicht der Grund für dein Fehlen?“ Eine leichte Übelkeit und Abscheu gegen mich selbst überkommen mich. „Ich habe von einem aus meiner Mannschaft erfahren, dass du herausgefordert wurdest. Er ist mit diesem Typen befreundet. Ich kenne ihn im Übrigen auch. Er war selbst einmal in der Mannschaft und gar nicht so schlecht. Keine Ahnung, warum er aufgehört hat. Aber wie ich dich kenne, bist du hingegangen, habe ich recht?“ „Ja“, antworte ich wie selbstverständlich. „Was ist passiert?“ Tai sieht mich ernst an. „Wir haben lediglich unsere Standpunkte klar gemacht. Ich denke, er wird mich ab jetzt in Ruhe lassen. Die Erkenntnis sich selbst betreffend scheint ihn hart getroffen zu haben.“ Bedeutungsvoll lächle ich ihn an. Der Gesichtsausdruck meines Freundes ist fragend. „Ich werde morgen wieder zur Schule kommen“, lenke ich ab, muss jedoch feststellen, dass Tai nicht darauf eingeht. „Wurdest du verletzt?“, fragt er skeptisch. Zögernd antworte ich: „Er hat mich ziemlich stark in den Magen getreten. Ich hatte mich schon gewundert, warum der Tritt so kraftvoll war, aber wenn er Fußball spielt… “ „Hast du noch Schmerzen?“, wirft Tai besorgt ein. „Es ist auszuhalten, keine Sorge“, beruhige ich ihn wahrheitsgemäß, wobei die Aussage sich nicht auf meinen Bauch bezieht. Entschieden ziehe ich ihn am Kragen zu mir herunter und küsse ihn. Dann streiche ich ihm eine Strähne aus dem Gesicht und schaue ihn vielsagend an. „Und wie geht es dir?“ Mein Freund versteht, worauf sich meine Frage bezieht, und streicht sanft über meinen Hals. „Es tut nicht mehr weh, aber…“ Er kommt näher, küsst mich auf die Wange und flüstert: „…wir sollten mit dem nächsten Mal noch etwas warten.“ Verlangend lässt er seine Hand über meinen Rücken gleiten, die Wirbelsäule entlang, bis zu meinen Lenden. Dann umschließt er meine Hüfte und dreht mich auf die Seite. Seine Augen mustern mich abschätzig und mit kalter Stimme raunt er mir ins Ohr: „Letztlich ist es irrelevant, denn das nächste Mal werde wieder ich dich nehmen.“ „Ach, wirklich? Da bin ich gespannt“, sage ich herausfordernd. „Legst du es darauf an? Ich kann dich auch gleich ficken, wenn du darauf bestehst.“ Mit diesen Worten dreht er mich auf den Bauch, zieht meine Hose herunter und positioniert sich hinter mir. Ich höre, wie er seine eigene Hose öffnet. Dann umfasst er mit einer Hand mein Becken und hebt es an. „Du bist wirklich krank, Yamato“, sagt mein Freund mit einer Mischung aus Geringschätzung und Verzweiflung. Ohne ein weiteres Wort dringt er in mich ein. Ein Schrei löst sich aus meiner Kehle und ich vergrabe meine Fingernägel im Bettlaken. Der Schmerz wird intensiver, als Tai sich in mir zu bewegen beginnt. „Was ist los, so empfindlich? Ich lege keinerlei Kraft in meine Stöße und du hast solche Schmerzen, dass du sogar weinst und die Schreie nicht unterdrücken kannst?“ Der Hohn ist nicht zu überhören. „Fick dich!“, presse ich hervor, doch er quittiert mir diese Worte mit härteren Bewegungen. „Nein, dafür habe ich ja dich. Sieh an, ich scheine dich verletzt zu haben.“ Ich spüre seine kühle Hand an meiner Haut. Dann hält er sie mir hin. „Schau. Das ist Blut. Dein Blut. Hast du eine Erklärung dafür?“ „Nimm mich endlich richtig und hör auf zu reden!“, flehe ich ihn beinahe an. Tai hält inne. Dann zieht er sich aus mir zurück und umfängt mich mit seinen Armen. Ich zittere, schaffe es aber, meine Tränen in den Griff zu bekommen. Mit dem Ärmel wische ich sie weg. „Was geht nur in deinem Kopf vor.“ Tai küsst mich leicht auf die Schläfe. Anschließend dreht er mich auf den Rücken und drückt mich sachte in eine Liegeposition. Er beugt sich über mich und streicht mir beruhigend durch das Haar. Ich schweige. „Warum hast du diesen Typen dazu aufgefordert, das mit dir zu machen?“ „Weil ich es wollte“, gebe ich ernst zur Antwort. „Wolltest oder musstest? Yamato, hör auf, dich für Nichts zu bestrafen.“ Die Finger meines Freundes kitzeln auf meiner Haut, während er noch immer durch mein Haar streichelt. Ich sage nichts und schließe die Augen. „Warum hast du es mir verschwiegen?“, setzt Tai die Befragung fort. Ein verächtliches Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Es ist nicht gerade alltäglich, dass ein Mann Sex mit einem Holzstiel hat. Zudem wollte ich dir die Demütigung ersparen, dass ich dich mit einem Schrubber betrogen habe.“ Tai verzieht sein Gesicht ebenfalls zu einem Lachen, während Tränen über seine Wangen laufen. Den Kopf in die Handfläche gestützt, sitze ich an meinem Tisch. Gelangweilt rolle ich meinen Bleistift mit den Fingern der anderen Hand hin und her. Ich hatte recht mit meiner Vermutung, dass ich ab jetzt in Ruhe gelassen werden würde. Nur wenn sich unsere Blicke treffen, sieht mich jener Klassenkamerad verächtlich und voller Abscheu an. Ich schaue ihm dann fest in die Augen, manchmal lächle ich. Das irritiert ihn und treibt seinen Hass weiter an. Die Schulglocke läutet und verkündet somit das Ende der Unterrichtsstunde. Ich überlege, ob ich nach draußen gehe, um eine Zigarette zu rauchen, bleibe aber an meinem Platz sitzen, als ich Tai den Raum betreten sehen. Er schaut nicht zu mir, sondern geht direkt zu dem Tisch meines Mitschülers. Kurz bin ich unschlüssig, ob ich eingreifen sollte, lehne mich dann aber auf meinem Stuhl zurück und beobachte gespannt, wie sich dieses Szenario entwickelt. „Hallo“, sagt Tai und grinst meinen Mitschüler an. Dieser schaut ihn verwirrt an. „Hallo, Yagami“, kommt unsicher die Antwort. Er scheint nervös zu sein, denn seine Finger spielen unruhig mit einem Stift. „Wie geht es dir?“ Der Gesichtsausdruck meines Freundes ist freundlich, doch in seinen Augen kann ich noch etwas anderes erkennen. „Gut, denke ich“, zögert der Angesprochene. Ich bedauere seine Mimik nicht sehen zu können, da er schräg vor mir sitzt, aber es ist offensichtlich, dass ihm Tais Anwesenheit unangenehm ist. „Schön. Es gibt nichts Wichtigeres als physische und psychische Gesundheit, oder?“ Mein Freund beugt sich hinunter und stützt sich mit den Unterarmen auf der Tischplatte auf, dabei scheint er ihn direkt anzusehen. „Was willst du eigentlich?“ Die Stimme meines Klassenkameraden wird lauter. Ich überlege, ob er versucht seine Angst zu überspielen. „Mich mit einem ehemaligen Teamkollegen unterhalten“, sagt Tai unschuldig. „Ich unterhalte mich nicht mit Perversen“, entgegnet der Andere angewidert. Mein Freund richtet sich auf und schaut geringschätzig auf meinen Mitschüler herab. Dann lächelt er. „Du scheinst einen ziemlich kleinen Schwanz zu haben, sonst hättest du es meinem Freund doch mit deiner Männlichkeit besorgt. Schließlich wäre der Schaden größer gewesen, und darauf bist du doch aus. Es hätte nach Fremdgehen ausgesehen, immerhin forderte er dich auf, ihn zu vögeln.“ Tais Gegenüber springt auf und ich sehe, dass er seine Hand zur Faust ballt. „Ich ficke keine Männer in den Arsch“, brüllt er aufgebracht. Die anderen Schüler im Raum drehen sich um, manche lachen, andere verziehen das Gesicht oder schauen einfach nur fragend in die Richtung der Beiden. Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken. Mein Freund hat erreicht, was er wollte. „Nicht direkt, wolltest du sagen. Und vor allem nicht allein. Wie ist das so, wenn man immer jemanden zum Halten braucht?“, setzt Tai noch einmal nach. Die Umstehenden tuscheln und verfolgen nun das Geschehen mit wachsender Aufmerksamkeit. Mein Klassenkamerad dreht sich wütend zu mir um. Er weiß, dass Tai die Details nur von mir wissen kann. Er lässt diesen stehen und kommt auf mich zu. „Ich hätte dir den Schrubber so tief in deinen Arsch rammen sollen, dass er zu deinem Mund wieder herauskommt, denn anscheinend hat es dir nicht gereicht.“ Ich bleibe sitzen und schaue ihn durchdringend an. „Nein, hat es nicht, tut mir leid. Du hättest dich mehr anstrengen müssen.“ „Beim nächsten Mal wirst du nicht mehr aufstehen, ich schwöre es dir“, zischt er hasserfüllt. Als er sich umdreht, steht er Tai direkt gegenüber. Dieser legt freundschaftlich einen Arm um den Nacken meines Mitschülers und streicht ihm mit den Fingern leicht über die Wange. „Falls es ein nächstes Mal gibt, schwöre ich dir, dass es gleichzeitig dein letztes Mal sein wird.“ „Du drohst mir, Yagami?“ „Nein. Ich mache dich nur auf die Konsequenzen aufmerksam. Und glaube mir, ich habe kein Problem damit, dich in den Arsch zu ficken.“ Tai beugt sich zum Ohr meines Klassenkameraden. Seine Stimme ist nur ein Flüstern, welches ich kaum verstehe. „Und anschließend zu töten.“ Ein Lächeln legt sich auf seine Lippen. Der andere reißt sich hastig los. Abwechselnd schaut er zu Tai und zu mir. „Ihr seid doch beide abartig und krank!“, speit er uns entgegen. Dann verlässt er, alles missachtend, das Klassenzimmer. Die anderen Schüler schauen ihm nach, dann richten sie ihre Aufmerksamkeit auf uns. Ich sehe zu meinem Freund und schaue ihn liebevoll an. „Eigentlich wäre das nicht nötig gewesen. Zwischen ihm und mir war alles geklärt. Zudem kann ich meine Angelegenheiten allein klären.“ Tai beugt sich zu mir hinunter, streicht mir durch die Haare und über die Wange. „Ich weiß. Ich habe das auch nicht für dich getan, sondern für mich. Immerhin hat dieser Wichser mein Eigentum beschädigt. Auf so etwas reagiere ich extrem empfindlich.“ Er lächelt mich an, dann verlässt er den Raum, um wieder in seine eigene Klasse zu gehen. Ich schaue aus dem Fenster, doch ich spüre deutlich die Blicke der Anderen auf mir ruhen. Kurz vor dem Klingelzeichen betritt jener Mitschüler das Klassenzimmer und setzt sich, ungeachtet des Tuschelns oder eindeutiger Gesten, auf seinen Platz. Zuvor wirft er mir noch einen giftigen Blick zu, der mir verrät, dass es noch nicht vorbei ist. Ich würde jetzt gern in meinem Bett liegen und versuchen ein wenig Schlaf zu finden. Die Schule empfinde ich heute als noch anstrengender als sonst und am liebsten würde ich nach Hause gehen, denn seit der letzten Pause liege ich nur auf meiner Bank und starre vor mich hin, in der Hoffnung, gleich erlöst zu werden. Egal ob durch Tod, höhere Gewalt oder einfach nur die Schulklingel. Nach einer gefühlten und unerträglichen Ewigkeit erbarmt sich diese endlich und verkündet das Ende der letzten Stunde für diese Woche. Ich packe zügig meine Sachen zusammen und verlasse die Schule. Am Tor steht Tai und wartet auf mich. „Ich habe heute am Nachmittag noch Training, würde danach aber gleich zu dir kommen“, begrüßt er mich mit einem Grinsen. „Was sagt deine Mutter dazu?“ Ich spiele auf die Bitte meinem Vater gegenüber an. „Ist okay. Morgen ist schließlich keine Schule.“ „Dann warte ich bei mir zu Hause auf dich“, sage ich monoton und wende mich zum Gehen. Mein Freund hält mich am Arm zurück. „Yamato?“, fragt er misstrauisch. „Ich bin nur müde“, entgegne ich, schiebe seine Hand von meinem Arm und gehe. Ich stehe auf der Straße und sehe mich um. Die Menschen, die an mir vorbei gehen, bemerken mich nicht. Es ist, als würde ich nicht existieren. Langsam laufe ich ein Stück, nur um gleich wieder stehen zu bleiben. Ich drehe mich um. Niemand ist zu sehen. Dann blicke ich wieder nach vorn. Der Weg ist leer. Ein Ende ist nicht in Sicht. Zu beiden Seiten. Ich bin allein. Ein Gefühl von Leichtigkeit durchströmt meinen Körper. Ich lege mich auf den Asphalt und beginne zu atmen. Die Luft ist klar und kalt. Und obwohl Schnee liegt und ich umhüllt bin von diesem frostigen Weiß, friere ich nicht. Ein Gefühl von Reinheit durchströmt meinen Körper. Ich schließe meine Augen. Als ich sie wieder öffne, sehe ich in die schönen, braunen Augen meines Freundes. Sein Blick ist unergründlich und je länger ich ihn anschaue, desto mehr scheine ich zu versinken. Ein Gefühl der Zuneigung durchströmt meinen Körper. Ich strecke meine Hand nach ihm aus. Er ergreift sie und schneidet mit einem Messer tiefe Wunden in mein Fleisch. Ein Gefühl des Schmerzes durchströmt meinen Körper. Mein Blut tropft in den Schnee und zerstört dessen Reinheit. Mir wird schwindelig. Ich falle und zerstöre meine Leichtigkeit. Als ich auf dem Boden angelangt bin, ist alles schwarz. Jemand packt mich von hinten und hält mir Mund und Augen zu. Doch ich nehme Tais Duft wahr, spüre seine Haut auf meiner. Ich nehme seine Hände von meinem Gesicht und drehe mich um. Mein Freund lächelt mich an, aber ich weiß, dass es kein echtes Lächeln ist. Ich will ihn berühren, er weicht allerdings zurück. Tränen laufen ihm über die Wangen. Behutsam mache ich einen Schritt auf ihn zu. Keine Reaktion. Mit einer schnellen Bewegung ziehe ich seinen Körper in eine Umarmung. Ich küsse ihn auf die Wange und schmecke Salz auf meinen Lippen. Tai stößt mich von sich. Sein Atem geht schnell und unregelmäßig. Er berührt mich im Gesicht, dann küsst er mich leidenschaftlich. Sein Geschmack auf meiner Zunge berauscht mich wie eine Droge. Ich will mehr. Begierig öffne ich seine Hose. Ein stechender Schmerz an meiner Hüfte lässt mich innehalten. Als ich zu meinem Freund schaue, sehe ich, dass Blut an seinen Händen klebt. Rot und noch frisch, denn ich nehme diesen süßlich-metallischen Geruch wahr. Tai lächelt mich liebevoll an und sein Körper zerfällt wie der einer Marionette. Ich ziehe das Messer aus der Wunde und lasse es fallen. Dann gehe ich zu den Einzelteilen meines Freundes und lege mich neben ihn auf den Boden. Das Blut strömt unablässig aus meiner Wunde. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen, weil sich meine Wahrnehmung allmählich eintrübt und ich langsam das Bewusstsein verliere. Ein Gefühl von Leben durchströmt meinen Körper. Als ich aufwache, ist es draußen bereits dunkel. Ein Blick auf meinen Wecker verrät mir, dass Tai jeden Moment hier ankommen müsste. Erst beim Aufstehen spüre ich, dass ich schweißgebadet bin. Schnell suche ich mir ein paar Kleidungsstücke aus dem Schrank, dann schlucke ich noch ein paar Kopfschmerztabletten und gehe ins Bad, um zu duschen. „Na warte, das bekommst du zurück“, warnt Tai mich und hämmert stärker auf seinen Kontroller ein. „Da bin ich gespannt“, lache ich. Wir sitzen auf dem Boden in meinem Zimmer. Tai wollte unbedingt ein Beat ‘em up spielen, obwohl er oft gegen mich verliert. Er ist zu hitzköpfig bei der Sache und steht sich deshalb meist selbst im Weg. Doch er ist unbelehrbar. Ich muss lächeln. „So, jetzt pass mal auf“, frohlockt Tai. Sein Spielcharakter, dessen Frisur verblüffende Ähnlichkeit mit der meines Freundes hat, bündelt Energie in beiden Händen, die aneinandergehalten neben seine Taille zurückgezogen sind. Mit einem Ausruf streckt er seine Arme nach vorn aus und stößt eine Energiewelle auf meine Figur ab. Ich habe Mühe auszuweichen, werde letztlich doch getroffen. Tai lacht siegessicher. „Siehst du, ich habe es dir doch gesagt.“ Ich ignoriere ihn und beginne meinen Gegner mit physischen Attacken anzugreifen. „Ey… was macht denn dein kleiner stolzer Möchtegern da?!“, protestiert mein Freund. „Mein kleiner stolzer Möchtegern verhaut dich gerade“, gebe ich amüsiert zur Antwort. Gleichzeitig setze ich zu einer Ki-Kampftechnik an. Mein Spielcharakter beginnt eine gewaltige Menge Ki in einer Kugel zu konzentrieren. Dann feuert er sie mit einer Hand auf Tais Figur ab. „Scheiße!“, flucht mein Freund, schafft es aber knapp, auszuweichen. Er dreht sich zu mir und grinst mich breit an. „Das war Glück.“ Ich versuche meine Stimme unbeeindruckt klingen zu lassen. „Zudem ist das nur ein Spiel. Falls du dich erinnerst, die Realität sieht anders aus.“ Tai nimmt mir den Kontroller aus der Hand und legt ihn ebenso wie seinen eigenen beiseite. Dann drückt er mich an den Schultern nach unten, sodass ich mit dem Rücken auf dem Boden zum Liegen komme, und setzt sich rittlings auf meine Oberschenkel. „Findest du diese Ausgangsposition nicht etwas ungerecht?“ Ich sehe ihn abwartend an. „Nein, aber sehr erregend.“ Mein Freund beugt sich zu mir hinab und küsst mich auf den Mund. Dann wandert er den Hals entlang, während er die Knöpfe meines Hemdes öffnet. Seine Lippen berühren die Haut meines Oberkörpers und ich spüre, wie er sinnlich mit seiner Zunge über einige meiner Narben leckt. Ich schließe die Augen, lege meinen Kopf etwas in den Nacken und spüre, wie Anspannung Besitz von meinem Körper ergreift. Langsam gleitet die Hand meines Freundes von meinem Oberschenkel zwischen meine Beine und dann zu meinem Hosenbund. Er öffnet den Knopf und den Reißverschluss. Mein Brustkorb bewegt sich schnell, aber schwerfällig, auf und ab. Automatisch hebe ich mein Becken etwas an, um das Herunterziehen der Hose samt Shorts zu erleichtern. „Du bist erregt, Yamato“, stellt Tai mit ruhiger Stimme fest, beugt sich wieder über mich, streicht mir liebevoll durch das Haar und küsst mich zärtlich auf den Mund. Hitze steigt in mir auf. „Du nicht?“ „Doch, aber ich dachte, bei dir geht das nicht ohne Gewalt.“ Ich schaue ihn aus glasigen Augen an. „Ich liebe dich“, flüstere ich ihm ins Ohr. „Ich liebe dich auch und ich würde jetzt gern mit dir schlafen“, flüstert er zurück. „Dann tu es.“ Meine Aussage klingt fast wie eine Bitte. Mein Freund sieht mich ernst an, dann zieht er mich in eine sanfte Umarmung. „Nein, Yama.“ Er presst mich noch stärker an sich. „Diesmal möchte ich, dass du Lust empfindest. Ich will heute keinen harten und schnellen Sex. Ich will dich.“ Ein flaues Gefühl breitet sich in meinem Körper aus. Ich schiebe Tai vorsichtig von mir herunter. Überlegt ziehe ich mir die Hose von den Füßen und blicke meinem Freund direkt in die Augen. „Nimm mich, ich bitte dich“, kommt zögernd über meine Lippen. Im Gesichtsausdruck meines Freundes erkenne ich Zweifel, dennoch entledigt er sich seiner Sachen, zieht mich zu sich und streift mir das Hemd vom Körper, sodass wir beide nackt sind. Mit seinen Fingern gleitet er sachte über meine Haut, meinen Brustkorb, meinen Arm. Diesen hebt er zu seinen Lippen und küsst die frischen Wunden, die gerade einmal Schorf gebildet haben. „Lass uns ins Bett gehen“, beschließt Tai, steht auf und ergreift meine Hand. Er legt sich ausgestreckt auf die Matratze und bedeutet mir, in der Reiterstellung von ihm genommen zu werden. Unsicher positioniere ich mich. „Führe ihn selbst in dich ein.“ Mein Freund lächelt mich liebevoll an und verhakt unsere Hände. Ich verkrampfe leicht, als ich ihn langsam in mich eindringen lasse. Dabei verziehe ich das Gesicht, denn ich spüre noch immer die Verletzungen in mir. „Tut es sehr weh? Sollen wir aufhören?“, fragt Tai besorgt und hält meine Hand fester. „Nein. Es geht. Ich will dich in mir spüren.“ „Yamato, sieh mich an.“ Seine Stimme ist ruhig. „Wenn du den Sex wieder zur Selbstverletzung benutzt, werde ich dich heute nicht dabei unterstützen. Dann…“ „Nein”, unterbreche ich ihn. „Ich will wirklich mit dir schlafen.“ Ich schaue ihn an und versuche zu lächeln. Tais Augen blicken traurig zu mir. „Beweg dich. Rhythmisch und noch nicht so schnell“, weist mein Freund mich behutsam an. Ich gehorche ihm, kralle dabei meine eine Hand in das Laken, die andere drückt die von Tai noch stärker. Unsere Bewegungen gleichen sich sehr rasch aneinander an, was uns das Tempo erhöhen lässt. Mein Körper ist wie elektrisiert. Ich schließe meine Augen und konzentriere mich auf das Gefühl in meiner Lendengegend. Starke Zuneigung für Tai überkommt mich. Kribbeln legt sich auf meine Haut. Mein Stöhnen wird lauter und ich höre, dass auch mein Freund stoßweise atmet. Ich frage mich, ob man diese Gefühle unter dem Begriff Lust zusammenfasst. Die Emotionen überwältigen mich und leichte Angst stellt sich ein. Ich öffne die Augen und sehe, dass Tai seine geschlossen hält. Auf seiner Haut haben sich Schweißperlen gebildet, was, zusammen mit seinem lustvollen Gesichtsausdruck, sehr anziehend auf mich wirkt. „Halt mich bitte fest“, bringe ich stockend hervor. Als mein Freund mich anschaut, laufen Tränen über mein Gesicht. Mit einer Hand streicht er über meine Wange, dann richtet er sich vorsichtig auf und verändert sehr behutsam unsere Stellung, ohne sich aus mir zurückzuziehen, sodass wir uns während des Aktes umarmen können. „Du bist so schön, Yamato“, höre ich Tai keuchend sagen. Die Angst verstärkt sich und ich klammere mich verzweifelt an meinen Freund. „Bitte, Tai. Nimm mich härter.“ Dieser hält in seinen Bewegungen inne. „Yamato…“ „Nein… Taichi… besorg es mir richtig… denn nur so kann ich dich spüren… deinen Körper, deine Seele… dich… tief in mir.“ Mein Freund umfasst meine Taille, entfernt sich aus mir und schiebt mich von sich herunter. In seinen Augen erkenne ich widersprüchliche Gefühle. „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Dich schlagen, in den Arm nehmen, dir das Hirn rausvögeln oder einfach gehen.“ Sein Tonfall ist eher verzweifelt als verärgert. Ich senke den Kopf und schweige. Mein Körper zittert, Tränen tropfen auf das Laken und lassen meinen Selbsthass zusätzlich wachsen. Ratlosigkeit und Schuldgefühle beherrschen den Raum. Der Fernseher flimmert noch immer, das Spiel wurde nicht beendet und wird es wahrscheinlich nie werden. Angespannt liege ich in meinem Bett, den Rücken Tai zugewandt. Die Nacht ist bereits weit fortgeschritten. Dennoch bin ich mir sicher, dass mein Freund wach ist. Die Stille im Raum ist beinahe unangenehm, doch ich schaffe es nicht, sie zu durchbrechen. In meinem Kopf drehen sich die Gedanken wie in einem Karussell. Ein defektes mit viel zu hoher Geschwindigkeit. Die Situation vom Abend lässt mich nicht mehr los. Was war geschehen? Auf diese Weise mit Tai zu schlafen, fühlte sich schön an, aber auch irgendwie falsch. „Yamato?“, spricht mich mein Freund plötzlich an. Er klingt ernst. „Ist es noch immer ein Spiel für dich?“ Für einen Moment höre ich auf zu atmen. Dann setze ich mich auf, ohne Tai anzusehen. „Ich weiß es nicht“, antworte ich leise. „Bauen unsere Gefühle wirklich auf einer Lüge auf? Machen wir uns gegenseitig nur etwas vor? Oder lagen wir damals falsch?“ „Wir lagen damals falsch“, sage ich mehr zu mir selbst. „Was macht dich da so sicher?“ „Nichts“, gebe ich zu. Ich höre, wie mein Freund seine Liegeposition verändert. „Aber du weißt, dass du mich liebst.“ Seine Frage klingt eher wie eine Feststellung. „Wenn ich davon überzeugt bin, dass ich dich liebe, ist es dann auch wahr?“ Tai schweigt. Nach einer Weile lenke ich die Aufmerksamkeit auf ihn. „Tai… wie sieht es mit deinen Gefühlen aus?“ „Ich liebe dich.“ „Und woher weißt du, dass es Liebe ist? Woher weißt du, dass deine Gefühle echt sind?“ Zitternd schlinge ich die Arme um meine Beine und ziehe die Knie an meinen Körper. „Ist dir kalt?“, fragt Tai liebevoll. „Nein. Nicht wirklich.“ Wieder entsteht eine unerträgliche Pause. „Yamato?“ „Hmm.“ „Vorhin… was hast du da gefühlt?“ „Wie meinst du das?“ „Es fiel dir schwer, normal mit mir zu schlafen, hab ich recht?“ „Tai…“, setze ich an, doch mein Freund unterbricht mich. „Du benutzt Sex ausschließlich zur Selbstverletzung. Du empfindest keine Lust dabei, oder? Zumindest nicht, wenn du mit mir schläfst.“ Sein Tonfall ist nüchtern. „Und das, was du Liebe nennst, ist reine Besessenheit, weiter nichts.“ Ein Gefühl der Angst stellt sich ein, das mir die Brust zuschnürt und das Atmen erschwert. „Was ist los, Yamato? Bedeutet dein Schweigen, dass ich mit meiner Vermutung recht habe?“, bohrt Tai nach, während er sich nun ebenfalls aufsetzt. „Ja, wahrscheinlich“, sage ich kalt und hasse mich sofort für diese Aussage. „Dann werde ich jetzt gehen.“ Die Worte meines Freundes wandeln meine Angst in Panik. „Mitten in der Nacht?“, versuche ich ihn zum Umdenken zu bewegen. „Es besteht keine Notwendigkeit mehr, hier zu bleiben.“ Noch immer ist Tais Stimme emotionslos. Ohne ein weiteres Wort steht er auf und zieht seine Kleidung an. Ich schaue ihm fassungslos dabei zu. „Bedeutet das, du beendest unsere Beziehung?“ „Falls man das zwischen uns jemals so bezeichnen konnte, ja.“ Entgeistert schaue ich zu ihm, doch ich kann in der Dunkelheit nur die Konturen seines Gesichtes erkennen. Rasch sammelt mein Freund seine restlichen Sachen zusammen, dann verlässt er schweigend mein Zimmer. Kurze Zeit später höre ich die Wohnungstür ins Schloss fallen. Noch immer regungslos sitze ich auf meinem Bett. Völlig durcheinander begreife ich nicht, was gerade passiert ist. Mit einem Mal, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, weicht das Chaos der Leere. Apathisch starre ich ins Nichts. Ich stehe vor der Wohnung der Yagamis und betätige immer wieder den Klingelknopf. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, doch die ersten Vögel beginnen bereits zu zwitschern. Nach einer gefühlten Ewigkeit höre ich endlich Geräusche hinter der Tür. Als diese sich öffnet, sehe ich Tais Mutter, verschlafen und mit fragendem Blick, vor mir. „Yamato? Was ist passiert?“ Meine Verfassung scheint sie zu erschrecken. Nachdem es mir gelang, mich aus meiner Apathie zu lösen, handelte ich wie fremdgesteuert. Ich zog mich notdürftig an und verließ ohne nachzudenken das Haus. Mein Anblick muss schrecklich sein. „Ich muss mit Tai sprechen!“, japse ich, denn ich bin den ganzen Weg zwischen unseren Wohnungen gerannt. „Ich dachte, er übernachtet heute bei dir“, erwidert sie besorgt. „Ja, aber er ist vorhin gegangen. Darf ich bitte zu ihm?“ Sichtlich verwirrt bedeutet sie mir einzutreten. „Du weißt ja, wo sein Zimmer ist.“ „Danke“, sage ich noch schnell im Vorbeigehen, dann laufe ich raschen Schrittes auf den Raum zu, in dem mein Freund sein müsste. Als ich vor der Tür stehe, halte ich kurz inne und atme tief durch. Dann gehe ich hinein, ohne zu klopfen. Mit den Ellenbogen auf das Fensterbrett gestützt, schaut er aus dem Fenster. Er hat mir den Rücken zugewandt und offenbar noch nicht bemerkt, dass ich eingetreten bin. Anscheinend ist er tief in Gedanken versunken, denn selbst als ich mich ihm nähere, erhalte ich keine Reaktion. Direkt hinter ihm komme ich zum Stehen. Ich lehne meinen Kopf gegen sein Schulterblatt und spüre ein Zucken, das seinen Körper durchfährt. „Was tust du hier?“, höre ich ihn sagen. Ich glaube ein leichtes Zittern in seiner Stimme zu hören. „Ich weiß es nicht“, antworte ich zaghaft. „Geh bitte wieder, Yamato.“ „Nein! Erst wenn du mir ins Gesicht sagst, dass du dich um deinetwillen von mir trennst.“ Eine Weile sagt Tai nichts. Ich fühle seine unregelmäßige Atmung, spüre die Wärme seines Körpers. „Das kann ich nicht“, flüstert er. „Und ich kann dich nicht gehen lassen. Du sagtest doch, meine Liebe sei Besessenheit. Das mag stimmen, aber nicht ausschließlich.“ Ich trete einen Schritt von meinem Freund zurück. Dieser dreht sich um und schaut mir direkt in die Augen. Ich könnte mich jedes Mal in den seinen verlieren. Sie sind schön und unergründlich. Ich gehe wieder auf Tai zu, hebe meine Hand und berühre ihn an der Wange. Er lässt es geschehen, sieht mich aber weiterhin unverwandt an. Schüchtern gebe ich ihm einen Kuss auf den Mund. Dann hauche ich ihm sachte ins Ohr: „Vielleicht willst du aber auch sterben und erinnerst mich hiermit an mein Versprechen. Keine Sorge, ich habe es nicht vergessen.“ „Ich will, dass du begreifst, Yamato“, entgegnet Tai mit Nachdruck. „Und ich will dich nicht verlieren. Begreif du das bitte!“ Ich senke meinen Kopf, um seinem Blick auszuweichen. „Also ist es kein Spiel mehr?“ „Das Leben ist nichts anderes als ein Spiel, aber ohne dich verliere ich auf jeden Fall.“ Tai zieht mich sanft in eine Umarmung und seufzt kaum hörbar. „Wir werden auch so verlieren.“ Er streichelt mir liebevoll durch das Haar und drückt mich noch näher an sich heran. „Wahrscheinlich“, gebe ich zu. Tief sauge ich den vertrauten Duft meines Freundes in mich ein und ein angenehmes Gefühl durchströmt meinen Körper. Ich schließe die Augen und konzentriere mich auf seinen gleichmäßigen Herzschlag. Dessen Rhythmus beruhigt mich und ich spüre, wie die Anspannung langsam von mir abfällt. „Hattest du eigentlich daran gedacht, dich umzubringen oder andere selbstschädigende Handlungen vorzunehmen, nachdem ich weg war?“, fragt Tai vorsichtig. Ich überlege kurz. „Nein. Erst war da vollkommene Leere, ich konnte mich nicht bewegen und habe die Situation nicht verstanden. Und dann warst nur noch du in meinen Gedanken und die Angst, dich zu verlieren.“ Ich löse mich aus den Armen meines Freundes und schaue ihn an. Er lächelt. Hinter ihm sehe ich durch das Fenster, dass der Tag langsam anbricht. Die verschiedenen Farbtöne, die der Sonnenaufgang mit sich bringt, wirken harmonisch und friedlich. „Lass uns ins Bett gehen. Wir können wohl beide noch eine Mütze Schlaf vertragen.“ Tai zwinkert mir zu, dann beginnt er langsam mich zu entkleiden, wobei er immer wieder meinen Körper liebkost. Als er fertig ist, zieht er seine eigenen Sachen aus. Erschöpft lassen wir uns auf sein Bett fallen. Mein Freund dreht sich zu mir und legt seinen Arm schützend um mich. Mit einem Gefühl der Geborgenheit schlafe ich ein. Als ich aufwache, hält Tai mich noch immer eng umschlungen. Die letzte Nacht kommt mir wie ein Traum vor, irreal und nicht greifbar. Ich verstehe nach wie vor nicht, was passiert ist, aber der Schmerz, den ich seitdem fühle, und die Tatsache, dass ich gerade im Bett meines Freundes liege, beweisen mir, dass ich nicht halluziniere. Vorsichtig versuche ich mich aus der Umklammerung zu befreien. Als ich mich schließlich aufsetze und zu Tai schaue, sieht er mich ebenfalls an. Wieder mit diesen schönen braunen Augen und deren unergründlichem Ausdruck. „Woran denkst du?“, fragt er unvermittelt. „An nichts. Aber ich sollte jetzt gehen.“ „Warum?“ Mein Freund klingt irritiert. „Mein Vater. Er weiß nicht, dass ich hier bin.“ „Meinst du nicht, er kann es sich denken, wenn wir beide weg sind?“ Ich schaue ihn nicht an, während ich mich anziehe. „Vielleicht“, murmele ich. „Was ist wirklich los?“, will Tai wissen, während er zielstrebig aufsteht und sich mir in den Weg stellt. „Nichts. Und jetzt geh von der Tür weg.“ Meine Stimme ist ruhig, doch an meinen Augen scheint er zu erkennen, dass ich es ernst meine. Er geht einen Schritt beiseite, sodass ich sein Zimmer verlassen kann. Als ich an der Küche vorbeikomme, hält mich Frau Yagami auf, indem sie mich anspricht. „Yamato. Dein Vater hat vorhin angerufen. Er war besorgt, aber ich konnte ihn beruhigen. Er weiß jetzt, dass du hier bist, bittet dich allerdings, nicht zu spät nach Hause zu kommen.“ „Danke. Ich mache mich sofort auf den Weg.“ Nicht sehr sorgfältig ziehe ich meine Low Chucks an. „Was, du bleibst nicht zum Essen?“, fragt die Mutter meines Freundes mit leichter Enttäuschung in der Stimme. „Nein. Tut mir leid“, sage ich bedauernd, dann öffne ich die Haustür. „Yamato?“ Tai steht wenige Schritte von mir entfernt. „Bis dann?“ Unsicherheit und Schwermut schwingen in seiner Frage mit. „Ja, bis dann“, antworte ich traurig. Die Schmerzen in meiner Brust wandeln sich in Stechen und ein Gefühl der Verzweiflung ergreift Besitz von mir. Voller widersprüchlicher Gefühle verlasse ich die Wohnung meines Freundes. Ich sitze auf meinem Bett und starre gedankenverloren ins Nichts. Tränen laufen mir über die Wangen. Als es an der Tür klopft, schaffe ich es gerade noch, sie wegzuwischen, bevor mein Vater das Zimmer betritt. „Hey“, begrüßt er mich ernst und nimmt neben mir Platz. Ich antworte nicht und versuche seinen Blicken auszuweichen. „Heute Nacht ist etwas vorgefallen, nicht wahr?“ „Nein“, entgegne ich leise und offenbar wenig überzeugend. „Yamato, ich möchte keine Details von deiner Beziehung zu Taichi erfahren, das geht nur dich und ihn etwas an. Aber ich mache mir Sorgen.“ Sein Tonfall wird eindringlicher. „In letzter Zeit scheint es dir zwar nach außen hin besser zu gehen, doch dein Verhalten gibt mir zu denken.“ „Ich weiß nicht, was du meinst. Mir geht es wirklich besser“, versuche ich ihn zu überzeugen. Ich schaue ihn direkt an. Ein trauriges Lächeln legt sich auf die Lippen meines Vaters. Er hebt seine Hand und streicht mir vorsichtig, als könnte er mich verletzen, über die Wange. „Deshalb sitzt du mit vom Weinen geröteten Augen neben mir? Deshalb verlässt du mitten in der Nacht, vermutlich um Taichi zu folgen, panisch die Wohnung? Und deshalb bleibst du der Schule erneut fern? Der Direktor hat mich darüber informiert.“ „Ich gehe mittlerweile wieder hin“, verteidige ich mich und hoffe, ihn dadurch etwas besänftigen zu können. „Ich weiß“, räumt er seufzend ein. „ Was war der Grund für dein Fehlen?“ „Es ging mir nicht gut.“ Ich sehe beschämt zu Boden. Bilder der damaligen Situation tauchen vor meinem inneren Auge auf. Meine Atmung wird schwerfälliger und ich schließe die Augen. „Du schienst Schmerzen zu haben. Warum bist du nicht zum Arzt gegangen? Oder hast wenigstens mit mir gesprochen? Vertraust du mir nicht?“, hakt mein Vater schließlich nach. „Doch“, versichere ich ihm schnell, ohne ihn jedoch anzusehen. Ich bin von seiner Wachsamkeit eher negativ beeindruckt. „Und wegen damals… mach dir keine Gedanken. Es ist wirklich nichts Schlimmes passiert“, erkläre ich ihm wahrheitsgemäß. „Ich glaube dir. Aber denke auch daran, dass du jederzeit über alles mit mir reden kannst.“ Ein bitteres Lächeln legt sich auf meine Lippen, denn mir stellt sich die Frage, wie er reagieren würde, wenn er erführe, wozu ich, vor allem Tai betreffend, im Stande bin und was ich alles freiwillig mit mir machen lasse. Plötzlich überwältigt mich der Selbsthass und ich spiele nervös an meinen Fingern. „Ja, Papa“, sage ich einlenkend. Dieser steht auf und geht zur Tür. „Also gut, ich mache uns jetzt Essen. Kommst du dann in einer halben Stunde?“ „Ich habe keinen Hunger, tut mir leid.“ „Yamato.“ Die Stimme meines Vaters klingt leicht verärgert. „Du kennst die Abmachung. Wenn du nicht isst, lasse ich dich sofort wieder einweisen.“ Ich sehe auf und erkenne in seinen Augen, dass er keineswegs scherzt. „Okay. Ruf mich dann einfach.“ Versöhnlich lächle ich ihn an, dann verlässt er das Zimmer. Sofort stehe ich auf und gehe an meine Schultasche, um einige Schmerztabletten herauszuholen. Mit etwas Wasser schlucke ich sie hinunter und lasse mich anschließend auf das Bett fallen. Ich hebe meinen linken Arm und schiebe den Ärmel ein Stück nach oben. Mit dem Zeigefinger meiner rechten Hand ziehe ich die bereits verblassten Narben nach, dann fahre ich über die noch rosafarbenen Male und letztlich über die frischen Wunden. Das Betrachten dieser Zeichen beruhigt mich, aber es steigert ebenso das Verlangen nach mehr. Ich schaue auf die Uhr. Es ist noch Zeit, also stehe ich auf und gehe schnell ins Bad. Kapitel 7: ----------- Gelangweilt sitze ich an meinem Platz und warte darauf, dass die Stunde beginnt. Ich frage mich, ob es richtig ist, nur für meinen Vater weiterzumachen. Die Suizidalität ist derzeit zwar nicht so hoch, dafür fühle ich mich unglaublich haltlos. Wie auf einer Grenzlinie. Ich wanke, kippe und kann jeden Moment fallen. Auch sind die Extreme nicht mehr so heftig, worüber ich froh sein müsste, doch ich spüre es nicht. Im Gegenteil, es gibt mir noch mehr das Gefühl, einfach nur zu existieren. All diese Widersprüchlichkeiten verwirren mich und lassen mich an mir selbst zweifeln. „Komm in der Mittagspause in den Musikraum. Ich besorge den Schlüssel.“ Aus meinen Gedanken gerissen schaue ich erschrocken in die Richtung, aus der die Stimme kam. Ich sehe meinen Klassenkameraden, wie er sich gerade auf seinen Stuhl setzt. „Nach unserem letzten Treffen hätte ich gedacht, dass du nicht noch einmal meiner Aufforderung nachkommst“, sagt mein Mitschüler, als er auf mich zukommt. Ich sehe ihn an. „Was willst du?“ „Lass uns reingehen“, meint er ruhig und schließt den Musikraum, der in den Pausen immer abgeschlossen wird, auf. Hinter uns dreht er den Schlüssel wieder in die andere Richtung und lässt ihn dann in seiner Hose verschwinden. „Was hast du jetzt vor? Die Aktion vom letzten Mal können wir leider nicht wiederholen, da es hier keine Putzgeräte gibt“, lächle ich kühl. Er kommt auf mich zu und bleibt direkt vor mir stehen. „Du widerst mich an!“, sagt er verächtlich und spuckt mir ins Gesicht. Unbeeindruckt wische ich mit meinem Ärmel den Speichel ab. Dann ramme ich meine Faust mit voller Kraft in den Magen meines Mitschülers. Sofort geht dieser keuchend in die Knie und hält sich mit verschränkten Armen den Bauch. „War es das schon?“, frage ich herablassend. Ich hocke mich neben ihn und betrachte sein schmerzverzogenes Gesicht. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. Zufrieden erhebe ich mich wieder und trete noch einmal nach. Hart fällt mein Klassenkamerad zu Boden und bleibt wimmernd liegen. Eine Weile genieße ich das Szenario, dann gehe ich zu dem Schrank, in dem die Instrumente aufbewahrt werden, und hole eine Konzertgitarre heraus. Entspannt setze ich mich auf einen der Stühle und beginne ein paar Akkorde zu spielen. „Du bist tatsächlich krank“, wirft mir mein Mitschüler eher gequält als verachtend an den Kopf. „Findest du?“, frage ich ernst. Der Angesprochene rappelt sich mühsam auf und kommt langsamen Schrittes in meine Richtung. Dessen ungeachtet spiele ich weiter. Dicht vor mir bleibt er stehen und greift nach meinem Hals. Einen sanften Druck auf meiner Kehle spürend lasse ich die Gitarre verstummen. „Willst du mich töten?“ Amüsiert schaue ich ihn an. „Nein, an dir mache ich mir nicht die Hände schmutzig.“ Er beugt sich vor und fügt, in mein Ohr flüsternd, hinzu: „Aber ich werde dir das Leben zur Hölle machen.“ „Deine Besessenheit, und anders kann man dein Verhalten nicht nennen, grenzt an Hassliebe“, bemerke ich trocken. „Und deine grenzenlose Arroganz wird dir das Genick brechen.“ Er lässt meinen Hals los, stattdessen streicht er mir lieblos über die Wange. „Gern würde ich dein hübsches Gesicht verunstalten, aber das ist zu auffällig. Überdies scheint körperlicher Schmerz bei dir keine Wirkung zu haben.“ „Und du behauptest, ich bin krank.“ Ihm direkt in die Augen blickend lächle ich ihn an. „Ich reagiere nur auf dich“, bekomme ich zur Antwort. „Warum hast du mich herbestellt? Doch sicher nicht, um dich mit mir zu unterhalten. Die Pause ist auch gleich vorbei“, bemerke ich nun ungeduldig. „Nein, aber wir sollten jetzt zurückgehen“, weicht er meiner Frage aus. Mich nicht aus den Augen lassend kramt er den Schlüssel aus seiner Hosentasche. Verwirrt sehe ich ihn an. „Ist das dein Ernst?“, frage ich ungläubig. „Stell die Gitarre zurück und komm“, entgegnet er, wobei sein Tonfall beinahe einem Befehl gleicht. Irritiert leiste ich seiner Aufforderung Folge. Als er die Tür aufschließt, ertönt die Schulklingel. Wir verlassen das Musikzimmer und er verschließt den Raum hinter uns wieder. „Ich gebe noch schnell den Schlüssel ab“, ruft er mir zu, während er sich bereits schnellen Schrittes von mir entfernt. Ich sehe ihm nach. Reglos stehe ich da und versuche einen Sinn in dieser Aktion zu sehen. Allmählich leert sich der Schulhof. Die meisten Schüler sind bereits auf dem Weg nach Hause, nur einige Mitglieder diverser Klubs sind noch zu sehen. Ich stelle meine Tasche auf eine der Bänke und suche nach meinen Schmerzmitteln. Hastig entnehme ich ein paar Tabletten und schlucke sie hinunter. „Hast du wieder Kopfschmerzen?“ Ich erkenne die Stimme meines Freundes, aber anstatt zu antworten, entferne ich mich ein Stück, um zu dem Wasserspender zu gelangen. Ich beuge mich darüber und spüle mit einigen Schlucken nach. Dann wische ich meinen Mund mit dem Handrücken trocken und sehe Tai an. „Ja“, antworte ich tonlos, obwohl ich weiß, dass es schon längst nicht mehr nur um Kopfschmerzen geht. „Hast du noch Training?“, versuche ich abzulenken. „Ja, nachher. Aber es lohnt sich nicht, noch einmal nach Hause zu gehen.“ „Hmm…“, ist das Einzige, das ich von mir gebe. Dann setze ich mich schweigend auf die Bank, auf der meine Tasche steht. Nachdenklich starre ich vor mich hin. Ich bekomme mit, dass mein Freund neben mir Platz nimmt, reagiere jedoch nicht darauf. „Was ist los?“, höre ich auf einmal Tais Stimme fragen. „Nichts“, sage ich, ohne aufzusehen. Unangenehmes Schweigen stellt sich zwischen uns ein. Am liebsten würde ich jetzt weglaufen, denn die Gegenwart meines Freundes schnürt mir die Kehle zu. Ich atme tief ein, als ich merke, dass Tai seine Hand auf meine legt und sie leicht drückt. Widersprüchliche Gefühle steigen in mir auf, welche ich durch Gleichgültigkeit zu ignorieren versuche. Ich sitze auf meinem Bett, auf dem Schoß die Gitarre, und feile an einer neuen Melodie. Die Grundstruktur steht bereits, doch die Feinheiten fehlen noch, um dem Lied Persönlichkeit zu geben. Ein Klopfen an der Tür reißt mich aus meiner Vertiefung und holt meine Aufmerksamkeit zurück in die Realität. Takeru kommt herein und sieht mich überrascht an. „Du spielst wieder?“, fragt er erfreut. „Kleiner Bruder!“ Ich lächle ihn an und beginne, die Saiten zu zupfen. Er stellt seine Tasche ab und setzt sich zu mir. „Ich finde es toll, dass du die Musik offenbar noch nicht ganz aufgegeben hast“, sagt er aufrichtig. „Es wäre wirklich schade gewesen, wenn du aufgehört hättest.“ „Wahrscheinlich könnte ich das auch gar nicht. Sie ist doch irgendwie ein Teil von mir.“ Ich lasse meine Finger liebevoll über den mahagonifarbenen Korpus gleiten, dann streiche ich leicht über ein paar Saiten. „Steigst du auch wieder in die Band ein?“ Takeru sieht mich erwartungsvoll an. Ich seufze und betätige die Stimmmechaniken, um vereinzelte Töne zu korrigieren. „Das wird vermutlich nicht so einfach sein. Ich habe über ein Jahr gefehlt und sie auch danach ziemlich hängen lassen.“ „Haben sie bereits einen neuen Sänger?“, erkundigt sich mein Bruder vorsichtig. „Gehört habe ich in dieser Richtung noch nichts“, überlege ich und spiele mehrere Akkorde nacheinander. „Hast du schon mit deinen Bandkollegen gesprochen?“, hakt Takeru nach. „Nein“, gebe ich zu, während ich die Tonfolge wiederhole. Im Augenwinkel sehe ich, dass mein Bruder mich besorgt anschaut. „Yama“, beginnt er und berührt leicht meinen Arm. „Willst du überhaupt zurück?“ Einen Moment herrscht Stille, nur die Klänge der angespielten Saiten erfüllen den Raum. „Wie geht es Mama?“, wechsele ich das Thema, um der Frage, auf die es im Augenblick keine Antwort zu geben scheint, aus dem Weg zu gehen. „Soweit ganz gut. Sie arbeitet gerade sehr viel, weshalb sie keine Zeit für ein Treffen aufbringen kann. Es tut ihr sehr leid und sie hat dich lieb.“ In Takerus Gesichtsausdruck lese ich Bedauern. „Schon gut. Das ist ja nichts Neues. Grüße sie bitte von mir.“ Ich versuche meine Stimme gleichgültig klingen zu lassen. „Mach ich“, versichert mir mein Bruder, dann stellt er die Frage, die ich am meisten hasse. „Wie geht es dir?“ Nostalgisch beginne ich ein altes, von mir selbst geschriebenes Lied zu spielen. Ein vertrautes Gefühl kommt in mir auf, schön und schmerzhaft zugleich. „Ganz gut“, versuche ich ihn und mich zu überzeugen. Offenbar ohne Erfolg. „So siehst du aber nicht aus“, entgegnet er teils skeptisch, teils vorwurfsvoll. „Du bist viel zu dünn, leichenblass und hast tiefschwarze Augenringe.“ Ich ignoriere die Bemerkung meines Bruders und bedeute ihm somit, dass diese Thematik für mich erledigt ist. Er versteht meinen Wink und atmet tief durch. Dann steht er auf und geht zur Tür, um sie zu öffnen. „Lass uns was essen.“ Er dreht sich zu mir um und lächelt. „Ich vermisse dein Rührei.“ Schmunzelnd stelle ich die Gitarre an ihren Platz und folge Takeru in die Küche. „Hey. Ich habe gehört, du hattest gestern Besuch von deinem Bruder“, begrüßt mich Tai, wobei er lässig an die Schulmauer gelehnt ist. Irritiert sehe ich meinen Freund an, gehe die letzten Meter auf ihn zu und bleibe vor ihm stehen. „Woher…?“, frage ich und zünde mir eine Zigarette an. „Hikari hat mir davon erzählt. Ihr Verehrer Daisuke war sehr erfreut über die Abwesenheit deines Bruders.“ Tai grinst mich vielsagend an. „Aber zwischen deiner Schwester und Takeru läuft doch nichts mehr, oder?“ Ich nehme einen tiefen Zug und inhaliere den Rauch. „Keine Ahnung. Ich glaube nicht.“ Tai zuckt mit den Schultern, um seine Unwissenheit zu unterstreichen. „Nächste Woche wird mein Vater für ein paar Tage nicht da sein. Du könntest in dieser Zeit bei mir übernachten. Falls deine Mutter es erlaubt. Meinem Vater wäre es nämlich lieber, wenn ich nicht allein zu Hause bleiben würde.“ Genervt verdrehe ich die Augen. „Hm…“, überlegt Tai. „Da es während der Schulzeit ist, dürfte das schwierig werden. Ich schaue, was sich machen lässt. Mit der richtigen Begründung klappt es vielleicht.“ Zuversichtlich zwinkert er mir zu. „Weiß deine Mutter eigentlich von unserer Beziehung?“ Mir fällt auf, dass ich über diese Frage bisher nie nachgedacht habe. Es spielte keine Rolle. Für mich war es immer wie eine unausgesprochene Selbstverständlichkeit. Verdutzt sieht mich mein Freund an. „Direkt gesagt habe ich nichts, aber sie wird es sich denken können. Zumindest verhält sie sich so. Hast du es denn deinem Vater gesagt?“, fragt Tai mit Verwunderung in der Stimme. Ich nehme einen letzten Zug und werfe die Zigarette auf den Boden. Mit dem Schuh trete ich sie aus. „Ja, ich erwähnte einmal etwas in der Richtung“, antworte ich abwesend, denn die Erinnerung an die damalige Situation holt mich ein und bringt meine Gefühle und Gedanken durcheinander. „Tatsächlich?“, will Tai sich vergewissern. Ich nicke. „Das überrascht mich. Wie war seine Reaktion?“, fragt er erstaunt weiter. „Er scheint kein Problem damit zu haben“, interpretiere ich die Aussage meines Vaters von damals sowie sein generelles Verhalten. Ich blicke meinen Freund an und streiche ihm voller Zuneigung am Haaransatz entlang über die Schläfe. „Ist das überhaupt wichtig? Es gibt nur dich und mich. Mehr sollte dich nicht interessieren.“ Ich beuge mich vor und hauche ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Tai lässt es zu, sieht mich dann aber ernst an. „Legst du es darauf an, von allen in der Schule gesehen zu werden?“ „Nein“, antworte ich tonlos und trete einen Schritt von meinem Freund zurück. Die Schulklingel läutet und weist die Schüler darauf hin, dass es Zeit wird, die Klassenräume aufzusuchen, wenn sie sich nicht verspäten möchten. Schweigend laufen wir nebeneinander auf das Gebäude zu. „Bis dann“, verabschiedet Tai sich am Eingang und schlägt eine andere Richtung ein als ich. Mit einem Gefühl der Leere drehe ich mich noch einmal um. Mein Freund geht schnellen Schrittes den Flur entlang, bevor er um eine Ecke biegt und sich somit meinen Blicken entzieht. Die Mittagspause hat gerade begonnen, als ich mit meiner Zigarettenschachtel den Raum verlasse. Ich versuche auf dem Weg nach draußen niemanden zu berühren, was in Anbetracht der vielen Schüler kein einfaches Unterfangen ist. Doch jeder Kontakt, auch wenn es sich nur um ein leichtes Streifen handelt, lässt Ekel in mir aufkommen. Ekel vor anderen und vor mir selbst. Mit dem Betreten des Schulhofes scheint mir die Sonne direkt in die Augen und blendet mich. Kurz schließe ich sie und atme tief ein. Dann gehe ich zum Tor, stelle mich außerhalb des Schulgeländes an die Mauer und zünde mir eine Zigarette an. Immer wieder ziehe ich den Rauch tief ein. Einige Mädchen stehen nicht weit von mir entfernt, unterhalten sich und albern rum. Ich ging davon aus, etwas abschalten zu können, doch bei solcher Gesellschaft ist das schwer möglich. Meine Zigarette wegwerfend gehe ich langsam zurück. Die Menschen um mich herum nehme ich nur als Schemen wahr, denen ich hin und wieder ausweichen muss. Eigentlich hatte ich gehofft, dass die Luftveränderung meine Kopfschmerzen lindern würde, doch genau das Gegenteil ist der Fall. Durch die Bewegung, die Sonne und die verhältnismäßig hohen Temperaturen sind sie noch schlimmer geworden. Das Pulsieren drückt unangenehm von innen gegen meine Schädeldecke. Kurz presse ich meine Finger auf eine meiner Schläfen, während ich die Treppen nach oben steige. Ich überlege nach Hause zu gehen, da meine Anwesenheit ohnehin sinnlos ist, und beschließe schnell meine Sachen zu holen, um den Gedanken in die Tat umzusetzen. Zu meiner Überraschung sehe ich Tai, der offenbar an meinem Platz auf mich wartet. Als ich auf ihn zugehe, komme ich am Tisch jenes Mitschülers vorbei. Sein Gesichtsausdruck ist für mich nicht greifbar. Er irritiert mich. Schweigend drehe ich mich weg. Vor meinem Freund bleibe ich stehen. „Hey“, begrüße ich ihn leise, bekomme jedoch keine Antwort. Er sieht mich lediglich mit durchdringendem Blick an. „Was ist denn los?“, frage ich unsicher. „Lässt du dich jetzt von jedem vögeln?“ Tais Stimme ist ruhig, doch in seinen Augen lese ich Geringschätzung. Ohne ein Wort zu sagen, stehe ich wie erstarrt vor ihm. „Yamato, antworte!“, fordert er mich auf. Ich schüttle meinen Kopf. „Was ist dann im Musikraum passiert?“ Die Frage meines Freundes ist nachdrücklich, doch in der Lautstärke deutlich herabgesetzt, um zu vermeiden, dass die gesamte Klasse mithört. Ich sehe zu dem Klassenkameraden, welcher für diese Situation hauptsächlich verantwortlich ist, doch der scheint keine Notiz von mir zu nehmen. „Also stimmt es doch“, schlussfolgert Tai aus meinem Verhalten. „Hat er es dir wenigstens richtig besorgt? Konnte er dir geben, wonach du suchst und was ich dir offenbar nicht geben kann?“ Anhand seines Tonfalls kann ich nicht erkennen, was mein Freund gerade fühlt. Auch sein Gesichtsausdruck ist emotionslos. Ich strecke meine Hand aus und berühre ihn sehnsuchtsvoll an der Wange. „Es tut mir leid“, flüstere ich. Dann packe ich meine Sachen zusammen und verlasse das Schulgelände noch vor dem Unterrichtsklingeln. Nachdenklich gehe ich nach Hause. Ich stehe am Schultor und ziehe nervös an meiner Zigarette. Der Unterricht endete vor wenigen Minuten und allmählich strömen die Schüler aus dem Gebäude, teils in Grüppchen, teils allein. Einige nehmen Notiz von mir, aber die meisten widmen ihre Aufmerksamkeit lieber ihren Begleitern oder anderen persönlichen Dingen. Ich blicke mich suchend um und nach einer Weile entdecke ich mein Zielobjekt. Er betritt gerade den Schulhof und unterhält sich noch einen Moment mit ein paar Freunden, dann verabschiedet er sich und setzt sich in meine Richtung in Bewegung. Während ich auf ihn warte, rauche ich zügig meine Zigarette und werfe sie dann achtlos zu Boden. Die Blicke meines Zielobjektes und mir treffen sich, als er eilig an mir vorübergeht. Ich halte ihn am Arm fest, um ihn am Weiterlaufen zu hindern. Finster sieht er mich an. „Was willst du?“ Der Tonfall meines Mitschülers ist trotzig. „Ich glaube, das weißt du“, antworte ich, ohne ihn loszulassen. Unbeirrt dessen streift er meine Hand von seinem Arm, bleibt allerdings stehen und schaut mich weiterhin an. „Nicht direkt“, entgegnet er zögernd, doch anhand seines Verhaltens erkenne ich, dass er eine Ahnung hat. „Lass uns an einen Ort gehen, an dem wir ungestört sind“, schlage ich vor, wobei ich es absichtlich wie einen Befehl klingen lasse. Erstaunt registriere ich, dass er mir ohne Widerrede zurück in die Schule folgt. Zielstrebig schlage ich die Richtung zu unserem Klassenraum ein. Ich schließe die Tür hinter uns, nachdem wir eingetreten sind. „Um diese Zeit dürfte niemand hierherkommen“, mutmaße ich, dann gehe ich zu meinem Klassenkameraden, der sich inzwischen an seinem Platz auf den Tisch gesetzt hat. Vor ihm bleibe ich stehen und lächle ihn vielsagend an. „Andererseits hast du ja kein Problem damit, private Dinge an die Öffentlichkeit zu tragen.“ Mein Gegenüber hält meinem Blick stand. „Du verhältst dich auch nicht gerade zurückhaltend.“ Er lächelt zurück, dann verändert sich sein Gesichtsausdruck und er sieht mich hasserfüllt an. „Ich sagte dir, ich werde dein Leben einer Hölle gleich machen. Und am besten funktioniert das, wenn ich dir das Wichtigste nehme.“ „Indem du behauptest, Sex mit mir gehabt zu haben? Ich frage mich, wessen Opfer größer ist.“ Ruhig hebe ich meine Hand und streiche ihm zärtlich über die Wange. „Warum hast du es nicht tatsächlich getan? Du hattest die Möglichkeit dazu. Mehrmals.“ Mein Mitschüler verzieht das Gesicht. „Dann wäre ich nicht besser als du. Vergiss nicht, dass ich deine Perversion nicht teile.“ „Wirklich nicht?“ Ich beuge mich vor und küsse ihn. Für einen Moment erwidert er zu meiner Überraschung den Kuss, ehe er ihn durch einen Faustschlag in meinen Bauch abbricht. Ein leises Keuchen entweicht meiner Kehle und der ziehende Schmerz in meiner Magengegend zwingt mich, in die Knie zu gehen. Ein Tritt in den Rücken bringt mich vollends zu Boden. „Du solltest lernen deine Grenzen zu kennen“, verhöhnt mich mein Klassenkamerad. „Und du solltest ehrlich zu dir selbst sein.“ Meine Worte presse ich stockend hervor. „Du hasst mich, aber ich fasziniere dich zugleich auch, hab ich recht?“ „Wie kommst du darauf? Du ekelst mich einfach nur an.“ Er stellt sich neben mich und schaut auf mich herab. Dann versetzt er mir erneut einen Tritt, den ich allerdings mit meinen Armen abblocken kann. Er zielte auf mein Gesicht, vermutlich um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Ich dachte, du willst keine Spuren hinterlassen. Wenn du mir aber direkt ins Gesicht trittst, wird es definitiv auffallen.“ Ich sehe ihn provokant an und versuche, wieder auf die Beine zu kommen. „Anders scheint man gegen deine Arroganz nicht anzukommen.“ Er zieht mich an den Haaren nach oben und dicht zu sich heran. „Aber die werde ich dir schon austreiben.“ „Wozu? Lass mich doch einfach in Ruhe. Wenn ich dir so zuwider bin, dann wäre es doch am einfachsten, mich zu ignorieren. Aber das kannst du nicht.“ Ich lächle ihn an. „Du kannst es nicht, weil nicht nur Hass und Ekel oder Abscheu dein Motor sind.“ Mit meinen Fingern fahre ich sanft durch seine Haare. Mein Mitschüler lässt es geschehen. Seine Augen sehen mich verunsichert an. Langsam entkrampfen seine Finger und er lässt seine Hand sinken. Ich schaffe es, aufrecht stehen zu bleiben, halte aber meinen Bauch noch mit einem Arm umschlungen. „Du bist… unfassbar…“ „Schlaf mit mir. Jetzt. Und hier“, unterbreche ich ihn. „Das Gerücht hast du in die Welt gesetzt. Nun setze es auch um. Zu verlieren haben wir beide nichts mehr und vielleicht können wir dann auch endlich miteinander abschließen.“ „Indem ich Sex mit einem Mann habe? Lieber sterbe ich!“, sagt er mit ruhiger Stimme, aber von Ekel verzogenem Gesicht. „Nein. Sex mit mir.“ Erneut wage ich einen Annährungsversuch und berühre seine Lippen vorsichtig mit meinen eigenen. Langsam entwickelt sich der Kuss zu einem leidenschaftlichen Zungenkuss. Es ist ein seltsames Gefühl. Ungewohnt und irgendwie mechanisch. Ich bemerke, dass mein Klassenkamerad sich mit seinen Fingern an meinem Hosenverschluss zu schaffen macht. Unbeholfen und zitternd öffnet er den Knopf sowie Reißverschluss. Ich löse mich von dem Kuss und flüstere schwer atmend in sein Ohr: „Stell dir einfach vor, ich bin ein Mädchen.“ „Mit deinem hübschen Gesicht könntest du das wirklich sein“, lacht er nervös und streicht mir verhalten über die Wange. „Zieh deine Hose nach unten, dreh dich um und beuge dich über den Tisch.“ Sein Tonfall ist nun befehlend und kühl. Ich gehorche widerstandslos. Dann höre ich, wie er seine eigene Hose öffnet und herunterlässt. Kurz schaue ich noch einmal hinter mich. „Du bist erregt“, stelle ich erstaunt fest. „Bekommst du immer einen Ständer, wenn du dich ekelst?“ Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. Doch statt eine Antwort zu geben, stellt sich mein Mitschüler direkt hinter mich und dringt langsam in mich ein. Ich schließe die Augen und versuche das aufkommende Gefühl des Selbsthasses niederzukämpfen. Jeder Stoß, den mein Klassenkamerad ausübt, wird härter. Die Tischkannte rammt sich rhythmisch in meinen Bauch und quietschende, kratzende Geräusche erfüllen den Raum, vermischt mit unserem lauter werdenden Stöhnen. In meinem Inneren schreit alles und wehrt sich gegen mein unbegreifliches Handeln, Erregung und Ekel vermischen sich. Übelkeit steigt in mir auf. Plötzlich fühle ich die Hand meines Mitschülers in meinem Haar. Er krallt seine Finger darin fest und zieht meinen Kopf mit einem kräftigen Ruck nach hinten. Ein erschreckter Schrei kommt über meine Lippen. „Du stehst eher auf harten Sex, hab ich recht? Soll ich es dir richtig besorgen, sodass du vor Schmerzen nicht wieder aufstehst?“, fragt mein Klassenkamerad keuchend, während er seine Bewegungen intensiviert. „Nein, hör auf“, erbitte ich. Mein Bewusstsein ist eingeengt und ich schaffe es nur mit großem Kraftaufwand, nicht zusammenzubrechen. Ohne Nachzufragen zieht mein Mitschüler sich aus mir zurück. Sofort sinke ich zu Boden und erbreche eine Mischung aus Galle und Magensaft. Immer wieder würge ich, bis es schmerzt und sich mein Oberkörper verkrampft. Mein Klassenkamerad hockt sich neben mich und legt seine Hand auf meinen Rücken. „Yamato? Warum hast du es darauf angelegt, mit mir zu schlafen?“ Seine Stimme ist tonlos. Ich antworte nicht. Meine Atmung ist stockend und mein Körper zittert, ohne dass ich Einfluss darauf nehmen kann. „Du weißt aber, dass, auch wenn wir Sex miteinander hatten, sich nichts geändert hat. Ich hasse dich, nur die Faszination an deiner Person gebe ich jetzt zu. Freunde werden wir jedenfalls keine.“ „Ich will nicht dein Freund werden. Ich brauchte dich nur, um mir selbst über einiges klar zu werden. Aber letztlich haben wir beide profitiert, oder? Lass es uns dabei bewenden.“ Ich sehe ihn mit verzerrtem Lächeln an. Er haucht mir leicht einen Kuss auf den Mund. Dann steht er auf und tritt mir mit ziemlicher Kraft erneut in den Magen. Unter Schmerzen breche ich zusammen und bleibe zusammengekrümmt auf dem Boden liegen. Ohne ein weiteres Wort verlässt mein Mitschüler das Klassenzimmer. Tränen laufen mir über die Wangen. Ich fühle mich dreckig und allein. Einmal mehr werde ich mir meiner Abartigkeit und meines schlechten Charakters bewusst. Diesmal habe ich Tai wirklich betrogen, mit voller Absicht, auch wenn ich mir einrede, es für ihn getan zu haben. Die Sehnsucht nach meinem Freund lässt mich verzweifeln. Und der Besitzanspruch frisst mich von innen heraus auf. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. Mühsam setze ich mich auf, ziehe umständlich meine Hose wieder an und stehe schwerfällig, mich am Tisch festhaltend, auf. Ich atme tief ein, dann wische ich mir die Tränen aus den Augen. Mit einer Mischung von Schuldgefühlen, Ekel, Selbsthass, aber auch Verlangen und Liebe mache ich mich auf den Weg nach Hause. Ich öffne unter Schmerzen meine Augen. Das Stechen und Dröhnen in meinem Kopf bringt mich beinahe um den Verstand. Zittern ergreift von meinem Körper Besitz. Langsam erlange ich meine Wahrnehmung vollständig zurück und registriere, dass ich auf den kalten Fliesen im Badezimmer liege. Unweit von mir sehe ich Medikamentenschachteln und leere Blisterpackungen. Ein Blick auf meinen Arm lässt die Erinnerungen Stück für Stück zurückkehren. Als ich nach Hause kam, überwältigte mich der Selbsthass, ich schloss mich im Bad ein, schnitt mir mit einer Rasierklinge wahllos mehrfach den Arm auf und schluckte eine Packung Schmerzmittel sowie eine halbe Packung Schlaftabletten. Irgendwann brach ich, das Bewusstsein verlierend, zusammen. Eine kleine Lache hat sich auf den Fliesen um meinen Arm gebildet, das Blut ist mittlerweile geronnen. Ich frage mich, wie lange ich ohnmächtig war. Meinem Körpergefühl nach zu urteilen, scheint es eine halbe Ewigkeit gewesen zu sein. Benommen versuche ich mich zu erheben, doch meine Beine knicken immer wieder weg. Unter Anstrengung schaffe ich es, mich aufzusetzen. Mit der Hand fahre ich zittrig durch meine Haare und zucke heftig zusammen, als ich eine Stelle an meinem Hinterkopf berühre, die stark geschwollen ist. Offenbar bin ich hart auf den Fliesen aufgeschlagen, als ich umkippte. Ich hebe meinen linken Arm etwas und betrachte ihn eingehender. Teils geronnenes, teils bereits getrocknetes Blut klebt auf dem gesamten Unterarm und lässt die Verletzungen schlimmer aussehen, als sie sind. Die meisten Schnitte sind oberflächlich, nur wenige Wunden klaffen weiter auseinander. Ich schließe meine Augen und sauge den Schmerz, der meinen gesamten Körper fest im Griff hat, tief in mich ein. Ein bitteres Lächeln legt sich auf meine Lippen. Als ob ich mich mit diesen Selbstschädigungen bestrafen könnte. Und dennoch brauche ich sie, um am Leben zu bleiben. Ich versuche noch einmal aufzustehen, diesmal langsam und bedächtig. Schwerfällig schleppe ich mich zur Dusche und schaffe es gerade noch, den Hahn aufzudrehen, bevor ich erneut zusammenbreche. Das Wasser prasselt kalt auf meine Haut. Es fühlt sich an wie Nadelstiche und brennt in meinen Wunden. Ich beginne mit meiner rechten Hand darüber zu wischen, um das Blut zu entfernen. Doch der benötigte Kraftaufwand ist größer als angenommen, sodass ich einige der tieferen Wunden, die durch die Gerinnung bereits geschlossen waren, wieder aufreiße. Hellrotes Wasser fließt über den hellen Boden der Dusche und verschwindet im Abfluss. Ich lasse ab von meinem Arm und lehne mich gegen die Wand. Das Zittern wird durch die kalte, nasse Kleidung, die schwer an meinem Körper klebt, noch verstärkt. Ich verliere jegliche Kontrolle und rutsche kraftlos in eine halb liegende Position. Heiße Tränen der Wut laufen mir über die Wangen und vermischen sich mit der Kälte des Duschwassers. Unvermittelt schlage ich mit der Faust gegen die Fliesen. Immer und immer wieder, bis die Haut an den Knöcheln so verletzt ist, dass Blut austritt. Schwer atmend sehe ich mir die Hand an. Sie ist stark geschwollen und an einigen Stellen bereits blau unterlaufen. Die Schmerzen weichen allmählich einer dumpfen, pulsierenden Taubheit. Ich lächle zufrieden und lasse mich zur Seite auf den Boden fallen. Zitternd krümme ich mich zusammen und versuche angestrengt dieses einzudämmen, doch es gelingt mir nicht. Das unaufhörlich auf mich niederregnende Wasser kühlt meinen Körper zusätzlich aus. Müdigkeit überkommt mich und ich schließe ergeben die Augen. Das Geräusch der Tropfen, die unablässig gegen die Wände und auf den Boden hämmern, beruhigt mich, obwohl es mir unnatürlich laut erscheint. Ich merke, dass ich dabei bin, das Bewusstsein wieder zu verlieren. Meine letzten Kräfte mobilisierend versuche ich mich dagegen zu wehren. Schwerfällig und nur mit Abstützen gelingt es mir, auf die Beine zu kommen. Erschöpft und noch immer benommen von den Medikamenten stolpere ich aus der Dusche, schaffe es nicht, mein Gleichgewicht zu halten, und schlage hart auf den Fliesen auf. Nach einem kurzen Innehalten, um meine Besinnung wiederzuerlangen, ziehe ich mich Stück für Stück über den Boden, wobei ich mein Blut mit dem Arm weiter auf den Fliesen verteile. Grob reiße ich einen der Bademäntel vom Haken und schlüpfe umständlich hinein. Dann öffne ich völlig entkräftet die Badtür und krieche über den Flur in mein Zimmer. Ich fühle mich erbärmlich und weiß, dass ich genau das auch bin. Beinahe abwesend entledige ich mich der nassen Kleidung unter meinem Bademantel und lasse sie auf dem Boden liegen. Schlotternd vor Kälte ziehe ich den Bademantel wieder über, schleppe mich in das Bett und schlinge die Decke eng um meinen Körper. Dann ergreift Ohnmacht Besitz von mir. Es ist bereits dunkel, als ich aufwache. Meine Augen brennen und mein gesamter Körper fühlt sich an, als wäre ich brutal gefoltert worden. Sehr bedacht bewege ich mich, wodurch ich wahrnehme, dass ich komplett durchgeschwitzt bin. Vorsichtig richte ich mich auf. Die Decke und der Bademantel rutschen leicht von meinen Schultern nach unten. Ich beginne zu frieren, da der Schweiß auf meiner Haut kühlend wirkt. In meinem Kopf pulsiert es, besonders dort, wo ich im Bad auf den Fliesen aufgeschlagen sein muss. Behutsam betaste ich die Stelle mit meinen Fingern, zucke jedoch unwillkürlich zusammen, als ein stechender Schmerz sich bemerkbar macht. „Du lebst also noch“, höre ich auf einmal eine Stimme sagen. Erschreckt sehe ich in die Richtung, aus der die Worte kamen. Auf dem Stuhl an meinem Schreibtisch erkenne ich die Silhouette meines Vaters. Schweigend steht er auf, geht zum Lichtschalter und betätigt ihn. Reflexartig kneife ich meine Augen zusammen. Die plötzliche Helligkeit beißt in meinen Augen und ich brauche eine Weile, um mich daran zu gewöhnen. Mein Vater setzt sich zurück auf den Stuhl. Unverhohlen sieht er mich an. „Du wirst wieder in die Klinik gehen“, teilt er mir ernst mit. Schockiert blicke ich ihm in die Augen und muss erkennen, dass es offenbar kein Scherz war. „Nein“, flüstere ich. „Das kannst du nicht machen.“ „Yamato. Du weißt, was passiert ist, oder?“ Ich schweige und schaue beschämt zu Boden. In meinem Wahn habe ich nicht daran gedacht, das Bad wieder in Ordnung zu bringen. „Es sah aus, als wäre jemand abgeschlachtet worden. Und auch wenn du für die Wäsche verantwortlich bist… denkst du, ich bekomme nicht mit, dass deine Bettlaken und deine Kleidung ständig blutbefleckt sind?“ „Es tut mir leid. Ich…“ Meine Stimme bricht weg. „Was, dass du schon wieder die Kontrolle verlierst? Dass du alles tust, um dir selbst zu schaden? Es lagen auch noch Medikamentenschachteln im Bad. Wie lange geht der Missbrauch schon? Vermutlich hast du nie damit aufgehört, obwohl du den Sinn meiner Maßnahmen verstanden hast. Aber es ist dir egal, hab ich recht?“ Reglos starre ich zu Boden. „Yamato, verdammt nochmal! Sag etwas!“ Der Tonfall meines Vaters ist eine Mischung aus Ärger und Verzweiflung. Ich öffne meinen Mund, um der Aufforderung meines Vaters nachzukommen, doch ich bekomme kein Wort heraus. Mein Vater steht auf, vor mir bleibt er stehen. Ohne Vorwarnung verpasst er mir eine kräftige Ohrfeige. Dann verlässt er den Raum und kommt mit einem nassen Lappen und Verbandsmaterial zurück. Wortlos reinigt er meine Wunden am Arm und an den Handknöcheln. Ergeben lasse ich es geschehen. Meine Wange glüht noch immer von dem Schlag. Ich schließe meine Augen und lasse diesen zwiebelnden Schmerz auf mich wirken. „Wir werden morgen deinen Einweisungsschein holen, dann gebe ich dich erst einmal in die Obhut der geschlossenen Psychiatrie.“ Er klingt konsequent. „Papa, bitte! Tu mir das nicht an!“, flehe ich. „Nein, Yamato. Das hast du dir selbst angetan.“ Er beginnt meine Wunden zu verbinden. „Papa! Lass mich nicht wegsperren! Das bringt doch nichts, die können mir nicht helfen!“ Meine Lautstärke hat deutlich zugenommen, sodass ich ihn fast anschreie. Tränen der Wut und Verzweiflung füllen meine Augen und laufen meine Wangen hinab. Mein Vater seufzt. „Dann sag mir, was ich stattdessen tun soll? Zusehen, wie du dich systematisch zugrunde richtest und langsam daran stirbst? Yamato, das hatten wir alles schon. Mehrmals.“ Behutsam fixiert er den Verband, dann schaut er mich sorgenvoll an. Er sieht erschöpft und müde aus. „Klinikaufenthalte hatte ich auch mehrere und wenn wir ehrlich sind, hat keiner wirklich etwas gebracht“, sage ich entschieden, beinahe trotzig. Ich erwidere seinen Blick, wobei ich mir verstohlen die Tränen aus dem Gesicht wische. „Also gut. Beantworte mir ein paar Fragen. Und ich bitte dich, die Wahrheit zu sagen, auch wenn es unangenehm ist. “ Ich nicke zögerlich, da ich erkenne, dass ich ohnehin keine andere Wahl habe. „Nimmst du außer Schmerz- und Schlafmittel noch andere Tabletten?“ „Nur die drei verschriebenen Psychopharmaka, die du mir allerdings zuteilst.“ „Wie oft und wie viel nimmst du?“ Betreten senke ich den Blick. „Ich weiß es nicht. Es gibt keine Regelmäßigkeit.“ Ich kann das Misstrauen, welches mir mein Vater entgegenbringt, spüren. „Sieh mich an, Yamato. Ich möchte dir in die Augen schauen können.“ Langsam hebe ich meinen Kopf. Unsere Blicke treffen sich und ich weiche sofort wieder aus. „Wie äußert sich dein selbstverletzendes Verhalten außer im Schneiden?“ „Wie meinst du das?“ Irritiert schaue ich ihn an. „Das weißt du genau. Wie kommt Blut auf die Hose der Schuluniform? An solch einer Stelle.“ Ich merke, wie Hitze in mir aufsteigt und mich vor Scham erröten lässt. „Was soll das hier eigentlich werden?“, werfe ich meinem Vater gereizt an den Kopf. „Begreife endlich, dass du mein Sohn bist und ich dich liebe! Ich möchte verstehen, was in dir vorgeht, warum du was tust. Und vor allem bin ich noch immer für dich verantwortlich.“ Sein Tonfall ist jetzt ebenfalls aufgebracht, aber auch Angst und Traurigkeit schwingen mit. „Na schön, ich hatte Sex. Harten Sex. Und ja, ich stehe darauf. Ich finde es geil, brutal in den Arsch gefickt zu werden. Finde dich damit ab, dass dein Sohn pervers ist. Vielleicht möchtest du ja auch einmal Hand an mich legen. Das wäre der Gipfel meiner Abartigkeit.“ Ich grinse ihn an und verabscheue mich dafür und für meine Worte. Erneut handle ich mir eine Ohrfeige von meinem Vater ein. Diesmal schlägt er härter zu als vorhin. „Du verlierst wieder die Beherrschung. Manchmal frage ich mich, ob du dich selbst reden hörst und ob du deine Worte und dein Verhalten in solchen Situationen beeinflussen kannst.“ Seine Stimme ist unerwartet ruhig. Entsetzt blicke ich meinen Vater an. Wieder laufen mir Tränen über die Wangen. „Entschuldige“, sage ich, beschämt über meinen unkontrollierten Ausbruch. „Aber ich sagte die Wahrheit. Ich hatte Sex… nur nicht mit Tai.“ Es fällt mir schwer, ihm in die Augen zu sehen, doch ich zwinge mich dazu, um meine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen. Einen Moment herrscht Stille, die ein unangenehmes Gefühl verursacht. Ich ziehe den Bademantel wieder über meine Schultern und schnüre ihn fest um meinen Körper. „Warum, Yamato?“, fragt mein Vater plötzlich. Ich erstarre, nur meine Tränen fließen unaufhörlich und tropfen auf den Stoff meiner Bettdecke. „Ich weiß es nicht“, gebe ich erstickt zu und versuche mein Weinen zu unterdrücken. Es gelingt mir allerdings nicht. Mein Vater sieht mich hilflos an. „Ist das der Grund für deine Selbsthassorgie?“ Ich schweige. Sanft streicht er mir eine Strähne aus dem Gesicht, anschließend gibt er mir liebevoll einen Kuss auf die Stirn. „Bist du sicher, dass du momentan in der Klinik nicht besser aufgehoben wärst?“ „Ja“, sage ich knapp, aber ohne Zweifel in der Stimme. Mein Vater seufzt. „Wenn du in der nächsten Zeit dein Verhalten und vor allem deinen Tablettenkonsum nicht in den Griff bekommst, mache ich meine Drohung wahr. Dann lasse ich dich einweisen, auch gegen deinen Willen. Hast du verstanden, Yamato?“ An seinem Tonfall erkenne ich, dass jede weitere Diskussion sinnlos ist. Ich nicke stumm. Mit seinen Fingern wischt er vorsichtig meine Tränen weg. „Du solltest jetzt schlafen. Es ist schon spät und du musst morgen wieder zur Schule.“ Ohne Widerworte lege ich mich hin und schließe müde die Augen. Mein Vater steht auf und schaltet das Licht aus. „Wechsele morgen bitte deine Bettwäsche, der Bademantel muss auch gewaschen werden.“ „Ja“, antworte ich ihm knapp, dann verlässt er mein Zimmer und schließt hinter sich die Tür. Ich warte noch einen Moment, dann stehe ich schwerfällig auf und hole aus meiner Schultasche einige Schlaf- und Schmerztabletten, die ich mit meinen anderen Medikamenten und etwas Wasser herunterschlucke. Erschöpft sinke ich zurück auf mein Bett und schlafe sofort ein. Ich sitze auf meinem Bett mit einer Tasse Kaffee in der Hand und kühle mit einem Icepack die noch immer stark geschwollene Stelle an meinem Kopf. Nervös schaue ich auf die Uhr. Die Zeiger rücken unerbittlich von Minute zu Minute, von Zahl zu Zahl weiter und ihr Ticken setzt meinen Nerven noch weiter zu. Eigentlich müsste ich mich allmählich auf den Weg zur Schule machen, wenn ich noch rechtzeitig kommen möchte, doch ich rühre mich nicht. Angst lähmt mich. Die Angst vor mir selbst und Angst davor, Tai zu begegnen. Ich überlege, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Immerhin habe ich im Nachhinein dem Gerücht entsprechend gehandelt. Ich hatte Sex mit meinem Klassenkamerden. Freiwillig, mit Aufforderung meinerseits. Mir war die ganze Zeit bewusst, dass ich meinen Freund betrüge, ich tat es sogar absichtlich. Aber nicht, um ihn zu verletzen. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, von jemand anderem als Tai genommen zu werden. Und ich wollte wissen, ob mir andere Menschen etwas geben können, wozu Tai nicht in der Lage ist. Letztlich habe ich Antworten gefunden, aber auch tiefe Abscheu und Verachtung für mich selbst. Ich blicke erneut auf die Uhr. Zur ersten Stunde schaffe ich es keinesfalls mehr. Doch zu Hause bleiben ist keine Option, denn wenn ich nicht zur Schule gehe, ist meine Einweisung durch meinen Vater sicher. Ich habe seine Nerven überstrapaziert, dessen bin ich mir durchaus bewusst. Aus diesem Grund wird er jetzt bei dem kleinsten Fehlverhalten meinerseits seine mehrfach ausgesprochenen Drohungen wahr machen und nicht noch einmal nachgeben. Ich muss mich also zusammenreißen, zumindest nach außen hin, denn in die Klinik gehe ich definitiv nie wieder. Eher töte ich mich. Ich könnte mich allerdings krankschreiben lassen, um der Schule zu entgehen, doch diese Blöße gebe ich mir nicht. Es wäre nur ein Weglaufen vor Dingen, die ich selbst zu verantworten habe. Ich seufze. Irgendwann muss ich mich Tai stellen. Das bin ich ihm schuldig. Ich trinke meinen Kaffee aus, lege das Icepack beiseite und stelle die Tasse auf den Nachttisch. Schnell schlucke ich noch ein paar Schmerztabletten, bevor ich mich mit gemischten Gefühlen auf den Weg zur Schule mache. Ich stehe an der Tür von Tais Klassenzimmer. Es ist Mittagspause und etliche Schüler haben den Raum verlassen. Am Fenster erblicke ich meinen Freund. Er albert mit ein paar anderen Jungs herum, wobei sie regen Körperkontakt in Form von Anstoßen, Festhalten und Umarmungen haben. Tais Lachen sieht unbeschwert und glücklich aus. Ein Lachen, welches ich selten zu sehen bekomme. Eifersucht und Besitzanspruch keimen in mir auf und lassen mich unruhig werden. Ich muss meinen Freund an mich binden, sodass er nichts mehr hat, außer mir. Sein Leben gehört mir ebenso, wie meines ihm gehört. Flüchtig sehen seine Augen mich an. Als er mich erkennt, hält er inne und seine Mimik wird ernst. Kurz wendet er sich an seine Mitschüler, dann kommt er in deutlicher Erwartungshaltung auf mich zu. Dicht vor mir bleibt er stehen, sodass ich seinen Duft in mich aufnehmen kann. Ich will ihn berühren, seine Haut auf meiner spüren. Das Verlangen nach Tai wird schmerzhaft stark. Sehnsüchtig und voller Liebe sehe ich ihn an. „Ich möchte dich berühren“, gebe ich unvermittelt zu. „Bist du hergekommen, um mir das zu sagen?“, bekomme ich kühl zur Antwort. „Nicht ausschließlich. Du hast doch heute kein Training. Komm nach der Schule mit zu mir.“ Ich formuliere meine Bitte absichtlich als Aufforderung, um zu verdeutlichen, dass ich ihm keine Wahl lasse. „Warum sollte ich?“ Die Stimme meines Freundes ist emotionslos. „Bitte“, sage ich nachdrücklich. „Wir treffen uns am Schultor, wie immer.“ Ohne ein weiteres Wort wendet er sich von mir ab und geht zurück zu seinen Klassenkameraden. Diese sehen fragend zu Tai, dann zu mir. Manche von ihnen waren einmal in meiner Klasse und kennen mich somit ein wenig, doch die Szene von eben scheint sie zu irritieren. Reglos stehe ich da und starre vor mich hin. Tais abweisendes Verhalten verletzt mich und entfacht gleichzeitig meine Begierde. Schweigend sitzen wir in meinem Zimmer, Tai auf dem Sofa, ich auf meinem Bett. Wir sehen uns nicht an, aber ich spüre deutlich die angespannte Atmosphäre. „Yamato, warum sagst du nicht einfach direkt, dass du dich von diesem Penner hast ficken lassen. Wegen dieses Themas bin ich doch hier, oder?“ Ich kann Verärgerung in der Stimme meines Freundes erkennen. „Ja“, bestätige ich seine Vermutung. „Aber ich habe mit ihm geschlafen, nachdem das Gerücht aufkam. Im Musikraum gab es keinen sexuellen Kontakt zwischen uns.“ „Ich nehme nicht an, dass er dich vergewaltigt hat. Das ist bei dir vermutlich auch nicht nötig. Du hältst schließlich jedem deinen süßen Arsch hin, forderst sie sogar auf dich zu nehmen. Und dabei ist es dir egal, ob sie ihren Schwanz oder Gegenstände verwenden. Hauptsache du kannst dich irgendwie selbst verletzen.“ Tai versucht kalt zu klingen, doch es gelingt ihm nicht ganz. Ich glaube, Verzweiflung, aber auch Zuneigung herauszuhören. „Taichi, sieh mich bitte an“, sage ich ruhig. Er kommt meinem Wunsch nach und schaut mich mit einem unglaublich intensiven Blick an, in welchem ich mich einmal mehr verliere. Nach einem kurzen Moment rede ich weiter: „Ich werde kein einziges deiner Worte abstreiten, denn du hast in jedem Punkt recht. Aber ich bereue diese Handlungen nicht.“ „Das bedeutet, du vögelst dich weiter fröhlich durch die Gegend“, bemerkt mein Freund abfällig. „Nein“, erwidere ich prompt. „Doch nur so konnte ich Antworten auf einige Fragen erhalten. Beispielsweise auf deine Frage, ob Sex mit anderen mir etwas gibt, das ich von dir nicht bekommen kann.“ Unglauben spiegelt sich in Tais Gesicht wider. „Dann ist es meine Schuld, dass du zum Stricher mutierst?“ Ich möchte aufstehen und ihn in den Arm nehmen, bleibe jedoch unentschlossen auf meinem Bett sitzen. „Nein“, sage ich schließlich. „Du machst es dir einfach, Yamato. Hör auf für sämtliche deiner Handlungen Gründe zu erfinden. Mach dir lieber Gedanken wegen deines grenzenlosen Egoismus und deiner arroganten Selbstsicherheit. Sonst stehst du vielleicht irgendwann alleine da.“ „Das ist mir egal, solange ich dich habe.“ Tai sieht mich schweigend an, doch ich erkenne den Gedanken, der ihm gerade durch den Kopf geht. „Nein“, hauche ich kaum hörbar, aber voller Panik. Zitternd stehe ich auf und gehe langsam auf meinen Freund zu. Dann beuge ich mich zu ihm hinab und lecke begierig über seine Lippen, bevor ich ihn küsse. Tai erwidert den Kuss nicht. Betrübt gebe ich den missglückten Versuch auf und setze mich stattdessen rittlings auf seinen Schoß, schlinge meine Arme um seinen Hals und fixiere mit meinen Augen die seinen. „Ich werde dich niemals gehen lassen. Zumindest nicht lebendig“, verspreche ich meinem Freund mit anfänglichem Wahnsinn im Unterton. Tai zeigt keine Regung, ungerührt sieht er mich an. Ich ziehe ihn in eine Umarmung und drücke ihn so fest an mich, als wollte ich ihn in mich aufnehmen. „Ich liebe dich“, flüstere ich in sein Ohr. „Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich.“ Mit jeder Wiederholung wird meine Beschwörung eindringlicher, aber auch verzweifelter. „Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich.“ Ich spüre, dass Tai seine Arme ebenfalls um mich legt. Leise sagt er: „Es ist gut, Yamato.“ „Ich liebe dich. Ich liebe dich“, fahre ich unbeirrt fort, als hätte ich ihn nicht gehört. Sanft streicht mir mein Freund über den Rücken. „Hör bitte auf“, startet er einen neuen Versuch, der fast wie ein Flehen klingt. „Ich liebe dich.“ Ich schaffe es nicht, das Vibrieren in meiner Stimme zu verbergen. Tränen laufen mir unablässig über die Wangen. Angsterfüllt drücke ich seinen Körper noch stärker an meinen. „Bitte nimm dich mir nicht weg!“ „Du Dummkopf! Du bist so ein blöder Idiot!“, sagt Tai, nun ebenfalls weinend. „Was machst du nur immer? Du solltest langsam wissen, dass ich dich ebenfalls niemals lebend gehen lasse. Ich kann und werde dir nicht verbieten mit anderen zu schlafen, aber denke bitte vor deinen Handlungen einmal darüber nach, wie du anstelle des Anderen reagieren würdest. Was du denken und fühlen würdest.“ Ich schweige. Mein Kopf ist vollkommen leer und ich schaffe es nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Halt suchend klammere ich mich noch fester an meinen Freund. „Weißt du, manchmal wünsche ich mir, ich könnte dich hassen. Deine Liebe tut verdammt weh. Alles in mir schreit und ich weiß, dass es unvernünftig ist, dich zu lieben, denn wir werden an uns kaputt gehen. Aber ich kann nicht anders. Ich will dich mit deiner ganzen Verzweiflung. Oder vielleicht auch gerade deswegen.“ Tai lacht bitter. „Yama, du hast mich stigmatisiert und mit deinem Wesen an dich gekettet. Für den Rest unseres Lebens. Es gibt kein Zurück mehr. Dafür ist es zu spät.“ Er löst sich etwas von mir und deutet auf seinen rechten Arm. Die Wunde, die ich ihm zugefügt habe, ist mittlerweile vollständig zugeheilt. Rotes Narbengewebe hat sich gebildet, welches als Linie quer über seinen Unterarm verläuft. Vorsichtig streiche ich mit meinen Fingern darüber, dann hebe ich den Arm an meine Lippen, berühre die Narbe leicht mit der Zungenspitze und hauche Küsse darauf. Ich schaue meinen Freund mit tränennassem Gesicht an und stelle fest, dass auch seine Augen vom Weinen gerötet sind, aber noch immer wunderschön. „Schau mich nicht immer mit deinen alles durchdringenden, wunderschönen Augen an“, spreche ich meine Gedanken laut aus. „Sonst kann ich irgendwann wirklich für nichts mehr garantieren. Du forderst den Wahnsinn heraus. Ich hoffe, das ist dir bewusst.“ Tai lächelt. „Ja, ist es.“ Mehr sagt er nicht, denn er weiß, dass ich seine Aussage auch so verstehe. Abgehetzt betrete ich den Unterrichtsraum und begebe mich zügig in Richtung meines Platzes. Als ich an dem Tisch meines Mitschülers vorbeigehe, verfinstert sich dessen Blick. Ich bleibe stehen und schaue ihn an. Es ist das erste Mal, dass ich ihn eingehender betrachte und ich muss zugeben, dass seine Ausstrahlung eine widersinnige und eigenartige Anziehung auf mich hat. Vielleicht war es dadurch einfacher, mit ihm zu schlafen, wobei es in erster Linie seine Entschlossenheit, mir zu schaden, und die damit verbundene Gewaltbereitschaft waren, die mich erregt haben. Und leider muss ich mir eingestehen, dass sich nichts geändert hat, weder durch das Zufügen von Schmerzen noch durch Sex. Er löst weiterhin perverse Gelüste in mir aus, wenn auch nicht so stark wie Taichi. Bei diesen Gedanken spüre ich Hitze in mir aufsteigen und das Verlangen nach meinem Freund wird unerträglich. „Warum starrst du mich die ganze Zeit so merkwürdig an?“, reißt mich die Stimme meines Klassenkameraden aus meinen aufkommenden Fantasien. Geringschätzig sieht er mich an. „Du hast recht. Es hat sich nichts geändert“, sage ich nachdenklich und gehe zu meinem Platz. Ich stelle meine Tasche neben den Tisch und setze mich auf den Stuhl. Tai kommt mir wieder in den Sinn und Erregung ergreift Besitz von mir. Das Gefühl, seine Haut auf meiner zu fühlen. Sein Geruch, der mir den Verstand vernebelt. Sein Geschmack, wenn ich ihn mit meinen Lippen und meiner Zunge am ganzen Körper liebkose. Seine Stimme, die sich in hingebungsvolles Stöhnen wandelt, wenn ich mit ihm schlafe. Mein Verlangen steigert sich zur Begierde. Unruhig wippe ich unter dem Tisch mit meinem Fuß auf und ab. Ich überlege, ob und wie ich der Enge in meiner Hose Abhilfe verschaffen sollte. Seufzend entscheide ich mich dagegen, Tai aufzusuchen, um ihn irgendwo im Schulgebäude zu nehmen, zumal es jeden Moment zum Unterricht klingeln wird. Ich sehe zu meinem Mitschüler, der gerade etwas in seiner Tasche zu suchen scheint. Zögernd stehe ich auf und verlasse den Raum. Gerade, als ich die Toiletten betrete, läutet es. Ungeachtet dessen, dass ich der Stunde nun fernbleiben muss, gehe ich in die Kabine, in der ich meinen Freund vor einiger Zeit nach dem Training genommen habe. Daran denkend hole ich mir einen runter und lehne mich dann schwer atmend gegen die Wand. Ich rutsche an ihr herunter und setze mich auf die kalten Fliesen. Aufgewühlt schließe ich meine Augen und atme tief ein. Die Selbstbefriedigung konnte meine Sehnsucht nach Tai nicht mildern. Tränen füllen meine Augen, sodass mir die Sicht verschwimmt. Wut und Verzweiflung mischen sich zu dem Gefühl der Sehnsucht. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe mich nicht und ich hasse mich für alles, was ich denke und fühle. Ich hasse mich für mich selbst. Zum Abreagieren schlage ich mit der verletzten und noch immer verbundenen Faust hart auf den Boden. Ein ziehender Schmerz durchfährt meinen Arm. Ich wiederhole die Prozedur, bis mein Selbsthass gestillt ist. Langsam versiegen meine Tränen und ich werde vollkommen ruhig. Mein Blick ist starr und verläuft sich im Nichts. Leere umhüllt mich und führt mich in eine jener gefährlichen Apathien. Teilnahmslos liege ich auf meinem Bett. Letztlich blieb ich dem Unterricht längere Zeit fern und wurde halb weggetreten auf der Toilette gefunden. Einzig das Klopfen eines Schülers war der Auslöser dafür, dass ich die Tür öffnete und der Lehrer mich somit zum Krankenzimmer bringen konnte. Es dauerte lange, bis ich in die Realität zurückfand. Vielleicht würde ich jetzt noch auf den kalten Fliesen im dritten Stock der Schule sitzen und abwesend vor mich hinstarren, wenn mich niemand zurückgeholt hätte. Dummerweise informierte der Klassenlehrer meinen Vater, sodass dieser mich abholte und nach Hause brachte. Während des ganzen Weges sprach er kein Wort. Als wir in der Wohnung ankamen, bedeutete er mir ins Bett zu gehen. Er selbst fuhr zurück zur Arbeit. Seitdem bin ich nicht mehr aufgestanden und starre abwesend zur Decke. Mein Kopf ist vollkommen leer und mein Körper scheint taub und unbeweglich zu sein. Ich fühle mich schwer und leicht zugleich, lebendig und tot. Dieser Zustand ist ebenso unerträglich wie angenehm. Seit längerer Zeit denke ich wieder ernsthaft über das Sterben nach, darüber, ob es besser wäre, mich zu töten. Ich würde meinem Vater und Tai dann zumindest keinen Kummer mehr bereiten. Sie wären frei, könnten ihr Leben leben und endlich glücklich werden. Erst letztens meinte Tai, ich solle aufhören so egoistisch zu sein. Vielleicht ist das die Gelegenheit, seiner Bitte Folge zu leisten und ihm meine bedingungslose Liebe zu beweisen. Ich stehe auf und schlucke eine paar Schmerztabletten, dann nehme ich meine Gitarre aus ihrer Halterung und setze mich zurück auf das Bett. Ich spiele ein paar Töne und Akkorde, summe dabei hin und wieder Abschnitte einer Melodie, halte inne, überlege und versuche es erneut. Nach einer Weile stelle ich das Instrument beiseite und gehe zu meinem Schreibtisch. Mit klopfendem Herzen setze ich mich und beginne eifrig mir zu verschiedenen Dingen Notizen zu machen. Von einem Klingeln an der Tür werde ich aus der Arbeit gerissen. Noch in Gedanken begebe ich mich zur Tür und öffne. Tai sieht mich besorgt an. „Ich habe gehört, dass es Probleme gab. Was ist passiert, Yama?“ „Komm erst einmal rein. Wir reden in meinem Zimmer“, schlage ich vor und gehe voraus. Mein Freund nimmt auf dem Bett Platz, während ich mich wieder an den Schreibtisch setze. „Es war nichts“, antworte ich schließlich. „Du sollst zusammengebrochen sein. Warum spielst du das runter?“, hakt Tai nach. Ich schweige. Ausdruckslos blicke ich zu ihm. „Taichi.“ Meine Stimme klingt gefasster, als ich es selbst erwartet habe. „Ich möchte, dass du gehst.“ Skeptisch blickt mein Freund mich an. „Also geht es dir doch nicht gut.“ Ernst sehe ich in seine Augen, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Ich möchte dich nicht mehr sehen. Du solltest mich vergessen.“ Für einen Moment ist Tai wie erstarrt. Es ist offensichtlich, dass er versucht die Situation zu erfassen. „Yamato, ist das wieder eine deiner Selbsthassaktionen? Dann vergiss es. Du lässt dich momentan von deinen Gefühlen überwältigen. Aber was ist, wenn du wieder klar denken kannst?“ Mein Freund steht auf und kommt auf mich zu. „Komm nicht näher!“, schreie ich ihn an. „Warum gehst du nicht einfach?“ Meine Stimme zittert und ich frage mich, ob die Wut, meine Angst oder Verzweiflung dafür verantwortlich sind. „Weil ich dich nicht einfach aufgebe. Deine Gefühle können sich seit gestern nicht grundlegend geändert haben.“ Auch bei Tai kann ich Verzweiflung spüren. Langsam kommt er weiter auf mich zu. „Was geht nur wieder in deinem hübschen Köpfchen vor?“ Er umfängt mich mit seinen Armen und hält mich so fest, als könnte ich sonst verschwinden. „Lass mich los“, befehle ich ihm halbherzig. „Vielleicht sollte ich das. Und dir lieber eine reinhauen.“ Tai sieht mich traurig an und küsst mich. Einen Moment lasse ich es geschehen, dann stoße ich ihn grob von mir, sodass er das Gleichgewicht verliert und unsanft zu Boden fällt. Ich sehe ihn mit Tränen in den Augen an. „Geh. Unsere Beziehung ist falsch. Und das weißt du. Ich will das nicht mehr.“ „Und was passiert dann? Was machst du, wenn ich gehe? Du sagtest zu mir, dass du mich niemals lebend gehen lassen würdest. Vergiss nicht, dass ich dir das Gleiche versprach.“ Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Dann komm und töte mich.“ Entschlossen erhebt sich mein Freund und macht einen Schritt auf mich zu. Gezielt und mit voller Kraft schlägt er mir mit der Faust ins Gesicht. Die Wucht des Schlages verstärkt den Schmerz in meinem Kopf um ein Vielfaches. Ich schmecke Blut in meinem Mund und beim Betasten meiner Lippe bemerke ich, dass sie angeschwollen und aufgeplatzt ist. „Das ist also dein Beweggrund?“, fragt Tai fassungslos. Ohne ihn anzusehen, kehre ich ihm den Rücken zu. „Geh bitte. Mach es uns nicht so schwer.“ Eine Weile herrscht Stille zwischen uns. Dann höre ich, dass meine Zimmertür geöffnet wird und wenig später wie die Wohnungstür ins Schloss fällt. Lange sitze ich reglos an meinem Schreibtisch, unfähig mich zu bewegen. Ich versuche zu begreifen, warum ich den Menschen, den ich liebe, immer wieder seelisch vergewaltige. Doch diesmal werde ich seinem Glück nicht mehr im Weg stehen. Nie wieder. Ich verschwinde aus seinem Leben. Endgültig und für immer. Das ist der größte Liebesbeweis, den ich ihm erbringen kann. Ich stehe auf und setze mich erneut mit meiner Gitarre auf das Bett. Bedächtig schließe ich meine Augen. Ich beginne das Lied zu spielen, an welchem ich in letzter Zeit gearbeitet habe. Tränen laufen mir über die Wangen, als ich zu singen beginne. Irgendwann sind wir aufgewacht Jetzt bin ich allein, habe dich heimgebracht Irgendwie kann ich es nicht verstehen Du willst weg von mir, ich habe es dir angesehen Es ist aus und vorbei, ich will dich nur noch vergessen Ich glaube, so schaffe ich es nicht Denn wenn ich hier bleibe, denke ich nur noch an dich Ich vermisse dich jede Stunde mehr Es geht nicht ohne dich, ich fühle mich nur noch leer Ich will nicht länger hier sein, doch ich weiß nicht wohin Glaube mir, ich vermisse dich sehr Ich vermisse dich, jeden Tag mit dir Dir gehört meine Welt, du bist ein Teil von ihr Es wird nie wieder so sein, wie es früher mal war Glaube mir, ich vermisse dich sehr Irgendwie habe ich es nie geschafft Immer nur das zu tun, was dich glücklich macht Irgendwann werde ich dir gestehen Es war meine Schuld, dann wirst auch du verstehen Nun ist es aus und vorbei, ich will dich nur noch vergessen Ich glaube, so schaffe ich es nicht Denn wenn ich hier bleibe, denke ich nur noch an dich Ich vermisse dich, jede Stunde mehr Es geht nicht ohne dich, ich fühle mich nur noch leer Ich will nicht länger hier sein, doch ich weiß nicht wohin Glaube mir, ich vermisse dich sehr Ich vermisse dich, jeden Tag mit dir Dir gehört meine Welt, du bist ein Teil von ihr Es wird nie wieder so sein, wie es früher mal war Glaube mir, ich vermisse dich sehr Nun ist es aus und vorbei, ich will nur noch vergessen So schaffe ich es nicht Denn wenn ich hier bleibe, denke ich nur noch an dich Mit Beendigung des Liedes breche ich weinend zusammen. Die Schmerzen, die ich nun fühle, bringen mich um den Verstand. Ich begreife, dass ich Taichi verloren habe. Zitternd krieche ich zu meiner Schultasche, schlucke unzählige Tabletten, um mich zu betäuben, und bleibe kraftlos liegen. Eine Realität ohne meinen Freund ist für mich nicht zu ertragen. Ich liebe Taichi. Mehr als mein Leben. Kapitel 8: ----------- Ich öffne meine Augen. Für einen Moment bin ich verwirrt und orientierungslos. Mein Körper ist wie gelähmt und ich schaffe es nur unter großer Anstrengung, mich zu bewegen. Langsam registriere ich, dass ich mich nach wie vor auf dem Boden liegend in meinem Zimmer befinde. Die Sonne ist noch nicht untergegangen, wodurch ich erleichtert erkenne, dass es nicht allzu spät sein kann. Mein Vater dürfte also nicht zu Hause sein. Sonst hätte er mich wahrscheinlich bewusstlos und zugedröhnt vorgefunden und ich wäre mit Sicherheit in einem Bett der Klinik wieder zu mir gekommen. Schwindel macht sich bemerkbar, als ich probiere aufzustehen. Ich taste an meinem Bett nach Halt, ziehe mich ein Stück daran hoch und lasse mich völlig entkräftet auf die Matratze sinken. Ich versuche mich zu erinnern, was zu diesem erneuten Zusammenbruch geführt hat, doch in meinem Kopf herrscht nichts als ein pulsierender Schmerz, der alles andere überdeckt. Erschöpft schließe ich die Augen und schlafe sofort ein. Schweren Schrittes gehe ich in die Küche. „Papa“, sage ich überrascht, als ich meinen Vater zeitunglesend am Tisch vorfinde. Er schaut auf und betrachtet mich ernst. „Du hast lange geschlafen“, bemerkt er mit Misstrauen in der Stimme. „Ich habe dich für heute in der Schule krank gemeldet.“ Irritiert sehe ich ihn an. „Weit über zwanzig Stunden“, ergänzt er. Ich schweige und weiche seinem Blick aus. „Yamato. Wie viele Tabletten hast du diesmal geschluckt?“ „Keine. Mir ging es einfach nur nicht gut.“ Es fällt mir schwer, meinen Vater anzulügen. Ich nehme mir eine Tasse aus dem Schrank, fülle sie mit Kaffee und setze mich ebenfalls an den Tisch. Vorsichtig trinke ich einen Schluck, da noch Dampf aufsteigt und ich mir nicht die Lippen verbrühen möchte. Dann puste ich ein paar Mal, wobei ich meinen Vater betrachte. Er scheint in einen Artikel vertieft zu sein. „Müsstest du nicht eigentlich auf Arbeit sein?“, frage ich verwundert und um die unangenehme Stille zu durchbrechen. Vorwurfsvoll sieht mein Vater zu mir. „Ich habe mir frei genommen, um auf meinen Sohn aufpassen zu können.“ Verbittert lächle ich ihn an. „Dann sollte ich wirklich verrecken, damit du dein Leben endlich wieder...“ Außer sich vor Wut springt mein Vater auf und schlägt mir so fest ins Gesicht, dass ich vom Stuhl falle und mit dem Kopf hart gegen den Küchenschrank stoße. Benommen bleibe ich kurz liegen, dann richte ich mich ein wenig auf und schaue ihm direkt in die Augen. Als ich darin außer Schmerz nichts erkennen kann, schnürt sich meine Brust zu und ich kann kaum atmen. Weinend steht mein Vater vor mir und wirkt dabei unglaublich verletzlich. Ich wische mir das Blut von der Lippe, welche durch die Heftigkeit des Schlages wieder aufgeplatzt ist. Mühsam versuche ich aufzustehen, werde aber von einem starken Schwindelgefühl und hämmernden Kopfschmerzen daran gehindert. Allerdings schaffe ich es, mich gegen den Schrank zu lehnen und so in einer sitzenden Position zu halten. „Taichi rief vorhin an. Er hat Angst um dich und bat mich, auf dich Acht zu geben. Dein Freund wirkte panisch, so habe ich ihn noch nie erlebt. Was ist passiert, Yamato? Verdammt noch mal…“ Bei der Erwähnung von Tais Namen spüre ich, wie mich sämtliche Kraft verlässt und ich nervlich komplett zusammenbreche. „Es tut so weh“, schluchze ich, während ich mich auf dem Boden zusammenkrümme. „Yamato! Was hast du?“ Hastig kommt mein Vater zu mir und nimmt mich behutsam in seine Arme. Verzweifelt suche ich nach Halt und kralle mich in seinem Hemd fest. „Bitte, lass mich nicht los! Papa! Halt mich fest! Halt mich fest!“ Ich spüre, dass mein Vater mich noch dichter an seinen Körper drückt, sodass ich seinen Herzschlag hören kann. Beruhigend streicht er mir über den Rücken. „Nein, ich lasse dich nicht los, mein Sohn. Ich bin hier, hörst du?“, sagt er eindringlich und voller Zuneigung, doch ich höre ihn kaum. Der Schmerz wird übermächtig und bringt meinen Verstand an den Rand des Wahnsinns. „Ich kann nicht atmen“, japse ich, während ich mir an den Hals greife und beinahe hysterisch an meinem Hemdkragen zerre. Sofort hält mein Vater seine Hände schützend über meine und verhindert, dass ich mich selbst verletzen kann. „Shh! Ruhig, Yamato.“ „Ich ersticke.“ Mein Vater streicht mir leicht über die Wange. Ich fühle seine Tränen, die sanft auf meine Haut tropfen und sich mit meinen eigenen vermischen. Allmählich erschlafft mein Körper. „Du erstickst nicht. Du steigerst dich nur hinein.“ Die Stimme meines Vaters ist nicht mehr als ein Flüstern und klingt, als wäre sie unendlich fern. Ich reagiere nicht, liege nur leblos in seinen Armen, die Augen starr auf einen unbestimmten Punkt gerichtet. „Bist du noch da? Yamato!“ Ich bemerke, dass ich geschüttelt werde und mein Vater mich fast anschreit. „Yamato! Yamato!“ Der Schmerz in meiner Brust kehrt durch die Verzweiflung meines Vaters zurück, als ich gewaltsam wieder in die Realität geholt werde. Erneut laufen mir Tränen über die Wangen. „Papa“, sage ich erstickt. „Es tut mir leid.“ „Yamato!“ Voller Erleichterung presst er mich fest an sich, sodass ich glaube zu zerbrechen. Einmal mehr erfahre ich, wie sehr Liebe schmerzt, doch ich wehre mich nicht und lasse es geschehen. Meine Gedanken scheinen ungewöhnlich klar zu sein und ich bekomme das Gefühl, etwas Wichtiges begriffen zu haben. „Papa. Ich liebe dich!“ Dieser schweigt kurz, dann streicht er mir durch das Haar und seufzt. „Yamato…“ Unruhig und ohne Sinn laufe ich durch mein Zimmer. In meinem Kopf pulsiert es so stark wie selten zuvor, woran der akute Schlafmangel nicht ganz unbeteiligt sein dürfte. Seit meinem Zusammenbruch vor vier Tagen stehe ich unter der strengen Beobachtung meines Vaters. Er versprach mir, mich nicht in die Klinik abzuschieben, wenn ich im Gegenzug seinen Bedingungen Folge leiste. Damit er mich rund um die Uhr beaufsichtigen kann, sagte mein Vater seine Geschäftsreise ab und nahm meinetwegen erneut unbezahlten Urlaub. Er brachte mich zum Arzt, um eine Krankschreibung für die Schule zu bekommen, doch als er von meinen Eskapaden der letzten Zeit berichtete, wollte der Arzt sofort die Einweisungspapiere fertigmachen. Glücklicherweise versicherte mein Vater ihm, dass dies nicht nötig sei, woraufhin der Arzt zögerlich den Krankenschein ausstellte. Eine weitere Bedingung war die Aushändigung sämtlicher Medikamente. Ich beteuerte ihm, dass ich die Tabletten ausschließlich in meiner Schultasche aufbewahren würde, dennoch bestand mein Vater darauf, meinen Schrank sowie den Schreibtisch zu überprüfen. In der hinteren Ecke eines Schubfaches fand er meine Mundharmonika, die ich inzwischen beinahe vergessen hatte, und hielt sie mir mit einem Lächeln entgegen. Zögernd nahm ich sie an mich. Dummerweise lag darin auch mein Klappmesser, welches er sofort konfiszierte, wobei sein Lächeln verschwand und er mich mit einem fragenden Blick bedachte. Bei dieser Gelegenheit teilte er mir auch mit, dass er die Rasierklingen im Bad gefunden habe. Nur die in meinem Portemonnaie entdeckte er nicht. Außerdem darf ich die Wohnung ohne seine Begleitung nicht verlassen. Einzig die Zigaretten hat er mir zugestanden. Ich gehe zum Fenster, öffne es und zünde mir fahrig eine davon an. Gierig sauge ich den Rauch in mich ein, aber das Nikotin schafft es kaum, mich ruhiger werden zu lassen. Mein Körper ist zittrig und ich fühle mich kraftlos. Zeitweise fällt es mir schwer, mich überhaupt auf den Beinen zu halten. Mein Vater allerdings bleibt unnachgiebig. Außer den verordneten Psychopharmaka bekomme ich keine einzige Tablette von ihm. Ich werfe die aufgerauchte Zigarette aus dem Fenster und zünde mir eine weitere an. Seit ich mich von Taichi getrennt habe, erhielt ich kein Lebenszeichen mehr von ihm. Ich weiß aber, dass er mit meinem Vater in Verbindung steht. Durch Zufall bekam ich ein Telefonat mit, in dem sie offenbar über die aktuelle Sachlage sprachen. Ich frage mich, ob die Beiden schon häufiger Kontakt hatten, denn mein Vater ging sehr vertrauensvoll mit Tai um. Gedankenverloren ziehe ich an meiner Zigarette. Ich bereue die Trennung von meinem Freund, denke aber nach wie vor, dass es besser so ist. Auch wenn der Gedanke, ihn nie wieder berühren zu dürfen, unvorstellbar für mich ist. Wie konnte es passieren, dass meine Abhängigkeit von Taichi unüberwindbar wird? Wie konnte er mich so fest an sich binden? Und wann sind meine Gefühle für ihn so intensiv geworden? Früher dachte ich, dass unsere Empfindungen füreinander auf einer Lüge aufbauen, dass wir ein perfides Spiel spielen, doch es war nichts weiter als Unsicherheit, Angst und falscher Stolz. Schon damals gab es kein Zurück mehr. Schon damals gingen meine Gefühle für Tai weit über Liebe hinaus. Mein Freund hatte Recht, als er meinte, ich wäre besessen. Ich will alles von ihm, seinen Körper, seine Seele, er soll nur mir gehören. Ich ertrage es nicht, wenn er sich mit anderen unterhält oder von anderen berührt wird. Dann möchte ich ihn wegsperren und mit Gewalt an mich binden. Aufgrund des Zwiespaltes verzweifelnd trete ich vor Wut mit dem Fuß gegen die Wand. Schmerz zieht mein Bein hinauf, doch ich beachte ihn nicht. Verlangend ziehe ich mehrfach kurz hintereinander an der Zigarette und werfe sie dann weg. Ich schließe das Fenster und gehe in Richtung meines Bettes. Auf halben Weg komme ich ins Wanken, mir knicken die Beine weg und ich sacke zusammen. Meine Hände beginnen unkontrolliert zu zittern und das Bild vor meinen Augen verschwimmt. Ich setze mich auf den Boden, lehne mich gegen das Sofa, schließe die Augen und atme tief durch. Übelkeit steigt in mir auf und fast im selben Moment würge ich bittere Galle hoch, die ich auf den Teppich erbreche. Nach einigen Minuten lässt das Würgen nach und ich breche körperlich komplett zusammen. Zum wiederholten Mal beweise ich mir meine eigene Erbärmlichkeit, wodurch ich die Verachtung für mich weiter nähre. Der Selbsthass wird übermächtig, doch ich bin nicht einmal in der Lage mich zu bewegen, um die Rasierklinge aus meinem Portemonnaie zu holen. Leblos bleibe ich auf der Seite liegen und starre ins Nichts. Ich hoffe inständig, dass mein Vater mich nicht in diesem desolaten Zustand findet. Womöglich würde er falsche Schlüsse ziehen und denken, ich hätte Tabletten zurückgehalten und mich wieder zugedröhnt. Oder er schätzt die Situation allgemein schlimmer ein, als sie ist, und nimmt aus diesem Grund sein Versprechen, mich nicht einweisen zu lassen, zurück. Letztlich würde es wahrscheinlich sowieso immer darauf hinauslaufen. Hinzu kommt, dass sich seit einiger Zeit meine Zusammenbrüche häufen, die psychischen, die physischen, doch meist eine Kombination aus Beidem. Ich rolle mich auf den Rücken und fixiere die weiße Zimmerdecke. Eine Weile bleibe ich regungslos liegen. Dann schließe ich die Augen, nur um sie gleich wieder zu öffnen. Mit viel Anstrengung gelingt es mir, mich auf das Sofa zu setzen. Langsam bekomme ich die Kontrolle über meinen Körper zurück. Das Zittern sowie das Schwindelgefühl lassen nach und weichen einem unangenehmen Kribbeln, welches einer anfänglichen Taubheit ähnelt. Kalter Schweiß bildet sich auf meiner Haut, was mich zugleich frieren und schwitzen lässt. Ich muss unwillkürlich laut lachen, denn ich fühle mich wie ein Junkie auf Entzug. Dabei besteht noch nicht einmal eine Abhängigkeit. Außer der zu Taichi. Tai… ich muss ihn sehen, sonst werde ich vollends wahnsinnig. Nur ein letztes Mal will ich ihn spüren. Ich bin gerade mit der Reinigung meines Teppichs fertig, als Tai ohne zu klopfen mein Zimmer betritt. Hinter sich schließt er die Tür ab. Einen Moment steht er unbewegt da und schaut mich mit seinen wunderschönen braunen Augen und diesem alles durchdringenden, intensiven Blick an. Ich lasse mich davon gefangen nehmen, wie so oft. Unfähig und unwillig mich dagegen zu wehren. Voller Zuneigung betrachte ich meinen Freund. Seine bronzefarbene Haut, die ich schon unzählige Male berührt habe. Seine Lippen, mit denen er so oft meinen Körper liebkoste. Tai besitzt eine Anziehung, derer ich mich nicht erwehren kann. Und dessen ist er sich bewusst, denn ich merke immer wieder, dass mein Freund sich diese Tatsache zunutze macht. Er spielt ein gefährliches Spiel. Provokant kommt er auf mich zu, presst seinen Körper eng an meinen und legt wollüstig den Arm um meine Hüfte. Mit der anderen Hand zieht er meinen Kopf am Kinn dicht vor sein Gesicht. Ich spüre seinen warmen Atem auf meiner Haut und Erregung kommt in mir auf. Tai lächelt. Dann drückt er mir verlangend einen Kuss auf den Mund, der sich schnell zu einem fordernden Zungenkuss entwickelt. Energisch drängt mich mein Freund in Richtung des Bettes, ohne von mir abzulassen. Mit seinen Fingern beginnt er meine Hose zu öffnen. Ich bleibe stehen, denn das Bettgestell hindert mich am weiteren Rückwärtsgehen. Schwer atmend lösen wir uns voneinander. Tai lächelt erneut und stößt mich gebieterisch auf die Matratze. „Zieh dich aus“, sagt er im Befehlston und schaut auf mich herab. Ich erwidere den Blick mit einer Mischung aus Verwirrung, Trotz und Zuneigung, reagiere jedoch nicht. Mein Freund kommt über mich, drückt mich nach unten und flüstert in mein Ohr: „Töte mich. Na los… deshalb bin ich hier, oder?“ Er legt seine Finger um meinen Hals und drückt zu. „Oder willst du, dass ich dich töte?“ Ich muss husten, da Tai sowohl Druck auf die Schlagader als auch auf den Kehlkopf ausübt. Er streicht mir ein paar Haare aus dem Gesicht. Um Luft ringend sehe ich ihm in die Augen, doch er ist nicht er selbst. Sein Blick ist leer, emotionslos, kalt. „Taichi…“, flüstere ich fast stimmlos. „Lass bitte los.“ „Willst du nicht sterben?“ Er drückt fester zu. Meine Wahrnehmung verändert sich, das Gesichtsfeld wird kleiner und schwarze Punkte beginnen zu tanzen. Das Pulsieren in meinem Kopf wird stärker und in meinen Ohren setzt unangenehmes Rauschen ein. Alles klingt weit entfernt. Ich sehe ein Lächeln auf den Lippen meines Freundes. „Ich will dich nicht verlieren. Aber du lässt mir keine Wahl, wenn du dich mir entziehst. Ich liebe dich und du gehörst mir. Wenn du stirbst, dann nur durch meine Hand. Sieh das endlich ein, mein Schatz.“ Ich spüre, dass die Kraft meinen Körper verlässt. Meine Atmung ist nur noch unregelmäßig und flach. Als letztes Aufbegehren umfasse ich mit meinen Händen die Handgelenke von Tai. „Taichi…“ Ein schwaches Husten ist das Einzige, was mir noch über die Lippen kommt. Ich schließe meine Augen und gebe mich dem Schwindelgefühl hin. Die Situation erregt mich und ich lasse mich vollends fallen. Meine Hände sinken kraftlos auf die Matratze. „Nein, Yamato. So einfach ist es nicht.“ Er lässt mich los. Sofort schnappe ich gierig nach Luft und muss erneut stark husten. Tai zeigt keine Regung. Allmählich schaffe ich es, mich zu beruhigen, meine Atmung normalisiert sich. Ich ziehe meinen Freund zu mir hinab und küsse ihn liebevoll. „Ich weiß“, antworte ich auf seine Aussage. Mit seinem Daumen fährt er leicht über die Verletzung an meiner Lippe. „Das sieht schlimm aus. Habe ich so hart zugeschlagen?“, fragt Tai leise. Ich sehe ihn an, sage aber nichts. Stattdessen küsse ich ihn erneut. Ohne das Zungenspiel zu unterbrechen, setze ich mich auf und gleite mit meinen Händen unter das Shirt meines Freundes. Sanft streiche ich über seine Haut. Dann breche ich den Kuss ab und flüstere mit einem Lächeln: „Du hast recht. Ich will dich töten. Während wir miteinander schlafen.“ Tai lacht laut auf. „Wie kommst du darauf, dass ich mit dir schlafe, nachdem du dich von einem anderen hast ficken lassen?“ Trotz seiner Worte bleibt meine Mimik gleichgültig. „Ich nehme dich auch gegen deinen Willen, nur wird es dann wahrscheinlich schmerzhafter.“ „Du willst mich vergewaltigen?“ Noch immer höre ich Belustigung in der Stimme meines Freundes. „Wenn es sein muss.“ Durch meinen abgeklärten Blick bedeute ich ihm, dass ich es ernst meine. Mit den Fingern öffne ich Tais Hose, greife mit meiner Hand hinein und hole ihm einen runter. Amüsiert betrachte ich die Veränderungen seines Gesichtsausdruckes. Er schließt seine Augen. Leises Stöhnen entweicht seiner Kehle. Die Sinnlichkeit und Hingabe meines Freundes erregen mich. Ich erhöhe das Tempo, wodurch seine Atmung nur noch kurz und stoßweise geht. Mit seinen Fingern sucht er nach Halt und krallt sich in meinem Ärmel fest. „Nimm meine Hand“, weise ich an. Tai kommt dem nach und ich verhake unsere Finger. Ohne mit meinen manuellen Bewegungen aufzuhören, beuge ich mich vor, um ihn zu küssen. Dann flüstere ich: „Siehst du, ich muss keine Gewalt anwenden, wenn ich mit dir schlafen möchte, Taichi.“ Ich halte in meinem Tun inne, drücke meinen Freund auf das Laken und entledige ihn seiner Kleidung. Anschließend entkleide ich mich selbst und lege mich neben ihn auf das Bett. Mit meinem Arm umschlinge ich Tais Körper und schmiege mich dicht an ihn. Ich spüre seine Wärme und das leicht beschleunigte Klopfen seines Herzens. „Was ist los, Yamato?“, höre ich meinen Freund in die Stille sagen. Ich presse mich stärker an ihn. „Ich weiß es nicht“, gebe ich ehrlich zu. „Ich bin tot, obwohl ich atme und mein Herz schlägt. Nur wenn ich mit dir schlafe, dich berühre oder einfach nur bei dir bin, fühle ich schmerzhaft intensiv, was es bedeutet, zu leben.“ Taichi streichelt mir gefühlvoll durch die Haare. „Was bezweckst du dann mit deinem selbstschädigenden Verhalten, wenn du dich dadurch nicht lebendiger fühlst?“ Behutsam fährt er mit seinen Fingern über den Verband an meinem linken Arm. „Ich brauche es, um am Leben zu bleiben. Wenn ich dem Selbsthass nachgebe, fühle ich mich etwas besser und ich schaffe es, die Suizidalität einigermaßen unter Kontrolle zu halten.“ Nach einem kurzen Moment des Schweigens nimmt mein Freund das Gespräch wieder auf. „Findest du es nicht paradox, dass du nur am Leben bleiben kannst, wenn du dich selbst zerstörst?“ Ich sage nichts, bin mir der Absurdität aber durchaus bewusst. „Taichi…“, sage ich, nachdem wir eine Weile eng umschlungen Zärtlichkeiten ausgetauscht haben. „Ich möchte noch einmal mit dir schlafen. Ganz normal, ohne Gewalt.“ Mein Freund setzt sich auf und sieht mich an. Dann rutscht er vor mich und zieht meinen Körper an den Beinen zu sich heran und in die richtige Position. Vorsicht dringt er in mich ein. Ich schließe die Augen und versuche mich auf meine Empfindungen zu konzentrieren. Ich spüre, wie Tai sich sachte in mir bewegt. Als hätte er Angst, mich zu zerbrechen. „Yama, öffne deine Augen und sieh mich an.“ Verlegen suche ich den Blickkontakt. Allmählich beschleunigt er seine Bewegungen und unser Keuchen erfüllt den Raum. Ich betrachte das Gesicht meines Freundes, es ist leicht verschwitzt und unbeschreiblich anziehend. Meine Sicht verschwimmt, als Tränen meine Augen füllen. „Es reicht nicht“, flüstere ich mit zitternder Stimme. „Es tut mir leid, Taichi.“ Er hält inne, zieht sich aber nicht aus mir zurück. „Es ist okay.“ Mit einer unglaublich sanften Geste wischt er mir die Tränen aus dem Gesicht. Dann lächelt er mich an. „Ehrlich gesagt stehe ich auch nicht auf Blümchensex.“ Ein paar Mal stößt er kraftvoll zu, dann bedeutet mir mein Freund, mich rumzudrehen, damit er mich von hinten nehmen kann. Seine Hände auf meine Hüften legend dringt Tai erneut mit einem kräftigen Stoß in mich ein. Seine Bewegungen haben jegliche Zärtlichkeit verloren, jetzt nimmt er mich wieder mit der gewohnten Gewalt. Ich fühle Hitze in mir aufsteigen und die Erregung macht sich deutlich bemerkbar. Mein Atem geht schnell und stoßweise und ich kann ein Stöhnen nicht mehr unterdrücken. Tai packt mich an den Haaren und zieht meinen Kopf ein Stück nach hinten. „Ja, darauf stehst du.“ Mit den Fingernägeln der anderen Hand kratzt er über meinen Rücken. Ich ziehe die Luft zwischen den Zähnen scharf ein, da ich unvorbereitet war. „Du doch auch“, presse ich keuchend hervor. Mein Freund intensiviert seine Stöße, als wäre das seine Antwort. „Tai…“ Ich kralle meine Finger im Laken fest. Ein schimmernder Schweißfilm bedeckt meine Haut und ein leichtes Schwindelgefühl stellt sich ein. „Ich will dich spüren. Ganz tief in mir.“ „Soll ich dich so hart vögeln, dass du nicht mehr laufen kannst?“ Neben Erregung spüre ich jetzt auch Schmerz, als Tai mehrmals grob zustößt. Ich verliere mich in meinen Gefühlen und bin unfähig, einen Gedanken zu fassen. Allmählich merke ich, wie die Kraft in meinen Beinen nachlässt und sie zu zittern beginnen. Ich wusste zwar, dass mein Freund eine gute Ausdauer hat, aber langsam glaube ich, er schafft es wirklich, mich um den Verstand zu vögeln. Kribbeln setzt in meinem ganzen Körper ein und verstärkt sämtliche Empfindungen. Der Schmerz in meinem Unterleib wird ebenfalls stärker und ich frage mich, ob Tai seine Aussage in die Tat umsetzen möchte. Ich sacke ein wenig zusammen. „Hast du genug?“, fragt er schwer atmend. „Du blutest wieder.“ Ich lächle gequält. Ohne meine Antwort abzuwarten, zieht sich mein Freund aus mir zurück. Erschöpft lasse ich mich auf das Bett sinken, ebenso wie Tai. Es dauert eine Weile bis sich unsere Atmung normalisiert hat, währenddessen schweigen wir. Nur unsere Hände sind fest ineinander geschlungen. Etwas schwach auf den Beinen betrete ich die Küche. Mit zitternden Händen setze ich Kaffee auf, dann nehme ich auf einem der Stühle Platz und warte. Tai hielt Wort, das Laufen fällt mir momentan aufgrund leichter Schmerzen wirklich etwas schwer. Und wieder ist Blut auf meinem Bettlaken. Wenn ich Pech habe, verlangt mein Vater eine Erklärung. Ich reibe mir mit dem Zeigefinger die Schläfe, in der Hoffnung, die Kopfschmerzen ein wenig lindern zu können. Seit ich keine Tabletten mehr nehme, sind sie um ein Vielfaches stärker geworden. Ich könnte meinen Kopf permanent gegen die Wand schlagen. Wenn nicht bald etwas geschieht, werde ich wahnsinnig. Tröstend ist, dass mein Vater mich nicht ewig in dieser Wohnung festhalten kann. Irgendwann muss ich wieder zur Schule und er zur Arbeit gehen. Ich hoffe, dass ich es bis dahin noch aushalte. Als hätte er meine Gedanken gelesen, kommt mein Vater in den Raum. Er sieht mich an, dann zur Kaffeemaschine. „Ist Taichi noch da?“, fragt er, während er sich mir gegenüber setzt. „Ja, er spielt ein Konsolenspiel.“ Mein Vater nickt verstehend. „Und wie geht es dir? Wie kommst du ohne Tabletten zurecht?“ „Gut“, behaupte ich, schaue ihn allerdings bewusst nicht an. „Yamato.“ Seine Stimme klingt mahnend. „Tut mir leid. Okay, ich habe ein wenig Kopfschmerzen. Aber es geht schon“, lenke ich seufzend ein. An seinem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass er noch immer skeptisch ist, jedoch schweigt. Ich stehe auf und nehme zwei Tassen aus dem Schrank, fülle Kaffee hinein und stelle sie auf den Tisch. Mein Vater nimmt eine der Tassen an sich, pustet und trinkt vorsichtig ein paar Schlucke. Ich tue es ihm gleich. „Yamato, dürfte ich dich um etwas bitten?“ Ich bin erstaunt, dass er offenbar von sich aus das Thema wechselt, und verwundert, dass er dabei so merkwürdig zurückhaltend ist. „Ja“, antworte ich argwöhnisch. „Könntet ihr bitte etwas leiser sein, wenn ich zu Hause bin?“ „Wie meinst du das?“, frage ich sichtlich verwirrt. Mein Vater räuspert sich. „Auch wenn ich nichts gegen eure Beziehung habe, muss ich nicht unbedingt wissen, wann und wie oft du mit Taichi schläfst.“ Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Verlegen schaue ich auf die Tasse in meinen Händen. Dass mein Vater sich zurzeit auch fortwährend in der Wohnung aufhält, hatte ich in dem Moment vergessen, als Tai vor mir stand. Ich war ausschließlich auf ihn fixiert. „Hast du es nur dieses Mal mitbekommen?“ Die Frage kommt beinahe schüchtern über meine Lippen. „Nein“, kommt unvermittelt die Antwort. Weiterhin beschämt und starr nach unten blickend versuche ich meine Fassung wiederzuerlangen. „Wann gibst du deine Observierung eigentlich auf? Ich meine, du kannst mich nicht ewig einsperren“, bemerke ich ablenkend. „Empfindest du das so? Ich glaube nicht, dass du ein Gefangener von mir bist, sondern vielmehr von deinen autoaggressiven Verhaltensweisen. Und da du nicht bereit bist, dich in einer Klinik behandeln zu lassen, musst du meine Maßnahmen erdulden.“ „Und du meinst, das bringt etwas“, stelle ich das Unterfangen nüchtern infrage. „Letztlich wird mir das auch nicht helfen.“ Mein Vater sieht mich streng an. „Was bitte soll ich sonst tun? Du sträubst dich gegen jede Art von Hilfe. Deine Therapie hast du mittlerweile auch gänzlich abgebrochen, oder? Bisweilen denke ich, du willst nichts ändern, dir soll es nicht besser gehen. Hältst du so verbissen an dem fest, was du kennst, weil du Angst davor hast, mit den Veränderungen nicht klarzukommen?“ Ich schweige betreten, denn ich muss mir eingestehen, dass mein Vater mit seinen Vermutungen recht hat. Es fällt mir schwer, Glück und positive Gefühle anzunehmen und zu verarbeiten. Meist geht das mit negativen Emotionen einher, die jedoch immer übermächtig werden. Ich habe aufgehört, mich dagegen zu wehren, ebenso wie ich aufgehört habe zu kämpfen. Ich habe mich aufgegeben. „Du verschwendest deine Zeit“, sage ich kalt. „Ich bin es nicht einmal wert, dass du dich so sehr um mich bemühst.“ Entsetzt blickt mein Vater zu mir. „Hast du mir eigentlich jemals richtig zugehört, wenn ich mit dir gesprochen habe? Manchmal habe ich das Gefühl, gegen eine Wand zu reden. Kommt irgendwas von meinen Worten bei dir an, Yamato? Merkst du nicht, dass es immer derselbe Kreislauf ist? Und wenn es doch einmal besser zu werden scheint, ist diese fragile Hoffnung ganz schnell zerstört. Warum tust du das? Und warum erreiche ich dich einfach nicht? Was mache ich falsch?“ Teilnahmslos und unberührt registriere ich, dass mein Vater sehr aufgewühlt ist. „Dein Sohn ist eben missraten. Finde dich damit ab.“ Ich lächle ihn provozierend an. „Lass mich einfach weitermachen wie bisher, dann bist du mich vielleicht bald los.“ Ungehalten steht mein Vater auf und macht ein paar Schritte auf mich zu. „Schlag zu, so fest du kannst, damit meine Lippe noch einmal aufplatzt“, fordere ich ihn heraus. Er schlägt tatsächlich zu und zwar mit so viel Kraft, dass ich erneut vom Stuhl falle. Geschockt bleibe ich auf dem Boden sitzen und starre apathisch ins Nirgendwo. „Es tut mir leid, dass ich dich schon wieder geschlagen habe, aber du legst eine derart provokative Art an den Tag… anders erreiche ich dich überhaupt nicht mehr. Du wirst immer erst zugänglich, wenn man Gewalt anwendet. Liegt das an deinem Hang zur Selbstzerstörung oder befindest du dich dann in einem dissoziativen Zustand?“ Ich reagiere nicht. Meine gesamte Aufmerksamkeit ist auf den Blutgeschmack in meinem Mund und auf meine schmerzende Wange gerichtet. Am Rande meiner Wahrnehmung bekomme ich mit, dass mein Vater mich an den Schultern packt und zu schütteln beginnt. „Yamato! Hörst du mich noch? Komm zurück und wach endlich auf! Du kannst nicht vor dir selbst weglaufen, auch wenn du es noch so sehr versuchst.“ Behutsam umfängt er mich mit seinen Armen und drückt mich fest an sich. Einmal mehr laufen Tränen über meine Wangen. „Papa, bitte gib mich nicht auf, auch wenn ich es getan habe.“ „Hast du nicht, Yamato. Nicht ganz“, höre ich Tais Stimme sagen. Er steht im Türrahmen und betrachtet das Szenario. „Herr Ishida, ich denke, dass beide Theorien stimmen. Es ist eine Mischung aus Selbstzerstörung und Dissoziation. Aber das ist in meinen Augen keine Entschuldigung. Yamato. Dein Selbstmitleid widert mich an.“ Tai sieht unverwandt zu mir. Seine Augen zeigen kein Erbarmen. Ich begegne dem Blick mit Trotz. Am Arm meines Vaters ziehe ich mich nach oben und bleibe neben ihm stehen. Mit meiner Zunge lecke ich etwas Blut von meiner Lippe. „Taichi…“, spricht mein Vater meinen Freund an. „Nein Papa!“, unterbreche ich ihn forsch, ohne Tai aus den Augen zu lassen. Dann richte ich bissig das Wort an meinen Gegenüber: „Du verwechselst Selbstmitleid mit Selbsthass, denn ich habe kein Mitleid mit mir. Warum auch? Meine Leben ist gut, nur kann ich es nicht annehmen, nicht fühlen. Ich bin das einzige Problem und das ist nicht bemitleidenswert, sondern nur hassenswert.“ Im Augenwinkel sehe ich, dass ich von meinem Vater aufmerksam beobachtet werde. Ein Gefühl der Einengung kommt in mir auf. Auf den Lippen meines Freundes zeichnet sich ein Lächeln ab. „Siehst du, hättest du wirklich komplett aufgegeben, würdest du dich nicht mehr rechtfertigen. Es wäre dir schlicht egal. Aber du kämpfst noch, wenn auch nicht kontinuierlich.“ Anspannung und Überforderung ergreifen Besitz von mir. Unruhig beginne ich mit meinen Fingern zu spielen. Der Drang, mich zu verletzen, wird stärker und ich suche nach Möglichkeiten, um dem nachgeben zu können. „Yamato, du driftest mit deinen Gedanken schon wieder ab“, schaltet sich mein Vater ein, da ich reglos und stumm in der Küche stehe. „Tut mir leid“, entschuldige ich mich abwesend. „Mir wird gerade alles zu viel.“ Ohne eine Reaktion abzuwarten, verlasse ich wie in Trance den Raum und gehe in mein Zimmer. Ich liege im Bett und presse das Kissen auf meinen Kopf, in der Hoffnung die Schmerzen eindämmen zu können. Doch es bringt nichts. Fieberhaft wälze ich mich herum, dann stehe ich genervt auf und laufe nervös im Zimmer umher. In Gedanken spiele ich verschiedene Möglichkeiten durch bezüglich meiner weiteren Vorgehensweise. Kurzerhand fasse ich einen Entschluss. Ich gehe zur Tür, öffne sie einen Spalt und versuche die Geräusche in der Wohnung zu lokalisieren. Aus dem Wohnzimmer vernehme ich Stimmen. Offenbar sind Tai und mein Vater in eine Unterhaltung vertieft. Ich schlüpfe auf Zehenspitzen aus meinem Zimmer, darauf bedacht, nicht auf mich aufmerksam zu machen. Schleichend gehe ich durch den Flur, ziehe leise meine Schuhe an und nehme anschließend meinen Schlüssel und das Portemonnaie von der Kommode. Behutsam öffne ich die Wohnungstür, stecke das kleine, silberfarbene Metall von außen in das Schlüsselloch und drehe es ein wenig, während ich über die Schwelle trete. Lautlos schließe ich die Tür. Im Treppenhaus gehe ich zügig Stufe für Stufe nach unten, versuche dabei allerdings meinen Kopf keinen großen Erschütterungen auszusetzen. Draußen halte ich einen Moment inne und atme die frische Luft tief ein. Es dämmert bereits und der Himmel leuchtet in verschiedenen Rottönen. Die Temperaturen sind deutlich zurückgegangen, aber es ist noch angenehm warm. Das Laub der Bäume beginnt langsam sich zu färben und der Spätsommer zeigt sich von seiner schönsten Seite. Ich muss mich beeilen, da ich nicht einschätzen kann, wie lange es dauert, bis mein Fehlen auffällt. Hastig zünde ich mir eine Zigarette an und laufe schnellen Schrittes die Straße entlang, ohne auf andere Passanten zu achten, vorbei an dem Park, in dem ich schon häufiger saß, und wechsle schließlich auf die andere Straßenseite. Außer Atem erreiche ich mein Ziel. Es ist erschreckend, wie schlecht meine Kondition inzwischen ist. Ich werfe die Zigarette weg und organisiere ohne zu Zögern die benötigten Dinge, vier Packungen Schmerzmittel, zwei Schachteln Schlaftabletten und ein Päckchen Rasierklingen. Auf dem Rückweg ziehe ich mir an einem Automaten eine Dose Kaffee, öffne sie, schlucke den Inhalt einer kompletten Blisterpackung Schmerztabletten gierig hinunter und spüle nach. Die restlichen Tabletten verstaue ich wieder in der Tüte. Zwei Packungen Schmerzmittel, eine Schachtel der Schlaftabletten sowie die Rasierklingen teile ich jedoch zur Sicherheit auf meine Hosentaschen auf. Schnell laufe ich zur Wohnung und hoffe, dass die Beiden sich noch immer im Wohnzimmer aufhalten. Vorsichtig schließe ich die Tür auf und stelle erleichtert fest, dass sie tatsächlich im Wohnzimmer sitzen. Ich ziehe meine Schuhe wieder aus, lege Portemonnaie und Schlüssel an ihren Platz zurück und schleiche in mein Zimmer. Erschöpft, aber mit beschleunigtem Herzschlag setze ich mich auf das Bett und überlege, wo ich meine Einkäufe am sichersten verwahre. Einer Eingebung folgend stehe ich auf und gehe zum Schreibtisch. Dort verstecke ich die angefangene Schachtel der Schmerzmittel sowie eine weitere und eine Packung Schlafmittel in einem Schubfach in der hinteren Ecke unter einem Stapel Papier. Dann bewege ich mich auf meinen Kleiderschrank zu. Sorgfältig verteile ich die restlichen Medikamente und die Rasierklingen in die Taschen verschiedener Kleidungsstücke. Nachdem ich alles untergebracht habe, gehe ich zum Fenster, öffne es und zünde mir eine Zigarette an. Ich spüre, wie ich mich allmählich etwas beruhige und die Kopfschmerzen langsam halbwegs erträglich werden. Gedankenverloren blicke ich nach draußen, während ich den Rauch der Zigarette inhaliere. Plötzlich klopft es an der Tür, fast zeitgleich kommt Tai auch schon herein. „Geht es dir ein wenig besser?“, will er besorgt wissen. Ich nicke kaum merklich. „Also hat dir der Spaziergang gut getan“, stellt er fest. Innerlich fluche ich, bleibe aber nach außen gelassen. „Was meinst du?“ „Hältst du uns für blöd, Yamato?“ Ich höre die Empörung in seinen Worten. „Schickt dich mein Vater?“ „Nicht direkt. Ich bot ihm an erst einmal mit dir zu reden.“ Tais Blick ist durchdringend. „ Yamato! Dein Vater ist verdammt sauer. Er will seine Androhung nun wahr machen, da du gegen die Auflagen verstoßen hast.“ Mein Freund schaut mich vorwurfsvoll an. „Ich konnte ihn vorerst besänftigen.“ „Danke“, sage ich ehrlich gemeint. „Du bist mir was schuldig.“ Er kommt ein paar Schritte auf mich zu. Ich nehme einen letzten Zug und werfe die Zigarette aus dem Fenster. Mit seiner Hand streicht Tai mir behutsam über die Wange, hinab zu meinem Mund. Ich zucke unwillkürlich zusammen. „Dein Vater hat ganz schön hart zugeschlagen. Deine Wange ist noch immer sehr gerötet und du kannst froh sein, wenn sie sich nicht blau verfärbt. Auch deine Lippe ist ziemlich geschwollen und blutig.“ Ich winke ab. „Es war ja nicht unbegründet. Zudem ist die Verletzung an der Lippe ursprünglich dein Werk.“ Ein Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht. „Wir sind noch nicht fertig, Yamato.“ Am Tonfall meines Freundes erkenne ich, dass es jetzt unangenehm wird. Ich schaue ihn abwartend an. „Wo warst du und was hast du gemacht, als du draußen warst?“ „Du sagtest es bereits. Spazieren“, lüge ich eiskalt, aber unglaubwürdig. „Willst du mich verarschen?“ Tai sieht mich wütend an. „Okay, machen wir es kurz. Du entgehst der Klinik nur, wenn du kooperierst. Dein Vater hat mir, und somit auch dir, nur diese eine Chance gegeben. Du hast dir Tabletten besorgt, hab ich recht? Ich wusste bis vor kurzem gar nicht, dass du medikamentenabhängig bist. Dein Vater erzählte es mir.“ „Ich bin nicht süchtig nach dem Zeug“, protestiere ich genervt. „Nicht süchtig, aber abhängig. Ich habe zwar mitbekommen, dass du hin und wieder Tabletten gegen Kopfschmerzen geschluckt hast, fand es aber nicht bedenklich. Wie viele nimmst du eigentlich?“ „Zurzeit gar nichts.“ „Und normalerweise?“ Ich schweige, schaue ihn aber unverwandt an. Mein Freund seufzt. „Warum sprichst du nicht mit mir?“ Er klingt traurig. Mit seiner Hand greift er nach meiner, hält sie fest und zieht mich dichter an sich heran. Er haucht mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. „Irgendwann erkläre ich es dir. Aber momentan fällt es mir schwer, zu denken und mich zu artikulieren. Bitte…“ „Schon gut. Ich vertraue dir.“ Liebevoll lächelt er mich an. Dann hält er die Hand auf. Ich zögere, doch schließlich gehe ich zu meinem Schreibtisch und hole die zwei Packungen Schmerzmittel und die Schachtel Schlaftabletten heraus. Widerwillig händige ich sie meinem Freund aus. „Ist das alles?“, fragt er misstrauisch. „Ja“, versuche ich ihn zu überzeugen. Am Blick meines Freundes sehe ich, dass er mir nicht glaubt. Dennoch lässt er es dabei bewenden. Er gibt mir noch einen Kuss, dann entfernt er sich von mir. „Ich bin gleich wieder da. Hoffentlich genügt es deinem Vater, dass du letztlich eingelenkt und die Medikamente herausgegeben hast.“ „Ich habe aber bereits welche eingenommen“, gebe ich ehrlich zu bedenken. „Das dachte ich mir und er sich garantiert auch. Du wirst ohnehin nicht um ein Gespräch mit ihm herumkommen. Aber ich glaube, im Augenblick wäre es nicht sinnvoll. Ich bringe ihm jetzt erst einmal das hier, dann sehen wir weiter.“ Er deutet auf die Schachteln in seiner Hand. „Warte kurz, ja?“ Mit diesen Worten verschwindet er aus meinem Zimmer. Ich schaue wieder aus dem Fenster und zünde mir noch eine Zigarette an. Tief ziehe ich den Rauch ein. Taichis Worte, dass er mir vertraue, klingen in meinem Kopf nach und hinterlassen gemischte, aber überwiegend negative Gefühle. Ich stehe, eine Zigarette rauchend, am Schultor und warte. Fast zwei Wochen blieb ich auf Wunsch meines Vaters zu Hause, weil er meinte, auf diese Weise meine vermeintliche Medikamentenabhänigkeit in den Griff bekommen zu können. Doch letztlich hat sich nichts geändert. Wenn ich Kopfschmerzen habe, schlucke ich nach wie vor Tabletten, ebenso wenn ich nicht schlafen kann. Ich sehe darin kein Problem und bin der Meinung, dass mein Vater übertreibt. Das Gespräch, welches wir nach meiner Aktion schließlich führten, war mehr als unangenehm. Tai hatte recht. Mein Vater war sauer, aber vor allem enttäuscht. Er schrie mich nicht an, im Gegenteil, sein Verhalten war abweisend und kühl. Seltsamerweise drohte er mir nicht, wie erwartet, mit einer erneuten Einweisung. Ich hatte eher das Gefühl, er appellierte an mein schlechtes Gewissen. Zum Teil funktionierte das, doch auch wenn es mir leid tut, kann ich oft nicht anders handeln. Oder ich will es nicht. Ich verachte mich dafür, denn ich weiß, wie sehr ich meinen Vater verletze und was ich ihm antue. Wieder kommt mir der Gedanke, dass er ohne mich glücklich werden und richtig leben könnte. Ich werfe die bis auf den Filter gerauchte Zigarette auf den Boden. Es müsste bald zum Unterricht klingeln. Ein Seufzen kommt über meine Lippen. „Ich dachte, sie haben dich wieder in die Klapse gebracht und dort für immer weggeschlossen.“ Verwundert schaue ich in die Richtung, aus der die Äußerung kam. Mein Klassenkamerad kommt auf mich zu und bleibt vor mir stehen. Ich grinse ihn an. „Tut mir leid, dass ich dich enttäusche. Oder hörte ich Erleichterung darüber, dass ich noch da bin, in deiner Stimme?“ Ich ziehe ihn am Arm zu mir heran und streiche demonstrativ über seine Wange. „Lass mich los“, zischt mein Mitschüler drohend. Dann erwidert er mein Grinsen. „Verstehe, du willst deine Perversion ausleben. Soll ich dich wieder ficken? Mit oder ohne Gegenstand?“ Mein Gesichtsausdruck wird ernst. Ich lasse sein Handgelenk nicht los, stattdessen umgreife ich es fester. „Nein, diesmal will ich dich nehmen.“ Die Augen meines Gegenübers werden groß, Entsetzen legt sich auf sein Gesicht. „Du bist abartig!“, beschimpft er mich, seine Fassung wiedererlangend. Ich gebe ihm einen Kuss auf die Stirn, dann lasse ich ihn los. „Ja, ich weiß“, gebe ich zu. Einen Moment sehen wir uns nur an, bevor ich fortfahre: „Ich mag deine Reaktionen, wenn ich dich mit diesem Thema konfrontiere. Aber du solltest dir über deine Gefühle im Klaren werden, denn es ist eindeutig, dass du nicht nur Hass für mich empfindest. Sonst hättest du wohl kaum mit mir geschlafen.“ „Das war…“, setzt mein Mitschüler an. Ich unterbreche ihn. „Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich will und werde auch nicht noch einmal mit dir schlafen. Im Gegensatz zu dir habe ich durch unseren Sex Antworten gefunden.“ „Meinst du, das interessiert mich? Ich sagte, ich würde dir das Leben zur Hölle machen. Ich muss mir über keine Gefühle im Klaren werden. Ich weiß, dass ich dich hasse.“ Am Kragen packend drückt er mich gegen die Schulmauer. Ich registriere, dass einige Schüler, die an uns vorbeilaufen, neugierig schauen. Dann lenke ich meine Aufmerksamkeit wieder auf meinen Klassenkameraden. „Na los, schlag mich“, provoziere ich ihn. „Das hättest du gern, aber den Gefallen tue ich dir nicht. Es gibt etwas, mit dem ich dir richtig wehtun kann.“ Mit einem verächtlichen Lachen lässt er von mir ab und geht ohne ein weiteres Wort in Richtung Schulgebäude. Irritiert sehe ich ihm nach, ordne dabei meine Kleidung und zünde mir erneut eine Zigarette an. Ich werde aus diesem Menschen nicht schlau. „Was wollte dieser Penner schon wieder?“ Ich blicke zur Seite und direkt in die braunen Augen meines Freundes. „Keine Ahnung“, sage ich seufzend und zucke mit den Schultern. Tief ziehe ich den Rauch der Zigarette ein. „So sah es aber nicht aus“, kommt vorwurfsvoll zurück. „Seit wann hast du uns denn beobachtet?“ „Ich schätze, zu lange.“ Er geht an mir vorbei. „Wir sehen uns später.“ Kurz überlege ich, Tai aufzuhalten, entscheide mich allerdings dagegen. Ich kehre der Schule den Rücken und mache mich auf den Weg nach Hause. Mein Bedarf an Interaktionen mit Menschen ist für heute gedeckt. Angespanntes Schweigen beherrscht die Atmosphäre in meinem Zimmer. Seit Tai vor einer halben Stunde bei mir angekommen ist, wechselten wir abgesehen von der Begrüßung kein Wort miteinander. Reglos sitzt er auf dem Sofa und schaut aus dem Fenster. Die Stille ist unangenehm, doch mir fehlen Ansatzpunkte für eine Unterhaltung, also schweige ich. Allerdings werde ich das Gefühl nicht los, dass etwas zwischen uns steht. Ich überlege, versuche eine Situation zu finden, die der Auslöser für unser unterkühltes Verhältnis sein könnte. „Du warst heute nicht in der Schule“, äußert sich mein Freund unerwartet. „Nein“, gebe ich knapp zur Antwort. Ich sehe zu ihm, aber er schaut weiterhin aus dem Fenster. Wieder schweigen wir. Nach einer Weile richtet sich Tai erneut an mich, verweilt jedoch in seiner abweisenden Position. „Du wirst deinen Schulabschluss nicht schaffen.“ Er spricht diesen Satz nicht als Vermutung, sondern als Gewissheit aus. „Vielleicht“, sage ich gleichgültig. „Wenn es dir egal ist, warum gehst du dann überhaupt noch hin? Du gehst jetzt schon nur sporadisch.“ „Ist das dein Ernst?“, frage ich erstaunt. „Deinetwegen.“ Mein Freund dreht sich zu mir, seine Mimik ist ausdruckslos. „Dann gehst du nächstes Jahr gar nicht mehr zur Schule? Du brichst also ab?“ „Wie kommst du darauf?“ Ich wundere mich über Tais offenkundige Unterstellung. „Weil ich nicht mehr da sein werde.“ Für einen Moment höre ich auf zu atmen. Angst ergreift Besitz von mir und lähmt mich. „Warum schaust du mich so entgeistert an? Du weißt doch, dass ich in einem halben Jahr meinen Abschluss mache.“ Ich hatte es vergessen. Oder verdrängt. Aufgrund meiner Wiederholung beenden wir die Schule nicht im selben Jahr. Mein Freund geht ein Jahr eher ab. „Was wirst du dann tun?“ Das Schlucken fällt mir schwer und meine Stimme ist belegt. „Studieren. Ich werde hier in Tokyo bleiben, überlege aber, in ein Wohnheim zu ziehen.“ Fassungslos starre ich ihn an. „Du willst was?“ Ich spüre, wie Panik in mir aufsteigt. Gleichzeitig stelle ich mir die Frage, warum ich schon die ganze Zeit während unserer Unterhaltung so extrem und vor allem übertrieben reagiere. Allerdings schaffe ich es nicht, mich zu beruhigen. „Da gibt es andere Studenten, fremde Menschen. Wenn du Pech hast, musst du dir das Zimmer mit jemandem teilen. Vielleicht gibt es auch nur Gemeinschaftsduschen, dann…“ „Yamato! Komm wieder runter. Wo ist dein Problem?“ „Mein Problem ist, dass ich dich nicht teilen will. Und das werde ich auch nicht.“ Entschlossen stehe ich auf und gehe zu Tai. Grob presse ich ihn an den Schultern gegen die Sofalehne und zwinge ihm einen Kuss auf. Die anfängliche Zurückhaltung meines Freundes wandelt sich schnell und er lässt sich auf mein forderndes, nahezu brutales Zungenspiel ein. Erst als wir zu ersticken drohen, lösen wir uns schwer atmend voneinander. „Leg dich hin“, befehle ich in kaltem Tonfall. Tai gehorcht, sieht mich dabei unverwandt und ausdruckslos an. Ich öffne seine Hose, umfasse seine Hüfte und hebe das Becken etwas an, um das Ausziehen zu erleichtern. Anschließend beginne ich ihm einen zu blasen. Die Atmung meines Freundes wird schneller und geht in ein leises Stöhnen über. Mit seinen Fingern sucht er nach Halt. Letztlich krallt er sich in meinen Haaren fest und zieht daran, als wolle er mir bedeuten, aufzuhören. Ich unterbreche mein Tun und sehe zu ihm auf. Tais Gesicht ist von Erregung gezeichnet, doch ich erkenne noch etwas anderes darin. Verachtung. „Wie viele Schwänze hast du eigentlich schon gelutscht? Und wie viele von denen waren in dir? Oder fickst du deine Spielgefährten?“ „Was?“ Ich starre ihn ungläubig an. Es dauert einen Moment, bis ich mich wieder etwas gefangen habe. Mit meinem Handrücken wische ich mir über den Mund, dann setze ich mich auf. „Kannst du das wiederholen?“, fordere ich ihn ernst auf. „Ich denke, du hast mich verstanden“, erwidert mein Freund kalt. Ein Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. „Du bist eifersüchtig, Taichi.“ „Nein, Yamato. Du irrst dich. Aber es gefällt mir nicht, dass du ein kleiner, billiger Stricher geworden bist, der seinen Körper für alles und jeden hergibt.“ „Sagtest du nicht, dass du mir nicht verbieten kannst und willst mit anderen zu schlafen? Das klingt jetzt aber ganz anders. Und im Übrigen bezeichnet man dein Verhalten als Eifersucht.“ Ich beuge mich zu ihm hinüber und streiche ihm über die Wange. „Warum sagst du nicht einfach, was du wirklich willst. Ganz direkt.“ Tais Augen fixieren mich mit einem dieser unbeschreiblich intensiven Blicke. Ohne mich dagegen wehren zu können, verfalle ich ihm. Wie so oft. „Ich will dich. Und zwar für mich allein. Du gehörst mir und ich verbiete dir, Sex mit anderen zu haben. Ich bin sowieso der Einzige, der dir geben kann, was du brauchst.“ Mein Freund steht auf und zieht mich gebieterisch mit sich. Ohne ein Wort zu sagen, wirft er mich auf die Matratze und setzt sich auf meine Oberschenkel. Er löst die Krawatte seiner Schuluniform und fesselt mich mit den Handgelenken an das Bettgestell. Dann entledigt er mich meiner Hose sowie Unterhose. „Du brauchst nur mich! Hast du verstanden? Ich werde dich niemals gehen lassen! Und ich werde dich nicht mehr teilen. Dein Körper wird nur noch nach mir verlangen, wenn ich mit dir fertig bin.“ Wahnsinn hat von Tai Besitz ergriffen. Seine Augen funkeln mich an und verraten seine Unzurechnungsfähigkeit. Er lächelt, hebt meine Beine auf seine Schultern und dringt Stoß um Stoß immer tiefer in mich ein. Schmerz durchzieht meine Lendengegend, aber ich genieße das Gefühl, Taichi in mir zu spüren. Ich schließe meine Augen. Die Bewegungen meines Freundes werden intensiver. „Mach die Augen auf und sieh mich an“, sagt Tai ohne jedes Gefühl in der Stimme. Ich leiste Folge und blicke in das erregte Gesicht meines Freundes. Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn und durchfeuchten allmählich sein zerzaustes, braunes Haar. Unser Stöhnen nimmt zu und erfüllt mein Zimmer. „Du bist schön, Yamato. Deine tiefblauen Augen, die immer so abwesend ins Nichts starren. Deine samtige, helle Haut, fast durchscheinend und überzogen von Malen der Verzweiflung. Dein Gesicht, so fein geschnitten wie das eines Mädchens. Und dein Haar, welches dir momentan vom Schweiß verklebt im Gesicht hängt. Nur ich darf dich so sehen. Deine Traurigkeit, deine Verzweiflung, deine Gleichgültigkeit und deine Erregung.“ Die Worte meines Freundes kommen stockend, seine Atmung ist schwer und stoßweise. Ich versuche zu lächeln, doch die Intensität von Tais Stößen wandelt sich in Schmerz. Ich bäume mich auf und versuche die Fesseln an meinen Handgelenken zu lösen. „Was ist los, Yamato? Kannst du nicht mehr?“, keucht Tai. Ich antworte nicht. Vor meinen Augen tanzen mittlerweile Punkte, meine Finger und die gesamte Haut beginnen zu kribbeln. Mein Hemd ist inzwischen durchgeschwitzt und klebt unangenehm an mir. Ich ziehe erneut an meinen Fesseln, merke allerdings, wie meine Kraft schwindet. Tai penetriert mich weiter, seine Ausdauer scheint noch nicht erschöpft. Ich schließe die Augen und lasse den Schmerz und die Erregung auf mich wirken. Unser Stöhnen ist beinahe rhythmisch. „Yamato. Du gehörst mir! Hast du das endlich verstanden?“ „Tai…“, flüstere ich leise und außer Atem. „Ich liebe dich.“ Mein Freund stößt noch ein paar Mal kraftvoll zu, dann zieht er sich aus mir zurück und lässt seinen Körper erschöpft auf meinen sinken. „Dein Herz schlägt unglaublich schnell“, stellt Tai fest. Angestrengt versuche ich meine Atmung und mein Bewusstsein zu normalisieren. Ich fühle mich wie elektrisiert, aber auch wehrlos und schwach. „Warum hast du nicht ernsthaft versucht dich zu befreien?“ Mein Freund setzt sich auf und löst meine Fesseln. Ich reibe über meine Handgelenke. „Ich hätte keine Chance gehabt. Wenn du dich in einem solchen Zustand befindest, bist du zu allem fähig. Außerdem wollte ich dich in mir spüren.“ Tai legt sich neben mich und streicht mir sanft durch die nassen Haare. „Du wirst auch niemand anderen mehr spüren wollen. Das eben war nur ein kleiner Vorgeschmack. Wenn du mit anderen rumvögelst, wird es zukünftig wesentlich schmerzhafter.“ „Das klingt verlockend“, grinse ich. „Das wirst du anders sehen, wenn ich mit dir fertig bin.“ Der Tonfall meines Freundes ist ernst, nahezu drohend. „Dann habe ich aber auch eine Bedingung. Du ziehst nicht in ein Wohnheim.“ Für einen Moment herrscht Stille. Tai legt seine Finger unter mein Kinn und zieht mein Gesicht zur Seite. Er küsst mich, bevor er mir einen Vorschlag unterbreitet. „Lass uns zusammenziehen.“ Kapitel 9: ----------- Ich stehe im Badezimmer und betrachte die Person, die ich darin sehe. Da steht ein junger Mann mit nassen, blonden Haaren. Unzählige Wassertropfen laufen die helle Haut hinab, welche einen schönen Kontrast zu den vielen blassrosa bis dunkelroten Narben bildet. Ganz frische Verletzungen zieren weder den linken Arm noch den Oberkörper, was darauf hindeutet, dass seit längerem keine Rasierklingen zum Einsatz kamen. Mein Blick wandert weiter über den Körper. Er ist dünn, aber noch nicht bedenklich abgemagert. Ich schließe die Augen und atme tief ein. Langsam öffne ich sie wieder und schaue meinem Gegenüber direkt ins Gesicht. Dunkle Schatten zeugen von wenig Schlaf. „Das bin ich“, versuche ich mir laut zu verdeutlichen. Diese Worte klingen merkwürdig und fremd in meinen Ohren. Ein unangenehmes Gefühl stellt sich ein. „Das bin ich“, wiederhole ich meine Aussage, um deren Sinn zu begreifen. „Das ist der Mensch, den ich abgrundtief hasse, der gleichzeitig aber von Taichi geliebt wird.“ Ein bitteres Lachen entweicht meiner Kehle. „Was für ein Paradoxon.“ Angewidert wende ich mich ab. Einmal mehr muss ich feststellen, dass ich es nicht schaffe, meinen Selbsthass auszublenden. Rasch ziehe ich mir einen Bademantel über und verlasse zügig das Badezimmer, um dem aufkommenden Verlangen nach Schmerz und Selbstschädigung nicht nachgeben zu können. Die Klingel ertönt und verkündet das Ende der Stunde. Sofort packe ich meine Sachen zusammen, verlasse den Raum und laufe die Stufen hinab auf den Hof. Es ist kühler geworden, sodass ich meine Jacke anziehe, welche ich, über den Arm gelegt, getragen habe. Am Schultor bleibe ich stehen und blicke mich um. Gerade als ich mir eine Zigarette anzünden will, entdecke ich Tai, der schnellen Schrittes auf mich zukommt. „Stehst du hier schon lange?“, erkundigt er sich. Ich verstaue die Zigarettenschachtel und das Feuerzeug in meiner Jackentasche und schüttele den Kopf. Wir wenden uns zum Gehen, doch dann wird die Aufmerksamkeit meines Freundes von etwas abgelenkt. „Warte kurz.“ Ich beobachte, wie er zielgerichtet auf meinen Klassenkameraden zugeht und beeile mich zu Tai aufzuschließen. Er packt meinen Mitschüler gewaltsam am Kragen, welcher einen Moment braucht, um die unerwartete Situation zu erfassen. „Sag mal, ist Wahnsinn ansteckend?“, fragt er provozierend und sieht dabei mich an. Als Antwort bekommt er die Faust meines Freundes zu spüren, welche er ihm hart ins Gesicht schlägt. Mein Klassenkamerad geht zu Boden. Wütend funkelt er Tai an, während er sich über die gerötete Wange streicht. „Steh auf“, befiehlt mein Freund und zieht meinen Mitschüler am Kragen wieder auf die Füße. „Was willst du eigentlich von mir?“, will der empört wissen. „Dass du in Zukunft deine Finger von Yamato lässt“, antwortet Tai hasserfüllt. Sein Gegenüber beginnt laut zu lachen. „Eifersucht macht aus Menschen Idioten“, bemerkt er amüsiert und bekommt es sogleich mit einem Schlag in den Magen quittiert. Er geht keuchend in die Knie, hält sich vor Schmerzen den Bauch. „Reagierst du immer so übertrieben, wenn jemand Hand an deinen Schatz legt? Ich weiß nicht, von wem sich Yamato noch vögeln lässt, aber ich habe ihn nur ein einziges Mal genommen. Und selbst da mussten wir mittendrin abbrechen.“ Mein Freund schaut verdutzt zu mir, doch ich widme meine Aufmerksamkeit meinem Klassenkameraden. Seine Aussage irritiert mich. Zum ersten Mal nannte er mich beim Namen. Auch bilde ich mir ein, Bedauern in seiner Stimme gehört zu haben. Ich werde aus diesem Menschen einfach nicht schlau, doch genau das weckt mein Interesse und meine Begierde. „Yamato“, holt Tai mich aus meinen Gedanken. „Ich wäre mir an deiner Stelle dennoch nicht sicher“, grinst mein Mitschüler hämisch. „Wenn ich es darauf anlegen würde, würde Yamato sich wieder von mir ficken lassen.“ Er schaut zu mir, als erwarte er eine Reaktion. Ich lächle vielsagend. Ohne Vorwarnung tritt Tai meinen Klassenkameraden in die Seite, sodass der mit einem Schmerzensschrei zusammenbricht. Als mein Freund nachtreten will, halte ich ihn fest. „Taichi!“, sage ich bestimmt. „Lass mich los! Dieser Wichser geht mir auf die Nerven mit seiner selbstgefälligen Art.“ Er windet sich, wodurch ich gezwungen bin meine Umklammerung zu verstärken. Es kostet mich alle Kraft, Tai an seinem Vorhaben zu hindern. So wütend habe ich meinen Freund selten erlebt. „Nein, Tai. Das bringt doch nichts. Letztlich bekommst nur du Ärger, wenn du ihn zusammenschlägst. Noch dazu genau vor der Schule.“ „Warum setzt du dich für diesen Penner ein? Was willst du von dem?“ Ich schaue auf meinen Klassenkameraden herab, der gerade versucht, aufzustehen. Seine Blicke sagen mir, dass ich diesen Vorfall bereuen werde. Ich lächle und beantworte schließlich Tais Frage. „Spielen.“ Mein Freund gibt seine Gegenwehr auf und sieht mich entgeistert an. Ich wende meine Augen von meinem Mitschüler ab, dessen Mimik ich nicht zu deuten vermag, und blicke Tai an. „Empfindest du etwas für ihn?“ Sein Tonfall ist abfällig und sein Gesichtsausdruck angewidert. „Ja“, gebe ich ehrlich zur Antwort. Mein Klassenkamerad, der inzwischen wieder aufrecht steht, schaut mich verwirrt an, sagt jedoch nichts. „Von ihm geht eine Faszination aus, derer ich mich nicht entziehen kann. Er weckt seltsame, perverse Begierden in mir. Taichi, du fragtest einmal, was ich von anderen bekommen könnte, dass du mir nicht geben kannst. Hass. Selbst in deiner Brutalität spüre ich Liebe. Im Gegensatz zu jemandem, der wirklich hasst, ist das Gefühl bei dir vollkommen anders.“ „Heißt das, der Wichser hat mit seiner Behauptung recht? Du würdest dich wieder von ihm ficken lassen?“ Ich schweige, halte dem Blick meines Freundes aber stand. Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Du bist echt das Letzte, Yamato!“ Tai macht Anstalten zu gehen, doch ich halte ihn am Arm zurück. „Taichi…“, setze ich an, komme jedoch nicht zu Wort. „Fass mich nicht an, du dreckige Hure!“, speit er mir giftig entgegen, reißt sich los und lässt mich mit meinem Mitschüler stehen. Ich spüre, dass dieser von hinten an mich herantritt, während ich meinem Freund nachschaue und überlege, ob ich ihm folge. Er greift mir in die Haare und zieht meinen Kopf derb zu sich, sodass seine Lippen direkt an meinem Ohr sind. „Ich sagte doch, ich mache dir das Leben zur Hölle. Und das funktioniert am besten über deinen Stecher, wie mir scheint.“ Ich drehe mich um und setze ein Grinsen auf. Grob ziehe ich meinen Klassenkameraden zu mir heran. Ich streiche ein paar Strähnen aus seinem Gesicht, dann zwinge ich ihm einen Zungenkuss auf, welchen er zu meiner Verwunderung erwidert. Als wir uns voneinander lösen, entgegne ich in kühlem Ton: „Weit gefehlt, mein Süßer.“ Ich stoße ihn so stark von mir, dass er ins Wanken gerät. „Aber in einem hast du recht. Wir sind noch lange nicht miteinander fertig.“ Nachdenklich sitze ich auf meinem Bett und spiele wahllos Akkorde, ohne auf die Sauberkeit der Töne zu achten. Seit dem Vorfall mit meinem Klassenkameraden sind zweieinhalb Wochen vergangen. Damals haben Tai und ich zum letzten Mal miteinander gesprochen. Zwar sehen wir uns jeden Tag in der Schule, doch auch wenn sich unsere Blicke beim Aneinandervorbeigehen treffen, sagt keiner ein Wort. Es tut weh, von meinem Freund mit traurigen Augen bedacht zu werden. Ich weiß, dass er darauf wartet, von mir angesprochen zu werden, und doch bin ich unfähig zu handeln. Mir ist bewusst, dass ich die Schuld an der vorherrschenden Situation trage, aber eine Lösung der Problematik erscheint mir als unmöglich. Ich höre auf zu spielen und starre auf einen unbestimmten Punkt. Meine Gefühle für Taichi sind klar, da bestehen meinerseits keine Zweifel mehr. Allerdings befürchte ich, dass mein Freund mir nach all dem nicht mehr glaubt. Ich seufze. Es bringt nichts, mir den Kopf zu zerbrechen. Ich sollte mit Tai reden. Es gibt einiges zu besprechen und vor allem zu klären. Außerdem vermisse ich ihn, seine Nähe, seine Stimme, seinen Geruch, ihn zu berühren, ihn zu spüren. Mein Verlangen, ihn zu sehen, wird übermächtig. Ich stehe auf und stelle die Gitarre an ihren Platz, dann verlasse ich das Zimmer. Im Flur ziehe ich meine Low Chucks und eine Jacke an. Schnell schreibe ich meinem Vater noch einen Zettel, um ihn über meinen Aufenthaltsort in Kenntnis zu setzen. Den Schlüssel und das Portemonnaie in die Taschen steckend mache ich mich auf den Weg zu meinem Freund. Unschlüssig stehe ich vor der Wohnung der Yagamis. Mittlerweile bin ich mir meiner Sache nicht mehr so sicher. Vielleicht habe ich die Blicke meines Freundes falsch gedeutet und er will mich gar nicht sehen. Immerhin war er so sauer und hasserfüllt, dass er mir derbe, vulgäre Beleidigungen an den Kopf geworfen hat. Seine abwertenden Bezeichnungen für meine Person sind mir jedoch egal. Vielmehr bereitet mir die extreme Verachtung, welche er mir entgegenbrachte, Sorgen. Ich weiß, dass diese sich hauptsächlich gegen mich richtet und weniger gegen meinen Mitschüler, was ich durchaus verstehe. Letztlich bin auch ich mir meiner Perversität bewusst. Ich setze dadurch viel aufs Spiel und laufe Gefahr, Tai zu verlieren. Meine Gedanken werden unterbrochen, als sich die Tür plötzlich öffnet und ich direkt in die braunen Augen meines Freundes blicke. „Tai… ich…“, beginne ich stotternd. „Was willst du?“, unterbricht mich dieser in geringschätzigem Tonfall. „Ich denke, wir müssen reden.“ „Müssen wir das?“ Mein Freund schiebt sich an mir vorbei und geht die ersten Stufen hinab. Dann dreht er sich noch einmal zu mir um. „Ich denke, es ist alles gesagt.“ Bestürzt sehe ich Tai nach, der die Treppe weiter nach unten läuft. Ich kann und will nicht glauben, dass es das gewesen sein soll. Er darf sich nicht von mir trennen. Angsterfüllt renne ich hinter ihm her, greife ihn fest am Arm und ziehe ihn zu mir herum. „Sagte ich dir nicht, du sollst deine dreckigen Finger von mir lassen? Also fass mich nicht an!“ In seiner Stimme kann ich außer Ablehnung nichts erkennen, seine Augen verraten mir, dass er tief verletzt ist. Wütend und doch hilflos steht er vor mir. „Nein, ich lasse dich nicht los. Und ich lasse dich auch nicht gehen.“ Ich versuche ruhig zu wirken, aber meine Panik zeigt sich bereits in Form von Zittern, welches inzwischen meinen ganzen Körper erfasst hat. „Was willst du denn noch von mir? Lass dich von einem anderen vögeln, du scheinst ja genug zur Auswahl zu haben.“ „Ich schlafe aber mit niemandem außer dir. Es gab bisher nur eine Ausnahme und davon weißt du. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass du mir nicht glaubst.“ Ich sehe Verwirrung im Gesicht meines Freundes. „Warum hast du dich nie verteidigt, wenn dir vorgeworfen wurde, du würdest dich von jedem ficken lassen? Selbst meine Beleidigungen hast du wortlos über dich ergehen lassen. Warum, Yamato?“ Tais Fassade beginnt zu bröckeln und ein Stück Verzweiflung schimmert hindurch. Ich zucke mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich weil es mir egal ist, was andere Menschen über mich denken.“ „Und ich? Ist es dir auch egal, was ich denke?“ „Nein. Aber dir vertraue ich.“ „Ich weiß“, sagt mein Freund nach einer kurzen Pause. Er schaut betreten zu Boden. „Bei dir ist das mit dem Vertrauen so eine Sache. Du weißt, was ich meine.“ Ich nicke. „Deshalb versuche ich so ehrlich wie möglich zu dir zu sein. Aus diesem Grund kann ich dir auch keine Versprechungen machen. Du weißt, dass ich mich oft selbst nicht einschätzen kann und die Kontrolle über mein Verhalten und meine Handlungen verliere. Das soll keine Entschuldigung für meine Verfehlungen sein, ich möchte mich nur erklären. Zudem bin ich mir darüber im Klaren, dass ich dich mitunter sehr verletze.“ „Heißt das, ich soll es einfach akzeptieren?“, unterbricht mich Tai. „Ich soll zusehen, wie du dich und somit auch mich zerstörst? Es geht nicht nur um dein Leben, mach dir das endlich bewusst!“ „Was soll ich tun, Taichi?“, frage ich mit brüchiger Stimme. Ich lasse den Arm meines Freundes los und meinen eigenen sinken. Mit einem Mal scheint alle Kraft aus meinem Körper zu entweichen. Mein Freund schaffte es gerade noch, mich zu stützen, bevor ich zusammensacke. Langsam laufen wir ein Stück bis zur nächsten Seitengasse. Dort setzt Tai mich behutsam auf den Boden und hockt sich vor mich. „Geht es?“, fragt er besorgt, während er mir seine Hand auf die Schulter legt. „Du zitterst.“ „Was soll ich tun?“, wiederhole ich meine Frage, allerdings so leise, als würde ich es mehr zu mir selbst sagen. Schützend umfängt mein Freund mich mit seinen Armen und drückt meinen Körper fest an sich. Ich höre seinen Herzschlag und schließe die Augen. „Beruhige dich erst einmal“, flüstert er sanft in mein Ohr. „Ich habe Angst, dich zu verlieren.“ Tränen füllen meine Augen und ich kralle meine Finger in Tais Pullover. „Bitte, lass mich nicht los.“ „Yamato.“ Mein Freund schiebt mich leicht von sich und schaut mich ernst an. „Du verlierst mich nicht, aber ich lasse mir auch nicht alles gefallen. Ich weiß, dass dein Verhalten manchmal unkontrolliert, beinahe zwanghaft ist, dennoch toleriere ich es nicht. Wenn du dir Fehltritte leistest, musst du auch die Konsequenzen in Kauf nehmen.“ „Ich habe ihn geküsst“, werfe ich ganz unvermittelt ein und wische mir die Tränen aus den Augen. „Was?“ Verwirrt schaut Tai mich an. „Meinen Klassenkameraden. Nachdem du damals weg warst. Er ist der Meinung, mir schaden zu können, indem er dich mit einbezieht. Davon muss ich ihn abbringen.“ Ich sehe Unverständnis im Gesicht meines Freundes. „Deine Logik ist völlig abstrus. Manchmal frage ich mich wirklich, was in deinem Kopf vorgeht. Du kannst so weltfremd sein, dass es beängstigend ist.“ „Mag sein, aber ich will dich für mich allein.“ Liebevoll streiche ich über Tais Wange, hinab zu seinem Hals. „Ich lasse nicht zu, dass dich jemand für seine Zwecke missbraucht.“ Mit meiner Hand umfasse ich seinen Nacken, ziehe seinen Kopf zu mir heran und küsse ihn. Meine andere Hand legt sich um seine Kehle und drückt zu. Unser Zungenspiel ist leidenschaftlich, verliert jedoch an Intensität und bricht schließlich vollends ab, als mein Freund zu Husten beginnt. Seine Atmung ist flach und unregelmäßig und ich spüre, dass sein Körper erschlafft. Ich lasse Tai los und drehe ihn so, dass er sich sitzend bei mir anlehnen kann. Sachte lege ich meine Arme um ihn und registriere seine hektische Atmung. „Wohin wolltest du eigentlich?“ Mein Freund braucht eine Weile, um mir antworten zu können. „Ich sollte für meine Mutter ein paar Besorgungen machen“, antwortet er schließlich, noch immer etwas benommen. „Sollten wir uns dann nicht langsam auf den Weg machen?“ „Nein. Halt mich bitte einfach fest.“ Seine Stimme zittert. Ich frage mich, ob er weint, schweige allerdings und ziehe ihn enger in die Umarmung. Sein Haar duftet angenehm nach Shampoo, für einen Moment schließe ich meine Augen. Eine Lösung für das Problem haben wir nach wie vor nicht gefunden, doch im Grund wissen wir beide, dass es die nicht gibt. Es ist nur die Verzweiflung, die uns weiter sinnlos danach suchen lässt. Ich drehe den Schlüssel im Schloss und öffne die Wohnungstür. Müde ziehe ich im Flur die Schuhe aus und hänge meine Jacke an den dafür vorgesehenen Haken. Das Portemonnaie und den Schlüssel lege ich zurück auf die Kommode. „Yamato, du kommst spät.“ Mein Vater schaut aus dem Wohnzimmer zu mir. „Ja, tut mir leid.“ Langsam gehe ich ein paar Schritte auf ihn zu, bleibe aber im Türrahmen stehen. Der Fernseher läuft und auf dem Tisch steht eine angefangene Flasche Wein, daneben ein halb geleertes Glas. „Setz dich, ich muss mit dir reden.“ Eigentlich will ich nur noch in mein Bett. Der Tag war seltsam anstrengend, mein Kopf schmerzt fürchterlich und ich habe das Gefühl, gleich zusammenzubrechen. Meine Beine scheinen mein Gewicht kaum noch tragen zu können. Ich stütze mich am Holz des Rahmens ab. „Geht es dir nicht gut? Du siehst schlecht aus, sehr blass und erschöpft.“ Mein Vater blickt mich voller Sorge an. Ich überlege, was ich ihm antworten soll, drifte mit meinen Gedanken jedoch ab. Unsere Unterhaltung und das Verhalten von Tai gehen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Irgendwas war anders als sonst. Irgendwas hat sich verändert. Ich beginne zu frösteln. Liegt das an der Müdigkeit? Oder dem unguten Gefühl, welches sich gerade einstellt? Mein Denken blockiert und ich verliere den Faden. Bewegungslos starre ich auf den Boden. „Doch“, antworte ich meinem Vater abwesend. „Yamato! Du scheinst gerade wieder in eine Apathie abzudriften. Versuche in der Realität zu bleiben. Sieh mich an!“ Ich hebe meinen Kopf, blicke aber durch meinen Vater hindurch. „Hörst du mich? Verstehst du meine Worte?“ Mein Nicken ist automatisiert und kaum merklich. „Dann sprich mit mir! Komm zu mir!“ Ich rege mich nicht und bleibe wie versteinert in der Tür stehen. Zwar nehme ich meinen Vater und seine Bemühungen wahr, schaffe es jedoch nicht, darauf einzugehen. Dieser steht auf und geht in meine Richtung. Vor mir bleibt er stehen. Mit beiden Händen packt er mich an den Schultern und schüttelt meinen Körper. „Wehr dich, verdammt nochmal! Gib dich nicht immer kampflos auf!“ Ich frage mich, ob mein Vater recht hat. Aber selbst wenn, es ist nicht von Bedeutung. Mir ist mittlerweile egal, ob ich lebe oder sterbe. Die körperlichen Erschütterungen werden kraftvoller und intensivieren zusätzlich meine Kopfschmerzen. „Papa, bitte lass mich los.“ Meine Stimme ist tonlos und leiser als beabsichtigt. Sofort hält mein Vater inne und beobachtet meine Mimik genau. „Setzen wir uns. Du siehst aus, als würdest du gleich das Bewusstsein verlieren.“ Er lenkt meine Schritte zum Sofa und wir nehmen beide darauf Platz. „Ist etwas passiert? Du stehst ja völlig neben dir.“ Ratlos zucke ich mit den Schultern. „Was wolltest du mit mir besprechen?“, lenke ich die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema. Mein Vater sieht mich bestürzt an. Er schweigt einen Moment. „Vielleicht sollten wir das auf später verschieben. Es ist auch schon spät.“ „Nein. Morgen ist keine Schule. Ich würde ansonsten die ganze Zeit darüber nachdenken.“ Meine Worte entsprechen der Wahrheit, auch wenn meine Konzentration ihren Tiefpunkt erreicht hat. Seufzend streicht mir mein Vater durch das Haar. „Ich habe von meiner Firma das Angebot erhalten, für einige Zeit als Auslandskorrespondent nach Berlin zu gehen.“ Verwirrung zeichnet sich auf meinem Gesicht ab. Es fällt mir schwer, die Bedeutung dieser Aussage zu erfassen. Ganz zu schweigen von den Konsequenzen. „Dann nutze die Gelegenheit“, sage ich schließlich ohne nachzudenken. „So einfach ist das nicht. Ich müsste dich hier allein zurücklassen und das bereitet mir großes Unbehagen. Momentan scheint es dir ganz allgemein zwar etwas besser zu gehen, aber der Vorfall von eben zeigt, wie leicht dein Befinden kippen kann und wie labil du eigentlich bist.“ „Also behindere ich dich wieder einmal?“, werfe ich bitter ein. „Das ist Unsinn, Yamato. Aber die Tatsachen sind unumstößlich, noch dazu bist du minderjährig.“ „Heißt das, du lehnst das Angebot ab?“ „Ich möchte deine Meinung dazu hören.“ „Tu das, was sich für dich richtig anfühlt.“ Ich bin darum bemüht, gleichgültig zu klingen und meine Gefühle zu verbergen. Schwerfällig erhebe ich mich. „Ich gehe ins Bett, die Müdigkeit wird übermächtig.“ Wankend verlasse ich das Wohnzimmer und gehe in mein eigenes Zimmer. Umständlich entledige ich mich meiner Kleider. Ich will gerade meine Unterhose ausziehen, als es an der Tür klopft, fast gleichzeitig öffnet sie sich. Die Blicke meines Vaters haften auf meinem Körper. „Du hast dich schon länger nicht geschnitten?“, fragt er vorsichtig, wahrscheinlich weil keine frischen Wunden zu erkennen sind. „Nein“, gebe ich kurz zur Antwort. „Was ist noch? Ich würde gern schlafen gehen.“ „Das verstehe ich, aber das Thema ist noch nicht beendet. Können wir morgen noch einmal darüber reden?“ Ich setze mich auf das Bett. „Meinetwegen.“ „Okay. Dann schlaf gut“, sagt er mit gedämpfter Stimme und schließt die Tür hinter sich. Wie erstarrt bleibe ich sitzen. Ich fühle mich leer, schutzlos, hilflos und ohne Halt. Tränen füllen meine Augen und laufen unablässig über meine Wangen. Mein Vater darf mich nicht verlassen, ohne ihn schaffe ich es nicht, aber das kann ich ihm nicht sagen. Zittrig stehe ich auf und gehe zu meinem Kleiderschrank. Aus den verschiedenen Kleidungsstücken hole ich eine Packung Schmerzmittel und eine Schachtel Schlaftabletten. Mit viel Wasser schlucke ich den kompletten Inhalt beider Verpackungen, dann gehe ich zum Fenster und öffne es. Fahrig zünde ich eine Zigarette an, ziehe den Rauch tief und schnell hintereinander ein. Es ist bereits weit nach Mitternacht. Die Luft ist kühl, sodass ich zu frösteln beginne. Schwindel macht sich bemerkbar, vielleicht weil ich die Zigarette zu heiß geraucht habe. Den Filter, denn mehr ist von der Zigarette nicht übrig, werfe ich aus dem Fenster, welches ich geöffnet lasse. Probleme mit der Koordination und dem Gleichgewicht stellen sich ein, weshalb es sich schwierig gestaltet, in mein Bett zu gelangen. Immer wieder knicke ich ein, stoße irgendwo an oder verwechsle die Richtungen. Mein Zimmer kommt mir unglaublich groß vor. Letztlich schaffe ich es, mehr auf allen Vieren als im aufrechten Gang, mein Bett zu erreichen. Ich ziehe mich mühsam auf die Matratze und bleibe wie tot liegen. Noch immer weine ich und hoffe, dass mich die Wirkung der Tabletten betäubt und vor der Realität, die so schmerzhaft ist, flüchten lässt. Den Kopf unter meinem Kissen vergraben liege ich wie versteinert in meinem Bett. Ich befinde mich noch im Halbschlaf und bekomme nur am Rande meiner Wahrnehmung mit, dass die Tür zu meinem Zimmer geöffnet wird. „Du liegst noch immer im Bett?“, stellt mein Vater fragend fest. Ich gebe knurrende Laute von mir, rühre mich aber nicht. „Es ist halb vier durch, willst du nicht langsam aufstehen?“ „Nein“, nuschele ich in mein Laken. Durch das Absenken der Matratze merke ich, dass sich mein Vater zu mir setzt. Mit seiner Hand streicht er fürsorglich über meinen Rücken. „Sei ehrlich, du hast wieder Tabletten geschluckt.“ Wütend werfe ich meinem Vater das Kissen entgegen, setze mich auf und funkle ihn böse an. „Was soll das jetzt wieder?“ „Liege ich wirklich falsch?“, antwortet er mit einer Gegenfrage. Mein Blick fällt auf meinen Kleiderschrank. Ich schweige. „Warum, Yamato?“ Der Stimme meines Vaters entnehme ich keinerlei Vorwürfe, lediglich Besorgnis. Heftig schüttele ich den Kopf. Ich darf nicht schwach werden, ich darf meinem Egoismus keine Chance geben, ich darf meinen Vater nicht mehr am Leben hindern. „Mach dir bitte keine Sorgen. Ich war einfach nur ziemlich erschöpft und müde.“ Offenbar ist das Lächeln, welches ich ihm entgegenbringe, nicht sehr überzeugend, da er mich eingehend betrachtet. „Wirklich, Papa. Und vielleicht ist es tatsächlich die beste Entscheidung, wenn du gehst, Abstand gewinnst und dich nur auf dich und deine Arbeit konzentrieren kannst.“ „Wie soll das funktionieren, wenn ich in Gedanken letztlich doch nur bei dir bin? Und hör auf dich als Hindernis zu bezeichnen. Das bist du nicht. Ich liebe dich und ich will, dass es dir gut geht.“ Krampfhaft bemüht die Tränen zurückzuhalten, richte ich meinen Blick beschämt nach unten. „Weißt du schon, von welchem Zeitraum die Rede ist?“, frage ich, obwohl ich Angst vor der Antwort habe. „Teilweise. Es soll im Dezember, noch vor Weihnachten, losgehen. Angedacht ist erst einmal ein Jahr, doch eine Verlängerung ist wahrscheinlich.“ Ich habe das Gefühl, sämtlichen Halt zu verlieren. Meine schlimmsten Befürchtungen umfassten einige Monate, aber diese Aussichten sind mehr, als ich verkrafte, ebenso wie die Tatsache, dass bereits Oktober ist. Ich befinde mich im Zwiespalt, ob ich meinem Vater meine wahren Empfindungen bezüglich der Problematik mitteilen soll, und es sieht so aus, als würde der Egoismus wieder einmal gewinnen. „Papa…“, beginne ich leise. „Ich habe mit Taichi gesprochen“, übergeht mich mein Vater. Anscheinend hat er mich nicht gehört, was sich als positiv herausstellt, denn irritiert schaue ich ihn an. „Was? Worüber?“ „Dieses Thema.“ „Du hast mit ihm gesprochen, bevor du zu mir kamst? Ich dachte, ich bin dein Sohn.“ Mein Tonfall ist eher verwirrt als beleidigt. Ich verstehe die Situation gerade nicht. „Und was hat Tai überhaupt damit zutun?“, füge ich noch hinzu. „Ich fragte ihn, ob er hier einziehen möchte, während ich im Ausland arbeite. Da er selbstverständlich erst mit seinen Eltern reden musste, um ihre Zustimmung einzuholen, sagte ich dir vorerst nichts. Denn hätte Taichi meinen Vorschlag abgelehnt, wäre ein Auslandsaufenthalt für mich überhaupt nicht infrage gekommen.“ „Hast du so wenig Vertrauen in mich, dass du einen Aufpasser für mich engagieren musst?“ Anhand der Mimik meines Vaters erkenne ich, was er als nächstes sagen wird. „Zum Einen dachte ich, dass Taichi dein Freund ist und es dir somit gefallen würde, mit ihm zusammenzuwohnen, und zum Anderen, hast du so viel Vertrauen in dich, mit allem allein fertig zu werden, einschließlich dir selbst?“ Ich weiche seinem Blick aus und bedeute ihm somit, dass er richtig liegt. Es hat noch nicht einmal etwas mit Vertrauen zu tun, ich weiß, dass ich zugrunde gehen würde. Es ist ein Paradoxon. Ich ertrage die Nähe von anderen Menschen nicht und bin lieber allein, aber allein bin ich nicht lebensfähig. „Yamato, ich möchte dich zu nichts drängen, zwingen schon gar nicht oder dich in irgendeiner Art und Weise abschieben. Denk in Ruhe darüber nach, okay? Ich verlange nur, dass du ehrlich bist.“ Aufmunternd legt er seine Hand auf meine Schulter. „Ich muss nicht mehr nachdenken. Tai fragte mich neulich, ob wir zusammenziehen wollen. Jetzt weiß ich, woher diese plötzliche Idee kam. Es ist im Grunde gar nicht sein Wunsch, sondern nur ein Gefallen. Dennoch…“ „Nein, du irrst dich. Er war sehr erfreut und hat mit seiner Antwort keinen Augenblick gezögert.“ Dann frage ich mich, ob er diese Entscheidung mittlerweile bereut. Ich denke an unseren letzten Kontakt. Wieder beschleicht mich ein merkwürdiges Gefühl. „Ich bin einverstanden. Und du musst dir keine Sorgen machen. Tai und ich bekommen das schon hin.“ Ich hoffe, dass mein Lächeln nicht so gekünstelt aussieht, wie es sich anfühlt. Mich selbst zur Ruhe ermahnend schlucke ich einige Schmerztabletten ohne Wasser hinunter, dann setze ich mich verunsichert auf mein Sofa. Tief atme ich ein. Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass mir mein Leben gerade vollends entgleitet? Nicht, dass es jemals anders war, aber normalerweise ging der Kontrollverlust meist von mir aus. Und selbst wenn ich die Kontrolle verlor, so hatte ich doch die Kontrolle darüber. Ich kannte das Ziel und ließ es nie aus den Augen. Aber jetzt fühle ich mich einfach nur hilflos. Ich habe kaum Einfluss auf die Geschehnisse um mich herum. Und die immer wiederkehrende Gleichgültigkeit scheint ein Schutzmechanismus zu sein, der allerdings nur mäßig funktioniert und mich mehr tot als lebendig fühlen lässt. Es ist mir nicht möglich, meine Empfindungen als solche zu benennen. Dabei ist dieser Zustand eigentlich nicht neu für mich, nur spielte meine Umwelt sonst keine große beziehungsweise eine andere Rolle. Hinzu kommen die inneren Widersprüche, welche mich wanken und taumeln lassen. Sie verhindern, dass ich einen klaren Gedanken fassen kann, und sorgen dafür, dass mein Kopf überfüllt oder völlig leer ist. Manchmal sogar beides zugleich. Auch jetzt merke ich, dass meine Gedanken ziemlich wirr sind, keinen Sinn ergeben und ohne jede Richtung, geschweige denn Ziel erscheinen. Es ist armselig, wie sehr mein eigenes Denken mich durcheinanderbringt. Doch auch wenn ich nicht sagen kann, was richtig oder falsch ist, weiß ich, dass sich der momentane Zustand nicht unbedingt richtig anfühlt. Fakt ist auch, dass ich mit Veränderungen nicht gut umgehen kann, aber genau das ist es, was in nächster Zeit auf mich zukommen wird. Ein beklemmendes Gefühl breitet sich in mir aus. Ich will nicht über all diese Dinge nachdenken müssen, denn sonst stellt sich mir irgendwann zwangsläufig die Frage, wie lange es noch so weitergehen kann, und darauf habe ich keine Antwort. Ebenso wenig darauf, ob ich es bedauern oder froh sein würde, wenn meine Stimmung und Suizidalität abermals kippen. Vielleicht wäre ich erleichtert, obwohl es für Tai und meinen Vater wahrscheinlich wieder eine größere Belastung bedeutet. Nur bei Tai bin ich mir nicht mehr so sicher. Als wir uns vor ein paar Tagen das letzte Mal trafen, verhielt er sich für mich unverständlich. Vielleicht ist er noch immer sauer, obwohl ich eigentlich keinen Grund dafür sehe. Dennoch ist die Atmosphäre angespannt, oder eher unterkühlt. Die Einkäufe für seine Mutter erledigten wir schweigend, danach blieb ich bis in die späten Abendstunden bei meinem Freund. Wir sprachen noch immer kaum miteinander. Ich war irritiert, als Tai unvermittelt fragte, ob ich mit ihm schlafen würde. Er übernahm den aktiven Part, doch seine Handlungen kamen mir abwesend und automatisiert vor. Der Sex fühlte sich merkwürdig fremd an, ich konnte Taichi nicht spüren, obwohl er in mir war. Danach lagen wir schweigend nebeneinander, ohne dass sich unsere Körper berührten. Irgendwann bin ich gegangen. Ich wollte Tai auf sein Verhalten ansprechen, mir kam jedoch kein einziges Wort über die Lippen. Allgemein, aber auch wegen der momentanen Situation, habe ich ein ungutes Gefühl, was das Zusammenziehen betrifft. Ich glaube, es wird uns endgültig kaputt machen. Und doch, oder gerade deshalb, gibt es für mich keinen anderen Weg mehr. Einen kurzen Moment schließe ich meine Augen. Ich öffne sie wieder, als es an der Tür klopft. „Tai…“, entweicht es meiner Kehle, als er hereinkommt und auf meinem Bett Platz nimmt. Ich bin überrascht ihn zu sehen, denn mit einem Besuch seinerseits hätte ich nicht gerechnet. Auffallend ist, dass mein Freund mich nicht ansieht. Eine Weile beobachte ich ihn, doch er sitzt nur bewegungslos, starr auf den Boden blickend, da. Ich stehe auf, gehe zum Fenster und zünde mir eine Zigarette an. Unverwandt schaue ich Tai an, während ich den Rauch inhaliere. „Warum bist du hergekommen?“, frage ich schließlich, doch mein Freund reagiert nicht. „Verdammt nochmal! Taichi, ich rede mit dir!“ Meine Stimme ist lauter und nachdrücklicher. Ich werfe die Zigarette aus dem Fenster und gehe auf Tai zu. Vor ihm bleibe ich stehen und setze mich auf den Boden, sodass er gezwungen ist, mich anzusehen. „Sag mir bitte, was los ist.“ „Haben wir jemals eine Chance gehabt oder war unsere Beziehung von Anfang an zum Scheitern verurteilt?“ Mein Freund spricht leise und ohne Emotionen. Bestürzung, Hilflosigkeit, Wut und Verzweiflung ergreifen Besitz von mir und lähmen mich für einen Augenblick. „Was soll das heißen? Gibst du uns auf? Warum?“ Die Gedanken in meinem Kopf rasen, doch ich bekomme keinen einzigen zu fassen. „Du denn nicht?“ Zum ersten Mal, seit er hier ist, habe ich das Gefühl, dass Tai mich wirklich ansieht. In seinen Augen lese ich Schmerz. Es ist also noch nicht zu spät. „Wie kommst du darauf?“ Ich hebe meine Hand und wische eine einzelne Träne von seiner Wange. „Ich werde uns nie aufgeben, aber das solltest du wissen. Und jetzt sag mir, was wirklich los ist.“ Tai dreht seinen Kopf zur Seite und weicht somit meinen Blicken aus. „Ich habe Angst“, gesteht er mir nach einem Moment des Schweigens. „Wovor?“ „Unserem Zusammenzug.“ Stille erfüllt den Raum, dann beginne ich laut zu lachen. An der Mimik meines Freundes erkenne ich, dass er meine Reaktion nicht versteht. „Du bist ein Dummkopf.“ Liebevoll ziehe ich ihn zu mir in eine Umarmung und flüstere in sein Ohr: „Ich auch. Und wir wissen beide, was das bedeutet. Wir wissen beide, dass wir aneinander zugrunde gehen werden. Aber nichts anderes will ich. Du kannst es nicht vorzeitig beenden!“ Resolut setze ich mich auf Tais Schoß und lege die Hände um seinen Hals. Sanft drücke ich zu. „Sag mir ins Gesicht, dass du mich verlassen willst“, säusele ich mit einem Lächeln. Ich verstärke den Druck massiv, sodass mein Freund zu husten beginnt. „Was ist los? Hat es dir die Sprache verschlagen? Du weißt, dass du jetzt sterben wirst, wenn du mich verlassen willst.“ Energisch drücke ich seinen Oberkörper nach hinten, sodass er auf der Matratze zum Liegen kommt. Ich bleibe auf seinen Oberschenkeln sitzen. Tais Augen sind geschlossen, seine Atmung ist unregelmäßig und schwerfällig. Diesmal bin ich entschlossen, bis zum Ende zu gehen. Ich werde Tai niemals freigeben. „Ich liebe dich, Taichi Yagami!“ Ohne von ihm abzulassen, beuge ich mich vor und küsse meinen Freund. Seine Erwiderung ist verhalten, allmählich scheint alle Kraft aus seinem Körper zu weichen. Als ich mich von seinen Lippen lösen will, spüre ich Tais Finger, die mein Handgelenk umklammern. Er öffnet die Augen und sieht mich eindringlich an. Ich lockere meinen Griff um seinen Hals, was einen erneuten Hustenanfall zur Folge hat. Sanft streiche ich ihm durch das Haar, um ihn zu beruhigen. „Ich werde dich nicht gehen lassen, egal, was du jetzt sagst.“ Mein Freund hebt seinen Arm und streicht mir liebevoll über die Wange. „Mein verletzlicher, kleiner Yamato. Immer wenn deine Angst übermächtig wird, verfällst du dem Wahnsinn. Es ist irgendwie süß, wie du dich dann deiner Verzweiflung hingibst und von ihr beherrscht wirst. Aber keine Sorge, ich werde dich nicht verlassen. Ich gebe zu, dass mir das Zusammenziehen mindestens genauso viel Angst macht wie dir, aber ebenso weiß ich, dass es nur diesen einen Weg für uns gibt.“ Ich muss lächeln, denn genau dieser Gedanke ging mir vorhin selbst durch den Kopf. „Ja, es gibt keinen anderen Weg. Weder für dich, noch für mich.“ Zitternd beuge ich mich hinab und berühre mit meiner Stirn die Schulter meines Freundes. „Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren. Du bist so ein Idiot!“, flüstere ich mit bebender Stimme. „Dabei dachte ich, du spieltest gern Spielchen.“ Tais Tonfall ist leicht sarkastisch. Ein bitteres Lachen entweicht meiner Kehle. „Ja“, bleibt meine einzige Antwort. Ich stehe mit einer Zigarette am Fenster und schaue hinaus. Der Himmel ist wolkenverhangen und die wenigen Blätter, die noch einsam an den kahlen Ästen hängen, wiegen sanft im Wind. Die Luft ist kalt geworden und es riecht nach Regen. Das rasche Voranschreiten der Zeit ängstigt mich. Bis zum Abschied von meinem Vater bleibt weniger als ein Monat. Dann sind Tai und ich weitestgehend auf uns allein gestellt. Nachdenklich nehme ich einen Zug von meiner Zigarette. Rein theoretisch müssten wir uns um finanzielle Aspekte nicht sorgen. Die Eltern meines Freundes kommen für seine Studienkosten auf und beteiligen sich an den Lebenshaltungskosten. Mein Vater bezahlt weiterhin Miete und Nebenkosten der Wohnung, das Schulgeld für mich sowie alle weiteren anfallenden Aufwendungen. Dennoch will ich versuchen neben der Schule zusätzlich etwas Geld zu verdienen, um keine allzu große Last zu sein. „Worüber denkst du nach?“, höre ich Tai in mein Ohr flüstern. Ich habe nicht bemerkt, dass er sein Konsolenspiel unterbrochen hat und hinter mich getreten ist. Mit seinen Armen umfängt er behutsam meine Taille, fast so, als hätte er Angst, mich zu zerbrechen. „Ich verzehre mich nach dir, aber du bist zu dünn. Deine Rippen sind viel zu deutlich fühlbar“, bemerkt Tai liebevoll, während er seine Hände unter mein Hemd schiebt und zärtlich über meinen Oberkörper streicht, jeden einzelnen Knochen des Brustkorbs nachzeichnend. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und somit leicht auf die Schulter meines Freundes. Dieser drängt seinen Körper dichter gegen meinen, mit seinen Fingern knöpft er langsam mein Hemd auf. Ich schließe die Augen. Unkonzentriert lasse ich die Zigarette aus meiner Hand gleiten, sodass sie aus dem Fenster in die Tiefe fällt. „Du bist wunderschön, Yamato.“ Ich spüre, dass Tai mittlerweile bei meiner Hose angelangt ist, sie öffnet und in meine Unterhose vordringen möchte. Sanft, aber bestimmt ergreife ich sein Handgelenk und bedeute ihm innezuhalten. „Was ist? Soll ich aufhören? Willst du nicht?“, fragt mein Freund leise, aber mit Verwunderung in der Stimme. „Doch, allerdings würde ich gern noch einen Moment mit dir so stehenbleiben. Bitte höre nicht auf mich zu berühren, halt mich fest, brenne dich tief in mich hinein, lass mich dich spüren.“ Tai streichelt verspielt über meine Kehle. „Möchtest du darüber reden?“ „Ich dachte einmal mehr über deinen Umzug zu mir nach. Nichts Schlimmes, nur ganz allgemein“, antworte ich wahrheitsgemäß. Mein Freund legt seine Finger um meinen Hals. Sein Atem kitzelt an meinem Ohr. Erregung steigt in mir auf und beschleunigt meine Atmung. Tais Hand wandert weiter zu meinem Nacken, diesen hinab, das Schulterblatt entlang, wieder nach oben zum Schulterknochen bis hin zum Schlüsselbein. Er schiebt mein Hemd etwas nach unten und verteilt Küsse auf Schulter und Hals, immer wieder unterbrochen von Liebkosungen mit seiner Zunge. „Hör auf zu denken und lass dich fallen“, nuschelt mein Freund und beißt spielerisch, aber nicht zaghaft in meine Haut. Ich ziehe die Luft leicht durch die Zähne ein. „Das ist nicht so einfach“, flüstere ich abwesend, denn das Verlangen lenkt meine Aufmerksamkeit ausschließlich auf Tais Berührungen. „Du hast recht. Aber wir wissen beide, dass es kein Zurück gibt.“ Sinnlich beißt er in mein Ohrläppchen. Ich atme geräuschvoll aus. „Hast du keine Angst mehr?“, frage ich schwerfällig. „Doch.“ Ich hebe meine Arme und strecke sie nach hinten aus. Mit den Fingern kralle ich mich in den Haaren meines Freundes fest. „Ich habe dich nie gefragt, was du gefühlt hast, als wir damals Sex hatten, nachdem wir für deine Mutter Besorgungen gemacht haben. Erinnerst du dich?“ Tai schlingt seine Arme fest um meinen Körper und legt seinen Kopf mit dem Kinn auf meine Schulter. Er scheint zu überlegen, denn seine Antwort kommt nicht sofort. „Hilflosigkeit, Angst, sowie Enttäuschung, Wut, Begierde und Liebe. Aber diese Empfindungen lähmten mich, sodass der Sex nahezu emotionslos war.“ Ich lasse meine Arme sinken und lege sie über die meines Freundes. „Ich konnte dich nicht spüren. Es war beinahe unerträglich“, hauche ich. Die Erinnerung an jenen Abend lässt mich frösteln. Mein Körper beginnt zu zittern. „Ist dir kalt?“, fragt Tai fürsorglich. „Nein. Ich fühle Schmerz. Es ist also alles gut.“ Ich schmiege mich mit dem Rücken stärker gegen seinen Brustkorb. „Bedeutet dir Schmerz so viel?“ Der Tonfall meines Freundes ist schwermütig. „Ja. Ich brauche ihn, um leben zu können. Letztlich ist Schmerz das Einzige, worum es geht.“ „Auch in unserer Beziehung?“ „Ja.“ Tai schweigt. Eine Weile stehen wir reglos in meinem Zimmer am Fenster. Mein Freund hält mich von hinten eng umschlungen. Draußen beginnt es zu dämmern und die Luft hat sich weiter abgekühlt. Ich zünde mir eine Zigarette an und inhaliere den Rauch. „Bleibst du heute über Nacht? Morgen ist Sonntag und somit schulfrei. Bitte, lass mich nicht allein“, durchbreche ich die Stille und ziehe ein weiteres Mal an der Zigarette. „Ich rufe kurz meine Eltern an und gebe ihnen Bescheid.“ Mein Freund löst sich von mir und verlässt den Raum. Ohne seine Körperwärme bin ich schutzlos und werde sofort von Kälte erfasst. Bebend schließe ich die Augen und rauche ganz bewusst, genieße das drückende Gefühl in den Lungen sowie den bitteren Geschmack auf der Zunge. Ich höre, dass Tai zurückkommt, die Tür hinter sich schließt und wortlos sein Konsolenspiel fortsetzt. Mit beschleunigtem Tempo laufe ich die Treppen des Gebäudes hinunter. Eigentlich war ich mit Tai am Schultor verabredet, aber mein Klassenlehrer bestand auf eine Unterredung bezüglich meiner Fehlzeiten. Er wies mich nachdrücklich darauf hin, dass ich erneut meine Versetzung gefährde, wenn ich weiterhin so unregelmäßig zum Unterricht erscheine wie bisher in diesem Schuljahr. Tatsächlich blieb ich in letzter Zeit häufiger zu Hause, meist wenn ich die Dosis der Schlaftabletten zu hoch angesetzt hatte, sodass ich morgens nicht aufwachte oder zu benommen war, um zur Schule zu gehen, geschweige denn dem Unterricht zu folgen. Ich werde mich zusammenreißen müssen, wenn ich meinen Vater nicht schon wieder enttäuschen möchte. Ein Abbruch ist jedenfalls keine Option. Ich betrete den Schulhof und ziehe die Jacke enger um meinen Körper. Langsam hält der Winter Einzug. Kalt bläst der Wind in mein Gesicht und lässt mich leicht frösteln. Ich vermute, dass Tai inzwischen gegangen ist, denn ich kann ihn nirgends entdecken. Zielstrebig lenke ich meine Schritte in Richtung Ausgang, als mich jemand am Arm packt und zurückhält. Ich drehe mich um. Es überrascht mich nicht, in das Gesicht meines Klassenkameraden zu blicken. Ein Lächeln umspielt seine Lippen. „Komm mit“, fordert er mich auf. Ohne eine Antwort abzuwarten, zieht er mich hinter sich her. Ich leiste keinen Widerstand. „Täusche ich mich? Sagte ich dir nicht, dass ich keinen Sex mehr mit dir haben werde?“, werfe ich ein. „Sei nicht so überheblich. Ich will nicht mit dir schlafen.“ Für mich war es von Anfang an bemerkenswert, wie mein Mitschüler es jedes Mal aufs Neue schafft, mich neugierig zu machen. Wir steigen die Treppe zu den Kellerräumen hinab, in denen die verschiedensten Klubaktivitäten stattfinden. Auch der Proberaum der Teen-Age Wolves befindet sich hier. Vermutlich hat sich mein Klassenkamerad im Vorfeld erkundigt, welche Örtlichkeiten momentan nicht genutzt werden, damit wir ungestört sind. Als wir schließlich einen relativ abgelegenen Raum betreten, bin ich etwas verblüfft auf eine weitere Person zu treffen. Es handelt sich um denselben Menschen, der mich damals vor den Umkleiden festgehalten hat. Mein Mitschüler schließt hinter uns die Tür. „Und jetzt?“, frage ich gespannt. „Zieh deine Jacke aus“, weist er mich an. Ich stelle meine Schultasche auf den Boden und komme der Aufforderung nach. Der andere Schüler, welcher ebenfalls in meine Klasse geht, nähert sich mir von hinten, dreht meine Arme geschickt auf meinen Rücken und hält sie in dieser Position fest. „Wozu brauchst du dein Schoßhündchen hier?“ Meine Bemerkung hat einen schmerzhaften Druck auf meine Arme zur Folge. „Ich versprach dir, du wirst den Angriff deines Freundes bereuen“, offenbart mir mein Klassenkamerad, während er ein paar Schritte auf mich zu macht. Aus seiner Hosentasche zieht er ein Springmesser, welches er unvermittelt an meine Kehle hält. Mit der freien Hand umfasst er meine Hüfte und zieht meinen Körper näher zu sich heran. „Diesmal werde ich dir Schmerzen bereiten, die selbst dich nicht mehr geil machen“, flüstert er mir verheißungsvoll in mein Ohr. Ich begegne dieser Aussage mit einem Lächeln. „Halt ihn ordentlich fest, du kannst ihm auch wehtun. Und wenn er schreit, bring ihn zum Schweigen“, gibt er seinem Freund Anweisungen. Dann lässt er die Hand über meinen Oberkörper gleiten, zugleich verstärkt er den Druck auf das Messer an meinem Hals. Klopfenden Herzens spüre ich, dass die Klinge ziemlich scharf ist und somit schöne Wunden zufügen kann. Ich wehre mich nicht, sondern ergebe mich ihm in gespannter Erwartung. Mit seiner linken Hand beginnt er die Knopfleiste meines Hemdes zu öffnen. Als er mit den Fingern über meine Haut gleitet, hält er plötzlich inne. Er schiebt den Stoff etwas beiseite und mustert interessiert die Narben. „Lass ihn kurz los“, richtet er sich an seinen Freund, ohne den Blick von mir abzuwenden. Ich schüttele meine Arme leicht aus, um wieder etwas Gefühl darin zu erlangen. „Zieh das Hemd ganz aus.“ Mein Mitschüler zieht die Schneide ein Stück über meine Haut. Ein leichtes Ziehen bedeutet mir, dass die oberste Hautschicht zerteilt wurde. Ich lasse mein Hemd zu Boden fallen. Beinahe liebevoll zeichnet mein Klassenkamerad einige der Vernarbungen nach, hebt dann mein Handgelenk etwas an und betrachtet besonders aufmerksam die Spuren meines Selbstmordversuches. Er nickt seinem Freund zu, woraufhin dieser meine Arme erneut auf den Rücken dreht, um mich besser kontrollieren zu können. „Du scheinst wirklich auf Schmerz zu stehen. Jetzt weiß ich auch, warum du selbst im Sommer die Winteruniform trägst.“ Mein Mitschüler lässt das Messer sinken und leckt über die Stelle, die dessen Klinge durchtrennt hat. So wie es sich anfühlt, nehme ich an, dass die Verletzung harmlos ist und kaum blutet. „Willst du sterben, Yamato?“, fragt er mit ruhiger Stimme. „Willst du mich töten?“, entgegne ich lächelnd. „Nein. Damit würde ich dir wahrscheinlich einen Gefallen tun, hab ich recht?“ Ich schweige. „Wie tief muss ich wohl schneiden, um das Lächeln aus deinem Gesicht zu verbannen?“ Mein Klassenkamerad setzt die Klinge auf meine Brust und zieht sie langsam, mit mäßigem Druck über die Haut. Sofort rinnt Blut aus der Wunde. Mein Gegenüber wiederholt die Prozedur, mit jedem Schnitt wird er mutiger und fügt mir tiefere Wunden zu. Schmerz durchflutet meinen Körper und droht mich zu überwältigen. Ich bekomme das Zittern nicht unter Kontrolle, wodurch der Schüler, der mich festhält, brutaler wird und ich meine Arme kaum noch spüre. „Wo ist deine Arroganz, dein selbstgefälliges Lächeln? Kannst du etwa doch noch Schmerzen empfinden, Yamato?“ Mit zusammengekniffenen Augen und einem verzerrten Lächeln schaue ich meinen Klassenkameraden an. „Lass die Zärtlichkeiten“, stachele ich ihn weiter an und bekomme es sofort mit einem Faustschlag in den Magen quittiert. Ich krümme mich zusammen, werde aber von dem Anderen zurück in eine aufrechte Position gerissen. Mein Mitschüler scheint jetzt seine gesamte Wut an mir auszulassen. Vereinzelte Schreie entweichen meiner Kehle, werden aber sofort erstickt, als mir sein Handlanger den Mund zuhält. Meine Beine knicken weg und ich werde unsanft zu Boden fallen gelassen. Tritte in den Rücken und den Bauch treiben mich an den Rand zur Bewusstlosigkeit. „Brutal genug?“, fragt mein Klassenkamerad, als er sich neben mich hockt und mir liebevoll durch das Haar streicht. „Ich denke, es reicht für heute. Was meinst du, Yamato?“ Ich möchte antworten, aber die Schmerzen, die mich mittlerweile komplett beherrschen, nehmen mir die Luft zum Atmen. „Du bist eine traurige Existenz“, flüstert mir mein Mitschüler ins Ohr. Dann hebt er mit seinen Fingern mein Kinn etwas an und küsst mich. Ich lasse es geschehen. „Aber du faszinierst mich, wie mich noch nie etwas oder jemand fasziniert hat. Du übst eine eigenartige Anziehung auf mich aus.“ Sanft streicht er mir über die Wange. „Ich hab dein Gesicht verschont. Es ist wirklich ungewöhnlich schön für einen Mann, so fein geschnitten.“ Ich reagiere nicht. Mein Klassenkamerad erhebt sich, die beiden nehmen ihre Sachen und gehen zur Tür. „In diesen Raum kommt heute niemand mehr. Du kannst dir also Zeit lassen. Wir sehen uns dann morgen.“ Ich höre, wie die Tür ins Schloss fällt. Langsam versuche ich mich zu bewegen, zucke jedoch unwillkürlich zusammen. Irgendwie schafft es mein Mitschüler immer wieder, mich an meine Schmerzgrenzen zu bringen. Wie erbärmlich. Ich lache laut auf, während Tränen über meine Wangen laufen. Kapitel 10: ------------ Mit gesenktem Kopf stehe ich gegen die Zimmertür meines Freundes gelehnt. „Lass es uns beenden“, sage ich leise, ohne aufzusehen. „Was meinst du?“, fragt Tai, als wisse er nicht, worum es geht. „Unsere Beziehung.“ „Warum?“ Mein Freund klingt unbeeindruckt. Ich schweige. „Yamato, ich habe dich etwas gefragt.“ „Es ist besser so.“ „Für wen? Dich oder mich?“ „Dich.“ „Dann ist die Unterhaltung hiermit beendet. Vergiss deine idiotische Idee.“ „Es ist nicht nur eine Idee. Ich meine es ernst.“ Tai steht auf und kommt auf mich zu. Er greift neben mich, dreht den Schlüssel im Schloss und lässt ihn anschließend in seiner Hosentasche verschwinden. Sein Körper ist dicht an meinen gedrängt, sodass ich seinen vertrauten Duft wahrnehme. „So, und jetzt wiederhole deine Aussage“, raunt er auffordernd in mein Ohr. „Ich gebe uns auf.“ Schmerzhaft spüre ich das Knie meines Freundes in meinem Bauch. Er scheint seine Kraft wenig zurückzuhalten. Auch presst er mich stark gegen das Holz der Tür, um zu verhindern, dass ich zusammenbreche. „Das war die falsche Antwort.“ Tai lächelt. „Für dich ist Gewalt immer eine Lösung, oder?“, bringe ich stockend hervor. „Ganz so, wie du es magst.“ „Ich werde mich nicht umstimmen lassen. Egal was du machst.“ „Wirklich?“ Diesmal schlägt er mir mit der Faust ins Gesicht. Vorsichtig betaste ich es. Blut läuft aus meiner Nase, meine Lippe ist aufgeplatzt und fühlt sich geschwollen an. „Ist es das, was du willst?“ Ich halte meinem Freund meine blutverschmierten Finger entgegen. „Nein. Ich will dich.“ „Dann solltest du dich umorientieren.“ Ein erneuter Schlag trifft meine Wange. „Wieder falsche Antwort.“ Ich schaue Tai trotzig an. „Mach weiter, bis ich aufhöre zu atmen. Denn eine für dich richtige Antwort werde ich dir nicht geben können.“ Mein Freund zieht mich in eine grobe, aber sehr leidenschaftliche Umarmung. Seine Hände scheinen meinen gesamten Körper ohne Ausnahme zu berühren. Fordernd drückt er seine Lippen auf meine und zwingt mir einen innigen Zungenkuss auf. Ich spüre in Tais Verzweiflung Zärtlichkeiten, die an krankhafte Besessenheit erinnern. „Ich liebe dich“, flüstere ich erregt. „Warum willst du mich dann verlassen?“, fragt er, mein Hemd aufknöpfend. „Nicht will, muss.“ Ich lehne meinen Kopf nach hinten gegen die Tür und schließe die Augen, als mein Freund sich vor mich kniet, um mir einen zu blasen. Schwer atmend kralle ich meine Finger in seine Haare, dann beiße ich mir auf die Lippe, um ein Stöhnen zu unterdrücken. „Wehr dich nicht, Yamato. Lass deine Empfindungen zu. Ich bin mir sicher, dass auch du Lust verspüren kannst.“ „Taichi… ich…“ Plötzlich fühle ich einen stechenden Schmerz in meinem Oberkörper, welcher mich augenblicklich überwältigt. Er nimmt mir die Luft zum Atmen. Stöhnend breche ich zusammen und winde mich qualvoll am Boden. Tai nimmt neben mir Platz und beobachtet mich. Aus seiner Mimik ist jegliche Emotion verschwunden. Seine Augen sind kalt. „Taichi…“ Ich öffne meine Augen. Tränen laufen über meine Wangen und mein Herzschlag ist beschleunigt. Einen Moment fehlt mir jegliche Orientierung. Ich liege in meinem Bett. Außer mir ist niemand im Zimmer. Ein Traum. Tief atme ich ein, dann versuche ich aufzustehen. Enorme Schmerzen im kompletten Oberkörper erschweren es mir allerdings deutlich. Mit viel Anstrengung gelingt es mir schließlich. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir das Werk meines Klassenkameraden in seiner Gesamtheit. Die zahlreichen Schnitte, von denen einige recht tief aussehen, sind inzwischen blutverkrustet. Ich hatte sie gestern, als ich nach Hause kam, nur noch notdürftig versorgt, da ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Mittlerweile zeichnen sich zudem großflächige bläulich-violette Hämatome auf meinem Rücken, an den Seiten und am Bauch sowie im Bereich des Brustkorbes ab. Eines muss ich meinem Mitschüler lassen, wenn er etwas macht, dann macht er es richtig. Ich genieße den Schmerz, einziger Negativpunkt ist die Tatsache, dass ich in nächster Zeit auf Sex mit Tai verzichten muss. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich mich eigentlich gleich auf den Weg zur Schule machen müsste. Aufgrund meiner körperlichen Verfassung würde ich normalerweise zu Hause bleiben, aber mir klingt noch das Gespräch mit dem Klassenlehrer im Ohr. Ich schlucke zehn Schmerztabletten, verstaue aber zusätzlich eine Packung in meiner Schultasche, da ich sicher bin, dass diese paar Tabletten nicht viel bewirken werden. Ich sehe noch einmal in den Spiegel. Pünktlich werde ich es nicht mehr zum Unterricht schaffen. Ich muss duschen, um das restliche Blut abzuwaschen und danach steht noch eine ordentliche Wundversorgung an. Seufzend suche ich meine Kleidung zusammen und verlasse das Zimmer sehr bedachten Schrittes in Richtung Bad. Bruchstücke des Traumes kommen mir noch einmal für einen kaum greifbaren Augenblick in den Sinn und hinterlassen ein merkwürdig unsicheres Gefühl. Unter Schmerzen, aber dennoch aufrecht gehend, betrete ich das Klassenzimmer. Der Schulweg war anstrengender als erwartet, obwohl ich langsam gelaufen bin und auf jede Bewegung geachtet habe. „Ich hätte nicht gedacht, dass du heute zur Schule kommst, wenn auch erst zur Mittagspause“, spricht mein Klassenkamerad mich an, als ich gerade umständlich versuche mich auf meinen Stuhl zu setzen. „Warum sollte ich dem Unterricht fernbleiben?“ „Weil du gar nicht gut aussiehst. Du bist sehr blass und wirkst, als hättest du starke Schmerzen.“ Er lächelt vielsagend. „Bist du etwa besorgt um mich?“ „Natürlich. Ich möchte doch nicht, dass mein Spielzeug kaputt geht, bevor ich seiner überdrüssig geworden bin.“ Meine Lippen formen sich zu einem Grinsen. „Darf ich euch kurz bei eurem heißen Flirt unterbrechen?“ Ich erkenne die Stimme meines Freundes. Fragend sehe ich ihn an. „Seit wann…“ „Kommst du bitte mal?“ Er deutet zur Tür und geht dann voraus. Schweigend folge ich ihm. Unsere Schritte führen uns direkt zum Proberaum der Teen-Age Wolves. Tai weiß, dass zu dieser Zeit niemand hier auftauchen wird. Er schließt hinter uns die Tür und kommt zielgerichtet auf mich zu. Unvermittelt beginnt er mein Hemd aufzuknöpfen. „War er das?“, fragt mein Freund, auf die Hämatome und Schnittwunden deutend, obwohl er die Antwort kennt. Ich schaue ihn ausdruckslos an. „Hast du dich wenigstens gewehrt?“ „Nein. Ich wollte es.“ „Dann hat er dich nicht vergewaltigt, sondern du hast dich einmal mehr freiwillig ficken lassen.“ „Weder noch. Wir hatten keinen Sex.“ „Und das soll ich dir glauben? Du bist eben doch nichts weiter als ein kleiner, dreckiger Stricher, dem es egal ist, wessen Schwanz es ihm besorgt.“ „Prüfe es nach“, fordere ich Tai unbewegt auf. „Vielleicht klebt ja noch sein Sperma in mir, falls wir es getrieben haben.“ Brutal drückt mein Freund mich vorwärts gegen die Wand, öffnet meine Hose und zieht sie hinunter. Kraftvoll und rücksichtslos dringt er Stoß für Stoß tiefer in mich ein. Die Schmerzen durch die Hämatome und Schnittwunden auf meinem Oberkörper werden vom Schmerz in meiner Lendengegend überdeckt. Mein Stöhnen ist eine Mischung aus Pein und Erregung. „Glaubst du wirklich, dieser widerliche Parasit kann dir etwas geben, das du von mir nicht bekommen kannst?“ Ich möchte antworten, doch über meine Lippen kommen nur vereinzelte Schreie, die ich nicht zu unterdrücken in der Lage bin. So extrem gewaltsam hat Tai mich noch nie genommen, aber auch ihm scheinen die schnellen, heftigen Stöße Schmerzen zu bereiten, welche er allerdings offenbar in Kauf nimmt. Vielleicht legt er es sogar darauf an. Mit seinem Arm an meinem Rücken presst er mich noch stärker gegen die Wand. „Auch ich kann dich so brutal ficken, dass du innere Verletzungen davon trägst. Und wenn du darauf stehst, kann ich dir auch einen Stock in den Arsch schieben. Ich muss dich nicht hassen, um dir wehtun zu können.“ Die Stimme meines Freundes klingt besessen. „Wie fühlt es sich an, Yamato? Noch immer nicht intensiv genug? Keine Angst, ich werde nicht aufhören, bis du mich darum anbettelst.“ Er stößt anhaltend kraftvoll zu. Tränen des Schmerzes füllen meine Augen. Ich fühle eine warme Flüssigkeit die Innenseite meines Oberschenkels hinab laufen. Qualvolles Wimmern sind die einzigen Laute, die ich noch von mir gebe. Meine Wahrnehmung und Empfindungen sind irreal und überdeutlich. Ich bin kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. „Du kannst mir nicht durch eine Ohnmacht entkommen“, sagt mein Freund kalt und schlägt meinen Kopf stark gegen die Wand, um mich in der Realität zu behalten. Würde ich ihm momentan in die Augen blicken, könnte ich Tai nicht erkennen. Er scheint sich gerade in einer Dissoziation zu befinden, die ihn ziemlich gefährlich und skrupellos werden lässt. „Spürst du mich tief in dir? Du musst ziemliche Schmerzen haben. Dein Körper hält nicht mehr lange durch. Warum sagst du nichts? Soll ich aufhören, Yamato?“ Die Atmung meines Freundes ist schwerfällig und die Worte kommen nur stockend über seine Lippen. Aber er hat recht. Der Schmerz ist allgegenwärtig und füllt mich vollkommen aus. Ich kann nicht mehr denken und mein Körper droht tatsächlich jeden Moment zusammenzubrechen. Tai zieht sich aus mir zurück, sofort rutsche ich, die Wand entlang nach unten, auf die Knie. Ohne Rücksicht auf bereits vorhandene Verletzungen drückt mein Freund meinen Kopf und den Oberkörper fest auf den Boden. Erbarmungslos dringt er erneut in mich ein. Seine Stöße haben an Intensität nichts verloren, zum Teil habe ich sogar das Gefühl, dass er noch tiefer in mich eindringt. Tränen laufen mir heiß über die Wangen. Ich merke, dass sich meine Knie langsam aufschürfen, ebenso wie die Unterarme und Ellenbogen. Mein Blick fällt auf meinen Oberschenkel. Die Flüssigkeit, welche die Haut entlangläuft, scheint eine Mischung aus Blut und Sperma zu sein. Ich beginne zu zittern. Tais rhythmische Bewegungen fühlen sich inzwischen wie Messerstiche an, die gnadenlos immer wieder meinen Körper durchdringen. Allmählich habe ich das Gefühl, den Verstand zu verlieren. „Taichi…“, flüstere ich kaum hörbar. „Ich kann nicht mehr.“ „Du hast genug?“ Anstatt von mir abzulassen, werden seine Stöße wesentlich brutaler. Ich kann meine Schreie nicht mehr unterdrücken. Sofort hält mein Freund mir den Mund zu. „Du willst doch nicht, dass jemand auf uns aufmerksam wird und uns stört.“ Ich versuche mich halbherzig zur Wehr zu setzen, weiß aber, dass ich zu geschwächt bin, um gegen Tai eine Chance zu haben. Zudem schreckt er momentan vor nichts zurück, er würde mich lebensgefährlich verletzen oder auch töten, dessen bin ich mir sicher. Ich überlege diesen Zustand auszunutzen und ihn zu provozieren, entscheide mich jedoch dagegen. „Töte mich“, bitte ich meinen Freund ganz direkt. „Nein“, entgegnet er ohne jede Emotion. Er stößt kraftvoll zu, sodass erneut ein Schrei meiner Kehle entweicht. „Verdammt nochmal! Töte mich, bitte!“ Verzweiflung steigt in mir auf. Tais Penetration wird fast unerträglich schmerzhaft, dann lässt er von mir ab, dreht mich auf den Rücken und schlägt mir mit der Faust derb ins Gesicht. Ich bleibe reglos auf dem Boden liegen, mein Atem geht schnell und schwerfällig. „Hast du jetzt endlich begriffen, dass du nur mir gehörst?“ Mein Freund streicht mir liebevoll durch das verschwitze Haar, dann über die Wange, welche sich leicht geschwollen anfühlt, den Hals hinab und weiter über den Brustkorb, wobei ich unwillkürlich zusammenzucke. „Taichi…“ „Selbst geschändet bist du noch wunderschön.“ Er gleitet mit seinen Fingern weiter nach unten. „Scheiße“, entweicht es ihm, nachdem er meinen Unterleib genauer inspiziert hat. „Ich scheine dich innerlich ziemlich verletzt zu haben.“ „Du wirst doch jetzt keine Gewissensbisse bekommen.“ Ich strecke meine Arme nach ihm aus. „Hast du Schmerzen?“ Sanft drückt er mich an sich und gibt mir anschließend einen Kuss. „Ja. Ich fürchte auch, du musst mich dann nach Hause bringen. Ich schaffe es nicht allein.“ „Letztlich hast du dir das aber selbst zuzuschreiben.“ „Ich weiß.“ Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Es tat verdammt weh, aber ich konnte dich so tief in mir spüren wie noch nie zuvor. Ich liebe dich, Taichi, und dieser Schmerz ist viel stärker als jeder körperliche.“ „Dann lass die Finger von anderen Typen. Versprich es mir.“ „Du weißt genauso gut wie ich, dass ich das nicht kann.“ „Ich bringe dich jetzt nach Hause. Kannst du aufstehen?“ „Nein. Ich kann mich kaum bewegen. Laufen werde ich nicht können.“ „Vielleicht sollten wir auch noch etwas warten. Die Blutung hat noch nicht aufgehört.“ Ich lege meinen Kopf auf Tais Schoß und schließe die Augen. Der wohlbekannte Duft meines Freundes umhüllt mich und gibt mir ein Gefühl von Geborgenheit. Ohne es zu merken schlafe ich erschöpft ein und entfliehe so kurzfristig der grausamen Realität, die uns früher oder später einholen wird. Behutsam setzt Tai mich auf meinem Bett ab. Außer Atem und verschwitzt lächelt er mich an. Ich streiche eine Strähne aus seinem Gesicht. „Es wäre nicht nötig gewesen, mich den ganzen Weg nach Hause zu tragen.“ Mir auf die Lippe beißend lege ich mich hin, da das Sitzen zusätzliche Schmerzen verursacht. „Hättest du denn laufen können?“ „Vermutlich nicht“, gebe ich beschämt zu und senke meinen Blick. „Yamato? Sei bitte ehrlich. War deine körperliche Verfassung nach dem Sex bisher schon einmal so schlimm?“ „Nein“, antworte ich zögernd, aber ehrlich. „So hart hast du mich noch nie rangenommen. Selbst der Holzstiel damals tat weniger weh, obwohl ich die Tage danach ebenfalls kaum laufen konnte.“ Ich muss lachen. „Dann habe ich erreicht, was ich wollte. Ich werde in Zukunft jeden Schmerz, den ein Anderer dir zufügt, vielfach vergelten und somit überdecken.“ „Ist das ein Versprechen?“, grinse ich. „Mir scheint, du hast noch immer nicht begriffen.“ Die Miene meines Freundes ist ausdruckslos. Lieblos dreht er mich auf den Bauch und drückt meinen Kopf derb auf das Laken. Anhand des Bebens der Matratze spüre ich, dass Tai mit etwas herumhantiert. Meine Annahme wird bestätigt, als er mich mit seiner Krawatte an das Bettgestell fesselt. Der Stoff ist so fest um meine Handgelenke gebunden, dass die Blutzufuhr beeinträchtigt wird und jegliches Gefühl aus meinen Fingerspitzen weicht. „Taichi, was hast du vor?“, wage ich die Frage zu stellen, obwohl die Antwort offensichtlich ist. Mein Freund hebt mein Becken an und zieht meine Hose samt Shorts ein Stück herunter. Anschließend öffnet er seine eigene Hose. „Nein, Tai! Bitte…“ Mein Tonfall ist flehend, doch die Stimme versagt mir. Nur ein lauter, qualvoller Schrei entweicht noch meiner Kehle, als Tai ohne Rücksicht kraftvoll in mich eindringt. Tränen laufen unablässig über meine Wangen. Ich ziehe an meinen Fesseln, schaffe es jedoch nicht, sie zu lockern, geschweige denn zu lösen. „Wo ist dein Grinsen, mein Liebling?“, keucht mein Freund und krallt seine Finger in meine Haare. „Warum muss ich dich erst vergewaltigen, damit du begreifst?“ Er zieht meinen Kopf etwas zur Seite und betrachtet mein tränennasses Gesicht. Ich kneife meine Augen zusammen, vor Schmerz, da seine Stöße nicht an Brutalität verlieren, und um ihn in meinem Augenwinkel nicht sehen zu müssen. „Du vergewaltigst mich nicht“, presse ich gequält hervor. „Ich will dich immer in mir spüren. Es tut gerade bloß verflucht weh. Nicht nur körperlich.“ „Da du auf Schmerzen stehst und für dich sowieso jedes Gefühl Schmerz ist, macht dir diese Art von Sex wahrscheinlich nicht viel aus. Oder habe ich dich falsch verstanden?“ „Nein, aber…“ Erneut kann ich einen Schrei nicht unterdrücken, als Tai noch tiefer in mich eindringt. Ich drücke mein Gesicht auf das Laken, um die Lautstärke der deutlich zunehmenden Schreie zu dämpfen, doch mein Freund zieht meinen Kopf zurück. „Schrei ruhig. Niemand ist hier und ich möchte deine schmerzverzerrte Stimme hören.“ Außer einem heftigen Schluchzen schaffe ich es nicht, etwas zu erwidern. „Yamato, warum sagst du nicht einfach, ich soll aufhören? Bist du dafür zu stolz? Bedeutet dir Schmerz wirklich so viel? Deine Qualen müssen extrem sein, denn du blutest wieder sehr stark. Wenn wir Pech haben, sind deine inneren Verletzungen schwerwiegender. Legst du es darauf an?“ Trotz seiner Worte hört Tai nicht auf, mich auf brutale Art und Weise zu penetrieren. Ich gebe mich meinem Freund und dem Schmerz bereitwillig hin. „Verdammt nochmal, Yamato! Jetzt sag endlich etwas! Oder willst du draufgehen? Das ist kein Spiel mehr!“ Seine Stimme zittert, er scheint zu weinen. „Du bist kurz davor das Bewusstsein zu verlieren, hab ich recht? Bitte mich darum, aufzuhören.“ Ich spüre die Verzweiflung meines Freundes in der Intensität seiner Stöße und werde fast wahnsinnig vor Schmerzen. „Hör bitte auf, Taichi!“, kommen die Worte gequält und kaum hörbar über meine Lippen. Sofort zieht Tai sich aus mir zurück und löst meine Fesseln. Leblos sinke ich auf die Matratze. Unablässig tropfen meine Tränen auf das Laken. Mein Freund umfängt mich sanft von hinten mit seinen Armen und haucht einen Kuss auf mein Ohr. Dann flüstert er: „Wir sollten einen Arzt rufen. Deine Verletzungen scheinen doch heftiger zu sein. Warum hast du so lange gewartet? Warum hast du mich nicht eher gestoppt?“ Ich fühle die Feuchtigkeit von Tais Tränen auf meiner Haut. „Ich wollte dich so intensiv wie nur möglich in mir spüren. Ich wollte nichts mehr wahrnehmen, außer dir. Ich liebe dich, Taichi! Ich liebe dich so sehr, dass ich den Verstand verliere. Ich will dich besitzen und von dir besessen werden. Ich liebe es, von dir mit Gewalt genommen zu werden, wenn du deine Besitzansprüche geltend machst und mich an dich binden willst.“ „Heißt das, du machst mit Anderen rum, um mich eifersüchtig zu machen, damit ich dich hart ficke?“ „Das ist ein Grund, ja.“ Mein Freund seufzt. „Du bist unbelehrbar. Egal wie brutal ich dich vergewaltige…“ „Nein. Ich sagte doch, du vergewaltigst mich nicht. Ich will dich. Immer.“ Von einem heftigen Schmerz erfasst, verziehe ich das Gesicht. „Du scheinst recht zu haben. Es tut höllisch weh. Vermutlich sind die Verletzungen doch schlimmer.“ „Ich rufe einen Arzt.“ Tai will gerade aufstehen, um zum Telefon zu gehen, als ich ihn am Arm zurückhalte. „Nein, warte“, bitte ich ihn. „Yamato, du blutest noch immer. Sieh dir das Laken an. Wir reden hier nicht mehr von ein paar kleinen Blutflecken. Das ist kein normaler Blutverlust, wie er bei zu hartem Sex vorkommen kann. Ich gehe das Risiko, dass es sich um etwas Schwerwiegendes handeln könnte, nicht ein.“ „Wir müssen das Risiko aber eingehen. Überleg doch einmal, die großflächigen Hämatome sowie die vielen Schnittwunden auf meinem Oberkörper und dann die Verletzungen im Analbereich. Was glaubst du wohl, was der Arzt denkt? Bei Verdacht auf Vergewaltigung wird er die Polizei einschalten. Er wird mir nicht glauben, dass ich das alles selbst wollte. Und falls doch, wäre mir eine erneute Einweisung ziemlich sicher, vor allem, da der Arzt meine Vorgeschichte kennt. Gib mir ein paar Tage Zeit, wenn bis dahin keine Besserung eingetreten ist, werde ich mich untersuchen lassen.“ Ich sehe meinem Freund an, dass er nicht einverstanden ist. Er sagt aber nichts und küsst mich stattdessen auf die Stirn. „Taichi?“, frage ich nach einer kurzen Pause. „Bereust du, es auf diese Weise mit mir getan zu haben?“ „Nein“, antwortet Tai ohne nachzudenken. „Ich werde es jederzeit wieder tun, wenn es notwendig ist. Du weißt selbst, dass das zwischen uns kein Spiel mehr ist. Und wenn du nur im Tod mir allein gehören kannst, dann werde ich dich ohne zu zögern töten.“ „Ich bin wieder da“, ruft Tai vom Flur aus. Eilig kommen seine Schritte näher, abgehetzt betritt er mein Zimmer. Halbnackt, verletzt und relativ hilflos muss ich ein ziemlich erbärmliches Bild abgeben. Es ist mir unangenehm, von meinem Freund in dieser Verfassung gesehen zu werden, sodass ich seinem Blick ausweiche. Er setzt sich zu mir auf das Bett. „Ich habe die Salbe bekommen. Möchtest du es lieber selbst machen oder soll ich sie dir auftragen?“ „Würdest du das bitte übernehmen? Für mich wäre es etwas schwierig.“ Tai nickt und zieht meine Hose behutsam ein Stück weiter nach unten. Anschließend dreht er den Schraubverschluss von der Tube und verteilt etwas von der Salbe auf seinem Zeige- und Mittelfinger. Seine andere Hand legt er auf meine, drückt sie kurz und verhakt unsere Finger. Liebevoll gibt er mir einen Kuss auf die Stirn. „Meine Finger sind kalt, also erschrecke dich nicht.“ Ganz vorsichtig dringt er in mich ein, trotzdem kann ich einen leisen Schrei nicht unterdrücken. Ich verkrampfe meine Hand in der meines Freundes. Geschickt verteilt dieser die Salbe, sodass sich der Schmerz allmählich mit Erregung mischt. Tai entfernt seine Finger aus mir, um weitere Salbe aufzutragen. Diese Prozedur wiederholt er einige Male, zunehmend verstärkt sich meine Erregung und meine Laute des Schmerzes wandeln sich in Stöhnen. „Bist du erregt, Yamato? Du hast einen Ständer“, stellt mein Freund ungläubig fest. Ich fühle, wie die Röte in mein Gesicht steigt, lasse seine Hand los und vergrabe meinen Kopf beschämt unter dem Kissen. „Du bekommst wohl nie genug.“ „Nicht von dir“, murmele ich in das Bettlaken. „Dabei dachte ich, ich hätte dich diesmal an deine Grenzen gebracht.“ Er gleitet mit seinen Fingern tiefer in mich hinein. „Ich weiß nicht, ob ich weit genug vordringen kann und ich weiß auch nicht, wo genau die Verletzungen sind. Vielleicht sollten wir doch besser einen Arzt aufsuchen.“ „Es gäbe noch eine andere Möglichkeit. Salbe nicht deine Finger ein…“ Ich luge unter meinem Kissen hervor und blicke Tai vielsagend an. „Das ist nicht dein Ernst, Yamato. Ich werde dich jetzt nicht noch einmal ficken. Das würde es allenfalls schlimmer machen.“ Er zieht sich aus mir zurück, wischt sich die Finger am Laken ab und legt die Salbe beiseite. Dann dreht er mich auf den Rücken, wobei ich das Gesicht aufgrund der Bewegung vor Schmerz verziehe. Langsam knöpft er mein Hemd auf und fährt mit seinen Händen über die Haut meines Oberkörpers, die frischen Wunden, die mir mein Klassenkamerad zugefügt hat, nachzeichnend. „Ich bringe ihn um. Dieses Arschloch hat sich auf deinem Körper verewigt. Die Schnitte sind sogar so tief, dass die Narben später nicht unauffällig sein werden.“ „In meiner Jackentasche sind Rasierklingen. Überdecke die Wunden und mache sie so zu deinen eigenen Stigmata, wenn du willst. Zeichne sie nach, schneide tiefer.“ Mein Freund schaut mich nachdenklich an. Ich kann mir denken, was in seinem Kopf vorgeht, und bin gespannt, ob seine Besessenheit über seine Vernunft siegt. Nach einem kurzen Moment steht er auf. Ein leichtes Lächeln huscht über meine Lippen. Mit der kleinen Packung in der Hand kommt er zurück und setzt sich zu mir auf das Bett. Scheinbar gelassen entnimmt er eines der trügerischen Schneidwerkzeuge. Nach eingehender Betrachtung legt er die Rasierklinge neben sich auf die Matratze und streicht mit seinen Fingern über die Wunden, um anschließend mit seinen Nägeln den Schorf herunterzukratzen, wodurch die Schnitte erneut zu bluten beginnen. Tai setzt die Klinge gezielt auf und zieht sie langsam, mit mäßigem Druck durch die bereits vorhandene Wunde. Ich sauge die Luft scharf zwischen den Zähnen ein. „Du solltest Zellstoff holen, sonst siehst du durch das Blut nicht mehr, wo du schneiden musst. Bring bei der Gelegenheit auch gleich Verbandsmaterialien mit.“ Ohne ein Wort zu sagen, steht mein Freund auf und verlässt das Zimmer. Ich schließe meine Augen und lasse den Schmerz auf mich wirken. Das Gefühl, wenn das eigene Blut aus dem Körper strömt und warm über die Haut läuft, ist unbeschreiblich. Tai kommt mit den benötigten Dingen im Arm zurück. Mit einem nassen Waschlappen wäscht er die rote Körperflüssigkeit ab, dann tupft er mit dem Zellstoff über die Wunde. Er nimmt die Rasierklinge wieder zur Hand und vertieft jede einzelne Verletzung, die mir mein Mitschüler zugefügt hat. Zwischendurch muss er immer wieder innehalten, da die Blutung sehr stark ist, um mit dem Zellstoff das Blut aufzusaugen. Durch manche Schnitte zieht er die Schneide mehrmals, weshalb die Wunden tiefer werden und weiter auseinanderklaffen. Der Schmerz lässt meine Haut empfindsamer und zugleich taub werden. Nachdem mein Freund sein Werk eingehend betrachtet hat, beginnt er mit der Reinigung und Wundversorgung. Ich zittere vor Erregung. Tai lächelt. „Soll ich dir Abhilfe verschaffen?“ Sein Lächeln wird zu einem Grinsen. „Bitte schlaf mit mir“, flehe ich. „Mit den Schmerzen, die du bereits schon haben musst? Wir können nicht einmal die jetzigen Folgen absehen. Und wie wir deinem Vater deinen Zustand erklären, weiß ich auch noch nicht, zumal offensichtlich ist, dass du dich kaum bewegen kannst.“ „Das ist mir egal. Bitte, ich will dich spüren! Egal, wie weh es tut. Im Gegenteil, je größer der Schmerz, desto intensiver spüre ich dich.“ Mein Freund seufzt. „Du weißt aber schon, dass du dabei auch sterben kannst. Vielleicht sind wir jetzt schon zu weit gegangen. Wenigstens scheinst du mittlerweile nicht mehr zu bluten.“ „Das ist der Beweis, dass es nicht schlimm ist. Also kannst du…“ „Steh auf, Yamato“, fordert Tai mich auf. Ich sehe ihn irritiert an, leiste seiner Aufforderung allerdings Folge. Jedoch merke ich bereits beim Hochstemmen in eine sitzende Position, dass ich nicht aufrecht werde stehen können. „Du willst, dass ich dich nehme, schaffst es aber noch nicht einmal, aufzustehen. Vergiss es, ich werde dich nicht ficken.“ Er drückt mich zurück auf die Matratze und entkleidet meinen Unterkörper komplett. Dann spreizt er meine Beine, drängt seinen Körper dazwischen und küsst mich, wobei unsere Zungen stürmisch zum Einsatz kommen. Anschließend liebkost er mich den Hals entlang, über das Schlüsselbein, hinab zum Brustkorb. Mit der Hand streicht er über den Verband. Ich mag den dadurch entstehenden dumpf pulsierenden Schmerz und schließe die Augen. „Ist der schon wieder hart oder immer noch?“ „Ach, halt den Mund“, erwidere ich verlegen. Schnell bedecke ich mit dem Arm mein Gesicht. Ich spüre die Lippen meines Freundes erneut, als er beginnt mir einen zu blasen. Erfüllt von Erregung werfe ich meinen Kopf in den Nacken und bäume mich auf. Der Schmerz, den ich dadurch empfinde, steigert nur meine Ekstase. Im Raum ist nichts außer meinem Stöhnen zu hören, wodurch es unglaublich laut in meinen Ohren klingt. Mein Körper bebt und ich kralle die Finger in das Laken. Tai treibt sein Spiel bis zum Äußersten, dann sieht er auf und wischt sich den Mund ab, wobei er mich nicht aus den Augen lässt. Er beugt sich der Länge nach über mich und betrachtet mein Gesicht. „Der Ausdruck in deinem Gesicht, wenn du erregt bist, ist unbeschreiblich. Manchmal bist du so wahnsinnig hingebungsvoll und wirkst dabei so schrecklich zerbrechlich, dass du in mir den unbändigen Drang weckst, dir besonders schlimme Dinge anzutun.“ „Deine Liebe ist krank.“ „Deine wohl nicht?“ Wir sehen uns in die Augen. Keiner wagt es, den Blick abzuwenden oder ein Wort zu sagen. Mein Freund bricht als erster das Schweigen. „Jetzt bist du dran.“ „Was?“ Die Verwirrung ist mir deutlich anzuhören. Tai öffnet seine Hose. „Nimm ihn in den Mund“, sagt er weniger als Bitte gemeint. „Komm her.“ Ich strecke meine Hand nach meinem Freund aus, woraufhin der sich neben mich setzt. Ungeachtet der Schmerzen drehe ich mich in eine Bauchlage. Tai nimmt meinen Kopf zwischen seine Hände und dirigiert ihn in die richtige Position. Er lässt nicht los, um meine Bewegungen lenken zu können. Während ich ihm einen blase, wird das Stöhnen meines Freundes immer leidenschaftlicher. Er presst seinen Unterleib stark gegen meinen Kopf, sodass mir wenig Spielraum bleibt, da mein Mund bis tief in den Rachen ausgefüllt ist. „Du machst mich wahnsinnig“, keucht Tai. „Immer wenn du mich ansiehst, jedes Mal, wenn wir uns berühren, miteinander schlafen oder einander Gewalt zufügen. Ich kann einfach nicht von dir lassen, obwohl ich weiß, dass es besser wäre.“ Er reißt meinen Kopf an den Haaren nach hinten, wodurch er mich zwingt mit meinem Tun aufzuhören. Ich lecke mir über die Lippen und schaue ihn fragend an. „Wie kannst du eine solch extreme Begierde in mir wecken, dass ich dich doch ficken will, ungeachtet deines Zustandes?“ Ich lächle triumphierend. „Dann tu es“, fordere ich ihn auf. Unerwartet zieht mein Freund stärker an meinen Haaren. Ich stöhne auf und kneife ein Auge zusammen. „Nein. Du bist süchtig nach Schmerz.“ Plötzlich lacht er laut auf. „Wie absurd, da du doch von Schmerzmitteln abhängig bist.“ „Bin ich nicht. Außerdem hat das eine mit dem anderen nichts zu tun“, protestiere ich. „Ach ja? Kommst du auch nur einen Tag ohne Tabletten aus?“ „Nein“, sage ich leise. „Und wie viele nimmst du am Tag?“ „Je nach Bedarf acht bis zwölf“, antworte ich ehrlich, aber noch leiser. „Und das nennst du nicht abhängig? Dabei haben wir noch die Schlaftabletten außer Acht gelassen.“ „Die nehme ich nur gelegentlich“, schmolle ich. „Was hast du eigentlich gegen mein Verlangen nach Schmerz?“ „Nichts. Ich habe nur etwas dagegen, wenn es dich mir wegnimmt oder dir der Schmerz von anderen zugefügt wird.“ „Er steht noch. Soll ich es zu Ende bringen?“, stoppe ich den voraussichtlichen Fortgang des Gespräches. Ich warte keine Antwort ab und fahre mit der oralen Befriedigung fort. Tai lässt meine Haare nicht los, sondern verkrampft seine Finger darin. Anhand seiner heftiger werdenden Reaktionen merke ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich will ihn tatsächlich in den Wahnsinn treiben, nicht nur sexuell. Er soll in meine Welt eintauchen, wo er ausschließlich mir gehören wird. Ein letztes Mal bäumt mein Freund sich auf, dann lässt er meinen Kopf schwer atmend los. Mit seinem Daumen streicht er mir sanft über die Lippen, Mundwinkel und das Kinn, um sie zu säubern. „Genug?“, frage ich grinsend. „Wir sollten uns endlich überlegen, wie wir deinem Vater deinen Zustand erklären“, entgegnet Tai ernst mit einem Blick auf die Uhr und meine Bemerkung ignorierend. „Auf keinen Fall darf er erfahren, dass du einen großen Anteil daran trägst.“ „Dass du vergewaltigt wurdest, können wir aber auch schlecht sagen.“ „Nein“, murmle ich nachdenklich. Als es an meiner Tür klopft, versuche ich gerade umständlich mich umzuziehen. Ich schaffe es nicht mehr, zu antworten, als mein Vater bereits im Zimmer steht. Geschockt haftet sein Blick auf meinem nur halb bedeckten Oberkörper. „Was ist passiert, Yamato? Und ich will die Wahrheit hören. Versuche nicht mir weiszumachen, dass du dir selbst solche Verletzungen zugefügt hast.“ Er kommt zu mir und betrachtet mich eingehender. „Die Hämatome sind eindeutig Fremdeinwirkung.“ „Setz dich. Ich wollte sowieso mit dir darüber reden.“ Mein Vater sieht mich argwöhnisch an, nimmt aber neben mir Platz. Tai habe ich absichtlich nach Hause geschickt, weil ich dieses Gespräch allein führen muss. „Versprich mir, nicht auszuflippen.“ Ich sehe ihn eindringlich an, dann senke ich verlegen meinen Blick. „Kannst du mich bitte zum Arzt fahren?“ „Noch einmal, was ist passiert?“, fragt er jetzt mit Nachdruck. Ich atme tief durch. „Ich habe mit einem fremden Mann geschlafen. Es ist heftiger abgelaufen als geplant, sodass ich Verletzungen davongetragen habe, die immer wieder zu bluten beginnen.“ „Wie bitte?“ Fassungslosigkeit ist meinem Vater ins Gesicht geschrieben. „Verlierst du jetzt endgültig deinen Verstand? Nicht genug, dass du mittlerweile scheinbar wahllos mit fremden Männern ins Bett gehst, du lässt dich auch noch von ihnen verstümmeln.“ Ich schaue meinen Vater irritiert an, dann dämmert es mir. „Die Schnittwunden habe ich mir tatsächlich selbst zugefügt“, versuche ich ihn zu überzeugen. „Yamato.“ Der Blick meines Vaters ist vorwurfsvoll. „Hör auf mich anzulügen. Dein Körper sieht aus wie misshandelt. Jetzt sag mir endlich, was passiert ist und wer dir das angetan hat.“ Er schreit mich fast an, packt mich an den Schultern und schüttelt meinen Körper, wobei ich vor Schmerz zusammenzucke. Über sich selbst entsetzt lässt er mich los. „Verzeih mir. Aber…“ „Es waren überwiegend Tritte“, unterbreche ich ihn mit gesenktem Kopf, beinahe demütig. „Und du willst mir allen Ernstes erzählen, dass du das freiwillig mit dir hast machen lassen? „Ja, aber das ist nicht das Problem. Papa... ich habe Verletzungen im Analbereich. Können wir erst einmal zum Arzt fahren und die Diskussion auf nachher verschieben?“ Meine Stimme klingt gequält und zittert leicht. In der Mimik meines Vaters erkenne ich Bestürzung. „Sag mir bitte die Wahrheit. Bist du vergewaltigt worden, Yamato?“ „Wie kommst du darauf?“, frage ich, kann aber das Beben meines Körpers nicht verbergen. Die Unterhaltung läuft in eine andere Richtung, als ich es wollte, aber vielleicht ist es besser so für alle Beteiligten. Letztlich werde ich meinen Vater wahrscheinlich auch nicht mehr vom Gegenteil überzeugen können. Sehr vorsichtig nimmt er mich in den Arm und streicht mir beruhigend durch das Haar. „Ich bringe dich jetzt ins Krankenhaus.“ Ich liege auf meinem Bett und starre zur Decke. Die letzten drei Tage musste ich notgedrungen zur Beobachtung im Krankenhaus verbringen, da bei der Untersuchung etwas größere Risse in der Darmwand meines Enddarmes sowie Analfissuren festgestellt wurden. Aufgrund dieser Verletzungen und denen auf meinem Oberkörper, besonders die nicht zu übersehenden Blutergüsse konnte ich nicht sinnvoll erklären, glaubte mir niemand, als ich eine Vergewaltigung abstritt. Folglich musste ich ein psychologisches Gespräch über mich ergehen lassen, welches mir helfen sollte, das Geschehene zu verarbeiten und darüber zu sprechen. Am schlimmsten fand ich aber die geheuchelte Anteilnahme und die mitleidigen Blicke, wenn die Ärzte und Schwestern mich ansahen. Würden sie mir glauben und die Wahrheit kennen, wären sie mit Sicherheit angeekelt und würden mich abfällig behandeln. Ein Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen Gedanken. Vorsichtig schaut mein Vater herein. „Ich möchte noch einmal mit dir reden“, warnt er mich vor, während er das Zimmer betritt und auf meiner Bettkante Platz nimmt. Ich seufze, da ich ahne, worum es geht. „Papa…“, setze ich an, um ihm Einhalt zu gebieten. „Nein, Yamato. Ich werde nicht locker lassen, bis du mir sagst, welches Schwein dir das angetan hat! Warum deckst du solchen Abschaum auch noch? Hat der dir gedroht?“ Ich schüttele den Kopf. „Es war einvernehmlicher Sex.“ „Anfangs vielleicht. Doch als du nicht mehr wolltest, wendete er Gewalt an, war es nicht so?“ „Du liegst falsch. Ich wollte von Anfang an unter Gewaltanwendung gevögelt werden. Akzeptiere meine Perversion endlich!“ „Und was ist mit Taichi?“ Für einen Moment habe ich das Gefühl, mein Herz bleibt stehen. Ich blicke meinen Vater entsetzt an, bekomme aber kein Wort heraus. „Wenn dein Körper das Resultat eines angeblich freiwilligen sexuellen Übergriffes ist, stellt sich bei dir kein schlechtes Gewissen Taichi gegenüber ein? Immerhin hast du ihn betrogen und, wie du mir selbst einmal sagtest, nicht zum ersten Mal.“ Ich schweige beharrlich, um im Affekt nichts Falsches zu sagen, und beginne nervös an meinen Fingern zu spielen. „Für den Fall, dass du die Wahrheit sagst, würde mich interessieren, was dir diese Art von autoaggressivem Verhalten gibt, denn etwas anderes ist es nicht, oder? Warum lässt du dermaßen brutale Dinge mit dir machen, die dich sogar ins Krankenhaus bringen? Geht die Initiative von dir aus?“ „Sei still!“, unterbreche ich meinen Vater. Mir schwirrt der Kopf und es fällt mir schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. „Du hast recht. Sowohl das Zufügen der Verletzungen als auch der Sex waren nicht ganz freiwillig. Aber es ist okay. Können wir das Thema jetzt bitte abschließen?“ „Nichts ist okay. Dir ist bewusst, dass du einen Straftäter deckst? Yamato, Vergewaltigung und Körperverletzung sind keine Kavaliersdelikte!“ Ich spüre, dass mein Vater sehr aufgewühlt ist. Besorgnis und Wut zeichnen sein Gesicht und seine Nerven sind bis auf das Äußerste strapaziert. Trotzdem kann ich ihm nicht weiter entgegenkommen. „Für mich ist diese Diskussion hiermit beendet.“ „Es reicht, Yamato! Du vergisst deine Position. Ich entscheide, wann eine Unterhaltung beendet ist, und diese ist es bei weitem nicht. Lerne deine Grenzen endlich kennen. Deine Eskapaden dulde ich nicht mehr.“ Wütend bringt er mir diese Worte entgegen, jegliches Mitgefühl ist aus seiner Mimik verschwunden. Ich atme erleichtert auf. „Jetzt lässt du endlich erkennen, dass du mir die Schuld an diesem Vorfall gibst. Du hast nie wirklich an eine Vergewaltigung geglaubt, oder? Du hast es nur gehofft. Dir ist es lieber, wenn dein Sohn vergewaltigt wird, als seine Widerwärtigkeit anzuerkennen.“ Ein infames Lächeln umspielt meine Lippen. Traurig streichelt mein Vater mir über den Kopf. „Ich kann dich nicht allein lassen. Es wäre für mich unerträglich, wenn ich dich verlieren würde.“ Unglaublich vorsichtig und liebevoll umfängt er meinen Körper mit seinen Armen und drückt mich an sich, sodass ich sein Zittern bemerke. „Deine Uneinsichtigkeit bereitet mir am meisten Sorgen, ungeachtet dessen, was nun tatsächlich passiert ist. Vermutlich ist es dir nicht bewusst, wie gefährlich dein Verhalten ist, und falls doch, wäre das noch ein Grund mehr für mich, hierzubleiben.“ Entsetzt löse ich mich aus der Umarmung und schaue meinem Vater in die Augen. Ich erkenne Angst, tiefe Traurigkeit, aber auch Erschöpfung darin. „Bitte, nicht meinetwegen“, höre ich mich mit belegter Stimme sagen. „Du darfst dir dein Leben meinetwegen nicht noch mehr zerstören! Ich will, dass du glücklich bist.“ Voll von Verzweiflung kann ich meine Tränen nicht zurückhalten und wische sie verstohlen mit den Händen von meinen Wangen. „Yamato!“ Behutsam nimmt mein Vater meinen Kopf zwischen seine Hände und zwingt mich, ihn anzuschauen. „Weine, hörst du? Versuche deine Gefühle nicht in einer Form der Selbstzerstörung auszudrücken.“ Ohne mich loszulassen, betrachtet er mein Gesicht. Aus weit geöffneten Augen laufen nun unablässig Tränen über meine Haut. „Du spürst auch so Schmerz, hab ich recht? Deine Mimik zeigt mir, dass du gerade Qualen erleidest. Was fühlst du im Moment?“ „Bitte…“, setze ich mit einem Hauchen an, werde aber von einem Schluchzer und dem Versagen meiner Stimme sofort unterbrochen. „Shh. Beruhige dich. Atme ganz ruhig.“ „Lass mich los“, versuche ich erneut mich verständlich zu machen. „Was fühlst du, Yamato?“, wiederholt er seine Frage geduldig. „Papa…“ „Was fühlst du?“ Sein Tonfall ist jetzt nachdrücklicher. Das Pulsieren in meinem Kopf nimmt zu und ich schließe die Augen. „Sieh mich an“, verlangt mein Vater umgehend. „Scham“, antworte ich schließlich, seine letzte Aufforderung ignorierend. „Was noch?“ „Wut.“ „Auf wen?“ „Mich selbst.“ „Was noch? „Angst.“ „Was ist mit Schmerz?“ Ich öffne meine Augen und sehe ihn schwach lächelnd an. „Davon reden wir die ganze Zeit. All diese Emotionen sind Schmerz. Sie tun weh, verkrampfen meine Brust und hindern mich am Atmen.“ Mein Vater seufzt und lässt langsam seine Arme sinken. „Wieso fügst du dir dann noch zusätzlich körperlichen Schmerz zu? Als Gegenpol? Zur Überdeckung?“ Ich wende den Blick von ihm ab und trockne mir das Gesicht mit meinem Ärmel. Dieses Gespräch ist mir sehr unangenehm, aber ich habe keine Wahl, als darauf einzugehen. Zumindest, wenn ich die vorherrschende Situation nicht verschlimmern möchte. „Vielleicht. Aber ich versuchte dir schon mehrfach zu verdeutlichen, dass ich auf Schmerzen stehe. Wenn du das endlich begreifen würdest, müsstest du erkennen, wie verdorben dein eigen Fleisch und Blut ist. Oder ist das der Grund, weshalb du so sehr die Augen vor der Wahrheit verschließt?“ Kaum habe ich diese Sätze laut ausgesprochen, bereue ich sie. Ich will meinen Vater gerade nicht verletzen, sondern ihn beruhigen, damit er sein Leben nicht meinetwegen wegwirft. Zum Glück, oder vielleicht doch unglücklicherweise, geht er nicht auf meine Äußerungen ein. „Yamato, ich frage noch einmal, wurdest du vergewaltigt?“ Einen Moment schweige ich und wäge meine Antworten mit deren möglichen Konsequenzen ab. „Ich sagte dir bereits die Wahrheit. Anfangs war es nicht freiwillig, aber dann ging es für mich in Ordnung. Ich möchte dieser Sache nicht mehr Wichtigkeit beimessen, als ihr gebührt. Papa, ich war letztlich sogar sexuell erregt.“ Solche Eingeständnisse gegenüber meinem Vater sind mir dermaßen peinlich, dass ich am liebsten im Boden versinken würde. Aber ich denke, es ist besser, so nahe wie möglich an der Wahrheit zu bleiben, um authentisch zu wirken. „Ich weiß nicht, ob diese Tatsache mich beruhigen oder meine Sorge schüren soll. Wenn ich dich allein lasse, wirst du dich früher oder später umbringen, so viel ist sicher. Absichtlich oder im Affekt einer Dummheit sei mal dahingestellt, aber…“ „Ich bin nicht allein“, unterbreche ich meinen Vater. „Taichi ist bei mir.“ „Das stimmt zwar, allerdings w…“ „Du kannst nicht ewig deine schützende Hand über mich legen. Ich werde irgendwie klarkommen und auch du solltest endlich dein eigenes Leben genießen können.“ Erneut falle ich ihm ins Wort, mit der Absicht, ihn umzustimmen, obwohl ich meinen Vater am liebsten nicht gehen lassen würde. Sein Bild verschwimmt vor meinen Augen, schnell senke ich den Kopf. Dann beuge ich mich zu ihm, gebe ihm einen Kuss auf die Wange und lächle ihn liebevoll an, in der Hoffnung, dass er meine Tränen nicht bemerkt. „Bitte werde glücklich!“ Ich schaffe es nicht, das Zittern in meiner Stimme zu verbergen. Mit gespreizten und angewinkelten Beinen sitze ich auf dem Schoß meines Freundes. Um mein Gleichgewicht zu stabilisieren, stütze ich mich durch meinen linken Arm an der Sofalehne ab. Den anderen Arm habe ich halb um Tais Nacken gelegt, wobei ich ihn angewinkelt halte, damit ich meine Finger in seinen Haaren vergraben kann. Unser Kuss ist leidenschaftlich, das Zungenspiel fordernd. Im Hintergrund läuft der CD-Player, doch ich nehme die Musik nur am Rande wahr. Ich verliere mich tief in dir Lass mich nie fort von hier Wann zerstörst du meine Welt? Hier ist nichts, was mich noch hält Ich bin deiner Macht erlegen Ich verliere den Verstand Endlich kriechst du mir entgegen Halt mich fest für immer Immer dann, wenn du einsam bist Wird dich mein Herz befreien Immer, wenn dich die Angst zerfrisst Werde ich tief in dir sein Ich verliere mich tief in dir Lass mich nie zurück zu mir Wann zerstörst du Raum und Zeit? Lösch mich aus, ich bin bereit Ich bin deiner Macht erlegen Ich verliere den Verstand Endlich kriechst du mir entgegen Halt mich fest für immer Immer dann, wenn du einsam bist Wird dich mein Herz befreien Immer, wenn dich der Wahnsinn küsst Werde ich tief in dir sein Tief in dir Zaghaft löse ich mich von Tai und blicke ihn an. Seine dunklen Augen fixieren mich, scheinen mich regelrecht zu durchbohren. Ich versuche den Gesichtsausdruck meines Freundes zu deuten, lese darin aber nur Herablassung, Begierde und Angst. „Woran denkst du?“, fragt er plötzlich und streicht mir eine Strähne hinter das Ohr. „An dich.“ „Inwiefern?“ „Du bringst mich immer wieder aus der Fassung mit deinen wunderschönen, unergründlichen Augen.“ Tai lächelt. Ich stütze meine Unterarme auf den Schultern meines Freundes ab und berühre mit meiner Stirn die seine. Wie betäubt und doch von Schmerz erfüllt schließe ich die Augen. Ich sauge seinen Duft, der meine Nase umspielt, tief in mich ein und lasse mich von ihm einhüllen. Fordernd schiebt Tai seine Finger unter mein Hemd und streicht frivol, immer wieder die Nägel in mein Fleisch treibend, über meinen Rücken. Gefügig lasse ich seine Berührungen geschehen. Ich hebe meinen Kopf und lege ihn, von Lust ergriffen, in den Nacken. Meinen Körper spanne ich an, wodurch sich mein Rückgrat zu einem Hohlkreuz formt. Die Augen halte ich weiterhin geschlossen, um die Berührungen meines Freundes noch intensiver zu spüren. Seine Hände sind kalt, doch die Haut, über die er streicht, scheint zu glühen und er sich in mich einzubrennen. Tai öffnet die Knopfleiste meines Hemdes und beginnt mit der Zunge die von ihm zugefügten, noch nicht ganz verheilten Narben nachzuzeichnen. Mit seiner rechten Hand greift er mir in die Haare und verhindert durch stärkeres Ziehen, dass ich meinen Kopf nach vorn oder unten drehen kann. Seine Küsse wandern nach oben, bis er mit seinen Lippen in meiner Halsbeuge verweilt. Sinnlich leckt er von meinem Schlüsselbein hinauf zu meinem Ohr, in welches er leicht hineinbeißt. Ich atme geräuschvoll aus und suche mit meiner Hand Halt in den Haaren meines Freundes. „Gib dich mir hin. Bedingungslos.“ Er lässt mich los. Mit verklärtem Blick schaue ich ihn an. Die Hitze, die mein Freund in mir verursacht, vernebelt meinen Verstand. Ich will ihn spüren und alles andere vergessen. Für immer. Mit meinen Armen umfange ich seinen Körper und drücke ihn fest an mich. Dann schiebe ich ihn ein Stück von mir, halte ihn aber weiterhin fest. „Nimm mich. Stoß dich tief in mich hinein, füll mich ganz aus. Liebe mich.“ Die letzten Worte klangen ungewohnt verzweifelt und ich sehe beschämt zu Boden. Tai hebt jedoch mit seinen Fingern an meinem Kinn meinen Kopf. „Sieh mich an.“ Die Worte sind sehr gefühlvoll, doch sein Blick ist durchdringend. „Ich will dich. Und zwar alles von dir. Wollte ich nur deinen Körper, würde ich dich nehmen, wenn mir danach ist. Auch ohne dein Einverständnis, wie du weißt.“ Liebevoll streicht er mir über die Wange. „Du hältst mein Leben in deiner Hand. Kann ich dir denn noch mehr von mir geben?“ Ich schaue ihn fragend an. „Ich sagte, ich will alles von dir. Du begreifst noch immer nicht, aber vielleicht werden dir Konsequenzen endlich die Augen öffnen.“ Die Mimik meines Freundes ist überlegen und drohend. „Wovon sprichst du?“, frage ich und rutsche unruhig auf seinen Oberschenkeln herum. Tais Lachen erfüllt den Raum, kalt und emotionslos. Plötzlich packt er mich brutal an den Schultern und zieht mich dicht zu sich heran. Mit rauer Stimme flüstert er mir ins Ohr: „Ich werde dich nicht mehr teilen. Nie wieder. Mit nichts und niemandem.“ Er lässt mich los, sieht mich allerdings nicht an. „Ich liebe dich.“ „Taichi…“ Ich seufze. Ein schmerzhaftes Gefühl der Zuneigung überkommt mich. Ich möchte meinen Freund berühren, bleibe aber reglos auf seinem Schoß sitzen. Hilflos sehe ich ihm in die Augen. Unzählige Worte schwirren in meinem Kopf umher, doch kein einziges findet seinen Weg über meine Lippen. „Komm her“, höre ich Tai sagen. Ohne zu Zögern lasse ich mich auf eine innige Umarmung ein. Seine Nähe beruhigt mich und ist zugleich unbeschreiblich schmerzhaft. „Es ist mehr als Liebe.“ Ich küsse meinen Freund leicht, aber voller Zuneigung. „Und es tut wahnsinnig weh.“ „Ich weiß“, flüstert Tai und wir versinken erneut in einer innigen Umarmung, bei der jeder die Verzweiflung des anderen spürt, welcher er schutzlos ausgeliefert ist und der er sich freiwillig hingibt. Mit gesenktem Kopf sitze ich im Wohnzimmer auf dem Sofa. Neben mir sitzt Tai, mein Vater hat, uns gegenüber, auf dem Sessel Platz genommen. Die Situation wirkt merkwürdig befremdlich und fühlt sich unangenehm an. Meine Kehle ist trocken, wodurch mir das Schlucken schwerfällt. Ich kann und will nicht wahrhaben, dass dies der vorerst letzte Abend sein wird, den ich mit meinem Vater verbringen kann. Im Flur stehen bereits seine gepackten Koffer, sein Zimmer ist inzwischen zum Teil mit den Sachen meines Freundes zugestellt. Tai und ich haben uns noch keine Gedanken darüber gemacht, wie wir die Wohnung einrichten wollen, sodass er vorläufig den Raum meines Vaters nutzt, aber bei mir schlafen wird. Die Unterhaltung zwischen den beiden bekomme ich kaum mit. Ich bin vollständig in meiner Angst gefangen, schaffe es nicht, mich aus meiner Starre zu lösen. „…telefonieren.“ Ich sehe meinen Vater an, ohne ihn richtig wahrzunehmen. Meine Kehle schnürt sich immer weiter zu, als hätte jemand einen Strick um meinen Hals gelegt. „Yamato“, spricht mein Vater mich direkt an. Ich möchte etwas sagen, bin jedoch unfähig ein Wort hervorzubringen. Sanft spüre ich Tais Hand auf meinem Oberschenkel. Wie fremdgesteuert drehe ich meinen Kopf und blicke meinem Freund genau in die Augen. Er lächelt kaum merklich und streichelt mir beruhigend über das Bein. Meine Anspannung legt sich etwas und ich lächele zurück. Dann schaue ich erneut zu meinem Vater. „Ich komme morgen früh nicht mit zum Flughafen“, teile ich ihm meine Entscheidung mit. Er nickt verständnisvoll. „Das dachte ich mir schon. Vermutlich ist es auch besser für dich. Sobald ich in Berlin eine Adresse und Telefonnummer habe, unter der ihr mich erreichen könnt, lasse ich sie euch umgehend zukommen. Yamato, bitte versprich mir, dass du dich meldest, wenn es dir nicht gut geht oder anderweitig Probleme auftreten. Taichi, wie du weißt, habe ich mich gestern noch einmal eingehend mit deinen Eltern unterhalten und werde in Zukunft regelmäßig Kontakt zu ihnen halten. Auch sie werden euch unterstützen, so gut sie können. In meinem Urlaub werde ich, wenn möglich, nach Hause kommen.“ Ich lege meine Hand auf die meines Freundes und drücke sie fest. Das alles wirkt so irreal und kaum greifbar. Bedrohlich stürzen Tatsachen auf mich ein, die ich nun nicht mehr wegschieben kann. Ein Stechen in meinem Brustkorb lässt mich wieder verkrampfen und den Schmerz körperlich werden. Ich beginne zu zittern. Verzweifelt kämpfe ich gegen den Drang an, meinen Vater am Gehen zu hindern. Aber lange halte ich diese Situation nicht mehr aus. Ich möchte weglaufen, mich betäuben, mir irgendwie den Verstand vernebeln. Hauptsache, ich muss diesen Abschied nicht ertragen. Als der Schmerz zu groß wird, spüre ich, wie Gleichgültigkeit Besitz von mir ergreift. Sogleich lasse ich die Hand meines Freundes los und gehe infolgedessen auf Distanz. Dieser sieht mich forschend an. Offenbar weiß er genau, was gerade in mir vorgeht, denn er sagt nichts zu meinem plötzlichen Verhalten. „Yamato“, richtet mein Vater das Wort an mich. „Ich kann mich doch darauf verlassen, dass du keine Dummheiten machst.“ Er klingt ernsthaft besorgt und ohne Vorwurf in der Stimme. „Sicher“, sage ich tonlos, schaue ihn aber nicht an. „Yamato.“ Ich weiß, dass meine Reaktion ihn nicht zufriedenstellt, halte meinen Blick aber dennoch weiterhin gesenkt. „Was willst du denn hören?“, frage ich in leicht gereiztem Ton. „Ich möchte, dass du auf dich aufpasst.“ Noch immer schweige ich. „Versprichst du es mir?“ „Warum? Du bist nicht mehr hier, dir kann es also egal sein“, platzt es aus mir heraus. Im selben Moment hasse ich mich für diese Aussage. „Geh einfach, okay?“, füge ich stoisch hinzu, bevor ich aufstehe und den Raum verlasse. Wie in Trance laufe ich durch den Flur zu meinem Zimmer. Hinter mir schließe ich die Tür, nehme meine Zigaretten sowie das Feuerzeug vom Tisch, öffne das Fenster und entzünde eine Zigarette. Das Zittern hat aufgehört. Ich bin vollkommen ruhig, meine Empfindungen sind wie abgetötet. Tief ziehe ich den Rauch in meine Lungen ein und atme ihn langsam wieder aus. Zaghaft klopft es an der Tür, gleich darauf schaut mein Vater hinein. „Yamato“, spricht er mich vorsichtig an. Ich reagiere nicht, sondern blicke starr aus dem Fenster. Schweigend kommt er auf mich zu, bleibt neben mir stehen und legt seine Hand auf meine Schulter. Innerlich zucke ich zusammen, versuche mir aber nichts anmerken zu lassen. Eine Weile herrscht Stille. Ich werfe die aufgerauchte Zigarette aus dem Fenster, dann wende ich mich meinem Vater zu. Ohne dass ich es verhindern kann, füllen Tränen meine Augen. Weinend presse ich mich an den Körper meines Vaters und kralle meine Finger in dessen Hemd fest. „Lass mich nicht allein. Bitte!“, flüstere ich mit brüchiger Stimme. „Bleib hier. Ich will nicht, dass du gehst.“ „Yamato…“ Ich spüre, dass mein Vater seine Arme um mich legen möchte, schaffe es jedoch nicht, mich auf den Beinen zu halten. Mit einem Mal weicht alle Kraft aus meinem Körper und ich sinke zu Boden. Meine Finger sind weiterhin im Hemd meines Gegenübers vergraben, vielleicht um den letzten Halt nicht zu verlieren. Beruhigend streichelt mein Vater mir über den Kopf, dann hockt er sich hinab, um mir in die Augen sehen zu können. „Du weißt, dass das jetzt nicht mehr geht“, sagt er mit leichtem Bedauern in der Stimme. Mein Körper bebt und ich sacke immer weiter in mich zusammen. „Bitte, Papa!“ Er zieht mich dicht an sich heran und in eine innige Umarmung, wodurch mein Schluchzen allerdings verstärkt wird. Hilflos streicht er mir über den Rücken, in der Hoffnung, mich etwas beruhigen zu können. „Ich finde es gut, letztlich doch noch deine wahren Gefühle bezüglich dieser Situation zu erfahren. Vielleicht kannst du dadurch endlich mit der Verarbeitung beginnen, woran du dich bisher mit deiner Verdrängungsstrategie gehindert hast. Es bricht gerade alles über dich herein, oder?“ „Ja“, gebe ich zu, während ich verzweifelt nach Geborgenheit in den Armen meines Vaters suche. „Ich vertraue dir und ich weiß, dass du das schaffst.“ Er lächelt und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. „Papa…“ Noch immer laufen mir Tränen über die Wangen. „Ich habe Angst, dass dir etwas passiert.“ „Versuche nicht an solche Dinge zu denken. Das macht dich nur kaputt. Wir werden telefonieren, du kannst mich jederzeit anrufen, falls dich das beruhigt. Und jetzt steh auf.“ Sachte zieht mich mein Vater mit nach oben, als er sich aufrichtet. Mit seiner Hand wischt er mir zärtlich das Gesicht trocken, doch ich bekomme die Tränen nicht unter Kontrolle. „Papa, du wirst mir fehlen.“ „Du mir auch.“ Ich glaube Schmerz in seinen Augen lesen zu können. Schnell dreht er sich weg und geht zur Tür. „Lass uns zu Taichi zurückgehen.“ Es gelingt ihm nicht, das Zittern in seiner Stimme zu verbergen. Ich atme tief durch. Die Leere, die mein Vater hinterlassen wird, ist bereits deutlich zu spüren. Verzweiflung und Ohnmacht ergreifen Besitz von mir, als ich ihm ins Wohnzimmer folge, um die wenigen letzten gemeinsamen Stunden damit zu verbringen, auf den unvermeidlichen, bereits allgegenwärtigen Abschied zu warten. Kapitel 11: ------------ Es ist dunkel in meinem Zimmer, da ich das Licht nicht angeschaltet habe. Unbewegt sitze ich am Fenster und schaue hinaus, ohne die Umgebung wahrzunehmen. Mein Kopf ist leer. Ein leichtes Frösteln lässt meinen Körper kaum merklich beben. Vor mir ausgebreitet liegen Verbandsmaterialien und ein Päckchen Rasierklingen. Starr ist mein Blick darauf gerichtet. Taichi habe ich gebeten, mich allein zu lassen, nun scheint er im Nebenzimmer mit Auspacken beschäftigt zu sein. Ich stehe auf, drehe leise den Schlüssel im Schloss, schalte den CD-Player ein und setze mich wieder auf den Boden am Fenster. Fütter das weiße Licht für mich... Fütter das weiße Licht für mich... Fütter das weiße Licht für mich... Fütter das weiße Licht! Ich halte eine der Rasierklingen in der Hand und betrachte sie liebevoll, dann schiebe ich den Ärmel meines linken Armes nach oben. Es ist ein seltsames Gefühl, nach längerer Zeit dieses kleine Metall zwischen meinen Fingern zu spüren und zu wissen, dass es gleich meine Haut zerteilen wird. Dein Herz in meiner Hand Dein Blut auf meiner Haut Du schaust in mein Gesicht Doch du siehst mich nicht Die Hände fest am Hals Die Nägel tief im Fleisch Ich flüstere dir ins Ohr Doch du hörst mich nicht Es ist wie ein Aufatmen, als die Klinge tiefe Wunden auf meinem Arm hinterlässt. Dunkles, warmes Blut läuft beruhigend über die helle Haut, bevor es in kurzen Abständen, von mir ungeachtet, auf den Teppich tropft. Hörst du die Engel singen? Spürst du die sanften Schwingen? Hat sich das Warten nicht gelohnt? Spürst du die Wärme kommen? Hast du den Berg erklommen? Siehst du das weiße Licht? Bedächtig streiche ich mit den Fingern am Handgelenk über meinen Puls, zeichne die Adern nach und setze die Schneide bewusst dort auf, wo ein gezielter Schnitt mit großer Wahrscheinlichkeit tödlich endet. Ich atme tief ein. Hörst du die Engel singen? Hörst du die Harfen klingen? Hat sich das Leiden nicht gelohnt? Spürst du die Wärme kommen? Hast du den Berg erklommen? Siehst du den Himmel nicht? Aus meinem Gesichtsfeld ist alles ausgeblendet, ich nehme nur noch meinen Arm und die Rasierklinge wahr. Sehnsucht überkommt mich, sodass ich den Druck auf das Schneidwerkzeug verstärke. Fütter das weiße Licht für mich! Fütter das weiße Licht für mich! Fütter das weiße Licht für mich! Fütter das weiße Licht für mich! Fütter das weiße Licht! Ich muss tiefer schneiden als beim letzten Mal. Vielleicht sollte ich meinen Unterarm der Länge nach vom Handgelenk bis zur Armbeuge öffnen. Um sicher zu gehen. Kurz schließe ich die Augen. Ruhe breitet sich in meinem Körper aus. Noch immer verharre ich mit der Rasierklinge auf meinem Handgelenk, bereit diesem Körper den letzten Rest Leben auszuhauchen. Dein Atem in der Hand Dein Schrei in meiner Haut Ich drücke dich fest an mich Doch ich spüre dich nicht Dein Schmerz in meinem Mund Mein Schweiß in deinem Haar Die Angst in deinem Blick Endlich kennst du mich Ich beginne zu zittern. Plötzlich habe ich das Gefühl, Taichi wäre im Raum, als berühre er mich. Ohne zu denken, lege ich das kleine Schneidwerkzeug neben mich auf den Teppich und schlage wütend mit der Faust gegen die Wand. Immer und immer wieder. Hörst du die Engel singen? Spürst du die sanften Schwingen? Hat sich das Warten nicht gelohnt? Spürst du die Wärme kommen? Hast du den Berg erklommen? Siehst du das weiße Licht? Als die Türklinke von außen betätigt wird, zucke ich zusammen. Mit klopfendem Herz halte ich inne, völlig außer Atem schaue ich zur Tür. Sie ist verschlossen, weshalb Tai nicht hereinkommen kann. Auf sein mehrmaliges Klopfen habe ich bisher nichts entgegnet. Mein Denken ist zäh und ich habe das Gefühl, komplett neben mir zu stehen. Hörst du die Engel singen? Hörst du die Harfen klingen? Hat sich das Leiden nicht gelohnt? Spürst du die Wärme kommen? Hast du den Berg erklommen? Siehst du den Himmel nicht? „Yamato, mach bitte die Tür auf.“ Ich möchte antworten, bekomme jedoch kein Wort heraus. „Lass mich rein“, ruft mein Freund in scharfem Ton. „Oder schneidest du dir gerade den Arm auf?“ „Ja“, entgegne ich, ohne es zu wollen. Erst jetzt schaffe ich es, mich aus meiner Starre zu lösen. Panisch laufe ich zur Tür, öffne sie und dränge mich dicht an Tais Körper in eine Umarmung, wobei ich seine Kleidung mit meinem Blut beschmiere. Fütter das weiße Licht für mich! Fütter das weiße Licht für mich! Fütter das weiße Licht für mich! Fütter das weiße Licht für mich! Fütter das weiße Licht! „Halt mich ganz fest!“ „Yamato.“ Die Stimme meines Freundes klingt fragend, aber auch unendlich hilflos. „Der Drang, meinem Leben ein Ende zu setzen, war gerade übermächtig. Fast hätte ich mir die Pulsadern aufgeschnitten. Taichi, ich habe Angst. Angst vor mir selbst. Ich verliere wieder einmal die Kontrolle.“ Er presst mich stärker an sich, seine Arme hat er schützend um meinen Körper geschlungen. „Dann werde ich dich jetzt zur Krisenintervention zwangseinweisen.“ „Nein, bitte. Bleib einfach nur bei mir.“ „Yamato, das kann und will ich nicht verantworten. Du brauchst momentan professionelle Hilfe.“ „Glaubst du das wirklich?“ „Nein“, gibt er ehrlich zu. „Dann schieb mich nicht ab. Die akute Phase, die Dissoziation, habe ich bereits überstanden. Lass mich nicht allein, damit ich keine weiteren Dummheiten begehen kann. Bitte, ich muss deine Nähe spüren, sonst werde ich wahnsinnig.“ Tai seufzt. „Gehen wir ins Zimmer, ich versorge deine Wunden.“ Tai und ich sitzen in der Küche. Ich nippe an meiner Tasse Kaffee, während der meines Freundes noch immer unangerührt vor ihm steht. Seit einer Weile schon starrt er abwesend vor sich hin. Ich beobachte ihn und betrachte dabei eingehend sein Gesicht. Seine Mimik ist unbewegt, seine schönen braunen Augen kalt und leer. Draußen vor dem Fenster sehe ich die ersten Schneeflocken langsam zur Erde gleiten. Es sind nur wenige, vereinzelte, die wahrscheinlich nicht liegenbleiben werden, da der Boden noch zu warm ist. Zwar sind die Temperaturen in den letzten Wochen deutlich zurückgegangen, aber Frost gab es bisher nicht. Vielleicht ist Tai sauer auf mich, weil er mitbekommen hat, dass ich mit meinem Klassenkameraden gesprochen habe. Gesagt hat er allerdings nichts. Es ist auch gut, dass er nicht weiter nachgefragt hat, denn der Vorschlag, welcher mir von meinem Mitschüler unterbreitet wurde, hätte meinen Freund ausrasten lassen. Dessen bin ich mir ziemlich sicher. Jener kam auf mich zu und fragte frei heraus, warum ich kein Geld nehmen würde, wenn ich mich sowieso von jedem vögeln lasse. Er verriet mir lächelnd und in mein Ohr flüsternd, dass er einige Leute kenne, die nicht wenig zu zahlen bereit seien, um es mir einmal richtig besorgen zu können. Süffisant grinsend bot er mir dann an, die Rolle des Vermittlers, also meines Zuhälters, zu übernehmen. Ich konnte auf dieses Angebot nicht mehr reagieren, da Tai uns plötzlich schweigend unterbrach, indem er mich unsanft mit sich und von meinem Klassenkameraden weg zog. Allerdings dürfte ich diesen ziemlich überrascht angeschaut haben. Es wäre eine Lüge, zu behaupten, ich hätte nie über diese Möglichkeit nachgedacht. Für Sex Geld zu verlangen würde meinem schändlich Verhalten noch einen anderen Nutzen, außer dem der Selbstschädigung, verleihen, allerdings ging es bisher nie über die Gedanken hinaus. Umso irritierender war es, solche Überlegungen aus dem Mund eines Fremden und außerhalb meines Kopfes zu hören. Jedoch löste es auch ein leichtes, aufregendes Kribbeln in mir aus, welches von einem flauen Gefühl im Magen begleitet wurde. Als ich meinen Gegenüber wieder wahrnehme, erschrecke ich innerlich leicht, weil dieser mich nun direkt ansieht. „Woran hast du gerade gedacht?“, möchte er wissen. Ich trinke einen Schluck meines inzwischen erkalteten Kaffees und stelle die Tasse wieder auf dem Tisch ab, lasse sie allerdings nicht los. „In einer Woche ist Weihnachten“, bemerke ich beiläufig, um vom Thema abzulenken. Es wäre nicht gut, wenn er von dieser seltsamen Unterredung erführe. „Und darüber hast du nachgedacht?“ „Ja“, lüge ich nun offen und ganz bewusst. „Und was genau?“ „Nichts Bestimmtes.“ Ich merke, dass mein Freund mir nicht glaubt. „Ist das denn so wichtig?“ „Sag du es mir.“ Sein Blick ist herausfordernd, doch ich steige nicht darauf ein, sondern gehe in die Offensive. „Wo warst du denn mit deinen Gedanken?“ „Was hat dich neulich davon abgehalten, dir die Pulsadern aufzuschneiden?“ „Du.“ „Durch mein Klopfen an der Tür?“ „Nein, schon vorher. Du warst in dem Moment da, als ich die Klinge auf meine Haut drückte und sie mit aller Kraft längs durch meinen Arm ziehen wollte.“ Tai schweigt, schaut mich aber mit Verwunderung in den Augen an. Ich lächle bitter. „Du bist eben mein Schutzengel. Ich glaube, ich kann machen, was ich will, dich werde ich nicht mehr los. Und solange du lebst, kann auch ich nicht gehen.“ „Willst du das denn?“ Die Miene meines Freundes ist ausdruckslos. „Nein, ich will dich nicht loswerden.“ „Und gehen?“ Schweigend stehe ich auf, setze mich vor ihn auf den Boden und lege meinen Kopf auf seine Beine. Als Tai beginnt mir leicht durch die Haare zu streicheln, schließe ich meine Augen. „Darüber bin ich mir momentan selbst nicht im Klaren.“ Ich höre meinen Freund tief durchatmen. „Was wollte dieser Penner eigentlich schon wieder von dir?“ „Nichts besonderes“, spiele ich die Tatsache, dass mich mein Mitschüler zum Stricher machen will, herunter. „Nur die üblichen dummen Sprüche und Beleidigungen.“ „Wie mir scheint, begreift er noch immer nicht, dass er seine widerlichen Finger von dir zu lassen hat.“ Den Hass in Tais Stimme kann ich deutlich spüren, ebenso die unterschwellig mitschwingenden Vorwürfe mir gegenüber. Abrupt hört er auf mir über den Kopf zu streichen und ballt seine Hand zur Faust, wobei er grob an meinen Haaren zieht. Ich schaue auf und blicke meinem Freund in die Augen. „Er hat mich seit damals nicht mehr angerührt.“ „Klingt, als würdest du es bedauern.“ Mit seinen Fingern umfasst er meinen Hals, drückt aber nicht zu. „Aber vergiss nicht, du gehörst dir nicht. Sondern mir.“ Ich recke mich ein wenig nach oben und bedeute Tai dadurch, dass ich ihn küssen möchte, doch statt dem nachzugeben, übt er Druck auf meine Kehle aus. „Nimm mir das Bewusstsein“, bitte ich meinen Freund sehnsuchtsvoll. Dieser lässt meinen Hals los. „Steh auf“, befiehlt er kalt. Als ich dem nachkomme, zieht er mich sofort dicht an sich und verwickelt mich in einen leidenschaftlichen Zungenkuss, voller Begierde, Verlangen und Verzweiflung. Mir wird heiß und schwindelig vor Lust, hastig suchen meine Finger Knopf und Reißverschluss von Tais Hose, um diese zu öffnen. Mein Freund drängt mich, ohne sich von mir zu lösen, ein paar Schritte zurück, dann hebt er mich ein wenig hoch und setzt mich auf den Küchentisch. Mit seinen Händen treibt er meine Beine ein Stück auseinander, presst seinen Körper eng an meinen und gleitet mit seinen Fingern unter mein Hemd, während er den Kuss noch weiter intensiviert. Meine Haut kribbelt an den Stellen, welche er auf sinnliche Art berührt, wodurch meine Lust noch weiter gesteigert wird. Ich löse mich von Tais Lippen und hauche ihm lüstern ins Ohr: „Nimm mich, ich halte es nicht mehr aus. Dring tief in mich ein und fülle mich ganz aus, damit ich außer dir und dem Schmerz nichts spüren kann.“ Ich lasse mich nach hinten auf die Tischplatte sinken und gebe mich meinem Freund bereitwillig hin. Dieser entkleidet meinen Unterleib, lässt seine eigene Hose ein Stück herunter und winkelt meine gespreizten Beine an, um sie auf seinen Schultern zu platzieren. Mit ein paar kräftigen Stößen dringt er tief in mich ein. Der Rhythmus seiner Penetration ist schnell, schwer atmend werfe ich meinen Kopf in den Nacken und kratze mit meinen Nägeln über das Holz des Tisches. Ich spüre, dass sich durch die Bewegungen meine Haut entlang der Wirbelsäule leicht aufscheuert. „Yamato, ich möchte, dass du mich ansiehst, während wir Sex haben. Sieh mir in die Augen und nimm mich wahr. Nicht nur mit deinem Körper.“ Verlegen komme ich Tais Aufforderung nach und sehe in sein leicht verschwitztes, von Lust gezeichnetes Gesicht. „Stoß dich tiefer in mich, vereinnahme mich und bring mich um den Verstand.“ Sofort werden die Stöße meines Freundes härter, sodass ich mich begehrlich aufbäume und das Stöhnen nicht mehr unterdrücken kann. Der Tisch hält der auf ihn wirkenden Kraft nicht Stand und kratzt im Einklang mit unseren Bewegungen über den Boden. „Ist das gerade selbstverletzendes Verhalten?“ Ich muss nicht nachdenken, um zu antworten, bin aber selbst überrascht. „Nein. Ich will dich spüren, weil ich dich liebe.“ „Verspürst du Lust?“ „Ich nehme es an, denn dieses Gefühl habe ich nur bei dir.“ Tais Blick lässt keine Regung erkennen, stattdessen nimmt er mich härter, wobei er sehr ausdauernd ist und mich somit in die Ekstase treibt. Als er sich aus mir zurückzieht und seine Kleidung wieder richtet, bleibe ich keuchend auf dem Tisch liegen. Mein Körper scheint von innen heraus zu brennen. Ein merkwürdiges Gefühl stellt sich ein, welches ich nicht als positiv oder negativ zu benennen vermag. Ich versuche es beiseite zu schieben und setze mich auf. „Ich könnte es gar nicht vergessen.“ „Was?“, fragt mein Freund irritiert und schaut mich an. „Dass ich dir gehöre. Du bist bereits viel zu tief in mir. Dein Sperma, wenn du in mir kommst, ist der beste Beweis. Aber auch der Schmerz, den du mir gibst, das Verlangen, das du in mir weckst und…“ „Yamato“, unterbricht er mich. Sanft zieht er mich zu sich und in eine liebevolle Umarmung. „Es ist genug. Du musst mir nichts beweisen. Zumindest nicht mit Worten. Versuche einfach entsprechend zu handeln und vergiss nicht, dass du mir gehörst.“ Tai greift derb in meine Haare und zieht sie schmerzhaft nach hinten. Mit seinem Gesicht kommt er meinem so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Haut fühlen kann. „Wenn du dich noch einmal von jemand anderem anfassen lässt, werde ich im schlimmsten Fall euch beide töten. Jedenfalls kann ich für nichts garantieren, also rate ich dir, es nicht darauf ankommen zu lassen.“ Seine Augen verraten mir, dass er keineswegs scherzt. Lächelnd streiche ich ihm über die Wange. „Du bist süß, wenn du eifersüchtig bist.“ „Warum hast du dich letztlich doch auf mich eingelassen?“, frage ich zusammenhangslos, während ich auf meinem Bett liege und Tai dabei zusehe, wie er in feindlichem Gebiet nach Gefangenen sucht, um sie zu befreien. „Wie meinst du das?“ Er wirkt irritiert, aber ich merke, dass der größere Teil seiner Aufmerksamkeit noch immer dem Spiel gilt. „Mein Verlangen nach dir hattest du anfangs noch nicht einmal ernst genommen. Als ich dir sagte, dass ich mehr als nur Freundschaft will, war deine einzige Antwort, dass du mich nicht lieben würdest und es auch niemals könntest. Als ich dich dennoch nehmen wollte, hattest du dich sogar ernsthaft gewehrt, wodurch der Sex fast einer Vergewaltigung gleichkam.“ Mein Freund hält in seinem Spiel inne und schaut mich bitter lächelnd an. „Genau genommen war es eine Vergewaltigung.“ „Nein, du warst erregt. Und auch wenn du anfangs verzweifelt versucht hast von mir loszukommen, so hat es dir am Ende doch gefallen, von mir gefickt zu werden. Ansonsten hättest du mich angezeigt und dich von mir abgewendet, habe ich nicht recht?“ „Wenn ich ehrlich sein soll, war es vor allem deine Aufdringlichkeit und deine Unnachgiebigkeit, die mich an dir fasziniert haben und weshalb ich mich letztlich auch auf dich eingelassen habe. Deine Besessenheit sowie deine Rücksichtslosigkeit haben mich an dich gebunden. Zugegeben, anfangs habe ich dich nur benutzt, um meine Langeweile zu vertreiben, aber deine kompromisslose Art hat mich schnell eines Besseren belehrt.“ „Hat sich denn daran etwas geändert? Benutzt du mich jetzt nicht mehr?“ „Doch, um meine eigene Lust zu befriedigen. Ich will dich besitzen, dich von mir abhängig machen und dir Schmerz zufügen. Außer mir sollst du niemanden mehr haben.“ Ich grinse. „Das heißt, du bist mir inzwischen verfallen? Was wäre, wenn ich dich jetzt verließe, weil du mir aufgrund deiner Abhängigkeit nicht mehr geben kannst, was ich brauche?“ Ohne ein Wort zu sagen steht Tai auf und kommt zu mir herüber. Meine Reaktion ist zu langsam, sodass ich gegen seine Gewalt nicht ankomme. Grob dreht er mich auf den Rücken, setzt sich auf meine Oberschenkel und legt seine Hände um meinen Hals. Ungewöhnlich stark drückt er zu, sodass ich nicht einmal mehr husten kann, geschweige denn schlucken. Sofort verschwimmt mein Sichtfeld, schwarze Punkte beginnen vor meinen Augen zu tanzen und ein Rauschen legt sich auf meine Ohren. „Wenn du sterben möchtest, kannst du mir das auch ganz direkt sagen, mein Liebling. Dafür musst du nicht den subtilen Weg wählen. Zudem gehörst du mir, du kannst mich nicht einfach verlassen.“ Mein Freund verstärkt den Druck auf meine Kehle weiter und bringt mich damit an den Rand meines Bewusstseins. „Taichi…“, flüstere ich kaum hörbar. Meine Wahrnehmung schwindet und ich kann meinen Freund nicht sehen, obwohl ich meine Augen noch nicht geschlossen habe. „Shhh…“ Ich spüre, dass er mir einen Finger auf den Mund legt, um mich zum Schweigen zu bringen. Seine Haut ist eiskalt. „Bleib ganz ruhig, mein süßer Yamato. Gleich wirst du für immer mir gehören. Niemand wird dich mir dann noch wegnehmen, niemand wird dich mehr schänden und du kannst dich niemandem mehr hingeben.“ Der Wahnsinn spricht aus Tai, doch ich bin nicht mehr in der Lage, etwas zu erwidern. Würde ich ihm in die Augen schauen können, wäre sein Blick starr auf mich gerichtet und ich hätte das Gefühl, ein Fremder würde mich ansehen, grausam und besessen zugleich. „Ich liebe dich, Yamato! Hörst du? Ich liebe dich. Warum, verdammt nochmal, reiche ich dir nicht? Warum lässt du dich von anderen vögeln oder dir schlimme Dinge zufügen? Weißt du eigentlich, wie weh das tut? Allein der Gedanke, dass andere dich anfassen, widert mich an!“ Tai schüttelt mich leicht, ohne die Hände von meinem Hals zu nehmen. Ich bin mittlerweile zu schwach, um auf irgendetwas zu reagieren, aber Tränen laufen mir seitlich das Gesicht hinab. Sie fühlen sich heiß auf meiner Haut an. Das Letzte, das ich mitbekomme, sind Tais Lippen, die meine sanft berühren, bevor ich das Bewusstsein verliere. Ich öffne meine Augen. Mein Hals schmerzt und der Druck auf meinem Kehlkopf ist unangenehm. Für einen Moment fehlt mir jegliche Orientierung. Langsam versuche ich mich aufzusetzen, lasse mich aber sofort auf die Matratze zurückfallen, als der stechende und pulsierende Schmerz in meinem Kopf unerträglich wird. Mit einem leisen Stöhnen schlage ich mir die Hände vor das Gesicht. Tai hat mich also doch nicht getötet. Ich frage mich, was ihn davon abgehalten hat. Erneut versuche ich aufzustehen. Nach etlichen Fehlschlägen gelingt es mir und ich schleppe mich schwerfällig zu meinem Schrank, um ein paar Schmerztabletten zu holen. Diese schlucke ich gierig eine nach der anderen ohne Wasser hinunter. Letztlich geben meine Beine nach, da sie mein Gewicht nicht mehr tragen können, und ich sinke den Schrank entlang nach unten in eine halb sitzende Position. Ich atme tief durch, ruhe mich einen Moment aus, dann gelingt es mir unter großem Kraftaufwand, wieder aufzustehen. Langsam und bedächtig verlasse ich mein Zimmer. Als ich die Küche betrete, liegt mein Freund mit dem Kopf auf seinen verschränkten Armen und scheint zu schlafen. Ich setze mich ihm gegenüber und betrachte sein Gesicht. Es ist schön, doch um die Augen glaube ich Spuren von Tränen zu erkennen. Unbändiges Verlangen, ihn zu berühren, zwingt mich dazu, wieder aufzustehen. Vor ihm gehe ich auf die Knie, doch als ich mit meinen Fingern seine Haare berühren will, schaut er mich an und packt mich am Handgelenk. Erschrocken weiche ich zurück, doch Tai verstärkt seinen Druck und hält mich fest. Sanft streicht er mit seiner anderen Hand über meine Wange, hinab zu meinem Hals. „Würgemale. Ganz leicht, aber dennoch sichtbar.“ Die Stimme meines Freundes ist ruhig, beinahe emotionslos. „Bring zu Ende, was du angefangen hast“, verlange ich von ihm und verleihe dem Nachdruck, indem ich seine Finger um meinen Hals lege. Er drückt zu, lässt aber sofort wieder los. „Nein. Ich will, dass du lebst, wenn schon nicht für dich, dann wenigstens für mich. Warum willst du eigentlich sterben, wenn Schmerz dir doch so wichtig ist? Im Tod spürst du nichts mehr, aber das Leben hat doch kaum etwas anderes zu bieten. Ebenso die unzähligen Schmerz- und Schlafmittel, die du schluckst, um dich irgendwie zu betäuben. Yamato, merkst du nicht, dass sich das alles widerspricht?“ „Nicht für mich.“ Ich lege meine Finger auf die meines Freundes und zwinge ihn erneut zuzudrücken. Er begegnet dem mit einem traurigen Lächeln. „Ich gebe dir jeden Schmerz, den du dir wünschst, aber den Tod werde ich dir noch nicht schenken. Und mir ist jedes Mittel recht, dich am Selbstmord zu hindern, auch wenn das bedeutet, dass ich dich wieder in die Obhut der Psychiatrie geben muss.“ Ich schaue ihn ungläubig an. Plötzlich zieht er mich am Handgelenk, welches er noch immer festhält, dicht zu sich heran. Ich spüre seinen warmen Atem auf meiner Haut. Die Nähe zu ihm erregt mich. „Du sagtest, du würdest mir jeden Schmerz zufügen. Gut, dann schneide mir den Arm auf. Jetzt.“ Zwar flüstere ich die Worte, dennoch klingen sie wie eine Herausforderung. Unerwartet gibt Tai mir einen Kuss auf die Stirn, dann lässt er mich los und geht zum Schubfach, in dem sich die Messer befinden. Mit einem der handlicheren Schneidwerkzeuge setzt er sich wieder auf den Stuhl vor mir. Ich knie noch immer auf dem Boden, meinen Freund keine Sekunde aus den Augen lassend. In gespannter Erwartung lauere ich auf seine Reaktion. „Zieh deinen Ärmel hoch“, sagt er im Befehlston. Etwas verwundert tue ich, was er sagt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er ernst machen würde. Eingehend betrachtet er die relativ frischen Wunden, auf denen sich aber bereits Verschorfungen gebildet haben. „Na mach schon“, dränge ich ungeduldig und fordere ihn zugleich heraus. Er sieht mich nicht an, setzt die Schneide auf meine Haut und zieht schnell durch. Sofort quillt dunkles Blut aus der Wunde und tropft in kurzen Abständen auf meine Hose und zu Boden. Ich betrachte die Stelle meines Armes, von der allmählich der Schmerz kommt. Die zerteilte Haut klafft ein Stück weit auseinander. Der Anblick erregt und beruhigt mich gleichermaßen. Ich schaue Tai an, doch dieser blickt nur abwesend auf sein Machwerk. Die rote Körperflüssigkeit fließt unaufhörlich weiter aus der Wunde, aber niemand von uns beiden zeigt eine Reaktion. Eine Weile sitzen wir nur bewegungslos da, bis Tai plötzlich seinen Kopf hebt und mich mit Tränen in den Augen ansieht. „Bist du jetzt zufrieden? Gehörst du nun allein und endgültig mir?“ Ungeachtet des Blutes, welches nur noch gemäßigt aus der Wunde sickert, ziehe ich meinen Freund in eine Umarmung. Liebevoll streiche ich ihm durch die Haare und drücke ihn noch fester an mich. „Ich gehöre dir schon seit langer Zeit“, besänftige ich ihn, erreiche jedoch lediglich das Gegenteil. Heftig beginnt er sich zu wehren, schafft es, sich aus der Umarmung zu befreien, und stößt mich kraftvoll von sich, sodass ich mit dem Rücken hart gegen den Küchenschrank schlage. „Verarsche mich nicht!“, schreit er mich wütend an. „Hat dich dieser eine Fick wirklich so sehr aus der Bahn geworfen?“, entgegne ich genervt. „Lerne endlich damit zu leben. Ich kann es nicht ungeschehen machen, verdammt nochmal!“ „Du Heuchler! Selbst wenn du könntest, würdest du es nicht tun, da du den Sex mit diesem Widerling nicht einmal bereust. Sei wenigstens ehrlich!“ „Ja, du hast Recht. Und ich würde auch wieder mit ihm schlafen, wenn ich noch einmal vor der Entscheidung stünde.“ „Ebenso wie bei allen anderen, für die du die Beine breit gemacht hast. Kommst du dir eigentlich nicht billig vor? Nimm wenigstens Geld dafür, dann hat es noch einen Nutzen.“ Ich will etwas entgegnen, mich verteidigen und ihm sagen, dass er der Einzige ist, mit dem ich schlafe, entscheide mich aber anders, da ich wenig Sinn in einer Verteidigung sehe. Stattdessen gehe ich auf seine Bemerkung ein. „Vielleicht sollte ich das wirklich tun“, werfe ich ihm aufgebracht an den Kopf. Tai steht auf und kommt auf mich zu. Er packt mich fest am Hals und drückt meinen Körper brutal gegen den Schrank. „Falls du das tust…“ Mit seinen Fingern gleitet er meinen Arm hinab, dann gräbt er rücksichtslos seine Nägel in die von ihm zugefügte Wunde. Ein lauter Schmerzensschrei entweicht meiner Kehle und ich zucke heftig zusammen. Verzweifelt winde ich mich und versuche von ihm loszukommen, schaffe es jedoch nicht. Zu fest hat mich mein Freund im Griff. „Was soll das?“, frage ich mit einer Mischung aus Empörung, Irritation und Qual in der Stimme. Doch Tai verstärkt nur den Druck seiner Nägel und kratzt sich tiefer in mich hinein. Ich versuche die Tränen, die mir in den Augen brennen, zurückzuhalten, da ich mir diese Blöße nicht geben möchte. „Ich zeige dir deine Grenzen auf und anders verstehst du es offenbar nicht.“ Nun beginne ich mich ernsthaft zu wehren. Mit meinen Füßen versuche ich nach ihm zu treten, doch meine Position ist ungünstig, sodass ich ihn nicht treffe. Er lässt meinen Hals los und greift nach meinem Bein. Unter Gewaltanwendung drückt er es zur Seite und drängt seinen Körper zwischen meine nun gespreizten Beine. Seine Fingernägel sind mittlerweile blutig, ebenso wie Teile seines Handtellers, dennoch verharren seine Fingerkuppen in der Wunde. Eng an den Schrank gepresst hat Tai mich nahezu bewegungsunfähig gemacht. Mit meiner freien Hand ziehe ich ihn stark an den Haaren, was ich sofort mit einem Kratzen in meiner Wunde quittiert bekomme. Wieder kann ich einen Schrei nicht unterdrücken, allerdings schaffe ich es weiterhin, die Tränen zurückzuhalten. Langsam wird der brennende und stechende Schmerz zu einem tauben Schmerz. Mein Freund nimmt seine Hand von meinem Bein und umfasst erneut meine Kehle, aber mit solch einer Härte, dass mein Hinterkopf gegen den Küchenschrank stößt. „Was ist los, Yamato? Wieso wehrst du dich? Ich denke, du stehst auf Schmerzen. Genau die gebe ich dir gerade. Und keine Sorge, das war es noch lange nicht.“ Mit verschleiertem Blick schaue ich Tai in die Augen. Ich bezweifle, dass er mich in dieser Verfassung überhaupt wirklich sieht. Er steckt in irgendeinem Wahn, der seinen Verstand aussetzen lässt und meinen Freund sehr gefährlich macht. Seine Handlungen sind jetzt unberechenbar und ich muss feststellen, dass mir dieses Spiel langsam gefällt. „Na los, dann gib mir mehr Schmerz“, provoziere ich ihn mit verzerrtem Lächeln. „Oder kannst du nur reden?“ Umgehend langt Tai nach dem Messer, welches er vorhin achtlos auf den Boden gelegt hat. Seine blutigen Finger umfassen entschlossen den Griff. Scheinbar ohne nachzudenken fügt er mir eine weitere Verletzung auf meinem Arm, kurz über der bereits vorhandenen, zu. Diese klafft noch ein Stück weiter auf als die vorherige und ebenfalls fließt Blut aus dem frischen Schnitt. Ich habe das Gefühl, mein Freund geht unwillkürlich und unbedacht vor, die Kontrolle ist ihm längst entglitten. Er verstärkt den Druck auf meine Kehle wieder und bringt mich damit zum Husten. Tai lächelt. „Soll ich dir ein Stück Fleisch aus deinem Arm herausschneiden? Es bietet sich gerade an. Oder soll ich es dir lieber herausreißen?“ Bei diesen Worten stößt er den Nagel seines Daumens in die eine, den des Zeige- sowie Mittelfingers in die andere Wunde. Meine Schreie erfüllen die gesamte Wohnung, als mein Freund seine Finger zusammenkneift, um offenbar tatsächlich ein Stück Fleisch von meinem Arm abzutrennen. Ich ergebe mich dem Schmerz, den Kampf gegen meine Tränen habe ich verloren. Ungehindert laufen sie über mein Gesicht, manche bahnen sich ihren Weg bis zum Hals, wo sie letztlich Tais Haut berühren. Der umfasst mit seiner Hand noch immer meine Kehle, hat den Druck aber nicht weiter verstärkt. Halbherzig versuche ich noch einmal mich von meinem Freund zu befreien, indem ich mit meiner Hand an seinem Shirt ziehe, damit er von mir ablässt. Erfolglos. Ich bin mittlerweile zu geschwächt, um ihm wirklich etwas entgegensetzen zu können. Der Schwindel in meinem Kopf ist zu groß. „Spürst du den Schmerz?“ Lieblos drückt er mir einen Kuss auf die Lippen. „Ich liebe dich, mein süßer Yamato, und ich möchte dich glücklich machen.“ Endlich lässt er ab von meinem Arm, aus dem noch immer rote Körperflüssigkeit quillt, und streicht mir mit der blutigen Hand grob über die Wange. Unsere Blicke treffen sich, doch Tais Augen sind noch immer kalt und abwesend. Er ist nach wie vor in seinem Wahnsinn gefangen und langsam bezweifle ich, dass er jemals zu mir zurückkommt. „Taichi… komm, drück zu. Beende es diesmal wirklich.“ Ich lächle sanft, als ich ihm zusätzlich das Messer in die Hand gebe und diese zu meinem Brustkorb führe. Mit der anderen Hand öffne ich die Knopfleiste meines Hemdes. „Orientiere dich an den Rippenbögen, damit du nicht an ihnen scheiterst, wenn du die Klinge in mein Fleisch treibst.“ Ich ziehe Tais Handgelenk weiter zu mir, wodurch sich die Spitze des Messers langsam durch die oberste Hautschicht bohrt. Unerwartet schnell entwindet er sich meiner Hand und hält die Schneide stattdessen über seiner anderen Hand an meinen Hals. „Ich warne dich, du spielst ein gefährliches Spiel.“ „Nur deshalb spiele ich es überhaupt.“ Zärtlich und voller Verlangen berühre ich die Wange meines Freundes, hinab zu dessen Hals, den Oberkörper entlang bis hin zu seiner Hose. Tai legt das Messer beiseite und hindert meine Hand mit einem schmerzhaften Griff an ihrem Vorhaben. „Du willst Sex? Dann geh dich verkaufen. Am besten gibst du dich den perversen Fantasien von alten, lüsternen Säcken hin, damit verdienst du wahrscheinlich am meisten.“ „Ich will mich aber gerade niemandem hingeben, sondern dich ficken.“ Meine Stimme verrät mein unbändiges Begehren und dass ich sehr harten, brutalen Sex meine. Aufgrund meiner geschwächten Verfassung wende ich Kenntnisse aus dem Kampfsport an, um mich aus Tais Gewalt zu befreien und ihn zu überwältigen, ebenso wie damals, als ich ihn das erste Mal genommen habe. Nun liegt mein Freund auf dem Bauch, die Arme halte ich ihm auf den Rücken gedreht fest. Ich knie mit gespreizten Beinen in Höhe seiner Oberschenkel über ihm und bin dabei, seine Hose zu öffnen. Tais Gegenwehr ist heftig und ich habe Schwierigkeiten, ihn in dieser Position zu halten. Letztlich schafft er es mit einem gezielten Tritt in meinen Rücken, mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sofort dreht er sich und versetzt mir einen Schlag in die Magengrube. Ich gerate ins Wanken, wodurch Tai sich endgültig von mir befreien kann. Er steht auf und schaut herablassend auf mich hinab. „So leicht lasse ich mich nicht noch einmal von dir vergewaltigen. Im Gegensatz zu dir stehe ich nämlich nicht so sehr darauf.“ „Schade, denn ich werde es tun, wenn es sein muss. Immer und immer wieder“, presse ich gequält lächelnd hervor. Langsam versuche ich mich zu erheben, um mit meinem Freund auf Augenhöhe zu sein, doch dieser verhindert es mit einem schmerzhaften Tritt in den Bauch, der mich schließlich zu Boden bringt. Tai hockt sich zu mir herunter und hebt mein Kinn, sodass ich gezwungen bin ihn anzusehen. „Und ich werde dich immer wieder zu Boden bringen, wenn du meinst mich herausfordern zu müssen. Du bist mein Eigentum und ich kann mit dir machen, was immer ich will. Das habe ich dir bereits mehr als einmal bewiesen. Ich weiß, dass ich dir damit sogar einen Gefallen tue, aber irgendwann werde ich deine Grenzen überschreiten. Dann kann ich dich erniedrigen und dir so echten, vor allem sehr unangenehmen, Schmerz zufügen.“ Ich lache laut auf. „Darauf willst du also hinaus. Ich bin gespannt, wie du das schaffen willst.“ Mein Freund lächelt sanftmütig. „Armer, kleiner Yamato. Du merkst es nicht, oder?“ Er zieht meinen Kopf an den Haaren nach hinten. „Du liegst doch bereits am Boden. Es ist also nur noch ein kleiner Schritt.“ Sofort versuche ich trotzig mich zu erheben, werde jedoch von Tais Faust in meiner Magengegend davon abgehalten. Stöhnend falle ich zurück auf den Boden. Der Schlag meines Freundes war ohne Zurückhaltung. Er steht auf und liefert noch einen Tritt nach, der mich endgültig außer Gefecht setzt. Wimmernd krümme ich mich zusammen. „Bleib, wo du bist, denn da gehörst du hin“, sagt Tai kalt, bevor er die Küche verlässt. Ich muss ein erbärmliches Bild abgeben, zumindest fühle ich mich so. Ein gequältes und bitteres Lachen entweicht meiner Kehle und steht im Gegensatz zu den Tränen, die meine Wangen hinablaufen. Wenn Taichi wüsste, wie oft er sein Ziel bereits erreicht hat, würde er sich mit Sicherheit von mir abwenden. Er würde wahrscheinlich das Interesse verlieren, ich könnte seiner Langeweile nichts mehr entgegensetzen. Die aufkommende Angst lähmt mich, kurz darauf stellt sich eine gefährliche Apathie ein. Das Pulsieren der Wunden an meinem Arm nehme ich nicht mehr wahr, allerdings hat auch inzwischen die Gerinnung eingesetzt und die Wunden dadurch notdürftig verschlossen, sodass sie aufgehört haben zu bluten. Ich liege auf dem Bett in meinem Zimmer und starre abwesend zur Decke. Seit dem Vorfall in der Küche ist die Beziehung zwischen Tai und mir nahezu eingefroren. Wir haben kaum ein Wort miteinander gesprochen, es gab noch nicht einmal zufällige Berührungen, fast als würde mein Freund mir absichtlich aus dem Weg gehen. Dabei sind mittlerweile Winterferien. Das Neujahrsfest war ruhig und ereignislos verlaufen. Ich telefonierte mit meinem Vater, der wissen wollte, wie es uns geht und ob wir zurechtkommen. Es tat mir leid, dass ich ihn belügen musste, aber die Wahrheit konnte ich ihm schlecht erzählen. Zudem log ich nicht das erste Mal, sodass dieses eine Mal nicht mehr ins Gewicht fällt, auch wenn ich es hasse, meinen Vater zu belügen. Immer wieder geht mir die Frage durch den Kopf, ob Tai zum Schluss wieder bei Verstand war, und falls ja, wann und wodurch seine Dissoziation endete. Welche seiner Handlungen tat er mit vollem Bewusstsein und absichtlich? Denn diesmal legte er eine Brutalität an den Tag, die ich so nicht von ihm kannte. Ich hebe meinen Arm und betrachte die langsam heilenden Wunden. Die Schnitte waren tief, auch behinderte ich die Heilung zusätzlich, indem ich sie einige Male erneut öffnete. Sanft küsse ich die Stigmata, welche Tai mir hinterlassen hat. Ob das seine Intension war? Wollte er mich ebenso zeichnen, wie ich ihn gezeichnet habe, und mich so weiter an sich binden? Er müsste wissen, dass das nicht möglich ist. Ich bin ihm bereits hoffnungslos verfallen. Aber mir gefällt, wie er mich in solchen Momenten behandelt, es erregt mich sogar bis zu einem gewissen Punkt. Danach fühlt es sich nur noch erniedrigend und erbärmlich an. Aber mein Freund hat recht, genau da gehöre ich hin. Und auch wenn die Behauptung Tais und meines Vaters, ich würde mich ständig von irgendwelchen Männern ficken lassen, nicht stimmt, fühle ich mich oft, als entsprächen sie der Wahrheit. Vielleicht sollte ich dem Vorschlag meiner Mitmenschen nachgehen und mich an fremde Männer verkaufen. Dann stimmt wenigstens mein Gefühl mit der Realität überein und Tais Vorwürfe wären begründet. Ich setze mich auf und sehe mich in meinem Zimmer um. Auf dem Tisch erblicke ich eine Zigarettenschachtel samt Feuerzeug und diverse Medikamentenpackungen, von denen mehr als die Hälfte leer über den Tisch verstreut liegen. Da mein Freund seit jener Sache im Zimmer meines Vaters schläft und auch sonst keinen Kontakt zu mir sucht, sehe ich keine Notwendigkeit mehr, die Tabletten zu verstecken. Wahrscheinlich wäre es ihm sogar egal. Langsam stehe ich auf. In letzter Zeit habe ich leichte Gleichgewichtsprobleme, weshalb ich mich mit mehr Bedacht bewege. Vor dem Tisch bleibe ich unentschlossen stehen, entscheide mich schließlich aber für eine Packung Schmerzmittel, da ich ein leichtes, aber permanent penetrantes Drücken in meinem Kopf verspüre. Ich entnehme einige Tabletten und schlucke sie mit Wasser aus meiner Flasche hinunter. Schon jetzt weiß ich, dass sie nicht wirken werden, denn wenn bei dieser Art von Kopfschmerz selbst die zwanzigste Tablette keine Wirkung zeigt, wie es schon mehrmals der Fall war, dann wird außer den starken verschreibungspflichtigen Mitteln nichts helfen. Aber die Menge, die ich bräuchte, würde ich von keinem Arzt verschrieben bekommen, da bin ich mir sicher. Ich nehme eine Zigarette aus der Schachtel und entzünde sie, dann gehe ich zum Fenster, um es zu öffnen. Den Rauch blase ich in die Kälte der Nacht, nachdem ich ihn tief in meine Lunge eingesogen habe. Vorsichtig beuge ich mich etwas vor und sehe, dass nebenan Licht brennt. Tai ist also noch wach. Vermutlich lernt er für die Aufnahmeprüfungen der Universität, die Ende des Monats stattfinden. Gedankenverloren nehme ich den Filter in den Mund und ziehe daran. Ich atme den Rauch ein, bis meine Lungen schmerzen, dann lasse ich ihn sanft zwischen meinen Lippen entweichen. Diese Prozedur wiederhole ich, bis die Zigarette heruntergebrannt ist. Den übriggebliebenen Filter werfe ich aus dem Fenster, danach schließe ich es wieder. Ich sehne mich nach meinem Freund, nach seiner Nähe, seinem Geruch, seiner Stimme und seinen Augen, aber auch nach seinem Körper. Sich immer nur einen runterzuholen macht auf Dauer keinen Spaß. Ich will seine Haut, seine Hände und ihn in mir spüren. Ich merke, wie allein der Gedanke an Tai mich erregt. Zögernd stehe ich auf und verlasse mein Zimmer. Im Flur ziehe ich Stiefel und Mantel an, nehme den Schlüssel und mein Portemonnaie von der Kommode und verlasse die Wohnung. Als ich die Tür aufschließe und eintrete, ist in der Wohnung alles dunkel. Tai scheint mittlerweile ins Bett gegangen zu sein. Leise laufe ich durch den Flur zu meinem Zimmer. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es bereits nach halb fünf ist. Erschöpft lasse ich mich auf das Bett fallen. Ob Tai wirklich schläft? Ich frage mich, ob ich gerade dabei bin, ihn zu verlieren. Angst kommt in mir auf und ich beginne zu zittern. Ich muss ihn irgendwie an mich binden, notfalls mit Gewalt. Er darf mich nicht verlassen. Niemals. Ich werde ihn auf keinen Fall gehen lassen, eher töte ich ihn. Dann wäre auch der Grund verschwunden, weshalb ich noch am Leben bin. Ich stehe auf, gehe zum Fenster, um eine Zigarette zu rauchen, und schaue nachdenklich auf die beleuchteten Straßen. Während ich überlege, wie ich weiter vorgehen sollte, bemerke ich nicht, dass ich die Zigarette bereits bis zum Filter geraucht habe. Erst als ich erneut daran ziehe und mir Mund und Finger leicht verbrenne, kehre ich gedanklich in die Gegenwart zurück und werfe den Rest der Zigarette aus dem Fenster. Vom Tisch nehme ich einige Schlaftabletten und schlucke sie hinunter, anders werde ich keinen Schlaf finden. Dann gehe ich ins Bad, um zu duschen. Ich fühle mich dreckig, aber diesmal weiß ich, dass es auch tatsächlich so ist. Im Bad entkleide ich mich fast mechanisch. Das Wasser stelle ich auf heiß. Es schmerzt etwas auf der Haut, aber das nehme ich nur entfernt wahr. Meine Tränen vermischen sich mit dem Duschwasser in meinem Gesicht. Ich habe das Gefühl, zu ersticken, und breche weinend zusammen, während das heiße Wasser unaufhörlich auf mich niederprasselt. Wie erschlagen sitze ich in der Küche und nippe an meinem lauwarmen Kaffee. Die Tabletten haben wieder ganze Arbeit geleistet und mich bis weit in den Nachmittag hinein komatös schlafen lassen. Ich weiß nicht einmal, ob Taichi zu Hause ist. Auch frage ich mich, ob er mitbekommen hat, dass ich die Wohnung in der Nacht noch einmal verlassen habe. Ich schiebe meine Tasse beiseite und vergrabe mein Gesicht in den auf dem Tisch verschränkten Armen. In dieser Position fand ich meinen Freund letztes Mal vor, dann eskalierte die ganze Situation. Aber wenn ich genau darüber nachdenke, entglitt Tai schon zuvor die Kontrolle. Generell fällt mir auf, dass dies öfter in letzter Zeit passiert. Einerseits erregt mich sein Verhalten sehr, doch ich merke auch, dass Tai sich verändert hat. Er wird schnell aggressiv und vor allem brutal, auf der anderen Seite wirkt er sehr zurückgezogen, beinahe in sich gekehrt, zeitweilig sogar abweisend. Am schlimmsten ist aber, dass ich mir so hilflos vorkomme, weil ich weiß, dass ich daran schuld bin. Wieder drängt sich mir der Gedanke auf, dass mein Freund ohne mich besser dran wäre. Kaum ignorierbares Verlangen steigt in mir auf. Ich möchte mich schneiden, den Schmerz spüren, um mich daran festhalten zu können. Tai. Es macht mich wahnsinnig, dass er sich mir entzieht. Nervös wippe ich mit dem Fuß auf und ab. Genervt von mir selbst fasse ich den Entschluss, ins Bad zu gehen. Als ich die Tür öffne, verlässt mein Freund gerade sein Zimmer. Unsere Blicke treffen sich und wir bleiben beide stehen. „Taichi…“ Meine Stimme klingt kratzig vom in letzter Zeit seltenen Gebrauch. „Hast du dich entschieden doch wieder mit mir zu sprechen?“, fragt mein Freund für mich unerwartet. Irritiert schaue ich ihn an. „Was meinst du? Du bist mir doch aus dem Weg gegangen.“ „Bin ich nicht. Warum sollte ich auch?“ „Weil du genug von mir hast, was ich sogar verstehen würde.“ Gegen meinen übermächtigen Selbsthass ankämpfend schaue ich zu Boden. Tai macht einen Schritt auf mich zu und berührt zaghaft meine Hand. „Ich werde nie genug von dir haben. Und ich frage mich, warum du so besessen von diesem Gedanken bist. Ich glaube, du willst dich nur selbst daran verletzen, und das ist ziemlich egoistisch.“ Nun zieht er mich an sich und in eine innige Umarmung. Sein Atem kitzelt an meinem Ohr, als er flüsternd hinzufügt: „Ich werde dir so lange begreiflich machen, dass du mir gehörst, bis du es verstanden hast. Ich liebe dich und ich werde dich nicht teilen. Niemand außer mir darf dich beschmutzen, dein Körper…“ „Hör auf“, unterbreche ich meinen Freund, bereue aber zeitgleich mein auffälliges Verhalten. Vorsichtig löse ich mich aus Tais Umarmung und trete einen Schritt zurück. „Es tut mir leid, ich fühle mich momentan nicht so gut. Ich mache mir schnell einen Kaffee. Möchtest du auch welchen?“ „Es kommt mir so vor, als würdest du mir ausweichen und vom Thema ablenken wollen. Warum, Yamato?“ „Nein, ich bin nur sehr müde und habe Kopfschmerzen“, entgegne ich wahrheitsgemäß. „Wie viele Tabletten waren es diesmal?“, fragt mein Freund trocken. „Anscheinend nicht genug.“ Kaum habe ich diesen Satz ausgesprochen, spüre ich einen zwiebelnden Schmerz in meinem Gesicht. Mit einer Mischung aus Wut und Trauer sieht Tai mich an. Dann geht er zurück in sein Zimmer. „Kaffee nehme ich mir selbst“, ruft er noch, bevor er die Tür schließt. Ratlos und mit schmerzender Wange bleibe ich im Flur zurück. Als ich das Klassenzimmer betrete, gehe ich zielgerichtet zu dem Tisch meines Klassenkameraden. „Lange nicht gesehen, Yamato“, begrüßt er mich mit einem Grinsen. „Hat dich mein Angebot so verstört, weil du seitdem nicht mehr zur Schule gekommen bist?“ „Hast du mich etwa vermisst?“ Ein sarkastischer Unterton schwingt in meiner Frage mit. „Natürlich“, antwortet er im gleichen Tonfall. „Und, hast du darüber nachgedacht?“ „Ja, aber wie kommst du darauf, dass ich auf ein solches Angebot eingehen würde?“ „Du wirkst so und es passt zu dir.“ Er lächelt. „Inwiefern?“, frage ich mit ruhiger, kühler Stimme. „Du verhältst dich doch schon jetzt wie ein kleiner, widerlicher Stricher. Wenn du eh mit jedem rumvögelst, kannst du auch gleich Geld dafür nehmen, dann lohnt es sich gleich doppelt für dich.“ „Woher willst du wissen, dass ich mit jedem ins Bett gehe? Du kennst…“ Durch ein Lachen unterbricht mich mein Mitschüler. „Hältst du uns wirklich für blöd? Selbst dein beschränkter Freund sieht das Offensichtliche.“ Wütend packe ich meinen Klassenkameraden am Kragen und ziehe ihn ein Stück zu mir herauf. „Lass Taichi aus dem Spiel, wenn du noch eine Weile leben willst“, zische ich drohend in sein Ohr. Unbeeindruckt schlägt mein Mitschüler meine Hand beiseite und richtet seine Kleidung. Dann sieht er mich herablassend an. „Mich kannst du nicht einschüchtern, da ich keine Angst vor dir habe. Außerdem interessiert mich dieser unterbelichtete Fußballer nicht, sondern du.“ Bestimmt ergreift er mein Handgelenk und drückt schmerzhaft fest zu. Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen. „Ich dachte, du stehst nicht auf Männer. Was willst du also von mir?“ „Dir Leid und Schmerz zufügen, das solltest du langsam wissen.“ „Aber es ist nicht nur Hass, was du für mich empfindest, sondern auch Liebe.“ „Nein, du irrst dich. Das ist nur wieder ein Beweis für deine Arroganz und Selbstgefälligkeit. Dennoch muss ich zugeben, dass eine gewisse Anziehung da ist.“ „Würdest du noch einmal mit mir schlafen?“, frage ich unvermittelt. Am Handgelenk, welches er noch immer fest umschlossen hält, zieht er mich zu sich, bis sein Gesicht so dicht vor meinem ist, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren kann. Ich zucke zusammen, als die Schulglocke ertönt. „Nach dem Unterricht bleibst du auf deinem Platz sitzen“, flüstert er, bevor er mich loslässt. Nachdenklich und mit einem unguten Gefühl setze ich mich. Den Lehrer und seine Ausführungen nehme ich kaum wahr. Noch immer schmerzt mein Handgelenk an der Stelle, an der mein Klassenkamerad mich berührt hat. Mühsam steige ich die Treppe hinauf. Stufe um Stufe spüre ich, wie es in meinem Kopf stärker pulsiert. Mein gesamter Körper schmerzt bei jeder Bewegung. Ich höre Schritte, die mir entgegenkommen, doch ehe ich es richtig registrieren kann, steht Tai mit zwei Müllbeuteln in der Hand vor mir. „Yamato.“ Er macht eine kurze Pause und schaut mich traurig an. „Du kommst spät.“ Ich weiche seinem Blick aus und zwänge mich an ihm vorbei. „Ja, tut mir leid.“ Mit diesen Worten lasse ich ihn stehen und gehe die letzten Stufen zu unserer Wohnung hinauf. Ich setze die Klinge auf meinen Arm und ziehe sie langsam, aber druckvoll durch die helle Haut. Das zerteilte Fleisch klafft etwas auseinander und warmes Blut quillt heraus, um dann zu Boden zu tropfen. Ich schaue dabei zu, wie die rote Körperflüssigkeit sich verschiedene Wege über die Haut sucht, sich verzweigt oder auf halber Strecke gerinnt. Aber der Schmerz reicht noch nicht aus, um mein Verlangen danach zu stillen. Erneut ziehe ich die Rasierklinge durch dieselbe Wunde, wodurch der Schnitt tiefer wird und die Ränder weiter auseinandergehen. Mehrmals wiederhole ich diese Handlung und spüre, dass die Haut auch um die Verletzung herum empfindlicher wird und der Schmerz intensiver. Das erhoffte Durchatmen bleibt allerdings aus. Ich schneide noch einige Male mit der Rasierklinge über meinen Arm, gebe dann jedoch auf und werfe das kleine Metall wütend auf den Boden. Ich hasse diesen widerwärtigen, dreckigen Körper. Ich hasse mich und ich hasse mich für das, was ich tue. Was ich Taichi antue. Schwerfällig erhebe ich mich, entledige mich meiner Kleidung, ungeachtet dessen, ob ich sie mit Blut beschmutze, und stelle mich unter die Dusche. Ich drehe das heiße Wasser auf und zucke heftig zusammen, als es über meine Wunden läuft. Tränen steigen mir in die Augen und vermischen sich ebenso mit dem Duschwasser wie die noch immer fließende rote Körperflüssigkeit. Durch das heiße Wasser setzt die Gerinnung nicht ein, weshalb die Blutung nicht stoppt. Nur sind die Verletzungen nicht tief genug und an der falschen Stelle, um gefährlich zu sein. Ich würde gern sterben, aber grausamer und bestrafend ist es, am Leben bleiben zu müssen. Doch was nützt es, wenn ich Tai damit und durch mein Handeln mehr verletze als durch meinen Tod? Meine Haut ist mittlerweile schmerzhaft gerötet, doch ich bleibe bewegungslos. Erst ein Klopfen an der Tür löst meine Starre. „Yamato, bist du bald fertig? Ich müsste auch einmal ins Bad.“ Ich drehe das Wasser ab und hänge mir ein Handtuch um die Hüften. Gerade als ich die Tür öffnen möchte, erinnert mich ein stechender und brennender Schmerz in meinem Arm an die Verletzungen, welche noch versorgt werden müssen. „Moment, ich bin gleich fertig“, rufe ich, während ich aus dem Schrank die Verbandsmaterialien zusammensuche. „Beeil dich. Den Arm kannst du dir auch woanders aufschneiden.“ Sein Tonfall ist abfällig, dennoch sage ich nichts dazu. Notdürftig lege ich einen Verband an, trockne den Rest meines Körpers ab, sammle meine Kleidung vom Boden und ziehe mich hastig an. Schnell beseitige ich noch die Spuren meines Blutrausches, dann verlasse ich das Bad, ohne meinen Freund anzusehen, und gehe in mein Zimmer. Fast automatisch nehme ich ein paar Schmerztabletten ein, danach öffne ich das Fenster, um eine Zigarette zu rauchen. Nachdem ich mir eine zweite angezündet habe, kommt Tai plötzlich in mein Zimmer. Er wirkt entschlossen, denn er kommt direkt auf mich zu. Fordernd zwingt er mir einen Kuss auf, seine rechte Hand an meinen Hinterkopf gepresst, die andere umfasst meine Hüfte, wodurch er meinen Unterleib fest gegen seinen drückt. Ich gehe auf seinen Kuss ein, mit Tai fühlt es sich so gewohnt, richtig und gut an. „Nimm mich“, flüstere ich in einer kurzen Atempause und werfe meine fast abgebrannte Zigarette aus dem Fenster. „Nein.“ Er stößt mich von sich. Seine Augen haben mich fixiert und schauen mich geringschätzig an. Ich erwidere seinen Blick und mache einen Schritt auf ihn zu. Ohne Vorwarnung versetze ich ihm einen gezielten Schlag in den Magen, sodass er stöhnend zu Boden sinkt. Ich drehe ihn auf den Bauch, wobei ich seinen Kopf brutal auf den Teppich drücke. Mit wenigen Handgriffen öffne ich seine Hose und ziehe sie ein Stück nach unten. Mein Freund versucht sich zu wehren, indem er mit seinen Armen nach mir schlägt, allerdings ist seine Position ungünstig, sodass er mich nicht trifft. Zitternd vor Erregung öffne ich meine eigene Hose. „Yamato…“ Seine Stimme klingt drohend, doch ich lasse ihn nicht ausreden und dringe mit einem kräftigen Stoß in ihn ein. Ein leiser Schmerzensschrei entweicht Tais Kehle, wodurch ich noch mehr erregt werde und tiefer in ihn eindringe. „Du Bastard!“, speit er mir hasserfüllt und gequält keuchend entgegen. „Dein Körper spricht eine andere Sprache als deine Worte.“ Meine Bewegungen werden rhythmischer, verlieren aber nicht an Intensität. Ich lasse den Kopf meines Freundes los und lege meine Hand an seine Hüfte. Tai hat aufgehört sich zu wehren, sein Stöhnen wird gleichmäßig und lustvoller. „Ich bin froh, dass du noch auf mich reagierst“, keuche ich. „Ich liebe dich, Taichi. Und ich ertrage es nicht, wenn du dich von mir distanzierst. Du darfst mich nicht verlassen. Niemals, hörst du?“ Ich verleihe meinen Worten Nachdruck, indem ich härter zustoße, sodass es meinem Freund Schmerzen bereitet. „Yamato. Bitte hör auf! Lass uns normal darüber reden.“ Seine Worte kommen stockend, unterbrochen von Lauten des Schmerzes. „Erst wenn du mir sagst, dass du mich liebst und mich niemals verlassen wirst.“ „Das ist doch Unsinn. Was bringen dir erzwungene Bekundungen und Versprechen?“ Ich verstärke meine Penetration. „Sag es!“, schreie ich ihn verzweifelt an. „So schwer ist es doch nicht. Nur drei kleine Worte.“ „Willst du es wirklich auf diese Art hören? Was nützt dir das?“ Abrupt ziehe ich mich aus meinem Freund zurück, drehe ihn auf den Rücken und schlage ihm mit der Faust ins Gesicht. Dann breche ich weinend über ihm zusammen und kralle mich haltsuchend an ihm fest. „Es tut mir leid“, schluchze ich. „Schon gut“, entgegnet er und streichelt mir liebevoll über den Kopf. Doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Kapitel 12: ------------ Müde stehe ich in der Küche und koche Kaffee, als das Telefon klingelt. Bevor ich reagieren kann, hat Tai den Hörer bereits abgenommen. Erleichtert atme ich auf. Anhand der Wortwahl meines Freundes sowie der Gesprächsthemen erkenne ich, dass mein Vater der Anrufer ist. Gerade scheint dieser sich nach dem Verlauf von Tais Prüfungen zu erkundigen, worauf der antwortet, dass es ganz gut gelaufen sei. Ich spähe vorsichtig aus der Küche und bedeute meinem Freund, dass ich nicht da bin, falls mein Vater nach mir verlangen sollte. Tai macht eine fragende Geste, nickt dann aber nur verständnislos und richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf das Telefonat. Ich gehe zurück in die Küche, der Kaffee ist inzwischen durchgelaufen, fülle meine Tasse mit der braunen Flüssigkeit und setze mich an den Tisch. Den Kopf in die Hand gestützt schaue ich aus dem Fenster. Die kahlen Äste wiegen sich leicht in der kalten Winterluft, auf den Gabelungen sind kleine Schneeansammlungen. Seit ich Tai vor zwei Wochen in meinem Zimmer genommen habe, hat sich an unserem Verhalten nicht wirklich viel geändert. Er schläft nach wie vor in seinem Zimmer, besprochen wird nur Allgemeines, beschränkt auf das Nötigste. Bei den Blicken, die mein Freund mir entgegenbringt, sind Worte allerdings auch nicht mehr nötig. Dass ich mit anderen Männern ins Bett gehe, hat er mir schon vorgeworfen, als es noch gar nicht stimmte, das kann also nicht der Hintergrund sein. Aber ich vermute, dass er weiß, dass ich mich erneut von meinem Klassenkameraden habe ficken lassen, auch wenn ich mir nicht erklären kann, wie er davon erfahren haben sollte. Es sei denn, dieser kleine Hurensohn hat es Tai gesteckt. Mittlerweile traue ich ihm alles zu. Seit ich bei ihm zu Hause war und er mich auf ziemlich brutale Art genommen hat, wobei auch diverse Spielzeuge zum Einsatz kamen, kann ich ihn überhaupt nicht mehr einschätzen. Er findet nach eigener Aussage Sex zwischen Männern ekelhaft, kennt sich mit den diversen Praktiken aber erstaunlich gut aus. Hinzu kommen die verschiedenen Gerätschaften, von denen ich noch nicht einmal alle zu benutzen wüsste. Auch wenn mich die Brutalität sehr erregte, stieg dennoch erneut Übelkeit in mir auf. Übergeben musste ich mich zwar nicht, aber ich bin jedes Mal aufs Neue verwundert, wie heftig abwehrend mein Körper reagiert, wenn es nicht Tai ist, der in mir ist. Ich zucke erschreckt zusammen, als ich eine Hand auf meiner Schulter spüre. Als ich hinter mich und leicht nach oben blicke, verliere ich mich sofort wieder in den faszinierenden braunen Augen meines Freundes. Dieser seufzt. „Wo bist du nur schon wieder? Ich habe dich gerade zweimal mit deinem Namen angesprochen, aber du reagierst überhaupt nicht.“ Betroffen sehe ich zu Boden. Eine unglaublich schmerzende Zuneigung überkommt mich. Ich umfasse seine Hüften und lehne meinen Kopf schwermütig gegen seinen Bauch. „Yamato.“ Tais Stimme zittert. Ich schmiege mich dichter an ihn, als würde er gleich verschwinden. „Ich spüre dich nicht! Ich kann dich nicht mehr spüren, Tai. Geh nicht weg! Bitte!“ Verzweifelt kralle ich mich in den Sachen meines Freundes fest. „Ich will dir nicht mehr wehtun müssen. Du bedeutest mir alles. Ich liebe dich und ich werde nie wieder etwas tun, das dich verletzt. Das verspreche ich dir. Nur bitte…“ „Dieses Versprechen wirst du mit großer Wahrscheinlichkeit nicht halten, auch wenn ich es mir noch so sehr wünsche“, unterbricht Tai meine hilflosen Beschwörungen. „Was kann ich sonst tun, damit du dich nicht noch weiter von mir entfernst? Ich vermisse dich so sehr!“ Tränen laufen mir über die Wangen und das Atmen fällt mir schwer, sodass ich glaube ersticken zu müssen. Mein Freund legt seine Arme um mich und drückt meinen Kopf stärker an seinen Körper. „Ich weiß es nicht“, antwortet er mit erstickter Stimme und kaum hörbar. Bedächtig schließe ich die Tür auf. Es ist später geworden als erwartet, weit nach Mitternacht. Zu meiner Verwunderung brennt im Wohnzimmer noch Licht. Nachdem ich mich meiner Schuhe und Jacke entledigt habe, werfe ich einen vorsichtigen Blick hinein. Auf dem Sofa liegt Tai, die Augen geschlossen, die Atmung ruhig. Er scheint zu schlafen. Ich gehe ein paar Schritte auf ihn zu, dann betrachte ich die fast vollständig gelehrte Flasche Whiskey und das Glas, welches nur halb gefüllt danebensteht. In einem Zug trinke ich es aus und verziehe das Gesicht. Ich habe das Gefühl, meine Speiseröhre würde weggeätzt und ich müsste mich übergeben. Wenn einer der Männer mich absolut gefügig machen möchte, verwendet er selten Alkohol, weil es zu umständlich ist, sondern ein Aphrodisiakum oder Betäubungsmittel, welches er unbemerkt in das Getränk mischt oder mich direkt zur Einnahme auffordert. Ich stelle das Glas zurück auf den Tisch und hocke mich neben meinen Freund. Der alkoholische Geruch ist mir schon seit einiger Zeit hin und wieder bei ihm aufgefallen, auch als er noch zu Hause wohnte, aber mittlerweile scheint er fast täglich zu trinken. Ich streichle ihm sanft über die leicht gerötete Wange. Seine Haut fühlt sich schön an und ich möchte ihn küssen. Mit meinem Daumen fahre ich leicht über seine Lippen. Mir fällt auf, wie zerbrechlich und verletzbar Tai gerade wirkt, eine Seite, die er mir selten zeigt und schon gar nicht freiwillig. Nur wenn ich ihn durch mein Verhalten herausfordere, lässt er seine Fassade fallen. Ich beuge mich über ihn und küsse ihn zaghaft auf den Mund. Seine Lippen schmecken nach Whiskey, als ich leicht mit meiner Zunge darüber lecke. Mit einer Mischung aus Zuneigung und Schuldbewusstsein sehe ich ihn an. Seine Augen sehen verschlafen aus, ruhen aber abwartend auf mir. „Du trinkst ziemlich viel“, stelle ich fest und ordne ein paar Strähnen seines Haares. „Nein.“ Er schüttelt den Kopf. „Heute is anders. Die Flasche war eh schon fast leer, als ich getrunken habe“, nuschelt mein Freund, sodass ich Probleme habe, ihn zu verstehen. „Ich bringe dich jetzt erst einmal ins Bett. Kannst du laufen?“ Tai nickt und erhebt sich mühsam vom Sofa. Er schafft es tatsächlich, zu laufen, wankt jedoch auffallend. „Komm her, ich helfe dir.“ Ich bin überrascht, dass kein Protest kommt, als ich ihn mit seinem Arm über meiner Schulter stütze. „Ist dir schlecht?“, frage ich, während wir am Bad vorbeigehen. Wieder schüttelt er den Kopf. Hätte ich diese Art von Alkohol in der Menge getrunken, und ich gehe davon aus, dass er die gesamte Flasche an diesem Abend geleert hat, hätte ich wahrscheinlich schon dreimal gekotzt. Dass es bei ihm nicht so ist und auch die Tatsache, dass er noch zum Laufen in der Lage ist, zeigen mir deutlich, dass er entweder sehr viel verträgt oder bereits eine Gewöhnung stattgefunden hat. In meinem Zimmer lege ich meinen Freund auf das Bett, entkleide ihn und lege die Decke über seinen nackten Körper. „Du warst heute wieder bei wem auch immer, habe ich recht?“ Seine Stimme klingt rau vom Alkohol. Ich entledige mich ebenfalls meiner Kleidung und setze mich neben Tai. „Trink einen Schluck Wasser“, übergehe ich seine Frage und halte ihm die Flasche entgegen. Nach einigen Zügen gibt er sie mir zurück und schaut mich mit verklärtem Blick vorwurfsvoll an. „Du weichst mir aus.“ „Schlaf jetzt. Zum Glück ist Wochenende, somit kannst du deinen Rausch ausschlafen, wobei es wahrscheinlich auch so egal wäre, da in ein paar Tagen die Schulzeit für dich endet. Ich hasse jetzt schon den Gedanken, ohne dich zur Schule zu gehen und dich in den Pausen nicht sehen zu können.“ Betrübt lege ich meinen Kopf auf die Brust meines Freundes. Sein Herzschlag an meinem Ohr beruhigt mich. Aufgrund Tais ruhiger Atmung gehe ich davon aus, dass er eingeschlafen ist. Ich lege meinen Arm um seine Taille und presse meinen Körper stärker an seinen. Noch immer geht ein betäubender Alkoholgeruch von meinem Freund aus und zieht durch das gesamte Zimmer. Ich schließe die Augen. Sanft streiche ich mit meinen Fingern über Tais Haut. Sein Verhalten bereitet mir Sorgen, aber ich bin mir unsicher, ob ich ihn darauf ansprechen soll. Noch während ich abwäge, schlafe ich mit meinem Kopf auf seinem Oberkörper liegend ein. Ich öffne meine Augen. Die Helligkeit im Zimmer ist unangenehm, sodass ich sie für einen kurzen Moment noch einmal schließe. Dann richte ich mich auf und betrachte Tais schlafendes Gesicht. Wieder überwältigen mich starke Gefühle für ihn, ich gebe ihm einen Kuss auf die Wange und streiche ihm sanft durch das Haar. Als ich aufstehen will, hält mich mein Freund am Handgelenk zurück. Er ist also wach. Erneut blicke ich zu ihm und lächle ihn besorgt an. „Wie geht es dir?“, frage ich vorsichtig. „Ein wenig Kopfschmerzen, aber es geht schon. Wieso liege ich in deinem Bett?“ Seine Stimme klingt kratzig, als wäre seine Kehle trocken. Ich halte ihm die Flasche Wasser hin, die er dankbar entgegennimmt. „Du hattest ziemlich viel getrunken. Außerdem wollte ich nicht alleine schlafen. Es tut mir leid, wenn es gegen deinen Willen war.“ Ich senke traurig meinen Blick. Mit seinen Fingern hebt mein Freund meinen Kopf wieder und zwingt mich ihn anzusehen. „Hör auf, so unterwürfig zu sein. Ich bin keiner deiner Freier.“ Seine Bemerkung ignorierend packe ich ihn grob am Arm. „Warum?“, frage ich vorwurfsvoll. „Was meinst du?“ Ich deute auf seinen Unterarm. Er zuckt mit den Schultern, schaut mich aber ernst an. „Ich will dich verstehen, wissen, warum du das tust, was es dir gibt und ob ich es vielleicht sogar nachvollziehen kann“, versucht er sich zu erklären. „Kannst du?“ „Zum Teil.“ „Heißt das, es geht jetzt so weiter?“, entgegne ich aufgebracht. „Was ist dein Problem? Sieh dir deinen eigenen Körper an, der ist übersät von Narben und Verletzungen. Bei einigen will ich nicht einmal wissen, woher die stammen.“ Tai verzieht angewidert das Gesicht. Wütend verstärke ich meinen Druck auf seinen Arm. „Du hast sehr tief geschnitten. Was kommt als nächstes, Selbstmord?“ „Yamato, komm wieder runter! Es sind nur ein paar Schnitte. Auch ich kann irgendwann nicht mehr. Glaubst du, ich finde es toll, wenn wir monatelang nebeneinanderher leben, du dich lieber von anderen als von mir vögeln lässt und immer mehr in dir selbst gefangen bist? Ich erreiche dich nicht mehr und allmählich habe ich das Gefühl, dass du gar nicht erreicht werden willst.“ Mein Freund schreit mir die Worte fast entgegen. Ich schweige. Egal was ich jetzt sagen würde, es würde Tai vermutlich nicht beruhigen. Er ist auf Konfrontation aus, aber ich bin froh darüber. Mir ist es lieber, wenn er seine Wut an der Ursache, also mir, auslässt als an sich selbst. „Das ist typisch. Nie sagst du etwas, wenn es darauf ankommt. Ist es dir egal? Bin ich dir egal? Oder bin ich es nicht wert, dass du mir auch nur eine winzige Reaktion entgegenbringst?“ „Warum redest du solchen Unsinn? Ohne dich kann ich nicht leben.“ „Ja, weil du absolut unselbstständig und weltfremd bist. Ohne mich wärst du verloren. Aber ich könnte ebenso gegen jemand anderen ersetzt werden.“ „Nein, verdammt! Was soll das? Du bist unersetzbar für mich, weil ich dich liebe. Und das weißt du.“ Jetzt schreie auch ich. „Weiß ich das wirklich? Ich bin mir nicht sicher. Woher soll ich es wissen, wenn du es nicht zeigst?“ Ungläubig starre ich ihn an. „Das ist nicht wahr! Stell mich nicht als gefühlstot hin.“ Nun ist es Tai, der schweigt. „Denkst du das tatsächlich?“ Entrüstet lasse ich seinen Arm los und stehe auf. „Bitte, dann sauf dir doch dein Hirn weg und schneide dir den Arm auf, bis du daran verreckst! Mich interessiert das nicht, denn ich fühle sowieso nichts.“ Ungehalten werfe ich ihm diese Worte an den Kopf, ohne darüber nachzudenken, und verlasse wütend das Zimmer, wobei ich die Tür geräuschvoll zuknalle. „Yamato.“ Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter, anhand der Stimme erkenne ich, dass mein Klassenkamerad hinter mir steht. „Fass mich nicht an!“, sage ich in drohendem Tonfall ohne mich umzuwenden. Mein Blick ist starr auf das Fußballfeld vor mir gerichtet, besonders auf jenen Spieler mit der Rückennummer elf. Mein Mitschüler beginnt zu lachen und setzt sich neben mich auf die Bank. „Was, vögeln und verletzen darf ich dich, aber normal berühren nicht? Deine Logik ist echt verquer.“ Die Belustigung in seiner Stimme nervt mich. „Was willst du?“, frage ich gereizt. „Nach dem Training deines Freundes bei mir.“ Seine Worte sind nicht als Frage formuliert. Ich sehe ihn an, dann zu Tai. Der ist gerade in Ballbesitz gekommen, gibt aber sofort an einen anderen Spieler ab, dann stürmt er weiter nach vorn. „Beantworte mir eine Frage.“ Meine Augen bleiben weiterhin an meinem Freund haften. „Warum bist du so besessen von mir, dass du sogar gegen deine sexuelle Orientierung handelst und mit einem Mann schläfst? Noch dazu mit einem, den du nach eigener Aussage hasst.“ Leicht streicht mir mein Klassenkamerad über den Hals, weiter zum Kehlkopf und hinab zum Schlüsselbein. „Wir sind uns ähnlicher, als du denkst.“ Er lächelt vielsagend. Mich würde interessieren, wie er das meint, aber ich frage nicht nach. Tai steht inzwischen atemlos auf dem Platz und verfolgt das Geschehen. Gleichzeitig scheint er nach einem Schwachpunkt in der gegnerischen Verteidigung zu suchen. Plötzlich sprintet er los und gibt seinem Mitspieler ein Zeichen, dass er ihn anspielen soll. „Ziemlich gut, dein Freund. Ist er im Bett auch so tonangebend?“ „Ich sagte dir schon einmal, lass Tai aus dem Spiel“, drohe ich ihm leise. „Und ich sagte dir, dass er mich nicht interessiert. Aber ich möchte wissen, ob du bei ihm auch so extrem devot bist.“ „Das geht dich nichts an“, zische ich. „Nachher bei dir, ich habe verstanden. Und jetzt verzieh dich.“ „Pass auf, was du sagst, sonst stecke ich deinem Freund ein paar von den Dingen, die du tust und mit dir machen lässt.“ „Hast du doch bereits. Zumindest, dass ich mich von dir ficken lasse.“ „Ich dachte, er würde dich verlassen, wenn er davon wüsste, aber anscheinend habe ich ihm noch nicht genug über dich erzählt.“ „Erzähle ihm ruhig, was du willst. Noch mehr Schaden anrichten kann es nicht.“ Meine Worte klingen verbittert. Als sich die Blicke von meinem Freund und mir zufällig treffen, wende ich mich beschämt ab und schaue zu Boden. Es ist mir unangenehm, dass er mich mit meinem Klassenkameraden zusammen sieht. „Läuft es zwischen euch nicht gut?“, will mein Mitschüler unvermittelt wissen. Hasserfüllt sehe ich ihn an. „Würdest du dich endlich verpissen?“ Diesmal steht er zu meiner Erleichterung auf. „Nachher bei mir“, erinnert er mich, dann kommt er meiner Aufforderung nach und lässt mich allein. Ich schaue wieder zu Tai, doch dessen Aufmerksamkeit ist gerade komplett auf das Spiel gerichtet. Die Sache von eben wird nicht gerade förderlich für unsere ohnehin bereits angeschlagene Beziehung sein. Ich will ihm nicht schon wieder wehtun, was allerdings der Fall ist, wenn ich mich von anderen ficken lasse. Am liebsten würde ich zu ihm gehen, ihn umarmen und zeigen, wie sehr ich ihn liebe. Doch seit ich gestern wütend das Zimmer verlassen habe, haben wir kein Wort mehr miteinander gesprochen. Ich schaffe es nicht, meine Blockade zu überwinden und zu ihm zu gehen. Dafür hasse ich mich. Ebenso dafür, dass ich jetzt gleich aufstehen werde, weil ich den Kampf gegen mich ein weiteres Mal verliere, um Dinge mit mir machen zu lassen, die erniedrigender und abscheulicher nicht sein könnten, nur damit mein Selbsthass nicht übermächtig wird und ich einen weiteren Suizidversuch unternehme. Ich schaue meinem Freund noch einen Moment zu. Er ist wunderschön. Dann erhebe ich mich, kehre ihm den Rücken und verlasse das Schulgelände. Nervös stehe ich vor Tais Zimmertür. Ich habe Angst davor, anzuklopfen und hineinzugehen, Angst davor, abgewiesen zu werden. So weitergehen kann es aber auch nicht, sonst wird unsere Beziehung komplett zerbrechen. Doch wenn das passiert, werde ich erst Tai und danach mich selbst töten. Ich kann ohne ihn nicht leben, will ihn aber auch nicht freigeben. Er gehört mir. Langsam hebe ich meine Hand, um anzuklopfen, halte jedoch kurz vor der Berührung des Holzes inne. Ich atme tief durch, um mich ein wenig zu beruhigen. Eine Weile stehe ich reglos da, doch in meinem Kopf schreit alles wild durcheinander und verunsichert mich zusätzlich. Ich lasse meine Hand sinken. Es geht nicht. Ich schaffe es nicht, irgendetwas in mir blockiert und ich weiß nicht einmal, warum. Vom Selbsthass getrieben wende ich mich ab, um ins Bad zu gehen. Als ich höre, dass sich die Zimmertür meines Freundes öffnet, drehe ich mich mit einer Mischung aus Erleichterung und Angst um. „Taichi“, entweicht es mir leise. „Du bist schon zurück? Ich habe später mit dir gerechnet. Es war wohl diesmal nur ein Quickie.“ Ich übergehe seine Provokation und mache einen Schritt auf ihn zu. „Konnte er es dir wenigstens ordentlich besorgen, wenn ich es schon nicht schaffe?“ „Ich liebe dich, Taichi.“ Sanft umfange ich meinen Freund mit meinen Arm und drücke ihn fest an mich. Dass er wieder getrunken hat, überrascht mich nicht. „Ich liebe dich“, wiederhole ich meine Worte. „Warum tust du mir und dir dann sowas an? Reicht deine Liebe denn nicht einmal dafür aus, dich für mich und gegen deinen Selbsthass zu entscheiden?“ „Ich weiß es nicht“, gebe ich betroffen zu, nehme ihn aber noch fester in den Arm. „Lass mich los, Yamato. Ich will nicht mehr von dir berührt werden, wenn du dreckig bist. Geh duschen, bestimmt klebt noch sein Sperma an und in dir, denn er fickt dich garantiert ohne Kondom.“ Tais Stimme ist ruhig, aber voller Verachtung. Ich lasse meine Arme sinken und trete einen Schritt von ihm zurück, ohne ihn anzusehen. „Es tut mir leid“, flüstere ich erstickt. Ein weiteres Wort bringe ich nicht mehr heraus. Zitternd ergreife ich den Ärmel meines Freundes, um daran Halt zu suchen. „Nein, Yamato, tut es nicht. Wenn dem so wäre, würdest du dich anders verhalten. Aber du bemühst dich nicht einmal um mich.“ Ich schüttle den Kopf. Das stimmt nicht. Tränen laufen mir über die Wangen, womit mein erbärmliches Erscheinungsbild perfekt wäre. Die Angst, Tai zu verlieren, lähmt mich. Ich möchte ihm so vieles sagen, ihn umarmen, küssen, aber ich bleibe stumm und regungslos. „Wahrscheinlich würdest du nicht einmal kämpfen, wenn ich die Beziehung jetzt beenden wollte. Manchmal denke ich, du bist überhaupt nicht fähig einen anderen Menschen zu lieben. Das Einzige, das du wirklich liebst, sind der Schmerz und dein Selbsthass, woran du letztlich auch verrecken wirst.“ Ich wische mir mit dem Handrücken die Tränen vom Gesicht, dann ziehe ich meinen Freund zu mir heran und küsse ihn fordernd. Wie erwartet schmecke ich nur Alkohol, aber nicht ihn. „Sieh mich an!“ Ich lasse die Worte absichtlich wie einen Befehl klingen. Seine Augen sind glasig und sein Blick getrübt. Dafür ist seine Sprache noch erstaunlich klar. „Warum kommt noch nicht einmal jetzt eine Reaktion auf meine Worte?“ „Taichi, du bist betrunken. Das ist nicht die beste Voraussetzung für ein solches Gespräch. Zudem hast du mir deine Meinung und Eindrücke mitgeteilt, die kann ich dir doch nicht absprechen.“ Ich habe den Satz kaum ausgesprochen, als ich einen harten Schlag von meinem Freund ins Gesicht bekomme. „Verdammt nochmal! Was soll das hier werden, Yamato?“ Betreten schaue ich zu Boden. Meine Wange schmerzt unerwartet stark und ich schmecke etwas Blut in meiner Mundhöhle. „Ich ertrage die Distanz zu dir einfach nicht mehr. Ohne dich kann ich nicht atmen. Bitte lass uns nicht so weitermachen, das halte ich nicht aus. Ich vermisse dich so sehr!“ „Das hätten wir alles viel eher haben können. Ich habe lediglich darauf gewartet, dass du den ersten Schritt machst.“ Tai seufzt. „Warum fällt dir das so schwer? Warum kannst du nicht agieren, allenfalls reagieren?“ Ich streiche mit meinen Fingern über meine leicht geschwollene Wange. „Das kann ich dir auch nicht sagen. Ich verstehe es selbst nicht. Jedes Mal, wenn ich es versuche, hält mich eine für mich unüberwindbare Blockade davon ab, zu handeln. Ich hasse mich selbst dafür und wahrscheinlich wirkt es eher wie eine billige Ausrede.“ Tai sagt nichts dazu, sondern sieht mich nur nachdenklich an. Schließlich sagt er: „Ich liebe dich einfach, egal wie sehr ich mich dagegen wehre.“ Ich streiche meinem Freund liebevoll über die Wange und lächle. „Dann wehre dich nicht mehr. Lass dich einfach fallen. Vielleicht spürst du durch den Alkohol alles noch intensiver. Wobei ich dich auch so um den Verstand bringen kann.“ Ich küsse seinen Hals entlang, dann wandere ich hinauf zu Tais Lippen. Sofort entwickelt sich ein heftiger, leidenschaftlicher Kuss, wobei wir uns langsam auf mein Zimmer zubewegen. Aber noch immer wird Tais Geschmack von dem des Alkohols überdeckt. Gefühlvoll streiche ich über Tais Narbe, die ich ihm zugefügt habe und die mittlerweile nur noch blassrosa schimmert. „Tut sie noch weh?“, will ich wissen, während ich die Decke etwas enger um meinen Körper ziehe. Mein Freund presst sich stärker an mich, um mir etwas von seiner Wärme abzugeben. „Nicht wirklich. Hin und wieder zieht oder sticht es in meinem Arm, aber die Region um die Narbe ist weitestgehend taub.“ Ich streiche mit dem Finger über die Stelle. „Heißt das, du spürst meine Berührung gerade nicht?“ „Nein, nur ein leichtes Kribbeln.“ Nachdenklich betrachte ich mein Werk. „Hasst du mich dafür?“ Tai legt seinen Arm um meine Taille und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. „Warum sollte ich? Es ist das Zeichen, dass ich dir gehöre.“ „Willst du überhaupt mir gehören?“ Extreme Unsicherheit ergreift Besitz von mir. „Bei all dem, was ich dir antue?“ „Ja, aber auch du sollst mir gehören. Nur mir.“ Tai betont seine Worte absichtlich, allerdings weiß ich auch so, worauf er anspielen will. Obwohl wir nackt und eng umschlungen in meinem Bett liegen, kommt Taichi mir unerträglich weit weg vor. „Ich liebe dich so sehr“, flüstere ich. Meine Stimme zittert. „Dann beweise es.“ Die Hände meines Freundes gleiten langsam über meine Haut nach unten. „Ich bin der Einzige, der dich fickt und in den du deinen Schwanz steckst, hast du verstanden?“ Mit der einen Hand beginnt er mir einen runterzuholen, während er mit zwei Fingern der anderen Hand in mich eindringt. Sofort bin ich erregt, schlinge meinen Arm um Tais Hals und presse mich noch stärker an ihn. Meine Atmung beschleunigt sich, geht stoßweise und zum Teil in Stöhnen über. Seit wir vor ein paar Tagen das erste Mal seit Monaten wieder Sex hatten, habe ich das Gefühl, empfindlicher auf die Berührungen meines Freundes zu reagieren. Andererseits reicht es oft nicht aus. Egal wie tief er in mir ist oder ich in ihm, es ist nicht genug. Aber ich glaube, es ist nie genug. Meine Gefühle für Taichi sind mittlerweile unerträglich schmerzhaft. Ich klammere mich fester an meinen Freund. Dieser beschleunigt seine Bewegungen und dringt mit einem dritten Finger in mich ein. „Du gehörst mir. Niemand anderes darf dich so sehen. Dein Körper ist so zerbrechlich und deine Haut so hell. Sie fühlt sich ungewohnt weich für einen Mann an. Dabei bist du so dreckig, weil du dich von anderen missbrauchen und schänden lässt. Doch ich werde dir schlimmere Dinge antun und dich so wieder an mich binden.“ „Tai…“ Ich zittere vor Erregung. „Bitte, nimm mich!“ Mein Freund lässt von mir ab. „Bring dich selbst zum Höhepunkt. Ich will dir dabei zusehen. Und sieh mich an, wenn du es dir selbst besorgst.“ Beschämt sehe ich ihn an. Die Situation an sich ist zwar nicht neu für mich, aber vor Tai ist es mir unsagbar peinlich. Er zieht die Decke von meinem Körper und setzt sich ans Ende des Bettes, sodass er mich genau im Blick hat. Verhalten beginne ich mich zu berühren. Mein Gesicht glüht vor Scham und Erregung. „Nicht so schüchtern, Yamato. Du kannst das doch sicher lasziver. Ich will die Seite von dir sehen, die du deinen Peinigern zeigst.“ Ich setze mich auf. „Das kann und will ich nicht.“ „Aber mich interessiert das nicht. Leg dich hin.“ Tai spricht diese Worte, als dulde er keine Widerrede. Ich rühre mich nicht und sehe ihn mit einer Mischung aus Trotz, Ekel und bedauernder Zuneigung an. „Du weigerst dich?“ Er beugt sich zu mir und drückt mich lieblos auf das Laken zurück. „Du bist eine verdammte kleine Hure, mehr nicht. Also sei gefälligst auch gefügig.“ Unsanft drückt er meine Beine auseinander und dringt rücksichtslos in mich ein. Ich kralle meine Finger im Laken fest und winde mich unter meinem Freund. Immer wieder kratze ich mit meiner anderen Hand über Tais Arm und hinterlasse blutige Striemen auf seiner Haut. Mit seiner Rückhand und nur wenig Zurückhaltung schlägt er mir ins Gesicht. „Was ist los, Yamato? Warum wehrst du dich? Gefällt es dir nicht?“ Seine Stöße sind hart und seine Berührungen grob. Von der Zuneigung, die normalerweise trotzdem spürbar ist, fühle ich nichts. „Taichi…“ Tränen füllen meine Augen. Erneut schlägt Tai mir ins Gesicht. „Verdammt nochmal, jetzt verhalte dich endlich so, wie du dich von anderen ficken lässt!“ Jegliches Leben schwindet aus meinem Körper und ich lasse die sexuellen Handlungen nur noch über mich ergehen. Ich merke, dass mein devotes Verhalten ihn wütend macht, da er immer brutaler wird. Durch die sich einstellenden Schmerzen schaffe ich es nicht mehr, mein Stöhnen zu unterdrücken. Rhythmisch stößt er immer wieder tief in mich hinein. „Tai…“ Meine Atmung ist unregelmäßig und schwerfällig. „Leg deine Finger um meinen Hals und drück zu. Ich will dich intensiver spüren. Ich will nur noch dich spüren.“ Wieder schlägt mein Freund mir ins Gesicht, dann lässt er von mir ab und geht ohne ein Wort zu sagen aus dem Zimmer. Die Ironie der Situation bringt mich zum Lachen. Ich frage mich, was Tai erwartet hatte. Und ob er die Realität in ihrem ganzen Umfang wirklich erfahren möchte. Vorsichtig schiebe ich den Ärmel meines Hemdes über den Verband an meinem Arm, dann verlasse ich das Bad in Richtung Wohnzimmer. Tai hat den Fernseher eingeschaltet und sitzt mit einem Glas Whiskey in der Hand apathisch auf dem Sofa. Bereits als er das Zimmer verließ, war mir klar, dass er zum Alkohol greifen würde, so wie ich eben zur Rasierklinge. Ich setze mich neben ihn und schaue mir für eine Weile das Programm an. Es läuft gerade eine dieser extrem bunten, schrillen und total durchgeknallten Quizsendungen. Diese Art von Humor habe ich noch nie verstanden, für mich ist das einfach nur laut und hirnlos. Ich wende mich meinem Freund zu, nehme ihm das Glas aus der Hand und stelle es auf den Tisch neben die halb geleerte Flasche. „Du trinkst zu viel“, bemerke ich liebevoll, aber besorgt. „Komm wieder runter, es ist nur ein Glas“, entgegnet Tai genervt. „Die Flasche ist zur Hälfte geleert.“ „Das war sie auch schon vorher.“ Ich weiß, dass es nicht der Wahrheit entspricht, sage aber nichts. „Warum bist du vorhin aus dem Zimmer gegangen?“, will ich schließlich wissen. „Weil ich dich nicht mehr ertragen konnte!“ In seinen Worten schwingen Hass und Verzweiflung mit. „Tai, was hast du erwartet? Was glaubst du, wie ich mich bei anderen verhalte? Ich bin fast ausschließlich devot. Eigentlich lasse ich den Sex nur über mich ergehen und kämpfe gegen den Ekel an.“ Tai blickt mich ungläubig an. „Willst du wirklich, dass ich mich auch bei dir so verhalte? Aber ich glaube, selbst wenn du das wollen würdest, ich könnte es nicht. Das haben wir vorhin gesehen, als ich es versuchte.“ Ich sehe meinen Freund weiter unverwandt an. Dieser nimmt das Glas vom Tisch und trinkt einen großen Schluck der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Mit gemischten Gefühlen schaue ich ihm schweigend dabei zu. „Was ist die Ausnahme? Deine Ausführungen klangen, als gäbe es eine.“ Beschämt senke ich meinen Blick. „Ja“, gebe ich zögerlich zu. Es ist mir unangenehm, über Details sprechen zu müssen. Zumal ich nicht einschätzen kann, wie Tai reagieren wird, gerade jetzt, unter Alkoholeinfluss. Der füllt sein Glas wieder und trinkt es ohne abzusetzen aus, nur um es erneut zu füllen. Offenbar ist ihm egal, dass ich neben ihm sitze und dabei zusehe, wie er sich ins Koma säuft. „Sprichst du irgendwann noch weiter?“, fragt er gereizt. „BDO.“ „K.O.-Tropfen? Du lässt dich vögeln, während du bewusstlos bist?“ „Nein.“ Ich spüre Hitze in mir aufsteigen. Das alles sollte Tai nie erfahren. „In einer niedrigeren Dosis wirkt es aphrodisierend und enthemmend.“ „Und dann machst du alles, was man dir sagt, wirst sogar aktiv“, bemerkt mein Freund abfällig. „Ja.“ Ich fühle mich unendlich haltlos, doch von Tai kann ich momentan keine Zuneigung erwarten. „Reichen deine Tabletten nicht mehr aus, dass du zu Drogen übergehen musst?“ „Das Eine hat mit dem Anderen nichts zutun. Die Gründe sind völlig verschieden. Zudem verlange ich eher selten von mir aus nach dem Zeug.“ „Heißt das, du nimmst es unfreiwillig?“ „Mittlerweile nicht mehr. Die Typen wissen, dass ich es nehme, wenn sie es verlangen, deshalb mischen sie es mir nicht mehr heimlich ins Getränk.“ Tai leert sein Glas. „Ich verstehe es nicht. Du lässt dich unter Drogeneinfluss ficken, damit du erträgst, was die mit dir machen. Warum? Das ist doch absurd.“ „Nicht für mich.“ Ich schaue meinem Freund zu, wie er den letzten Rest der Flasche in sein Glas gießt. „Erkläre es mir“, fordert er. „Das kann ich nicht.“ Vorsichtig betrachte ich meinen Freund. Obwohl man es ihm nicht anmerkt, sehe ich an seinen Augen, dass er bereits stark alkoholisiert ist. „Was sind das für Drecksäcke, die einen Minderjährigen unter Drogen setzen und vergewaltigen?“ „Was soll das? Du weißt genau, dass es keine Vergewaltigungen sind. Du erträgst es nicht, dass dein Freund ein, um es mit deinen Worten zu sagen, kleiner dreckiger Stricher ist.“ „Du nimmst tatsächlich Geld dafür? Du prostituierst dich?“ Mit einer Mischung aus Entsetzen und Ekel sieht er mich an. „Wo ist das Problem? Du warst doch sowieso die ganze Zeit der Meinung, ich würde meinen Körper verkaufen. Jetzt tue ich es und du reagierst schockiert. Warum?“ „Ich hätte nicht gedacht, dass du wirklich so widerlich bist.“ „Nicht? Dabei müsstest du es doch mittlerweile besser wissen. Und bevor du nachfragst, sie ficken mich ohne Kondom, ich könnte es eh nicht verhindern, wenn ich drauf bin. Aber keine Sorge, meine Freier sind sauber. Keine Krankheiten. Und falls doch…“ Unerwartet spüre ich Tais Faust in meinem Gesicht. Durch die Härte des Schlages verliere ich das Gleichgewicht und falle vom Sofa unsanft zu Boden. Sofort werden die Schmerzen in meinem Kopf stärker, aus meiner Lippe fühle ich warmes Blut laufen. „Hör auf so kalt und abgeklärt mit mir zu reden! Fühlst du denn gar nichts mehr? Ist da keine einzige Empfindung mehr für mich?“ „Das sagt der Richtige. Wer säuft sich denn mittlerweile fast täglich bis in die Besinnungslosigkeit? Wer geht denn seit Monaten auf Abstand, verhält sich kalt, lieblos und wird beleidigend?“ „Wenn du dich wie eine billige Hure verhältst. Glaubst du, es macht mich geil, dich zu ficken, mit dem Wissen, dass schon zig andere ihr Sperma in dich abgespritzt haben?“ „Nein“, flüstere ich betroffen. „Aber ist das wirklich der einzige Grund, weshalb du so abweisend bist? Sind in dir überhaupt noch andere Gefühle außer Verachtung, Hass und Ekel für mich?“ Weinend sitze ich vor ihm und blicke ihn verzweifelt an. „Taichi, verdammt nochmal, ich bin einsam ohne dich!“ Ich senke den Kopf, kann meine Schluchzer aber nicht verbergen. Als mein Freund sich zu mir herunter beugt, ist das Erste, was ich wahrnehme, sein alkoholverseuchter Atem. Ich drehe meinen Kopf beiseite, doch Tai zieht ihn sofort wieder zu sich. „Glaube nicht, dass ich Mitleid mit dir habe. Du bist es, der fremdvögelt. Also hast du kein Recht, irgendwelche Gefühle einzufordern. Und von deinen Tränen lasse ich mich nicht mehr manipulieren.“ „Denkst du wirklich so? Wenn ich dir dermaßen zuwider bin, sollte ich besser aus deinem Leben verschwinden. Es tut mir leid, dass ich dir mit meiner Liebe eine Last war.“ Wie fremdgesteuert stehe ich auf, werfe noch einen letzten Blick auf meinen Freund, der mich leblos aus glasigen Augen ansieht, und verlasse das Zimmer. Ich öffne meine Augen und sofort laufen mir Tränen über das Gesicht. Es tut weh. Die Gedanken an Tai, seine Worte, sein Verhalten, sein Blick. Dennoch schaffte ich es, die Kontrolle soweit zu behalten, um mir nicht das Leben zu nehmen, auch wenn das Verlangen danach mich fast um den Verstand brachte. Ohne Tabletten, die mich ruhig stellten und außer Gefecht setzten, sowie die Gefühle für Tai, hätte ich den Kampf wahrscheinlich verloren. Aber noch darf ich mich nicht töten. Ich weiß, dass die Worte meines Freundes der Wahrheit entsprechen und durchaus berechtigt sind, sein gefühlloses Verhalten mir gegenüber schreibe ich jedoch dem Alkohol zu. Mühsam setze ich mich auf, anscheinend war ich nicht mehr in der Lage, mich ins Bett zu legen und bin auf dem Boden zusammengebrochen. Benommen wische ich mir die Tränen aus den Augen und werfe einen Blick auf die Uhr. Ich war nur ein paar Stunden ohne Bewusstsein. Die Dosierung war etwas schwierig, da ich auf keinen Fall eine Überdosierung im Sinne eines Suizids riskieren, aber der Realität dennoch entfliehen wollte. Erschwerend kam meine emotionale Verfassung hinzu, die oft eine unbedachte Reaktion nach sich zieht. Tai kommt mir wieder in den Sinn. Als ich das Wohnzimmer verließ, blieb er auf dem Sofa sitzen und ich hörte in der Wohnung kein Geräusch, bis ich schließlich das Bewusstsein verlor. Sorge kommt in mir auf. Als ich ihn allein ließ, war er ziemlich betrunken und meines Erachtens nicht mehr zurechnungsfähig. Ich beginne zu zittern, als mein Kopf mir Horrorszenarien vorspielt. Panisch stehe ich auf, meine Beine geben jedoch nach und ein Schwindelgefühl nimmt mir das Gleichgewicht, sodass ich unsanft auf dem Boden lande. Einen Moment bleibe ich reglos liegen und versuche meinen Körper zu beruhigen und unter Kontrolle zu bringen. Dann wage ich einen erneuten Versuch und schaffe es durch Abstützen an meinem Schrank, mich aufrecht zu halten. Auf wackeligen Beinen schleppe ich mich zur Tür, drehe den Schlüssel im Schloss und öffne sie. An der Wand gegenüber von meinem Zimmer lehnt Tai in einer halb sitzenden, halb liegenden Position. In der Hand hält er eine neue Flasche Whiskey, die er allerdings auch schon wieder zu einem Viertel geleert hat. Ich hocke mich zu ihm hinunter, stelle die Flasche beiseite und streiche ihm liebevoll eine Strähne aus dem Gesicht. Voller Zuneigung betrachte ich meinen Freund. Als ich ihm einen Kuss auf die Lippen hauche, steigt mir ein beißender Alkoholgeruch in die Nase. Tränen füllen meine Augen. Ich drücke Tais Körper fest an mich und fange hemmungslos zu weinen an. Verzweifelt sage ich seinen Namen, doch es folgt keine Reaktion. Nur an seiner ruhigen Atmung erkenne ich, dass er noch am Leben ist. „Verzeih mir, Taichi. Bitte! Verzeih mir! Aber ich liebe dich so sehr!“ Ich kralle meine Finger, Halt suchend, in den Stoff seines Oberteils. Mein Körper bebt von den Schluchzern, aber auch durch die übermächtige Angst, Taichi zu verlieren. Nur mit Mühe und unter großer Anstrengung gelang es mir, Tai in mein Bett zu tragen. Eine Weile blieb ich noch neben ihm sitzen und betrachtete ihn, doch dann verlor ich wieder einmal den Kampf gegen mich selbst, zog mich an und verließ die Wohnung. Die Leuchtreklamen an den Häusern zu beiden Seiten der Straßen lassen die Nacht zum Tag werden. An den Eingängen zu den Lovehotels sind überall Schilder angebraucht, die deutlich machen, dass der Zutritt erst ab achtzehn Jahren gestattet ist. Hin und wieder bin ich, aufgrund der guten Beziehungen und Liquidität meiner Kunden, dennoch in eine dieser Absteigen gelassen worden. Ansonsten treiben wir es gleich in einer der engen Gassen, die bezeichnend für dieses Viertel in Shibuya sind, oder sie fahren mich mit ihrem Auto zu sich nach Hause, wenn sie alleinstehend sind und keine Familie haben. Ich biege um eine Ecke und sehe vor einem der Hotels einen Mann im Anzug, der mich schon öfter gevögelt hat. Zielgerichtet laufe ich auf ihn zu. „Hallo“, spreche ich ihn leise und mit Zurückhaltung an. „Oh, Yamato. Schön dich zu sehen. Ich hatte gehofft, dich heute hier anzutreffen, aber ich wusste nicht, ob du diese Nacht überhaupt in Shibuya sein würdest.“ Er lächelt. Dieser Mann gehört zu der Sorte Freiern, die zwar sehr nett sind, aber auf rücksichtslos harten Sex bis hin zur erbarmungslosen Erniedrigung ihrer Stricher stehen. Auch ich versuche zu lächeln, merke jedoch, dass es mir nicht gelingt. „Was ist los, Yamato? Du siehst nicht gut und unglaublich traurig aus.“ Er berührt mit seiner Hand meine Wange. Sofort breche ich in Tränen aus und weine heftig, ohne meinen Gegenüber richtig wahrzunehmen. Dieser nimmt mich in den Arm und streichelt mir beruhigend durch die Haare. „Ich weiß zwar nicht, was passiert ist, aber deine Verzweiflung zeigt mir, dass es etwas Schlimmes sein muss.“ Ich löse mich von ihm, halte den Kopf aber gesenkt. „Es tut mir leid“, sage ich unterwürfig und versuche mich wieder unter Kontrolle zu bringen. Ich hasse mich für meinen Gefühlsausbruch vor diesem mir fast fremden Mann. „Du musst dich für nichts entschuldigen. Und wenn du heute lieber nicht…“ „Doch!“, sage ich schnell und greife ihn am Ärmel. „Also gut.“ Er sucht nach etwas in seiner Aktentasche und holt schließlich ein kleines Fläschchen hervor. Während er den Schraubverschluss aufdreht, kommt er einen Schritt auf mich zu. Mit seinen Fingern drückt er gegen meine Wangen, um meinen Mund zu öffnen und träufelt ein paar Tropfen der farblosen Flüssigkeit auf meine Zunge. „BDO. Das kennst du ja bereits. Ich denke, in deiner momentanen Verfassung ist es besser, wenn du drauf bist, während ich dich ficke.“ Nach kurzer Zeit steigt ein merkwürdiges Gefühl in mir auf, ein Indiz dafür, dass die Wirkung der Droge langsam einsetzt. „Wir gehen heute ins Stundenhotel, ich will dich sofort nehmen und noch einige Dinge mit dir machen.“ Meine Wahrnehmung verändert sich leicht, ich fühle intensiver und bin erregt. Von einer Hand auf meinem Hintern werde ich in eines der Gebäude geschoben. Hier war ich inzwischen schon ein paar Mal, die Betreiber nehmen es nicht so genau mit dem Alter. Meine Begleitung lotst mich die Treppe hinab, in den Keller, wo sich die Spezialräume befinden. Die darin befindlichen Gerätschaften nutzt mein Freier nur bedingt, aber die Umgebung macht ihn geil und lässt seine brutale Ader in Erscheinung treten. Mittlerweile völlig berauscht lasse ich mich willenlos in einen der Räume führen. „Du darfst heute ruhig schreien, mein kleiner, süßer Yamato. Lass mich deine schöne Stimme hören.“ Mein Kopf ist wie benebelt, dennoch ist Tai in meinen Gedanken allgegenwärtig. Ich schließe meine Augen. Hinter mir fällt die Tür ins Schloss. Mit starken Koordinationsschwierigkeiten stolpere ich im Dunkeln die Treppe zu unserer Wohnung hinauf. Wenn mein Freier mich nicht bis vor die Eingangstür gefahren hätte, hätte ich es wahrscheinlich nicht bis nach Hause geschafft. Mein Körper schmerzt und ich habe ihn kaum unter Kontrolle, hinzu kommen Übelkeit bis hin zum Erbrechen und stechende Kopfschmerzen. Die Nebenwirkungen des BDO sind dieses Mal besonders heftig, möglicherweise tut meine psychische Verfassung ihr Übriges. Fahrig krame ich in meiner Hosentasche nach dem Schlüssel und versuche unbeholfen damit die Tür zu öffnen. Nach Betreten der Wohnung breche ich sofort wieder zusammen. Würgend liege ich im Flur, mein Körper zuckt unter der Anstrengung. Speichel und Galle laufen aus meinem Mund und tropfen zu Boden. Ich beginne zu husten. Krämpfe in meiner Brust und ein brennender Schmerz in der Lendengegend treiben mir bittere Tränen in die Augen. Wieder einmal werde ich mir meiner eigenen Erbärmlichkeit bewusst. Unter großer Anstrengung gelingt es mir, aufzustehen und mich ins Bad zu schleppen. Dort übergebe ich mich erneut krampfartig in die Toilette. Schwer atmend lasse ich mich auf die Fliesen sinken. In meinem Kopf schreit mir der Selbsthass entgegen, beschimpft mich und treibt mich an den Rand des Wahnsinns. Verzweifelt presse ich meine Hände gegen die Ohren, als würde ich dadurch nichts mehr hören können. „Taichi“, flüstere ich. „Ich werde dich verlieren, hab ich recht? Du bist so weit weg. Ich erkenne dich nicht mehr. Bitte gib uns nicht auf.“ Unter Tränen beginne ich laut zu lachen. Ich bin so lächerlich. Übelkeit steigt wieder in mir auf, sodass ich mich ein weiteres Mal übergeben muss. Erschöpft und unter Schmerzen erhebe ich mich anschließend, putze notdürftig meine Zähne und verlasse das Bad. Langsam und ziemlich geschwächt laufe ich den Flur entlang zu meinem Zimmer. Als ich hineinspähe, sieht es so aus, als ob Tai noch immer zu schlafen scheint. Der gesamte Raum riecht nach Alkohol. Umständlich entkleide ich mich und schlüpfe zu ihm unter die Decke. Ich presse meinen Körper dicht an den meines Freundes und lege meinen Kopf auf seine Brust. Sein Herz schlägt gleichmäßig und die Atmung ist ruhig. Ich lächle erleichtert. Tai lebt. Dann beginne ich heftig zu weinen, wobei ich mich verzweifelt an meinem Freund festkralle. Ich weiß, dass ich schuld an seinem dysfunktionalen Verhalten bin, weshalb es nur einen Weg gibt, ihm zu helfen. Ich muss ihn verlassen, ansonsten wird er an mir zugrunde gehen. Im Zimmer wird es langsam hell. Die Sonne ist bereits als silberner Streifen am Horizont erkennbar. Durch das geöffnete Fenster weht ein frischer Morgenwind herein, den ich tief ein- und wieder ausatme. Nachdem ich zum vierten Mal aufgrund von Übelkeit und Erbrechen das Bett verlassen musste, um zur Toilette zu gelangen, habe ich mich auf das Sofa gesetzt und nachdenklich nach draußen gestarrt. Schlafen kann ich bei meiner momentanen körperlichen Verfassung vergessen, aber auch mein Kopf lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Sowohl von den Schmerzen als auch von den Gedanken her. Mein Entschluss, Tai zu verlassen, schnürt mir die Kehle zu und lässt mich kaum atmen. Ich blicke zu ihm. Seine Haare sind zerzaust, aber seine Gesichtszüge entspannt. Zwischenzeitlich wälzte er sich ziemlich stark hin und her, jetzt liegt er ruhig in meinem Bett und scheint sich in einer Tiefschlafphase zu befinden. Ich stehe auf und setze mich neben ihn. Sanft streichle ich über seinen Arm mit der Narbe. Ein leichtes Lächeln umspielt meine Lippen. Ich betrachte sein Gesicht. Es ist mir so vertraut und wunderschön. Mit meinen Fingern berühre ich vorsichtig seine bronzefarbene Haut, es ist fast so, als könnte ich sie zerbrechen, wenn ich zu grob bin. Sie ist kühl an den Wangen und der Nasenspitze, doch Tais Lippen sind warm und unglaublich weich. Schwindel überkommt mich plötzlich und erneut steigt Übelkeit in mir auf. Unkoordiniert laufe ich aus dem Zimmer ins Bad, um wiederholt meine Magensäfte in die Toilettenschüssel zu würgen. Langsam fühlt sich meine Speiseröhre an, als würde sie sich zersetzen. Brennender Schmerz sowie Druck ziehen sich entlang meines Brustkorbes hinauf zum Hals. Ich spüle meinen Mund mit kaltem Wasser aus, trinke dabei einen Schluck und wasche mir anschließend das Gesicht. Dann gehe ich zurück in mein Zimmer. Ich bleibe im Türrahmen stehen. Aus müden Augen sieht Tai mich an. „Bist du schwanger?“, fragt er mit rauer, belegter Stimme. „Du kotzt schon die halbe Nacht.“ „Das hast du mitbekommen?“ „Ja, ebenso, dass du nicht da warst, als ich aufwachte. Hast du dich wieder von anderen ficken lassen?“ Seine Worte sind tonlos, ohne jede Emotion. „Tai… ich…“ „Schon gut, Yamato. Ich will es nicht wissen. Tu was du willst, es interessiert mich nicht mehr.“ Mein Freund sieht mich nicht an. „Was soll das heißen?“ Entsetzen und Panik schwingen in meiner Frage mit. „Erachtest du es wirklich für sinnvoll, diese Beziehung noch aufrecht zu erhalten?“ „Ja“, antworte ich sofort, ohne nachzudenken. „Warum?“ „Weil ich dich liebe! Tai, bitte, gib uns nicht auf!“ Angst steigt in mir auf und ich beginne zu zittern. Langsam gehe ich auf meinen Freund zu. „Bleib weg.“ „Taichi… bitte…“ Ich breche weinend zusammen. „Ich will dich nicht verlieren. Ohne dich sterbe ich.“ „Dann hättest du doch endlich dein Ziel erreicht. Somit erweise ich dir zum Schluss sogar noch einen Gefallen. Sieh es als dein Abschiedsgeschenk, mein Liebling.“ Noch immer liegt er von mir abgewandt in meinem Bett. „Und wie geht es für dich weiter, wenn ich weg bin?“ Ich hatte eine Antwort erwartet, doch Tai schweigt. „Sieh mich bitte an. Nur ein letztes Mal.“ Zögernd dreht er sich um. Seine Augen sind vom Weinen gerötet und Tränen laufen seine Wangen hinab. Ich krieche über den Boden zu meinem Freund, zum Laufen fehlt mir die Kraft. Mühsam ziehe ich mich auf das Bett. „Darf ich dich berühren?“ Tai reagiert nicht. Ich lege meine Arme um ihn und drücke ihn fest an mich. Noch immer schaffe ich es nicht, mein Schluchzen und Zittern unter Kontrolle zu bringen. „Halt mich, Yamato! Ich falle, wenn du mich nicht hältst!“ „Ich lasse dich nicht los.“ Jetzt erwidert mein Freund die Umarmung und klammert sich fest an mich. Selten habe ich ihn so schwach und zerbrechlich erlebt. Ich schließe die Augen und gebe mich dem Schmerz der Situation hin. Ich bin froh, dass offenbar auch Tai noch nicht ganz aufgegeben hat. Weder unsere Beziehung, noch mich. Aber sich selbst? Sanft schiebe ich ihn von mir und drücke ihm einen Kuss auf den Mund. Wider Erwarten lässt mein Freund es geschehen und geht schließlich sogar darauf ein. Er wird fordernder, richtet sich auf und beugt sich über mich. Zärtlich küsst er mir die Tränen vom Gesicht. „Tai…“ „Shhh.“ Er legt den Zeigefinger auf meine Lippen und bedeutet mir zu schweigen. Dann zieht er mir die Hose, das einzige Kleidungsstück, das ich nach dem Aufstehen übergezogen hatte, aus und drängt meine Beine auseinander. „Ich liebe dich, Yamato“, flüstert er mir ins Ohr, während er langsam in mich eindringt. Es ist sehr schmerzhaft, was dem Sex mit dem Freier letzte Nacht zu verdanken ist, aber ich versuche mir nichts anmerken zu lassen und diese Erinnerungen auszublenden. Obwohl Tai dieses Mal liebevoll mit mir umgeht, reagiert mein Körper sofort. Bebend vor Erregung passt er sich dem Rhythmus meines Freundes an. „Ich liebe dich“, keuche ich, als Tai seine Stöße intensiviert. Schweiß bildet sich auf unserer Haut und das relativ gleichmäßige Stöhnen facht unser beider Verlangen noch weiter an. Der Alkoholgeruch ist fast verschwunden, sodass ich den Duft meines Freundes wieder wahrnehme, was mich zusätzlich erregt. Ich schließe die Augen und lasse mich vollkommen auf meine Empfindungen ein. Es ist lange her, dass ich Tai so intensiv spüren konnte. Tränen laufen mir das Gesicht hinab. „Tai, wenn du kommst, bleib bitte in mir.“ „Sieh mich an“, entgegnet er als Antwort und stößt härter zu. Ich komme seiner Aufforderung nach. Seine Wangen sind vor Erregung gerötet und vereinzelte Haarsträhnen kleben feucht an seiner Stirn. Ich klammere mich an ihn, als unsere Bewegungen noch einmal schneller werden. Schließlich hält mein Freund inne, stößt noch zweimal kurz zu, zieht sich dann schwer atmend aus mir zurück und lässt sich erschöpft auf die Matratze sinken. Eine Weile liegen wir schweigend nebeneinander, nur unsere Finger sind ineinander verhakt. Anhand der Feuchte zwischen meinen Beinen weiß ich, dass Tai meiner Bitte nachgekommen ist. Ein Teil von ihm ist somit noch immer in mir. Ich rutsche näher an ihn heran und lege meinen Arm über seinen Oberkörper. So wie es jetzt ist, könnte es für immer bleiben, obwohl ich auch in diesem Augenblick spüre, dass mein Freund mit seinen Gedanken wieder abdriftet. Und vielleicht ebenso mit seinen Gefühlen. Durch einen andauernden Druck auf meinen Brustkorb wache ich auf. Tai hat seinen Arm um mich gelegt und nimmt mir dadurch die Luft zum Atmen. Er schläft. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. Es ist schön, dass er wieder neben mir liegt, wenn ich aufwache. Vorsichtig schiebe ich seinen Arm etwas von mir, um mich drehen und meinen Freund besser betrachten zu können. Seine Gesichtszüge sind entspannt. Ich streiche ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Starke Zuneigung überkommt mich und ich küsse sanft seine Lippen. An Tais leicht alkoholischen Geruch und Geschmack habe ich mich inzwischen fast gewöhnt. Zwar kehrte unsere Beziehung in den letzten zweieinhalb Wochen scheinbar zur Normalität zurück, doch ich glaube, dass es nur ein verzweifelter Versuch, uns aneinander festzuklammern, ist. Nach wie vor trinkt Tai nahezu täglich, meist am Abend, vermutlich um schlafen zu können. Bisher habe ich ihn nicht ernsthaft mit seiner Abhängigkeit konfrontiert, ich weiß aber, dass er nicht der Meinung ist, ein Alkoholproblem zu haben. Wenig hilfreich ist auch die Tatsache, dass ich sein Verhalten sogar verstehen und nachvollziehen kann, den Wunsch, der Realität entfliehen, sich betäuben zu wollen. Immerhin versuche ich durch meinen hohen Tablettenkonsum und die immer häufiger werdende Einnahme von BDO dasselbe. Ich habe kein Recht, ihm Vorschriften oder gar Vorwürfe zu machen. Auch wenn es verdammt wehtut, meinem Freund dabei zusehen zu müssen, wie er sich zugrunde richtet, mit dem Wissen, dass die Schuld daran größtenteils bei mir liegt. Ich küsse Tai erneut, dann stehe ich auf, um am Fenster eine Zigarette zu rauchen. „Du versaust dir deine Stimme mit den Dingern“, höre ich meinen Freund sagen, während ich den Rauch tief in mich einsauge. Tai richtet sich etwas auf und sieht mich durchdringend an. Ich frage mich, wie lange er bereits wach ist. „Ich singe nicht mehr.“ „Auch nicht, wenn ich dich darum bitten würde?“ Interessiert schaue ich ihn an. „Warum solltest du das tun?“ „Weil ich deine Stimme liebe, ebenso wie die Lieder, die du schreibst.“ Ich werfe den Rest meiner Zigarette aus dem Fenster und gehe an meinem Freund vorbei zu der Gitarre, nehme sie aus der Halterung und setze mich auf den Stuhl an meinem Schreibtisch. Probehalber schlage ich ein paar Töne an, dann beginne ich zu spielen, schließe meine Augen und versuche mich an den Text eines von mir in letzter Zeit komponierten Liedes zu erinnern. Ich kenne dich schon lange Doch ich sehe in deinem Blick Irgendwas ist mit dir los nur ein Fremder sieht mich an Was ist nur mit dir geschehen Ich denke an die Zeit zurück Bei uns war doch alles klar ich kann das nicht verstehen Wenn dir noch was an mir liegt Finden wir den Weg Breite deine Arme aus und flieg Flieg mit dem Wind lass es geschehen Ich warte hier auf dich Gedanken sind frei wie der Wind Sie führen dich ans Ziel Gegen den Strom mit dem Kopf durch die Wand Schaffst du es sicher nicht Flieg mit dem Wind Es ist nur so ein Gefühl Und ich frage mich wer du bist Schlägt dein Herz noch für mich oder War es nur ein Spiel Und es fällt mir wirklich schwer Dass du so schnell vergisst Und wenn du neben mir stehst Erkenne ich dich nicht mehr Wenn dir noch was an mir liegt Finden wir den Weg Breite deine Arme aus und flieg Flieg mit dem Wind lass es geschehen Ich warte hier auf dich Gedanken sind frei wie der Wind Sie führen dich ans Ziel Gegen den Strom mit dem Kopf durch die Wand Schaffst du es sicher nicht Flieg mit dem Wind Ich lass dich jetzt auch nicht allein Denn irgendwann kannst du dich befreien Flieg mit dem Wind und du wirst bei mir sein Als ich meine Augen wieder öffne, erblicke ich Tai, der reglos auf meinem Bett sitzt und in meine Richtung starrt. Der Ausdruck in seinem Gesicht gleicht einer Mischung aus Schmerz, Verzweiflung und Apathie. Gerade als ich aufstehe und zu ihm gehen möchte, erhebt er sich ebenfalls und verlässt ohne ein Wort zu sagen den Raum. Hilflos schaue ich ihm nach, bis die Tür ins Schloss fällt. Kraftlos stelle ich die Gitarre beiseite und rauche am Fenster eine weitere Zigarette. Kurz überlege ich, mich mit einer höheren Dosis BDO in einen komaähnlichen Zustand zu versetzen, bleibe allerdings paralysiert stehen und blicke gedankenverloren ins Nichts. „Tai?“ Ich stehe im Türrahmen zur Küche und betrachte meinen Freund, der gerade mit einer Tasse Kaffee und leerem Blick am Tisch sitzt. „Tai“, wiederhole ich seinen Namen. Keine Reaktion. Unbeirrt gehe ich auf ihn zu und drehe seinen Kopf am Kinn in meine Richtung, sodass er gezwungen ist mich anzusehen. „Liebst du mich?“, frage ich ihn. „Was?“ „Antworte.“ „Lass mich los.“ Mein Freund sieht mich ernst, beinahe drohend, an, ergreift mit schmerzhaftem Druck mein Handgelenk und löst meine Hand von seinem Kinn. „Willst du mir nicht antworten oder kannst du es nicht?“ Bestimmt versuche ich mich von Tai zu befreien, schaffe es jedoch nicht, von ihm loszukommen. „Was würdest du denn gern hören?“ „Die Wahrheit.“ Mein Freund wendet seinen Blick von mir ab. „Ich weiß es nicht.“ Mit der Antwort hatte ich gerechnet, doch genau diese Wahrheit will ich nicht hören. Sanft streiche ich mit meiner Hand über Tais Hals, ziehe die Konturen nach. Durchdringend sieht mein Freund mich an. „Na los, drück zu. Oder willst du mich lieber vergewaltigen, wie immer, wenn dir etwas nicht passt.“ Ungläubig betrachte ich ihn. „Was soll das? Bist du wieder einmal betrunken?“ „Ich habe nachgedacht, Yamato. Über unsere Beziehung. Einige Dinge verstehe ich nicht.“ „Was meinst du?“ „Du hast mich mit elf das erste Mal vergewaltigt, weitere Übergriffe folgten…“ „Warum behauptest du das immer wieder?“, unterbreche ich ihn verzweifelt. „Lass mich ausreden. Weshalb hast du das getan, wenn du doch keine Liebe für mich empfunden hast? Du sagtest damals, du wolltest mehr als nur Freundschaft, meintest damit aber lediglich Sex. Ich frage mich, ob das nicht bis heute so geblieben ist. Empfindest du wirklich Liebe für mich? Oder ist es nach wie vor nur deine Besessenheit?“ „Ich liebe dich“, antworte ich mit belegter Stimme, aber ohne nachzudenken. „Und trotzdem nimmst du mich noch immer mit Gewalt und gegen meinen Willen.“ „Es reicht, Taichi! Nie war es wirklich gegen deinen Willen, sonst könnte ich ebenso behaupten, du hättest mich mehrfach vergewaltigt. Einmal bist du sogar so weit gegangen, dass ich anschließend ins Krankenhaus musste. Hast du das vergessen?“ Ungehalten schreie ich meinen Freund an. „Nein, Yamato. Aber im Gegensatz zu mir stehst du darauf, so behandelt zu werden.“ Tais Stimme ist ruhig. Ich schweige betreten. „Manchmal habe ich das Gefühl, dir ist gar nicht richtig bewusst, was du tust, und dann wieder denke ich, du weißt es ganz genau. So auch bei dem, was damals passiert ist. Bist du tatsächlich der Meinung, nichts Falsches getan zu haben? Mir drängt sich ein ganz anderer Gedanke auf. Ist es nicht vielmehr so, dass du dich von fremden Männern vergewaltigen lässt, und etwas anderes ist es in meinen Augen nicht, da du den Sex mit ihnen widerlich findest, weil du glaubst dir dasselbe antun zu müssen, was du mir angetan hast?“ Ich blicke meinen Freund emotionslos an. „Hast du jemals etwas anderes als Hass für mich empfunden?“ Tai sieht mich ernst an. „Ich habe dich lediglich als Kind gehasst, allerdings nur in den Momenten, während du mich genommen hast. Und wie ich dir schon einmal sagte, hat deine Unnachgiebigkeit mich an dich gebunden. Aber auch die Frage, warum du so etwas tust, hat mein Interesse geweckt.“ „Ich wollte dir wehtun, weil ich nicht wusste, wie ich sonst mit meinen Gefühlen für dich umgehen sollte. Und schließlich hattest du mich abgewiesen, als ich dir sagte, dass ich mehr als Freundschaft wollte. Was blieb mir also anderes übrig? Du meintest außerdem, dass du mich niemals lieben könntest. Trifft das heute auch noch zu?“ Tai geht nicht auf meine Frage ein, schaut mir aber direkt in die Augen. „Bereust du es? Bereust du, damals so gehandelt zu haben?“ „Nein, ich bin sogar froh darüber. Anders hätte ich dich wahrscheinlich nie bekommen. Nur… offenbar habe ich das auch so nicht.“ Mein Blick verfinstert sich. „Aber das ist mir egal. Ich werde dich nicht gehen lassen. Und wenn es sein muss, vergewaltige ich dich so oft und so lange, bis ich dich endgültig an mich gebunden habe.“ Brutal ergreife ich das Handgelenk meines Freundes, damit er nicht weglaufen kann. „Du bist wahnsinnig, Yamato. Du lebst in deiner eigenen Welt, fernab jeglicher Realität. Doch hier in der Wirklichkeit gelten deine Spielregeln nicht. Begreife das endlich!“ „Nein! Du sollst begreifen, dass du mir gehörst!“ Ich zwinge Tai einen Kuss auf, doch er geht nicht darauf ein und stößt mich stattdessen grob von sich. Als ich erneut auf ihn zukomme, steht mein Freund auf und geht in Abwehrhaltung. Dank meiner Kampfsporterfahrung gelingt es mir mit wenigen Handgriffen, Tai von hinten festzuhalten und mit meinem Arm seine Kehle abzudrücken. „Ich liebe dich, Taichi Yagami!“, raune ich in sein Ohr. „Dann lass mich los“, presst dieser hervor. „Das kann ich nicht. Du wirst mich verlassen.“ „Yamato…“ Der Tonfall meines Freundes ist resigniert, beinahe traurig. Plötzlich schwindet meine Kraft, ich lasse von meinem Freund ab und breche zitternd zusammen. Ich spüre, wie ich auf dem Boden aufschlage, dann wird mir schwarz vor Augen und ich verliere das Bewusstsein. Ich öffne die Augen. Für einen Moment fehlt mir vollkommen die Orientierung. Langsam erkenne ich die weiß gestrichene Decke meines Zimmers und begreife, dass ich in meinem Bett liege. Ich versuche mich daran zu erinnern, was passiert ist, doch der Schmerz in meinem Kopf beeinträchtigt meine Konzentration. Langsam setze ich mich auf. Am Boden neben meinem Bett sitzt Tai, mit dem Kopf auf der Matratze liegend. Er scheint zu schlafen. Ich beuge mich zu ihm. Erst jetzt bemerke ich, dass seine Hand in meiner liegt. Behutsam hauche ich einen Kuss auf die Wange meines Freundes. Die Erinnerung an das Geschehen vor meinem Zusammenbruch kehrt zurück und Tränen füllen meine Augen. Ich bin erleichtert, dass Tai die Gelegenheit nicht genutzt hat, um zu gehen. Aber die Angst spüre ich immer noch in mir. Ich war kurz davor, endgültig meinen Verstand zu verlieren, und wenn ich nicht das Bewusstsein verloren hätte, wäre ich gewaltsam gegen meinen Freund vorgegangen. Ich wollte ihn einsperren, sodass er mich nie verlassen kann, und vermutlich hätte ich ihn ein weiteres Mal gegen seinen Willen genommen. Auch jetzt verspüre ich noch den Drang, ihn anzuketten. Sein Verhalten zeigte mir deutlich, dass er nichts mehr für mich empfindet, offenbar nie empfunden hat. Mein Herz klopft schneller bei diesem Gedanken und ein stechender Schmerz setzt ein. Ich versuche tief durchzuatmen, mich unter Kontrolle zu halten. Warum hat er sich überhaupt auf mich eingelassen und mir nach zwei Jahren, in denen ich ihn angeblich mehrfach vergewaltigt haben soll, gesagt, dass er mich liebt? Dass er mich zuvor bereits einmal genommen hatte und dabei nicht gerade liebevoll vorging, tat ich als Rache ab. Ich dachte, er will mich spüren lassen, wie es sich anfühlt, zum Sex gezwungen zu werden, nur dass ich nach einiger Gegenwehr letztlich Gefallen am passiven Part gefunden habe und mich erregt seiner Gewalt hingab. Damals waren wir dreizehn. Seither sind fast fünf Jahre vergangen, in denen ich dachte, zwischen uns hätten sich allmählich eine Beziehung und vor allem Gefühle entwickelt, die ich mir lange Zeit zwar selbst nicht eingestehen wollte, aber mittlerweile nicht mehr leugnen kann. Ich hatte den Eindruck, Tai ginge es ähnlich, doch offenbar war es für ihn nie mehr als ein Zeitvertreib. Wenn ich ihn also nicht verlieren möchte, muss ich meine Gefühle töten und mich wieder auf unser perverses, weniger schmerzhaftes Spiel einlassen. Ich schaue meinen Freund an und erneut überkommt mich starke Zuneigung. Verzweifelt schließe ich meine Augen. Wenn Tai wirklich recht hat und ich innerlich tot bin, warum tut es dann so verdammt weh? Ich muss mich betäuben, anders werde ich es nicht schaffen. In Gedanken gehe ich die Möglichkeiten durch. Ich verspüre den Wunsch, mir im Bad den Arm aufzuschneiden, könnte mich allerdings auch von einem Freier bis an meine Grenzen ficken lassen oder mich gleich mit BDO in die Bewusstlosigkeit befördern. Tränen laufen mir über die Wangen. Noch immer liegt Tais Hand in meiner, welche ich nun fest umschließe. Kapitel 13: ------------ „Ja, Papa. Bei uns ist alles in Ordnung.“ „Ja, mir geht es wirklich gut.“ „Nein, es gibt keine Probleme.“ „Ich weiß, dass in ein paar Tagen die Schule wieder anfängt.“ „Papa, du musst mich nicht ständig darauf hinweisen, dass ich das letzte Jahr aufgrund zu vieler Fehlzeiten beinahe wieder nicht geschafft hätte.“ „Ja, ich werde zukünftig regelmäßig hingehen, um meinen Abschluss zu schaffen. Versprochen.“ „Mach dir keine Sorgen. Tai ist bei mir. Aber was ist mit dir? Wie geht es dir?“ „Hmm.“ „Ja.“ „Oh, wirklich? Und wann?“ „Im Sommer wahrscheinlich, okay. Wann wirst du genaueres wissen?“ „Aha. Ja, ist gut.“ „Ja. Ich dich auch. Bis dann.“ Ich lege auf und schaue das Telefon noch einen Moment an. „Dein Vater?“, fragt Tai, der gerade nur mit Shorts bekleidet aus dem Badezimmer kommt. Seine Haare sind tropfnass. Ich gehe einige Schritte auf ihn zu und rubbele ihm mit dem Handtuch, welches er um seine Schultern gelegt hat, durch die Haare, um sie zu trocknen. „Ja, er wollte wissen, wie es uns geht“, sage ich nüchtern. „Und, wie geht es uns?“, fragt mein Freund interessiert. „Gut, oder nicht?“ Ich lächle ihn an. „Yamato…“ Tai sieht mich ernst an. Er hebt seine Hand, um meine Wange zu berühren, doch ich entziehe mich ihm. „Ich muss noch einmal weg“, weiche ich meinem Freund aus und wende mich zum Gehen. Grob packt er mich am Handgelenk und zieht mich zu sich herum. „Warum verweigerst du dich mir, sobald ich dich berühren möchte? Seit Tagen schon.“ „Ich verweigere mich dir nicht.“ „Hör auf zu lügen, Yamato.“ Ich versuche Tais Hand abzuschütteln, doch er verstärkt seinen Griff. „Lass mich los. Ich bin ohnehin schon spät dran.“ „Du gehst jetzt nicht, um dich von irgend so einem Perversen ficken zu lassen.“ Mein Freund zieht mich ein Stück zu sich, um mich dann hart gegen die Wand zu pressen. Seinen rechten Arm drückt er gegen meine Kehle, mit der linken Hand öffnet er meine Hose und versucht sie ein Stück nach unten zu schieben. „Tai, was soll das?“, will ich stockend und deutlich irritiert wissen. „Wonach sieht es denn aus? Ich bin der Einzige, der seinen Schwanz in deinen süßen Arsch stecken darf. Merk dir das endlich!“ Nun schiebt er auch seine Hose herunter. Ich beginne mich zu wehren, indem ich versuche, meinen Freund von mir zu stoßen, schaffe es jedoch nicht. Verzweifelt schaue ich ihn an. „Bitte, ich kann nicht mit dir schlafen!“ Meine Stimme zittert. „Das ist mir egal. Ich will dich. Jetzt! Also halt still.“ Er dreht mich mit dem Gesicht zur Wand. Mit einem Arm umschlingt er meine Hüfte, mit dem anderen drückt er mich in eine leicht gebückte Haltung. „Nein, Tai!“, schreie ich panisch. „Lass mich gehen, bitte!“ „Bin ich dir mittlerweile so zuwider?“ Tai wartet meine Antwort nicht ab und dringt derb in mich ein. Über meine Lippen kommt ein ersticktes Stöhnen, mit meinen Fingern kratze ich verkrampft die Wand hinab. „Bitte, Tai. Hör auf!“, schluchze ich. Als Antwort nimmt er mich härter. Seine Stöße sind tiefer und kräftiger. Unsere Atmung ist fast im Einklang, doch mein Keuchen ist durchsetzt von Schmerzensschreien. Um mich abzulenken, hatte ich in den letzten Tagen viel Sex mit Freiern, die nicht gerade zimperlich mit mir umgegangen sind. Einige Verletzungen sind darauf zurückzuführen, dennoch geht mein Freund diesmal ungewöhnlich brutal und rücksichtslos vor. Meine Beine zittern und würde Tai mich nicht festhalten, wäre ich mit Sicherheit bereits zusammengebrochen. „Was ist los, Yamato? Gefällt es dir nicht?“ Ich antworte nicht, was meinen Freund wütend macht. Er stößt härter zu und ich spüre, wie eine warme Flüssigkeit meinen Oberschenkel hinab läuft. Plötzlich zieht Tai sich aus mir zurück und gibt mich frei. Sofort breche ich zusammen und bleibe reglos auf dem Boden im Flur liegen. Bestürzt betrachtet mein Freund das Blut zwischen meinen Beinen. Ich versuche aufzustehen, muss mich aber an der Wand abstützen. Ohne Tai anzusehen, gehe ich unsicheren Schrittes in mein Zimmer. Fahrig krame ich aus meinem Schreibtisch das Fläschchen mit dem BDO und tropfe es mir pur auf die Zunge. Ein leichtes Brennen stellt sich ein, was ich aber kaum registriere. Benommen entkleide ich mich gänzlich, anschließend lege ich mich in mein Bett und warte auf die rettende Bewusstlosigkeit. Mein Körper glüht an den Stellen, an denen mein Freund mich berührt hat. Er ist tief in mich eingedrungen und hat mir einen bittersüßen Schmerz hinterlassen, der nun auch auf meinem Laken sichtbar sein wird. Es war wieder eines seiner Spiele, doch für mich bedeutet es viel mehr als das. Allmählich spüre ich die Wirkung der Droge. Mein letzter Gedanke gilt Tai und seinem Übergriff, der niemals hätte geschehen dürfen. Ich sitze auf meinem Platz und schaue aus dem Fenster, als die Letzten das Klassenzimmer verlassen. Mein Mitschüler lehnt an dem Tisch vor mir und betrachtet mich. Dann greift er mit seinen Fingern unter mein Kinn und dreht meinen Kopf zu sich. Überlegen sieht er mich an. „Steh auf, Yamato.“ Ohne Widerworte zu geben, leiste ich Folge. „Du hast dich verändert. Es wirkt auf mich, als hättest du keinen Funken Stolz mehr, als hättest du dich nun komplett aufgegeben.“ Ich antworte nicht und blicke starr zu Boden. Kurzerhand löst mein Klassenkamerad die Krawatte seiner Schuluniform. „Zieh deine Hose nach unten und leg dich auf die Tischplatte. Ich würde nicht zu lange zögern, vielleicht kommt doch noch einmal jemand zurück.“ Wieder gehorche ich ohne Aufbegehren. Als er vor mir zum Stehen kommt und ebenfalls seine Hose herunterlässt, spreize ich unaufgefordert meine Beine. Mit harten Stößen dringt er tief in mich ein, während er die Krawatte um meinen Hals legt und es fest zuzieht. Sofort verändert sich der Schmerz in meinem Kopf und wird zu einem dumpfen Nebel. Ich versuche die Augen offen zu halten, ich möchte die Realität wanken, verschwimmen und letztlich in der Finsternis untergehen sehen. Der Druck auf meinen Kehlkopf ist schmerzhaft, ebenso wie die intensiven Bewegungen meines Mitschülers in mir. Gequältes, stimmloses Stöhnen entweicht meiner Kehle. Er verstärkt die Strangulation weiter. Ich versuche meine Fingernägel im Holz der Tischplatte zu vergraben und bäume mich auf. Tränen des Schmerzes und Selbsthasses, aber auch der Sehnsucht rinnen über meine Wangen. „Taichi…“, hauche ich erstickt. Mein Klassenkamerad lässt die Krawatte los. Krampfhaftes Husten meinerseits erfüllt den Raum. Es dauert eine Weile, bis ich es halbwegs unter Kontrolle bekomme. „Yamato“, höre ich meinen Mitschüler sagen. Erneut beginnt er sich in mir zu bewegen, diesmal aber ungewohnt sanft und gefühlvoll. Er beugt sich leicht vor und zieht mich in eine Umarmung. „Halt dich an mir fest“, flüstert er in mein Ohr. Gedankenlos klammere ich mich an ihn. Viel zu tief dringt er mit seinen Stößen in mich ein, zu intensiv spüre ich ihn. Ein leichtes Gefühl der Übelkeit kommt in mir auf, welches ich niederzukämpfen versuche. Meine Atmung ist stockend und unregelmäßig. Mein Klassenkamerad drückt mich noch dichter an sich, bevor er sich aus mir zurückzieht. Teilnahmslos sinke ich zurück auf die Tischplatte. Durch die Feuchte zwischen meinen Beinen weiß ich, dass er in mir gekommen ist. Keuchend und leicht verschwitzt schaut er mich an, während er seine Hose wieder hochzieht. Dann gibt er mir einen Kuss auf die Stirn, streicht mir durch das ebenfalls verschwitzte Haar, packt seine Sachen zusammen und verlässt ohne Kommentar das Klassenzimmer. Ich starre an die Decke des Raumes, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen oder mich zu bewegen. Ich schaffe es nicht länger, die Übelkeit zu unterdrücken. Krampfartig würgend drehe ich mich zur Seite und übergebe mich schmerzhaft, als wollte ich meine Innereien erbrechen. Wie in Trance schleppe ich mich die Treppe hinauf. Mein Hals schmerzt, was das Atmen unter Anstrengung nicht gerade erleichtert. Der Wunsch, mich zu betäuben, wächst mit jeder Stufe, die ich überwinde. Noch immer spüre ich meinen Klassenkameraden viel zu intensiv in mir. Erneut kriecht Übelkeit in meiner Kehle empor. Durch die Gewissheit, dass gleich alles vorbei sein wird, schaffe ich es, den letzten Absatz zu bezwingen und hinter mir zu lassen. Mit zitternden Händen schließe ich die Tür auf. Ich stelle meine Schultasche im Flur ab und ziehe die Schuhe aus. In der Wohnung ist alles ruhig. Völlig entkräftet gehe ich in mein Zimmer. Zu meiner Überraschung liegt Tai in meinem Bett und scheint zu schlafen. Mein Kissen hält er fest im Arm, als hätte er Angst davor, es loszulassen. Ich setze mich auf die Bettkante und betrachte ihn. Seine Gesichtszüge sind entspannt, er scheint nicht zu träumen, sondern befindet sich eher in einer Tiefschlafphase. Ich streichle leicht über seine Wange, sein Wangenknochen tritt deutlicher hervor als früher. Generell ist von dem einst durchtrainierten Körper nur noch ansatzweise etwas zu erkennen. Jetzt wirkt er ausgezehrt und sehnig. Auch seine Haut verliert allmählich ihren bronzefarbenen Schimmer und wandelt sich in ein ungesundes Gelb. Er scheint heute wieder nicht in der Uni gewesen zu sein. Abgesehen von der Einführungsveranstaltung, welche er sogar früher verlassen hatte, ist er offenbar nicht mehr dort gewesen. Ich habe das Gefühl, dass er ab dem Zeitpunkt komplett abgestürzt ist, als er mich vor ein paar Tagen im Flur recht hart genommen hat, denn ich kann mich nicht erinnern ihn seither nüchtern erlebt zu haben. Am meisten bereitet mir Sorgen, dass er nicht nur angetrunken ist, wie es bisher meist der Fall war, sondern dass er sich richtiggehend ins Delirium oder in die Bewusstlosigkeit trinkt. Immer häufiger drängt sich mir die Frage auf, ob er sich lediglich betäuben möchte oder ob es sich bereits um suizidale Absichten handelt, indem er hofft beziehungsweise darauf hinarbeitet, an seiner Sucht zu verrecken. Mein Selbsthass verstärkt sich, weil ich weiß, dass ich handeln müsste, aber stattdessen nur zuschaue und mich selbst mit Tabletten und Drogen betäube. Bitter fange ich plötzlich an zu lachen. Es macht den Anschein, als wäre das ein absurder Wettbewerb, wem es zuerst gelingt, infolge seines dysfunktionalen Verhaltens zu sterben. Ich streiche meinem Freund durch sein braunes Haar. Langsam begreife ich, dass ich Tai nie besitzen werde, egal ob ich Abstand von ihm nehme oder nicht. Seine Gefühle werden sich nicht ändern, nur weil ich ihm Freiraum gebe. Er wird mich nie lieben. Vermutlich weil er es auch gar nicht will, was ich durchaus nachvollziehen kann. Ich hasse mich dafür, dass ich so naiv war. Immer wenn Tai mir sagte, er würde mich lieben, glaubte ich ihm nicht, ließ mich aber jedes Mal von Neuem auf diese Lüge ein. Nur irgendwann wandelten sich meine Gefühle und ich ging davon aus, dass es bei meinem Freund genauso sei, dass auch er nicht mehr nur spielen würde. Jetzt weiß ich, dass ich mich geirrt habe. Geht es nach seinem Empfinden, habe ich ihn jahrelang immer wieder vergewaltigt. Als er schließlich mich genommen hat, dachte ich, er wollte sich auf diese Weise an mir rächen. Er konnte nicht wissen, dass er dadurch mein Verlangen nach ihm nur verstärken würde. Allerdings brachte er mich etwas aus dem Konzept, als er sich danach für mich entschied und auf das Spiel einließ. Ich fragte mich, was seine Beweggründe dafür seien, da wir doch beide wussten, dass er bezüglich seiner Gefühle log. Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, ist das wohl seine tatsächliche Rache. Er hat mich von sich abhängig gemacht, denn nur so bekommt er mich auf den Boden, um nachzutreten und mich zu demütigen. Das Rascheln der Bettdecke holt mich aus meinen Gedanken. Tai hat sich umgedreht, wobei er das Kissen losließ, und ist mir nun mit dem Gesicht zugewandt. Ich hauche ihm einen Kuss auf die Lippen, dann lege ich mich neben ihn und kuschle mich in seine Arme. Mein Herz klopft schnell, aufgrund der Entscheidung, die ich gerade getroffen habe. Ich schließe meine Augen. Sie brennen, ebenso wie der Druck auf meiner Kehle, der nicht mehr nur durch die Strangulation verursacht wird. Dennoch läuft keine einzige Träne über meine Wangen. Ich sitze in der Küche, vor mir steht eine Tasse mit erkaltetem Kaffee. Abwesend schaue ich aus dem Fenster. „Yamato…“ Ich zucke zusammen, als Tai den Raum betritt und mich direkt anspricht. Seine Stimme ist kratzig, klingt verkatert. Ich wende mich um, damit ich ihn ansehen kann. Die Haare stehen ihm wild vom Kopf, was er einer unruhigen Nacht zu verdanken hat. Seit ich gestern Nachmittag nach Hause kam und ihn in meinem Bett vorfand, ist er nicht noch einmal aufgewacht, weshalb er die Nacht bei mir verbrachte. Ich blieb wach, um in jeder Sekunde seine Nähe spüren zu können, doch jetzt droht mich die Müdigkeit zu überwältigen. „Möchtest du Kaffee?“, frage ich gähnend und stehe auf. „Nein, danke. Mir ist etwas schlecht.“ „Das kommt vom Alkohol.“ Ich fülle an der Spüle ein Glas mit kaltem Leitungswasser und reiche es meinem Freund. „Hier, du musst viel trinken, um deinen Flüssigkeitshaushalt wieder herzustellen.“ „Danke.“ Er nimmt das Glas mit einem Lächeln entgegen, schaut mich aber sofort wieder ernst an. „Warum sitzt du hier in Jeans und Rollkragenpullover? Wo ist deine Uniform? Müsstest du nicht schon längst in der Schule sein?“ „Hat nicht schon vor Tagen die Uni begonnen, in der du meines Wissens noch nicht einmal gewesen bist?“, kontere ich, jedoch ohne Vorwurf in der Stimme. Tai stellt sein Glas auf den Tisch und berührt mich am Hals. „Knutschflecke von einem deiner Freier?“ Sein Gesichtsausdruck lässt Unbehagen erkennen. Als er den Kragen ein Stück nach unten schiebt, schließe ich meine Augen und versuche das flaue Gefühl im Magen zu übergehen. „Tai… nicht…“, bitte ich ihn inständig. „Strangulationsstriemen?“ Mein Freund starrt auf die Male an meinem Hals, die mittlerweile rötlich-violett verfärbt sind. „Das sieht schlimm aus. Wollte derjenige dich umbringen? Hast du ihn darum gebeten?“ „Es ist in Ordnung, Tai“, versuche ich ihn zu überzeugen. Ich darf jetzt keine Anzeichen mehr für Suizidalität nach außen dringen lassen. Unerwartet zieht Tai mich dicht zu sich heran und küsst mich innig. Ich erwidere den Kuss, aber meine Beine zittern, sodass ich mich Halt suchend an meinem Freund festkralle. Mit seinem Körper drängt er mich ein paar Schritte zurück, bis ich mit dem Rücken gegen den Küchenschrank stoße. Tai unterbricht unser verlangendes Zungenspiel und sieht mich durchdringend an. „Wir müssen reden, Yamato. Jetzt, denn wir sind beide halbwegs nüchtern und bei Verstand.“ Ich denke an meinen Plan und ob dieses Gespräch noch etwas daran ändern könnte. Schließlich nicke ich. „Aber können wir…“, setze ich an, werde jedoch unterbrochen. „Nein, wir bleiben so stehen. Weglaufen gibt es dieses Mal nicht.“ An seinen Augen erkenne ich, dass mein Freund keine Widerrede duldet. „Warum gehst du mir aus dem Weg, Yamato?“ Ich überlege kurz, beschließe aber ausnahmslos ehrlich zu sein. Verlieren kann ich sowieso nichts mehr und in ein paar Tagen ist alles vorbei. „Ich wollte dir mehr Freiraum geben. Ich hatte gehofft, dass du vielleicht doch noch Gefühle für mich entwickelst, wenn ich dich nicht mehr bedränge und dich vor allem zu nichts mehr zwinge.“ Während ich spreche, stirbt meine Stimme mehrfach ab und das Schlucken ist unglaublich schmerzhaft. Verwundert blickt Tai mich an. „Wie kommst du auf solche Gedanken?“ „Du meintest, du wüsstest nicht, ob du mich liebst. Aber ich habe begriffen, dass du mich niemals lieben wirst, egal, was ich tue. Du hast dieses Spiel gespielt, um dich für die sexuellen Übergriffe an mir zu rächen. Du…“ „Yamato!“, unterbricht mich mein Gegenüber zurechtweisend. „Was geht nur wieder in deinem Kopf vor? Du schaffst es irgendwie immer, die Aussagen anderer so zu interpretieren, dass sie möglichst gegen dich gerichtet sind, sodass du dich daran verletzen kannst.“ Er nimmt mich in den Arm und drückt mich fest an sich. „Ich liebe dich, du Idiot. Das solltest du wissen, also warum zweifelst du daran? Nur, weil ich einmal meine Bedenken geäußert habe? Dabei wollte ich lediglich mit dir über unsere momentanen Schwierigkeiten reden und diese endlich bereinigen. Auch ich habe Bedenken, was deine Gefühle für mich anbelangt, aber das ist meiner Meinung nach berechtigt, wenn du fremdvögelst und sogar Geld dafür nimmst. Ich sagte dir immer wieder, dass ich dich nicht teile, doch dich scheint das nicht zu interessieren. Ich ertrage das nicht mehr, Yamato! Was meinst du, warum ich immer häufiger versuche mich mit Alkohol zu betäuben? Dir dabei zuzusehen, wie du dich schneidest, rauchst, kaum Nahrung zu dir nimmst, deinen Körper verkaufst, obwohl es dich offensichtlich anwidert, Tabletten in viel zu hohen Dosierungen einwirfst und mittlerweile sogar Drogen nimmst…“ Tais Stimme zittert, bevor sie schließlich abbricht. Noch immer umarmt er mich, nun sogar noch intensiver. Das Beben seines Körpers verrät mir, dass er weint. Flüsternd spricht er weiter: „Ich kann dir nicht mehr dabei zusehen, wie du dich kaputt machst und an dir zugrunde gehst. Aber ich kann dich auch nicht zwangseinweisen, weil ich denke, dass dadurch alles nur schlimmer werden würde. Was soll ich tun, Yamato? Ich weiß es nicht, doch ich zerbreche langsam daran.“ Die Worte meines Freundes schnüren mir die Brust ab und ich kann kaum atmen. Tränen laufen mir unablässig über die Wangen und ich presse meinen Freund so fest an mich, dass es schmerzt. „Ich werde dich freigeben. Dann kannst du glücklich werden, okay? Es tut mir leid, dass ich dir so viele schlimme Dinge angetan habe. Ab jetzt musst du keine Angst…“ „Nein! Du wirst nicht gehen! Es ist feige, Yamato. Du kannst nichts gut machen, wenn du tot bist. Ich liebe dich, also bleib gefälligst bei mir!“ Ich bringe kein Wort mehr heraus und sacke kraftlos in mich zusammen. Tai schafft es nicht, mich aufrecht zu halten, und sinkt ebenfalls zu Boden, vermutlich weil auch ihn seine Kraft verlässt. Eng umschlungen sitzen wir weinend in der Küche und seit langer Zeit fühle ich eine Leichtigkeit, die nicht mit der Gewissheit, zu sterben, zusammenhängt. Gleichmäßiges, hingebungsvolles Stöhnen erfüllt den Raum. Verschwitzt und mit feuchtem Haar liege ich auf meinem Bett, die Augen unablässig auf meinen Freund gerichtet, der schwer atmend über mich gebeugt ist. Auch seine Blicke ruhen fortwährend auf mir. Diesmal sehe ich ihn ohne Aufforderung seinerseits an, da ich sichergehen möchte, dass es wirklich Tai ist, von dem ich gerade genommen werde. Eigentlich reicht es, ihn zu spüren, um das zu wissen, aber meine Angst, ihn wieder zu verlieren, sowie meine Unsicherheit machen mich wahnsinnig und bringen mich zur Verzweiflung. Ich strecke meine Arme nach oben und lege sie in den Nacken meines Freundes, ziehe ihn ein wenig zu mir nach unten und küsse ihn. Er hält in seiner Bewegung kurz inne und erwidert den Kuss, doch während unseres sehnsuchtsvollen und ungewohnt zärtlichen Zungenspiels fährt er mit seiner Penetration fort und stößt fordernd tief in mich. Ich löse mich von seinen Lippen, werfe meinen Kopf leicht zurück und bäume mich lustvoll auf. Meine Empfindungen sind schmerzhaft intensiv, obwohl ich keine Drogen konsumiert habe. „Tai, nimm mich bitte härter“, keuche ich sehnsüchtig. Ich will meine Grenzen überschreiten, bis an den Rand des Erträglichen gehen und außer meinem Freund nichts mehr wahrnehmen. Er kommt meiner Bitte nach und nimmt mich weniger behutsam und zärtlich. Mit vor Erregung zitternden Fingern fahre ich Tais Hals hinab, entlang des Schulterknochens, über den Oberarm, in welchem ich fiebrig meine Nägel vergrabe. Sein Gesichtsausdruck ist voller Begehren und Zuneigung, doch auch die Anstrengung hinterlässt deutliche Spuren. Der Schweiß perlt auf seiner Haut und verleiht ihm ein noch sinnlicheres Aussehen. „Ich liebe dich, Taichi.“ Meine Stimme bebt, ebenso wie mein gesamter Körper. Als Antwort streicht er mir eine nasse Strähne meines Haares hinter das Ohr, dann hebt er mein Becken noch etwas an, um tiefer in mich einzudringen. In meinen Fingerspitzen setzt ein leichtes Kribbeln ein, welches sich schnell ausbreitet. Auch meine Wahrnehmung verändert sich und ich bestehe nur noch aus Gefühl, welches mich beinahe um den Verstand bringt. Einmal mehr kommt mein Freund in mir. Vielleicht, weil wir beide hoffen dadurch alle anderen fremden und widerlichen Körperflüssigkeiten in mir überdecken zu können. Tai lässt sich atemlos neben mich sinken und umfängt meinen zitternden Körper mit seinen Armen. Erst jetzt schließe ich meine Augen. Ich spüre, dass ich am Rande eines Nervenzusammenbruchs stehe, und versuche mich zu beruhigen. Die Emotionen und Empfindungen, die mein Freund in mir auslöst, ihn derart intensiv zu spüren, die Probleme, die nach wie vor zwischen uns stehen und unlösbar erscheinen, sowie mein Plan, der noch immer in meinem Hinterkopf fest verankert ist, überschreiten meine Kräfte momentan bei weitem. Ich rutsche noch näher an Tai heran. „Yamato?“ „Alles okay. Ich bin nur etwas erschöpft.“ Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn und hält mich einfach nur fest. Nach einer Weile durchbreche ich die Stille. „Ich verstehe nicht, wie du mich lieben könntest, nach allem, was ich dir angetan habe und noch immer antue.“ „Ich liebe dich aber. Finde dich damit ab.“ Die Aussage meines Freundes klingt nicht genervt, nur endgültig. „Warum? Ich meine, seit wann? Hatte dein Übergriff auf mich damals etwas damit zutun? Oder warum hattest du mich genommen?“ „Ehrlich gesagt kann ich dir das alles nicht so genau beantworten. Du hast mich von Anfang an fasziniert. Wenn du mich mit Gewalt genommen hast, habe ich dich gehasst, aber dennoch bestand mein Interesse weiter, wurde sogar größer und ich wollte mehr von dir erfahren. Der erste Sex, bei dem ich in dich eindrang, war ein Akt der Verzweiflung, spontan und nicht geplant. Ich weiß nicht, ob ich zu diesem Zeitpunkt unbewusst schon Gefühle für dich hatte. Dann begann unser Spiel, mit dem Moment, als ich dir sagte, ich würde dich lieben. Vermutlich entsprach das sogar schon in gewisser Weise der Wahrheit. Du gingst mir einfach nicht mehr aus dem Kopf, aber ich konnte und wollte es mir nicht eingestehen, deshalb belog ich uns beide. Doch dann ging es so weit, dass ich Eifersucht empfand und dich für mich haben wollte, weshalb es sinnlos wurde, meine Gefühle abzustreiten oder mich dagegen zu wehren.“ „Hasst du mich noch immer, wenn ich mit dir schlafe?“ „Wenn es gegen meinen Willen geschieht, ja.“ Ich hatte mit dieser Antwort gerechnet, sie ausgesprochen zu hören schmerzt dennoch und macht mich betroffen. Ich streiche über die Haut meines Freundes und atme tief durch. „Die Sache von damals, also meine Handlungen, haben Spuren hinterlassen, oder?“ „Es sieht so aus“, meint Tai nachdenklich. „Aber nicht nur bei mir.“ „Wie meinst du das?“ Kurz bin ich versucht mich aufzusetzen, um ihn ansehen zu können, entscheide mich aber dagegen. „Vielleicht irre ich mich, aber wie ich letztens sagte, bin ich der Meinung, dein Sexualverhalten ist davon beeinflusst worden. Auch hast du mir nie wieder einen runtergeholt, während du mit mir geschlafen hast, so wie es bei den ersten paar Malen der Fall war. Warum?“ Hilflos halte ich in meinen körperlichen Zuwendungen inne. Tais Frage zwingt mich an Wirklichkeiten zu denken, die ich vor langer Zeit aus meinem Bewusstsein verbannt habe. Die angesprochene Tatsache, dass ich ihn seither nie wieder auf diese Weise genommen habe, ist mir somit bis eben nicht bewusst gewesen. „Ich weiß es nicht“, gebe ich paralysiert zu. Liebevoll streicht mir mein Freund über die Wange. Ich versuche mich aus meiner Erstarrung zu lösen, um die Unterhaltung mit Tai aufrecht zu erhalten, schaffe es jedoch nicht. Regungslos liege ich in seinen Armen und kämpfe gegen die Stimmen in meinem Kopf an. „Yamato, bleib bitte bei mir.“ Mein Freund richtet sich ein wenig auf, ohne meinen Körper auf die Matratze sinken zu lassen, und hält mich fest. Aus leeren Augen starre ich ihn an. „Es ist okay“, sagt er schließlich mit einem bitteren Lächeln. Ein nervlicher Zusammenbruch holt mich aus meiner Apathie und Weinkrämpfe schütteln meinen Körper. „Nein… ich…“ Meine Stimme versagt. Tai schweigt und drückt mich verzweifelt an sich. „Bitte… verzeih mir“, flüstere ich stockend. Ich klopfe gegen das Holz und öffne, nach einer Aufforderung von der anderen Seite, die Tür. „Yamato. Komm rein.“ Der Schuldirektor sitzt mit ernster Miene hinter seinem Schreibtisch und bedeutet mir auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz zu nehmen. „Du warst die letzten Tage nicht in der Schule. Warum?“ „Es ging mir nicht gut“, versuche ich mich herauszureden. „Warst du beim Arzt?“ „Nein.“ Seufzend und sorgenvoll sieht er mich an. „Yamato. Du musstest schon einmal das Schuljahr wiederholen und das letzte hättest du beinahe wieder nicht geschafft. Nur, weil deine Fehlzeiten zu hoch sind. Legst du es darauf an, keinen Abschluss zu bekommen?“ „Nein“, sage ich kleinlaut und blicke auf meine Finger. „Und warum tust du dann alles dafür? Du solltest den Ernst der Lage endlich erkennen. Du bist doch intelligent, nutze das, um etwas aus deinem Leben zu machen.“ Ich lächle bitter. Unangenehme Stille erfüllt den Raum, dann ergreift mein Gegenüber wieder das Wort. „Du wurdest in einer missverständlichen Lage gesehen.“ Entsetzt schaue ich auf, genau in die Augen meines Direktors. Der fährt sachlich fort: „Ich möchte, dass du eine Stellungnahme schreibst, in der du den Irrtum aufklärst und den Sachverhalt richtigstellst.“ Ungehalten öffne ich den Mund, um zu protestieren, doch er bedeutet mir zu schweigen. „Zudem werde ich dich zwei Wochen von der Schule suspendieren, in denen du Zeit hast, über dein Fehlverhalten nachzudenken und deine Prioritäten neu zu setzen.“ „Verstanden“, sage ich widerstrebend, stehe auf und wende mich zum Gehen. „Yamato, ich erwarte dich in zwei Wochen noch einmal in meinem Büro, bevor du wieder am Unterricht teilnimmst. Und…“ Er macht eine kurze Pause, in der er mich durchdringend ansieht. „… ich hoffe, dir ist dein widernatürliches Verhalten mittlerweile bewusst und du erkennst deine Verwirrung. Verbaue dir deine Zukunft nicht durch solchen jugendlichen Unsinn.“ Wütend balle ich meine Faust und verletze mit meinen Nägeln die Innenseite meiner Hand. Der Schmerz hilft mir meine Emotionen einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Ich lächle angestrengt, verbeuge mich und verlasse anschließend zügig den Raum. Erstaunt blicke ich in die Augen meines Klassenkameraden, der vor der Tür zu warten scheint. „Yamato“, sagt dieser überrascht. „Okay, wenn du auch hier bist, kann ich mir denken, warum ich zum Direktor muss. Wir wurden wohl gesehen?“, fragt er gelassen. „Ja“, antworte ich trocken. „Und?“ „Suspendierung.“ „Die werde ich somit vermutlich auch bekommen.“ Er tritt an mich heran, legt seine Hand auf meine Taille und raunt mir ins Ohr: „Warte am Schultor auf mich. Ich muss mit dir reden.“ „Reden oder ficken?“, frage ich tonlos. Ein leichtes Lächeln legt sich auf die Lippen meines Mitschülers. „Beides.“ Er küsst mich auf die Wange und klopft an die Tür des Direktors. Als mein Mitschüler dahinter verschwindet, stehe ich noch immer reglos da und starre ins Nichts. Ich frage mich, worüber er mit mir reden möchte, doch zuerst muss ich mich dazu entschließen, seiner Aufforderung, am Schultor auf ihn zu warten, nachzukommen. Alles in mir wehrt sich dagegen, ich will Tai das nicht mehr antun. Langsam setze ich mich in Bewegung, um zum Ausgang zu gehen. Auf halber Strecke kommt mir mein Bandkollege Akira entgegen. Ich weiß, dass ich inzwischen ersetzt worden bin, ohne darüber informiert worden zu sein, dementsprechend nervös sieht er mich an. Das Unbehagen ist ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Ich überlege kurz, wortlos an ihm vorbei zu gehen, bleibe dann aber doch vor ihm stehen. „Yamato“, begrüßt er mich unsicher. „Hallo, Akira.“ Ich lächle, was meinen Gegenüber sichtlich irritiert. „Sieh mich nicht so an. Ich bin nicht sauer. Letztlich ist es meine eigene Schuld, dass es so gekommen ist. Wie läuft es denn mit der Band?“ „Wir vermissen dich, Yamato.“ Verwirrt blicke ich meinen Bandkollegen an. Mit solch einer Antwort hatte ich nicht gerechnet. „Es ist einfach nicht dasselbe ohne dich. Du warst immer unser Sänger. Komponist und Stimme der Teen-Age Wolves. Du hast die Band damals gegründet. Es ist deine Band. Hast du die Musik wirklich aufgegeben?“ „Nein“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Dann komm zurück. Alle warten auf dich.“ „Ihr habt einen neuen Sänger“, erinnere ich ihn. „Ja, aber es passt irgendwie nicht. Das spürt er und das spüren wir.“ „Ich…“ „Überlege es dir bitte, okay?“ Er klopft mir freundschaftlich auf die Schulter und lässt mich ratlos zurück. Jeden Augenblick klingelt es zum Unterricht, sodass er sich beeilt zu seinem Klassenraum zu kommen. Nachdenklich setze ich meinen Weg fort. Ich atme tief durch, als ich ins Freie gelange. Die Luft ist noch nicht zu warm und der Himmel ist wolkenverhangen. Ich gehe weiter zum Schultor, dort bleibe ich stehen, obwohl ich eigentlich weitergehen will. Angespannt zünde ich mir eine Zigarette an. Ich beschließe mir anzuhören, was er zu sagen hat und danach zu gehen, ohne jeglichen körperlichen Kontakt zuzulassen. Gedankenversunken ziehe ich den Rauch der Zigarette immer wieder tief in mich ein. Erst als mich jemand gegen die Schulmauer drückt, werde ich in die Realität zurückgeholt. Fest presst mein Klassenkamerad seinen Körper an meinen und zwingt mir einen Kuss auf. Kurz gehe ich darauf ein, dann schiebe ich ihn bestimmt ein Stück von mir. „Was soll das? Reicht dir der Ärger noch nicht, den wir bereits haben?“ „Das ist mir ziemlich egal. Und ich hätte gedacht, dass es auch dich nicht interessiert.“ Ich halte seinem Blick stand, schweige aber. Achtlos werfe ich meine Zigarette auf den Boden. „Gehen wir zu mir“, fordert mein Mitschüler mich auf. „Ich habe das Verlangen, dich zu ficken.“ Ich grinse. „Wie wäre es, wenn ich dich zur Abwechslung nehmen würde?“ Die Miene meines Gegenübers verfinstert sich. „Nein, ich bin nicht pervers. Ich lasse mich nicht so demütigen. Erst recht nicht von dir.“ „Was willst du denn machen, wenn ich Gewalt anwende?“ „Da bist du ja wieder.“ Verdutzt schaue ich ihn an. „Deine Aufsässigkeit habe ich vermisst, obwohl dein devotes Verhalten ebenso erregend ist. Aber in letzter Zeit wirktest du nur noch abwesend, als stündest du neben dir, und hast widerstandslos alles mit dir machen lassen. Manchmal sahen deine Augen aus, als wärst du auf Drogen.“ „Ist es das, worüber du mit mir sprechen wolltest?“, rede ich ihm unruhig rein. „Nicht direkt. Beim letzten Mal, als ich dich genommen habe... ich hoffe, du verstehst das nicht falsch. Die Zärtlichkeiten meinerseits hatten nichts zu bedeuten. Eigentlich hätte ich sogar brutaler werden müssen, nachdem du seinen Namen gesagt hast, während du unter mir liegst.“ „Klingt, als wärst du eifersüchtig.“ Sofort stößt mich mein Klassenkamerad zurück gegen die Mauer und drückt seinen Arm gegen meine Kehle. „Hab ich also recht. Du liebst mich, gib es doch endlich zu.“ „Sei still, du kleine, billige Hure. Wie kannst du noch immer so arrogant sein?“ Mit seiner freien Hand streicht er mir grob durch die Haare. Verlangend leckt er über meine Lippen und verwickelt mich in einen hemmungslos leidenschaftlichen Kuss. Erst als wir zu ersticken drohen, lösen wir uns voneinander. „Ich war deshalb zärtlich zu dir, weil du in dem Moment unglaublich haltlos, verletzlich und zerbrechlich wirktest.“ Er lässt seine Arme sinken, ich räuspere mich leicht wegen des nachlassenden Drucks auf meine Kehle. Sanft haucht er mir einen Kuss auf meinen Hals, dann sieht er mir entschlossen in die Augen. „Unser Körperkontakt hat mich erregt und wenn du jetzt nicht mitkommst, nehme ich dich gleich hier. Wenn dir das lieber ist?“ „Gehen wir.“ Ich hasse mich. Wieder einmal handle ich, obwohl es mir eigentlich zuwider ist. Ich will nur mit Tai schlafen und frage mich jedes Mal aufs Neue, weshalb ich nicht dabei bleiben kann. Warum verliere ich immer wieder gegen mich selbst? „Yamato, du kommst spät.“ Tai schaut aus seinem Zimmer, während ich gerade die Wohnungstür hinter mir schließe. „Ja“, antworte ich knapp, lege den Schlüssel auf die Kommode und ziehe meine Schuhe aus. „Hast du dich wieder von einem Anderen vögeln lassen?“, fragt er unmittelbar, doch aus seiner Stimme höre ich Resignation heraus. „Nein“, kommt es mir ungewollt und kopflos über die Lippen. Ich weiche dem Blick meines Freundes aus, ich kann ihn nicht einmal ansehen. Wir wissen beide, dass ich gelogen habe, aber er sagt nichts weiter dazu. „Wollen wir uns etwas bestellen?“, versucht Tai das Thema zu wechseln. „Der Kühlschrank ist leer und ich habe keine Lust, noch einkaufen zu gehen.“ „Tut mir leid. Ich habe keinen Hunger.“ Mit diesen Worten lasse ich meinen Freund im Flur stehen und gehe in mein Zimmer. Gerade als ich mich meiner Schuluniform entledigt habe und mir ein Hemd anziehe, kommt Tai ohne zu klopfen herein. „Ich denke, du hattest keinen Sex. Lässt du dich mittlerweile auch nur misshandeln oder hast du dir die Hämatome auf deinem Körper selbst zugefügt? Auch die auf deinem Rücken?“, fragt er zynisch. „Warum lügst du, Yamato? Steh wenigstens dazu, dass du mich betrügst und dich für Geld ficken lässt.“ Ich ignoriere die Bemerkung meines Freundes. Dieser stellt sich vor mich, als ich gerade mein Hemd zuknöpfen will und gebietet mir Einhalt, indem er meine Hand festhält. Behutsam schiebt er das Kleidungsstück wieder von meinen Schultern, sodass mein Oberkörper vollständig entblößt ist. Sorgfältig beginnt er meine Haut zu küssen, saugt schmerzhaft an den Hämatomen, um sie mit seinen eigenen zu überdecken und leckt über die blutigen Kratzer. Durch Tais Speichel, mit dem er meine offenen Wunden benetzt, stellt sich ein intensives Brennen ein. Unmöglich kann ich ihm sagen, dass nicht ein Freier, sondern mein Mitschüler für diese Verletzungen verantwortlich ist. Und er darf erst recht nicht wissen, dass ich kein Geld von ihm nehme und inzwischen zeitweise sogar das Verlangen verspüre, mit ihm zu schlafen. Zwar ist der Ekel nach wie vor allgegenwärtig, aber die Übelkeit blieb schon einige Male aus, obwohl sich an unseren Praktiken nichts geändert hat. Verzweifelt schließe ich die Augen und versuche mich auf die Liebkosungen meines Freundes einzulassen, doch es gelingt mir nicht, meinen Kopf auszuschalten. Tai hält in seinem Tun inne und sieht mich an. „Wo bist du mit deinen Gedanken? Noch bei einem dieser Perversen, die einen Minderjährigen für die Hingabe seines Körpers bezahlen?“ „Lass mich bitte duschen gehen. Ich bin…“ „Dreckig? Ja, aber das geht auch vom Duschen nicht weg.“ Ich werfe meinem Freund einen traurigen Blick zu, dann versuche ich mich an ihm vorbei in Richtung Tür zu zwängen. Entschlossen verwehrt Tai mir den Durchgang. „Du willst dennoch duschen? Also gut.“ Er greift in meine Haare und zieht mich brutal daran aus dem Zimmer, über den Flur bis ins Bad. Dort stößt er mich rücksichtslos in die Dusche, sodass ich heftig und schmerzhaft gegen die Fliesen schlage, und dreht das heiße Wasser bis zum Anschlag auf. Ein kurzer Aufschrei entweicht meiner Kehle. „Und, fühlst du dich jetzt besser? Ich habe extra das heiße Wasser aufgedreht, bekanntlich löst sich der Schmutz dann besser.“ Ich hebe den Kopf, um Tai anzusehen, und versuche mich aufzusetzen. Unter Schmerzen lehne ich mich gegen die Wand. Meine Haut fühlt sich an, als würde sie verbrühen. „Tai…“, sage ich flehend. „Mach es bitte aus.“ Er folgt meiner Bitte und hockt sich neben mich. „Du bist aber noch nicht sauber.“ Resolut greift er zwischen meine Beine. „Es klebt noch Sperma in dir, hab ich recht?“ Mein Freund zieht mich am Bein in eine liegende Position, um mich leichter von meiner Hose befreien zu können. Dann dringt er mit zwei Fingern in mich ein, wobei er mich genau beobachtet. Ich bedecke mein Gesicht mit meinen Händen. Ich kann Tai nicht ansehen. „Was ist los, Yamato? Seit wann bist du so schüchtern? Sieh mich an.“ Sein Tonfall ist kalt und emotionslos. „Bitte verzeih mir, verzeih mir!“ Weinend drehe ich meinen Kopf zur Seite. Abrupt zieht mein Freund seine Finger aus mir zurück und erhebt sich. Geringschätzig sieht er auf mich herab. „Du bist wirklich das Letzte.“ Er wendet sich zum Gehen. „Ich liebe dich“, flüstere ich beschwörend. Kurz bleibt er stehen, dreht sich aber nicht zu mir um und verlässt schließlich ohne ein Wort das Bad. Ich recke mich nach oben, mit viel Anstrengung gelingt es mir, das Wasser wieder aufzudrehen, bevor ich kraftlos auf den Boden zurückfalle. Mein bitteres Lachen hallt durch den Raum, gleichzeitig laufen mir unaufhörlich Tränen über die Wangen, die sich mit dem Duschwasser vermischen. Ich öffne meine Augen. Um mich herum ist alles dunkel, nur Schemen und Umrisse eines Zimmers sind auszumachen. Allmählich erlange ich meine Orientierung wieder und erkenne, dass ich mich in meinem Zimmer befinde. Schwerfällig setze ich mich auf und fahre mir mit den Händen über das Gesicht. Das Pulsieren in meinem Kopf ist dumpf, aber intensiv. Ich stehe auf und bewege mich auf meinen Tisch zu, um aus einer Packung Schmerzmittel einige Tabletten zu entnehme, die ich hastig mit etwas Wasser hinunterspüle. Kraftlos sinke ich auf das Sofa und starre zur Decke. Ich schaffe es nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Unter Anspannung greife ich nach meiner Zigarettenschachtel. Leer. Entnervt lasse ich mich wieder gegen die Lehne fallen, atme tief durch und stehe anschließend auf, um neue Zigaretten kaufen zu gehen. Ich ziehe mir etwas an und verlasse mein Zimmer. Unter der Tür meines Freundes sehe ich Licht, offenbar ist er noch wach. Ich mache ein paar Schritte darauf zu und öffne sie vorsichtig, falls Tai doch schon schlafen sollte. Fassungslos starre ich auf meinen Freund, der am Boden sitzt, neben sich eine halbleere Flasche Whiskey. Eine weitere Flasche, die bereits komplett geleert wurde, steht auf dem Tisch. Tai hält in seiner Hand eine Rasierklinge. Er fixiert apathisch seinen Arm, die tiefe, klaffende Wunde darauf, aus der unaufhörlich Blut läuft, welches von seiner Hose sowie vom Teppich aufgesaugt wird. Längst hat sich eine kleine Lache vor meinem Freund gebildet. „Tai!“, rufe ich angsterfüllt. Keine Reaktion. Ich laufe schnell auf ihn zu und knie mich neben ihn. „Tai!“, spreche ich ihn erneut und energischer an, doch er scheint mich nicht zu hören. Tränen füllen meine Augen, welche ich zu unterdrücken versuche. Behutsam nehme ich das Schneidwerkzeug an mich und lege es in sicherer Entfernung ab. Dann hole ich Verbandsmaterialien und lege einen Druckverband an, um die Blutung zu stillen. Immer wieder muss ich unterbrechen, da von den Weinkrämpfen meine Sicht verschwimmt. Als ich fertig bin, küsse ich meinen Freund leicht auf die Wange, bevor ich ihm mit aller Kraft, die ich aufbringen kann, ins Gesicht schlage. Tai fällt unsanft der Länge nach auf den Boden. Verwirrt sieht er mich an. „Spinns du? Drehst jetzt endgültig durch?“ Anhand seiner gestörten Sprachfähigkeit erkenne ich, dass mein Freund sehr stark alkoholisiert ist und allmählich die Kontrolle über Artikulation sowie Motorik verliert. „Nein“, entgegne ich ruhig. „Aber bei dir bin ich mir da nicht so sicher. Du sitzt mitten in der Nacht stockbesoffen mit einer selbst zugefügten, klaffenden Wunde an deinem Arm in deinem Zimmer, blutest vor dich hin und bist völlig apathisch.“ „Na un. Nich dein Problem.“ Tai versucht aufzustehen, gerät aber immer wieder ins Wanken oder verliert komplett sein Gleichgewicht. „Verdammt nochmal, doch! Das ist es! Ich liebe dich und…“ „Tus du das wirklich? Warum läss du dich dann von der ganzn Stadt vögeln?“ Betreten schaue ich nach unten. Ich kann meinem Freund nicht mehr in die Augen sehen. „Ich reich dir nich, hab ich recht? Das, wonach du suchs, kann ich dir nich geben“, fügt er bitter hinzu. „Das ist es nicht“, sage ich kaum hörbar, denn meine Kehle ist wie zugeschnürt. Tai hat es inzwischen geschafft, sich aufrecht zu halten, und kommt nun unsicheren Schrittes auf mich zu. Mit seinem gesamten Körpergewicht drängt er mich gegen die Tür und rammt ohne Vorwarnung kraftvoll sein Knie in meinen Bauch. Er hält mich fest und sinkt gemeinsam mit mir zu Boden. „Was is es dann? Wegen des Geldes machs du es jedenfalls nich, denn dein Konsumverhalten hat sich nich geändert.“ Liebevoll streicht er mir durch meine Haare, bevor er sich darin festkrallt und meinen Kopf schmerzvoll in meinen Nacken zieht. „Merks du nich, dass wir uns im Kreis drehn, Yamato?“ Ich halte meinen Bauch fest umschlungen und sehe Tai durchdringend an. „Nein, Taichi. Du irrst dich. Im Moment stürzen wir ab und das ist meine Schuld, dessen bin ich mir bewusst. Aber…“ „Halt den Mund, ich will es nich hören!“, schreit mein Freund mich an, lässt mich los, rappelt sich auf und wankt zu der halbvollen Flasche Whiskey, welche er an seine Lippen setzt und große Schlucke daraus trinkt. Entkräftet lehne ich mich sitzend gegen das Holz der Tür. Das Pulsieren in meinem Kopf ist mittlerweile in ein Dröhnen übergegangen. Ich hätte noch mehr Tabletten schlucken sollen. „Hast du nicht schon genug getrunken? Sieh dich an, das ist erbärmlich.“ Tai beginnt laut zu lachen. „Un das aus dem Mund eines billigen Strichers, der für alles un jeden die Beine breit macht. Du machst mich krank. Un jetz verschwinde, ich ertrage dich nich mehr.“ Er wendet sich ab. Hilflos schaue ich ihm dabei zu, wie er den letzten Rest aus der Flasche in sich hinein kippt. Mein Blick fällt auf seine blutbefleckte Hose, dann auf den Arm meines Freundes. Eigentlich müsste der Verband gewechselt werden, da das Blut langsam durchzusickern beginnt. Angestrengt versuche ich auf die Beine zu kommen und mache ein paar Schritte auf ihn zu. „Tai, lass mich deinen Verband…“ „Geh, Yamato. Geh einfach.“ Ratlos bleibe ich mitten im Zimmer stehen. Mein Freund steht unbewegt und von mir abgewandt vor mir. Wut keimt in mir auf. „Du hast Recht, Taichi. Ich lasse jeden an mich ran, aber nicht alle müssen dafür bezahlen.“ Ich werfe diese Worte meinem Freund unbedacht an den Kopf. Mein Körper bebt und ich beiße mir auf die Lippen, bis ich einen metallisch-süßen Geschmack im Mund vernehme. „Du bis ech das Letzte!“ Tais Stimme ist hasserfüllt und ich frage mich, ob der Alkohol daran schuld ist oder ob es sich eher um tatsächliche Gefühle handelt. „Mach was du wills. Es interessiert mich nich mehr.“ Einen Moment halte ich noch inne und hoffe verzweifelt auf eine andere Reaktion. Als diese ausbleibt, verlasse ich stillschweigend das Zimmer. Im Flur breche ich weinend zusammen, mein Körper zittert. Es tut weh. Alles in mir zieht sich zusammen und verkrampft. Ich krieche über den Boden, um ins Bad zu gelangen, schaffe es aber nicht rechtzeitig und übergebe mich im Flur. Außer Magensaft und Galle, vermischt mit Speichel, würge ich nichts heraus. Tränen tropfen in kurzen Abständen auf den Boden, während ich mich erbreche. In meinem Inneren herrscht Chaos, widersprüchliche Gefühle schreien mich an, aber auch eine qualvolle Leere hält langsam Einzug. Ich stehe auf, wische mir mit dem Ärmel über mein Gesicht und verlasse apathisch die Wohnung. Wie immer betätige ich den Klingelknopf zwei Mal. Es dauert eine Weile, bis ich Bewegungen in der Wohnung vernehme, kurz darauf öffnet sich die Tür. „Yamato?“ Mein Mitschüler mustert mich fragend. Ich sehe erbärmlich aus, nur mit einer Hose und einem halb zugeknöpften Hemd bekleidet, die Haare vom Schlafen zerzaust, ohne Schuhe oder Jacke, mit leerem Blick. Kommentarlos zieht er mich zu sich in die Wohnung und direkt in sein Zimmer. Dort setzt er mich auf sein Bett. „Nimm mich“, flüstere ich abwesend. Ich spüre, wie er mit seinen Fingern über die nackte Haut meines Oberkörpers fährt und dabei das Hemd von meinen Schultern streift. Mit seinen Lippen liebkost er mein Schlüsselbein, während er meine Hose öffnet. Dann drückt er mich bestimmt auf das Laken und entledigt mich meiner Hose. Mein Mitschüler, der selbst nur mit Shorts bekleidet ist, zieht diese ebenfalls aus. Er reißt meinen Kopf an den Haaren ein Stück zu sich und rammt seinen Schwanz bis tief in meinen Rachen, wodurch ich sofort zu würgen beginne. Ich möchte zurückweichen, doch er hält meinen Kopf fest, sodass ich gezwungen bin, ihm einen zu blasen. Immer wieder presst er seinen Unterleib gegen meinen Mund und stößt somit schmerzhaft tief in mich. Eine Mischung aus Speichel und Sperma läuft über meine Lippen das Kinn hinab. „Es reicht, Yamato.“ Mein Mitschüler lässt von mir ab. Hustend und würgend wende ich mich ab. Ungeachtet dessen zieht er mich an den Beinen dichter zu sich heran, spreizt sie weit auseinander und dringt mit harten Stößen in mich ein. Ich stöhne auf und werfe meinen Kopf in den Nacken. Ohne jede Zärtlichkeit penetriert mich mein Klassenkamerad ausdauernd und schmerzvoll. „Bitte hör nicht auf!“, keuche ich flehend. „Ich bitte dich!“ Während er sich weiterhin grob in mir bewegt, umschließt er meinen Hals mit seinen Händen und drückt zu. „Was ist los, Yamato? Du stehst mitten in der Nacht halbnackt vor meiner Tür, um dich ficken zu lassen?“, fragt er stockend und schwer atmend. Ich schließe meine Augen und gebe mich dem Schwindelgefühl hin, welches sich durch die mangelnde Luftzufuhr allmählich einstellt, woraufhin mein Mitschüler meinen Hals loslässt und mir fest ins Gesicht schlägt. Ich blicke ihn durchdringend an. Er stößt noch einige Male schmerzhaft hart zu und zieht sich dann aus mir zurück. Wie immer klebt sein Sperma an und mit Sicherheit auch in mir. Außer Atem und völlig verschwitzt lässt er sich neben mich auf die Matratze fallen, auch meine Haare sind schweißnass und auf meinem Körper schimmert ein feuchter Film. Erneut wendet sich mein Klassenkamerad mir zu. „Mach deine Beine breit.“ Ich gehorche widerstandslos. Mit zwei seiner Finger dringt er so weit wie möglich in mich ein. Kurz darauf nimmt er einen dritten hinzu. „Ich gehe weiter, Yamato“, warnt er mich vor und lässt einen vierten Finger zum Einsatz kommen. Es schmerzt und ich ziehe die Luft scharf zwischen den Zähnen ein. „Sie sind alle drin, aber noch nicht sehr weit.“ Schon während er die Worte spricht, versucht er mit seiner fast kompletten Hand tiefer in mich einzudringen. Ein Schmerzensschrei entweicht meiner Kehle und ich beiße mir in den Arm, um weitere Schreie zu unterbinden. „Verkrampf dich nicht so und lass deine Beine gespreizt. Es tut ziemlich weh, oder?“ Ein Lächeln umspielt seine Lippen. Gewaltsam dringt er weiter in mich. Mein qualvolles Stöhnen erfüllt den Raum und ich winde mich erregt und gepeinigt zugleich. Mit meinen Händen suche ich nach meinem Mitschüler und kralle mich an ihm fest. „Mach weiter. Tiefer.“ „Die Hand ist zur Hälfte drin, die Finger somit komplett. Mehr geht momentan noch nicht, zumindest nicht ohne Verletzungen.“ „Das ist mir egal.“ „Ich weiß.“ Er zieht seine Hand aus mir zurück, drängt sich zwischen meine Beine und stößt wieder kraftvoll in mich. Eng schlinge ich meine Beine sowie die Arme um seinen Körper. Ich bebe vor verzweifeltem Begehren und unstillbarem Verlangen. Mein Klassenkamerad sieht mich durchdringend an. Dann verlieren wir uns in einem langen, intensiven und leidenschaftlichen Kuss, während er mich mit seiner anhaltend starken Penetration weiter in die Ekstase treibt. Unsere schweißnassen Körper kleben mittlerweile fiebrig aneinander, wodurch unsere Begierde nacheinander noch gesteigert wird. Ich streiche sinnlich mit meinen Fingern über seinen durchtrainierten, aber dennoch knochigen Oberkörper. „Denkst du gerade an Taichi?“, keucht mein Mitschüler. Sofort schnürt sich meine Brust schmerzhaft zusammen und ich klammere mich noch stärker an ihn. „Ich ziehe ihn diesmal vorher raus, okay?“ Seine Stimme klingt ungewohnt sanft und rücksichtsvoll. „Nein“, flüstere ich. „Es ist okay.“ Tränen füllen meine Augen, als ich mir der Bedeutung meiner Worte bewusst werde. Leicht küsst mein Klassenkamerad meine Lippen. Seine Stöße nehmen an Intensität zu, bis er schließlich in mir kommt und dann von mir ablässt. Ich starre mit verschleiertem Blick zur Decke und zucke zusammen, als mein Mitschüler mir plötzlich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht streicht. Hemmungslos beginne ich zu weinen. Vorsichtig, als hätte er Angst, mich zu zerbrechen, nimmt mich mein Klassenkamerad in die Arme und drückt mich fest an sich. Ich schaffe es nicht, mich zu beruhigen, und versuche verzweifelt Halt bei ihm zu finden. „Deine Narben sich schön, Yamato“, haucht er in mein Ohr und streicht bedächtig über einige auf meinem Arm. „Aber zum Teil auch sehr tief. Für dich gibt es keinen anderen Weg, mit deinen Gefühlen klarzukommen, hab ich recht? Du lebst in Extremen. Entweder, oder. Ein Dazwischen gibt es nicht. Und Selbstverletzung ist das Einzige, das dich wirklich am Leben hält.“ Erstaunt über seine Worte gelingt es mir, meine Aufgelöstheit unter Kontrolle zu bringen, klammere mich aber weiterhin fest an ihn. „Woher…“, will ich wissen, werde jedoch von ihm unterbrochen. Leicht streichelt er durch mein Haar, während er spricht. „Ich sagte dir doch, wir sind uns ähnlich. Eine Sache ist die Scheidung unserer Eltern. Ich war fünf, als sich meine getrennt haben. Mein Vater hat uns verlassen, weil er es nicht mehr ertragen konnte. Er kam nicht mit dem Verhalten meiner Mutter klar, die, wie du, krank ist. Viele deiner Verhaltensweisen kenne ich schon seit frühester Kindheit von meiner Mutter. Auch sie verletzt sich selbst und geht anschaffen, hat mehrere Therapien und Klinikaufenthalte erfolglos hinter sich. Sie wollte sich schon mehrmals selbst töten, einmal auch mich, als ich sechs war. Damals wünschte ich mir, sie hätte es getan. Kurz darauf versuchte ich es eigenhändig, was mich allerdings nur in die Psychiatrie brachte. Damit hätten wir die zweite Gemeinsamkeit. Insgesamt war ich bisher dreimal in einer psychiatrischen Anstalt, davon einmal in der geschlossenen Abteilung. Hauptsächlich war ich wegen Verhaltensauffälligkeiten und zeitweisen Bewusstseinsstörungen in Behandlung. Meine Mutter war überfordert, sie kam ja nicht einmal mit sich selbst zurecht, und hatte keine Kontrolle über mich. Aber letztlich spielt das alles keine Rolle. Es geht um dich. Aufmerksam auf dich geworden bin ich schon, bevor wir in eine Klasse gekommen sind. Ironischerweise war es Taichi, der uns indirekt miteinander bekannt gemacht hat. Bei einem unserer Spiele, als ich auch noch im Fußballklub war. Du hattest nach dem Spiel auf ihn gewartet. Ich sah dich. Dein Blick, diese leeren Augen, sprachen Bände. Seit damals hast du mich nicht mehr losgelassen, sodass ich Nachforschungen über dich angestellt habe. Meine Vermutungen bestätigten sich. Nur die Tatsache, dass du mit Yagami zusammen bist, widerte mich an.“ „Warum?“ „Bist du hergekommen, weil du dich mit ihm gestritten hast?“ Ich löse mich aus der Umarmung und schaue ihm in die Augen. „Schlaf mit mir“, sage ich entschlossen. Er lächelt, drückt mich auf das Laken und nimmt mich erneut. Es wird bereits hell, als ich das Wohnhaus, in dem Tai und ich wohnen, betrete. Müde und kaum etwas wahrnehmend schleppe ich mich die Treppe hinauf. Meine nackten Füße schmerzen, ebenso wie der Rest meines Körpers. Ich werde klingeln müssen, da ich selbst an den Schlüssel nicht gedacht habe, als ich kopflos die Wohnung verließ. Meine Gedanken waren starr auf ein Ziel gerichtet. Ich wollte weg, aus dieser Welt verschwinden und Taichi von mir befreien. Er geht an mir zugrunde und das ertrage ich nicht. Aus mir unerklärlichen Gründen entschied ich mich letztlich doch anders und ließ mir stattdessen das Hirn von meinem Mitschüler herausvögeln. Krampfhaft versuchte ich dabei, Tai aus meinen Gedanken zu verbannen, was mir aber nur bedingt gelang. Immer wieder wurde ich an ihn erinnert, was dazu führte, dass ich innigeren und intensiveren Kontakt zu meinem Klassenkameraden suchte. War es Kalkül meines Unterbewusstseins, mich in einer solchen Situation mit ihm schlafen zu lassen, statt mir endgültige Ruhe durch Freitod zu gönnen? Der enorme Selbsthass nach dem Sex war abzusehen, welcher noch weiter durch die erlangte Gewissheit gesteigert wird, dass ich, wie seit einiger Zeit befürchtet, Gefühle für meinen Mitschüler entwickelt habe. Ich erklimme die letzten Stufen. Gleich werde ich mich mit meinem Freund konfrontieren müssen. Ich sehne mich nach ihm und möchte ihn einfach nur umarmen, doch ich darf ihn mit meinem dreckigen Körper nicht beschmutzen. An meinem Plan halte ich nicht mehr fest, sondern passe ihn an die Situation an. Wenn Tai wieder in seinem Zimmer ist, werde ich die Flasche irgendeines hochprozentigen Alkohols mit in mein Zimmer nehmen. Gemeinsam mit Schlaftabletten und BDO ergibt das eine tödliche Mischung. Bei dem Gedanken an meinen Tod werde ich ganz ruhig. Ich betätige den Klingelknopf und warte. Nach einem kurzen Moment öffnet mein Freund die Tür und schlägt mir unerwartet mit der Faust ins Gesicht. Ich taumele zurück, da ich mich ohnehin kaum auf den Beinen halten kann, und starre ihn an. Grob zerrt er mich am Arm in die Wohnung. Mein Blick haftet auf seinem Verband, der inzwischen rotbraun verkrustet ist. Die Tür fällt ins Schloss und sofort presst Tai meinen Körper hart dagegen. Noch immer umgibt ihn ein starker Alkoholgeruch, offenbar hat er, nachdem ich weg war, weitergetrunken. „Wo wars du?“, nuschelt er kaum verständlich. „Lass mich bitte los“, entgegne ich. „Nein.“ In dem glasigen Blick meines Freundes erkenne ich trotz allem Entschlossenheit. Fordernd leckt er über meine Lippen und wir versinken in einem innigen, leidenschaftlichen Kuss. „Wir sollten uns trennen“, sage ich schwer atmend, nachdem wir uns wieder voneinander gelöst haben. „Ja, vielleicht sollten wir das.“ Verlangend zieht er mich mit zu Boden, wo ich mich ihm verzweifelt ein letztes Mal hingebe. Kapitel 14: ------------ Tai scheint zu spüren, dass ich dem Leben und somit ihm entfliehen möchte. Der Sex, den wir im Flur hatten, als ich ziemlich neben mir stehend nach Hause kam, war wie im Fieberwahn. Die Intensität und Innigkeit unserer Berührungen brachten mich in einen rauschhaften, tranceähnlichen Zustand, wie ich ihn selbst mit Drogenkonsum noch nicht erlebt habe. Jede seiner Zärtlichkeiten, jede Rücksichtslosigkeit, jede liebevolle oder brutale Handlung an mir fühlte sich gut und richtig an. Unter Tränen, stockend und von lustvollem Stöhnen unterbrochen, bat ich ihn, nicht aufzuhören. Zum letzten Mal wollte ich ihn mit jeder Faser meines Körpers spüren und ihn spüren lassen, wie schmerzhaft sehnsüchtig ich nach ihm verlange, wie sehr ich auf ihn reagiere und wie viel ich für ihn empfinde. Ich sagte ihm nicht, dass ich ihn liebe, da in Anbetracht der Situation und meiner Gefühle diese drei Worte einfach nur lächerlich schwach gewirkt hätten, stattdessen klammerte ich mich krampfhaft an meinem Freund fest. Auch Tai liefen unablässig Tränen über die Wangen, während er sich wieder und wieder tief in mich hineinstieß. Ich schließe meine Augen, um die Gefühle, die ich bei dieser Vereinigung empfunden habe, für immer in mich einzubrennen. Durch eine Bewegung meines Freundes werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Er hat sich etwas auf die Seite gedreht, meine Hand aber dennoch nicht losgelassen. Es ist bereits Vormittag und somit hell im Zimmer. Aus seinen entspannten Gesichtszügen und seiner ruhigen Atmung schließe ich, dass er noch immer schläft. Tai war offenbar bewusst, dass er es bei seinem Alkoholpegel nicht schaffen würde, wach zu bleiben und auf mich aufzupassen, weshalb er mich mit Handschellen linkshändig an das Bettgestell kettete. Ich lächele ein wenig verzerrt. Dass mein Freund mich davon abgehalten hat, mich selbst zu töten, zeigt mir, dass er mich und auch uns noch nicht aufgegeben hat. Dieses Vertrauen würde ich ihm gern zurückgeben, bezweifle aber, dass ich das kann. Ich bin froh, noch am Leben zu sein, denke aber nach wie vor, es wäre besser, zu sterben. Besser für Taichi, weil er endlich glücklich werden könnte, und besser für mich, weil ich nicht mehr mit der Schuld leben müsste, ihn in den Abgrund getrieben zu haben. Genervt sitze ich, den Kopf in die Handfläche gestützt, an meinem Schreibtisch. Unruhig wippe ich den Stift zwischen meinen Fingern hin und her, während ich auf ein leeres Blatt starre. Mir fällt nichts ein, was ich zu dem Vorfall mit meinem Mitschüler im Klassenzimmer in der vom Direktor geforderten Stellungnahme schreiben könnte. Aber es widerstrebt mir, das Geschehene zu negieren. Nicht, weil ich stolz darauf bin, in der Schule gefickt und dabei erwischt worden zu sein, sondern weil es ein Mann war, von dem ich genommen wurde. Ich leugne meine sexuellen Neigungen nicht, selbst wenn das weitere Konsequenzen zur Folge haben sollte. „Möchtest du auch Kaffee?“, fragt Tai, als er in mein Zimmer kommt und bereits zwei Tassen in den Händen hält. Ohne eine Antwort abzuwarten, stellt er sie neben meinem Block auf die Tischplatte und umarmt mich von hinten. „Was tust du da?“, fragt er neugierig. „Ich muss für die Schule etwas schreiben“, umschreibe ich den tatsächlichen Sachverhalt. „Du machst etwas für die Schule und gehst noch nicht einmal hin? Dein Verhalten ist manchmal wirklich paradox, Yamato.“ Er küsst mich leicht auf die Wange. Seufzend lehne ich mich gegen meinen Freund und schließe die Augen. Ich nehme seinen Duft wahr, er ist also nüchtern. Seit jenen Ereignissen ist sein Alkoholkonsum zurückgegangen, es gab sogar Stunden, in denen er vollkommen klar im Kopf zu sein schien. Wir sprachen nicht mehr über diese Nacht. Aber es ist, als hätte mein nicht stattgefundener Selbstmord den Willen in uns geweckt, zu kämpfen. Aus diesem Grund würde ich es gern vermeiden, Tai von dem Vorfall in der Schule und der damit einhergehenden Suspendierung zu erzählen. Nur frage ich mich, ob lügen die bessere Alternative ist. „Wo bist du nur wieder mit deinen Gedanken?“ Mein Freund verstärkt seine Umarmung, als wollte er verhindern, dass ich ihm ausweiche und weglaufe. Angst ergreift Besitz von mir, doch ich beschließe Tai die Wahrheit zu sagen. „Ich wurde für zwei Wochen von der Schule suspendiert und muss eine Stellungnahme schreiben, in der ich den Sachverhalt aufklären soll.“ „Welchen Sachverhalt?“, fragt mein Freund in einer Art, die den Anschein erweckt, als hätte er bereits eine Vermutung, was passiert sein könnte. Wie gelähmt sitze ich auf meinem Stuhl, unfähig ein Wort hervorzubringen. „Yamato, was ist vorgefallen?“, hakt Tai nach. Ich atme tief durch. „Ich hatte Sex in der Schule“, bringe ich zögernd hervor. „Mit wem?“ „Einem Mitschüler. Du kennst ihn, er war früher einmal im Fußballklub.“ „Du lässt diesen Wichser noch immer ran?“ Mein Freund lässt mich los, dreht den Stuhl zu sich herum und sieht mich finster an. „Also hatte er dich damals stranguliert?“ Ich nicke kaum merklich. „Tai… ich…“ „Der Typ macht mich krank! Wieso ist ausgerechnet der einer deiner Freier? Stehst du darauf, was er dir angetan hat? Oder hast du vergessen, dass er dich mit einem Holzstiel vergewaltigt hat?“ „Nein“, flüstere ich verhalten. „Er ist kein Freier.“ Ich drehe meinen Kopf zur Seite, um ihm nicht weiter in die Augen sehen zu müssen. „Du lässt dich von diesem Perversen ohne Gegenleistung ficken? Warum? Weil er Dinge mit dir macht, die nur ein Psychopath einem anderen Menschen antun würde?“, fragt Tai wütend. „Dinge, die mit Sicherheit auch du mit mir tun würdest“, kontere ich. „Warum gibst du dich dann nicht mir hin? Offenbar reiche ich dir wirklich nicht.“ Mit seiner Hand an meinem Kinn zwingt er mich, ihm in die Augen zu sehen. „Liebst du ihn?“ Bestürzt schaue ich meinen Freund an. „Nein“, antworte ich leise und senke meinen Blick. „Warum lügst du schon wieder, Yamato?“ Grob greift Tai in meine Haare und reißt meinen Kopf daran derb nach hinten. „Sieh mich an. Sag mir, dass du ihn liebst.“ „Ich liebe dich“, erwidere ich mit vibrierender Stimme. Mein Freund zieht meinen Kopf noch etwas weiter nach hinten, beugt sich zu mir hinab und beginnt meinen Hals zu liebkosen. Ich schließe meine Augen und gebe mich resigniert den Zärtlichkeiten hin. Während Tai lüstern über mein Schlüsselbein leckt, fährt er mit seiner anderen Hand zwischen meine Beine und bedeutet mir, sie zu spreizen. „Ich würde dich jetzt gern ficken, aber du hast mir noch immer nicht gesagt, was ich hören will.“ Langsam öffnet mein Freund die Knopfleiste meines Hemdes und zieht mit seiner Zunge jede einzelne der Narben nach, die größtenteils von ihm stammen. „Macht er auch das mit dir? Fügt er dir Schnittwunden zu?“ „Nein. Abgesehen von dem einen Mal in der Schule, bevor er mich zusammengeschlagen hat, während ich von einem anderen festgehalten wurde.“ Mein Freund sieht mich kurz mit undurchdringlichem Blick an, langt dann auf den Schreibtisch und greift nach der Schere. Er setzt sie geöffnet mit einer der Schneiden auf meine Haut und zieht sie mit Druck über meinen Oberkörper. Der Schmerz ist eindringlich, sodass ich unwillkürlich zusammenzucke, und ein qualvoller Schrei kommt über meine Lippen. „Schön stumpf, das tut besonders weh, hab ich recht?“ Ich presse meine Lippen aufeinander und versuche meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen. „Du stehst doch auf Psychopathen, die dich verstümmeln. Bleibst du nun bei mir? Reiche ich dir jetzt?“ Ich werfe einen Blick auf die Wunde. Die Wundränder verlaufen nicht gleichmäßig wie bei einer Rasierklinge. Es sieht eher so aus, als sei die Haut zerrissen und nicht zerschnitten worden. Das Blut rinnt in Bahnen über meine Brust, meinen Bauch entlang. „Soll ich sie mit meinen Fingernägeln noch weiter öffnen? Das hat dir doch damals gefallen, oder? Du hast so schön geschrien. Lass mich deine schmerzerfüllte Stimme noch einmal hören.“ Ohne auf eine Reaktion zu warten, treibt er seine Nägel tief in mein Fleisch. Die Schreie, die meiner Kehle entweichen, müssen im gesamten Wohnhaus zu hören sein. Tränen laufen mir über die Wangen und ich kralle mich krampfhaft in Tais Arm fest, während mein Körper unkontrollierbar zuckt und sich qualvoll windet. „Und jetzt sag mir die Wahrheit. Du liebst diesen Wichser, oder?“ „Nein“, presse ich mühsam hervor. Sofort kratzt er sich noch weiter in die Wunde. Ich beiße mir gewaltsam auf die Lippen, um weitere Schreie zu unterbinden, was mir jedoch nur mäßig gelingt. „Du lügst schon wieder, Yamato“, sagt mein Freund beängstigend ruhig. Er beugt sich vor und küsst mich leicht auf den Mund. „Deine Lippen sind schon ganz blutig, weil du so darauf herumbeißt.“ „Taichi…“ Er küsst mich erneut. Ich lasse mich darauf ein und erwidere den Kuss, wobei ich Tais Hand von meiner Wunde entferne und ihn sanft nach hinten drücke, sodass er auf dem Boden zum Liegen kommt. Dann löse ich mich von ihm, öffne seine Hose und ziehe sie ihm aus, ebenso wie ich mich meiner Beinbekleidung entledige. Ich dränge die Beine meines Freundes mit meinem Körper auseinander. „Nein“, sagt Tai plötzlich. „Nicht so. Nimm mich von hinten. Ich will dich nicht ansehen müssen, nur spüren. Und hol mir einen runter, während du mich fickst.“ Seine Stimme klingt emotionslos und kalt. „Das kann ich nicht. Bitte, Tai!“, flüstere ich bestürzt. „Wieso nicht? Mach es einfach wie früher, als du mich mit Gewalt genommen hast.“ „Was soll das, Taichi?“, schreie ich ihn mit einer Mischung aus Wut, Verwirrung und Verzweiflung an. Mein Freund setzt sich auf und zieht mich dicht an sich heran. „Damals warst du wenigstens nur auf mich fixiert.“ Er drückt mir einen fordernden Kuss auf, dann nimmt er seine Hose und geht aus dem Zimmer. Ich starre auf die geschlossene Tür. Den Schmerz auf meiner Brust nehme ich kaum noch wahr, die Blutung hat inzwischen durch die Gerinnung fast gestoppt. Reglos sitze ich auf dem Boden in meinem Zimmer. Mein Kopf ist vollkommen leer und es scheint, als sei jegliches Gefühl aus mir gewichen. Nur die Tränen fließen unaufhörlich über meine Wangen und tropfen von meinem Kinn. „Die Wunde sieht schmerzhaft aus. Aber sie sieht nicht so aus, als sei sie von dir. Taichi hat sie dir zugefügt, nicht wahr?“ Er streicht leicht über die frische, noch nicht verheilte Verletzung. „Fass mich nicht an“, weise ich meinen Mitschüler drohend zurecht und drehe mich auf die Seite, mit dem Rücken zu ihm. „Schon wieder diese unsinnige Forderung, wenn man bedenkt, dass ich es dir, seit du hier bist, schon zweimal besorgt habe. Aber du willst nicht, dass ich die Wunde berühre, weil sie von ihm ist, oder?“ „Ich gehe jetzt“, sage ich genervt und setze mich auf die Bettkante. Mit einer Hand in meinen Haaren und der anderen an meinem Hals hält er mich von hinten fest. Er rutscht dicht an mich heran, sodass ich seinen Atem auf meiner Haut spüre. „Du bleibst hier. Ich bin noch nicht fertig mit dir“, raunt er leise in mein Ohr. Ich versuche die aufkommende Erregung niederzukämpfen, erliege ihr letztlich aber. „Wusste ich es doch, dass du auch noch nicht genug hast.“ „Wir schlafen mittlerweile oft miteinander“, bemerke ich keuchend, während er mir einen runterholt. „Ich dachte, du findest Sex zwischen Männern pervers?“ „Und an Frauen habe ich kein Interesse. Du bist anders. So feminin und zerbrechlich, verletzbar, aber auch aufsässig, arrogant und stolz. Ich hasse dich, weil du Gefühle in mir auslöst.“ Meine Atmung ist schnell und unregelmäßig. „Ich löse Gefühle in dir aus?“, hake ich stöhnend nach. Mein Klassenkamerad beendet seine Handbewegungen vorzeitig. „Leg dich wieder auf das Bett und führe fort, was ich angefangen habe.“ Ich komme seiner Aufforderung nach, indem ich mich vor seinen Augen selbstbefriedige. „Das machst du gut, Yamato. Du bist wirklich wunderschön. Und jetzt spreiz deine Beine.“ Diesmal dringt er von Anfang an mit drei Fingern in mich ein, bevor er kurz darauf den vierten hinzunimmt. „Dring tiefer in mich ein“, bitte ich meinen Mitschüler mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Dring ganz in mich ein.“ „Das wird noch nichts, Yamato. Selbst mit Gewalt wäre es schwierig.“ „Versuche es trotzdem.“ Er dringt gewaltsam ein Stück weiter in mich ein, wobei ich es nicht unterdrücken kann, vor Schmerz zu schreien. „Du blutest. Wolltest du das erreichen?“ Aus tränennassen Augen sehe ich meinen Mitschüler schweigend an. Dieser zieht seine Hand aus mir zurück, packt mich grob an den Beinen und stößt sich kraftvoll in mich. Durch mein lauter werdendes Stöhnen angestachelt penetriert er mich brutaler, bis ich spüre, wie das Blut über meine Haut läuft. Mein Klassenkamerad sieht mich lächelnd an, intensiviert seine Stöße noch einmal schmerzvoll und entfernt sich aus mir. Er zieht mich am Kopf zu sich und sagt im Befehlston: „Nimm ihn in den Mund.“ Unsanft drückt er meine Lippen an den Wangen auseinander und rammt seinen Schwanz in meine Mundhöhle. Kurz darauf spritzt er ab. „Schluck es runter.“ Übelkeit und Brechreiz kommen in mir auf, als ich seiner Anweisung nachkomme. Zufrieden lässt mein Mitschüler von mir ab. Hustend und würgend krümme ich mich zusammen, meine Tränen durchweichen das Bettlaken ebenso wie mein Blut. „Danke“, flüstere ich mit zitternder Stimme kaum hörbar. Seufzend betrachtet mich mein Klassenkamerad und streicht mir durch das feuchte Haar. Er weiß, dass mein Verhalten momentan von Taichi ausgelöst und bestimmt wird. Es ist dunkel in meinem Zimmer und bereits weit nach Mitternacht. Ich sitze auf meinem Sofa, in der Hand eine Zigarette. Mich interessiert nicht mehr, ob ich in der Wohnung rauche, es ist sowieso alles egal geworden. Als ich vor ein paar Stunden von meinem Mitschüler nach Hause kam, war Taichi nicht da. Der Rauch meiner herunter glimmenden Zigarette zieht Kreise und Spiralen in der Luft und Asche fällt von mir ungeachtet auf den Tisch. Ich starre apathisch ins Nichts, versuche einen klaren Gedanken zu fassen, doch mein Kopf ist vollkommen leer. Taichi ist weg. Er ist gegangen. Und er wird nicht zurückkommen. Er kommt nicht zurück. Er kommt nicht zurück. Der Schmerz an meinen Fingern, verursacht durch die abgebrannte Zigarette, holt mich für einen kurzen Moment aus meiner Gedankenschleife zurück. Ich drücke sie auf meinem Arm aus und lasse sie achtlos zu Boden fallen. Dann stehe ich auf, nehme das Fläschchen BDO und die Packung Rasierklingen aus meiner Jackentasche und verlasse wie fremdgesteuert mein Zimmer. Schritt für Schritt laufe ich durch den dunklen Flur und öffne die Tür zum Zimmer meines Freundes. Es ist wie erwartet leer. Auf dem Schreibtisch liegen einige Unterlagen für seine Uni, auf dem Bett diverse Kleidungsstücke und in einer Ecke steht seine Tasche. Er wird nicht zurückkommen. Ich gehe zu seinem Bett, dort sinke ich langsam zu Boden. Unbewusst nehme ich ein Shirt von Tais Matratze und drücke es fest an mich, wobei ich mein Gesicht darin vergrabe, um seinen Duft in mich einzusaugen. Hefig weinend breche ich endgültig zusammen. Ich kralle meine Finger krampfhaft in den Stoff. Er wird nicht zurückkommen. Mein gesamter Körper wird von hemmungslosen Schluchzern geschüttelt und ich bekomme kaum Luft. Er wird nicht zurückkommen. Würgend und um Atem ringend raffe ich mich ein wenig auf. Mein Blick fällt auf die Rasierklingen. Er wird nicht zurückkommen. Zitternd nehme ich etwas von dem BDO ein. Er wird nicht zurückkommen. Ich packe eine Rasierklinge aus. Er wird nicht zurückkommen. Unbedacht ziehe ich die Schneide über meine Haut. Sofort quillt dunkelrotes Blut aus der Wunde. Mir wird schwindelig, kurz darauf schwarz vor Augen und ich verliere das Bewusstsein. Taichi. Er kommt nicht zurück. Ich öffne meine Augen, doch es gelingt mir kaum. Sie sind verklebt und fühlen sich geschwollen an. Zudem ist die Helligkeit, die den Raum durchflutet, stechend schmerzhaft. Unter Anstrengung setze ich mich auf und lehne mich mit dem Rücken gegen das Bettgestell. Es scheint, als könnte ich jeden Knochen und jeden Muskel meines Körpers spüren. Ich wische mir grob über die Augen, bis sie zu jucken beginnen und wehtun. Erneut versuche ich sie zu öffnen. Meine Sicht ist verschwommen, normalisiert sich aber mit der Zeit. Sofort fällt mein Blick auf den rotbraunen Fleck vor mir im Teppich, dann auf meinen Arm, über den sich der Länge nach eine Schnittverletzung zieht. Durch die blutigen Verkrustungen sieht die Wunde bedrohlich aus, doch bei genauerem Betrachten erkennt man, dass sie zwar tief, aber nicht gefährlich ist. Orientierungslos schaue ich durch den Raum. Langsam begreife ich, dass ich mich in Tais Zimmer befinde. Taichi. Unruhig stehe ich auf und laufe in den Flur. In der Wohnung ist alles still. Die Badezimmertür steht offen. Angsterfüllt werfe ich einen Blick in das Wohnzimmer. Verlassen. Ich gehe zurück, vorbei an Tais Zimmer und dem Bad und bleibe vor meinem Zimmer stehen. Vorsichtig öffne ich die Tür. Leer. Ich zittere. Panik hat mich fest im Griff, als ich mich mit einem unguten Gefühl auf die Küche zubewege. Wie gelähmt bleibe ich stehen, als ich feststellen muss, dass ich allein bin. Taichi ist nicht nach Hause gekommen. Ich gehe ins Bad und nehme eine Packung Aspirin aus dem Schrank. In einen Eimer fülle ich Wasser und löse darin einige der Tabletten auf. Mit dem Gemisch und einem Lappen gehe ich wie fremdgesteuert zurück in das Zimmer meines Freundes. Ich knie mich vor den Fleck und beginne mechanisch das Blut aus dem Teppich zu reiben. Taichi ist nicht zurückgekommen. War ich tatsächlich so dumm? Habe ich mich wirklich von der Hoffnung blenden lassen und dadurch falsch dosiert und falsch geschnitten? Nein. Ich hatte nicht vor, mich zu töten. Aber ich wollte auch nicht weiterleben. Ohne Tai hat es sowieso keinen Sinn. Ich beginne energischer über die verschmutzte Stelle zu schrubben. Tränen füllen meine Augen und laufen meine Wangen hinab. Kurz wasche ich den Lappen aus, dann mache ich mich wieder an die Entfernung meiner Körperflüssigkeit vom textilen Bodenbelag. Wie besessen scheuere ich über den Stoff, während die Tränen nun unablässig von meinem Kinn und meiner Nasenspitze tropfen. Ich knicke mit meinen Armen ein und komme mit meiner Stirn darauf zum Liegen. Von Schluchzern geschüttelt, die schmerzhaft laut den Raum erfüllen, krümme ich mich weiter zusammen. Er kommt nicht zurück. „Taichi…“, flüstere ich stockend. Ich bekomme kaum Luft. „Taichi…“, flüstere ich erneut. Er kommt nicht zurück. Ich verliere den Halt. Auf dem Boden liegend kratze ich über den Teppich und kralle mich darin fest. „Taichi…“ Verzweifelt ringe ich nach Luft. Ich ersticke. Meine Atmung geht stoßweise, setzt zeitweilig ganz aus. Husten lässt mich verkrampfen und meine Brust schmerzvoll zusammenziehen. Ich würge. „Taichi…“ Er ist nicht zurückgekommen. Er wird auch nicht mehr zurückkommen. Ich kann nicht atmen. Ich hyperventiliere. Mit letzter Kraft hangele ich mich zu einer Tüte, die neben dem Schreibtisch meines Freundes steht. Panisch kippe ich den Inhalt aus und halte sie vor meinen Mund. Bewusst atme ich darin aus und ein. Ich spüre, wie die Anspannung langsam nachlässt und ich mich etwas beruhige. Was soll ich jetzt nur tun? Ohne Taichi. Mein Blick fällt auf das kleine Fläschchen, welches unweit von mir auf dem Boden liegt. Ich krieche schluchzend über den Teppich und umklammere es Halt suchend. Er wird nicht zurückkommen. Er ist aus meinem Leben verschwunden. Für immer. Warum sollte ich leben? Ohne ihn. Ratlos breche ich erneut heftig weinend zusammen, die Erlösung in der Hand haltend. „…to?“ Mein Körper zuckt zusammen. „Yamato?“ Ich spüre, wie jemand mit seinen Fingern durch mein Haar streicht, dann, wie mir das BDO, welches ich noch immer fest umklammere, aus der Hand genommen wird. „Yamato! Hast du dieses Zeug genommen? Sieh mich an, hörst du?“ Ein zwiebelnder Schmerz lässt mich die Augen öffnen. „Taichi…“, flüstere ich lautlos. Mein Freund hebt meinen Oberkörper etwas an und stützt ihn mit seinen Oberschenkeln ab. „Yamato!“ Er schaut mir in die Augen, als hoffte er, darin etwas zu erkennen. „Bist du auf Droge? Ist das ein Versuch, dir das Leben zu nehmen?“ Seine Stimme klingt panisch. „Ich rufe jetzt den Notarzt!“ Ich schüttle kaum merklich den Kopf und schließe meine Augen. Tränen laufen mir seitlich das Gesicht hinab. „Ich wollte sterben, aber…“ Ein Weinkrampf zwingt mich, meinen Satz zu unterbrechen. „…aber eigentlich hatte ich die ganze Zeit gehofft, dass du zurückkommst.“ Mit einem schmerzlichen Lächeln sehe ich ihn an. Tai hebt meinen Arm ein wenig an und betrachtet mein Handgelenk. „Du hast dich ziemlich heftig selbst verletzt. Das muss versorgt werden, sonst entzündet es sich.“ „Bitte halt mich einfach nur fest!“ Behutsam zieht mein Freund mich in seine Arme. Ich klammere mich voller Verzweiflung an ihn, um ihn zu spüren und zu verhindern, dass er wieder verschwindet. Meine Atmung ist stockend und unregelmäßig durch mein nun hemmungsloses Schluchzen. „Shhh…“ Beruhigend streicht Tai mir über den Kopf. „Ich habe Angst… es tut so weh! Du darfst mich nicht verlassen! Niemals!“ Ich löse mich etwas von ihm und lege meine Hände um seinen Hals. „Ich werde dich töten, dann gehörst du für immer mir.“ Noch ehe ich zudrücken kann, schlägt mein Freund mir schonungslos ins Gesicht, sodass ich hart zu Boden falle. „Reiß dich zusammen, Yamato! Wenn du den Schwanz von deinem kleinen Hurensohn in dir hast oder dich von einem deiner Freier unter Drogen ficken lässt, denkst du auch keine Sekunde an mich.“ Ich schaue meinen Freund nicht an, widerspreche auch seinen Worten nicht, obwohl sie nicht den Tatsachen entsprechen. „Wo warst du die ganze Zeit?“, frage ich stattdessen und streiche mir über die schmerzende Wange. „Bei meiner Familie. Ich konnte den Gedanken, dass du dich gerade einem anderen hingibst, nicht mehr ertragen.“ Nun blicke ich doch zu Tai, aber auch er sieht mich nicht an. Diese Möglichkeit kam mir nicht in den Sinn und ich frage mich, ob er wirklich die Wahrheit sagt, denn neben seinem eigenen Duft nehme ich noch den leichten Geruch von Alkohol wahr, der wieder häufiger an ihm haftet, und eine ganz dezente Nuance eines süßlichen Parfums. Vermutlich liegt das jedoch daran, weil er seine Mutter oder Hikari umarmt hat. „Taichi…“ „Ich versorge erst einmal deine Wunde.“ Er steht auf und geht ein Stück durch das Zimmer. Vor dem Eimer mit der Aspirinlösung bleibt er stehen. „Danach kümmere ich mich um den Teppich.“ „Ja“, sage ich teilnahmslos und starre wie gelähmt auf einen unbestimmten Punkt. Ich liege auf Tais Bett und schaue ihm dabei zu, wie er einige Vorbereitungen für die Uni trifft. Hin und wieder kritzle ich ein paar Notizen auf einen Block, den ich vor mir auf der Decke liegen habe, oder greife zur Gitarre neben mir und spiele einige Akkorde. „ Bist du bei den Teen-Age Wolves wieder eingestiegen?“, fragt mein Freund in den Raum, ohne von seinem Schreibtisch aufzusehen. „Nein. Ich weiß auch nicht, ob ich zurückkehren werde. Es wäre sowieso nur noch dieses Schuljahr, denn ich glaube nicht, dass die Band danach noch fortbestehen wird.“ „Hmm…“, macht Tai nachdenklich. „Aber vielleicht geht ihr alle auf dieselbe Uni, wäre doch nicht so abwegig, oder? Dann könntet…“ „Nein“, unterbreche ich meinen Freund. „Von Akira weiß ich bereits, dass er nicht in Tokyo bleiben wird. Takashi und Yutaka haben sich zwar bisher ebenso wenig entschieden wie ich, aber vollständig wären wir dennoch nicht mehr.“ „Wolltest du nicht auf die Geidai?“ „Das war eine Überlegung, ja. Am Ueno-Campus im Taito-ku. Aber ich weiß nicht, ob ich wirklich studieren möchte. Vielleicht sollte ich besser Geld verdienen, um meinem Vater nicht mehr auf der Tasche zu liegen.“ „Anschaffen gehen kannst du auch, wenn du studierst“, bemerkt Tai verächtlich, schaut mich jedoch nach wie vor nicht an. „Ich lasse mich wenigstens nicht für umsonst vögeln“, entgegne ich bissig. „Doch, von deinem kleinen Stecher.“ Der Tonfall meines Freundes ist unterkühlt und betont gleichgültig, wobei es so scheint, als würde er durch auffälliges Suchen in seinen Unterlagen die angebliche Belanglosigkeit dieser Tatsache unterstreichen wollen. „Er…“, beginne ich zu protestieren, halte allerdings inne. Ich kann zu meinem Mitschüler derzeit keine Stellung beziehen, denn unser momentanes Verhältnis und die damit verbundenen Gefühle irritieren mich selbst. Ich atme tief durch. „Und was ist mit dir?“ „Was soll mit mir sein?“ Tai scheint gefunden zu haben, wonach er suchte, denn jetzt beugt er sich über seinen Schreibtisch und notiert hastig etwas auf einem Blatt Papier. „Ich glaube nicht, dass du von den Frauen, die du vögelst, Geld verlangst.“ Bestürzt sieht Tai zu mir. „Wie…“ „Na endlich“, unterbreche ich ihn. „Das ist das erste Mal seit drei Tagen, dass du mir in die Augen schaust.“ „Yamato…“ „Und, wie ist es mit einer Frau?“, schneide ich ihm erneut das Wort ab. Mein Freund blickt zu Boden. Eine Weile schweigt er. „Anders“, antwortet er schließlich knapp. „Besser als mit mir, nehme ich an.“ „Nein.“ „Aber es hat dir gefallen, oder?“ „Verdammt, Yamato! Was soll das hier werden?“ Aufgebracht dreht sich Tai nun ganz zu mir herum. „Liebst du mich?“ Kaum habe ich diese Frage ausgesprochen, wandelt sich der Gesichtsausdruck meines Freundes von verständnislos in schwermütig. „Yamato…“, sagt er leise, als er aufsteht und sich zu mir auf das Bett setzt. Verhalten streicht er über meine Wange. „Was ist los?“ Ich lächle ihn an. „Gegen eine Frau bin ich machtlos.“ Meine Stimme zittert, obwohl ich versuche unbekümmert zu klingen. Ich strecke meinen Arm nach meinem Freund aus, doch ehe er reagieren kann, ziehe ich ihn zurück. Tränen steigen in meine Augen und ich habe Mühe, sie zurückzuhalten. Beschämt ob meiner Schwäche senke ich den Kopf. Die Unruhe und Unsicherheit in meinem Inneren drohen mich zu überwältigen. Verzweifelt balle ich meine Hand zur Faust, um die Kontrolle über meine Gefühle zu behalten. Bestimmt packt Tai mich an den Schultern und drückt mich mit sanfter Gewalt nach hinten, sodass ich auf dem Laken zum Liegen komme. Er beugt sich über mich und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich liebe dich, Yamato. Und ich glaube, es gibt einige Dinge, über die wir dringend reden müssen. Vor allem unsere Beziehung betreffend.“ „Nein, Taichi!“ Angst erfüllt mich und ich beginne zu zittern. „Halt mich bitte einfach nur fest und lass mich nie wieder los! Bitte!“ Seufzend, aber unglaublich liebevoll zieht mich mein Freund in eine innige Umarmung. Voller Sehnsucht schließe ich meine Augen. Tränen rinnen über meine Wangen und ich klammere mich verzweifelt an Tai fest. Er darf mich nicht verlassen. Er wird mich nicht verlassen. Niemals. Ich bäume mich auf und kratze krampfhaft mit meinen Fingern über den Teppich. Lustvolles Stöhnen kommt über meine Lippen, als mein Klassenkamerad seinen Rhythmus beschleunigt und somit seine Penetration verstärkt. Wie im Fieber öffne ich meine Augen und für einen Wimpernschlag glaube ich Tai anzusehen. Befremdet drehe ich meinen Kopf zur Seite und fixiere einen unbestimmten Punkt. „Nimm mich härter“, fordere ich tonlos. „Ich will nicht mehr denken müssen.“ Die Trugbilder von meinem Freund versuche ich zu verdrängen, stattdessen konzentriere ich mich vollkommen auf die Berührungen meines Mitschülers, lasse mich auf ihn ein, um nur noch ihn zu spüren. Ich nehme kalte Hände wahr, die meinen Hals leicht umschließen. Sehnsüchtig gebe ich mich dem Spiel hin, beiße mir auf die Lippen vor Erregung. Ich werfe meinen Kopf lustvoll stöhnend in den Nacken und blicke direkt in Tais Augen. Sein Blick ist undurchdringlich, als er den Druck auf meine Kehle verstärkt. „Du sollst doch nicht fremdvögeln.“ Das Lächeln meines Freundes ist kalt. Auch mein Klassenkamerad lächelt mich an, wobei er seine Stöße intensiviert. „Taichi…“, keuche ich ungewohnt laut und lustvoll. Ich habe das Gefühl, zu erröten, denn der Klang meiner erregten Stimme ist mir plötzlich extrem peinlich. Durch die geringe Sauerstoffzufuhr und die dauerhaft kraftvolle Penetration verändert sich langsam meine Wahrnehmung, auf meine Ohren legt sich ein Rauschen, mein Kopf ist wie vernebelt. Ich greife nach dem Arm meines Freundes und umklammere ihn krampfhaft, wobei ich meine Nägel tief in seine Haut grabe. „Was ist, mein süßer Yamato? Ist die Beanspruchung für deinen zierlichen Körper zu viel? Bleib ganz ruhig, bald ist es vorbei.“ Mit einem Messer gleitet er leicht über meinen Oberkörper, wohingegen er mit der anderen Hand noch immer auf meine Hauptschlagader drückt. „Du solltest dich nicht so ruckartig bewegen, sonst schneide ich dich vielleicht. Schaffst du es, den Rhythmus deines Körpers zu kontrollieren und einzudämmen? Oder legst du es darauf an, dass ich dich verletze?“ Nach wie vor schenkt Tai mir dieses kalte, ausdruckslose Lächeln. Sinnlich streicht mein Mitschüler mit seinen Fingern über meinen Oberschenkel, hinauf zu meinem Beckenknochen. Dann beginnt er mich mit seiner Hand zu stimulieren, während seine Stöße konstant brutal bleiben und sich allmählich in Schmerz wandeln. „Ich liebe dich, Yamato“, keucht mein Klassenkamerad unerwartet. Sprachlos schaue ich ihn an. Schweißperlen haben sich auf seiner Haut gebildet, seine Haare kleben ihm feucht im Gesicht. Er ist schön, dieser Gedanke ging mir in letzter Zeit des Öfteren durch den Kopf, aber auf andere Art und Weise als Taichi. Bedächtig schließe ich die Augen. Mein Atem geht stoßweise und schwerfällig. Ein starkes Schwindelgefühl stellt sich ein und meine Sicht verengt sich. „Schau mich an, Liebling“, höre ich meinen Freund sagen. „Ich möchte den Ausdruck deiner schönen, blauen Augen sehen, wenn du von einem Anderen gevögelt wirst.“ Mit einem Mal wird mir die bizarre Situation, in der wir uns befinden, in ihrem vollen Ausmaß bewusst. Beschämt will ich meinen Kopf wegdrehen, doch Tais Hand an meiner Kehle hindert mich daran. Er verstärkt seinen Druck noch weiter. Unwillkürlich beginne ich zu husten. Mit viel Kraft zieht mein Freund das Messer über meinen Oberkörper und hinterlässt eine tiefe, klaffende Wunde. Ich kann einen Schrei nicht unterdrücken. Das Blut rinnt schnell in sich verzweigenden Bahnen über meine Haut, die Blutung ist übermäßig stark. Sofort sackt mein Kreislauf ab und ich drohe das Bewusstsein zu verlieren. Mein Mitschüler lässt von mir ab und streicht mir zärtlich über die Innenseite meiner Oberschenkel. Blut und Sperma kleben zwischen meinen Beinen. „Du gehörst mir!“, flüstert Tai in mein Ohr. Er küsst mir den Schweiß von der Stirn und ordnet liebevoll einige der nassen Haarsträhnen. Dann zieht er die Klinge langsam durch meine Kehle. Tränen füllen meine Augen, sodass ich meinen Freund nur noch verschwommen erkennen kann. Ich möchte etwas sagen, doch es gelingt mir nicht. Verzweifelt versuche ich… Ich höre meinen Namen und spüre, dass mich jemand an den Schultern schüttelt. Schläfrig öffne ich meine Augen. Ich weine. Völlig durcheinander setze ich mich auf. Es ist dunkel im Zimmer. „Yamato.“ Ich zucke zusammen. Tai sitzt neben mir und schaut mich, soweit ich es erkennen kann, besorgt an. „Du hattest einen Albtraum, oder? Dein Schlaf war sehr unruhig, du hast gestöhnt, geschrien und geweint.“ „Ich weiß nicht“, sage ich verwirrt. Sanft nimmt mein Freund mich in den Arm. „Du bist ganz verschwitzt. Hast du Fieber?“ „Nein, ich denke nicht.“ Abwesend starre ich in die Finsternis. Mein Herz schlägt noch immer schmerzhaft schnell gegen meine Brust, aber es gelingt mir, meine Atmung kontrolliert ruhig zu halten. „Was hast du denn geträumt? Muss ziemlich heftig gewesen sein.“ Beruhigend streichelt Tai mir über den Rücken. „Ich weiß es nicht“, antworte ich kopflos. Die Gedanken an den Traum lassen Übelkeit in mir aufsteigen. Hastig löse ich mich von meinem Freund und renne ins Bad, um mich zu übergeben. Gedankenversunken liege ich auf meinem Bett. Der Traum der letzten Nacht lässt mich nicht mehr los. Nachdem ich beinahe meine Eingeweide in die Toilettenschüssel gewürgt hätte, ging ich mit zittrigen Beinen zurück in mein Zimmer. Tai sah mich sorgenvoll an, schwieg aber. Ohne ein Wort zu sagen, legte ich mich neben ihn und versuchte wieder einzuschlafen, was mir allerdings erst gelang, als es schon hell wurde. Wann mein Freund die Wohnung verlassen hat, um zur Uni zu gehen, bekam ich jedoch nicht mehr mit. Als ich gegen Mittag aufwachte, war er bereits nicht mehr da. Ich kochte mir Kaffee und setzte mich an meinen Schreibtisch, um an meiner Stellungnahme zu schreiben. Meine Gedanken drifteten dabei immer wieder ab, bis ich es schließlich aufgab und mich nachdenklich hinlegte. Ich bin erleichtert, Tai nicht mehr angetroffen zu haben, denn nach dem Traum kann ich ihm nicht mehr in die Augen sehen. Ich fühlte etwas für meinen Klassenkameraden, das mich vollkommen durcheinanderbringt. Ich frage mich, ob ich auch in der Realität etwas für ihn empfinde, denn das würde bedeuten, ich hätte mich in ihn verliebt. Und auch die Worte meines Mitschülers gehen mir nicht mehr aus dem Kopf, wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass er tatsächlich Gefühle für mich entwickelt hat. Überfordert von meinen Emotionen drehe ich mich auf den Bauch und vergrabe mein Gesicht im Kissen. Vielleicht schaffe ich es, mich zu ersticken, um so die ersehnte Ruhe zu erlangen. Doch meine Unruhe verstärkt sich nur. Ich drehe mich zurück auf den Rücken. Meine Atmung ist flach, der Druck auf meinem Brustkorb unangenehm. Nervös schließe ich meine Augen, atme tief durch und öffne sie wieder. Ohne Erfolg. Die Anspannung lässt nicht nach. Ich setze mich auf die Bettkante und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Verzweifelt versuche ich mich gegen mein Verlangen und mich selbst zu wehren. Plötzlich habe ich Tais Bild vor Augen, wie er mit einer Frau schläft. Ekel kriecht meine Kehle empor. Die Vorstellung, dass er sie angefasst hat und in sie eingedrungen ist, widert mich an. Ich selbst könnte mich nicht überwinden, Sex mit einer Frau zu haben, aber ich vermute, dass mein Freund eher heterosexuell orientiert ist. Möglicherweise hat er sich nur wegen einer Art Stockholm-Syndrom auf mich eingelassen. Er wird mich verlassen, aber ich werde ihn niemals freigeben. Er gehört mir und wenn es sein muss, binde ich ihn gewaltsam an mich. Verzweifelt greife ich mir ins Haar. Ich ertrage die Tatsache nicht, dass Tai mit jemand anderem geschlafen hat. Tränen der Wut und des Selbsthasses füllen meine Augen. Automatisiert erhebe ich mich und schlage auf den Türrahmen ein, bis meine Faust stark geschwollen ist und offene, blutige Wunden aufweist. Der Schmerz pulsiert dumpf an meinen Handknochen. Allmählich werde ich ruhiger. Ich gehe zu meinem Schreibtisch und krame fahrig in einem der Schubfächer nach dem Block mit dem Lied, welches ich gestern im Zimmer meines Freundes komponiert habe. Mit einem Bleistift nehme ich noch einmal ein paar Korrekturen vor, dann greife ich zur Gitarre, um die Neuerungen auf ihre Stimmigkeit zu prüfen. Gezwungen konzentriert setze ich mich auf meinen Drehstuhl und schlage die ersten Saiten an. Ein Versprechen des Himmels trieb uns direkt zurück in die Hölle Verwandelte dreimal Sieben erneut in dreimal Sechs Du lachtest mir ins Gesicht als ich dir erklärte Wie sehr es schmerzt und sagtest Entwaffne mich mit deiner Einsamkeit Genau wie all die Male zuvor Betrüge mich heraus aus meiner Leere Mir erzählend wie du liebst Du hörst nicht auf mich in Versuchung zu führen Weiterzumachen was auch immer es kostet Um Zeuge zu sein wenn die schönste Blume In voller Blüte zu Staub verwelkt So breche ich alle Regeln in diesem Spiel Das einst Liebe hieß für dich Entwaffne mich mit deiner Einsamkeit Genau wie all die Male zuvor Betrüge mich heraus aus meiner Leere Mir erzählend wie du mich Mit deinem Herzen Nicht mehr liebst Sag mir wie sehr du meine Wärme vermisst Sag mir wie mein Kuss deine Welt verändern kann Sag mir wie sehr es wehtut allein zu sein Belüg mich dass du mich Von ganzem Herzen Nicht mehr liebst Ich hatte nicht mitbekommen, dass Tai in der Zwischenzeit nach Hause gekommen ist und mit betroffenem Blick im Türrahmen lehnt. „Seit wann…“ Voller Scham breche ich meine Aussage ab und schaue traurig zu Boden. Statt zu antworten, kommt mein Freund auf mich zu, stellt meine Gitarre beiseite und zieht mich in eine innige Umarmung. Dann nimmt er meinen Kopf zwischen seine Hände und küsst mich auf die Stirn, die Wange und schließlich auf den Mund. Unser Zungenspiel ist ungewohnt verhalten, beinahe schüchtern. Als wir uns voneinander lösen, streicht er mir eine Strähne aus meinem Gesicht hinter mein Ohr. Anschließend betrachtet er meine verletzte Hand. „Das sieht schlimm aus, aber es scheint nichts gebrochen zu sein.“ „Ja“, sage ich abwesend. Ich bin wie gelähmt, denn ich nehme erneut einen leicht süßlichen Duft an Tai wahr. „Yamato, diese Stellungnahme ist nicht dein Ernst.“ Sprachlos starrt mein Direktor mich an. „Du gibst darin offen zu, dass du mit diesem Jungen im Klassenzimmer…“, er stockt für einen Moment und scheint nach den passenden Worten zu suchen, „verkehrt hast?“ Diese spricht er voller Abscheu aus. „Ja, ich hatte mit meinem Klassenkameraden einvernehmlichen Sex in der Schule“, bringe ich die unumstößliche Tatsache auf den Punkt. Mein Gegenüber verzieht das Gesicht, als ich ihm die Wahrheit noch einmal deutlich vor Augen führe. Ich kann sehen, dass er um Fassung ringt. Geräuschvoll atmet er aus. „Dir ist bewusst, dass dein Verhalten, sowohl damals als auch jetzt, nicht ohne Konsequenzen bleiben kann und wird. Eine Suspendierung scheint offenbar nichts zu bewirken. Zudem will ich durch solche Maßnahmen deinen Abschluss nicht erneut gefährden. Aber ich werde deinen Vater von deinem Fehlverhalten in Kenntnis setzen müssen. Durch die Stellungnahme gab ich dir die Möglichkeit, diese Entwicklung abzuwenden, doch deine Uneinsichtigkeit zwingt mich zum Handeln, um deiner schädlichen Entwicklung Einhalt zu gebieten und sie wieder in rechte Bahnen zu lenken.“ Mit Unglauben und einem lähmenden Gefühl der Wut nehme ich die konservative Überzeugung meines Direktors in mich auf. „Tun Sie das“, sage ich so beherrscht wie möglich. „Mein Vater weiß über meine sexuellen Neigungen Bescheid. Es wird ihn zwar nicht freuen, dass ich sie in der Schule auslebe, aber…“ „Dein Vater weiß um deine… Verirrung und wirkt dem nicht entgegen? Noch bist du jung und formbar, sodass…“ Ungehalten springe ich von meinem Stuhl auf und blicke respektlos auf meinen Gegenüber herab. „Ich folge keiner Verirrung, da ich mir meiner sexuellen Neigung durchaus bewusst bin. Ich lasse mich freiwillig von Männern ficken, weil ich darauf stehe. Und…“ „Yamato!“, werde ich forsch in meinem unbedachten Redeschwall unterbrochen. „Ich dulde ein derart pietätloses Verhalten nicht. Setz dich!“ Er macht eine auffordernde Handbewegung in Richtung des Stuhls. Meine verletzte Hand zur Faust geballt komme ich der Aufforderung widerwillig nach. „Du wirst die Stellungnahme erneut schreiben. Hier in meinem Büro. Nach dem Unterricht. Da du nicht mehr in deiner Band aktiv bist, dürftest du genügend Zeit dafür haben, denn du wirst sie so oft schreiben, bis du dein Verhalten so weit überdacht hast, dass du deine eigene Verfehlung erkennst und wieder zurück zu dir selbst findest.“ Ich öffne meinen Mund, um zu protestieren, doch mein Direktor kommt mir zuvor. „Ich dulde keine Widerworte, Yamato. Es ist zu deinem Besten.“ Ich stoße einen verächtlichen Laut aus, dem er mit ernster Miene begegnet. „Mach es durch dein Verhalten nicht noch schlimmer. Ich weiß, dass bei deiner Krankheit solche Verirrungen vorkommen können, aber ich kann dir aufgrund dessen keine Sonderbehandlung zukommen lassen. Es widerstrebt mir wirklich, dich derart bestrafen zu müssen, aber mir bleibt keine Wahl, da ich objektiv bleiben muss.“ „Ich bin nicht krank… nur weil ich mit Männern schlafe“, zische ich aufgebracht. „Ich bin nicht krank“, wiederhole ich meine Worte, diesmal allerdings kaum hörbar. „Geh jetzt zurück in deine Klasse, der Unterricht beginnt gleich.“ Dankbar, aus dieser unangenehmen Situation fliehen zu können, erhebe ich mich sofort und wende mich zum Gehen. „Vergiss nicht, nach dem Unterricht in meinem Büro“, erinnert mich der Direktor noch einmal an meine Auflage, bevor ich ohne Verbeugung den Raum verlasse. Angespannt und noch immer aufgebracht von der Unterhaltung gehe ich durch den Schulflur. Ich hasse es, wenn man mir meine Sexualität abspricht, denn das würde bedeuten, dass man meine Gefühle für Taichi negiert. Dabei sind sie das Einzige, dessen ich mir je sicher war. Mein Körper bebt vor Erregung und noch immer habe ich meine Hand fest zu einer Faust geballt. Die aufreißenden Wunden verursachen einen dumpfen, pulsierenden Schmerz, der mich allmählich ruhiger werden lässt. Vor dem Klassenzimmer bleibe ich stehen. An der Tür steht mein Mitschüler, als hätte er auf mich gewartet, und schaut mich unverwandt an. „Kommst du vom Direktor?“, fragt er leise. Ich nicke und gehe an ihm vorbei, doch er hält mich am Handgelenke zurück. „Was hast du in deiner Stellungnahme geschrieben?“ „Die Wahrheit. Dass ich auf meiner Schulbank Sex mit dir hatte. Freiwillig.“ „Du hast es zugegeben?“ Er dreht mich zu sich und sieht mir direkt in die Augen. „Warum?“ Ich zucke mit den Schultern, weiche seinem Blick aber aus und versuche mich aus seinem Griff zu lösen. „Du hast es abgestritten, oder?“ Es gelingt mir nicht, den enttäuschten Unterton aus meiner Stimme zu verbannen. Mein Klassenkamerad kommt einen Schritt auf mich zu und umfasst mit einem Arm meine Hüfte. Sein Atem ist heiß, als er in mein Ohr flüstert: „Habe ich nicht.“ Er küsst mich flüchtig auf den Mund und lässt mich irritiert im Flur stehen. In meinem Kopf herrscht Chaos und ich schaffe es nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Als die Schulglocke zum Unterricht läutet, zucke ich innerlich zusammen. „Warum?“, frage ich leise, während ich mich mit meinem Oberkörper über den Tisch meines Klassenkameraden beuge. „Was meinst du?“ „Warum hast du es zugegeben? Du hättest das mit uns einfach abstreiten können und dir so eine Menge Ärger erspart.“ „Mag sein, aber… ich stehe dazu, dass ich mit dir schlafe.“ „Seit wann?“ Verwundert blicke ich ihn an. „Hast du vergessen, dass du mich mit einem Gegenstand vergewaltigt hast, um mir meine Perversion vor Augen zu führen? Du fandest mich widerwärtig, weil ich Sex mit Männern habe. Was hat sich verändert?“ Mein Mitschüler dreht seinen Kopf zur Seite und schaut auf einen unbestimmten Punkt. „Ich… weiß es nicht“, gibt er stockend zur Antwort. Eine starke Zuneigung überkommt mich, sowie ein Kribbeln, als sich unsere Hände auf der Tischplatte wie zufällig berühren. Voller Verlangen verhake ich unsere Finger, woraufhin mein Klassenkamerad wieder zu mir sieht. Sanft streichelt er mit seinem Daumen über meine Haut. Diese zärtliche Geste von ihm verstärkt das Kribbeln in meinem Bauch noch weiter. Erschreckt über meine Gefühle ziehe ich meine Hand weg. „Yamato…“, setzt mein Mitschüler an, verstummt aber gleich darauf. Ich möchte ihn berühren, richte mich aber, um dem entgegenzuwirken, auf und wende mich zum Gehen. Jedoch werde ich von meinem Klassenkameraden am Handgelenk zurückgehalten. „Ich… bleib bitte nach dem Unterricht noch sitzen.“ Sein Tonfall ist ungewohnt schüchtern, weshalb ich ihn eingehend mustere. Die Unsicherheit in seinem Blick lässt seine Gesichtszüge noch jünger wirken. Er ist schön. Flüchtig berühre ich seine Wange. „Nach dem Unterricht muss ich zum Direktor“, entgegne ich ruhig, obwohl mein Herz von innen hart gegen meine Brust schlägt. „Ich auch. Dennoch… bitte, Yamato.“ Er verstärkt den Druck auf mein Handgelenk. „Also gut, ich warte. Aber wir müssen uns beeilen und vor allem dürfen wir nicht noch einmal erwischt werden.“ Das Lächeln meines Mitschülers sieht traurig aus, als er mich loslässt. Meine Haut brennt an der Stelle, wo er mich berührt hat. Ich streiche leicht darüber, als könnte ich das Gefühl auf diese Weise abstreifen, und gehe zu meinem Platz. Noch einmal fällt mein Blick auf meinen Klassenkameraden. Ich atme tief durch und versuche mich zu beruhigen. Seit wann reagiere ich so heftig auf seine Nähe und Berührungen? Gefühle, die denen für Tai sehr ähnlich sind, aber doch um einiges schwächer. Ich schüttele meinen Kopf, als könnte ich mich durch diese Geste davon überzeugen, dass es nicht wahr ist. Dass meine Gefühle für ihn nichts mit Liebe zutun haben. Dass ich nicht in ihn verliebt bin. Ich lege meinen Kopf auf die Tischplatte. Meine Brust zieht sich krampfartig zusammen und der Gedanke an Taichi schmerzt. Ich liebe ihn, dessen bin ich mir sicher. Mehr als mein Leben. Wie kann ich da etwas für einen anderen Menschen empfinden? Vielleicht liegt es an den Problemen, die derzeit häufig zwischen meinem Freund und mir stehen, die mich zweifeln lassen und verunsichern. Ich greife mir derb in die Haare und ziehe schmerzhaft daran. Hass ist das Einzige, das ich jetzt noch fühle. Hass für mich selbst. Allmählich leert sich der Raum. Ein paar wenige Schüler sind noch dabei, ihre restlichen Unterrichtsmaterialien in ihrer Tasche zu verstauen oder verabschieden sich gerade von Freunden, die in einer anderen Richtung wohnen als sie selbst. Auch ich sollte gehen, nach Hause, zu Taichi, doch ich bleibe verkrampft auf meinem Stuhl sitzen. Ich frage mich, woher meine Nervosität kommt. Nicht zum ersten Mal habe ich Sex in der Schule. Liegt es daran, schon einmal erwischt worden zu sein? In Gedanken versunken bekomme ich nicht mit, dass mein Klassenkamerad an mich herangetreten ist. Ich sehe mich um. Wir sind allein im Raum. Ohne Umschweife öffne ich meine Hose, werde jedoch von meinem Mitschüler davon abgehalten, weiterzugehen, indem er seine Hand auf meine legt. „Nein, Yamato. Das ist es nicht, was ich will. Zumindest nicht jetzt.“ Irritiert schaue ich ihn an. Sein Gesichtsausdruck ist ernst, als er sich zu mir herunterbeugt und mir ganz leicht einen Kuss auf die Lippen haucht. „Ich…“ „Nein, sprich es bitte nicht aus.“ Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und schnürt meine Kehle zu, ebenso wie das Kribbeln in meinem Bauch unerträglich ist. „Warum?“, fragt mein Gegenüber und hält meinen Kopf zwischen seinen Händen fest, damit ich gezwungen bin, ihn anzusehen. Ich blicke zur Seite. „Sieh mich an, Yamato.“ „Hör auf Taichis Worte zu verwenden! Und lass mich los!“, schreie ich ihn an. „Nein. Warum willst du nicht, dass ich dir sage…“ „Weil ich es weiß. Ich weiß, dass du mir sagen willst, was auch ich dir sagen könnte. Aber ich will das nicht. Ich will dir nicht sagen, dass ich Gefühle für dich habe, dass ich mich in dich verliebt habe, obwohl ich nur Taichi lieben will.“ Mein Körper zittert. „Shhh… beruhige dich.“ Sanft umfängt mich mein Mitschüler mit seinen Armen und drückt mich fest an sich. „Ich liebe dich, Yamato“, flüstert er in mein Ohr. „Ich liebe dich und ich hasse dich, weil du Gefühle in mir hervorrufst, die ich nicht haben möchte. Anfangs hast du mich wirklich abgestoßen, da du dich von Männern ficken lässt. Aber gleichzeitig ging eine Faszination von dir aus, der ich mich nicht entziehen konnte. Du bist der erste Mensch, für den ich etwas empfinde, und wirst wohl auch der einzige bleiben. Menschen widern mich an, seit ich mit sechs deren wahre Natur kennengelernt habe. Meine Mutter hat mich, als ich noch klein war, hin und wieder mit zu ihrer sogenannten Arbeit genommen, wenn sie nicht wusste, wo sie mich sonst unterbringen soll. Irgendwann hatte sich dann einer ihrer Freier an mir vergriffen. Allerdings ging es nicht über das Anfassen hinaus, meine Mutter ist rechtzeitig eingeschritten. Zur Strafe hat der Typ sie vor meinen Augen zusammengeschlagen und brutal vergewaltigt. Dennoch fühlte ich kein Mitleid, sondern fand beide nur erbärmlich und widerlich.“ Ich verstärke unsere Umarmung. „Aber mich findest du auch pervers, also warum…“ „Weil du keine Nähe suchst“, antwortet er ohne mich aussprechen zu lassen. „Du kompensierst auf diese Weise nur deinen Selbsthass.“ Ich spüre, wie er den Ärmel an meinem linken Arm etwas nach oben schiebt und leicht mit seinen Fingern über meine Narben streicht. „Du findest meinen Selbsthass anziehend?“ Vorsichtig löse ich mich von ihm und schaue ihn fragend an. „Es zeigt, dass du verstanden hast, worum es im Leben geht. Du hast verstanden, wie verdorben die Menschheit ist. Da du ebenfalls ein Teil davon bist, gilt der Hass natürlich auch dir. Doch trotz allem fühlst du dich überlegen, weil du Dinge siehst, vor denen andere die Augen absichtlich verschließen oder weil sie zu unterbelichtet sind, um zu begreifen. Aber du kannst nicht wegschauen und gehst deshalb an der Welt und an dir selbst kaputt, hab ich recht?“ Liebevoll berührt mich mein Klassenkamerad an der Wange. Ich ziehe ihn erneut in eine Umarmung und klammere mich an ihn. „Es stimmt, Menschen sind abartig und dumm. Nur… werde ich das nicht ändern können. Mir bleibt nur, den Hass an mir selbst auszulassen, mich auf diese Weise zu zerstören und am Ende Suizid zu begehen.“ „Was ist mit Taichi? Immerhin gehört auch er zu dieser verachtungswürdigen Gesellschaft. Du liebst ihn so sehr, dass du seinetwegen und für ihn am Leben bleibst. Warum tust du dir das alles an, obwohl du lieber sterben würdest? Denn ich bin mir sicher, dass du ohne ihn längst tot wärst.“ „Ja“, gebe ich zu. „Und was ist mit dir? Wie kannst du sicher sein, dass deine Gefühle für mich Liebe sind und nicht bloße Verliebtheit?“ „Weil ich am liebsten Besitzansprüche geltend machen würde.“ Er drückt mich schmerzhaft fest an sich. „Ich will dich Taichi wegnehmen, ihn töten. Du sollst nur mir gehören.“ Mein Mitschüler atmet tief durch. „Aber ich weiß, dass ich selbst im Tod gegen Taichi nicht ankomme. Deine Liebe für ihn ist viel zu hingebungsvoll und kompromisslos. Wenn ich deinem Freund etwas antue, tötest du zuerst mich und dann dich selbst.“ Ich fahre mit meiner Hand in die Haare meines Klassenkameraden und ziehe seinen Kopf daran kraftvoll nach hinten. Unheilvoll blicke ich ihm in die Augen. „Solltest du auch nur ansatzweise versuchen Taichi Schaden zuzufügen, töte ich dich tatsächlich. Auch meine Gefühle für dich werden mich nicht daran hindern können.“ „Ich weiß.“ Er lächelt traurig und küsst mich. Sofort lasse ich mich auf ein inniges sowie verzweifeltes Zungenspiel ein. Wir wissen beide, dass unsere Empfindungen füreinander gefährlich sind und sich niemals hätten entwickeln dürfen. Bestimmt umfasst mein Mitschüler meine Taille und bedeutet mir aufzustehen, dann hebt er mich ein Stück an und setzt mich auf den Tisch. Mit seinen Fingern gleitet er in meine bereits geöffnete Hose. Widerwillig löse ich mich von seinen Lippen und raune ihm ins Ohr: „Wir müssen zum Direktor.“ Ich schaffe es nicht, die Erregung aus meiner Stimme zu verbannen. Mein Klassenkamerad verstärkt den Druck seiner Hand zwischen meinen Beinen. „Willst du so zum Direktor gehen?“, fragt er amüsiert. „Nimm mich, aber wir müssen uns beeilen“, lenke ich voller Verlangen ein. „Komm runter vom Tisch, ich nehme dich von hinten.“ Ich stehe auf und lasse meine Hose ein Stück herab, bevor ich mich mit dem Rücken zu meinem Mitschüler gewandt über den Tisch beuge. Währenddessen öffnet er ebenfalls seine Hose und dringt dann unvermittelt in mich ein. Seine Penetration ist schnell und hart, wodurch ich es nicht schaffe, mein Stöhnen unter Kontrolle zu halten. Mit einer Hand hält mir mein Klassenkamerad den Mund zu, mit der anderen beginnt er mir einen runterzuholen. Tränen schießen mir in die Augen und laufen meine Wangen hinab. Verzweifelt schüttele ich meinen Kopf, um meinem Mitschüler zu bedeuten, dass er mich loslassen soll. „Was ist?“, fragt er schwer atmend, doch seine Irritation ist deutlich herauszuhören. „Nicht so! Bitte, nicht auf diese Weise!“, schluchze ich leise, während meine Tränen in kurzen Abständen auf die Tischplatte tropfen. „Es hat etwas mit Taichi zutun, oder?“ Brutal drückt er meinen Oberkörper auf das Holz und setzt seine Bewegungen in mir rücksichtlos fort. „ Ich liebe dich, Yamato. Aber das bedeutet nicht, dass ich ab jetzt schonend mit dir umgehen werde.“ Seine Hand wandert wieder zwischen meine Beine, um die Stimulation fortzusetzen. „Du Bastard!“, schreie ich ihn wütend an. „Sei gefügig und halt gefälligst still!“, keucht er, während er mich härter nimmt. Meine Beine zittern, meine Erregung lähmt mich und macht mich handlungsunfähig. Weinend gebe ich meine Gegenwehr auf und lasse meinen Klassenkameraden gewähren. Dieser treibt das Spiel bis zum Ende, dann zieht er sich aus mir zurück. Reglos bleibe ich liegen und beobachte meinen Mitschüler dabei, wie er seine Hand mit einem Taschentuch aus seiner Schultasche säubert, bevor er zu mir zurückkommt und mit demselben Tuch meine Oberschenkelinnenseiten entlang wischt. „Ich denke, wir müssen ins Bad, so verschwitzt können wir nicht zum Direktor.“ Liebevoll streicht er mir ein paar feuchte Strähnen aus dem Gesicht. „Du bist wirklich schön, Yamato. Vor allem wenn du weinst.“ Ich richte mich auf, ziehe meine Hose wieder nach oben und ordne meine Kleidung. „Ich gehe nach Hause“, sage ich tonlos und kaum hörbar. Kapitel 15: ------------ Es beginnt zu regnen, als ich die Straße zu dem Park in der Nähe unserer Wohnung überquere. Unaufhörlich prasseln die Tropfen auf mich herab und durchnässen meine Kleidung. Dennoch beschleunige ich meine Schritte nicht. Ziellos laufe ich durch die Grünanlagen. Nach einer Weile setze ich mich abwesend auf eine der Bänke und zünde mir eine Zigarette an, die allerdings binnen kürzester Zeit komplett durchweicht ist. Doch das interessiert mich nicht. Ebenso wie der Umstand, dass mein Körper durch die nasse Kleidung und die mäßigen Temperaturen auskühlt und heftig zittert. Nach dem, was gerade in der Schule passiert ist, kann ich Taichi nicht mehr in die Augen sehen. Wieso habe ich meinem Klassenkameraden gesagt, was ich für ihn fühle? Noch schlimmer ist, dass ich danach mit ihm geschlafen habe. Er nahm mich auf die gleiche Weise, wie ich Tai die ersten Male genommen habe, und obwohl ich mich zu Beginn gewehrt habe, empfand ich unerträgliche Erregung dabei. Wieder einmal zeigt sich das Ausmaß meiner Abartigkeit, denn es bereitete mir auf perverse Art Lust, so gefickt zu werden, wie ich meinen Freund anfangs vergewaltigt habe, und dabei an ihn und meine Übergriffe zu denken. Ich werfe die abgebrannte Zigarette in eine Pfütze und lausche dem zischenden Geräusch, welches entsteht, wenn die Glut mit dem Wasser in Berührung kommt und erlischt. Mein Blick fällt auf meine Schultasche, die neben mir auf der Bank liegt. Vermutlich ist der Regen bereits durch das Material gesickert und weicht gerade das Papier meiner Unterrichtsmaterialien auf. Ich schätze, es war nicht klug von mir, die Auflage des Direktors zu missachten und einfach zu gehen, ohne bei ihm gewesen zu sein. Aber ich konnte die Nähe meines Mitschülers nicht mehr ertragen. Das Verlangen nach ihm war zu groß, nach seinen Berührungen, die ganz anders sind als die von Tai und doch auch gleich. Ich hasse ihn für das, was er getan hat, dafür, dass er nicht aufgehört hat, und doch wollte ich, dass er weitermacht. Immer wenn ich mit meinem Klassenkameraden schlafe, denke ich an Taichi. Diese Tatsache ist mir bisher nie aufgefallen. Glaube ich deshalb Gefühle für meinen Mitschüler zu haben, weil ich meinen Freund in ihm wiedererkenne? Ähnlichkeiten sind auf jeden Fall erkennbar. Durch Tais Alkoholabhängigkeit hat sich unsere Beziehung verändert. Von Zeit zu Zeit ist er kaum ansprechbar, wenn er getrunken hat. Unser Umgang beschränkt sich mitunter nur auf das Nötigste und es kam auch schon vor, dass er aufgrund des Alkohols keinen hoch bekommen hat, wenn wir miteinander schlafen wollten. Meist bin ich dann aktiv geworden, doch manchmal haben wir es auch einfach dabei belassen. Aber habe ich wirklich in meinem Klassenkameraden Ersatz gesucht? Habe ich mich nicht bereits davor zu ihm hingezogen gefühlt? Verwirrt lache ich laut auf, welches sich allerdings schlagartig in krampfhaftes Weinen wandelt. Aufgelöst vergrabe ich meine Finger in meinen nass am Kopf klebenden Haaren. Schmerzlich wird mir bewusst, wie einsam ich mich ohne Taichi fühle und wie sehr ich ihn seit langem schon vermisse. Schluchzend krümme ich mich zusammen und verkrampfe meine Hand an der Stelle im Stoff meines Hemdes, wo mein Herz meinen Brustkorb zu zerbersten droht. Ich vermute, dass die Schmerzen wieder einmal psychosomatisch sind, ebenso wie in den meisten Fällen die Übelkeit und die Kopfschmerzen, schaffe es aber dennoch nicht, mich zu beruhigen. Meine Atmung ist unregelmäßig und stoßweise. Ich versuche mich unter Kontrolle zu bringen, um nicht zu hyperventilieren, was mir nach einer Weile unter Anstrengung gelingt. Erschöpft hebe ich meinen Kopf und sehe in den grauen Himmel. Der Regen wäscht die Tränen aus meinem Gesicht oder zumindest verbirgt er sie. Wie fremdgesteuert und mit leerem Blick erhebe ich mich, nehme meine Schultasche und mache mich auf den Weg zur U-Bahn-Station, um nach Shibuya zu fahren. Ich will nicht mehr denken oder fühlen müssen, auch wenn das bedeutet, Taichi wieder wehtun zu müssen, weil ich mich einmal mehr von einem fremden Mann vögeln lasse. Fest umklammere ich das Fläschchen mit dem BDO in meiner Jackentasche, als wäre es noch mein einziger Halt. „Als ich neulich mit meinem Vater telefonierte, teilte er mir mit, dass er im Sommer Urlaub haben wird und plant ihn hier zu verbringen.“ Meine Worte scheinen Tai zu beunruhigen, denn er löst sich von mir und richtet sich etwas auf, um mir sorgenvoll in die Augen zu sehen. „Weißt du schon wann?“ „Nein, einen genauen Termin konnte er mir noch nicht nennen. Hast du Angst, dass er deine Abhängigkeit vom Alkohol bemerkt?“ Ich versuche meine Frage ohne Vorwürfe in meiner Stimme zu stellen. Für einen Moment schweigt mein Freund, sodass nur die Geräusche des Fernsehers den Raum erfüllen. Es ist lange her, dass wir gemeinsam im Wohnzimmer auf dem Sofa lagen und einfach nur die Nähe des anderen genossen. Ich schließe meine Augen. „Wenn ich Alkoholiker sein soll, bist du ein Junkie. Oder willst du deine Drogenabhängigkeit bestreiten?“ „Taichi, um mich geht es gerade doch gar nicht.“ Traurig sehe ich ihn an, hebe meine Hand und berühre seine Wange. Er schiebt sie sanft beiseite, legt sich wieder hin und nimmt mich dabei erneut in den Arm. Schutz suchend schmiege ich mich an ihn. „Yamato, wir müssen unsere Probleme in den Griff bekommen. Dein Vater ist nicht dumm, ihm wird unser destruktives Verhalten auffallen, zumal sich Abhängigkeiten nicht so leicht verbergen lassen.“ „Du gibst also zu, dass du den Alkohol mittlerweile brauchst?“ „Und was ist mit dir?“, startet er, ohne zu antworten, eine Gegenfrage. „Wie sieht es mit deinem Drogenkonsum aus?“ Ich muss zugeben, dass mir die Frage nicht angenehm, aber durchaus berechtigt ist. Inzwischen kann ich mich nur selten einem Freier hingeben ohne drauf zu sein. Zudem habe ich immer häufiger das Bedürfnis, mithilfe des BDO der Realität zu entfliehen und mich in die Bewusstlosigkeit zu befördern. Ich seufze. „Du hast recht. Mein Konsumverhalten entgleitet mir langsam“, gebe ich ungern und mit gedämpfter Stimme zu. „Wenn ich an die Menge der leeren Medikamentenschachteln im Müll denke, würde ich sagen, du hast die Kontrolle schon längst verloren. Wirken die Schmerzmittel überhaupt noch?“ „Nein, eigentlich nicht.“ „Warum nimmst du sie dann noch?“, fragt Tai besorgt. „Ich weiß es nicht“, gebe ich ehrlich zu. „Um mir zu schaden, schätze ich.“ „Und das andere Zeug brauchst du, um den Sex mit deinen Freiern zu ertragen, oder?“ „Ja“, sage ich tonlos. „Das ist paradox, Yamato.“ „Ich weiß, dass es auf dich so wirken muss, aber für mich ergibt diese Widersprüchlichkeit durchaus Sinn.“ „Erkläre es mir.“ Ich streiche sanft über den Arm meines Freundes, mit dem er meinen Körper fest umschlungen hält. „Das kann ich nicht.“ „Versuche es.“ Erstaunt bemerke ich, dass Tais Aussage eher eine Bitte als eine Aufforderung ist. „Es ist wie mit dem Schneiden. Eine Sucht, ein Zwang, eine Impulskontrollstörung… nenn es, wie du willst. Eine Weile gelingt es mir, die Kontrolle zu behalten und dem Drang nicht nachzugeben. Aber ich schaffe es nicht, ohne diese selbstverletzenden Verhaltensweisen auszukommen. Irgendwann ist der Druck zu groß, sodass ich mir Schlimmeres antun könnte, wenn ich dem Verlangen nicht nachgebe. Doch die sexuellen Handlungen mit den Freiern sind abstoßend und pervers. Ohne Drogenrausch ertrage ich es kaum, von fremden Männern brutal gefickt zu werden. Ich empfinde keine Lust dabei, nur Ekel und Selbsthass. Vieles würde ich nicht machen oder mit mir machen lassen, wenn ich nicht unter dem Einfluss einer bewusstseinsverändernden Substanz stehen würde. Mit abflauender Wirkung fühle ich nichts als Verachtung und Abscheu für mich, was bedeutet, dass ich mein Ziel erreicht habe. Doch leider ist es ein Teufelskreis, aus dem ich auszubrechen nicht in der Lage bin, denn mit zunehmender Aversion steigert sich der Wunsch, mein dysfunktionales Verhalten auszuleben. Nur… allmählich entzieht sich alles meiner Kontrolle und ich habe das Gefühl, auch du hast längst nicht mehr alles im Griff.“ „Yamato, sei bitte ehrlich. Liebst du deinen Mitschüler?“ Mein Freund klingt resigniert. Ich halte in meinen Streicheleinheiten inne, lasse meine Hand aber auf seinem Arm ruhen. „Nein“, sage ich so ruhig wie möglich, doch mein Körper zittert leicht. Es fällt mir schwer, zu schlucken, meine Kehle ist wie zugeschnürt. „Aber ich habe Gefühle für ihn.“ „Also hast du dich in ihn verliebt…“, vergewissert er sich ernüchtert. „Ja.“ Dieses kleine, unscheinbare Wort kommt so zaghaft über meine Lippen, weil ich weiß, dass es die Macht hat, sowohl Taichi als auch mich zu zerstören. Mein Freund schweigt, drückt mich aber stärker an sich. Regungslos und eng umschlungen liegen wir auf dem Sofa im Wohnzimmer, während im Hintergrund noch immer der Fernseher läuft. Ich spüre Tais gleichmäßigen Herzschlag und schließe meine Augen, um nur noch ihn wahrzunehmen. „Wie soll es jetzt weitergehen?“, höre ich meinen Freund emotionslos fragen. „Bist du eher heterosexuell orientiert?“ „Was?“ Nun entnehme ich seinem Tonfall Irritation. „Du betrügst mich mit Frauen und nicht mit Männern.“ „Es ist nur eine Frau.“ „Mit der du mich schon mehrfach betrogen hast.“ „Yamato…“ Ich lasse Tais Arm los und taste nach seiner Hand. Halt suchend verhake ich unsere Finger. „Verlässt du mich?“ Ich versuche die Frage beiläufig klingen zu lassen. „Wie kommst du darauf?“ „Du stehst eigentlich auf Frauen. Ist die Annahme da nicht naheliegend? Immerhin vögelst du scheinbar beinahe regelmäßig ein weibliches Wesen.“ „Yama…“ „Shhh.“ Ich lockere die Umarmung etwas und drehe mich, sodass ich auf meinem Freund liege und in seine Augen blicke. Liebevoll lege ich meinen Zeigefinger auf seine Lippen. „Sag nichts mehr. Ich weiß, dass du mich verlassen wirst. Unsere Beziehung ist wider deine Natur und nur zustande gekommen, weil ich dich gezwungen habe. Es wird Zeit, dass du dich von mir befreist und endlich glücklich wirst.“ Lächelnd schaue ich ihn an, während Tränen meine Wangen hinab laufen. Die Worte kamen stockend über meine Lippen, dabei wollte ich selbstsicher und gefestigt auf Taichi wirken. Zärtlich wischt er mir eine Träne aus dem Gesicht. „Du Dummkopf, ständig verrennst du dich in irgendwelchen Fantasien, von denen du nicht mehr abzubringen bist. Ich stelle immer wieder fasziniert fest, dass du wirklich in deiner eigenen Welt lebst, die dich gefangen hält und fernab jeglicher Realität ist.“ Mit seiner Hand streicht er mir eine Strähne hinter mein Ohr, dann zieht er mich ein Stück zu sich herunter, um mich zu küssen. Der Kuss ist unsicher und verhalten und dennoch fühle ich meinen Freund unglaublich intensiv. „Ich will und werde dich niemals verlassen. Ich liebe dich, Yamato.“ Er küsst mich erneut. „Diese Beschwörungen werde ich dir so oft sagen, bis sie in deinem hübschen Köpfchen tief verankert sind.“ „Aber…“ „Du hast recht. Ich bin eher heterosexuell veranlagt. Doch das hat mit uns nichts zutun. Das Mädchen, mit dem ich schlafe, ist eine Kommilitonin von mir. Sie ist nett, allerdings liebe ich sie nicht und bin auch nicht in sie verliebt. So gesehen bin ich ihr gegenüber ein ziemliches Arschloch, weil ich sie benutze, um mich von dir abzulenken, denke aber trotzdem an dich, während ich mit ihr Sex habe.“ Erschöpft senke ich meinen Kopf und berühre mit meiner Stirn den Brustkorb meines Freundes. „Das alles will ich nicht wissen. Aber ich bin selbst schuld? Habe ich dich zum Fremdgehen getrieben? Und zum Trinken? Zum Schneiden?“ „In gewisser Weise, ja.“ Ich bin froh über die Ehrlichkeit und auch wenn es sich mit meiner Meinung deckt, ist es bitter. Sehr bitter. „Ich will nur dich, Taichi! Das musst du mir glauben!“ Verzweifelt schaue ich ihn an. „Ich liebe dich!“ Tai lächelt, seine Augen allerdings sind leblos. „Werden wir es schaffen, zu uns zurückzufinden?“, frage ich in den Raum, obwohl ich weiß, dass weder mein Freund noch ich eine Antwort darauf haben. Schützend legt er seine Arme um meinen Körper. Ich dränge mich dicht an ihn. „Bitte lass mich nie wieder los!“ Nervös kratze ich über die Haut meines linken Unterarms. Durch den dünnen Stoff des Hemdes spüre ich deutlich die Unebenheiten, die aufgrund meiner Narben entstehen. Sehnsuchtsvoll streiche ich darüber, ertaste jede einzelne Spur der Grenzlinie zwischen Realität und Wahn. Meine Hände zittern. Ich lasse den Kopf auf die Tischplatte sinken und presse meine Stirn gegen das Holz, um einen Gegendruck zu dem Schmerz zu erzeugen. Letztlich weiß ich, dass es nichts bringt, aber anders kann ich momentan nicht agieren. Von Tag zu Tag fällt es mir schwerer, auf Schmerzmittel zu verzichten. Generell ist das Verlangen nach Selbstschädigung mittlerweile kaum noch auszuhalten. Zweieinhalb Wochen habe ich es geschafft, mich weder von Freiern ficken zu lassen, Drogen oder Tabletten zu konsumieren noch mich zu schneiden. Stolz darauf kann ich jedoch nicht sein. Meine Gedanken kreisen permanent um eine dieser für mich lebenserhaltenden Maßnahmen. Das Einzige, das ich nicht versuche mit aller Macht zu unterdrücken, ist das Rauchen. Damit kompensiere ich derzeit alles andere, wodurch mein Verbrauch deutlich gestiegen ist. Allerdings reicht es bei Weitem nicht, um meine Unruhe und mein Verlangen längere Zeit unter Kontrolle zu halten. Jeden Augenblick könnte ich den Halt verlieren und abstürzen, ich stehe gerade auf sehr wackeligen Beinen. Seufzend hebe ich meinen Kopf und schaue nach vorn, da der Lehrer nun zu seinen mündlichen Ausführungen ein paar Notizen mit Kreide an die Tafel schreibt. Mein Blick schweift ab und bleibt an meinem Klassenkameraden haften. Ich vermisse ihn. Seit ich Taichi meine Gefühle für ihn gestanden habe, gehe ich meinem Mitschüler aus dem Weg. Doch meine Sehnsucht lässt mich wanken, dabei will ich eigentlich nur noch mit Taichi schlafen. Der Gedanke, von meinem Klassenkameraden berührt zu werden, löst in mir ein aufregendes Kribbeln aus. Das Ertönen der Schulglocke holt mich aus meinen Gedanken. Pause. Ich lege mich mit dem Kopf wieder auf die Bank, vergrabe mein Gesicht in meinen verschränkten Armen. Indem ich vortäusche zu schlafen, vermeide ich angesprochen zu werden. Nur scheint meine Rechnung diesmal nicht aufzugehen. Ich fühle, wie jemand mit seinen Fingern sanft durch meine Haare streicht. „Warum gehst du mir seit über zwei Wochen aus dem Weg?“, fragt mein Mitschüler leise, während er sich vor meinen Tisch hockt und die Arme auf der Platte verschränkt. Ich reagiere nicht. „Yamato, ich weiß, dass du wach bist.“ Ich hebe meinen Kopf erneut und blinzle ihn an. „Es ist nichts“, antworte ich. Mir fällt es schwer, ihn abzuweisen, mich von ihm zu lösen. Anscheinend sind die Gefühle für meinen Klassenkameraden intensiver als angenommen. Das verwirrt mich. Eingehend betrachte ich das Gesicht meines Gegenübers. Obwohl er nur ein Jahr jünger ist als ich, sind seine Züge noch immer leicht kindlich, wodurch er androgyner aussieht. Trotzdem wirkt er nicht zerbrechlich. „Warum schaust du mich so an?“, fragt mein Mitschüler irritiert. Ich schüttele den Kopf und verstärke dadurch den stechenden Schmerz. Mit den Fingern drücke ich gegen meine Schläfe. „Es ist wirklich nichts.“ Ich lächle ihn verhalten an. „Aber ich bin dir dankbar, dass du mich neulich beim Direktor entschuldigt hast. Dadurch hast du mich vor einer härteren Strafe bewahrt.“ „Meinetwegen bist du ja nur gegangen“, meint er beiläufig. „Hast du Kopfschmerzen? Ich habe Schmerzmittel in meiner Tasche.“ Gerade als er aufstehen will, um die Tabletten zu holen, halte ich ihn am Handgelenk fest. „Lass, es ist okay.“ Meine Stimme klingt wenig überzeugend. Skeptisch werde ich von meinem Klassenkameraden gemustert. Der Ausdruck in seinem Gesicht wandelt sich. Seine Augen sind kalt. „Nach dem Unterricht gehen wir zu mir. Das ist keine Bitte, Yamato.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, geht er auf seinen Platz zurück. Ratlos schaue ich ihm nach. Mir ist bewusst, dass es fatale Folgen haben kann, wenn ich meinem Verlangen erneut nachgebe. Taichi scheint seit einigen Tagen keinen Alkohol mehr zu trinken. Ich möchte ihm den Entzug nicht zusätzlich erschweren und riskieren, dass er meinetwegen rückfällig wird. Unser Verhältnis ist derzeit ohnehin angespannt. Wahrscheinlich sind wir beide gereizt, weil jeder von uns mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen hat. Und zwar allein. Es klingelt. Ich habe nicht mitbekommen, dass der Lehrer den Raum inzwischen betreten hat. Angestrengt sehe ich nach vorn. Es ist dumm, unsere Probleme zur selben Zeit in den Griff bekommen zu wollen. Ich fürchte, wir muten uns zu viel zu, sind mit uns selbst überfordert und somit nicht in der Lage uns gegenseitig zu unterstützen. Angst keimt in mir auf. Sucht Taichi nach Halt bei diesem Mädchen? Ich bezweifle, dass er den kompletten Entzug ohne Hilfe schaffen kann. Doch in letzter Zeit entzieht er sich mir immer häufiger und ich komme nicht an ihn heran. Die Nächte verbringt er wieder in seinem Zimmer mit der Begründung, er würde unruhig schlafen, mich aber nicht damit belasten wollen. Allerdings mache ich seitdem kaum noch ein Auge zu, liege lange wach und bin vollkommen übermüdet. Sicher haben die Schlafprobleme nicht nur Tai zur Ursache, aber ich mache mir Sorgen um ihn. Fahrig streiche ich mit den Fingern über meine Augen, dann durch die Haare. Vergeblich versuche ich mich auf den Unterricht zu konzentrieren, um nicht so viel nachdenken zu müssen. Mit der momentanen Situation komme ich einfach nicht klar. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll, Taichi gegenüber, meinem Mitschüler gegenüber, mir selbst gegenüber. Müde stütze ich meinen Kopf in der Hand ab. Mein Körper wehrt sich allmählich gegen meinen Umgang mit ihm. Sämtliche Gliedmaßen fühlen sich schwer an, Schwäche zeichnet mich und ich kann mich kaum aufrecht halten. Beinahe ersehne ich einen Zusammenbruch, da es derzeit die einzige Möglichkeit zu sein scheint, der Realität zu entfliehen. Am besten wäre es, dann nicht mehr aufzuwachen. Ich habe das Leben satt. Es erschöpft mich. Egal, was ich mache, ich komme weder mit mir noch mit anderen Menschen oder dem Leben allgemein zurecht. Immer wenn ich denke, dass es besser wird und ich doch lebensfähig bin, werde ich eines Besseren belehrt. Schon wieder kreisen meine Gedanken. Und immer um dieselben Themen. Dabei weiß ich, dass es nichts bringt. Aber es passiert automatisch, wie alles in letzter Zeit. Ich habe das Gefühl, gelebt zu werden. Die Kopfschmerzen bringen mich fast um den Verstand. Ich schließe die Augen. „Yamato, geht es dir nicht gut?“ Mit seiner Frage holt der Lehrer sich meine Aufmerksamkeit zurück. Mit halb geöffneten Augen blicke ich ihn an. „Du bist ganz blass.“ „Alles okay. Darf ich nur kurz zur Toilette gehen?“ „Ja, natürlich. Aber bist du sicher, dass du allein gehen kannst? Du siehst so aus, als würde dein Kreislauf gleich versagen. Ist dir schwindelig? Soll dich jemand begleiten?“ Er klingt aufrichtig besorgt. „Danke, aber ich gehe allein“, entgegne ich leise und stehe auf. Das Hämmern in meinem Kopf verstärkt sich durch die Bewegung. Als ich am Tisch meines Klassenkameraden vorbeigehe, sehe ich im Augenwinkel, dass er mir einen fragenden Blick zuwirft. Ich ignoriere ihn und verlasse den Raum. Langsam schleppe ich mich über den Gang, betrete die Toiletten und schließe mich in einer Kabine ein. Kraftlos lehne ich mich mit dem Rücken gegen die Wand und rutsche an ihr herab. Die Fliesen sind kühl, sodass ich mich hinlege und abwechselnd meine Schläfen sowie meine Stirn dagegen presse. Ob Taichi gerade mit seiner Kommilitonin schläft? Trinkt er wirklich keinen Alkohol mehr? Immer wenn wir gegenwärtig zusammen sind, scheint er nüchtern zu sein, doch in letzter Zeit haben wir kaum Kontakt. Vielleicht ist das der Grund, weshalb er mir aus dem Weg geht. Er möchte nicht, dass ich mitbekomme, wann und wie viel er trinkt. Ich hasse mich für diese Gedanken. Eigentlich sollte ich meinem Freund vertrauen. Aber es fällt mir schwer. Zudem frage ich mich, ob ich ihm jemals wirklich vertraut habe. Zweifelte ich nicht schon immer aufgrund der Vergangenheit an seinen Gefühlen? Zumindest an seiner Liebe. Tief Luft holend drehe ich mich auf den Rücken und starre zur Decke. Ich halte es nicht mehr aus. Meine Gedanken treiben mich in den Wahnsinn. Ich will sterben. Endlich Ruhe vor mir selbst haben. Nur habe ich momentan weder eine Rasierklinge noch Tabletten oder Drogen bei mir. Ich verfluche mich, alle selbstschädigenden Verhaltensweisen mit einem Mal zu bekämpfen. Wenigstens eine dieser Möglichkeiten hätte ich mir offenhalten sollen. Für den Notfall. Ich überlege. Das Schuldach wäre eine Option, allerdings bin ich nicht einmal mehr in der Lage, mich zu erheben. Will ich überhaupt sterben? Jetzt? Hier? Auf diese Weise? Ohne über die Antwort nachzudenken, schließe ich meine Augen und gleite sanft in die ersehnte Bewusstlosigkeit. Ein dumpfes, aber penetrantes Klopfen holt mich zurück in die Realität. Ich öffne die Augen und bin für einen kurzen Moment orientierungslos. Dann erkenne ich die Räumlichkeiten, auf deren kalten Fliesen ich mich befinde, und erinnere mich, wie ich hierherkam. „Yamato, öffne die Tür! Yamato!“ Ich reibe mir über die geschlossenen Lider und versuche mich aufzusetzen. Mein Kopf dröhnt und ich presse meine Handballen gegen die Schläfen. „Yamato, verdammt nochmal!“ Verzweifelt hämmert die Person auf der anderen Seite gegen das Holz. Benommen ziehe ich mich an der Klinke nach oben und drehe den Knauf, um das Schloss zu entriegeln. Sofort stößt mein Klassenkamerad die Tür auf und hält mich fest, da meine Beine nachzugeben drohen. Seine Kraft reicht jedoch nicht aus, sodass wir aneinandergeklammert zu Boden sinken. Sanft streicht er mir durch die Haare. Die Art und Weise seiner Berührungen sind mir mittlerweile vertraut, mein Körper reagiert darauf und verlangt nach mehr. „Warum bist du hier?“, frage ich leise. „Der Lehrer machte sich Sorgen, weil du nicht wiederkamst. Jemand sollte nach dir sehen.“ Ich gehe nicht weiter darauf ein und lehne mich mit der Stirn gegen die Schulter meines Mitschülers. „Lass mich nicht los“, bitte ich mit brüchiger Stimme. Ich kralle meine Finger in den Stoff seiner Schuluniformjacke und drücke mich stärker an seinen Körper. „Ich kann nicht mehr. Ich packe das alles nicht. Nicht alleine. Taichi, der Entzug, unsere Beziehung, meine Gefühle für dich… das alles wächst mir über den Kopf. Ich fühle mich so hilflos, verdammt!“ Kraftlos rutsche ich etwas an ihm herab. Mein Klassenkamerad versucht mir Halt zu geben, indem er die Umarmung verstärkt. „Was meinst du mit Entzug? Nimmt Taichi Drogen?“ Seine Frage klingt abwertend. Ich schüttle meinen Kopf, zucke allerdings aufgrund des Schmerzes durch die ruckartigen Bewegungen sofort zusammen. „Alkohol.“ Mir ist bewusst, dass dies Themen und Probleme sind, die außer Tai und mich niemanden etwas angehen. Aber ich bin im Augenblick einfach überfordert und mit den Nerven am Ende. „Wenn ich mich von Freiern ficken lasse, dann…“ „Nimmst du Drogen? Und du verkaufst dich tatsächlich?“ Er schiebt mich etwas von sich, packt mich aber schmerzhaft hart an den Schultern und blickt mir verständnislos in die Augen. „Ja, anders würde ich die überwiegend perversen und widerwärtigen Handlungen nicht ertragen können.“ Beschämt schaue ich zu Boden. „Geht dein Wunsch nach Selbstverletzung und Erniedrigung wirklich so weit? Ich will gar nicht wissen, was du alles mit dir machen lässt, selbst tust oder wozu du vielleicht sogar gezwungen wirst. Ich kenne dieses Milieu und weiß, wie schmutzig es mitunter sein kann.“ „So schlimm ist es nicht. Vor allem, wenn man drauf ist, kann es für den Moment sogar sehr geil sein.“ Diese Aussage bekomme ich mit einer zwiebelnden Ohrfeige vergolten. „Yamato, hörst du dir eigentlich selbst zu?“ Mein Mitschüler greift in meine Haare, zieht sie bestimmt nach hinten und zwingt mich ihn anzusehen. „Kein Wunder, dass ich oft das Gefühl habe, du würdest neben dir stehen.“ „Nein, in deiner Gegenwart stand ich noch nie unter Drogen. Immer habe ich mich dir mit und bei vollem Bewusstsein hingegeben.“ Ich lächle gequält. „Aber es ist nicht nur dieser Entzug, der mich in den Wahnsinn treibt. Ich habe mir vorgenommen mich von niemandem mehr ficken zu lassen, abgesehen von Taichi.“ Mein Gegenüber macht ein ernstes Gesicht. „Gehst du mir deshalb aus dem Weg?“ Kaum merklich nicke ich und schließe meine Augen, um ihn nicht weiter ansehen zu müssen. „Auch auf das Schneiden und die Tabletten verzichte ich. Mein Kopf scheint gleich zu explodieren, ich kann nicht mehr klar denken und der Wunsch zu sterben ist enorm. Doch ich bin nicht einmal mehr in der Lage, mir das Leben zu nehmen. Ich vegetiere vor mich hin und warte, dass es endlich vorbei ist. Und Taichi? Er ertränkt seine Probleme im Alkohol und vögelt fremde Frauen. Mir bleibt nichts, als dabei zuzuschauen. Ich habe keine Macht über meinen Freund und auch nicht das Recht, ihm Vorschriften zu machen, denn ich bin selbst nicht besser.“ Mein Körper zittert und die Worte kommen nur schwer über meine Lippen. Beruhigend streicht mir mein Klassenkamerad über den Rücken. Dann küsst er mich liebevoll auf den Mund. Ich höre, wie die Tür zu diesen Örtlichkeiten vom Flur aus geöffnet wird und mindestens zwei Jungen die Toiletten betreten. Sie unterhalten sich angeregt. Noch ehe ich mich von meinem Mitschüler lösen oder zumindest die Kabinentür schließen kann, verstummt das Gespräch der Beiden. Mein Klassenkamerad wird mit seiner Zunge fordernder, als läge er es darauf an, uns in eine prekäre Lage zu bringen. Ich bin unschlüssig, ob ich sein Spiel mitspielen soll oder ob es besser wäre, mich zu wehren. Letztlich lasse ich mich auf ihn ein und begegne ihm mit meinem lange aufgestauten Verlangen. Lüstern gleitet er mit seiner Hand zwischen meine Beine und bemerkt zufrieden meine deutliche Erregung. Ein sinnliches Stöhnen entweicht meiner Kehle, als er mit kräftigem Druck darüber streicht. Kurz unterbricht er den Kuss und schaut nach oben. Die beiden Jungen, vermutlich erstes Jahr, stehen mit einer Mischung aus Unglauben, Ekel und Faszination in ihren Gesichtern vor der Kabine und schauen auf uns herab. „Was wollt ihr? Verzieht euch endlich!“, raunt mein Mitschüler in gereiztem Ton. Erschreckt schauen die Jungs ihn an, dann zeigt der größere ihm den Mittelfinger. Als sie sich zum Gehen wenden, dreht der sich noch einmal um. „Widerliche Schwuchteln“, höre ich ihn sagen, dann fällt die Tür ins Schloss und ich bin wieder mit meinem Klassenkameraden allein. „Dämliche Penner“, flucht er. „Manchmal frage ich mich, wie es sich ohne Hirn lebt. Muss echt angenehm sein.“ Ich lache, doch mein Mitschüler sieht mich ernst an. „Du wirst mir gehören. Ich werde dich ihm wegnehmen.“ Mein Lachen stirbt ab. „Was?“, frage ich verwirrt. „Taichi ist ein einfältiger, stumpfsinniger Idiot. Ein Alkoholiker, der zudem auf Frauen steht. Was willst du von so einem? Ich lasse nicht zu, dass du an deinen Gefühlen für ihn zugrunde gehst. Du liebst ihn, aber liebt er auch dich?“ Wütend starre ich ihn an und ziehe ihn am Kragen nah zu mir. Sein Gesicht ist so dicht vor meinem, dass ich den warmen Atem meines Gegenübers auf der Haut spüren kann. „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du Taichi aus dem Spiel lassen sollst? Ich…“ „Es ist aber kein Spiel mehr, Yamato.“ Geschickt verdreht er meine Hand, damit ich meinen Griff von ihm löse. „Ich liebe dich.“ Er drückt mir einen verlangenden Kuss auf die Lippen, während er mich mit dem Rücken gegen die Wand drängt und mit seinen Fingern meine Hose öffnet. Ich drehe meinen Kopf zur Seite, um mich seinen Zärtlichkeiten zu entziehen. „Hör auf“, befehle ich ihm. „Nein.“ Mit seiner Hand gleitet er in meine Shorts. Meine Gegenwehr wird sofort energischer und ich versuche ihn von mir zu stoßen. „Lass mich los, verdammt!“, zische ich ihn hasserfüllt an, doch mein Klassenkamerad ignoriert meine Aufforderung, zieht meine Hosen nach unten und öffnet seine eigene. Mein Kopfschmerz wird unerträglich. Ich schließe die Augen. „Ich liebe dich, Yamato.“ Zärtlich drückt er mir einen Kuss auf die Stirn und dringt gefühlvoll in mich ein. Halt suchend schlinge ich meine Arme um den Hals meines Mitschülers und lasse mich auf den Rhythmus seiner Stöße ein. Tränen laufen mir über die Wangen, während lauter werdendes Stöhnen meiner Kehle entweicht. „Lass mich dich spüren. Ich habe mich nach dir gesehnt“, flüstere ich. „Dann töte deine Liebe zu Taichi. Er kann dich nicht glücklich machen.“ Die Worte meines Mitschülers kreisen unaufhörlich wie eine Beschwörungsformel in meinem Kopf, brennen sich in meine Gedanken und verwirren meine Gefühle. Ich schließe die Wohnungstür auf, ziehe meine Schuhe aus und gehe direkt in mein Zimmer. Dort werfe ich die Schultasche in eine Ecke und lasse mich auf das Bett fallen. Mit meinen Händen bedecke ich mein Gesicht. Warum bringen mich die Aussagen meines Klassenkameraden so sehr aus der Fassung? Es sind nicht meine Gefühle für Taichi, an denen ich zweifle. Aber ich denke, dass es ihm ohne mich besser gehen würde. Es geht nicht darum, ob er mich glücklich machen kann, sondern was ich ihm geben kann. Doch außer Verzweiflung und einem tiefschwarzen Abgrund bleibt nichts. Mühsam stehe ich auf und schalte meinen CD-Player ein, dann öffne ich das Fenster. Ich entzünde eine Zigarette. Abwesend ziehe ich daran. In all diesen Stunden, wir waren uns so fremd Viel tiefer die Wunden als man es erkennt Ich wollte nicht schweigen, ich konnte nicht gehen Sah dir in die Augen und konnte dich sehen Dort wo die Einsamkeit beginnt wo wir unvollkommen sind Wo die Sehnsucht uns erfasst Und die Welt langsam verblasst Die kleinen Versprechen, die man sich geschworen Die Unschuld des Lebens ging in uns verloren Es gibt keine Schuld, nur die Hoffnung auf Glück Und jeder bleibt für sich allein zurück Ich inhaliere den Rauch ein letztes Mal tief in meine Lungen und werfe den Rest der Zigarette nach draußen. Als ich nach Hause kam, sah ich Tais Schuhe im Eingangsbereich stehen. Vermutlich ist er in seinem Zimmer. Ich schließe das Fenster wieder und verlasse den Raum, um in der Küche Kaffee zu kochen, in der Hoffnung, durch das Koffein die Kopfschmerzen etwas eindämmen zu können. Warum nehme ich nicht einfach wieder Tabletten? Ist es letztlich nicht sowieso egal? Resigniert nehme ich eine Tasse aus dem Schrank und fülle sie mit der fast schwarzen Flüssigkeit. Auf dem halben Weg zurück, im Flur, bleibe ich stehen. Langsam gehe ich zum Wohnzimmer und spähe hinein. Der Raum ist verlassen. Ich wende mich zur Tür von Tais Zimmer. Vorsichtig öffne ich sie. Mein Freund liegt auf seinem Bett und scheint zu schlafen. Ich stelle meine Tasse auf seinen Schreibtisch, auf dem etliche Bücher, lose Blätter und weitere Schreibutensilien verstreut liegen. Offenbar arbeitet er an mehreren Sachverhalten gleichzeitig, denn ich sehe in einem Hefter begonnene Ausführungen zu verschiedenen Trainingsmethoden, daneben liegen Arbeitsblätter über funktionelle Anatomie, Bewegungskontrolle und psychomotorisches Verhalten sowie Bücher zum Thema Sportmedizin. Eine halb ausgetrunkene Tasse mit kaltem Kaffee steht inmitten dieser Unordnung. Ich wende mich ab und setzte mich auf das Bett neben den reglosen Körper meines Freundes. Er ist mir mit dem Rücken zugewandt, sodass ich sein Gesicht nicht sehe. Vorsichtig streiche ich über Tais Arm. Keine Reaktion. Ich beuge mich leicht über meinen Freund. Seine Augen sind geschlossen, seine Atmung ist ruhig. Ein schwacher Alkoholgeruch steigt in meine Nase. Er trinkt also tatsächlich noch. „Ich vermisse dich. Ich fühle mich so schrecklich einsam ohne dich.“ Liebevoll streiche ich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Taichi ist schön. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Seufzend berühre ich mit meiner Stirn die Schulter meines Freundes. Eine Weile verharre ich in dieser Position und genieße Tais schmerzende Nähe. Der Plan, den ich seit einiger Zeit in meinem Hinterkopf fest verankert habe, kommt mir wieder ins Bewusstsein. Es ist mittlerweile sowieso alles egal. Ich bin müde. Vielleicht ist jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt, ihn umzusetzen. Eigentlich wollte ich Taichi töten, bevor ich Selbstmord begehe. Auch er sollte sterben. Ich will ihn nicht teilen, aber letztlich habe ich nicht das Recht, über sein Leben zu entscheiden. Ich muss ihn freigeben, damit er zurück ins Leben finden kann. Zu weit habe ich meinen Freund in den Abgrund getrieben. Sanft hauche ich Tai einen Kuss auf seine Schläfe. „Ich liebe dich! Ich liebe dich, Taichi Yagami! Bitte, werde glücklich.“ Vorsichtig stehe ich auf und schließe behutsam hinter mir die Tür zum Zimmer meines Freundes. Kühler Wind streichelt sanft über meine Haut, bringt meine Haare durcheinander. Schützend umhüllt er mich, doch gleichzeitig zieht er an mir, als wollte er mich mit sich reißen. Langsam gehe ich noch ein paar Schritte auf den 238 Meter tiefen Abgrund zu. Der Blick über Tokyo ist atemberaubend schön. Diese Stadt erstreckt sich bis zum Horizont, unzählige Menschen leben hier jeden Tag stur vor sich hin und warten letztlich nur auf ihren Tod. Ich hole aus meiner Jackentasche das kleine Fläschchen mit dem durchsichtigen Glück. Bedächtig halte ich es zwischen Daumen und Zeigefinger gegen die Sonne, kneife ein Auge zu und blicke mit dem anderen durch das braune Glas. Der Inhalt misst weniger als ein Viertel, aber es dürfte reichen, um eine enthemmende Wirkung zu erzielen. Ich atme tief durch. Dann mache ich noch einige Schritte nach vorn, nur um sofort wieder zurückzugehen. Mir ist schwindelig. Ich lege mich auf die von der Sonne erwärmten Betonplatten des Hubschrauberlandeplatzes und starre in den graublauen Himmel, der von Wolken durchzogen ist. Kaum merklich ziehen sie vorbei. Ich schließe meine Augen. Die Kopfschmerzen weichen einem Liedtext, der sich in meine Gedanken brennt. Ich öffne meine Lippen, um ein letztes Mal meine Stimme zu hören. In die Zeilen lege ich Gefühle wie Schwermut, Erleichterung, Liebe und Verzweiflung, meine Gedanken an Taichi und das ersehnte Ende. Alles in weiter Ferne Alles wirkt so verschwommen Ein seltsamer Drang von Innen Ich fühle mich wie benommen Und es sticht in meinem Herzen Die Leere in mir drinnen Und es rauscht in meiner Seele Und verschleiert jeden Sinn Ich tauche langsam ein In das Abendrot Im Morgengrauen, dort wartet Ein sanfter Tod Alles im Strom der Zeiten Alles dreht sich im Kreis Und es bleibt nur ein Lächeln Jenseits der Ewigkeit Und ich gleite in die Tiefe Um mich selber zu verlieren Um dort an der letzten Grenze Einen Moment zu existieren Die letzten Worte kamen nur noch flüsternd über meine Lippen. Mit einem Mal weicht die Leichtigkeit einer diffusen Angst. Ich krümme mich zusammen. Wütend schlage ich mit meiner Faust auf den Boden. Immer und immer wieder. Ich will den Schmerz spüren. Er hält mich am Leben. Aber wozu, wenn ich doch sterben möchte? Mühsam erhebe ich mich und gehe Schritt für Schritt zum Rand des Daches. Ich schaue auf meine Hand, die noch immer das BDO fest umklammert. Es ist nicht schwer. Ich muss nur diese Droge, wie schon oft zuvor, konsumieren und einen kleinen Moment bis zum Wirkungseintritt warten. Dann bin ich bereit zu fliegen. Vierundfünfzig Stockwerke entlang des Roppongi Hills Mori Tower in die Tiefe. Das kurze Gefühl bis zur Ohnmacht muss unbeschreiblich sein. Ich schließe die Augen und breite meine Arme aus. Gleich ist es vorbei. Noch ein letztes Mal sehe ich in den Himmel. Als ich meinen Blick senke, überkommen mich erneut Schwindelgefühle. Ich zittere. Meine Kleidung klebt durch den kalten Schweiß an meinem Körper. Vorsichtig gehe ich ein Stück zurück, weg vom Rand. Dann breche ich weinend zusammen. Ich kann es nicht. Ich schaffe es nicht, mich physisch zu töten, obwohl ich sterben möchte. So einfach ist es nicht. Laut schreie ich unter Tränen verzweifelt meinen Schmerz hinaus. „Taichi, bitte hilf mir!“ Meine Stimme stirbt ab. „Es ist spät, Yamato.“ Ich zucke zusammen, als die Stimme meines Freundes an meine Ohren dringt. Mit einem leisen Klacken fällt die Wohnungstür hinter mir ins Schloss. Ich betätige den Lichtschalter. Tai sitzt im Flur auf dem Boden, zusammengekauert und mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt. „Hast du dich wieder von einem Freier durchvögeln lassen? Oder war es dieser kleine Wichser aus deiner Klasse?“ Ruhig lege ich meinen Schlüssel auf die Kommode und ziehe meine Schuhe aus. „Und du? Hast du wieder getrunken?“, frage ich beiläufig, da ich die Antwort bereits heute Nachmittag erhalten habe. „Oder hast du einmal mehr mit diesem Mädchen geschlafen?“ Ich sehe meinen Freund müde an. Dieser erwidert meinen Blick und steht schwerfällig auf. Langsam gehe ich auf ihn zu und bleibe dicht vor ihm stehen. „Du hast aufgegeben, habe ich recht? Dich selbst, unsere Beziehung und mich.“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. Tai schaut zu Boden, doch sanft hebe ich seinen Kopf am Kinn wieder an. „Nein, Taichi. Sieh mich an. Sag mir ins Gesicht, dass du uns aufgegeben hast. Denn dann wird alles ganz einfach. Dann gibt es wirklich kein Zurück.“ Sehnsuchtsvoll streichle ich über den Hals meines Freundes. „Nur ein paar kleine Worte von dir…“ Die Entschlossenheit, die mir vorhin zum Sprung fehlte, spüre ich nun ganz deutlich. „Was soll das? Schaffst du es nicht ohne mich, dir das Leben zu nehmen?“ Aus kalten, glasigen Augen blickt er mich an. „Stirb allein, Yamato.“ Ohne eine Regung stehe ich vor Taichi, nur meine Atmung ist beschleunigt und mein Herz schlägt schneller. „Was ist? Fällt es dir doch nicht so leicht, selbst wenn ich dich freigebe? Bin wirklich ich es, der dich am Leben hält? Ich denke nicht. Das bist du selbst. Ich bin ziemlich machtlos, was deine Suizidalität betrifft. Falls dein Wille zu leben gänzlich erlischt, kann dich niemand retten, da du es verhindern würdest. Du weißt genau, wie du vorgehen musst, um zu sterben. Vielleicht hast du sogar einen Plan. Ich habe Angst vor diesem Tag und hoffe, dass er niemals kommen wird.“ Tränen laufen über die Wangen meines Freundes, trotzdem gelingt es mir nicht, mich aus meiner Starre zu lösen. Allerdings lächle ich. „Der Tag wird kommen. Merkst du nicht, dass wir uns nur im Kreis drehen? Jetzt reden wir halbwegs vernünftig miteinander, sehen unsere Probleme klarer, wollen sie lösen, etwas ändern. Doch wie lange dauert es, bis wir einmal mehr an uns selbst zerbrechen? Reicht es nicht langsam? Willst du wirklich weitere Runden drehen?“ Liebevoll zieht Tai mich zu sich und umfängt mich mit seinen Armen. Noch immer nehme ich einen leichten Alkoholgeruch an ihm wahr. „Du fühlst nur die Extreme, deshalb verzweifelst du auch so schnell. Aber du verzweifelst nicht am Leben, sondern lediglich an dir selbst. Und im Grunde weißt du das. Dennoch schaffst du es, deiner lebensmüden Seite entgegenzuwirken. Du bist stark genug. Auch ohne mich.“ Heftig stoße ich meinen Freund von mir, sodass er fast das Gleichgewicht verliert. „Warum tust du das? Warum sprichst du mir ständig meine Gefühle für dich ab? Du negierst sie, indem du behauptest, ich würde dich nicht brauchen. Ich weiß, dass mein Verhalten meiner Glaubwürdigkeit nicht unbedingt zuträglich ist. Aber…“ Meine Stimme versagt und ich kann meine Tränen nicht länger zurückhalten. „Was soll ich tun, Taichi? Was soll ich tun, verdammt?“ Mein Gegenüber kommt einen Schritt auf mich zu, doch ich weiche zurück. „Nein, ich möchte eine Antwort. Wie schaffe ich es, mich zu ändern? Wie gewinne ich gegen mich selbst?“ Verzweifelt schreie ich ihn an. „Es ist tatsächlich schwer, dir zu glauben. Durch deine Zerrissenheit bist du voller Widersprüche. Nicht immer ist es einfach, mit dir umzugehen, und du machst es einem oft auch nicht leichter, im Gegenteil. Dennoch will ich dich nicht ändern. Ich liebe dich, Yamato. In deiner ganzen Kompliziertheit. Allerdings sehe ich, dass du an dir selbst zerbrichst, und ich frage mich, welche Vorgehensweisen richtig sind. Du wandelst auf einer Grenzlinie und gerätst dabei ständig ins Wanken. Das wird vermutlich nie anders. Wie du bereits sagtest, ein endloser Kreis. Mit jeder Diskussion sind wir keinen Schritt weiter. Aber was wollen wir mit unseren Worten eigentlich erreichen? Uns der Illusion hingeben, dass alles gut werden kann? Dass es Lösungen für alles gibt? Nein, das würde an Naivität grenzen. Doch auch wenn die Unterhaltungen sinnlos erscheinen, haben sie eine wichtige Funktion. Wir geben uns dadurch gegenseitig Halt. Zudem dämmen sie deine akute Suizidalität ein. Und wir nähern uns einander an.“ Mein Freund hebt seine Hand und wischt behutsam über mein Gesicht. Seine eigenen Tränen sind bereits von allein getrocknet. Sanft küsst er mich auf den Mund. „Deine Lippen schmecken salzig“, flüstert er. „Und deine nach Alkohol.“ Beschämt blickt Tai zur Seite. „Aber ich bin erstaunt, dass du trotzdem noch relativ klar denken kannst.“ „Ich habe nicht viel getrunken.“ „Das ist nicht das Problem und das weißt du.“ Ich schaue ihn traurig an. „Du hast mehrfach versucht zu entziehen, bist allerdings jedes Mal rückfällig geworden, nicht wahr? Darf ich dich etwas fragen?“ Mein Freund nickt, sieht mich aber weiterhin nicht an. „Ist es noch immer ausschließlich meine Schuld, wenn du dich mit Alkohol betäubst? Oder bin ich mittlerweile zugleich eine Entschuldigung?“ Taichi schweigt. Resigniert schüttle ich den Kopf. „Ich bitte dich, sieh deine Abhängigkeit ein und die Tatsache, dass du den Entzug nicht allein schaffen kannst.“ Ein bitteres Lächeln legt sich auf die Lippen meines Freundes. „Willst du mir etwa helfen? Wie soll das funktionieren? Du bist labil, zudem selbst drogen- und medikamentenabhängig.“ „Ja, aber nicht akut.“ Tai lacht laut auf. „Was ist das für ein Blödsinn? Drogenabhängig ist drogenabhängig. Da gibt es kein akut, latent, rezidivierend oder chronisch.“ „Ich wollte damit nur sagen, dass ich meine Sucht im Gegensatz zu dir unter Kontrolle habe“, entgegne ich verärgert. „Und was unterscheidet dich jetzt von mir? Du siehst deine Abhängigkeit auch nicht wirklich.“ „Verdammt nochmal, Taichi! Darum geht es doch gar nicht! Begreifst du nicht? Ich will dich nicht endgültig an diesen scheiß Alkohol verlieren!“, schreie ich aufgebracht, beruhige mich jedoch sofort und lehne mich mit der Stirn gegen den Brustkorb meines Freundes. „Ich liebe dich und mache mir furchtbare Sorgen um dich. Aber wohin soll ich mit meiner Angst, wenn ich alle schädigenden Verhaltensweisen unterlasse? Wie soll ich es ertragen, dich bei deiner Selbstzerstörung zu beobachten? Langsam werde ich wahnsinnig, Taichi. Ich frage mich, warum der gegenseitige Halt nicht ausreicht. Warum ist da unentwegt dieser Abgrund?“ Ich hebe meinen Kopf und schaue meinen Freund ernst an. „Merkst du eigentlich, dass ich längst nicht mehr der Einzige bin, der unsere Beziehung erschwert?“ Tais Miene wirkt betroffen und schuldbewusst. Eine unangenehme Pause entsteht. Ich atme tief durch. „Okay, ich möchte, dass du noch heute den kompletten Alkohol, der sich in dieser Wohnung befindet, auf den Tisch in der Küche stellst.“ Erschöpft gehe ich an ihm vorbei in Richtung meines Zimmers. Als ich meine Tür öffne, drehe ich mich noch einmal zu meinem Freund um. „Taichi, ich vertraue dir.“ Abwesend an die Decke starrend liege ich auf meinem Bett. Die Unterhaltung von gestern mit meinem Freund schwirrt noch immer in meinem Kopf herum und lässt mich nicht los. Wie Tai bemerkte, enden unsere Gespräche im Nichts. Was hat es also gebracht? Wie soll es weitergehen? Ich habe ihm im Bezug auf den Alkohol eine klare Ansage gemacht, dabei bin ich mir selbst nicht sicher, ob ich wirklich in der Lage bin, ihn zu unterstützen. In der Wohnung ist es mir möglich, meinen Freund zu kontrollieren, aber ich kann ihn nicht überallhin begleiten. Zudem widerstrebt es mir, Kontrolle auf ihn auszuüben, da ich aus eigener Erfahrung weiß, wie unangenehm das ist. Doch wenn ich ihm wirklich helfen will, ist diese Maßnahme unumgänglich, auch wenn ich es unter Umständen mit Tais Hass quittiert bekomme. Ohne weiteres kam er gestern zwar meiner Bitte nach und händigte mir den Alkohol aus, doch ich bezweifle, dass er mir wirklich alle Flaschen zukommen ließ. Nachdenklich drehe ich mich auf die Seite und winkle meine Beine etwas an. Den Entzug auf diese Weise durchzuführen ist ein Risiko, welches ich eingehen muss, obwohl ich weiß, dass es nicht gut gehen kann. Ich muss tatsächlich wahnsinnig sein, diese Problematik allein mit meinem Freund bewältigen zu wollen. Allerdings gibt es keine andere Möglichkeit, die ich gutheißen und akzeptieren würde. Die Klinik ist derzeit keine Option, die Familie von Tai ebenfalls nicht. Und mein Vater? Er kennt Tais selbstschädigende Neigungen nicht. Niemals würde er uns weiterhin allein lassen, wenn er wüsste, was in der Zeit seiner Abwesenheit alles passiert ist. Müde schließe ich meine Augen. Wir müssen die Probleme in den Griff bekommen, bevor mein Vater für die Zeit seines Urlaubs nach Japan zurückkehrt. Falls es uns nicht gelingt, wird er Taichis Eltern über den Sachverhalt in Kenntnis setzen und dafür sorgen, dass wir beide in eine Entzugsklinik eingewiesen werden. Er wird kein Verständnis und keine Nachsicht mehr zeigen. Sollte er zudem von meiner derzeit hohen Suizidalität, dem Plan und dessen gescheiterter Umsetzung erfahren, käme ich wahrscheinlich zunächst auf die geschlossene Station. Ich merke, dass ich zittere. Mir ist kalt, dennoch decke ich mich nicht zu. Erneut frage ich mich, warum ich nicht gesprungen bin. Es wäre doch ganz einfach gewesen. So einfach. Hätte ich mich mit der Droge enthemmt, wäre der letzte Schritt ganz leicht gewesen. Warum nur war ich gehemmt mich zu enthemmen? Hat Taichi recht? Ist es nicht so einfach zu sterben, wenn ein Teil von mir nicht sterben will? Ich krümme mich weiter zusammen, um mich mit meiner eigenen Körpertemperatur zu wärmen. Ein Gefühl der Einsamkeit ergreift Besitz von mir, ich fühle mich allein. Meine Gedanken driften zu meinem Klassenkameraden. Bei ihm könnte ich Ablenkung und ein wenig Halt finden. Ich will ihn spüren und alles vergessen. Außer Taichi. Egal wie oft ich es versuche, er ist wie eingebrannt. Tief in mir. Ein Stigma, welches schmerzt und zugleich beruhigt. Ich hatte meinen Freund einmal als eine Art Geschwür bezeichnet, krankhaftes Gewebe. Es stimmt. Er ist tatsächlich wie wucherndes Fleisch, das mittlerweile lebenswichtige Organe befallen hat. Eine Heilung ist somit nicht mehr möglich. Zu stark hat er mich inzwischen vereinnahmt. Mein Zittern verstärkt sich. Nervös setze ich mich auf. Das Verlangen, mir zu schaden, wird übermächtig, sodass ich es nicht mehr ignorieren kann. Ich muss ihm nachgeben. Hektisch schaue ich mich im Zimmer um. Die Rasierklingen habe ich weggeworfen, um leichter mit dem Schneiden aufhören zu können. Mein Tablettenvorrat ist so gut wie aufgebraucht, aus Selbstschutz habe ich ihn nicht mehr aufgestockt. Das Fläschchen BDO ist ebenfalls fast leer, wie ich auf dem Hubschrauberlandeplatz des Mori Tower bereits feststellen musste. Ich konnte mir allerdings in letzter Zeit kein neues beschaffen, da ich länger nicht in Shibuya war. Die Droge bekomme ich von einem Freier, der sie mir statt Geld als Bezahlung für meinen Körper gibt. Wenn ich Tai aber nicht noch weiter in den Abgrund reißen möchte, sollte ich darauf verzichten, mich von einem Anderen ficken zu lassen. Außerdem will ich ihm keinen Grund mehr geben, zum Alkohol zu greifen. Unruhig stehe ich auf und gehe zum Fenster, um mir eine Zigarette anzuzünden. Entnervt registriere ich, dass die Schachtel so gut wie leer ist. Ich bin froh, dass mein Vater mir seinen TASPO überlassen hat, somit erübrigt sich der Stress bezüglich der Volljährigkeit. Zwar weigerte er sich zunächst, erkannte aber schnell die Kläglichkeit seines Versuches, mich vom Rauchen abzuhalten, und gab schließlich nach. Nur am Rande meiner Wahrnehmung registriere ich, dass es an der Tür klingelt. Gierig ziehe ich an der Zigarette und den Rauch tief in meine Lungen, bis sie zu schmerzen beginnen. Mir kommt eine weitere Möglichkeit in den Sinn. Meine verschriebenen Psychopharmaka. Als mein Vater nach Berlin ging, bat er meinen Freund, die Tabletten sicher zu verwahren und mir zuzuteilen. Ich protestierte nicht, denn ich kenne die Verstecke der einzelnen Medikamente. Gelegentlich prüfe ich nach, nur für den Notfall, ob Tai etwas verändert hat, aber anscheinend rechnet er nicht mit meinem Wissen, denn die Aufbewahrungsorte sind noch immer die von meinem Vater. Nur wird es problematisch, einzelne Schachteln unbemerkt an mich zu nehmen. Erst recht, wenn Taichi zu Hause ist. Seufzend verwerfe ich den Gedanken und ziehe mehrfach an der Zigarette. Ich könnte die Reste der Substanzen kombinieren, die mir noch zur Verfügung stehen, allerdings sind die Folgen nicht abschätzbar. Vor allem, da BDO eigentlich nur rein und nicht kombiniert eingenommen werden sollte. Offenbar bleibt mir momentan nur das Rauchen. Ein Effekt ist hierbei jedoch kaum spürbar. Es beruhigt lediglich ein wenig. Nikotin ist zwar ein starkes Nervengift, in dieser Form hingegen tötet es nur sehr langsam. Wenn überhaupt. Ich werfe die heruntergebrannte Zigarette aus dem Fenster. Meine Anspannung ist unverändert, doch ich weiß ihr nichts entgegenzusetzen. Unruhig und unentschlossen stehe ich in meinem Zimmer, lasse meinen Blick ziellos durch den Raum irren. Er bleibt an meiner Gitarre haften. Zielgerichtet gehe ich auf sie zu, löse sie aus ihrer Halterung und setze mich auf das Bett. Sachte schlage ich ein paar Akkorde an. Das Instrument ist leicht verstimmt. Immer wieder drehe ich an den Stimmmechaniken, um die Spannung der Saiten zu verändern, spiele, justiere nach, doch ich bekomme es nicht hin, die richtigen Töne einzustellen. Frustriert werfe ich die Gitarre vor mich auf den Boden. Von Selbsthass gequält vergrabe ich meine Hände in den Haaren und kralle sie darin fest. Es klopft, fast gleichzeitig öffnet mein Freund die Tür. Als er die Situation erfasst, sieht er betroffen zu mir, sagt aber nichts. Sein Gesichtsausdruck spiegelt aber noch etwas anderes wider. Ich ignoriere es. Völlig überfordert stehe ich auf. „Ich muss hier raus.“ Schnell zwänge ich mich an Taichi vorbei in den Flur. Am Eingang ziehe ich meine Schuhe an. „Zu einem Freier? Oder deinem…“ „Zigaretten kaufen“, unterbreche ich ihn unwirsch. Genervt und zugleich herausfordernd blicke ich ihm in die Augen. „Begleite mich, wenn du mir nicht vertraust.“ Langsam und schweigend laufen wir die Straße entlang. Es ist später Nachmittag, aber die Dämmerung hat noch nicht eingesetzt. Menschen eilen hastig an uns vorbei, ohne auf meinen Freund oder mich zu achten. Jeder ist sich selbst der Nächste. Ich verfluche meine Dummheit, genau zur Hauptverkehrszeit die Wohnung verlassen zu haben. Würde diese sich in Shinjuku oder Shibuya und nicht in Odaiba befinden, wäre mir das vermutlich nicht passiert, denn in diesen Vierteln muss man wirklich Philanthrop sein, um überleben zu können. Ich bin allerdings eher Misanthrop und dadurch eigentlich kaum geeignet in einer Millionenmetropole wie Tokyo zu leben. Andererseits genießt man in der Stadt eine gewisse Anonymität, die in ländlichen Gegenden undenkbar wäre. Wir biegen um eine Ecke. Tai scheint zu wissen, welchen Zigarettenautomaten ich als Ziel habe, obwohl sich in der anderen Richtung ein nähergelegener Automat befindet. Ich wähle dennoch meist den längeren Weg, da es außer der Zigaretten noch einen Getränkeautomaten gibt, an dem ich mir für den Rückweg eine Dose heiße Matcha Latte ziehe. In dieser Gegend ist es der einzige, mir bekannte Automat, der Matcha Latte im Angebot hat. Diesen süßlich-herben, leicht grasigen Geschmack des Grünteepulvers mag ich außer in Milch aber auch in Schokolade und Gebäck. Ich schaue zu meinem Freund, doch der blickt stur geradeaus. Die gesamte Situation wirkt auf mich irreal und befremdlich. „Sie ist blond und hat blaue Augen. Wie du“, durchbricht Tai plötzlich unser Schweigen. „Was?“ Irritiert bleibe ich stehen. Mit dem Rücken zu mir gewandt hält auch er inne. „Die Frau, mit der ich schlafe, sie ist…“ „Sei still!“, unterbreche ich ihn beinahe panisch. „Warum erzählst du mir das? Ich will es nicht wissen!“ Meine Stimme überschlägt sich und ich schreie ihn an. Einige Passanten richten ihre Aufmerksamkeit kurz auf uns, manche schütteln sogar verständnislos den Kopf. Mein Freund hat sich noch immer nicht zu mir umgedreht. „Sieh mich gefälligst an, verdammt!“ Ich trete von hinten an ihn heran und umfasse sein Handgelenk, doch durch seine unerbittliche Haltung gibt er mir zu verstehen, dass er meiner Aufforderung nicht nachkommen wird. „Es ist Absicht, nicht wahr?“, flüstere ich dicht an seinem Ohr. „Du willst mir wehtun. Mit deinen Worten, deinen Handlungen… warum, Taichi?“ Ohne zu antworten geht dieser weiter. Fassungslos starre ich ihm hinterher, nicht fähig eine Reaktion zu zeigen. Ich verliere meinen Freund aus den Augen. Kapitel 16: ------------ Angeekelt steige ich aus der völlig überfüllten U-Bahn. Ich hasse es, von fremden Menschen berührt zu werden, doch in der Öffentlichkeit lässt es sich bedauerlicherweise nicht vermeiden. Zielgerichtet laufe ich die Tunnelgänge entlang, einmal links und dann rechts, bis ich zu dem von mir angestrebten Ausgang in unmittelbarer Nähe der Hachiko-Statue gelange. Dabei versuche ich den anderen Passanten, so gut es geht, auszuweichen. Ich verlasse das Bahnhofsgebäude und atme tief ein. Die Sonne ist inzwischen untergegangen und neben Laternen erhellen unzählige Werbetafeln und Neonschilder die Straßen. Nachdem Taichi einfach gegangen war, setzte ich mich in einer kleinen Seitengasse an die Wand gelehnt auf den Boden. Ich war durcheinander, konnte das Geschehene nicht begreifen, weshalb ich versuchte mir diese perfide Unterhaltung noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, um eventuell einen Hinweis auf den Grund für das Verhalten meines Freundes zu finden. Fakt ist, er wollte mich verletzen. Und zwar auf die grausame Art, denn er kennt meine Angst, ihn an eine Frau zu verlieren. Was veranlasste Tai, mich auf diese Weise zu erniedrigen? Dabei war es weniger schmerzhaft, die Beschreibung von ihr zu hören als den Vergleich mit diesem Mädchen. Ich weiß nicht, wie lange ich wie ein Penner in dieser dreckigen Gasse saß, irgendwann trieben mich meine Gedanken in den Wahnsinn und ich wollte einfach nur weg. Ohne darüber nachzudenken, fuhr ich nach Shibuya, doch wahrscheinlich war die Wahl des Ziels nicht so unbewusst, wie ich mir einzureden versuchte. Eigentlich war das Verlangen, mich mit Drogen zu betäuben, schon übermächtig, als Taichi mich wortlos zurückließ. Meine Schritte werden langsamer, ich bleibe stehen und entscheide mich schließlich umzukehren. Der kürzeste Weg von Odaiba nach Shibuya ist die Rinkai Line, die an der Osaki Station in die JR Saikyo Line übergeht. Nun fahre ich mit der JR Yamanote Line zu dieser Verbindungsstation zurück. Ich hoffe, den Weg zur Wohnung meines Freiers zu finden. Bisher fuhr er mich immer in seinem Auto zu sich nach Hause, weshalb ich die Strecke zu Fuß nicht genau kenne. Um diese Uhrzeit wird er nicht allein sein, weshalb ich überlege, was ich sagen könnte für den Fall, dass seine Frau oder sein elfjähriger Sohn die Tür öffnen. Würde ich es fertigbringen, eiskalt zu lügen? Verzweifelt bleibe ich stehen. Will ich wirklich riskieren eine Familie zu zerstören? Nur um an Drogen zu gelangen? „Hey! Starre hier nicht so blöd in der Gegend rum. Du stehst im Weg, Idiot“, pöbelt mich ein junger Mann im Vorbeigehen an. Zudem ließ er es sich nicht nehmen, mich dabei provokant anzurempeln. Warum können solche hirnlosen Arschlöcher nicht einfach verrecken? Vermutlich weil die Spezies Mensch dann aussterben würde. Aber man sollte sie wenigstens zum Abschuss freigeben. Langsam setze ich meinen Weg fort. Mein Gewissen wird schwerer, je näher ich meinem Ziel komme, doch ich versuche meine Skrupel niederzukämpfen. An einer Ampelkreuzung bleibe ich stehen. Wieder muss ich viel zu viele Menschen in meiner Nähe ertragen. Als der Ton, welcher wie ein Vogelzwitschern klingt, ertönt, um die Grünphase zu signalisieren, strömen die Massen kreuz und quer eiligen Schrittes über die Straßen. Ich passiere die Fahrbahn mittels des diagonalen Zebrastreifens und biege an der nächsten Kreuzung links ab, ohne die Seite zu wechseln. Eine Weile laufe ich geradeaus, vorbei an zahllosen Häusern, nehme dann noch einmal einen Abzweig nach links, kurz darauf halte ich mich rechts. Ich schaue mich um, ob ich eines der Gebäude wiedererkenne, und frage mich, ob ich wirklich auf dem richtigen Weg bin. Irgendwie sieht alles gleich aus. Unruhig zünde ich mir eine Zigarette an. Zum Glück dachte ich trotz der Umstände noch an den eigentlichen Grund für meine Anwesenheit in der Außenwelt und zog am Automaten zwei Schachteln, bevor ich zur U-Bahn-Station ging. Ich hoffe, dass ich nicht erwischt werde, aber einen Raucherpunkt zu suchen ist mir jetzt zu mühselig. Von meinem Gefühl her müsste die Richtung stimmen, deshalb gehe ich weiter. Nach einer scheinbaren Ewigkeit atme ich erleichtert auf, als ich das Haus meines Freiers erkenne, zögere jedoch, dort angekommen, die Klingel zu betätigen. Was ist, wenn tatsächlich ein Anderer als er die Tür öffnet? Ich hole tief Luft. Letztlich bin ich wegen einer Sache gekommen, ohne die ich sowieso nicht gehen kann. Ich drücke den Knopf und warte. Mein Herz schlägt schneller und ich habe ein flaues Gefühl im Magen. Von der anderen Seite der Tür vernehme ich Schritte, doch ich kann nicht ausmachen, ob es die einer Frau oder eines Mannes sind. „Yamato?“ Erstaunt sieht mich mein Freier an. „Was ist los? Aber komm erst einmal rein.“ Ich schüttle meinen Kopf und fixiere die Frau, die gerade im Hintergrund den Flur betreten hat und mich neugierig mustert. Mein Gegenüber bemerkt es und wendet sich an sie: „Schatz, das ist Yamato. Einer meiner Schüler. Geh ruhig wieder rein, ich komme gleich.“ Die Frau nickt mir lächelnd zu, verbeugt sich leicht und entfernt sich aus meinem Blickfeld. „Es tut mir leid, dass ich störe“, sage ich leise. Ich schaue auf meine Schuhe, mein Unbehagen kann ich nicht verbergen. „Es ist alles in Ordnung, mach dir keine Gedanken. Ich bin nur überrascht, wir haben uns lange nicht gesehen. In Shibuya warst du in letzter Zeit nicht, oder? Ich dachte schon, du wärst ausgestiegen.“ Seine Stimme ist gedämpft und er zieht die Tür in seinem Rücken etwas ran, damit die Sicht von innen auf uns nicht mehr möglich ist. „Nein, eigentlich nicht.“ Durch diese Aussage ist meine Entscheidung verbindlich. „Ich… wollte Sie fragen… also… bitte ficken Sie mich.“ Die letzten Worte waren kaum hörbar geflüstert. Mein Gegenüber lächelt. „Sehr gern, nur ist es momentan ungünstig. Morgen…“ „Nein, heute… bitte!“ Liebevoll streicht mir mein Freier mit dem Daumen über die Lippen. „Verstehe, du brauchst neues BDO.“ Ich nicke. Es ist erbärmlich, ich fühle mich wie ein widerlicher Junkie. „Ich habe momentan keins da.“ Er überlegt. „Aber ich kann dir noch welches beschaffen.“ Leicht berühre ich seine Finger mit meinen und hauche in sein Ohr. „Vielen Dank. Ich werde mich erkenntlich zeigen.“ „Ich weiß, Yamato.“ In erregender Weise spüre ich seine Hand zwischen meinen Beinen. „In einer dreiviertel Stunde am üblichen Treffpunkt. Heute besorge ich es dir gleich im Auto und fahre dich dann nach Hause.“ Zu Taichi. Wird er überhaupt da sein? Falls ja, ist er mit Sicherheit nicht nüchtern. Vielleicht ist er aber bei diesem Mädchen. Sie scheint ihm mittlerweile viel zu bedeuten. Zu viel. Ich beschließe, auf dem Weg zum verabredeten Ort noch ein paar Besorgungen zu machen. „Und, hast du dich von deinem kleinen Stecher ficken lassen?“ Ich schaue nicht auf, als Tai mit dieser Provokation mein Zimmer betritt. Stattdessen verstaue ich unbeeindruckt von seinen Worten völlig abgebrüht vor seinen Augen das BDO, die gekauften Medikamente und das Päckchen Rasierklingen in meiner Schreibtischschublade. Es ist mitten in der Nacht, ich bin müde und habe keine Lust auf diese sinnlose Diskussion. „Nein, von einem Freier. Erst wollten wir es in seinem Auto tun, gingen dann aber doch in ein Stundenhotel, weil er es mir auf die brutale Art besorgen und mich erniedrigen wollte. Ich war erregt und konnte es kaum erwarten, seinen Schwanz hart in mir zu spüren. Die Verletzungen, die er mir zudem zufügte, steigerten mein Verlangen zusätzlich. Willst du es sehen? Willst du seine Spuren auf meinem Körper sehen?“ Ich lächle und knöpfe mein Hemd dabei auf. „Du bist echt krank, Yamato. Und ich habe das Gefühl, dass du jetzt auch noch den letzten Rest deines Verstandes verlierst.“ Mein Freund kommt auf mich zu und hält mich am Handgelenk fest, sodass ich gezwungen bin in meinem Tun innezuhalten. Deutlich nehme ich den Geruch von Alkohol an ihm wahr. Seine Artikulation und Motorik sind noch nicht beeinträchtigt, nur sein Blick ist bereits glasig. „Hoffentlich. Dann bekomme ich wenigstens nicht mehr mit, wie du mich wegen dieser Frau verlässt.“ „Warum sollte ich das tun, Yamato? Ich liebe sie nicht einmal. Im Gegensatz zu dir. Du hast Gefühle für den Typen aus deiner Klasse und auch er scheint mittlerweile etwas für dich zu empfinden.“ „Woher willst du das wissen?“, frage ich unsicher, erhalte jedoch keine Antwort. Dafür drängt er mich gegen den Schreibtisch in meinem Rücken und legt eine Hand um meinen Hals, ohne zuzudrücken. „Warum er? Weil er dich mit einem Gegenstand vergewaltigt hat? Fandest du das wirklich so geil? Bist du tatsächlich so pervers?“ Mein Freund stößt einen tiefen Seufzer aus. „Bleibst du dann bei mir, wenn ich das Gleiche mit dir mache?“ Sofort nimmt er seine Hand von meinem Hals und greift mir rücksichtslos in die Haare. Schmerzhaft zieht er mich daran zum Kleiderschrank, öffnet die Türen und wirft etliche Kleidungsstücke samt Bügel ins Zimmer. Als er die Kleiderstange herauslöst, fallen auch die letzten Sachen zu Boden. Eingehend betrachtet er den Holzstock. „Die ist zwar etwas dicker als ein Besenstiel, aber ich denke, das macht dir nichts aus. Oder, Schatz?“ Er reißt meinen Kopf in den Nacken und grinst mich an. „Der Wahnsinn ergreift gerade Besitz von dir“, versuche ich Tai zu erreichen, klinge dabei allerdings verächtlicher als beabsichtigt, woraufhin er mir kraftvoll sein Knie in den Bauch rammt. Keuchend breche ich zusammen. Als mein Freund meine Hose öffnet und Anstalten macht, sie mir auszuziehen, wehre ich mich heftig. Ich trete nach ihm, doch er hält meine Füße fest und schlägt anschließend immer wieder erbarmungslos auf mich ein, um mich kurzfristig außer Gefecht zu setzen. Er schafft es schließlich, mich meiner Hose zu entledigen, dreht mich mit Gewalt auf den Bauch, presst meinen Kopf demütigend auf den Teppich und hebt mein Becken an. „Taichi, ich warne dich…!“, drohe ich hasserfüllt. „Und dann?“, entgegnet er ungerührt. „Stell dich nicht so an. Du stehst doch auf solche abartigen Praktiken. Ich werde auch besonders brutal zu dir sein“, säuselt er und beginnt zu lachen. „Du bist ein verdammter Psychopath!“ Beinahe panisch versuche ich mich zu befreien, doch Tai schlägt meinen Kopf hart auf den Boden, sodass meine Gegenwehr sofort wieder abebbt. „Jetzt halt still, Yamato!“ Er schiebt sein Knie unter meinen Bauch, um meinen Körper zu stützen und in seiner Stellung zu halten. Dann greift er nach der Kleiderstange. „Bitte, Taichi“, flüstere ich unter Tränen. „Ich ertrage das nicht noch einmal…“ „Wieso, es hatte dich doch damals erregt“, bemerkt mein Freund vollkommen emotionslos. „Warum tust du das? Was willst du damit erreichen?“ Meine Stimme zittert vom Weinen. „Ich will, dass du nur mich liebst. Ist das so schwer zu begreifen?“ Diesmal glaube ich eine Gefühlsregung herauszuhören. Verzweiflung. „Also gut. Tu es“, flüstere ich resigniert. „Dein Verhalten kotzt mich echt an! Ich bin keiner deiner Freier, verdammt! Also hör auf, dich mir gegenüber so zu verhalten. Ich werde dir Schlimmeres antun, als es irgendeiner dieser Vergewaltiger je getan hat. Du wirst bereuen, mich gerade zum Handeln aufgefordert zu haben.“ Mit mäßiger Kraft stößt er die Holzstange in mich hinein. Mein Aufschrei ist qualvoll und durchdringend. Sogleich verkrampft sich mein Körper, wodurch der Schmerz allerdings nur intensiver wird. „Bleib ruhig und entspann dich, sonst tut es noch mehr weh. Oder legst du es darauf an?“ Ich habe das Gefühl, Tai ist gerade nicht er selbst und absolut unzurechnungsfähig. „Fick dich!“, presse ich wütend hervor. „Dass du in deiner Position noch so aufmüpfig bist… offenbar reichen die Schmerzen nicht aus. Aber das kann ich ändern“, frohlockt mein Freund. Mit Druck schiebt er den Holzstiel etwas weiter in mich hinein. Ich kratze mit meinen Nägeln verkrampft über den Teppich, versuche meine Finger darin festzukrallen und beiße mir auf die Lippen, bis ich Blut schmecke, um nicht zu schreien. Es gelingt mir nicht. Immer wider entweichen Laute unerträglicher Schmerzen meiner Kehle. Tai beginnt die Kleiderstange etwas herauszuziehen und stößt sie gleich darauf wieder tief in mich. Diese Bewegungen führt er beständig fort, mit jedem Mal etwas gewaltsamer. Ich habe das Gefühl, innerlich zerrissen zu werden. Die Feuchte zwischen meinen Beinen und entlang der Oberschenkel sowie der kaum auszuhaltende Schmerz bestätigen meine Vermutung. Tai schreckt nicht davor zurück, mir innere Verletzungen zuzufügen. „Dieser Gegenstand ist wohl etwas zu heftig für deinen süßen Arsch. Du blutest ziemlich stark. So wie das aussieht, kommst du um einen Arzt nicht herum. Vermutlich musst du sogar ins Krankenhaus.“ Die Stimme meines Freundes ist teilnahmslos und eiskalt. Er fährt mit seinem sadistischen Spiel fort und beschleunigt seine Bewegungen. Verzweifelt weine und schreie ich in der Hoffnung, dass Tai seine Penetration einstellt. „Bitte, Taichi!“, flehe ich schluchzend. „Bitte…“ „Was ist? Soll ich aufhören? Aber du hast einen Ständer.“ Ich bin tatsächlich erregt, aber mein Körper hält dieser Prozedur nicht länger stand. Meine Schmerzgrenze habe ich längst überschritten. Doch mein Freund hält nicht inne, sondern fährt mit seiner Penetration fort. „Gefällt es dir, mein Liebling? Sag, bin ich besser als dieser kleine Wichser? Besser als deine Freier?“ Er hebt seine Hand kurz von meinem Kopf, lässt die Stange einen Moment los, beugt sich zu mir hinab und leckt mir wollüstig über die Wange. Dann drückt er meinen Kopf wieder hart zu Boden und fährt demonstrativ mit seiner Penetration fort. „Antworte oder ich ramme das Holz mit ganzer Kraft noch tiefer in dich hinein, weil ich davon ausgehen muss, dich nicht so befriedigen zu können, dass ich allein dir reiche.“ „Taichi… bitte…“ Die Stimme versagt mir. Ich ergebe mich seiner Gewalt und lasse die Handlungen über mich ergehen. Mit der Zeit habe ich das Gefühl, dass sich Taubheit über meinen Körper legt und immer wieder wird mir schwarz vor Augen. Ich sehne die Bewusstlosigkeit regelrecht herbei. Plötzlich verschwindet erneut der Druck von meinem Kopf, er wird nicht mehr von Tais Hand auf den Teppich gepresst. Endlich lässt mein Freund von mir ab, entfernt den Holzstock aus mir und zieht sein Knie unter meinem Bauch hervor, sodass ich unsanft zu Boden falle. Reglos bleibe ich liegen. Tai hebt meinen Kopf an meinem Kinn etwas an. „Wirst du jetzt nur noch mich lieben?“, fragt er zermürbt. Mit tränennassem Gesicht schaue ich ihn an. „Was ist vorgefallen? Warum diese Gewaltbereitschaft, Taichi?“ Der Schmerz in meiner Lendengegend lässt mich zusammenzucken und unter Qualen verkrampfen. „Wir reden später. Ich rufe jetzt erst einmal den Notarzt. Du blutest noch immer sehr stark und diese Schmerzen sind auch bedenklich. Ich nehme an, du hast innere Verletzungen.“ Liebevoll legt Tai seine Hand auf meine Wange. Er sieht ernsthaft besorgt aus. „Es muss etwas für dich sehr Schreckliches gewesen sein, wenn du so extrem die Kontrolle verlierst.“ Meine Stimme ist schwach. Schmerzverzerrt lächle ich ihn an. „Du bist jetzt wichtiger.“ Tränen füllen seine Augen. „Ich will dich nicht verlieren.“ Seitlich liege ich auf einer dieser lächerlichen, schwarzen Couchen und starre die Psychologin an, die nun schon einige Zeit mit bohrenden Fragen auf mich einredet. „Herr Ishida, wir wollen Ihnen helfen. Sie sind bereits das zweite Mal mit ähnlichen Verletzungen bei uns eingeliefert worden. Dieses Mal wären Sie unter Umständen sogar gestorben, wenn Ihr Freund Sie nicht so schnell gefunden und den Notarzt verständigt hätte.“ Bei dieser Aussage huscht ein bitteres Lächeln über meine Lippen. Nachdem Tai vom Telefonieren zurückkam, bat ich ihn, soweit alles aufzuräumen, dass kein Verdacht auf ihn fallen konnte. Zunächst zögerte er, sah die Notwendigkeit dann jedoch ein. Unter keinen Umständen darf ihm gegenüber jemand misstrauisch werden. Ich will nicht, dass er für seinen Kontrollverlust zur Rechenschaft gezogen wird. Zudem war er aufgrund seiner Alkoholisierung ohnehin unzurechnungsfähig. Eine Hand auf meiner Schulter reißt mich aus meinen Gedanken und ich zucke zusammen. Vertrauensvoll lächelt die Psychologin mich an. „Werden Sie bedroht? Wollen Sie jemanden decken? Oder gar schützen?“ „Nein“, antworte ich bestimmt. Sie seufzt leise. „Gut, zu dem Folgenden müssen Sie nichts sagen. Ein Nicken reicht als Stellungnahme aus. Ich vermute, dass Ihr Vater Ihnen diese schrecklichen Dinge antut. Er vergewaltigt Sie, hab ich recht, Herr Ishida?“ Ihre Stimme klingt vorsichtig, einfühlsam, aber auch nachdrücklich. „Was?“ Entsetzt blicke ich die Frau neben mir auf dem Stuhl an. Der Druck ihrer Hand wird fester, wodurch sie mir offenbar Halt vermitteln möchte. „Es ist alles in Ordnung, Herr Ishida. Bleiben Sie ganz ruhig. Hier sind Sie sicher. Es kann Ihnen nichts geschehen. Er kann Ihnen in dieser geschützten Einrichtung nichts tun.“ „Sie irren sich. Mein Vater würde sich niemals sexuell an mir vergreifen oder mir solche Verletzungen zufügen. Zudem ist er seit einem halben Jahr in Deutschland.“ Überlegen und gleichzeitig herausfordernd lächle ich sie an. Sichtlich aus dem Konzept gebracht schweigt sie einen Moment. Das Spiel beginnt mir zu gefallen. „Warum ist es so wichtig, den Verantwortlichen öffentlich zu machen, wenn ich selbst nicht an seiner Bestrafung interessiert bin?“ „Ist Ihnen nicht bewusst, dass es sich hierbei um eine Straftat handelt?“ „Ist es auch eine Straftat, wenn ich diesen Übergriff selbst wollte?“ An der Miene der Psychologin erkenne ich Bestürzung. „In diesem Fall bin ich gezwungen, Sie noch heute in die Psychiatrie einzuweisen, weil Sie in dem Fall eine Gefahr für sich selbst darstellen. Das kann und will ich nicht verantworten.“ Meine Augen weiten sich, doch ich versuche die Fassung zu wahren. „Ist das eine Drohung?“ Meine Frage klingt beiläufig. Ich drehe mich auf den Rücken. Sofort spüre ich einen unangenehmen Schmerz in meinem Unterleib und lege mich widerwillig zurück auf die Seite. „Sie haben noch immer Schmerzen, wie es aussieht. Die Person, die Ihnen das angetan hat, wird es wieder tun. Wollen Sie nicht, dass es irgendwann aufhört?“ Ich wäge meine Worte ab, um nicht vorschnell etwas zu sagen, das fatale Folgen haben könnte. Es muss einen Weg geben, Tai herauszuhalten, ohne in die Psychiatrie gesperrt zu werden. „Wissen Sie eigentlich, dass Sie mich ziemlich unter Druck setzen?“, frage ich sie gespielt verzweifelt. „Und Sie erpressen mich. Oder finden Sie es fair, mit einer Einweisung zu drohen, um mich zum Reden zu zwingen?“ Die Psychologin lächelt. „Sie haben eine recht manipulative Persönlichkeit, Herr Ishida.“ „Hören Sie auf, mich zu analysieren!“ Verärgert schaue ich sie an, wende meinen Blick aber sogleich ab. Ich versuche mich zu beruhigen und von ihrer Behauptung ungerührt zu wirken. „Offenbar sind Sie mit Ihrer Geduld am Ende. Belassen wir es für heute dabei. Morgen früh ist große Visite, da werde ich Sie noch einmal auf dieses Thema ansprechen und Ihnen einen neuen Gesprächstermin anbieten. Vielleicht haben Sie bis dahin noch einmal über die Schwere des Vergehens nachgedacht und sind zur Vernunft gekommen.“ Ich will etwas zu dieser Äußerung sagen, doch sie spricht weiter. „Wann sind sie eingeliefert worden? Vor vier Tagen?“ Unzufrieden ob ihrer Dominanz nicke ich. „Ihr vorläufiger Entlassungstermin ist übermorgen, sofern keine Komplikationen auftreten.“ Erneut nicke ich. Kurz sieht sie mich nachdenklich an. „Also gut. Gehen Sie jetzt auf Ihr Zimmer und ruhen Sie sich vor dem Abendessen noch etwas aus.“ Schwerfällig stehe ich auf und verabschiede mich mit einer schwach angedeuteten Verbeugung. Kurz bevor ich die Tür öffne, richtet die Frau hinter mir noch einmal das Wort an mich. „Mir ist zugetragen worden, dass Sie kaum Nahrung zu sich nehmen. Und wenn ich mir Ihre Statur betrachte, deutet alles auf eine Essstörung hin.“ Ich drehe mich nur halb um und blicke sie aus dem Augenwinkel heraus an. „Nein“, sage ich knapp, dann verlasse ich den Raum. Mit zitternden Händen schließt Tai die Tür zu unserer Wohnung auf. „Willkommen zu Hause.“ Traurig lächelt er mich an. Mein Freund wirkt müde und ausgezehrt. Vermutlich hat er in der Woche, die ich im Krankenhaus zubringen musste, kaum etwas anderes als Alkohol zu sich genommen. Auch jetzt haftet der Geruch an ihm. „Du siehst schlecht aus“, bemerke ich, während ich meine Schuhe ausziehe. „Bitte, hör auf, dich mit Alkohol zu betäuben, sonst gehst du daran zugrunde. Hat dir der letzte Vorfall nicht die Augen geöffnet? Egal, was der Auslöser war, du hättest die Kontrolle nicht in dem Ausmaß verloren, wenn du nicht alkoholisiert gewesen wärst.“ Ich schaue zu meinem Freund, doch der dreht sich weg und geht den Flur entlang zu seinem Zimmer. „Vermutlich.“ Seine Stimme klingt leblos und ist so leise, dass ich ihn kaum verstehe. „Taichi, warte!“ Den Rücken mir zugewandt bleibt er stehen. „Verschwinde nicht wieder so einfach.“ Langsamen Schrittes gehe ich auf ihn zu, dann lege ich von hinten meine Arme um seinen beinahe knochigen Körper. „Du bist dünn geworden. Schaffst du mit dieser Konstitution überhaupt das Pensum beim Fußball?“ „Ich gehe nicht mehr zum Training. Außerdem bist du viel abgemagerter als ich.“ Noch immer spricht er auffällig tonlos. „Du hast recht. Mein Gewicht mag mittlerweile bedenklich sein, aber um mich geht es gerade nicht. Meine Aussage war kein Vorwurf, sondern lediglich eine Feststellung.“ Ich drücke meinen Freund stärker an mich. „Merkst du eigentlich, dass du in letzter Zeit häufig aggressiv und leicht reizbar oder völlig teilnahmslos und gleichgültig bist? Nimmst du die Veränderungen an dir wahr?“ Meine Fragen drücken Angst und Sorge aus, dennoch bekomme ich von Tai keine Antwort. „Dein Klassenkamerad war hier“, gesteht er mir ohne jede Emotion. „Wann?“, frage ich irritiert. „Als ich im Krankenhaus war?“ „Nein, davor. Du warst in deinem Zimmer. Kurz darauf gingen wir nach draußen, um Zigaretten für dich zu kaufen.“ Ich erinnere mich. Damals nahm ich die Türklingel zwar wahr, aber ich registrierte sie und ihre Bedeutung nicht wirklich. Ein großer Fehler, wie sich nun herausstellt. „Was ist passiert, Taichi?“, frage ich argwöhnisch. „Was wollte er?“ „Nichts. Er verdeutlichte mir nur, dass ich dich nicht glücklich machen kann. Und dass ich dich mit meiner Alkoholabhängigkeit kaputt mache. Er legte mir nahe, dich freizugeben, andernfalls würden die Konsequenzen für mich schmerzhaft werden. Körperlich und psychisch.“ Mein Freund spricht diese Sachverhalte so monoton aus, als ginge es ihn nichts an. Traurig schließe ich meine Augen. „Es tut mir leid. Meine Aussage ihm gegenüber bezüglich deines Alkoholkonsum war unbedacht…“ „Schon gut. Vergiss es. Zudem hat dein…“ Tai hält kurz inne. „… Freund recht. Ich bin nicht gut für dich.“ Sanft löst er sich aus meiner Umarmung. „Das ist Unsinn und das weißt du. Ich habe dich doch zu diesen Verhaltensmustern getrieben.“ „Sei still, Yamato.“ Nach wie vor ist mein Freund bedenklich ruhig. Das ungute Gefühl, welches schon die ganze Zeit in Form von Angst in mir wächst, wird beharrlich stärker. „Ich hatte, während du weg warst, viel Zeit zum Nachdenken.“ Mein Herz beginnt zu rasen und meine Kehle ist wie zugeschnürt. „Du hattest immer recht mit deinen Zweifeln. Ich liebe dich tatsächlich nicht. Ich habe dich auch nie geliebt. Du hast mich nur gewaltsam an dich gebunden, sodass mir außer dir nichts blieb. Doch jetzt habe ich eine Frau kennengelernt, bei der ich mir meiner Gefühle bewusst bin. Ich kann mir eine Zukunft mit ihr vorstellen. Mit ihr kann ich ein ganz normales Leben führen.“ Fassungslos starre ich auf den Boden. Ich habe Tais Worte vernommen, doch deren Bedeutung erschließt sich mir nicht. „Schläfst du heute Nacht bei mir? Ich ertrage es nicht, allein zu sein“, bitte ich meinen Freund lächelnd. Die Tränen, die über meine Wangen laufen, bemerke ich kaum, nur die unerträgliche Leere, die mich inzwischen komplett ausfüllt. Ich habe das Gefühl, jeglichen Halt verloren zu haben. Und doch stehe ich regungslos im Flur der Wohnung. „Nein, ich denke, das ist keine gute Idee.“ Fast glaube ich Bedauern in seinem Tonfall zu hören, aber wahrscheinlich ist das Wunschdenken. Ich bilde es mir nur ein. Aus verzweifelter Zuneigung. Ohne nachzudenken gehe ich wieder ein paar Schritte auf Tai zu. Ich lehne mich mit meiner Stirn gegen sein Schulterblatt. Mein Freund lässt mich gewähren. Dann hebe ich meinen Kopf und halte mit meinen Lippen dicht an seinem Ohr inne. „Abgesehen vom Vergessen ist nichts, was bleibt“, flüstere ich, wobei ich eine Liedzeile zitiere. Verhalten küsse ich Taichis Nacken, wende mich von meinem Freund ab und gehe unsicheren Schrittes in mein Zimmer. Ich sitze auf meinem Bett. Starr. Regungslos. Seit Taichi vor zwei Tagen ausgezogen ist, hat mich die Leere fest im Griff. Die losen Gedanken in meinem Kopf sind zäh und dem Verstand kaum zugänglich. Ich versuche nicht die Situation zu ändern. Weder gegen meine Apathie noch gegen die Entscheidung meines Freundes, die Beziehung aufzugeben, komme ich an. Ich hatte gedacht, es würde wehtun, wenn Tai mich endgültig verlässt, aber ich fühle nichts. Keinen Schmerz, keine Verzweiflung, nicht einmal Trauer. Als wären meine Gefühle gelähmt. Ich schaue auf meine Wanduhr über der Tür, ohne danach zu wissen, wie spät es ist. Es spielt auch keine Rolle. Nichts bedeutet noch irgendetwas. Aber ich habe beschlossen mich nicht zu töten. Zumindest nicht direkt. Durch ein Klingeln an der Wohnungstür zucke ich leicht zusammen. Still bleibe ich sitzen, nur mein Körper verkrampft sich unwillkürlich. Es klingelt erneut. Ich atme tief durch, erhebe mich schwerfällig und schleppe mich kraftlos durch den Flur. Unangenehm spüre ich die Schmerzen, die dem langen Sitzen in gleicher Haltung zu verdanken sind. Dennoch versuche ich nicht diesen Zustand zu ändern, indem ich mich strecke, um meine Muskeln zu lockern. Als ich die Tür öffne, nachdem die Klingel ein drittes Mal betätigt wurde, blicke ich in die Augen meines Klassenkameraden. „Yamato, du siehst schrecklich aus.“ Er hebt seine Hand an meine Wange und streicht behutsam darüber. „Was ist passiert? Du fehlst schon seit zwei Wochen in der Schule. Gerüchten zufolge sollst du ins Krankenhaus eingeliefert worden sein. Das scheint zum Glück nicht der Fall zu sein.“ „Doch, es stimmt. Ich bin vor einer Woche entlassen worden, aber noch krank geschrieben“, kläre ich ihn teilnahmslos auf. „Warum…“ „Taichi“, antworte ich knapp auf seine unausgesprochene Frage. „Er war etwas grob mit seinen sexuellen Handlungen an mir.“ „Dann müsste es dir aber gefallen haben“, bemerkt er mit leicht fragendem Unterton. „Ja.“ Ein freudloses Lächeln legt sich auf meine Lippen. Ich bedeute meinem Mitschüler einzutreten. „Ist er da?“ „Nein. Ich bin allein. Tai wird auch nicht zurückkommen.“ Die Tür fällt ins Schloss, während mein Klassenkamerad sich die Schuhe auszieht. „Ihr habt euch getrennt?“, will er wissen, wobei er unbeteiligt klingt. „Ja. Du hast erreicht, was du wolltest. Das war doch die Absicht deines Besuches vor zwei Wochen, oder?“ Ruhig, beinahe gelassen schaue ich ihn an. „Es stimmt. Ich sagte ihm, er solle dich freigeben, aber ich hatte nicht erwartet, dass er dem nachkommt.“ „Wahrscheinlich hast du ihn zum Nachdenken gebracht. Tai ist jetzt mit seiner Kommilitonin zusammen. Die, mit der er schon seit längerem ins Bett geht. Er fühlt sich eben doch eher zu Frauen hingezogen.“ Kurz schweigt mein Mitschüler, dann sieht er mich ernst an. „Glaubst du ihm?“ „Ich weiß, dass er mich nicht liebt.“ „Hat er das auch gesagt?“ Ich nicke. „Taichi ist ein verdammter Lügner.“ Mein Gegenüber kommt ein paar Schritte auf mich zu. „Vergiss ihn. Er ist es nicht wert.“ „Ist dir klar, dass, auch wenn wir eine Beziehung führen, ich nie dasselbe für dich empfinden werde wie für Taichi?“, frage ich ohne Umschweife. Lächelnd küsst mein Klassenkamerad sanft meine Lippen. Ich werde fordernder, sodass wir uns schnell in einem stürmischen Zungenkuss verlieren. Gezielt drängt mich mein Mitschüler gegen die Wand. Meine Arme hält er mit einer Hand über meinem Kopf fest umklammert, mit der anderen öffnet er meine Hose. Seine Finger gleiten in meine Shorts und beginnen mich mit rhythmischen Bewegungen zu stimulieren. Ich atme schwerfälliger, stockender und schließe die Augen. Unerwartet lässt mein Gegenüber von mir ab, küsst mich und geht auf die Knie, um mit seinem Mund fortzusetzen, was er mit der Hand begonnen hat. Erregung und Hitze steigen in mir auf, begierig vergrabe ich meine Finger in seinem Haar. Nachdem er sein Spiel bis zum Ende getrieben hat, zieht er mich zu sich nach unten. Meine Beine zittern, sodass ich ohne Widerstand nachgebe. Verlangend zieht mir mein Klassenkamerad die Hose aus, dann entledigt er sich seiner eigenen Beinbekleidung samt Unterhose. Er zieht mich an den Fußknöcheln in eine liegende Position. Dass ich aufgrund meiner Verletzungen noch keinen passiven Geschlechtsverkehr haben darf, verschweige ich ihm. Mit einem kräftigen Stoß dringt er in mich ein. Schmerzvoll schreie ich auf. „Wenn du krank geschrieben bist, solltest du auch noch keinen Sex haben, oder? Zumindest habe ich die Wunden gerade wieder aufgerissen. Du blutest.“ Begehrlich schlinge ich meine Arme um den Hals meines Mitschülers. „Das ist egal. Ich will dich spüren. Bitte nimm mich. Ohne Rücksicht“, flüstere ich in sein Ohr. Einen Augenblick lang schaut er mich an, doch die Entschlossenheit in meinem Gesichtsausdruck scheint ihn zu überzeugen. Er küsst mich auf die Stirn, dann drückt er meinen Oberkörper auf den Boden und legt meine Beine auf seine Schultern, um tiefer in mich eindringen zu können. Zunächst bewegt er sich langsam in mir, wird aber kurz darauf kräftiger in seinen Stößen. Der Schmerz, den ich empfinde, ist stark, ich habe das Gefühl, von innen zu verbrennen, doch wird dadurch die Lust nur weiter gesteigert. Unser gleichmäßiges Stöhnen erfüllt die Wohnung. Hier, in diesem Flur, habe ich auch mit Taichi geschlafen. Damals wollte ich nicht von ihm genommen werden, weil es mich nur stärker an ihn gebunden hätte. Aber eigentlich spielte es zu der Zeit bereits keine Rolle mehr. Ich war ihm schon längst verfallen. Und ich werde es auch immer sein. Tränen füllen meine Augen, während mein Klassenkamerad sich immer brutaler tief in mich stößt. Ich kratze mit meinen Nägeln über die Haut seines Armes und hinterlasse rote Striemen, die leicht anschwellen. „Ich liebe dich, Yamato. Und ich werde dich Taichi vergessen lassen“, keucht er. „Ja“, antworte ich, ebenfalls atemlos, obwohl ich weiß, dass er diese Aussage niemals wahr machen kann. Am Rand meiner Wahrnehmung registriere ich, wie ein Schlüssel im Schloss gedreht wird. „Nimm mich härter“, fordere ich. „Achte nicht auf das Blut. Ich brauche den Schmerz jetzt.“ Mein Mitschüler kommt der Bitte wortlos nach und intensiviert seine Bewegungen. Sofort wird mein Stöhnen durch die starke Penetration eindringlicher. Die Wohnungstür öffnet sich. Geistesabwesend drehe ich meinen Kopf. „Papa“, entweicht es mir schwer atmend. Schweiß perlt auf meiner Stirn. Auch mein Klassenkamerad, dessen Haare mittlerweile ebenfalls feucht von der Anstrengung sind, hält inne und schaut zu meinem Vater, der fassungslos auf uns starrend im Eingangsbereich steht. Neben sich zwei große Koffer. „Ich bringe dir morgen die Unterrichtsmaterialien der letzten zwei Wochen vorbei, okay?“, schlägt mein Mitschüler vor und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. Dann schaut er an mir vorbei zu meinem Vater, der im Türrahmen zum Wohnzimmer lehnt. „Auf Wiedersehen, Herr Ishida“, sagt er verbeugend und wendet sich zum Gehen. Ich halte ihn am Handgelenk fest und ziehe ihn dicht zu mir heran. „Danke“, flüstere ich und lasse ihn wieder los. Er lächelt. Ich schaue ihm nach, wie er die Stufen im Treppenhaus hinabsteigt, bis er aus meinem Blickfeld verschwindet. Seine Schritte hallen allerdings noch immer von den Wänden wider. Ich schließe die Wohnungstür und drehe mich zu meinem Vater um. „Du hast mir gar nicht gesagt, dass du kommst“, bemerke ich unsicher. Noch immer etwas beschämt, von meinem Vater beim Sex gesehen worden zu sein, mache ich mit gesenktem Kopf ein paar Schritte auf ihn zu. Vor ihm bleibe ich stehen und schaue ihm verlegen in die Augen. Die Mimik meines Vaters ist ernst. Ohne Vorwarnung schlägt er mir so derb ins Gesicht, dass ich mein ohnehin derzeit schlechtes Gleichgewicht verliere, erst gegen die Wand stoße und dann zu Boden falle. Benommen bleibe ich liegen. Zudem ist meine Konstitution durch die unterlassene Nahrungsaufnahme der letzten Tage sehr schwach geworden, sodass ich kaum in der Lage bin, mich aufzurichten. Will ich das überhaupt noch? Taichi ist nicht mehr da, wozu also sollte ich kämpfen, atmen, leben. Ich kann es nicht. Ich will es nicht. Es ist egal geworden. Unbedeutend. „Steh auf, Yamato“, sagt mein Vater in scharfem Befehlston und zerrt mich grob am Arm nach oben. Sein rabiater Griff um meinen dünnen Arm schmerzt, doch ich gebe keinen Laut von mir. „Was ist nur los mit dir, mein Sohn? Verlierst du jetzt vollends den Verstand?“ Er hält mich fest und schlägt mir erneut, diesmal mit der Rückhand, brutal ins Gesicht. Warmes Blut läuft aus meiner Nase, ebenso aus der aufgeplatzten Lippe. Lieblos greift er mir ins Haar und zieht meinen Kopf in den Nacken. „Sieh mich an!“, weist mein Vater mich unwirsch an. Als ich dem nicht nachkomme, verpasst er mir eine weitere Ohrfeige, ebenso rücksichtslos wie die vorherigen. Ich schmecke Blut in meinem Mund. Meine Wange fühlt sich geschwollen an und der brennende Schmerz pulsiert beständig. Auch die Kopfschmerzen sind inzwischen beinahe unerträglich. Selten habe ich meinen Vater so wütend erlebt. „Papa… ich…“ Meine Stimme versagt. Ich bin verwirrt über den Gewaltausbruchs meines Vaters, doch abgesehen von dem körperlichen Schmerz fühle ich nichts. Seine offensichtliche Verzweiflung berührt mich nicht. „… ich habe nur mit meinem… Freund geschlafen“, beende ich meinen Satz. „Es tut mir leid, dass wir im Flur Sex hatten und du es sehen musstest.“ Die Worte kommen schwerfällig und leise über meine mittlerweile blutverkrusteten Lippen. Immer wieder knicken meine Beine weg, sodass mein Vater viel Kraft aufwenden muss, um mich aufrecht zu halten. Er nimmt mich kurz in die Arme, drückt mich fest an sich und hebt mich dann hoch. „Du bist viel zu leicht und extrem knochig. Ist es deine Absicht, dich so abzumagern?“, fragt er mehr besorgt als vorwurfsvoll. Ich schüttle leicht den Kopf. „Nicht direkt“, füge ich noch ehrlich hinzu. Dicht an sich gepresst trägt mein Vater mich in mein Zimmer und lässt meinen Körper langsam auf das Bett sinken. Sanft streicht er mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht, dann begutachtet er mein Gesicht. Mit seinen Fingern streicht er behutsam über die Wange, wobei ich aufgrund des Schmerzes kurz zusammenzucke. „Das wird sich bläulich verfärben. Man sieht jetzt schon Ansätze dahingehend.“ Desweiteren berührt er ganz vorsichtig meine mit getrocknetem Blut verklebte, geschwollene Lippe. „Bitte verzeih mir, dass ich offenbar die Beherrschung verloren habe.“ Er küsst mich auf die Stirn, steht auf und verlässt das Zimmer. Mit einem nassen Waschlappen, einem dünnen Handtuch und einem Kühlakku in der Hand kommt er zurück und setzt sich zu mir ans Bett. Umsichtig betupft er meine Nase sowie die Lippe und reinigt fürsorglich die Haut hinab zu meinem Kinn. Dann wickelt er den Kühlakku in das Handtuch und hält es sachte gegen meine Wange. „Es geht mir in erster Linie nicht um die Sache vorhin, mit dem Jungen aus deiner Klasse, wobei ich merkwürdig finde, dass du bereits eine neue Beziehung eingehst. Aber es geht um dein Verhalten im Allgemeinen. Ich wurde in Deutschland mehrfach von deinem Schuldirektor angerufen. Er informierte mich darüber, dass du wiederholt dem Unterricht unentschuldigt fernbleibst und deine Leistungen immer weiter absacken. Er musste dich suspendieren, weil du Sex in deinem Klassenraum hattest, zudem seist du uneinsichtig und unkooperativ.“ „Ja, weil ich meine sexuellen Neigungen verleugnen sollte“, rede ich meinem Vater empört rein. „Du kennst doch unsere Gesellschaft. Warum willst du dir unnötig Ärger einhandeln? Rede ihnen doch einfach nach dem Mund, dann sind sie zufrieden. Niemanden interessiert es, was du in Wirklichkeit denkst, Hauptsache, der Schein nach außen ist gewahrt. Menschen wollen belogen werden, Yamato.“ Ein mildes Lächeln legt sich auf die Lippen meines Gegenübers. „Das kann und will ich nicht, denn dann würde ich auch meine Gefühle für T…“ Ich halte inne. Taichi ist nicht mehr da. Er kommt nicht zurück. Mein Vater scheint meine Gedanken zu erahnen und nimmt mich hilflos in den Arm, doch sofort befreie ich mich wieder. „Es ist okay“, versuche ich ihn zu überzeugen, schaue ihn allerdings nicht an. Einen Moment herrscht Stille zwischen uns. „Was war der Grund für deinen Krankenhausaufenthalt letzte Woche?“, fragt mein Vater schließlich. „Innere Blutungen“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Der Sex mit Taichi war anscheinend etwas zu hart. Aber deshalb hättest du dir keine Sorgen machen müssen.“ Meine Ausführungen sind nüchtern, emotionslos. „Die Ärztin am Telefon klärte mich über deine Verletzungen auf. Einige Risse in deiner Darmwand sind äußerst bedrohlich gewesen. Sie sagte mir deutlich, dass du hättest sterben können. Sei ehrlich, Yamato. Die Verletzungen damals hatte dir auch Taichi zugefügt, oder?“ Entsetzt schaue ich ihn an, erkenne aber an seinem Blick, dass es sinnlos ist, zu lügen. Ich nicke kaum merklich. „Warum hattest du es mir verschwiegen? Vertraust du mir nicht?“ „Doch, aber meine Angst, dass Tai dafür zur Rechenschaft gezogen werden könnte, war größer. Papa, bitte! Er trägt keine Schuld an dem, was passiert ist“, sage ich mit flehendem Unterton. „Denkst du, ich würde Taichi wegen Körperverletzung anzeigen?“, entgegnet mein Vater erstaunt. Müde zucke ich mit den Schultern. „Allerdings war ich erschüttert, als er mir am Telefon gestand alkoholabhängig zu sein.“ „Ihr habt telefoniert?“ „Ja, vor etwa einer Woche. Er bat mich zurückzukommen, weil er nicht mehr für dich da sein kann und sich zudem Sorgen um dich macht. In diesem Zusammenhang teilte er mir mit, dass er seinen Eltern von seiner Sucht erzählen möchte, damit sie ihn in eine Entzugsklinik einweisen.“ Irritiert vernehme ich die Worte meines Vaters. Tai rief ihn an, als ich noch im Krankenhaus war, also hatte er zu dem Zeitpunkt bereits beschlossen, die Beziehung zu mir zu beenden. Er sorgt sich angeblich um mich, bricht den Kontakt aber weitestgehend ab. Dann gesteht er sich plötzlich seine Alkoholabhängigkeit ein und beichtet es seinen Eltern, um sich von ihnen in eine Klinik einsperren zu lassen. Meiner Meinung nach sollte sein Vater den Entzug gleich mitmachen, da er in meinen Augen ebenfalls Alkoholiker ist. Ansonsten wird es für Tai schwer, trocken zu bleiben, wenn das Kühlschrankinnere zur Hälfte von Bierdosen eingenommen wird. „Er vertraut dir“, bemerke ich und schaffe es nicht, meine Eifersucht aus der Stimme zu verbannen. „Du hast recht. Vor allem vertraut er darauf, dass ich dir helfe.“ „Nein, ich bin ihm völlig egal. Meine Empfindungen bezüglich der Trennung interessierten ihn nicht.“ Bitteres Lachen entweicht meiner Kehle. „Ich brauche keine Hilfe. Von niemandem. Es ist alles bestens.“ „Das glaube ich nicht, Yamato.“ Die Blicke meines Vaters sind eindringlich und er lässt seine Hand mit dem Kühlakku sinken. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl. „Er sagte mir zwar, dein selbstverletzendes Verhalten in Form von Schneiden sei weniger geworden, stattdessen würdest du mit Drogen kompensieren und diese mittlerweile mehr oder weniger regelmäßig konsumieren. Besonders in Zeiten, in denen du dich oft und viel gegen Geld älteren Männern mit brutalen, perversen Vorlieben hingibst.“ Entgeistert blicke ich meinen Vater an. Kurz glaube ich einer Wahnvorstellung zu erliegen, doch dafür fühlt es sich zu real an. Warum hat Taichi das getan? Hasst er mich so sehr? Ich beginne zu zittern. „Deiner Reaktion entnehme ich, dass es stimmt. Du prostituierst dich und nimmst Drogen. Warum, Yamato?“ Er packt mich schmerzhaft stark an den Schultern, sodass ich die Luft scharf zwischen den Zähnen einsauge. Dennoch schweige ich und drehe meinen Kopf von ihm weg. Seufzend lässt mein Vater von mir ab. „Morgen werde ich mich um deine Einweisung in die Klinik kümmern.“ „Nein, Papa! Ich lasse mich nicht wieder wegsperren! Wenn du das tust, dann töte mich besser. Bitte! Töte mich!“, flehe ich beinahe hysterisch. Tränen füllen meine Augen und ich kralle mich mit meinen Fingern krampfhaft in seinem Hemd fest. „Yamato. Ich bin nicht in der Lage, auf dich aufzupassen, mir fehlt die Erfahrung mit Drogenabhängigen.“ „Ich bin nicht drogenabhängig. Sowohl den Konsum als auch die Dosierung und deren Wirkung habe ich unter Kontrolle. Ich dröhne mich nicht einfach zum Spaß zu, aber manche Situationen überstehe ich nicht ohne drauf zu sein. Bitte versteh das, Papa. Gib mir etwas Zeit, um dir zu beweisen, dass ein Klinikaufenthalt nicht nötig ist, dass ich kein Junkie bin.“ „Wie stellst du dir das vor? Ich kann das nicht verantworten. Ich liebe dich, mein Sohn. Wenn dir etwas passiert, würde ich mir das nie verzeihen.“ „Dann weise mich nicht ein. Noch einmal diese ganze Therapiescheiße überlebe ich nicht.“ Deutlich verunsichert zieht er mich an sich und schließt mich letztlich resigniert in seine Arme. „Beruhige dich.“ Liebevoll streicht er durch meine Haare. „Ich lasse dich nicht wegsperren. Zumindest vorerst nicht. Sollte ich aber feststellen, dass sich dein Zustand, physisch wie psychisch, verschlechtert, werde ich nicht mehr zögern dich in professionelle Obhut zu geben. Außerdem händigst du mir sofort sämtliche Drogen, Tabletten, Rasierklingen und sonstige schädigende Hilfsmittel, die du derzeit besitzt, aus. Ich verlange auch, dass du aufhörst deinen Körper zu verkaufen, und du isst mindestens drei Mahlzeiten am Tag, die wir zusammen einnehmen werden. Hast du verstanden, Yamato? Das sind meine Bedingungen.“ Ich nicke einsichtig, obwohl ich schon jetzt weiß, dass ich nichts davon werde einhalten können. Mit der Gitarre auf dem Schoß sitze ich auf meinem Sofa. Ich bin froh, dass sie damals, als ich sie zu Boden geworfen habe, das heißt, eigentlich war es vielmehr ein Fallenlassen, nicht kaputt gegangen ist. Vor mir auf dem Tisch liegen ein Bleistift, ein Radiergummi und Notenpapier, welches ich schon auf mehreren Zeilen beschrieben habe. Ich versuche mich durch Komponieren von dem drängenden Verlangen nach Selbstschädigung und meinen Gedanken an Taichi abzulenken. Doch es funktioniert nicht. Ich kann mich kaum auf das Schreiben von Liedern konzentrieren, denn meine Kopfschmerzen treiben mich in den Wahnsinn und mein Vater verwehrt mir jegliche Art von Tabletten. Einzige Ausnahme bilden das Antidepressivum, das Phasenprophylaktikum und das Neuroleptikum, also die ärztlich verschriebenen Psychopharmaka, welche er mir nach wie vor nur auf Zuteilung aushändigt. Sachte spiele ich einige Akkorde. Auch durch die Schule erlange ich keine Ablenkung, da ich noch immer krank geschrieben bin. Die letzte Untersuchung ergab, dass einige Wunden wieder aufgerissen sind. Dass ich täglich mindestens einmal härteren Sex mit meinem Freund habe, verschwieg ich der Ärztin. Sie meinte, ich sollte noch einmal zur Beobachtung für ein paar Tage ins Krankenhaus, aber ich weigerte mich. Ich brauche die Nähe meines Klassenkameraden, will ihn spüren, seinen Körper, die Brutalität, den Schmerz. Jeden Tag nach der Schule kommt er zu mir, um mich bezüglich des Unterrichtes auf dem Laufenden zu halten. Er weiß, dass ich derzeit keinen Sex haben darf, dennoch schläft er mit mir, wobei er nicht unbedingt sanft mit mir umgeht. Eine Eigenschaft, die ich an ihm liebe. Seine nahezu uneingeschränkte Skrupellosigkeit. Trotz Beziehung hat sich an seinem Gewaltpotential mir gegenüber nicht viel geändert. Zudem kann ich mich nicht in der Öffentlichkeit zeigen, weil sich meine Wange mittlerweile dunkelviolett verfärbt hat und es unangenehme Fragen aufwerfen würde. Ebenso wie meine aufgeplatzte, noch immer leicht geschwollene Lippe. Jeder würde bei meinem Anblick sofort denken, dass ich von meinem Vater misshandelt werde. Ich halte in meinem Spiel inne, zeichne einige Noten auf das Papier und schlage die Saiten des Instrumentes erneut an. Bisher ist es mir gelungen, den Forderungen meines Vaters weitestgehend nachzukommen. Lediglich eine Packung Schmerzmittel, welches ich allerdings momentan sehr sparsam verwende, aufgrund der extremen Kopfschmerzen aber doch gezwungen bin, in größerem Maße darauf zurückzugreifen, einige Schlaftabletten, ein Fläschchen BDO und die Rasierklinge in meinem Portemonnaie habe ich behalten, den Rest händigte ich meinem Vater aus. Zum Glück bewahre ich nie alles am selben Ort auf, somit gelingt es mir immer, etwas für den Notfall einzubehalten. Bis ich das nächste Mal die Wohnung allein verlassen kann, muss ich mit dem geringen Vorrat auskommen. Ich hatte zwar überlegt, meinen Mitschüler zu fragen, ob er mir Schmerz- und Schlafmittel besorgt, allerdings bezweifle ich, dass er meiner Bitte nachgeben würde, da er eine ziemliche Abneigung gegen Drogen hat. Immer wieder fällt mir die Ähnlichkeit zwischen ihm und Tai auf, andererseits könnten sie verschiedener nicht sein. Ich spüre, wie sich meine Kehle zuschnürt. Mein Körper verkrampft sich. Ich stelle die Gitarre beiseite und krümme mich leicht nach vorn, meine Arme vor der Brust verschränkt, die Finger in den Stoff meines Hemdes gekrallt. Ein leichtes Zittern überkommt mich und ich sacke weiter in mich zusammen. Tränen quillen aus meinen Augen, benetzen die Haut meines Gesichtes und tropfen von meiner Nasenspitze und meinem Kinn zu Boden. Woher kommt plötzlich dieser Schmerz? Ich will ihn nicht spüren. Ich will gar nichts mehr spüren. Ich muss weg. Der Realität entfliehen. Taichi entfliehen. Wie im Fieberwahn versuche ich aufzustehen, um zu dem Fläschchen BDO in meiner Jackentasche zu gelangen, stolpere jedoch über meine eigenen Füße und falle der Länge nach hin. Heftig weinend liege ich am Boden, als sich die Tür zu meinem Zimmer öffnet. „Yamato!“, ruft mein Vater meinen Namen angsterfüllt. Sofort ist er bei mir und zieht meinen kraftlosen Körper in seine Arme. Er streicht mir beruhigend über den Kopf und versucht mir schweigend Halt zu geben. Offenbar kann er sich denken, was meinen Zusammenbruch verursacht hat. „Es tut so weh, Papa! Es tut alles so weh! Meine Eingeweide werden zerquetscht! Ich kann nicht atmen! Papa, bitte! Töte mich! Ich selbst schaffe es nicht! Aber ohne Taichi kann ich nicht leben… Ich kann nicht leben, nicht einmal mehr existieren.“ Meine Stimme klingt panisch, hysterisch und verzweifelt. Entschlossen nehme ich eine Hand meines Vaters und lege sie um meinen Hals. „Es ist ganz leicht. Drück einfach zu, dann ist es gleich vorbei. Töte mich, Papa. Töte mich“, flüstere ich mit einem Lächeln. „Yamato. Bitte hör auf.“ Vorsichtig nimmt er seine Hand von meinem Hals. Ich spüre, dass mein Vater zittert. Er weint. Schmerzhaft stark drückt er mich an sich. „Papa…“ Erneut breche ich nervlich zusammen und schluchze hemmungslos in das Hemd meines Vaters. „Ich liebe Taichi!“, bringe ich unregelmäßig atmend hervor. „Warum lässt er mich allein?“ Verschwitzt und mit weit gespreizten Beinen liege ich unter meinem Freund. Seine Stöße sind rhythmisch und sehr intensiv. Lautes, erregtes Keuchen erfüllt den Raum. Ich versuche inzwischen nicht mehr mein Stöhnen zu unterdrücken. Mein Vater weiß ohnehin, was mein Klassenkamerad und ich die meiste Zeit, die er zu Besuch ist, in meinem Zimmer tun. Mit meinen Nägeln kratze ich stark über den Rücken und den Arm meines Mitschülers. Sinnlich wirft er seinen Kopf in den Nacken und genießt den leicht brennenden Schmerz. Voller Begehren beobachte ich ihn. Sein Körper ist anziehend. Dünn, trainiert, aber nicht zu muskulös, mit weicher, ganz dezent gebräunter Haut. Er erinnert mich an Taichi, bevor dieser sich durch den Alkohol zu zerstören begann. Ich blicke in das Gesicht meines Freundes. Seine Augen sind geschlossen, sein Mund hingegen leicht geöffnet. Seine Stimme, sein lustvolles Stöhnen erregt mich zusätzlich und steigert mein Verlangen, ihn zu spüren. „Nimm mich härter“, fordere ich ihn schwer atmend auf. Er lächelt und stößt sich fester in mich. Auch den Rhythmus beschleunigt er, während sich seine Finger um meinen Hals legen und die Hauptschlagader abdrücken. „Gleich wirst du mich noch intensiver fühlen.“ Er erhöht seinen Druck. Sogleich legt sich ein Rauschen auf meine Ohren, mir wird schwindelig und meine Sicht verschwimmt. Ich schließe die Augen, um mich dem Schmerz an meiner Kehle und der starken Penetration hinzugeben. Aus Reflex umfasse ich nach kurzer Zeit die Handgelenke meines Freundes, da ich kurz davor bin, das Bewusstsein zu verlieren. Er lässt nicht los. Stattdessen bewegt er sich weiter kraftvoll in mir, bis sein Sperma in und an mir klebt. Dann gibt er mich sofort frei. Krampfartiges Husten setzt mich für eine Weile außer Gefecht. Immer wieder ringe ich nach Luft. Mein Mitschüler gibt mir einen Kuss auf die Stirn. „Versuche ruhig zu atmen. Es wird gleich besser.“ Liebevoll streicht er über die verschwitzte Haut und durch meine nassen Haare. „Du bist wirklich hübsch, Yamato. Ich sagte einmal, dass ich dich weinend besonders schön finde. Aber dein leidendes, schmerzverzerrtes Gesicht ist unbeschreiblich. Ich kann nicht genug davon bekommen. Ich kann nicht genug von dir bekommen.“ Nicht mehr hustend, aber noch immer schwer atmend ziehe ich meinen Klassenkameraden zu mir und küsse ihn leidenschaftlich. Dann lache ich. „Du bist wirklich eiskalt. Ein Gewissen scheinst du nicht zu haben. Auch kein Mitleid. Du bist rücksichtslos und kennst kein Erbarmen. Wie konnte es passieren, dass du Gefühle wie Liebe für mich entwickelst?“ Ernst blickt mein Freund mich an, legt sich neben mich und sieht nachdenklich zur Decke. „Ich weiß es nicht. Ich hasse Menschen, aber du hast mich auch fasziniert. Irgendwann fühlte ich mich zu dir hingezogen und nun will ich dich besitzen.“ „Heißt das, du hasst mich nicht mehr?“ „Doch. Und zwar mehr als je zuvor, denn du bist schuld, dass es einen Menschen gibt, der mir wichtig ist. Ich hasse dich dafür, dass ich dich liebe.“ Ich setze mich auf. „Findest du Sex zwischen Männern noch immer pervers?“ „Ja. Aber dich auf diese Weise zu beherrschen, dein Gesichtsausdruck dabei sowie deine Stimme… es erregt mich, dich zu ficken.“ „Aber nur, wenn Gewalt im Spiel ist.“ „Soll ich beim Sex zärtlich zu dir sein?“, fragt mein Mitschüler und nimmt mich von hinten in den Arm. „Nein. Fick mich hart“, entgegne ich nüchtern, löse mich von ihm und stehe vom Bett auf. Schweigend ziehe ich mich an. Anschließend zünde ich mir am Fenster eine Zigarette an. „Ich sagte dir schon einmal, dass ich es nicht leiden kann, wenn du Drogen konsumierst.“ Er steht ebenfalls auf, bekleidet sich lediglich mit seiner Hose. „Ja, aber ich brauche das.“ Nervös inhaliere ich den Rauch. Mein Freund tritt dicht an mich heran, wobei er mir die Zigarette aus der Hand nimmt und aus dem Fenster wirft. „Ich weiß, dass du abhängig bist. Von diversen Drogen. Du benutzt sie, um der Realität zu entfliehen und dich selbst zu zerstören, nicht wahr?“ Genervt ignoriere ich ihn und entnehme der kleinen Schachtel erneut eine Zigarette. Sofort wird sie mir wieder aus der Hand geschlagen. Wütend und mit Entschlossenheit in den Augen drängt er mich auf das Sofa und nagelt mich dort fest, indem er sich auf meine Oberschenkel setzt und meine Arme über meinem Kopf mit seinen Händen festhält. „Was soll das?“, zische ich ihn gereizt an. „Das frage ich mich auch, Yamato. Verdammt, ich habe keine Lust, dich an diese scheiß Drogen zu verlieren!“ Ich starre meinen Freund verstört an. Diese Worte habe ich vor nicht allzu langer Zeit Taichi im Bezug auf Alkohol entgegengebracht. „Was ist los, Yamato? Warum weinst du?“, fragt mein Klassenkamerad irritiert, versteht aber schnell, worum es eigentlich geht. „Es gibt nur einen Grund, der dich dermaßen aus der Fassung bringt. Taichi, hab ich recht?“ Ich wende meinen Blick ab, doch sofort lässt mein Freund meine Arme los, dreht mit seinen Fingern meinen Kopf am Kinn zu sich und zwingt mir einen fordernden Kuss auf. Tränen laufen mir seitlich das Gesicht hinab, aber ich lasse mich auf das wenig liebevolle Zungenspiel ein. Deutlich spüre ich den Besitzanspruch meines Mitschülers, dabei wissen wir beide, dass ich nie ihm gehören werde, dass er gegen Taichi niemals ankommt. Kapitel 17: ------------ In Gedanken versunken stehe ich am Fenster und rauche eine Zigarette. Es ist Mitte Juli und ungewöhnlich warm. Ich hasse den Sommer, überall auf den Straßen sind Menschen, die das schöne Wetter genießen wollen, schwimmen gehen, durch die Parks spazieren oder joggen, Fahrrad fahren. Sie sind verschwitzt, stinken nach Schweiß und widern mich einfach nur an. Am liebsten würde ich mich während dieser Zeit irgendwo im Dunkeln verkriechen. Zum Glück sind bereits Ferien, sodass ich überwiegend in der Wohnung bleiben kann. Nur mein Vater zwingt mich hin und wieder an die frische Luft zu gehen. Meist schaffe ich es jedoch, ihn davon zu überzeugen, dass ich aufgrund der hohen Temperaturen erst am Abend nach draußen gehe. Bei der Gelegenheit fahre ich oft nach Shibuya, um mich meinem Freier im Austausch für Drogen hinzugeben, die ich brauche, um Taichi zu vergessen, meine Gefühle für ihn zu töten und stattdessen die Gefühle für meinen Mitschüler zu verstärken. Seit über einem Monat bin ich mit ihm zusammen. Vor über einem Monat hat Taichi die Beziehung zu mir beendet. Seitdem habe ich ihn weder gesehen noch etwas von ihm gehört. Ich frage mich, wie es ihm geht. Ob er jetzt glücklich ist? Auch würde ich gern wissen, ob er seinen Entzug wirklich durchzieht. Ich hoffe, er schafft es, seine Alkoholabhängigkeit in den Griff zu bekommen. Fahrig ziehe ich an meiner Zigarette und lasse den Rauch aus meinen Lungen in die stickige Luft entweichen. Noch immer schnürt sich meine Kehle schmerzhaft zu, wenn Taichi unwillkürlich meine Gedanken vereinnahmt und mich emotional gefangen nimmt. Ich vermisse ihn. Seine Nähe, seine Stimme, seine Berührungen. In dem Versuch, meine Empfindungen abzutöten, lehne ich mich gegen die Wand an meinem Fenster und schließe die Augen. Unbemerkt fällt die Zigarette aus meiner Hand auf den Teppich. Ich zittere, meine Beine geben nach und ich lasse mich in eine sitzende Position auf den Boden sinken. Tränen verschleiern meine Sicht. Qualvoll zieht sich meine Brust zusammen, mit verkrampften Fingern greife ich an die Stelle, an der mein Herz schlägt, und zerre fiebrig an dem Stoff meines Hemdes. Ich muss es töten. Wenn mein Herz stirbt, stirbt auch Taichi in mir. Ich drücke mit meinem Daumen die Zigarettenglut aus, die sich bereits in meinen Teppich gebrannt hat, und stehe taumelnd auf. Mein Schmerzempfinden ist kaum noch vorhanden. Völlig weggetreten verlasse ich mein Zimmer, besessen und geleitet von nur einem Gedanken. „Yamato, kommst du dann bitte mit einkaufen?“ Ich höre die Stimme meines Vaters aus dem Wohnzimmer, aber ich nehme sie nicht mehr bewusst wahr. Meine Schritte lenken mich in die Küche, dort entnehme ich dem Besteckkasten eines der großen Küchenmesser. Sorgfältig knöpfe ich mein Hemd auf. „Yamato? Was…“ Entsetzt unterbricht mein Vater seine Frage, die er stellen wollte, als er sieht, wie ich das Messer auf meiner Brust ansetze und die Klinge mit starkem Druck durch mein Fleisch ziehe. Sofort rinnt dunkelrotes Blut über die helle Haut meines Oberkörpers. Panisch kommt mein Vater auf mich zu und windet mir das Messer aus der Hand, indem er mich kraftvoll am Handgelenk packt und es leicht verdreht, sodass ich meinen Griff lockere, bevor ich einen weiteren Schnitt machen kann. Mein Vater legt das Messer außer Reichweite, dann betrachtet er die Wunde und sieht mir in die Augen. Gezeichnet von Angst nimmt er meinen Kopf zwischen seine Hände. „Yamato! Hörst du mich? Komm zu dir! Yamato! Yamato!“ Seine Stimme ist eindringlich, flehend. „Ich muss Taichi aus mir herausschneiden“, erkläre ich tonlos. „Was?“ Bestürzt starrt mein Vater mich an. „Yamato, du hast Wahnvorstellungen.“ „Er hat etwas vergessen, als er gegangen ist.“ „Wovon sprichst du?“ Fest packt er mich an den Schultern und schüttelt meinen Körper stark, um mich in die Realität zurückzuholen. „Bevor er ging, vergaß er mich zu töten. Warum hat er es nicht getan?“ Ich spreche die Worte leise, wie zu mir selbst, sodass mein Vater Schwierigkeiten hat, mich zu verstehen. Mein Blick ist leer und auf keinen bestimmten Punkt gerichtet. Ich nehme nicht wahr, was um mich herum geschieht. Auch dass mein Vater mich hochhebt und ins Badezimmer trägt, registriere ich kaum. Vorsichtig setzt er mich in der Dusche auf den Boden und dreht das kalte Wasser auf. Ich spüre unzählige Tropfen über meine Haut rinnen, schaffe es aber dennoch nicht, mich aus meiner Apathie zu lösen. Weiterhin beherrscht Taichi meine Gedanken, hält mich in meinem Wahn gefangen. „Ich muss zu ihm. Ich muss zu Taichi. Er hat es bestimmt nur vergessen. Es war sicher keine Absicht. Er kann es nachholen. Er kann mich noch immer töten. Er muss sich aus mir herausschneiden… genau da, wo ich bereits begonnen habe. Verstehst du, Papa?“ Ich schaue ihm direkt in die Augen, vergrabe dabei meine Fingernägel in der Wunde und reiße an ihr, um sie weiter zu öffnen. Sofort greift mein Vater in meine selbstverletzende Handlung ein, indem er meine blutverschmierten Hände festhält und meinen Körper dicht zu sich heranzieht. Ich wehre mich gegen seine Berührungen, bin jedoch nicht in der Lage, mich aus seiner schützenden Umklammerung zu befreien. „Lass mich los!“, schreie ich meinen Vater an. „Nein, Yamato. Du bist vermutlich psychotisch. Dir fehlt jeglicher Bezug zur Realität. Deine Worte und Handlungen zeigen, dass du vor dir selbst geschützt werden musst.“ Unaufhörlich prasselt das eisige Wasser auf unsere Körper nieder. Sitzend an die Wand der Dusche gelehnt und mich fest im Arm haltend passt mein Vater schweigend auf mich auf. Die Geborgenheit, die er mir gibt, lässt mich ruhiger werden. Langsam kehrt mein Schmerzempfinden zurück und ich spüre das starke Pulsieren der frischen Wunde. Auch die Kälte nehme ich allmählich wahr. Ich beginne zu zittern, ohne Einfluss darauf ausüben zu können. „Papa, ich friere“, flüstere ich zähneklappernd. Ohne mich loszulassen, steht er auf und zieht mich mit sich auf die Beine. Er muss mich festhalten, damit ich nicht sofort wieder zusammensacke. Mein Vater stellt das Wasser ab, stützt mich beim Verlassen der Dusche und setzt mich behutsam auf den Toilettendeckel. Sorgenvoll blickt er mich an und streicht mir einige nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Ich kümmere mich erst einmal um deine Verletzung.“ Wortlos entnimmt er Verbandsmaterialien aus dem Schrank, streift mir das Hemd von den Schultern, trocknet mich flüchtig ab und beginnt die Wunde medizinisch zu versorgen. „Zum Glück sind unsere Messer relativ stumpf. Der Schnitt ist nicht ganz so tief, auch wenn es im ersten Moment so aussieht.“ Nachdem er den Verband straff und rutschfest angelegt hat, sieht er mich nachdenklich an. „Erinnerst du dich an das, was passiert ist?“ Unfähig, zu antworten, breche ich weinend zusammen. „Er fehlt mir so sehr!“ „Hör auf an ihn zu denken“, sagt mein Mitschüler auffordernd. Ich sitze auf meinem Bett und starre ins Nichts. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er mich beobachtet. Abwesend schaue ich ihn an. „Ich denke nicht an Tai. Zumindest nicht direkt“, entgegne ich monoton. „Mir drängt sich nur die Frage auf, ob eine Beziehung zwischen uns funktionieren kann oder ob sie nicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist.“ „Wie kommst du darauf?“, will er gleichmütig wissen. „Wir sind uns zu ähnlich und doch zu verschieden.“ „Das ist bei Taichi und dir nicht anders.“ Noch immer klingt er gelassen, beinahe kalt. „Die Beziehung zu Tai hatte nie eine Zukunft. Ich habe ihn quasi gezwungen. Er hat mich nie geliebt und sich letztlich von mir getrennt.“ „Das sehe ich inzwischen anders. Ich habe mich geirrt. Er ist zwar ziemlich stupide, aber er liebt dich tatsächlich. Noch immer.“ „Tai ist nicht stupide“, protestiere ich, doch mein Gegenüber betrachtet mich nur mit einem nachsichtigen Lächeln. „Warum sagst du so etwas? Und woher willst du wissen, was er für mich empfindet?“ „Es ist offensichtlich. Bei allem, was er tut. Yamato, deine vom Selbsthass diktierte Sichtweise verwehrt dir oft den Blick auf das Wesentliche. Aber vielleicht ist es auch nur für mich als Außenstehenden so deutlich erkennbar.“ „Was meinst du?“, frage ich irritiert. „Schon gut. Gibst du mir bitte deine Rasierklingen?“ „Was hast du vor?“ „Ich möchte dich verletzen, dir Schnittwunden zufügen.“ „Nein“, sage ich entschieden. „Warum? Weil es nur Taichi vorbehalten ist?“ Die gelassene Haltung meines Freundes schwindet, stattdessen höre ich Eifersucht aus seinem Tonfall heraus. Betreten schweige ich. „Ich will dir den gleichen Schmerz geben, den er dir gegeben hat.“ Lustbetont streicht er mir mit dem Daumen über meine Lippen, dann mit seinen Fingern meine Wange entlang, hinab zu meinem Hals, über mein Schlüsselbein. Er beugt sich zu mir, sein Gesicht dicht an meinem Ohr, sodass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren kann. „Du bist schön, Yamato. Dein Körper, deine Narben. Ich will ein Teil davon sein. Wenn es sein muss mit Gewalt.“ Ein Lächeln legt sich auf die Lippen meines Klassenkameraden. Ich spüre Hitze in mir aufsteigen und mein Herz schlägt hart gegen meine Brust. Begierig verwickle ich meinen Freund in einen leidenschaftlichen Zungenkuss. Erst als wir beide kaum noch Luft bekommen, lösen wir uns voneinander. „In meinem Schrank liegt auf der zweiten Ablage von oben eine dunkelblaue Jeans. Die unterste des Hosenstapels. In ihrer linken Vordertasche ist ein Päckchen Rasierklingen“, flüstere ich schwer atmend. Mein Gegenüber drückt mir noch einmal einen innigen Kuss auf die Lippen, dann steht er auf und geht zu meinem Schrank. Mit der kleinen Packung in der Hand setzt er sich wieder zu mir auf das Bett. „Gib mir deinen Arm.“ Für einen Moment beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Die Situation erinnert mich an den Vorfall mit Taichi, als ich die Kontrolle verlor und seinen Arm bis zu den Sehnen aufschnitt. Ich versuche die Gedanken zu unterdrücken. „Warte kurz.“ Rasch stehe ich auf und verlasse das Zimmer. Mit einigen Verbandsmaterialien im Arm kehre ich zurück und schließe die Tür hinter mir ab, da mein Vater zu Hause ist. Ich lege die Mullbinden, Kompressen und Heftpflaster auf mein Kopfkissen, die Schere von meinem Schreibtisch, mit der Taichi mir vor einiger Zeit eine Wunde auf dem Oberkörper zugefügt hat, ebenfalls. Anschließend setze ich mich auf den Schoß meines Freundes und beginne ihn am Hals zu küssen, während ich voller Verlangen erst sein Hemd und dann sein Hose öffne. Ich drücke ihn gebieterisch auf die Matratze, liebkose mit meiner Zunge seinen Oberkörper, wobei ich ihm rasch die Hose ein Stück nach unten ziehe. „Yamato, was…“, die Stimme meines Mitschülers wandelt sich in Stöhnen, als ich beginne ihm ausgiebig und kraftvoll einen zu blasen. Seine von Lust gezeichnete Atmung steigert meine Erregung ins Unermessliche. Grob greift mein Freund mir in die Haare, dirigiert meinen Kopf ein wenig und hält ihn fest, um seinen Schwanz schmerzhaft tief in meinen Rachen zu rammen. Er spritzt in meinem Mund ab, sodass ich gezwungen bin, sein Sperma zu schlucken. Starker Brechreiz steigt in mir auf und ich habe Mühe, das Würgen zu unterdrücken. Auch nach unzähligen Malen kann ich mich nicht daran gewöhnen, Samenflüssigkeit oral in mich aufzunehmen. Mein Klassenkamerad lässt von mir ab. Sogleich kann ich ein Husten nicht mehr unterdrücken, anschließend wische ich mir das Sperma, welches mir von den Mundwinkeln zum Kinn hinab gelaufen ist, mit meinem Ärmel ab. Ich richte mich wieder auf und öffne meine eigene Hose. Entschlossen greife ich nach dem Arm meines Freundes, welchen ich daran in eine Bauchlage bringe. Ich ziehe seine Hose ein Stück weiter nach unten und hebe sein Becken etwas an. „Vergiss es, Yamato!“, zischt er warnend. Sofort versucht er sich aus meinem Griff zu befreien, doch ich drehe seinen Arm schmerzhaft auf den Rücken, wodurch er seine Gegenwehr kurzzeitig aufgibt. „Ich warne dich! Wenn du mich fickst, kastriere ich dich danach. Das ist keine leere Drohung, Yamato!“ Ich lache laut auf. „Ich weiß. Du bist so krank. Aber gerade das ist reizvoll an dir. Du spielst nach deinen eigenen Regeln, die brutal und skrupellos sind. Interessant, dass deine Gefühlskälte und Gleichgültigkeit sich dermaßen schnell in Panik wandeln, wenn es um deinen Arsch geht.“ „Und du spielst ein riskantes Spiel“, entgegnet er wieder selbstsicherer. Durch eine kleine Unachtsamkeit meinerseits gelingt es ihm, sich aus meiner Gewalt zu befreien. Abgebrüht langt er nach der Schere auf meinem Kissen und drückt sie mit geöffneten Schneiden stark gegen meine Kehle. Mit der anderen Hand hält er mich unsanft am Hinterkopf fest. „Ich liebe dich, Yamato. Aber wage es nicht noch einmal…“ „Ich werde dich nehmen und wenn ich dich vergewaltigen muss.“ „Da bin ich gespannt, wie du das schaffen willst. Du bist mir körperlich unterlegen.“ Herausfordernd grinst mein Mitschüler mich an. „Mag sein, aber ich kann dich betäuben.“ Liebevoll streiche ich ihm über die Wange. „Warum hast du solche Angst davor? Ich möchte lieber von dir genommen werden, aber ich will dich auch einmal auf diese Weise spüren.“ „Ich lasse mich aber nicht erniedrigen. Schon gar nicht auf so perverse Weise“, entgegnet er abfällig. „Und mich zu ficken ist nicht pervers?“ „Doch. Allerdings empfinde ich dabei Lust. Es erregt mich, Macht über dich auszuüben, ebenso deine Bereitschaft, dich mir auszuliefern.“ Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. Ich umfasse die Hand meines Freundes und drücke die Schneiden stärker gegen meine Kehle. „Zieh durch“, fordere ich ihn auf. Er begegnet meinem Blick mit Emotionslosigkeit. Langsam zieht er die Schere durch meine Haut. Ich verspüre ein leichtes Ziehen. „Lass mich eine Rasierklinge verwenden. Streck mir deinen Arm entgegen.“ Mein Klassenkamerad umfasst mein Handgelenk und lässt die Schere sinken. Er leckt über die frische Wunde, die nur ein Kratzer sein dürfte, da sie kaum blutet. Er zieht seine Hose wieder an, ebenso wie ich. Dann greift er zu dem Päckchen mit den Rasierklingen und entnimmt eines der kleinen, beidseitig scharfen Metalle. Vorsichtig entfernt er das Papier. „Ich werde nur einen Schnitt machen, aber ich werde tief schneiden, okay?“ Ich nicke und ziehe meinen Ärmel nach oben. Er setzt die Klinge im rechten Winkel zu der Narbe an, die mich an Taichis Verschwinden damals erinnert, der Längsschnitt, den ich mir in seinem Zimmer zugefügt habe. Nun macht mein Mitschüler ein Kreuz daraus. Mit Druck zieht er die Schneide durch mein Fleisch. Sofort quillt das Blut aus der Wunde, die tatsächlich ziemlich tief ist. Mir fällt auf, dass ich vergessen habe etwas mitzubringen, womit man die rote Flüssigkeit aufsaugen kann. Unaufhörlich tropft mein Blut auf den Teppich. „Mist, so kann ich nicht ins Bad gehen. Ich würde alles vollsauen. Generell könnten wir meinen Vater auf uns aufmerksam machen, wenn wir das Zimmer verlassen.“ Ohne ein Wort zu sagen, zieht mein Freund sein Hemd aus und wickelt es fest um meinen Arm. „Kannst du mir dann etwas von dir leihen?“ „Ja, aber…“ „Meine Mutter interessiert das nicht. Wahrscheinlich bekommt sie es nicht einmal mit. Zudem wasche ich die Wäsche. Du hättest mit deinem Vater sicher mehr Probleme.“ „Ja, danke.“ „Ich wollte es doch. Ich wollte dir Schmerz zufügen, mich zu einem Teil von dir machen.“ Ich lächle. „Würdest du bitte einen richtigen Verband anlegen? Vorerst wäre ein Druckverband vielleicht angebracht.“ Während er sich um meine Verletzung kümmert, beobachte ich ihn aufmerksam. Mein Klassenkamerad ist mir noch immer ein Rätsel. Oft ist er unberechenbar, manchmal überrascht er mich. Seine Liebe, sein Hass, sein Besitzanspruch, seine Kaltblütigkeit, hin und wieder sogar Zärtlichkeit, er ist voller Extreme, voller Widersprüche, oft sehr kontrolliert, aber dann auch wieder hitzköpfig, vieles an ihm erkenne ich bei mir wieder und doch erinnert er mich auch sehr oft an Taichi. Starke Gefühle der Zuneigung kommen in mir auf. Mein Herz klopft schnell, mein Puls rast. Ich möchte ihn berühren. Mit meiner freien Hand streichle ich ihm durch die Haare. Er schaut von meinem Arm auf und sieht mich abwartend an. „Vielleicht kann unsere Beziehung doch funktionieren“, bemerke ich und küsse ihn. Ruhig spiele ich auf meiner Gitarre, konzentriere mich auf den Klang der Töne, die Stimmigkeit der Melodie. Ich schließe die Augen und lasse mich vom Gefühl der Musik tragen. Ich habe nie daran gedacht dass dieser Tag kommen würde Ich habe nicht gewusst dass alle Hoffnung uns verlassen hat Zersplittert in einer verlorenen Ewigkeit Ich habe mir niemals gewünscht abzudriften Wie könnte ich mich wieder zu Hause fühlen Mit all den Dingen die du sagtest in meinen Gedanken Es ist noch so vieles übrig geblieben um es dir zu sagen Unausgesprochene Worte werden die Wahrheit nicht ändern Ich bezweifle dass Worte überhaupt etwas ändern Was wenn wir die Zeit zurückdrehen könnten Würden wir alles genauso machen? Und bis jetzt bleibt doch jene bittere Kälte Der versagende Atem ist Vertrautheit geworden Ich glaube ich sehe dein Lächeln in der Ferne verschwinden Der versagende Atem ist meine Zerbrechlichkeit Die zurückgebliebenen Bruchstücke sind alles was wir sind Dein Herzschlag ist zu weit entfernt Es gibt keinen Ort an dem ich bleiben kann Bilder eines Traums den ich nicht verleugnen kann Plötzlich höre ich deine Stimme Ein neues Bild und noch immer weinst du Ich hätte alles dafür gegeben um deinen Schmerz zu teilen Aber jetzt läufst du und wirst dich wieder verstecken Die einsamen Tage mögen niemals enden Ich werde versuchen tapfer zu sein von Tag zu Tag Deine Ängste sind immer nah für mich Mit der Zeit werde ich meinen versagenden Atem einfangen Doch die Luft um mich herum wird dir gehören Meine Stimme zitterte hörbar, bei jeder einzelnen Zeile des Liedes. Noch nie war mein Gesang derart schwach und unbeständig. Die schwermütigen Emotionen, sehnsuchtsvoll und doch resigniert, sowie die langsame, beinahe beklemmende Melodie ließen den Text noch hoffnungsloser erscheinen. Ich stelle die Gitarre beiseite, erhebe mich von dem Sofa und zünde mir am Fenster fahrig eine Zigarette an. Nie hätte ich gedacht, dass mich meine eigene Komposition so sehr aus der Fassung bringen könnte. Vielleicht ist es keine gute Idee, mich mit Musik ablenken zu wollen. Auf diese Weise werde ich nie von Tai loskommen und mich vollkommen auf meinen Klassenkameraden einlassen können. Immer wieder reiße ich mir neue Wunden, verletze mich an mir selbst, bewusst oder unbewusst, um nicht zu vergessen. Tief ziehe ich den Rauch in meine Lungen. Ich begreife nicht, warum ich so sehr an Taichi festhalte, obwohl ich ihn längst verloren habe. Aber kann man überhaupt etwas verlieren, das man nie besessen hat? Denn letztlich war unsere Beziehung doch nur eine Lüge, ein perfides Spiel, welches ich am Ende verloren habe. Ich bin wirklich erbärmlich. Anstatt mich selbst zu bemitleiden, sollte ich froh sein, dass Taichi sich von mir lösen konnte und sein Leben wieder in den Griff bekommen will. Ich hoffe, er kann jetzt endlich glücklich werden. Mit zwiespältigen Gefühlen ziehe ich noch einmal an der Zigarette und werfe den verbleibenden Zigarettenfilter aus dem Fenster. Soll ich Taichi wirklich so einfach aufgeben? Darf ich einmal mehr egoistisch sein und versuchen Tai erneut an mich zu binden? Emotional aufgewühlt lasse ich mich der Länge nach auf das Sofa fallen, bette meinen Kopf auf die Armlehne und starre leblos zur Zimmerdecke. Ich möchte Tai sehen, doch ich weiß nicht einmal, ob er seinen Entzug in der Klinik bereits begonnen hat. Eines steht jedenfalls fest, seine Freundin kann ihm mehr Halt geben, als ich es jemals konnte, sonst hätte Tai nicht so oft ihre Nähe gesucht, als wir noch zusammen waren. Und genau das braucht er jetzt. Einen Menschen, auf den er sich verlassen kann, der ihm Kraft gibt und ihn bei eventuellen Rückschlägen auffangen kann. Zu all dem bin ich nicht in der Lage. Ich ziehe ihn nur tiefer in den Abgrund. Eine derartige Beziehung hätte sich zwischen uns niemals entwickeln dürfen. Jenes perverse Machtspiel, angetrieben von Besessenheit und Wahnsinn. Mit dem Moment, als sich in meine Besitzansprüche Liebe schlich, unterlag ich. Sowohl Tai als auch meinen Emotionen. Aus dem verlogenen Spiel wurde bitterer Ernst. Ich schließe meine Augen. Ein unangenehmes Gefühl breitet sich in meinem Körper aus. Mir fällt es schwer, diese Empfindungen einzuordnen, eine Mischung aus Angst, Irrealität und Resignation. Mein Kopf ist vollkommen leer. Nur eine unerträgliche Klarheit bleibt. Ich werde Taichi aufgeben. Ein mehrmaliger dumpfer Klang entlässt meine Aufmerksamkeit vorerst aus den immer gleichen Gedankenschleifen. Dankbar für die Möglichkeit des kurzfristigen Entkommens richte ich mich auf. Mein Vater schaut vorsichtig zur Tür herein. „Hey. Störe ich? Du spielst gerade Gitarre, oder?“ Ich schüttle meinen Kopf. „Nein, du störst nicht. Im Moment bin ich eher mit Nichtstun beschäftigt.“ Dem Gesichtsausdruck meines Vaters nach zu urteilen gelingt es mir nicht, ihn mit einem Lächeln zu beruhigen. Sein Blick mustert mich ernst. „Ich will schon seit längerem über einige Sachverhalte mit dir reden.“ Als er mein Zimmer betritt, schließt mein Vater die Tür hinter sich und nimmt dann neben mir auf dem Sofa Platz. Liebevoll streicht er durch mein Haar. Mit seinem Daumen fährt er die Partie unter meinen Augen entlang, weiter über meine Wange, bis er schließlich sachte meine Lippen berührt. Irritiert lasse ich die beinahe sinnlichen Berührungen meines Vaters zu. Leichte Nervosität kommt in mir auf und meine Atmung beschleunigt sich etwas. Beschämt senke ich meinen Kopf, sodass mein Vater mir nicht mehr direkt in mein Gesicht sehen kann. Mit aller Kraft versuche ich die aufkommende Erregung niederzukämpfen. „Du siehst schlimm aus, Yamato“, bemerkt mein Vater voller Sorge. „Erkennst du das selbst nicht? Dein Gesicht ist schmal, eingefallen, deine Augenringe tiefschwarz, deine Haare stumpf. Deine Haut ist aschfahl, weist Rötungen und Irritationen auf und deine Lippen sind rau, teilweise aufgeplatzt und blutig. Auch dein Körper ist bis auf die Knochen abgemagert. Manchmal kommt es mir so vor, als hättest du Schwierigkeiten, die einfachsten Tätigkeiten zu verrichten, weil du inzwischen einfach zu schwach bist. Willst du dich jetzt auf diese Weise langsam töten?“ Die Stimme meines Vaters ist ruhig, dennoch ist seine Traurigkeit deutlich spürbar. Ich schaue ihn durchdringend an. „Ja, das war der ursprüngliche Plan.“ „Und jetzt?“ „Ich weiß es nicht“, gebe ich ehrlich zu. „Liebst du den Jungen aus deiner Klasse?“ Die Frage kommt plötzlich und unerwartet, weshalb ich meinen Vater einen Moment verwirrt anblicke. „Ich… ja. Er ist schließlich mein Freund“, antworte ich erst zögerlich, dann konsequent. „Ich finde ihn auch nett, aber was ist mit Taichi?“ Die Fragen meines Vaters schmerzen. Warum muss er ausgerechnet jetzt auf dieses Thema zu sprechen kommen? Trotzdem versuche ich mir meine innere Zerrissenheit nicht anmerken zu lassen. „Taichi ist aus meinem Leben verschwunden. Endgültig.“ Meine eigenen Worte schnüren mir die Kehle zu, sodass ich Schwierigkeiten habe, meine Stimme konstant zu halten. Nachdenklich betrachtet mein Vater mein Gesicht. Hofft er eine Gefühlsregung zu erkennen? „Was soll das, Papa?“ „Vor kurzem bist du zusammengebrochen, was meiner Meinung nach der Trennung von Taichi zuzuschreiben ist.“ „Das mag sein, aber ich bin darüber hinweg.“ Für diese Aussage ernte ich lediglich einen skeptischen Blick. „Was würdest du tun, wenn er wieder Annährungsversuche starten würde?“ Ich verstehe das Verhalten meines Vaters nicht. Was will er damit bezwecken? Warum tut er mir absichtlich so weh? Es fällt mir schwer, mich unter Kontrolle zu halten. Mein Körper bebt und ich beiße mir auf die Lippen. „Ich würde ihn abweisen“, sage ich so gefestigt wie möglich. „ Schließlich bin ich in einer Beziehung.“ „Das hat dich bei Taichi auch nicht gestört. Ihn hast du unzählige Male betrogen. Du hast dich verkauft, Yamato.“ Perplex schaue ich meinen Vater an. „Was für Männern hast du dich eigentlich hingegeben?“ Ich merke, dass die Frage ihm nur schwer über die Lippen kommt. Die Situation fühlt sich gerade sehr abstrus an, dennoch antworte ich meinem Vater wahrheitsgemäß. „Geschäftsleute, Familienväter, meist Männer mittleren Alters aus der gehobenen Mittelschicht.“ „Väter mittleren Alters… so wie ich“, bringt er den Vergleich nachdenklich und ebenso bitter an. „Du weißt, dass jeder einzelne von denen sich strafbar gemacht hat, da du noch nicht volljährig bist? Sind sie sich dessen bewusst? Hast du ihnen gesagt, wie alt du bist?“ Ich nicke. „Du hast recht, ich bin minderjährig, dennoch darf ich inzwischen straffrei Sex haben. Ich bin achtzehn Jahre alt, Papa.“ „Du warst aber erst siebzehn, als du angefangen hast deinen Körper zu verkaufen.“ „Willst du jetzt Anzeige erstatten?“, frage ich, unzufrieden über den Verlauf des Gespräches. „Yamato. Ich trage nicht nur die Verantwortung für dich, sondern habe auch die Pflicht, dich zu schützen.“ Ich senke meinen Blick, doch mein Vater legt seine Hand in meinen Nacken und zwingt mich ihn anzusehen. „Diese Männer sind krank, wenn sie Sex mit Minderjährigen erregend finden. Verstehst du nicht, dass ich handeln muss?“ Ich nehme die Hand meines Vaters und dirigiere sie meinen Hals hinab, das Schlüsselbein entlang, über die Brust, zu meiner Taille und lasse sie schließlich auf meiner Hüfte ruhen. Fassungslos sieht mein Vater mich an. Ich ergreife seine andere Hand, welche ich unter mein Hemd gleiten lasse, während ich die Hand auf meiner Hüfte zwischen meine Beine führe, welche ich zuvor leicht spreize. „Drehst du jetzt völlig durch, Yamato?“ Sofort nimmt mein Vater Abstand von mir, indem er sich von mir löst und vom Sofa aufsteht. „Du sagtest doch, du musst handeln. Und warum fragst du mich ständig, ob ich durchdrehe, wahnsinnig werde oder den Verstand verliere. Glaubst du das wirklich? Denkst du, ich werde wahnsinnig? Dein eigener Sohn?“ Mein Tonfall klingt, als fühlte ich mich missverstanden. „Dabei möchte ich nur, dass du die Position einer anderen Person kennenlernst, bevor du sie verurteilst.“ Ich erhebe mich ebenfalls. So, dass ich dicht vor meinem Vater stehe. Entschlossen packe ich seinen Arm und schlinge ihn um meine Hüften. Mit meiner anderen Hand greife ich am Hinterkopf in sein Haar. Mein Herz schlägt schnell, als sich unsere Lippen berühren und ich meinem Gegenüber sofort meine Zunge aufzwinge. Es ist leicht, ihn zu küssen, da wir annähernd gleich groß sind. Resolut schiebt mein Vater mich von sich, nachdem er den offensichtlichen Schock überwunden hat, hält mich aber an den Schultern schmerzhaft fest. „Es reicht, Yamato!“ Drohend sieht er mich an. „Nein, Papa. Es reicht noch lange nicht.“ Mein Blick ist eindringlich. „Du willst mich doch verstehen. Meine Gefühle, mein Denken und mein Handeln. Dann finde es heraus. Lerne mich ganz und gar kennen.“ Um meine Aufforderung zu verdeutlichen, öffne ich meine Hose. „Schlaf mit mir. Nimm mich kraftvoll und intensiv, damit ich deinen Schmerz spüren kann, aber auch deine sinnlichen Berührungen, wie vorhin.“ Das Entsetzen ist meinem Vater ins Gesicht geschrieben, trotzdem nimmt er seine Hand von meiner Schulter und legt sie auf meine Hände am Hosenbund, um meinem Vorhaben Einhalt zu gebieten. „Bekomme erst einmal einen klaren Kopf. So hat es keinen Sinn, die Unterhaltung fortzuführen. Und Sex werde ich mit dir garantiert niemals haben. Du bist mein Sohn, Yamato! Aber ich glaube, dass auch du eine Umsetzung deiner Bitte nicht wirklich willst. Schließ deine Hose wieder.“ Ich gehorche wortlos und mit gesenktem Kopf. „Du bist ziemlich durcheinander in letzter Zeit. Es fällt dir schwer, die Trennung von Taichi zu begreifen, zu verarbeiten und vor allem zu akzeptieren, hab ich recht?“ Ohne eine Reaktion zu zeigen, starre ich auf eine unbestimmte Stelle auf meinem Teppich. „Jetzt versuche dich zu beruhigen, wir reden nachher weiter.“ Mein Vater geht an mir vorbei. Ich höre, wie sich die Zimmertür öffnet und kurz darauf wieder schließt. Wie versteinert stehe ich in meinem Zimmer. Habe ich gerade von meinen Vater verlangt mich zu ficken? Verliere ich allmählich wirklich den Verstand? Erschütternd ist die unumstößliche Tatsache, dass ein ziemlich abartiger Teil in mir meinen Vater durchaus auf diese Weise spüren will. Ich bemerke, dass mein Körper stark zittert und mein Herz noch immer ungewöhnlich schnell schlägt. Ein leichtes Kribbeln vereinnahmt mich, als ich auf meinen Lippen den Geschmack meines Vaters noch immer deutlich wahrnehme. Der Kuss war sehr verhalten, allerdings bilde ich mir ein, dass mein Vater ihn für einen kurzen Augenblick erwidert hat, denn ich spürte seine Zunge in meinem Mund. Hitze steigt in mir auf. Ich kann nicht glauben, von diesen Berührungen meines Körpers und dem Kuss erregt worden zu sein. Ob mein Vater nur aus moralischen Gründen nicht mit mir schläft? Heftig schüttele ich meinen Kopf, in der Hoffnung, diese absurden Gedanken loszuwerden, aber ich komme von der Vorstellung, meinen Vater in mir zu spüren, nicht los. Ob es sich anders anfühlt als bei meinen Freiern? Ich schlage mir selbst derb ins Gesicht. Irgendwie muss ich mich abkühlen, wieder zur Vernunft kommen. Eilig laufe ich zu meinem Tisch und nehme Zigaretten sowie Feuerzeug an mich, bevor ich mein Zimmer verlasse. Als ich an der Küche vorbeikomme, sehe ich meinen Vater, der mit gesenktem Kopf und darüber verschränkten Armen am Tisch sitzt. Vor ihm steht ein Glas, zu einem Viertel gefüllt mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Ein derartiges Bild bot sich mir in der letzten Zeit nur allzu oft, allerdings mit Taichi. Welch Ironie, dass ich unlängst sämtlichen Hausbestand an Alkohol in der Küchenspüle entsorgt habe. Verzweifelt wende ich meinen Blick ab und ziehe meine Schuhe an. „Yamato, wohin willst du?“, höre ich meinen Vater fragen. „Raus. Ich brauche frische Luft.“ Ich nehme meinen Schlüssel von der Kommode. „Keine Sorge, zu unserem gemeinsamen Abendessen bin ich wieder da.“ Die Worte kommen abfälliger als gewollt über meine Lippen. Ich verlasse die Wohnung, ohne meinen Vater noch einmal anzusehen. Zu groß ist meine Scham bezüglich dessen, was zwischen uns passiert ist. Dazu darf es nicht noch einmal kommen. Völlig aufgewühlt laufe ich zur U-Bahn-Station, um mir in Shibuya Ernüchterung zu holen. Ich sitze meinem Vater gegenüber am Küchentisch und stochere angeekelt in meinem Curry herum. „Iss, Yamato“, befiehlt dieser mir streng. Gewaltsam zwinge ich mich ein paar Löffel Reis zu mir zu nehmen, wobei ich gegen die aufkommende Übelkeit ankämpfen muss. Stets habe ich das Gefühl, die Nahrung würde beim Kauen immer mehr im Mund werden. Zu jeder Mahlzeit ist es die gleiche leidige Diskussion. Meinen Einwand, ich hätte keinen Hunger, akzeptiert mein Vater nicht mehr. An einem solchen Punkt waren wir schon einmal. Damals kontrollierte er mein Essverhalten, nachdem ich von ihm in ein Krankenhaus eingewiesen und dort einige Tage zwangsernährt worden war. Doch es dauerte nicht lange, bis die alten Muster sich einschlichen und alles wie zuvor ablief. Mein Vater machte den Fehler, nicht konsequent genug zu sein, welchen er dieses Mal jedoch nicht zu wiederholen scheint. Er lässt keine Nachsicht mehr walten. „Wo warst du eigentlich?“, unterbricht er meine Gedanken. Ich schaue auf, nur um meine Aufmerksamkeit erneut auf meinen Teller zu richten, da ich merke, wie mir die Röte beim Anblick meines Vaters ins Gesicht steigt. „Ich musste den Kopf freibekommen.“ Dass ich mich statt von ihm ersatzweise von einem anderen habe ficken lassen, verschweige ich. Vor allem, weil mein Vater in dem Glauben ist, ich würde meinen Körper nicht mehr verkaufen. Ich will ihn nicht schon wieder enttäuschen, er darf es nicht erfahren. Auch kann ich nicht abschätzen, wie er reagieren würde, wenn er es herausfände. „Yamato, du warst über drei Stunden weg. Was hast du in dieser Zeit gemacht?“ Seine Frage ist eindringlich und vermittelt mir die paranoide Vorstellung, dass er genau weiß, auf welche Weise ich mir Erleichterung verschafft habe. „Ich bin durch die Stadt gelaufen.“ Wie immer versuche ich mich an Halbwahrheiten zu halten. „Willst du mir wirklich weismachen, dass du freiwillig zur Hauptverkehrszeit durch die Stadt gelaufen bist? Hör auf zu lügen, Yamato.“ Mein Vater klingt leicht verärgert. Lustlos vermische ich den Reis auf meinen Teller mit dem Curry. „Ich war bei meinem Freund, zufrieden?“ Allmählich bin ich genervt. „Antworte mir nicht auf so patzige Art“, werde ich von meinem Gegenüber ermahnt. Verwundert schaue ich auf und blicke meinen Vater an. Selten erlebe ich ihn derart angespannt und gereizt wie in diesem Moment. „Hast du schlechte Laune?“, frage ich ganz direkt. Dann legt sich ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. „Oder willst du mir mit deinem Verhalten, vornehmlich durch Zurechtweisungen, deutlich machen, dass du mein Vater bist? Keine Sorge, einen solchen Übergriff wie vorhin in meinem Zimmer wird es meinerseits nicht mehr geben.“ Ein merkwürdiges Gefühl ergreift bei diesen Worten Besitz von mir. Auch das Gesicht meines Vaters nimmt einen seltsamen Ausdruck an, welchen zu deuten ich nicht in der Lage bin. „Mein Freund kommt nachher noch und schläft heute hier“, versuche ich das Thema zu wechseln, da es sehr offensichtlich uns beiden unangenehm ist. Jedoch vernehme ich nur ein Nicken meines Gegenübers. Schweigend isst er den Rest seines Currys. Ich blicke auf meinen Teller. Nicht einmal die Hälfte habe ich bisher zu mir genommen. Widerwillig zwinge ich das verbleibende Essen in mich hinein. Ich spüre, wie jemand von hinten an mich herantritt und seine Arme um mich legt. „Yamato, dreh dich nicht um“, raunt die Person in mein Ohr, dessen Stimme ich als die meines Vaters identifiziere. Langsam öffnet er jeden einzelnen Knopf meines Hemdes, welches er anschließend zärtlich von meinen Schultern streift. Mit seiner Zunge liebkost er meine Halsbeuge, während er mit seinen Fingern meine Hose öffnet. Die Berührungen meines Vaters erregen mich unbeschreiblich stark, sodass ich mich leicht an ihn lehne und ihn uneingeschränkt gewähren lasse. Mit seiner Hand gleitet er in meine Shorts und beginnt mich zu stimulieren. „Dein Körper reagiert ziemlich heftig auf mich. Liegt das daran, dass Sex zwischen Vater und Sohn ein Tabu in unserer Gesellschaft ist?“ „Ich weiß es nicht.“ Meine Atmung geht schwer. Hin und wieder entweicht meiner Kehle ein leichtes Stöhnen. „Ich möchte mehr von deiner Stimme hören. Hemmungslos und lüstern.“ Heiß spüre ich den Atem meines Vaters auf der Haut, als er mir diese Worte zuflüstert. Meine Beine geben nach, als ich durch die Hand meines Vaters zur Ekstase gebracht werde. Wir sinken in die Knie und er löst sich von mir. „Leg dich hin, Yamato“, fordert mein Vater mich auf. Beiläufig wischt er seine von meinem Sperma beschmutzte Hand an seinem Hemd ab, welches er gleich darauf auszieht. Anschließend streift er mir die Hose von meinen Beinen. „Sie sind so dünn.“ Mit seinen Fingern gleitet er sinnlich die Innenseite meiner Oberschenkel entlang. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und bäume mich lustvoll auf. Am Rand meiner Wahrnehmung registriere ich, dass mein Vater sich seiner Hose entledigt. Dann greift er nach meinen Fußknöcheln und winkelt meine Beine an, bevor er sie weit auseinanderdrückt. „Bist du sicher, dass du das willst, Yamato? Immerhin bist du mein Sohn. Soll ich wirklich in dich eindringen?“ „Ja, Papa. Ich will dich in mir spüren. Bitte nimm mich.“ Mein Körper und meine Stimme zittern vor Erregung. Behutsam hebt mein Vater mein Becken etwas an, um einfacher und tiefer in mich eindringen zu können. Ich spüre einen leichten Schmerz, als er sich langsam in mich stößt und dann beginnt mich mit rhythmischen Bewegungen zu penetrieren. Es ist ein seltsames, aber unbeschreiblich erregendes Gefühl, meinen Vater in mir zu spüren. „Papa, sei nicht so zaghaft“, keuche ich. „Du bist extrem zierlich. Dich so unter mir liegen zu sehen und in dir zu sein lassen noch mehr den Anschein erwecken, dass du jeden Moment zerbrechen könntest. Ich liebe dich, mein Sohn, und will dir nicht wehtun.“ „Ich liebe dich auch. Genau aus diesem Grund will ich dich noch intensiver fühlen. Ich brauche den Schmerz. Bitte, Papa. Nimm mich härter. Stoß dich tief und kraftvoll in mich. Keine Angst, ich werde daran nicht zerbrechen.“ Ich lächle. Mein Vater packt mich fest an den Hüften und kommt meinem Wunsch nach. Heftige Schmerzen, ausgehend von meinem Unterleib, durchziehen meinen Körper und treiben meine Lust weiter an. Ich vernehme meine eigene Stimme in Form von Stöhnen, begehrlich nach mehr verlangend. Sehnsuchtsvoll hebe ich meine Hand, um das verschwitzte und dadurch noch anziehender wirkende Gesicht meines Vaters zu berühren. Ich greife ins Nichts. Als ich meine Augen öffne, umgibt mich Dunkelheit. Meine Atmung ist stockend, mein Herz schlägt schnell und mein Körper ist schweißnass. Völlig durcheinander blicke ich starr zur Decke. „Hast du schlecht geträumt?“ Mein Mitschüler dreht sich zu mir um und legt seine Hand auf meinen Brustkorb, der sich hektisch hebt und senkt. „Dein Körper reagiert ziemlich heftig.“ Er setzt sich auf und streicht durch mein feuchtes Haar. „Ich habe mit meinem Vater geschlafen“, sage ich abwesend. „Träumst du oft solche seltsamen Sachen?“ Die Belustigung meines Freundes ist deutlich hörbar. „Heute Nachmittag habe ich ihn geküsst und seine Hand zwischen meine Beine geführt.“ „Tatsächlich?“ Mein Klassenkamerad klingt interessiert. „War der Traum dann so etwas wie eine unbefriedigte Sehnsucht?“ Einen Moment schweige ich. Noch immer spielt mein Freund mit seinen Fingern in meinem Haar. „Vielleicht.“ Das laute Lachen meines Mitschülers erfüllt mein Zimmer. Er beugt sich zu mir und küsst mich. „Du bist wirklich pervers, Yamato. Dass du von deinem Vater gefickt werden willst, hätte selbst ich dir nicht zugetraut.“ „Ich verstehe es selbst nicht“, entgegne ich leise. Mit seiner Hand gleitet mein Freund unter die Bettdecke. „Dachte ich es mir doch. Du hast einen Ständer. Soll ich dir Abhilfe verschaffen? Stell dir einfach vor, ich bin dein Vater.“ „Stört dich das gar nicht? Ebenso wenn ich mich von Freiern vögeln lasse?“ „Ich kann nicht sagen, dass ich es toll finde, aber ich kenne deine Beweggründe. Zudem habe ich keinen Grund, auf diese alten Säcke eifersüchtig zu sein. Nur deinen Drogenkonsum, besonders in diesem Zusammenhang, akzeptiere ich nicht, aber das weißt du.“ Ich ziehe meinen Klassenkameraden zu mir und lecke mit meiner Zunge über seine Lippen. Schnell intensiviert sich der Kuss. „Es ist praktisch, nackt zu schlafen“, flüstert mein Freund mir lüstern ins Ohr, während er sich zwischen meinen Beinen positioniert, die ich zuvor bereitwillig gespreizt habe. Ohne zu zögern dringt er hart in mich ein und stößt sich immer wieder tief und schmerzhaft in mich. Ich schließe meine Augen. Die Realität verschwimmt und es fällt mir schwer, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Ich liege auf meinem Bett und beobachte meinen Klassenkameraden, der neben mir sitzt und in ein Buch vertieft ist. „Was wirst du eigentlich nach der Schule tun?“, frage ich beiläufig. „Ich werde die Aufnahmeprüfung für die Todai machen, um an der rechtswissenschaftlichen Fakultät Jura zu studieren“, antwortet er ohne aufzusehen. „Ein hohes Ziel hast du dir damit gesteckt.“ „Keines, das ich nicht erreichen könnte. Ich denke, ich bin intelligent genug, um an dieser Universität meine Ausbildung zum Anwalt zu absolvieren.“ „Warum gerade dieser Beruf?“ Mein Freund legt das Buch beiseite und sieht mich lächelnd an. „Wo sonst lernt man die menschlichen Abgründe besser kennen, außer in der Psychologie oder Psychiatrie? Und davon halte ich nichts. Zudem habe ich kein Interesse daran, den Menschen zu helfen, mit ihnen über ihre Probleme zu reden und irgendwelche sinnlosen Vereinbarungen zu treffen. In der Strafverteidigung hingegen besteht die Möglichkeit, einen Menschen, von dessen Unschuld man selbst nicht überzeugt ist, vor einer Strafe zu bewahren. Somit ist es eine Arbeit gegen die Gesellschaft. Ich will den Menschen anhand des Rechtssystems einen Spiegel vorhalten, damit sie endlich ihr hässliches Gesicht betrachten können. Ihre grenzenlose Selbstsucht, Selbstherrlichkeit sowie Selbstgerechtigkeit und es wird niemals enden, bis der letzte elendig verreckt ist. Warum sollte man diesen Prozess nicht etwas beschleunigen und den Verbrechern für ihre Dienste der Minimalisierung entgegenkommen, ihnen Straffreiheit anbieten?“ „Nur wirst du allein nicht viel ausrichten können.“ Sanft lasse ich meine Finger über das Bein meines Mitschülers gleiten. „Das muss ich auch nicht. Ich will kein Held oder Antiheld sein. Letztlich möchte auch ich nur meinen Spaß haben, solange ich lebe, und dabei ist mir egal, wer darunter leiden muss.“ „Du bist wirklich eiskalt. Aber genau das erregt mich.“ Ich streiche über die Innenseite seiner Oberschenkel, richte mich auf und setze mich rittlings auf seinen Schoß. Fordernd küsse ich den Hals meines Freundes, während ich begierig die Knöpfe seines Hemdes öffne und mit meinen Händen über die Haut seines nackten Oberkörpers streiche. Ich spüre, dass mein Klassenkamerad kurz davor ist, sich fallenzulassen, greift dann jedoch in meinen Nacken und flüstert mir ins Ohr: „Du stehst nicht nur auf Inzest und hast eine Art Elektrakomplex, du bist auch leicht nymphomanisch veranlagt.“ Obszön leckt er über meine Wange. „Mich erregt deine frivole Art. Zieh dich aus.“ Ich komme seiner Aufforderung nach und stelle fest, dass auch er sich entkleidet. Dann nimmt er wieder seine an die Wand gelehnte Position auf meinem Bett ein. „Blas mir einen.“ Ich setze mich neben ihn auf die Matratze und beuge mich hinab. Hinter meine Ohren streife ich die störenden Haare, anschließend entlocke ich meinem Freund durch die Fertigkeiten meiner Lippen und meiner Zunge einige Seufzer und leises Stöhnen. Grob zieht er meinen Kopf an den Haaren nach oben. „Es reicht. Setz dich auf mich. Ich will, dass du mich reitest.“ Ich verwickle ihn in einen stürmischen Zungenkuss, wobei ich meine Beine spreize und sie zu beiden Seiten meines Mitschülers platziere. Als ich mich auf seinen Schoß hinab senke, lasse ich ihn langsam in mich eindringen. Rhythmisch beginne ich mich zu bewegen. Im Laufe der Zeit habe ich jegliches Schamgefühl abgelegt und führe die geforderten Stellungen ohne zu Zögern oder Widerstand zu leisten durch. „Du bist so eine billige kleine Hure, Yamato. Bewege dich noch etwas lasziver, wenn du schon bereitwillig alles tust, was ich verlange“, keucht mein Klassenkamerad und umfasst meine Hüften, um die Stärke seiner Stöße besser dirigieren und tiefer in mich eindringen zu können. Durch die plötzliche Zunahme an Intensität entweicht lautes Stöhnen meiner Kehle. Aber auch die Atmung meines Freundes beschleunigt sich und geht stoßweise. Er gräbt seine Fingernägel tief in meinen Rücken und kratzt über meine Haut. Ich bäume mich leicht auf, indem ich meine Wirbelsäule durchdrücke. Ungewohnt zärtlich streicht mein Klassenkamerad über meinen Brustkorb. „Du bist unbeschreiblich schön, Yamato. Ich liebe dich.“ Ein wenig irritiert aufgrund seines Gebarens halte ich kurz inne. Liebevoll lächle ich ihn an und beuge mich vor, um ihn zu küssen. Er geht zunächst verlangend darauf ein, dann umfasst er meine Taille und hebt mich sachte von sich herunter. Sogleich drängt er sich zwischen meine Beine und stößt sich gewohnt schmerzhaft in mich. Schnell und kraftvoll bewegt er sich in mir. Mich seinem Rhythmus anzupassen fällt mir nicht schwer. Unsere Körper sind erhitzt und schweißbenetzt, ebenso wie unsere Haare feucht an unseren Köpfen kleben. Es wirkt unglaublich anziehend auf mich, meinen Mitschüler derart leidenschaftlich und lustbetont zu sehen. Ich schließe die Augen und gebe mich meinem Freund ganz hin. „Von wem lässt du dich gerade ficken? Einem deiner Freier, deinem Vater oder doch Taichi? Sieh mich an, Yamato, und sag mir, wessen Schwanz du gerade in dir spürst.“ Traurig öffne ich meine Augen wieder und blicke direkt in sein Gesicht. „Ich schlafe im Moment mit meinem Freund. Mit dir.“ Ohne ein weiteres Wort zieht sich mein Mitschüler aus mir zurück und lässt sich erschöpft neben mir auf die Matratze fallen. Ich drehe mich zu ihm und streife vorsichtig seinen Arm. „Was ist los?“, frage ich besorgt, da sein derzeitiges Verhalten für ihn ungewohnt und untypisch ist. „Schon gut. Es ist alles okay.“ Ich weiß, dass er lügt, schweige jedoch. Stattdessen lege ich meine Hand auf seinen Brustkorb, der sich noch immer schnell hebt und senkt, auch sein Herzschlag ist beschleunigt. Ich schmiege mich an ihn, suche seine Nähe. Unerwartet lässt er es geschehen. Schweißgebadet wache ich auf. Für einen Moment fehlt mir jegliche Orientierung, doch dann erkenne ich mein Zimmer. Es ist dunkel, sodass ich nur die Konturen der Möbelstücke ausmachen kann. Müde setze ich mich auf. Noch immer verspüre ich ein seltsames Gefühl, obwohl ich keinerlei Erinnerung an das eben Geträumte habe. Allmählich beginne ich zu frieren, da der Schweiß auf meiner Haut meinen Körper langsam auskühlt. Ich stehe auf und streife mir ein Hemd über, welches ich nicht zuknöpfe. Aus einem Schubfach nehme ich eine Unterhose, die ich ebenfalls anziehe. Dann verlasse ich mein Zimmer. Aus dem Wohnzimmer fällt das Flirren des Fernsehers in den Flur und erhellt ihn ein wenig. Ich lenke meine Schritte in diese Richtung, obwohl ich eigentlich vorhatte ins Bad zu gehen. Als ich zur Tür hereinschaue, erblicke ich meinen Vater. Er sitzt, aufgrund der Wärme nur mit Shorts bekleidet, auf dem Sofa, seine Aufmerksamkeit offenbar dem Bildschirm zugewandt. Vor ihm auf dem Tisch liegt eine angebrochene Tafel Matchaschokolade. Ich trete näher an meinen Vater heran, um zu sehen, ob er tatsächlich wach ist oder schläft, dabei mustern meine Augen den nackten, auf mich anziehend wirkenden Oberkörper. „Kannst du nicht schlafen?“, fragt er unerwartet, sodass ich leicht zusammenzucke. Er dreht seinen Kopf in meine Richtung und mustert mich kurz, bevor er mir direkt in die Augen sieht. „Nicht so richtig.“ Mein Vater macht eine einladende Geste, indem er mit seiner Hand auf das Sitzpolster klopft. „Setz dich.“ Zögernd komme ich seiner Aufforderung nach. Das Nachtprogramm zeigt wieder eine dieser überdrehten, niveaulosen TV-Shows, in denen sich Menschen freiwillig zum Gespött machen, nur um Aufmerksamkeit zu erhalten. Dabei ist ihnen kein Verhalten und keine Äußerung zu peinlich. „Die Sommerferien sind vorbei. Morgen beginnt die Schule wieder. Versprich mir bitte, dass du ab jetzt regelmäßig zum Unterricht erscheinst und keine Fehlzeiten mehr riskierst. Andernfalls setzt du deinen Schulabschluss ernsthaft aufs Spiel.“ „Ja, Papa“, sage ich abwesend und starre wie hypnotisiert auf die bunte Flitterwelt im Fernseher, eine erdachte Realität, um der eigentlichen Wirklichkeit, dem eigenen Leben für einen kurzen Augenblick falschen Glücks zu entkommen. „Yamato, ich meine es ernst. Sieh mich an.“ Ich drehe mich zu ihm und blicke direkt in seine Augen, die mit den dunklen Augenringen einen erschöpften Eindruck meines Vaters hinterlassen. Sanft nimmt er mein Gesicht zwischen seine Hände, um zu verhindern, dass ich mich wieder abwende. „Manchmal glaube ich, dir ist der Ernst deiner Lage nicht bewusst. Jener besagte Vorfall und deine Uneinsichtigkeit haben deine Situation nicht gerade begünstigt. Dein Direktor sagte mir damals am Telefon ganz deutlich, dass er keine Nachsicht mehr walten lassen darf, wenn noch einmal so etwas vorkommen sollte, und dich der Schule verweisen muss.“ Mein Vater löst eine seiner Hände von meinem Gesicht, streift über meine Wange und eine Haarsträhne hinter mein Ohr. „Reiß dich zusammen, Yamato. Hast du verstanden? Keine sexuellen Handlungen in der Schule, keine Rebellion, keine unentschuldigten Fehlzeiten.“ Ich nicke und schließe für einen Moment die Augen, um die zärtlichen Berührungen meines Vaters in mich aufzunehmen. Dann umgreife ich seine Handgelenke mit einigem Druck. Sofort lässt er mit einem erschreckten Blick von mir ab. Ich lächle. „Schon gut. Keine Sorge, Papa. Ich habe verstanden.“ Anschließend richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Fernseher, ohne wirklich zu registrieren, was ich sehe. Eine nervöse Unruhe hat von mir Besitz ergriffen, als mein Vater mich berührte. Mein Herz schlägt schnell. Ich sollte aufstehen und das Zimmer verlassen, dennoch bleibe ich reglos sitzen. „Deine Beziehung scheint gut zu funktionieren“, höre ich meinen Vater sagen. „Was meinst du?“, frage ich unsicher. „Ihr habt euch doch in den Ferien fast jeden Tag gesehen und dein Freund hat auch oft hier übernachtet. Er scheint dir gut zu tun, aber glücklich wirkst du auf mich dennoch nicht. Deine Augen sind die meiste Zeit leer, dein Blick leblos und deine Handlungen wirken mechanisch. Ich mache mir Sorgen, Yamato. Liebst du diesen Jungen eigentlich?“ „Ja“, antworte ich ohne zu zögern. „Ich liebe ihn.“ „Wenn du das so emotionslos sagst, klingt es nicht sehr überzeugend.“ Beschützend legt mein Vater einen Arm um meine Schulter und zieht mich zu sich heran. Ohne Widerwille lasse ich es geschehen. Fest drückt mein Vater meinen Körper an sich. Ich habe nicht gelogen, die Gefühle für meinen Klassenkameraden sind inzwischen tatsächlich sehr intensiv, nur werde ich nie das für ihn empfinden, was ich für Taichi empfinde. Diese Gedanken und Gefühle Tai betreffend versuche ich zu töten, indem ich mich vollkommen auf meinen Mitschüler einlasse. Seine abgebrühte, eiskalte Persönlichkeit hat mich von Anfang an fasziniert. Mich erregte sein brutaler Umgang mit mir, diese absolute Skrupellosigkeit. Auch beim Sex kennt er keine Kompromisse und vor allem kaum Zärtlichkeit. Ich liebe es, von ihm ausdauernd schmerzhaft gefickt zu werden, aber er behält dabei immer die Kontrolle. Generell scheint er wahnsinnige Angst davor zu haben, sich fallenzulassen. Mir ist bewusst, dass diese Beziehung von vielfacher Seite einseitig ist. Wir bauen auf Sand. „Du bist so schweigsam. Habe ich also recht?“ Ich zucke leicht zusammen, als mein Vater mich mit seinen Worten gewaltsam aus meinen Gedanken reißt. Einem plötzlichen Impuls und dem unbändigen Bedürfnis nach Nähe folgend dränge ich mich dichter an den Körper meines Vaters. „Papa, ich liebe dich“, flüstere ich mit schwacher Stimme. Ich zittere leicht, woraufhin mein Vater seine Umarmung verstärkt. „Ich liebe dich auch, mein Sohn.“ Beruhigend streichelt er meinen Kopf und küsst meine Stirn. „Du bist für mich das Wichtigste in meinem Leben, deshalb will ich, dass es dir gut geht.“ Seine Stimme klingt unglaublich sanft. Ich spüre, wie das Kribbeln in meinem Inneren immer intensiver wird. „Bleibst du in Japan oder musst du zurück nach Berlin?“, frage ich mit unverkennbarer Angst vor der Antwort. „Vorerst bleibe ich hier. Ich hatte nach meinem Urlaub mit dem Sender gesprochen. Der Kollege, der hier meine Arbeit übernommen hat, würde mich bis Ende des Jahres in Berlin vertreten. Ich mache solange wieder meinen alten Job.“ „Aber du wirst definitiv zurückgehen“, vergewissere ich mich. Liebevoll lässt mein Vater seine Hand über meinen Rücken gleiten. „Ja“, ist das Einzige, das er antwortet. Meine Kehle schnürt sich schmerzhaft zu und Tränen brennen in meinen Augen. Ich fahre mit meinen Fingern den Brustkorb meines Vaters entlang nach oben zu seinem Hals. Vorsichtig richte ich mich etwas auf, ohne mich aus der Umarmung zu lösen und setze mich mit gespreizten Beinen auf den Schoß meines Vaters. Meinen Vater beobachtend lasse ich mein Hemd von den Schultern gleiten. Seine Augen haften an den Narben, die meinen Oberkörper zieren. Unsicher und mit beschleunigter Atmung zeichnet er einige dieser Male zitternd nach, dann sieht er mich mit schmerzlicher Zuneigung an. Bevor er auf die Idee kommt, mich abzuweisen, schlinge ich meine Arme um seinen Hals, hauche ihm einen Kuss auf die Wange und berühre mit meinem Gesicht seine Schulter, wobei ich seine Haut mit Tränen benetze. „Bitte, lass mich nicht allein! Noch einmal ertrage ich das nicht!“ Ich beginne heftig zu weinen. „Ohne dich und Taichi sterbe ich wirklich.“ Kapitel 18: ------------ Ich sitze auf dem Boden in meinem Zimmer und betrachte die bräunlich verfärbte Stelle vor mir auf dem Teppich. Sachte berühre ich mit meinen Fingern Taichis längst eingetrocknetes Blut. Ist es ihm wirklich nicht möglich, mich aufgrund dieser von mir zugefügten Narbe zu vergessen? Oder handelt es sich nur um Wunschdenken meinerseits? Habe ich ernsthaft geglaubt, ich könnte Tai auf diese Weise an mich binden? Letztlich war es doch ganz leicht für ihn, sich von mir zu lösen. Aber wenn er nicht auf Männer steht, warum hat er sich jemals auf mich eingelassen? Warum erzählte er seinen Eltern nicht von dem Übergriff und zeigte mich an, nachdem ich ihn das erste Mal genommen hatte? Aus Scham? Oder Angst? So wirkte er nicht. Er wollte Rache, dessen bin ich mir mittlerweile sicher, indem er das Spiel mitspielte. Ich war bloß zu dumm nicht zu bemerken, dass es ein Spiel nach seinen Regeln war. Nur leider ging seine Strategie nicht ganz auf. Ich hätte sterben sollen, als er mich fallenließ. Das wollte ich auch, allerdings schaffe ich es noch nicht, mich zu töten. Ich stehe auf und setze mich an meinen Schreibtisch. Konzentriert schreibe ich ein paar Gedanken auf. Ich habe eine Melodie im Kopf, die ich vor einiger Zeit komponiert habe, zu der aber noch kein Text existiert. Damals hatte ich ein wenig mit verschiedenen Stilen experimentiert, wodurch das ganze am Ende einen für mich ungewohnten, neuartigen Klang erhielt. Die Worte, welche ich nun zu Papier bringe, würden gut mit der Melodie funktionieren, da sie in einer Sprache formuliert sind, die das Gefühl, welches das Lied vermitteln soll, noch unterstreicht. Ich versuche die Gedanken auf dem Blatt etwas zu ordnen, in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen, um sie dann an die Musik und deren Rhythmus anpassen zu können. Seufzend stelle ich fest, dass ich ohne Gitarre nicht weit komme. Ich ziehe eines der Schubfächer auf, krame nach dem Notenblatt mit der Melodie und erhebe mich, um die Gitarre zu holen. Leise spiele ich die Melodie, um mir ihren exakten Verlauf wieder ins Gedächtnis zu rufen. Dann stelle ich das Instrument beiseite und verlasse mein Zimmer, um mir eine Tasse Kaffee zu holen. Während das Wasser durch die Maschine läuft, schaue ich aus dem Küchenfenster. Aus Taichi werde ich nicht schlau. Warum hat er mich damals mit diesem Stock krankenhausreif gefickt, und zwar auf sehr brutale Art und Weise, wenn er, sobald ich entlassen wurde, nahezu wortlos die Beziehung zu mir beendete? Wollte er mir seine Macht über mich demonstrieren, mir noch einmal verdeutlichen, was er von mir hält? Mich demütigen? Das Geräusch des Schlüssels im Schloss der Wohnungstür holt mich aus meinen Gedanken. Ich drehe mich um und betrachte meinen Vater, der gerade dabei ist, seine Schuhe auszuziehen. „Hallo, Papa.“ „Oh, Yamato. Du bist zu Hause? Wolltest du heute nach dem Unterricht nicht zu deinem Freund gehen?“, fragt mein Vater irritiert, während er die Küche betritt und zwei Tassen aus dem Schrank holt. „Ja, eigentlich schon. Aber es gibt Probleme mit seiner Mutter. Ich weiß nichts Genaues, aber er wollte nicht, dass ich zu ihm komme. Vielleicht sehen wir uns aber heute Abend noch kurz.“ Ich gehe ein paar Schritte auf meinen Vater zu und bleibe dicht vor ihm stehen. Besorgt hebe ich meine Hand zu seinem Gesicht und streiche mit meinem Daumen über die Hautpartie unter seinem Auge. „Du siehst müde und erschöpft aus.“ Mit meiner anderen Hand streiche ich ihm von der Schläfe beginnend durch die kurzen Haare. „Yamato, hör auf damit.“ Der Blick, mit dem mein Vater mich ansieht, ist streng. „Ich mache mir Sorgen, ist das falsch?“, frage ich geradezu unschuldig. „Du weißt, was ich meine. Was sollen diese Annährungsversuche? Ich bin dein Vater, verstehst du das nicht? Ich werde mich nicht an meinem eigenen Sohn vergreifen.“ „Du vergreifst dich nicht an mir, da ich freiwillig mit dir schlafen will.“ Ich lege meine linke Hand auf den Brustkorb meines Vaters, schlinge die rechte um seine Hüfte und lehne mich Halt suchend bei ihm an, meinen Kopf auf seine Schulter stützend. „Warum bist du so moralisch? Inzest ist in Japan nicht einmal verboten.“ „Yamato…“ Sehr einfühlsam versucht mein Vater mich von sich zu schieben, woraufhin ich meinen Körper dichter an den seinen presse. „Warum hast du mich letzte Nacht nicht abgewiesen?“ „Ehrlich gesagt hat mich der Anblick deiner Narben ziemlich erschüttert.“ Ich spüre, dass mein Vater mich mit seinen Armen schützend umhüllt. „Du wirktest so zerbrechlich, verloren und einsam.“ Er drückt mich stärker an sich. „Papa…“ Ich löse mich ein wenig von ihm. Aus traurigen Augen blicke ich ihn an. „Warum tut es nur so weh?“ Tränen laufen über mein Gesicht und ich senke beschämt meinen Kopf. Gefühlvoll berührt mein Gegenüber meine Wange, um die salzige Flüssigkeit von meiner Haut zu wischen. Hitze steigt in mir auf und ich verspüre eine leichte Nervosität. Es fällt mir schwer, mich gegen die Anziehung meines Vaters zu wehren, ebenso gegen das stärker werdende Verlangen, ihn intensiv zu spüren. „Es ist in Ordnung, Yamato. Zeig mir deine Trauer, deinen Schmerz und deine Tränen. Das bedeutet, dass du noch fühlst, dass deine leblosen Augen nicht die Endgültigkeit widerspiegeln.“ Während er spricht, haftet mein Blick unentwegt auf seinen Lippen. „Wenn du mich wirklich nicht willst, dann hör auf mich zu erregen!“ Meine Stimme ist lauter als beabsichtigt. Kopflos stoße ich meinen Vater von mir und verlasse eilig die Küche. Völlig außer Atem schließe ich die Badezimmertür hinter mir, lehne mich dagegen und lasse mich daran hinab sinken. Mein Brustkorb hebt und senkt sich schnell, mein Puls rast. Ich schließe die Augen und versuche mich zu beruhigen, doch verzweifelt muss ich feststellen, dass es mir nicht gelingt. Fahrig öffne ich meine Hose und gleite mit meiner Hand in meine Shorts. Mein Körper reagierte zu heftig auf meinen Vater, sodass es unvermeidlich ist, mir Abhilfe zu verschaffen. Es fällt mir schwer, das Stöhnen, während ich mir einen runterhole, zu unterdrücken. Ich stimuliere mich selbst bis zum Ende und betrachte anschließend meine Hand, an der mein eigenes Sperma klebt. Einen Moment bleibe ich noch atemlos auf den kühlen Fliesen sitzen, dann erhebe ich mich mit leicht wackeligen Beinen und wasche mir die Hände, dabei vermeide ich es, in den Spiegel zu sehen, anschließend säubere ich den Rest. In der Hoffnung, nicht auf meinen Vater zu treffen, verlasse ich rasch das Bad und gehe zurück in mein Zimmer. Mein Blick fällt sofort auf die Gitarre. Das unvollendete Lied kommt mir in den Sinn. Ich nehme auf meinem Schreibtischstuhl Platz. Als ich den Text begann, waren meine Gedanken bei Taichi. Plötzlich überkommt mich eine unbändige Wut. Auf ihn, auf meinen Vater und vor allem auf mich selbst. Diese versuche ich in die Komposition mit einfließen zu lassen. Moral und Gesellschaft machen das Leben so unglaublich schwer. Warum lassen sich die meisten davon beeinflussen oder sogar leiten? Warum fällt es den Menschen so schwer, sich einfach fallen zu lassen? Die Menschheit ist ohnehin verdorben und verlogen. Tai und mein Vater sind gut integriert, eben nicht anders. Ich hatte es gehofft, doch sie belehrten mich eines Besseren. Ich sinke mit dem Kopf auf die Tischplatte. Krampfartig zieht sich alles in mir zusammen und ich kann nicht aufhören zu weinen. Es tut weh, die Schmerzen sind mittlerweile beinahe unerträglich. Wie selbstverständlich öffne ich eine der Schubladen und hole das Fläschchen BDO aus einer kleinen Schachtel, die in der hinteren Ecke verstaut ist. Gierig lasse ich etliche Tropfen meine Zunge berühren, das unangenehme Brennen spüre ich kaum noch, zu sehr habe ich mich an dieses Gefühl gewöhnt. Ich dosiere die Droge höher als gewöhnlich, wenn ich der Realität entfliehen will, da ich weiß, dass es dennoch kein tödlicher Rausch sein wird. Ich schlage die Augen auf. Die Fasern des Teppichs berühren leicht die Haut meiner Hände und meines Gesichtes. Langsam registriere ich, dass ich auf dem Boden meines Zimmers liege. Es ist bereits dunkel, ich muss also einige Stunden ohne Bewusstsein gewesen sein. Mein Kopf fühlt sich an, als würde er jeden Moment zerspringen. Ich stütze mich auf meine Arme und erhebe mich langsam. Aus meinem Kleiderschrank hole ich eine Schachtel Schmerzmittel und setze mich damit auf mein Bett. Zittrig löse ich die Tabletten aus den Blisterpackungen, dann greife ich nach meiner Wasserflasche. Ich schraube sie auf, als es kurz an der Tür klopft und mein Vater gleich darauf in mein Zimmer schaut. Sein Blick fällt auf meine Hand, die mehrere der kleinen weißen Schmerzmittel umklammert hält. „Yamato?“ Er kommt zu mir ans Bett, nimmt die Medikamentenverpackung sowie einige der leeren Blisterverpackungen und betrachtet sie. „Gib mir die Tabletten, die du gerade schlucken willst“, fordert er mich mit ernster Miene auf. Ehe mein Vater reagieren kann, hebe ich meine Hand zum Mund und nehme die Schmerzmittel in mich auf. Sofort spüle ich sie mit Wasser herunter. Für diese Provokation erhalte ich eine schmerzhafte Ohrfeige. Wütend funkele ich meinen Vater an. „Komm schon, Papa. Schlag mich nochmal. Bestrafe mich für mein Fehlverhalten.“ „Bekommst du eigentlich mit, was du von dir gibst?“ Er schaut zur Seite und seine Augen bleiben an etwas auf dem Boden haften. Ich folge seinem Blick. Wie gelähmt starre ich auf das Fläschchen BDO, welches ich nach dem Aufwachen achtlos habe liegen lassen. „Du schluckst nicht nur weiterhin Unmengen Tabletten, du dröhnst dich auch nach wie vor mit Drogen zu?“ Unsanft packt er mich an den Schultern und sieht mich eindringlich an. Herausfordernd lächle ich meinen Vater an. „Ja. Und ich lasse mich noch immer von älteren Männern vögeln. Der letzte Freier, der mich ausgiebig gefickt hat, war sogar nur ein Ersatz für dich.“ Bevor mein Vater auf meine Aussage reagieren kann, lege ich meine Hände in seinen Nacken, ziehe auf diese Weise seinen Kopf zu mir herunter und küsse ihn. Dabei lasse ich mich zurück auf das Laken sinken, sodass mein Vater mit seinem Körper über mir ist. Um das Gleichgewicht zu halten, stützt er seine Arme neben meinem Kopf auf der Matratze ab, sein Knie spüre ich zwischen meinen Beinen. Verlangend zwinge ich meinem Vater meine Zunge auf, während ich mit einer Hand seine Hose öffne und meine Finger in seine Shorts gleiten lasse. Stark werde ich an einer Schulter auf das Laken gedrückt, als er sich resolut von dem Kuss löst und meiner Hand in seinem Schritt Einhalt gebietet. „Yamato, hör endlich auf mit dem Unsinn! Ich verstehe deine Verzweiflung bezüglich der Trennung von Taichi, du bist durcheinander, in deiner Gefühlswelt herrscht Chaos, aber ich werde deinem Begehren nicht nachgeben. Glaub mir, eigentlich willst du nicht mit mir schlafen und du würdest es bereuen, falls es doch passieren sollte. Sei vernünftig, mein Sohn.“ „Du weist mich also ab, weil du mich schützen willst? Zumindest entnehme ich das deinen Worten. Dein Verhalten lässt aber mehr vermuten oder ist es Einbildung meinerseits, dass du neulich wie heute deine Zunge behutsam, aber dennoch sehnsuchtsvoll in meinen Mund geschoben, den Kuss also verhalten erwidert hast? Warum wehrst du dich so sehr gegen deine Gelüste?“ Liebevoll schaue ich meinen Vater an. „Komm, nimm mich. Keine Angst, ich mache doch aus freien Stücken meine Beine für dich breit“, flüstere ich mittlerweile sehr erregt und um meiner Aussage Nachdruck zu verleihen, spreize ich meine Beine soweit es mir in meiner Position möglich ist. Entsetzt lässt mein Vater von mir ab. Von oben herab betrachtet er meinen Körper, der sich ihm lasziv darbietet. „Du benimmst dich wie ein kleines billiges Flittchen.“ Trotz seiner Aussage registriere ich eine leicht beschleunigte Atmung bei meinem Vater. Ohne ein weiteres Wort wendet er sich ab und verlässt mein Zimmer. Für einen Moment bleibe ich reglos liegen, dann schlage ich die Hände vor mein Gesicht und beginne laut zu lachen. Warum passiert das alles? Warum habe ich solche Gefühle für meinen Vater? Es ist keine Liebe, wie ich sie für Taichi empfinde, auch die Zuneigung zu meinem Klassenkameraden ist anders, dennoch gehen meine Gefühle weit über die eines Sohnes für seinen Vater hinaus. Ich begehre ihn, will seine Liebe in mir spüren, aber auch von ihm begehrt werden. Seine körperliche Nähe, seine Berührungen erregen mich unerträglich und seine geringe Gegenwehr zeigt mir, dass auch er auf mich reagiert. Ich setze mich auf und atme tief durch. Angestrengt versuche ich meine Erektion niederzukämpfen, um nicht wieder Hand an mich legen zu müssen. Hat mein Vater womöglich recht mit seiner Vermutung, dass ich die Trennung von Taichi nicht verkrafte und mich deshalb so verhalte? Ich schüttle meinen Kopf. Diese Argumentation ist absurd. Ich stehe auf und gehe zu meinem Schreibtisch. Prüfend werfe ich einen Blick auf das Blatt mit dem Liedtext. Er ist noch nicht ganz fertig, dennoch greife ich zur Gitarre und nehme auf meinem Drehstuhl Platz. Ich möchte hören, wie die Worte mit der Musik harmonieren und ob ich dem Ganzen mit meiner Stimme den nötigen Ausdruck verleihen kann. Etwas nervös schlage ich die ersten Saiten an. Ich weiß du bist schlecht für mich Das lässt mich dich nur noch mehr wollen Ich werde alles tun Weil ich deine dreckige Hure bin Du hältst mich unter Kontrolle Und ich kann dem Tag nicht entgegensehen Du hältst mich gefesselt Und ich kann dem Kampf nicht entkommen Ich bin viel mehr als das Aber ich bedeute nicht viel Ich bedeute dir nichts Denn ich bin nur ein Fick Ich hätte die Dinge niemals glauben sollen die du sagtest Und alles was ich in mir fühlte ist tot Ich dachte ich würde etwas bedeuten Falsch gedacht ich bin ein wertvolles Nichts für dich Unentwegt verliere ich mein Gesicht seit ich ausgelöscht bin Willkommen im Strom Und verbreite die Krankheiten der heutigen Zeit Du kannst nicht die Freunde verlieren Die ihre Beine spreizen um dir zu gefallen Ich hätte niemals die Dinge glauben dürfen die du sagtest Und alles was ich nicht zu sein schaffte ist tot Etwas atemlos stelle ich die Gitarre auf den Boden. Das Lied ist aggressiver als meine bisherigen, weshalb ich mich beim Singen mehr verausgaben muss. Ich lehne mich zurück und schließe die Augen. Mein Puls schlägt schnell. Es tat gut, meine Emotionen auf diese Weise herauszulassen, doch nach wie vor fühle ich mich unendlich leer. „Was ist los mit dir?“, frage ich meinen Freund, während ich ihn, mit meinem Kopf auf seinem Schoß liegend, aufmerksam mustere. „Nichts“, antwortet er gedankenverloren. „So wirkst du nicht. Die ganze Zeit starrst du auf dein Buch, doch es scheint, als würdest du hindurchsehen. Du bist abwesend und schweigsam.“ „Es ist alles okay.“ Sanft streichelt er über meinen Kopf. Kurz genieße ich seine ungewohnt gefühlvolle Zuwendung und schließe meine Augen. Dann richte ich mich etwas auf und liebkose seine Lippen. „Normalerweise lässt du in der Art keine Zärtlichkeiten zu, da du sie nicht willst oder nichts damit anfangen kannst. Also, was ist passiert?“ Mein Mitschüler legt das Buch beiseite und blickt mich aus müden Augen an. Ich streiche über seine Schläfe. „Du siehst mitgenommen aus.“ Resolut und schmerzhaft packt er mich am Handgelenk. „Yamato, ich warne dich. Lass mich in Ruhe.“ Verwundert löse ich mich aus seinem Griff. Mein Freund klingt eher aufgewühlt als verärgert oder gereizt. „Also gut, ich hole uns erst einmal Kaffee.“ Beim Aufstehen lasse ich meine Hand über sein Bein gleiten, anschließend verlasse das Zimmer. Das Verhalten meines Klassenkameraden bereitet mir Sorgen, besonders die fehlende Arroganz und Überheblichkeit. Er wirkt in sich gekehrt, nachdenklich. In den letzten Tagen war seine Stimmung sehr instabil. Einerseits zog er mich an sich, suchte meine Nähe, war liebevoll, andererseits jedoch stieß er mich von sich oder war unglaublich brutal, nicht nur beim Sex. Hat er allmählich genug von mir? Will er mich verlassen? Während ich in der Küche darauf warte, dass der Kaffee durchläuft, sitze ich unruhig auf einem der Stühle am Esstisch. Ich muss es verhindern. Ihn auch noch zu verlieren würde ich nicht verkraften. Unbewusst bekomme ich mit, dass mein Vater, der wie immer in letzter Zeit bereits zu Hause ist, sein Zimmer verlässt und den Hörer des im Flur stehenden Telefons abhebt. Trotz der Vorkommnisse zwischen uns behandelt er mich nicht anders. Im Gegenteil, ich habe eher das Gefühl, er ist noch fürsorglicher, noch besorgter als sonst, weshalb er fortwährend versucht mich zu kontrollieren. Er kommt pünktlich von der Arbeit, um mich nicht zu lange allein zu lassen, ich muss ihm Rechenschaft über meinen Tagesablauf geben und wenn ich meinen Freund sehen will, muss er herkommen, ich darf nicht zu ihm. Mein Vater scheint sein Vertrauen in mich vollkommen verloren zu haben, was bei meinem Aussetzer neulich kein Wunder ist. Plötzlich dringt mein Unterbewusstsein zu mir durch. Habe ich vorhin nicht den Namen Taichi Yagami vernommen? Ich werde hellhörig. „Ah, ich verstehe.“ „Okay.“ „Es freut mich wirklich, dass du Fortschritte machst. Wie lange musst du noch in der Klinik bleiben?“ „Hm.“ „Ja, mach dir keine Gedanken, Taichi. Das Wichtigste ist, dass du deine Sucht langfristig in den Griff bekommst und es dir besser geht.“ „Yamato? Naja… es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Er ist wegen eurer Trennung ziemlich durcheinander und verliert gelegentlich die Kontrolle über sich.“ „Nein, Taichi. Ich denke nicht, dass er suizidal ist. Bitte kümmere dich jetzt erst einmal nur um dich. Ich passe schon auf Yamato auf.“ „Nein, er weiß nicht, dass ich Kontakt zu dir habe.“ „Ja.“ „Ähm… ja, er ist noch mit ihm zusammen.“ „Nein, einen schlechten Einfluss scheint er nicht zu haben. Ich glaube sogar, dass er Yamato ein Stück weit Halt gibt. Aber die offensichtliche Leere in Yamatos Inneren kann auch er nicht füllen.“ „Taichi, mach dir bitte keine Vorwürfe. Deine Entscheidung war richtig. Es war notwendig, so zu handeln, und das weißt du.“ „Ich verstehe dich ja, aber wirf nicht alles weg, was du bis jetzt erreicht hast.“ „Okay. Ich rufe dich dann im Laufe der Woche wieder an.“ „Ja. Gib auf dich Acht und verliere nicht den Mut.“ „Keine Sorge, das mache ich, Taichi.“ „Bis dann.“ Ein tiefer Seufzer kommt über die Lippen meines Vaters, als er den Hörer wieder auf das Telefon legt. Einen Moment scheint er zu verharre, dann setzt er sich in Bewegung. Kurz darauf höre ich, wie seine Zimmertür geöffnet und wieder geschlossen wird. Wie erstarrt sitze ich auf meinem Stuhl. Der Kaffee ist längst durchgelaufen, doch das interessiert mich nicht mehr. Vielmehr versuche ich verzweifelt mich nicht von meiner Eifersucht in den Wahnsinn treiben zu lassen. Taichi trennt sich von mir, hält aber weiterhin zu meinem Vater Kontakt. Und der sprach so vertraut und liebevoll mit Taichi, wie er kaum mit einer anderen Person spricht. Was für eine Beziehung haben die beiden zueinander? Ratlos und total aufgelöst verberge ich mein Gesicht in meinen Händen. Ich schaffe es nicht, meine Fassung zu wahren und beginne leise zu weinen. Nach einer Weile gelingt es mir, mich langsam zu beruhigen. Ich stehe auf und nehme zwei Tassen aus dem Schrank. In meiner Bewegung halte ich inne, betrachte das Porzellan und habe für einen Moment den Impuls, es auf dem Boden zu zerschmettern, um mir mit den Scherben die Pulsadern aufzuschneiden. Ich kämpfe gegen das Verlangen an und fülle die Tassen stattdessen mit Kaffee. Anschließend verlasse ich damit die Küche. Im Flur fällt mein Blick auf das Telefon. Bei dem Gedanken an Taichi und meinen Vater schnürt sich mir die Kehle zu. Umständlich öffne ich die Tür zu meinem Zimmer. Mein Freund befindet sich noch immer auf meinem Bett, nun allerdings seitlich in einer liegenden Position. Seine Atmung ist ruhig, er scheint zu schlafen. Ich stelle die Tassen auf meinem Schreibtisch ab und setze mich, sein Buch auf meinen Nachttisch legend, zu ihm ans Bett. Leicht streiche ich ihm ein paar seiner Haare aus dem hübschen Gesicht, dann küsse ich seine Stirn. „Du darfst mich nicht verlassen, hörst du?“ Meine zitternde Stimme ist nur ein Flüstern. „Ich liebe dich.“ „Du lernst?“ Ich wende mich von meinem Schreibtisch ab und meinem Freund zu, der gerade mein Zimmer betritt, und mustere ihn mit begehrlichen Blicken. Er ist nur mit einem Handtuch bekleidet, welches er um seine Hüften geschlungen hat, sein Körper schimmert feucht vom Duschen und Wasser perlt seine Haut hinab. Die Haare fallen ihm nass ins Gesicht und verleihen ihm ein noch verführerischeres Aussehen. Ich stehe auf, vor ihm bleibe ich stehen. Mit meinen Fingern streiche ich sinnlich über seinen Oberkörper. Ich umfasse seine Taille und ziehe ihn zu mir heran. Verlangend lecke ich über seine Lippen, verwickle meinen Freund in einen leidenschaftlichen Kuss. Dann wandere ich mit meinem Mund zu seinem Hals, über das Schlüsselbein, seinen Brustkorb entlang nach unten. Während ich meinen Mitschüler anschaue, gehe ich auf die Knie und löse das Handtuch von seinen Hüften. „Du bist wirklich eine nymphomanische kleine Hure. Wir hatten doch gerade erst Sex.“ Ich lächle ihn an und beginne ihm einen zu blasen. „Du frivoles Miststück“, stöhnt er erregt. „Du weißt, wie du mich an den Rand des Wahnsinns bringst.“ Von sexueller Lust getrieben, vergräbt er seine Hände in meinen Haaren. Kurz vor dem Abspritzen hält er meinen Kopf in seiner Position, sodass ich gezwungen bin sein Sperma zu schlucken. Dann lässt er von mir ab. Mit einem Gefühl des Ekels lasse ich mich auf den Boden sinken. Schwer atmend beugt sich mein Klassenkamerad zu mir, wischt mir mit dem Daumen über Mund und Kinn, bevor er mir einen Kuss auf die Stirn gibt. „Warum verhältst du dich bei sexuellen Handlungen eigentlich fast immer hörig? Es widert dich an, Sperma schlucken zu müssen, dennoch sagst du nichts. Vermutlich läuft es bei deinen Freiern nicht anders. Nutzt du das als eine Art selbstverletzendes Verhalten?“ „Interessiert es dich denn beziehungsweise würdest du Rücksicht nehmen, wenn ich dir mitteile, was ich nicht möchte?“ „Nein“, antwortet er ohne zu zögern. „Im Gegenteil, wenn du etwas nicht willst, verspüre ich erst recht den Drang, dich zu zwingen.“ Ich versuche zu lächeln, doch es gelingt mir nicht. Sehnsuchtsvoll lehne ich mich an meinen Freund. „Bitte halt mich fest.“ „Was ist los, Yamato?“, fragt er überrascht. „Seit wann bist du so liebesbedürftig?“ „Und seit wann lässt du Zärtlichkeiten zu? Warum kennst du in letzter Zeit nur die beiden Extreme, entweder du bist unglaublich liebevoll oder äußerst brutal.“ „Müsstest du damit nicht bestens klarkommen? Du selbst kennst doch nichts anderes.“ Ich presse meinen Körper dichter an seinen, streiche mit meinen Fingern sanft über die nackte Haut seines Oberkörpers. „Es ist etwas passiert, mit deiner Mutter, hab ich recht?“, äußere ich meine Vermutung verhalten. Unerwartet schließt mein Mitschüler mich in eine Umarmung. Diese Geste wirkt im Augenblick schrecklich haltlos und er selbst unglaublich jung. „Ja. Ich fand sie an dem Tag, als ich dir untersagte zu mir zu kommen, zugedröhnt zu Hause vor. Sie wollte sich gerade die Pulsadern aufschneiden. Jetzt ist sie wieder einmal in der Geschlossenen. Ich hoffe, dass sie diese lebensunfähige Schlampe nicht mehr herauslassen.“ „Trotz deiner harten Worte liebst du sie, sonst hättest du sie nicht davon abgehalten, oder?“ Als Antwort drückt er meinen Körper stärker an seinen. „Es tut weh, hab ich recht?“ Ich spüre das Zittern seines Körpers und begreife jetzt auch, warum er mich so fest umklammert hält. Er will nicht, dass ich seine Tränen sehe. „Bitte verlasse mich nicht“, flüstere ich schließlich, um ihn nicht durch unangenehmes Schweigen in Verlegenheit zu bringen. „Wie kommst du darauf, dass ich das tun könnte?“ „Ich weiß es nicht, ich habe einfach Angst davor. Was ist, wenn du genug von mir hast?“ „Yamato.“ Behutsam löst sich mein Freund von mir, nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und küsst meine Lippen. „Wie kommst du auf solche Ideen? Ich bin nicht Taichi.“ Er macht ein verärgertes Gesicht. Bei der Nennung von Tais Namen schnürt sich mir die Kehle zu. „Ich weiß“, sage ich mit belegter Stimme. „Ich werde auch nicht zulassen, dass du mich verlässt.“ „Warum bist du auf einmal so besessen von mir?“, fragt mein Klassenkamerad lachend. „Es ist keine reine Besessenheit, die ich empfinde. Ich liebe dich.“ Sein Lachen wandelt sich in ein mildes Lächeln. „Nein, Yamato. Was du fühlst, sind Einsamkeit und Verzweiflung.“ Ich drehe mich von meinem Freund weg, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. „Zieh dir bitte etwas an.“ „Wieso? Verlierst du ansonsten die Beherrschung?“ Ohne zu antworten stehe ich auf und setze mich zurück an meinen Schreibtisch. Hat er recht mit seiner Einschätzung meine Gefühle betreffend? Ich will nicht darüber nachdenken müssen. Ich will nichts mehr fühlen müssen. Die Beziehung zu meinem Freund ist viel zu emotional geworden. „Du hast recht. Meine Gefühle beziehen sich auf deine Brutalität und Skrupellosigkeit. Das kann man wohl kaum als Liebe bezeichnen.“ Emotionslos blicke ich zu ihm. „Gibst du mir, wonach ich verlange?“ Ein Grinsen legt sich auf die Lippen meines Mitschülers. „Ja.“ Er erhebt sich, geht zu meiner Zimmertür und dreht den Schlüssel im Schloss. Abwartend bleibe ich auf meinem Stuhl sitzen und schließe die Augen. Ich höre, dass mein Freund auf mich zukommt. Mit angespannter Erregung ersehne ich den süßen Schmerz, das einzige Gefühl, das ich ab jetzt noch zulassen werde. Ich sitze im Klassenzimmer an meinem Tisch und schaue abwesend aus dem Fenster. Die unterschiedlich grüngefärbten Blätter der Bäume wiegen sanft im Wind, der bei den sommerlichen Temperaturen für etwas Abkühlung sorgt. Ausnahmsweise bin ich heute eher als meine Klassenkameraden in der Schule, da ich mit meinem Freund vor Unterrichtsbeginn kurz reden will. Draußen ist es allerdings zu warm, um dort zu warten, weshalb ich entschied schon ins Innere des Gebäudes zu gehen. Ich verschränke meine Arme vor mir auf der Tischplatte und lasse meinen Kopf mit dem Gesicht nach unten darauf sinken. Mein gesamter Körper schmerzt, ich kann kaum sitzen, mich generell kaum bewegen, seit mein Klassenkamerad meiner Aufforderung gestern sehr gründlich nachgekommen ist. Die entstehenden Hämatome, die ich heute Morgen im Spiegel betrachtete, sprechen ihre eigene Sprache. Ich lächle. Es ist nicht nur das Körpergefühl, das er mir gibt, sondern auch die Art, ihn zu spüren, die ich liebe. Die Gedanken an meinen Freund beschleunigen meinen Herzschlag und lassen mich unerträgliche Zuneigung empfinden. Warum wird mir wieder schmerzlich bewusst, wie viel ich mittlerweile für ihn fühle, obwohl ich beschlossen habe, ihn nicht lieben zu wollen? Unterschwellig bekomme ich mit, wie die ersten meiner Mitschüler das Klassenzimmer betreten, sich laut unterhalten und nervig lachen. Ich schaue kurz auf, ob mein Freund inzwischen eingetroffen ist, denke aber, dass er in diesem Fall bereits zu mir gekommen wäre. Sein Platz ist nach wie vor leer. Als er sich gestern von mir verabschiedete, küsste er mich, lächelte und entschuldigte sich. Ich sah ihn verwundert an. Empfand er sein Verhalten als zu brutal? Seinen Blick in diesem Moment konnte ich die ganze Nacht nicht vergessen. Deshalb will ich ihn noch einmal darauf ansprechen. „Habt ihr schon gehört?“, vernehme ich das Tuscheln eines Mädchens in meiner Nähe. „Itami soll Selbstmord begangen haben.“ „Was? Akito? Das glaube ich nicht“, entgegnet ein anderes. „Er wurde angeblich bei sich zu Hause gefunden, mit aufgeschnittenen Pulsadern. Als die Rettungskräfte eintrafen, war er scheinbar bereits verblutet.“ Ich habe das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, als mir der Inhalt der eben vernommenen Worte bewusst wird. Ungehalten und mit Tränen in den Augen springe ich auf. „Warum erzählt ihr solch einen Unsinn?“, schreie ich so laut, dass sich alle im Raum befindlichen Personen zu mir umdrehen. „Akito würde sich nicht einfach töten! Er würde mich nicht allein lassen! Das hat er mir gestern erst gesagt!“ Hart packe ich eines der Mädchen am Kragen. „Ishida, beruhige dich“, versucht ein Junge aus meiner Klasse Zugang zu mir zu finden. „Nein, lass deine dreckigen Finger von mir! Warum erzählt ihr solche Lügen?“ Ich stoße meinen Gegenüber brutal beiseite. Andere kommen ihm zu Hilfe, einige versuchen mich festzuhalten. Ich wehre mich heftig, schlage und trete nach ihnen. Mein Kopf ist vollkommen leer, ausschließlich der Schmerz lässt mich handeln. Plötzlich werde ich kraftvoll von hinten gepackt und nahezu bewegungsunfähig gemacht. „Yamato, es wird gleich besser werden“, höre ich meinen Lehrer sagen. Die Schulärztin, die offenbar mit meinem Lehrer zusammen benachrichtigt wurde, injiziert mir eine durchsichtige Flüssigkeit und streicht mir dann liebevoll durch die Haare. „Hab keine Angst. Das ist nur ein Beruhigungsmittel“, sagt sie mit sanfter Stimme. Ich spüre, wie mein Körper schwerer und mein Bewusstsein träger werden. Meine Gegenwehr lässt nach. „Können Sie ihn ins Krankenzimmer tragen?“, richtet sie ihre Frage an meinen Lehrer. Vorsichtig hebt er mich auf seine Arme. Tränen laufen über meine Wangen. „Akito ist nicht tot. Er ist mein Freund, er muss am Leben sein. Niemals würde er mich verlassen. Das hat er mir versprochen.“ Meine Stimme ist schwach und kaum hörbar. „Warum sagen Sie denn nichts?“ Mein Lehrer drückt mich stärker an sich, während er mit mir den Flur entlang Richtung Krankenzimmer läuft. „Doch, Yamato. Akito Itami ist tot. Es tut mir leid.“ „Er hatte einen Nervenzusammenbruch, Herr Ishida. Ich musste ihm ein starkes Beruhigungsmittel spritzen, um ihn ruhigzustellen. Er schläft jetzt.“ Gedämpft und weit entfernt höre ich die Stimme einer Frau. „Wissen Sie, was passiert ist, warum er diesen extremen Aussetzer hatte?“ „Ein Mitschüler von ihm hat Selbstmord begangen. Akito Itami. Ihr Sohn soll eng mit ihm befreundet gewesen sein.“ „Akito ist tot?“, fragt mein Vater schockiert. „Papa?“, flüstere ich. „Warum bist du hier?“ Langsam öffne ich meine Augen und schaue zu ihm. Er sitzt neben dem Bett, auf dem ich liege, ihm gegenüber hat die Schulärztin Platz genommen. Beide richten ihre Blicke auf mich. „Yamato, du bist wach?“ Mein Vater klingt besorgt. Die Ärztin steht auf und kommt zu mir. „Wie geht es dir?“ „Mir ist schlecht und ein wenig schwindelig“, antworte ich benommen. „Kann ich bitte ein Schmerzmittel bekommen? In meinem Kopf pulsiert es unangenehm schmerzhaft.“ „Natürlich, einen Moment.“ „Nein“, sagt mein Vater milde und hält sie damit zurück. „Eine einzelne Tablette würde bei ihm nicht anschlagen, also kann er auch ganz verzichten.“ Die Ärztin wirkt irritiert, betrachtet mich eingehend, schweigt aber zu diesem Sachverhalt. Ich habe Schwierigkeiten, meine Augen offen zu halten, immer wieder fallen sie mir zu und der Schlaf droht mich erneut zu überwältigen. „Herr Ishida, ich würde Ihnen empfehlen, wenn es von Ihren Arbeitszeiten her möglich ist, Ihren Sohn mit nach Hause zu nehmen. Dem Unterricht kann er jedenfalls nicht mehr beiwohnen.“ „Ja, natürlich. Ich würde ihn jetzt ohnehin nicht allein lassen.“ Mit deutlicher Angst in den Augen sieht mein Vater mich an. „Kannst du alleine laufen, Yamato?“ Ich nicke schwach. Mühsam richte ich mich auf. Als ich jedoch einige Schritte laufen möchte, knicken mir die Beine weg, sodass mein Vater mich stützen muss. „Ich trage dich besser zum Auto.“ Er nimmt meine Schultasche, gibt sie mir in die Hand und hebt mich vorsichtig hoch. „Ich gebe Ihnen noch ein starkes Beruhigungsmittel mit. Ich denke, Sie werden es brauchen.“ „Vielen Dank“, höre ich meinen Vater sagen, bevor ich schließlich in die Bewusstlosigkeit abgleite. Reglos starre ich an die Decke meines Zimmers. Meine Augen brennen von den Tränen, die ich krampfhaft zu unterdrücken versuche, und der Druck in meinem Kopf ist inzwischen unerträglich. Immer wieder sage ich mir in Gedanken, dass Akito tot ist. Welch Ironie, dass mein eigener Freund Selbstmord begangen hat. Ich lache laut auf. Bis zum Schluss hat er sich mir nicht vollständig geöffnet, konnte sich nicht fallen lassen. Nach außen wollte er stark sein, doch bei genauerem Hinsehen schimmerten seine Labilität und Verletzlichkeit durch. Schmerzliche Zuneigung durchströmt meinen Körper. Ich drehe mich auf die Seite und krümme mich zitternd zusammen. Erneut sage ich mir gedanklich, dass mein Freund nicht mehr lebt. Diese Tatsache kommt mir so irreal vor, aber ich bin mir sicher, dass ich weder träume noch Wahnvorstellungen habe. Doch kann ich mir da wirklich sicher sein? Nur entfernt bekomme ich mit, dass die Tür zu meinem Zimmer geöffnet wird. „Yamato, du bist wach?“ Mein Vater setzt sich zu mir ans Bett und lässt seine Hand über meine Schulter gleiten. „Wie geht es dir?“ Ich schaue ihn an, doch Tränen verschleiern meine Sicht. „Ich weiß es nicht.“ Meine Stimme versagt, sodass die Worte nur geflüstert über meine Lippen kommen. „Weißt du, zum ersten Mal wünsche ich mir krank zu sein, dass das hier alles nicht passiert, sondern ich fantasiere, psychotisch bin.“ Ich lege meinen Kopf auf die Beine meines Vaters. „Weine, Yamato. Davon wird zwar nichts ungeschehen, aber vielleicht hilft es dir, damit fertigzuwerden.“ Meine Finger krallen sich im Stoff der Hose meines Vaters fest. Ich schaffe es nicht länger, meine Tränen zurückzuhalten, und ergebe mich einem heftigen Weinkrampf. Beruhigend streichelt mir mein Vater über den Rücken. Allmählich spüre ich, dass ich keine Luft mehr bekomme, meine Brust und Kehle sind wie zugeschnürt und meine Atmung ist unkontrolliert. Entschlossen, aber leicht panisch hebt mein Vater mich aus dem Bett und trägt mich in die Küche. Dort lässt er mich auf einen der Stühle sinken. „Yamato, bitte halte dich einen Moment an der Lehne fest, damit du nicht herunterfällst“, redet mein Vater auf mich ein, bevor er mich loslässt und sich einem der Küchenschränke zuwendet. Sofort sacke ich schluchzend in mich zusammen. Mein Körper zuckt unkontrolliert, ich verliere das Gleichgewicht und schlage hart auf dem Küchenboden auf. Mit meinen Fingern kratze ich verzweifelt über die Fliesen, bleibe an den Fugen hängen und versuche meine Nägel darin zu vergraben, um ein wenig Halt zu finden. „Verdammt“, flucht mein Vater. Er stellt ein Glas Wasser sowie eine Medikamentenschachtel auf den Tisch. Dann beugt er sich zu mir hinab und greift mir unter die Arme, um mich aufzurichten. Meine Trauer wandelt sich in Aggression, ich schlage um mich, schreie, werde hysterisch. Nur mit Schwierigkeiten und unter Gewaltanwendung gelingt es meinem Vater, Kontrolle über mich zu bekommen. Meinen Körper von hinten umklammernd zieht er mich nach oben, setzt sich auf den Stuhl und mich auf seinen Schoß, wobei er einem Arm fest um meine Taille schlingt. Mit dem anderen entnimmt er umständlich eine Tablette aus der Verpackung. „Yamato, hörst du mich?“ Ich vernehme seine Stimme dicht an meinem Ohr. Unter Tränen und mit stockendem Atem nicke ich kaum merklich. „Hier. Das ist ein Sedativum.“ Er führt seine Hand mit der Tablette zu meinem Mund. „Mach den Mund auf.“ Dankbar komme ich seiner Aufforderung nach. Ich sehne mich nach Ruhe, Bewusstlosigkeit, Realitätsflucht. Mein Vater muss verzweifelt sein, da er zu Maßnahmen greift, die er bei mir eigentlich absolut unterbinden will. Er reicht mir das Glas Wasser. Ich nehme es entgegen, doch das Zittern meines Körpers erschwert mir die Flüssigkeit zu meinen Lippen zu führen. Fürsorglich umschließt mein Vater meine Hand mit seiner eigenen und hilft mir beim Trinken. Nachdem ich das Beruhigungsmittel geschluckt und das Glas geleert habe, stellt er es zurück auf den Tisch und hält mich liebvolle, aber meiner Bewegungsfreiheit beraubend in seinen Armen. „Danke, Papa“, flüstere ich erschöpft, als ich merke, dass die Wirkung allmählich einsetzt. Meine Gegenwehr lässt nach, meine Muskeln entspannen sich langsam und ich werde ruhiger. Dennoch hält mein Vater mich weiterhin stark an sich gedrückt. Müdigkeit legt sich über meinen Körper. „Ich bringe dich in dein Bett.“ Voller Sorge und Zuneigung trägt er mich in mein Zimmer zurück und legt mich behutsam auf die Matratze. Liebevoll deckt er mich zu, dann haucht er mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich wünschte, ich könnte etwas für dich tun, dir helfen, deinen Schmerz zu überwinden.“ „Ich liebe dich, Papa“, sage ich leise, bevor mir die Augen zufallen. „Yamato… ich liebe dich auch. So sehr.“ Die Worte meines Vaters höre ich nur noch am Rande meiner Wahrnehmung, bemerke aber, dass seine Stimme zittert. Kurz darauf kommt die ersehnt Erlösung in Form eines langen, traumlosen Schlafes. Ich sitze meinem Vater gegenüber am Küchentisch und zwinge mich die letzten Reste des von ihm vorgesetzten Frühstücks hinunterzuwürgen. Noch immer hält er an seiner Bedingung fest, das Essen gemeinsam einzunehmen, wobei er bestimmt, was und wie viel ich zu essen habe. Es ist unangenehm, aber ihm zuliebe füge ich mich, indem ich seiner Forderung diesbezüglich widerstandslos nachkomme. „Bist du sicher, dass du zur Schule gehen willst?“, fragt mein Vater besorgt. Ich schaue ihn an. „Ja, was soll ich sonst tun? Ich kann mir weitere Fehlzeiten nicht leisten, wenn ich einen Schulabschluss bekommen möchte. Das weißt du so gut wie ich.“ „Das stimmt schon, aber…“ „Es ist okay, Papa. Mach dir keine Sorgen“, sage ich mit einem Lächeln. Mein Gegenüber sieht mich an, als würden ihm gerade mein Verhalten und meine Worte Sorgen bereiten. „Ich muss jetzt los, sonst komme ich zu spät.“ Hastig stehe ich auf, hole meine Schultasche, ziehe Jacke und Schuhe an und nehme meinen Schlüssel von der Kommode. „Warte, ich fahre dich.“ „Nein. Du musst gleich zur Arbeit. Ich gehe allein.“ Einen Moment betrachte ich meinen Vater liebevoll. „Bis dann“, verabschiede ich mich schließlich und verlasse die Wohnung. Mit einem beklemmenden Gefühl betrete ich das Klassenzimmer. Ich spüre, dass ich von meinen Mitschülern beobachtet werde, als ich durch die Reihen zu meinem Platz laufe. Mein Weg führt mich direkt an Akitos Tisch vorbei, auf welchem die obligatorische Vase weißer Blumen steht. Ich werfe einen kurzen Blick darauf, doch der Schmerz lässt mich schnell weitergehen. Tief durchatmend sinke ich auf meinen Stuhl und schließe die Augen. Aus verschiedenen Richtungen höre ich Getuschel. Glauben diese hirnlosen Idioten wirklich, ich würde nicht mitbekommen, dass sie über mich, mein Verhältnis zu Akito und meine heftige Reaktion auf dessen Tod reden? Mein Freund würde mir jetzt in seiner typisch kühlen Art sagen, wie stumpfsinnig und primitiv Menschen sind und dass anhand solcher Ereignisse hervorragend ihre Sensationsgeilheit zu erkennen ist, dass sie sich am Leid anderer erfreuen, jedoch behaupten, sie würden den Betroffenen helfen, damit es ihnen besser geht. Letztlich wollen sie sich allerdings nur in ihrer eigenen Großartigkeit baden. Diese Heuchelei mit den Blumen ist der beste Beweis. Ich öffne meine Augen und schaue zu dem Stuhl, auf dem mein Freund jetzt sitzen müsste. Er wird leer bleiben. Für den Rest des Schuljahres. Niemand wird seinen Platz einnehmen. Meine Augen brennen und ich wende meinen Blick ab. Ich kann nicht glauben, dass er wirklich tot ist. Ich will es nicht glauben. Vielleicht träume ich. Vielleicht ist dieser Traum nur unglaublich realistisch. Oder ich habe meinen Verstand tatsächlich verloren und bin in einer Wahnvorstellung gefangen. Aber was nützt es, wenn ich nicht wieder aufwache? In diesem Fall hätte ich meinen Freund so oder so verloren. Befinde ich mich womöglich bereits seit längerem nicht mehr in der Wirklichkeit? Ist das mit Taichi ebenfalls nie passiert? Wann habe ich aufgehört in der normalen Welt zu leben? Ich muss aufwachen, dann wird alles gut. Und um aufzuwachen, muss ich sterben. Das Ertönen der Schulglocke lässt mich heftig zusammenzucken. Irritiert schaue ich wieder zu dem leeren Platz. Meine Sicht verschwimmt. Wie kann es sein, dass dieser Schmerz sich so real anfühlt? Es ist warm. Viel zu warm. Einmal mehr wird mir bewusst, wie sehr ich den Sommer hasse, wobei es sich genau genommen bereits um den Spätsommer handelt. Zum Glück ist mein Weg von der Schule nach Hause nicht allzu weit. Tag für Tag schleppe ich mich zum Unterricht, wobei ich jedoch nur anwesend, aber nicht wirklich da bin. Akito ist noch immer Gesprächsthema Nummer eins, was es mir nicht unbedingt leichter macht, meine Zeit in dieser verkommenen Gesellschaft abzusitzen. Diese ignoranten Arschlöcher haben überhaupt nicht das Recht, über Akito und sein Leben zu spekulieren. Niemand von denen kannte ihn auch nur ansatzweise. Selbst ich nicht. Aber ich weiß, dass er nicht so war, wie er in der Öffentlichkeit vorgab zu sein. Seine eiskalte, skrupellose Seite kannte so gut wie keiner, abgesehen von seinem besten Freund, den er anfangs immer dabei hatte, wenn er seine Gewaltfantasien an mir auslebte. Dennoch drängte sich mir immer das Gefühl auf, die beiden wären zu unterschiedlich, um sich wirklich gut zu verstehen. Schon allein vom Intellekt her. Ich bin zudem der Meinung, die Freundschaft der beiden löste sich allmählich auf, je enger Akitos Beziehung zu mir wurde. Mit dem Schlüssel öffne ich die Tür des Wohnhauses und steige mühsam die Treppen zur vierten Etage hinauf. Vor einer Woche beging mein Freund Selbstmord, in ein paar Tagen ist die Beerdigung. Man sagt, dass durch das Begräbnis die Realisierung sowie die Verarbeitung und vor allem der Abschied leichter fallen sollen. Aber will ich das überhaupt? Will ich wahrhaben, dass ich ihn nie wiedersehe? Erneut drängt sich mir der Gedanke mit der anderen Realität oder des Traums auf. Welche Wahrheit ist die richtige? Abwesend öffne ich die Wohnungstür, gehe hinein und lasse sie hinter mir ins Schloss fallen. Langsam ziehe ich die Klinge mit mäßigem Druck immer wieder durch meine Haut. Dunkelrotes Blut läuft aus den wenige Millimeter auseinanderklaffenden Wunden über meinen Arm und tropft auf die kühlen Fliesen des Badezimmers. Es ist unbeschreiblich, diese Art von Gefühl, diesen Schmerz wieder zu spüren. Zu lange habe ich darauf verzichtet, zu lange musste ich Tag für Tag gegen diesen Drang ankämpfen. Jetzt will ich nichts anderes mehr, als dem nachgeben. Ich genieße es regelrecht. Zudem hält der Schmerz mich am Leben. Erneut schneide ich mit der Rasierklinge durch mein Fleisch. Zufrieden betrachte ich die entstandene, etwas tiefere Wunde. Ich lächle und setze das kleine Metall noch einmal an. Es kommt mir so vor, als würde ich aus einer langen Apathie erwachen. „Yamato, warum sitzt du im Dunkeln?“, fragt mein Vater mit sanfter Stimme, als er die Tür zu meinem Zimmer öffnet und mich reglos auf meinem Bett sitzen sieht. „Bitte schalte das Licht nicht an“, entgegne ich ihm ruhig. „Und schließe die Tür, diese künstliche Helligkeit aus dem Flur tut in meinen Augen weh.“ Stillschweigend kommt mein Vater meiner Aufforderung nach. Er setzt sich neben mich und legt mir seine Hand auf den Oberschenkel. „Morgen ist die Beerdigung“, beginnt er einfühlsam. „Ich habe bereits mit deinem Direktor gesprochen, er meinte, der Unterricht würde für deine Klasse morgen ausfallen, da sie geschlossen von Akito Abschied nehmen wollen.“ Einen Moment herrscht betretene Stille. „Ich werde nicht hingehen“, verkünde ich meine Entscheidung, wobei meine Worte beim Aussprechen beinahe absterben. Der Druck der Hand auf meinem Bein verstärkt sich. „Bist du sicher, dass du das willst?“ „Ja, ich verabschiede mich nicht von ihm, denn dann würde ich akzeptieren, dass er tot ist.“ Bestürzt packt mein Vater mich an den Schultern und zieht mich zu sich herum. „Yamato, Akito ist tot.“ „Das musst du sagen, da du Teil einer Wahnvorstellung oder eines Traumes bist.“ „Was? Glaubst du das wirklich?“ Ich schaue in das entsetzte Gesicht meines Vaters. „Ich weiß es nicht. Aber würdest du in der Wirklichkeit etwas mit Taichi anfangen?“ „Wie kommst du auf solche Gedanken? Natürlich nicht.“ Erleichtert lächle ich meinen Gegenüber an. „Akito lebt also noch.“ Tränen laufen meine Wangen hinab. „Yamato.“ Hilflos und sichtlich verwirrt nimmt mein Vater mich in den Arm. „Das hier ist die Realität.“ „Tatsächlich?“ Ich drücke meinen Vater nach hinten auf die Matratze und setze mich mit gespreizten Beinen auf seine Oberschenkel. Meine Haare hinter das Ohr streichend beuge ich mich zu ihm hinab. „Warum vögelst du dann meinen Taichi? Hat er vielleicht sogar deinetwegen die Beziehung zu mir beendet? Ist das wirklich die Realität?“ „Nein, weil ich noch nie mit Taichi geschlafen habe und es mit Sicherheit auch nie tun werde.“ „Also doch eine Wahnvorstellung meinerseits.“ Auf meiner Haut spüre ich den warmen, etwas beschleunigten Atem meines Vaters. Die Stellung, in der ich mich mit ihm befinde, erregt mich. „Ja, das ist bedenklich und bereitet mir ziemliche Sorgen.“ „Wieso? Weil du wieder einmal denkst, ich verliere meinen Verstand?“ „Ehrlich gesagt, ja. Der Tod deines Freundes Akito hat dich mehr aus der Bahn geworfen, als es nach außen den Anschein erweckt. Dabei hätte es mir auffallen müssen. Du warst viel zu ruhig, zu gefasst. Bitte, Yamato, lass dir wenigstens von mir helfen, anstatt dich in irgendwelche Fantasien zu flüchten.“ „Ich brauche keine Hilfe. Es ist doch alles in Ordnung.“ Vorsichtig versucht mein Vater sich aufzustemmen und sich seiner Position zu entziehen, indem er seinen Arm um meine Taille legt, um mich von seinem Schoß zu heben. Unter Kraftaufwand drücke ich ihn zurück auf das Laken, wobei ich mit nach unten sinke, da er mich noch immer umschlungen hält. Sanft küsse ich seine Lippen, lecke verlangend darüber. Mit meiner Hand gleite ich zu seiner Hose und löse den Knopf. Den aufkommenden Protest meines Vaters nutze ich, um ihm beim Öffnen seines Mundes einen Zungenkuss aufzuzwingen. Ich schiebe meine Finger in seine Unterhose und beginne damit, meinem Vater einen runterzuholen, doch er drückt mich sofort von sich und zieht meine Hand aus seinem Schritt zurück. „Warum fängst du schon wieder mit diesem absurden Verhalten an?“ Verzweifelt blickt mein Vater mir in die Augen. „Ich verstehe nicht, warum du mit Tai ins Bett gehst, aber nicht mit mir schlafen willst. Am Alter kann es nicht liegen. Bin ich dir so zuwider oder willst du es nicht, weil ich dein Sohn bin?“ „Noch einmal, wie kommst du darauf, dass ich mit Taichi Sex habe? Das ist für mich völlig undenkbar.“ Kurzentschlossen stehe ich auf und entkleide mich vollständig. „Du findest mich abstoßend, oder?“ Mein Vater steht ebenfalls auf und stellt sich direkt vor mich. Behutsam berührt er den Verband an meinem linken Arm. „Du hast dich wieder geschnitten“, stellt er traurig fest. Statt zu antworten, ergreife ich seine andere Hand und führe sie zwischen meine Beine. „Spürst du, wie sehr du mich erregst, Papa? Bitte nimm mich. Mach dir keine Gedanken, es ist ohnehin nicht real. Wir können unsere Fantasien ungehemmt ausleben.“ Erneut küsse ich meinen Vater. Zu meiner Überraschung erwidert er diesmal das Zungenspiel in sehr fordernder Weise. Dabei drängt er mich rückwärts, bis ich gegen den Kleiderschrank stoße. Mit seinem Körper presst er mich stark dagegen, meine Handgelenke hält er schmerzhaft fest umschlossen. „Fühlt sich das für dich nicht real an?“ Schwer atmend sieht mein Vater mich an. „Bitte, Yamato. Verliere dich nicht in irgendwelchen wahnhaften Vorstellungen, gib dich ihnen nicht freiwillig hin. Du fliehst vor einer Wahrheit, die du nicht akzeptieren möchtest.“ „Nein, du irrst dich. Woher willst du wissen, dass du recht hast, dass das hier tatsächlich die Wirklichkeit ist? Du kannst es nicht wissen. Aber wir können es herausfinden.“ „Wie soll das funktionieren?“ Mein Vater blickt mich sichtlich verwirrt an. „Indem wir uns töten. Aus Träumen erwacht man, indem man stirbt. Lass es uns ausprobieren.“ Ich lächle. Seufzend lässt mein Gegenüber mich los und setzt sich zurück auf mein Bett. Sein Gesicht vergräbt er in seinen Händen. „Was soll ich tun, Yamato. Dich einweisen lassen? Aber ich denke, du weißt ganz genau, dass deine Äußerungen nur Wunschvorstellungen sind. Du bist überfordert von der Situation, weißt nicht, wie du mit deinem Schmerz umgehen sollst, er ist zu stark, um erträglich zu sein, hab ich recht?“ „Geh bitte“, fordere ich meinen Vater tonlos auf. „Yamato…“ „Geh!“, schreie ich ihn nun an. Schweigend erhebt er sich und kommt auf mich zu. Er nimmt mich in den Arm, doch ich stoße ihn derb von mir. „Fass mich nicht an! Geh einfach!“ Schmerzlich betrachtet mich mein Vater, dann wendet er sich ab. Bevor er geht, zieht er den Schlüssel aus dem Schloss meiner Zimmertür und nimmt ihn an sich. Wie ferngesteuert ziehe ich meine Kleidung wieder an. Ich setze mich auf das Sofa und starre ins Nichts. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. Akito fand es belustigend, dass ich das Verlangen verspüre, mich von meinem Vater ficken zu lassen. Er meinte, er sei gespannt, ob ich ihn dazu bringen würde, mit seinem eigenen Sohn zu schlafen. Dann lachte er und versicherte mir, dass ich es schaffen werde. Er behält recht. Ich stehe auf und hole das Fläschchen BDO aus der Jackentasche meiner Schuljacke, die ich beim Nachhausekommen achtlos über die Stuhllehne geworfen habe. Anschließend verlasse ich mein Zimmer und gehe in die Küche. Dabei registriere ich, dass im Wohnzimmer der Fernseher läuft und mein Vater sich somit vermutlich dort aufhält. Ich öffne den Kühlschrank und entnehme eine Packung Orangensaft. Wenn mein Vater genügend Zuneigung für mich empfindet, dürfte die enthemmende Wirkung seine letzten Bedenken beseitigen, sodass er sich seinem unterdrückten Verlangen hingibt. Ich fülle zwei Gläser mit dem Fruchtsaft, in eines der beiden tropfe ich etwas BDO. Ich dosiere die Droge etwas höher, als ich sie benötigen würde, wenn ich eine aphrodisierende Wirkung erzielen möchte, da mein Vater eine kräftigere Statur als ich besitzt. Die kühlen Getränke in den Händen tragend gehe ich durch den Flur ins Wohnzimmer. „Hier, ich habe dir ein Glas kalten Orangensaft mitgebracht. Ich denke, es ist eine angenehme Erfrischung bei der Wärme.“ Ohne meinen Vater anzusehen, stelle ich sein Glas vor ihn auf den Tisch. „Wenn du allerdings nicht möchtest, lass ihn einfach stehen.“ Verwundert blickt mein Vater zu mir. „Danke.“ Ich nehme neben ihm Platz und trinke einen Schluck, dabei schaue ich auf den flimmernden Bildschirm. „Ist bei dir alles okay?“, fragt mein Vater skeptisch. Ich nicke leicht. „Wir sollten dennoch reden. Über die Vorkommnisse der letzten Zeit.“ „Ja“, lenke ich tonlos ein. Seufzend beugt mein Vater sich vor und greift nach seinem Saftglas. Nachdem er einen großen Schluck genommen hat, behält er das Getränk in der Hand. „Dann beginnen wir mit unserer Beziehung.“ Herausfordernd schaue ich zu ihm. „Yamato…“, setzt er an, doch ich unterbreche meinen Vater. „Fühlst du dich zu mir hingezogen?“ Er sieht mich nicht an, stattdessen trinkt er verlegen seinen Orangensaft. „Natürlich liebe ich dich. Du bist schließlich mein Sohn.“ „Ist das nicht nur eine Ausrede für dich? Hast du dir schon einmal vorgestellt mit mir zu schlafen?“ Nun sieht mein Vater mich ernst an. „Ich stehe nicht auf Männer, Yamato.“ Geduldig lächle ich ihn an. „Das war nicht meine Frage.“ Aufmerksam wende ich mich meinen Vater zu, welcher gerade den letzten Rest seines Saftes trinkt. Ich nehme ihm das Glas aus der Hand und stelle es, ebenso wie mein eigenes, auf den Tisch. „Warum hast du mich vorhin geküsst?“ „Das war eine Kurzschlussreaktion. Yamato, ich weiß nicht, was ich noch machen soll. Mit deiner krampfhaften Realitätsflucht machst du dich langsam kaputt. Ich kann und will dir dabei nicht mehr zuschauen.“ Bei den Worten meines Vaters schleicht sich erneut ein Lächeln auf meine Lippen. „Und du glaubst mich mit deiner Zunge zur Vernunft bringen zu können?“ „Nein. Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Es wird aber definitiv nicht wieder vorkommen.“ „Wieso, ich fand es schön. Ich möchte dich noch viel mehr, viel intensiver spüren.“ Anzüglich streiche ich die Oberschenkelinnenseite meines Vaters hinauf. Sein leichtes Zusammenzucken, als ich in seinen Schritt greife, und sein erregter Gesichtsausdruck sind Anzeichen, dass die Droge ihre Wirkung bereits entfaltet. „Yamato, lass es! Nimm deine Hand weg“, presst er, mich zurechtweisend, hervor. „Warum? Offensichtlich lässt dich unser Körperkontakt nicht kalt.“ Zärtlich berühre ich mit meiner freien Hand seine Wange. „Hab keine Angst. Du musst dich nicht zurückhalten. Es ist okay.“ Ich führe seine Hand an meine Lippen und hauche einen Kuss auf seinen Handballen. „Yamato, ich…“ „Shh.“ Sanft bringe ich ihn mit meiner Zunge zum Schweigen, wobei ich mich rittlings auf seinen Schoß setze. Mit meinen Fingern öffne ich Knopf für Knopf sein Hemd. Es fühlt sich unglaublich intensiv an, wie mein Vater den Kuss erwidert. Leidenschaftlich und zugleich fordernd. Abrupt beendet er dieses Zungenspiel jedoch wieder. Schwer atmend sieht er mich an. Einen kurzen Augenblick habe ich das Gefühl, mein Vater will mir etwas sagen. Doch letztlich schweigt er, macht sich stattdessen an meinem Hemd zu schaffen und steift es mir behutsam von den Schultern. Ich wage den erneuten Versuch eines Kusses, auf den mein Vater sich auch dieses Mal einlässt. Ohne seine Lippen von meinen zu lösen, umfängt er meinen Körper und bringt ihn unter sich auf dem Sofa zum Liegen. Automatisch spreize ich meine Beine ein wenig, um meinem Vater das Ausziehen meiner Hose zu erleichtern. Nachdem er sie geöffnet hat, unterbricht er den Kuss. Seine Atmung ist deutlich beschleunigt. Ich hebe meinen Arm und lege meine Hand auf seinen sich schnell hebenden und senkenden Brustkorb. „Ich verstehe das nicht“, flüstert mein Vater. „Du bist mein Sohn. Wieso schaffe ich es plötzlich nicht mehr, mich zurückzuhalten?“ Seine Augen fixieren mich mit einem merkwürdigen Ausdruck. „Bedeutet das, wenn ich nicht dein Sohn wäre, wärst du schon längst auf meine Annährungen eingegangen und hättest mit mir geschlafen?“ „Nein“, antwortet er, während er mich meiner Beinbekleidung entledigt. Ich richte mich auf und ziehe meinem Vater das Hemd aus, wobei ich sinnlich über seinen Oberkörper streiche. Zärtlich hauche ich Küsse darauf und lecke mit meiner Zunge begierig über seine Haut. Mein Vater greift etwas grob in meine Haare und zieht meinen Kopf zurück. „Nein, Yamato! Ich bitte dich!“ Seine Stimme klingt ungewohnt heiser. „Aber es scheint dir zu gefallen“, entgegne ich unschuldig. Ich beuge mich vor. „Du bist erregt, Papa“, raune ich in sein Ohr. Ihn genau beobachtend öffne ich seine Hose. Hastig versucht mein Vater sich mir zu entziehen, indem er vom Sofa aufsteht. Er taumelt leicht. Ich nutze die Gelegenheit, erhebe mich ebenfalls und dränge mich dicht an den Körper meines Vaters. Dann gleite ich an ihm hinab und gehe vor meinem Vater auf die Knie, gleichzeitig ziehe ich ihm seine Hose nach unten. Kurz blicke ich noch einmal nach oben. Schwach versucht mein Vater mich an den Schultern von sich zudrücken, doch die mittlerweile ohnehin geringe Gegenwehr stirbt endgültig ab, als ich ihm ausgiebig einen blase. Sein Stöhnen, welches nun in immer kürzeren Abständen seiner Kehle entweicht, erregt mich ungemein. Ich gehe nicht bis zum Schluss, sondern lasse vorher von ihm an, um sein Verlangen weiter zu steigern. „Komm“, flüstere ich und ziehe meinen Vater am Arm zu mir nach unten. Lasziv lege ich mich auf den Boden. „Yamato…“ Mit glasigen Augen betrachtet er meinen Körper. Vorsichtig streicht er über die Narben auf meinem Brustkorb, dann über den verbundenen Arm. Schmerz mischt sich in seine Erregung. „Aber du hast dir Sex mit mir schon vorgestellt?“, wiederhole ich meine Frage von vorhin, vor allem aber um zum eigentlichen Thema zurückzufinden. Mein Vater beugt sich über mich, wobei er meine Beine weit auseinanderdrückt. „Nein. Ich habe davon geträumt, vermutlich wegen deiner ständigen Annäherungsversuche.“ Kurz erstaunt über seine Ehrlichkeit, lächle ich meinen Vater gleich darauf an. Ich lege meine Arme um seinen Nacken und ziehe seinen Kopf zu mir hinab. „Mach es wahr. Nimm mich, Papa“, flüstere ich. Er haucht mir einen Kuss auf die Stirn. „Was würde es dir bringen? Was versprichst du dir davon? Glaub mir, spätestens wenn du wieder klar im Kopf bist, wirst du es bereuen.“ „Nein. Ich werde es bestimmt nicht bereuen. Ich liebe dich und möchte dich einfach nur so intensiv wie möglich spüren. Was ist falsch daran?“ Meine Stimme zittert und Tränen füllen meine Augen. Seufzend streichelt mein Vater über meine Wange. „Ich liebe dich auch, mein Sohn. Und es tut mir leid, denn ich werde jetzt einen großen Fehler begehen. Doch du weißt, dass ich mich inzwischen nicht mehr zurückhalten kann. Dafür hast du selbst gesorgt.“ Gezielt hebt er mein Becken etwas an, bevor er vorsichtig in mich eindringt. Sofort beginnt er sich rhythmisch in mir zu bewegen und intensiviert somit seine Stöße. Leichter Schmerz und unvorstellbare Erregung durchströmen meinen Körper. „Du musst dich nicht zurückhalten. Lass mich dich richtig hart in mir spüren“, keuche ich angestrengt. Mein Vater streicht liebevoll über meine von einem Schweißfilm bedeckte Haut. Seine Penetration wird schneller und schmerzhafter, wodurch mein Stöhnen, ebenso wie das meines Vaters lauter wird. Die Lust, die ich mittlerweile empfinde, ist unerträglich. Krampfhaft kralle ich meine Nägel in den Arm meines Vaters, sodass er als Reaktion seinen Griff an meinem Becken verstärkt. Ich bäume mich ein wenig auf und spüre ihn tiefer in mir. Gedanken an Akito kommen mir in den Sinn, der behauptete, ich würde wegen Tai mit meinem Vater schlafen wollen. Und auch mein Vater erwähnte mir gegenüber eine ähnliche Theorie. Tränen brennen in meinen Augen. Mit einem Mal wird mir meine Erbärmlichkeit deutlich bewusst. Ich habe meinen Vater unter Drogen gesetzt, um mich ihm hingeben zu können. Sofort, als dieser bemerkt, dass ich weine, lässt er von mir ab. „Yamato…“ Er wischt mir die Tränen aus dem Gesicht. „Ich sagte doch…“ „Nein, Papa. Bitte bring es zuende. Hör nicht einfach auf.“ „Was?“ „Du bist noch nicht gekommen. In mir.“ Ich sehe, dass er protestieren will, stattdessen hilft er mir auf, drückt mich mit dem Bauch gegen das Sofa und nimmt mich von hinten. Offenbar erträgt er es nicht, weiterhin in mein Gesicht sehen zu müssen. Die Stöße sind anhaltend kraftvoll und intensiv. Aber anders als die von Taichi oder Akito. Und auch das Gefühl bei meinen Freiern ist anders. Bei meinem Vater empfand ich von Anfang an keinen Ekel. Nur Geborgenheit. Ich spüre, dass er in mir abspritzt, sich aus mir zurückzieht und, mich von hinten umarmend, mir mit seiner Hand Erleichterung verschafft. Regungslos, aber schwer atmend bleibe ich in meiner Position, als mein Vater leicht wankend den Raum verlässt und ich im Bad Wasser rauschen höre. Nachdem er sich vermutlich gesäubert hat, kommt er zurück. „Willst du unter die Dusche?“, fragt er und setzt sich zu mir auf den Boden. Ich reagiere nicht. „Yamato.“ Vorsichtig legt mein Vater seine Hand auf meine Schulter. Ich breche weinend zusammen. Beinahe hilflos zieht er mich in seine Arme. Verzweifelt presse ich meinen verschwitzten Körper gegen seinen. „Es tut mir leid“, schluchze ich. „Es ist okay, mein Sohn. Ich bin der, der sich entschuldigen muss. Niemals hätte ich die Beherrschung auf diese Weise verlieren dürfen, auch wenn du mich offenbar unter Drogen gesetzt hast. Aber darüber reden wir später.“ Meine Augen weiten sich, aber ich schaffe es nicht mehr, etwas zu erwidern. In meinem Kopf schreien Tausende von Stimmen durcheinander und treiben mich in den Wahnsinn. Ich habe das Gefühl, zu ersticken. Beruhigend streicht mir mein Vater über den Rücken. Allmählich sacke ich in mich zusammen und ergebe mich meinem hemmungslosen Weinen. Kapitel 19: ------------ Nähe suchend schmiege ich mich an den warmen Körper neben mir, dessen Arme mich schützend umfangen. Ich fühle mich geborgen. Leicht streichle ich mit meinen Fingern über die nackte Haut des Oberkörpers. Mit unglaublicher Zärtlichkeit werde ich auf die Stirn geküsst und stärker in die Umarmung gezogen. Ich fühle, dass wir beide vollkommen unbekleidet sind. „Wo sind wir?“, frage ich, ohne die Augen zu öffnen. „In meinem Bett“, antwortet mein Vater sanft. Ich atme tief ein, aber der Geruch von Taichi ist längst nicht mehr wahrnehmbar. Schmerzhafte Sehnsucht ergreift Besitz von mir. „Halt mich fest, Papa!“ „Ist alles okay?“ Mein Vater klingt besorgt. Fester presst er meinen Körper an sich und streichelt mir beruhigend durch die Haare. „Warum hast du mit mir geschlafen? Es lag nicht nur an der Droge, hab ich recht?“ „Ich kann es noch immer nicht fassen, dass du mir ein Aphrodisiakum verabreicht hast, um mich dazu zu bringen, mit dir Sex zu haben. Aber es war mein Fehler, letztlich nachzugeben und darauf einzugehen.“ „Nein, es war kein Fehler. Im Gegenteil, dich in mir zu spüren war unfassbar schön. Noch nie habe ich mich so sicher gefühlt.“ Voller Zuneigung lege ich meine Hand auf die Wange meines Vaters, schaue ihm kurz in die Augen und küsse seine Lippen. Er lässt es geschehen, ohne allerdings darauf einzugehen. Ich löse mich von ihm und senke meinen Blick. „Du fühlst dich einsam, oder, Yamato? Seit Taichi gegangen ist. Und jetzt, nachdem Akito…“ „Bitte, sprich nicht weiter.“ Verzweifelt richte ich mich auf, setze mich auf die Oberschenkel meines Vaters und stimuliere ihn mit meiner Hand. „Yamato… nein…!“, flüstert mein Vater schwer atmend, während er nach meinem Handgelenk greift. „Was hast du? Wir haben die Grenze überschritten, als wir miteinander geschlafen haben. Auf weitere Male kommt es nun nicht mehr an. Wir machen uns nicht strafbar, also was spricht dagegen?“ Ich beschleunige meine Bewegungen. Stöhnend wirft mein Vater seinen Kopf in den Nacken. „Es ist nicht gut für dich. Du fliehst auf diese Weise nur wieder vor der Realität.“ Seine Worte sind stockend, aber mit sinnlicher Stimme gesprochen. Ich rutsche etwas nach unten und beuge mich hinab, um meinen Vater weiter mit meinem Mund zu befriedigen. Er bäumt sich leicht auf und vergräbt seine Hände in meinen Haaren. Nicht besonders energisch versucht mein Vater mich von meinem Tun abzuhalten. Ich intensiviere mein Liebkosungen, woraufhin er seine Gegenwehr ganz aufgibt und sich auf meine Berührungen einlässt. „Hör auf, Yamato. Ich will nicht in deinem Mund kommen“, keucht er. Irritiert lasse ich von ihm ab und schaue ihn fragend an. „Wieso?“ Diese Forderung ist befremdlich für mich. Die Freier stehen drauf, in meinem Mund abzuspritzen, und Akito zwang mich sogar sein Sperma zu schlucken, was die Freier nie verlangten. Nur Tai legte nicht unbedingt Wert darauf, dabei ist er der Einzige, bei dem es mir nichts ausmacht. Ohne auf meine Frage einzugehen, beendet er selbst, was ich begonnen habe und kommt schließlich in seiner Hand. Während mein Vater sich vor meinen Augen einen runterholte, beobachtete ich seinen Gesichtsausdruck genau. Seine Erregung war deutlich erkennbar. Ich küsse ihn flüchtig auf den Mund und wische ihm liebevoll mit meinen Fingern den Schweiß von der Stirn. „Yamato.“ Nun setzt mein Vater sich ebenfalls auf, wobei er seine Hand am Laken abwischt. „Hör mir zu. Mit dir zu schlafen war ein Fehler. Ich will nicht sagen, dass die Droge schuld war. Sie hat mich lediglich enthemmt, sodass es mir leichter fiel, mich auf deine Annährungsversuche einzulassen. Ich liebe dich und du bist mit Abstand das Wichtigste in meinem Leben, aber mir kam nie in den Sinn, Sex mit dir zu haben. Dennoch gab ich letztlich nach und ließ mich auf dich ein. Ich hatte gehofft, dich dadurch zur Vernunft zu bringen, dir zu zeigen, dass du auf diese Weise deinen Schmerz nicht lindern und die Leere in deinem Inneren nicht füllen kannst, aber ich hätte wissen müssen, dass es nicht funktioniert. Du verirrst dich nur noch mehr in deinen Fantasien. Es wird… Yamato? Was…?“ Mit schmerzlichem Gesichtsausdruck berührt er mein tränennasses Gesicht. „Etwa eine Woche, bevor Tai sich von mir trennte, wollte ich mich töten, doch ich konnte es nicht. Warum, verdammt? Wäre ich gesprungen, hätte Tai sich die Trennung von mir sparen können und Akito… vielleicht würde er noch… er hätte nicht…“ Ich krümme mich weinend zusammen. „Alle sind weg. Ich weiß, dass ich das immer wollte… aber es tut so verdammt weh. Doch du irrst dich, dass ich durch den Sex mit dir etwas kompensieren will. Ich will dich nur spüren. Ist das nicht normal, wenn man jemanden liebt? Vor kurzem sagte ich, dass meine Gefühle für Tai, die für Akito und die für dich sich unterscheiden. Aber schließt das aus, dass ich dennoch euch drei körperlich spüren möchte? Es spielt für mich keine Rolle, in welchem Verhältnis ich zu der Person stehe. Zugegeben, anfangs war ich etwas verwirrt, als das Verlangen in mir aufkam, von meinem Vater genommen zu werden. Aber du bist nun einmal eine der wichtigsten Personen in meinem Leben. Ist es wirklich so verwerflich, dass ich dich tief in mir spüren möchte?“ Mein Vater zieht mich zu sich und nimmt mich fest in die Arme. Ich zittere leicht, woraufhin er ohne mich gänzlich loszulassen unsere Körper schützend mit einer Decke umhüllt. Er gibt mir einen Kuss auf die Schläfe. Offenbar ist mein Vater ratlos, denn er sagt kein einziges Wort zu meinen Ausführungen. Wahrscheinlich fragen wir uns beide, wie es nun weitergehen soll. Nur mit einem Handtuch bekleidet verlasse ich das Bad. „Yamato, kommst du frühstücken?“, höre ich meinen Vater aus der Küche rufen. „Ja“, antworte ich knapp und gehe in mein Zimmer, um mir eine Hose und ein Hemd überzuziehen. Als ich die Küche betrete, sehe ich, dass mein Vater westliches Frühstück mit Rührei und Toast gemacht hat. „Ist das in Ordnung?“ Er deutet auf den Tisch. Ich nicke, setze mich und gieße mir Kaffee in meine Tasse. Mit der Pfanne tritt mein Vater an mich heran und gibt einen Teil des Rühreis auf meinen Teller. Ich möchte ihm bezüglich der Menge Einhalt gebieten, weiß aber, dass es sinnlos ist, in diesem Punkt mit meinem Vater verhandeln zu wollen. Also sage ich nichts und nippe vorsichtig an meinem heißen Kaffee. Mein Vater nimmt mir gegenüber Platz, langt nach einer Scheibe Toast und bestreicht sie mit Butter und Marmelade. „Was ist los?“, fragt er besorgt, als er sieht, wie ich mich an meiner Tasse festklammere, mich aber ansonsten nicht rege. „Ehrlich gesagt habe ich keinen Hunger.“ „Du hast nie Hunger, Yamato. Aber ohne Nahrung kannst du nicht leben. Iss jetzt, sonst wird es kalt und schmeckt nicht mehr.“ Sein Tonfall lässt deutlich erkennen, dass er zu keiner weiteren Diskussion bereit ist. „Ja“, lenke ich tonlos ein. Gezwungen freiwillig greife ich nach dem Brot und dem Glas Schokoladencreme, da ich weiß, dass meinem Vater das Rührei allein nicht als Mahlzeit reichen wird. Eine Weile nehmen wir unser Frühstück schweigend ein. „Nach dem Essen gibst du mir sämtliche Drogen, die du noch besitzt, dazu zählen auch Schmerz- und Schlafmittel“, durchbricht mein Vater die Stille und sieht mich ernst an. „Mein letztes BDO verwendete ich für dich.“ Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, komme ich mir unsagbar dumm vor. Ich weiß, dass ich ein schlechter Lügner bin, aber diesmal ist es mehr als offensichtlich, dass ich nicht die Wahrheit sage. Verärgert lässt mein Gegenüber seinen Toast, von dem er gerade abbeißen wollte, sinken. „Es tut mir leid“, entschuldige ich mich aufrichtig, bevor mein Vater mich zurechtweisen kann. „Ich gebe es dir nachher. Aber bitte lass mir die Schmerzmittel. Ohne sie werde ich wahnsinnig vor Kopfschmerzen. Als du nicht da warst, habe ich bereits versucht darauf zu verzichten. Es ging nicht.“ „Sei ehrlich, in einer normalen Dosierung helfen die Tabletten schon längst nicht mehr, oder?“ Ich schüttele kaum merklich den Kopf. „Meinst du nicht, dass deine Kopfschmerzen mittlerweile überwiegend medikamenteninduziert sind? Dein Körper hat sich mit der Zeit an den Wirkstoff in einer bestimmten Konzentration gewöhnt. Auf einen Entzug reagiert er natürlich dementsprechend. Deshalb musst du durchhalten und die Schmerzen ertragen, erst dann wird es besser werden.“ „Ich weiß“, sage ich leise. „Was ist mit dem Schlafmittel? Wie viel nimmst du davon?“ „In letzter Zeit konnte ich weitestgehend darauf verzichten. Das Neuroleptikum war ausreichend, aber…“ Ich stocke. „Aber?“, hakt mein Vater nach. „Seit Akitos… seit über einer Woche brauche ich es wieder täglich. Ich kann sonst nicht schlafen. Meine Gedanken und Gefühle machen mich wahnsinnig. Nur in der Nacht, die ich bei dir verbrachte, ging es ohne.“ Tränen brennen in meinen Augen, krampfhaft versuche ich sie zurückzuhalten. „Ich weiß, es ist schwer. Aber nur mit Hilfe von Medikamenten schlafen zu können ist keine Lösung, Yamato.“ Mein Vater schaut mich verständnisvoll an. „Willst du nicht doch nachher zu Akitos Beerdigung gehen?“, fragt er vorsichtig. „Nein“, antworte ich entschieden. „Denn dann wäre er wirklich…“ Ich kann meine Tränen nicht mehr zurückhalten. „Yamato, Akito ist tot. Du musst das endlich begreifen und vor allem akzeptieren. Dass du weinst, zeigt mir aber, dass es dir eigentlich schon bewusst ist und du die Tatsache nicht ganz verdrängst.“ „Ich hasse mich für meine Tränen! Akito verachtete Menschen, die um Tote weinen, da er der Meinung war, dass sie ohnehin nur um sich selbst weinen. Er bezeichnete Beerdigungen als Mitleidsorgien und heuchlerisch. Wenn ich mich daran beteilige, wäre er enttäuscht.“ Genervt von mir selbst wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und greife zu meiner Kaffeetasse, um einen Schluck zu trinken. Meine Kehle ist trocken, wodurch das Schlucken schmerzhaft ist. In Gedanken versinkend esse ich ein wenig von dem inzwischen kalt gewordenen Rührei. „So sehr, wie er dich liebte, verstehe ich nicht, warum er das getan hat.“ Verwundert blicke ich meinen Vater an. „So etwas kann man nicht verstehen, Papa. Es entzieht sich jeglicher Logik. Die Gefühle sind das Ausschlaggebende. Aber woher willst du wissen, wie sehr er mich liebte?“ „Ist dir nie aufgefallen, wie genau er jede deiner Bewegungen beobachtet hat? In seinen Blicken lag so viel Zuneigung für dich, aber auch unglaublich viel Schmerz.“ „Er wusste, dass er gegen Tai niemals ankommen wird.“ „Für mich sah es so aus, als hoffte er, dass sich das ändert.“ „Vielleicht. Aber auch er ließ sich nicht komplett auf die Beziehung ein. Akito hatte wahnsinnige Angst davor, die Kontrolle zu verlieren oder an einen anderen zu übergeben. Er konnte sich einfach nicht fallenlassen. Doch als er das letzte Mal bei uns war, ist genau das beinahe passiert. Vielleicht war das der Auslöser, aber ich glaube, auch die Problematik mit seiner Mutter tat ihm mehr weh, als er selbst zugeben konnte. Zudem… niemand kann dauerhaft in einer Welt leben, die er abgrundtief hasst. Mit sechs Jahren versuchte er es schon einmal, es folgten Klinikaufenthalte und Therapien. Und wenn ich jetzt darüber nachdenke, ist er vermutlich nie von seinem damaligen Vorhaben abgekommen. Letztlich war es also nur eine Frage der Zeit.“ Ich versuche diese Dinge nüchtern zu erzählen, merke jedoch, wie es mir mit jedem Wort schwerer fällt. Der Schmerz in meiner Brust nimmt mir die Luft zum Atmen. Aufgewühlt trinke ich einen weiteren Schluck Kaffee. „Wenn ich deine Beschreibung von Akito so höre, weiß ich, warum du dich in ihn verliebt hast. Von ihm fühltest du dich verstanden, hab ich recht? Mehr als von Taichi.“ „Ja“, gebe ich zu und schaue auf meinen Teller, von dem ich bisher kaum etwas gegessen habe. „Papa, das hier alles ist nicht die Wirklichkeit, ist es nicht so? Das ist so absurd, das kann nicht real sein.“ Verzweifelt schaue ich meinem Vater in die Augen, doch die sehen mich nur traurig an. „Doch, Yamato. Leider ist das die Realität.“ Ein unbehagliches Gefühl stellt sich ein, als die Tür hinter mir verschlossen wird. Dabei weiß ich, dass ich dieses Mal jederzeit gehen kann. Nachdem ich kontrolliert wurde, ob ich für diese Station verbotene Gegenstände bei mir trage, glücklicherweise dachte ich zu Hause daran, die Rasierklinge aus meinem Portemonnaie zu entfernen, folge ich dem Pfleger, der mich hineinließ, mit ein wenig Abstand durch den langen, steril weiß gestrichenen Flur. Erschreckenderweise kommt mir alles hier noch immer sehr vertraut vor. Sogar einige Patienten erkenne ich wieder. Vermutlich wurden sie inzwischen erneut eingewiesen oder sie haben die geschlossene Station der Psychiatrie nie verlassen. Von dem bisher gesehenen Pflegepersonal hingegen kenne ich niemanden. Ich kann mir vorstellen, dass keiner auf Dauer in einem solchen Umfeld arbeiten kann, ohne selbst den Verstand zu verlieren. Als ich damals hier eingewiesen wurde, gaben sie mir beide Male Benzodiazepine, um mich ruhigzustellen. Beim ersten Mal setzten diese mich komplett außer Gefecht. Mein Vater meinte, ich hätte die ganze Zeit völlig neben mir gestanden. Doch bereits bei der zweiten Einweisung war die Wirkung bei gleicher Dosierung kaum noch vorhanden, sodass ich ein wenig von dem sogenannten Stationsleben mitbekam. Seitdem weiß ich, dass der Begriff Irrenanstalt gar nicht so weit hergeholt ist. Ich hatte damals, wenn ich etwas klarer im Kopf war, das Gefühl, total zu verblöden, wenn man hingegen selbst mit Medikamenten zugedröhnt ist, bemerkt man um sich herum kaum noch etwas und erträgt somit alles. Vielleicht wären die Menschen hier nicht ganz so seltsam, wenn ihnen nicht das Hirn vernebelt werden würde, um sie gefügig zu machen. Nie hätte ich gedacht, dass ich freiwillig an diesen Ort zurückkehren würde. „So, Herr Ishida. Einen Moment bitte“, richtet sich der Pfleger an mich und geht in das Zimmer, vor dessen Tür wir gerade stehen geblieben sind. Ich warte und lasse meinen Blick schweifen. Am Ende des Ganges führt eine Glastür auf die Dachterrasse, welche jedoch nur zu bestimmten Zeiten unter Aufsicht betreten werden darf. Zudem ist dieser kleine Ort an der frischen Luft durch hohe Begrenzungen aus Plexiglas gesichert, um zu verhindern, dass einer der Patienten ausbricht, obwohl die geschlossene Psychiatriestation ohnehin im obersten Stockwerk des Krankenhauses ist. An der Wand vor dieser Tür stehen ein kleiner Tisch und ein Stuhl, auf dem eine ältere Frau sitzt. Offenbar führt sie Selbstgespräche, denn in ihrer Nähe ist sonst niemand zu sehen, an den ihre Worte gerichtet sein könnten. „Sie können jetzt hineingehen, Herr Ishida“, reißt mich der Pfleger mit seiner Aussage aus meinen Gedanken, als er die Tür zum Zimmer öffnet. Er geht an mir vorbei und schlägt den Weg zum Dienstzimmer ein. Ich bleibe vor dem Raum stehen, sehe unsicher hinein. Dann atme ich tief durch, mache ein paar Schritte nach vorn und schließe hinter mir leise die Tür. „Guten Tag, Frau Itami“, richte ich meine Begrüßung tonlos an die im Bett liegende Frau. Sie befindet sich in einer halb sitzenden, halb liegenden Haltung, ihr Körper wirkt schwach und ausgezehrt. In ihren Augen ist keine Gefühlsregung zu erkennen, sie wirken leer, als sie ihren Blick auf mich richtet. „Mein Name ist Yamato Ishida. Vielleicht erinnern…“ „Ja, ich erinnere mich.“ Ihre Stimme ist dünn, kaum hörbar. „Du warst ein paar Mal bei uns zu Besuch.“ Ich nicke und setze mich auf den Stuhl, der neben ihrem Bett steht. „Wie geht es Ihnen?“, erkundige ich mich ehrlich interessiert. „Ganz gut… denke ich.“ Anhand Ihrer gesamten Erscheinung, der schwerfälligen Sprache sowie des zähen Denkens erkenne ich, dass sie unter dem Einfluss sehr starker Medikamente steht. Vermutlich ist sie momentan extrem labil, wahrscheinlich sogar akut suizidal. Sie versucht zu lächeln. „Akito hat dich wirklich sehr geliebt. Du bist der Einzige, den er je auch nur annähernd an sich herangelassen hat. Ich danke dir, dass du für ihn da warst. Du hast ihm gut getan, durch dich lernte er vor allem Gefühle kennen, die ich ihm nie vermitteln konnte. Weißt du, Yamato, es kam mir oft so vor, als wäre ich das Kind und er der Erwachsene. Akito hat sich immer viel um mich gekümmert, dabei hätte er mich so oft einfach sterben lassen können und wäre von mir befreit gewesen.“ „Vielleicht wollte er es zeitweise sogar. Aber Sie wissen doch, die Eltern, die es am wenigsten verdienen, werden am meisten von ihren Kindern geliebt“, urteile ich nüchtern. „Ich weiß.“ Sie wendet ihren Kopf von mir ab, sodass ich ihr Gesicht nicht mehr sehen kann. „Yamato… Akito sagte einmal zu mir, du seist anders als andere Menschen. Ich verstehe nun, was er damals meinte und warum er derart intensive Gefühle für dich entwickelte. Deine Gegenwart ist sehr angenehm, dabei bist du an sich kaum greifbar. Du wirkst zerbrechlich, schutzbedürftig und doch unnahbar, teils sogar selbstsicher. Im Grunde bist du voller Widersprüche, aber das macht dich interessant und unglaublich anziehend. Warum bist du hier?“ „Ich weiß es nicht“, gebe ich ehrlich zu, ihr wirres Gerede ignorierend. „Wolltest du mir Vorwürfe machen? Ich bin schuld an Akitos Tod, meinetwegen hat er sich das Leben genommen… so etwas in der Art?“ Ich glaube Verärgerung in ihrem Tonfall zu hören, doch ihre Stimme ist nach wie vor ruhig. „Vielleicht hatte ich die Gedanken zwischenzeitlich, vielleicht kommen diese Gedanken wieder, aber es ist egal. Es macht nichts ungeschehen. Akito entschied sich gegen das Leben. Das ist keine Frage von Schuld.“ Ich spüre einen Druck auf meinen Augen und meine Sicht verschwimmt leicht. Der Schmerz in meiner Brust schnürt meine Kehle zu. „Ich vermisse ihn so sehr, Yamato.“ Sie weint. Hilflos sitze ich daneben. Ich verspüre nicht das Bedürfnis, sie zu trösten, aber ich verstehe ihre Gefühle. „Ohne ihn schaffe ich es nicht.“ „Dann töten Sie sich ebenfalls.“ Akitos Mutter schaut mir direkt in die Augen. Zitternd streckt sie ihre Hand nach mir aus und streicht über meine Wange. „Du weinst. Warst du nicht auf der Beerdigung, weil mein Sohn es nicht wollte oder weil du es nicht konntest?“ „Beides.“ Sie lächelt schwach. „Es tut mir leid, aber ich bin so erschöpft…“ „Ich verstehe. Es ist anstrengend, sich unter dem Einfluss bestimmter Medikamente auf eine Unterhaltung zu konzentrieren.“ „Stimmt. Akito erzählte mir, dass auch du schon Erfahrungen wie diese machen musstest.“ „Er hat Ihnen viel anvertraut, oder?“, bemerke ich etwas erstaunt. „Nur, wenn es um dich ging. Ansonsten schwieg er, besonders was ihn selbst betraf. Er war eben sehr stolz, wie sein Vater.“ „Ich werde jetzt gehen“, flüstere ich. Als Antwort bekomme ich lediglich ein Nicken. Ich erhebe mich und gehe zur Tür. „Danke, Yamato.“ Sie spricht undeutlich, sodass ich ihre Worte kaum verstehe. Ich drehe mich noch einmal zu ihr um. Sie hat die Augen bereits geschlossen und ihre Atmung ist gleichmäßig. Leise verlasse ich den Raum und gehe zum Dienstzimmer, damit mir die Tür zur Außenwelt geöffnet wird. Nachdem diese hinter mir sofort wieder geschlossen wird, gehe ich voller widersprüchlicher Gefühle die Treppen hinab. Bevor ich das Krankenhaus jedoch verlasse, lenken mich meine Schritte auf die Herrentoilette. Ich schließe mich in einer der Kabinen ein und lasse mich auf den Boden sinken. Meine angewinkelten Beine ziehe ich dicht an meinen Körper und schlinge meine Arme darum. Heftig weinend breche ich nervlich zusammen. Angespannt ziehe ich den Rauch der Zigarette in mich ein. Der Schnitt an meinem Arm, den ich mir, als ich nach der Schule nach Hause kam, im Bad zufügte, pulsiert durchdringend. Es ist ein angenehmer Schmerz, der mich momentan jedoch nicht ruhiger werden lässt. Ich hasse es, wenn ich diese haltlose Nervosität verspüre, die ohne Grund ganz plötzlich in mir aufkommt. Dabei kehrt in der Schule allmählich wieder Normalität ein, die Gespräche und Spekulationen bezüglich Akitos Leben sowie mögliche Motive für seine Entscheidungen dagegen ebben langsam ab und weichen anderen, mittlerweile interessanteren Themen. In ein, zwei Wochen kann sich wahrscheinlich nicht einmal mehr jemand an seinen Namen erinnern. Menschen sind so oberflächlich und Akito verabscheute es. Nach außen wirkte er allerdings freundlich und kam mit jedem zurecht, aber engere Freundschaften ließ er nicht zu. Eigentlich nahm er nie eine besondere Stellung in der Klasse ein. Man könnte sagen, Akito war unauffällig beliebt. Erneut frage ich mich, wie ich derart intensive Gefühle für ihn entwickeln konnte. Lag es wirklich nur an seiner Brutalität und Skrupellosigkeit? Als ich ihm an unserem letzten Abend sagte, ich würde ihn lieben, nahm ich kurz darauf diese Aussage zurück und auch Akito glaubte mir nicht. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, bin ich sicher damals doch die Wahrheit gesagt zu haben. Ich liebe ihn und diese Empfindungen werden erst verschwinden, wenn ich generell nichts mehr fühle. Doch trotz allem konnte er Taichis Stelle niemals einnehmen. Zum wiederholten Mal führe ich die Zigarette an meinen Mund, doch bevor ich daran ziehe, schleicht sich ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. Akito hasste es, wenn ich rauchte. Er ging in seiner Abneigung sogar so weit, mir die Zigaretten wegzunehmen. Bis heute weiß ich nicht, warum er so empfindlich darauf reagierte. Ich habe ihn nie gefragt. Anfangs provozierte ich ihn sogar, indem ich in seiner Gegenwart besonders viel rauchte, was ihn ziemlich verärgerte. Doch Akito zuliebe verzichtete ich letztlich auf das Rauchen, wenn er bei mir war. Ich betrachte die halb abgebrannte Zigarette in meiner Hand und werfe sie aus dem Fenster. Ein Blick zur Uhr sagt mir, dass mein Vater jeden Augenblick nach Hause kommen wird. Seufzend setze ich mich an meinen Schreibtisch. Vor mir ausgebreitet liegen diverse Prüfungsbögen für die Aufnahmetests der Universitäten. Diese finden zwar erst in vier Monaten statt, aber mein Vater verlangt von mir, mich schon jetzt damit zu befassen. Meines Erachtens ist es nicht notwendig, aber ich weiß, dass viele aus meiner Klasse sich bereits seit Monaten mit nichts anderem beschäftigen. Ich frage mich, ob Akito viel lernen musste, um seine Leistungen zu halten. Seine Noten waren richtig gut und er gehörte zu den Besten der Jahrgangsstufe, aber ich habe ihn nie lernen sehen. Doch wahrscheinlich saß er, wenn er zu Hause war, genauso über den Büchern wie alle anderen auch. Zunächst fand ich seine Arroganz bezüglich seiner Intelligenz befremdlich, denn er stellte sich oft über seine Mitmenschen, aber mit der Zeit merkte ich, dass er sich nicht überschätzte, sondern eine realistische Sicht auf sich selbst hatte. Genervt stehe ich auf. Es gelingt mir nicht, mich auf das Lernen zu konzentrieren, also greife ich nach meiner Gitarre und setze mich auf das Bett. Abwesend zupfe ich unsystematisch an den Saiten, dabei entsteht eine Tonfolge, welche mir die Idee für ein neues Lied liefert. Ich wiederhole die Melodie einige Male, dann stehe ich auf und mache mir Notizen. Anschließend gehe ich zu meinem CD-Player und lege eine Disc ein, die Akito gehört. Es ist eine seiner Lieblingsplatten, die wir oft hörten, wenn er hier war. Ich schalte zu einem Titel, den er besonders mochte. Dann lege ich mich auf mein Bett und schließe die Augen, um die Musik auf mich wirken zu lassen. Es fühlt sich an, als ritt ich als Parasit ein fremdartiges Tier Selbst wenn ich dich berühre, dann fühlt sich meine Hand so an Als gehöre sie nicht mir Es ist ganz so, als steuerte ich ungeschickt Und ganz ohne Routine Den unbekannten, doch vertraut wirkenden Apparat Die fremdartige Maschine Du fügst dich falsch ein Du bist so fremd hier Kannst du, du selbst sein Und bist du ganz bei dir Es hört sich an, als ob die eigene Stimme nur In fremden Zungen spricht Es gibt nicht einen Augenblick, in dem dir dein Gesang Nicht in deinen Ohren sticht Ich äff’ mich nach und spiele meine Rolle nach Hier im Schattentheater Als stünde ich mir ständig selbst zur Seite, zwillingshaft Als radebrechender Berater Du fügst dich falsch ein Du bist so fremd hier Kannst du, du selbst sein Und bist du ganz bei dir Und das soll dann alles gewesen sein? Nach den schönen und oft hemmungslosen Den schrecklichen, hässlichen Häufig auch erzwungenen Metamorphosen Nach all den skurrilen Ereignissen Und den Schatten, die sie voraus warfen Gilt es, in dem tragischen Schauerstück Dich selbst endlich ganz zu entlarven Du fügst dich falsch ein Du bist so fremd hier Kannst du, du selbst sein Und bist du ganz bei dir Dein Schicksal rächt sich Bringt dir nur Leid ein Kann dies tatsächlich Die ganze Wahrheit sein Du fügst dich falsch ein Du bist so fremd hier Kannst du, du selbst sein Und bist du ganz bei dir Und bist du ganz bei dir Ich drehe mich auf die Seite. Tränen laufen mir über Gesicht und Nase, tropfen auf das Laken. Wir unterhielten uns oft über solche Themen, über die Gesellschaft, die Menschheit und deren Fehlerhaftigkeit. Gern schwieg ich auch nur und hörte Akito zu, denn seine Ausführungen faszinierten mich. Er vermochte es, meine Gedanken zu formulieren, wie ich selbst es nie konnte. Das plötzliche Klopfen an meiner Tür holt mich zurück in die Gegenwart. Mein Vater schaut herein und als er hört, dass ich weine, setzt er sich zu mir auf das Bett. Ohne etwas zu sagen, streichelt er mir über den Rücken. Ich fühle mich erbärmlich, schwach und dumm. Mein Verhalten ist einfach lächerlich, das weiß ich auch und trotzdem bekomme ich meine Gefühle nicht unter Kontrolle. Ich beginne zu lachen, denn genau das würde Akito jetzt tun. Mich auslachen. „Yamato… bitte nicht…“ Mein Vater dreht meinen Körper zu sich herum und nimmt mich schützend in den Arm. „Mach dich nicht fertig. Gib deinem Selbsthass nicht noch mehr Nahrung. Es ist in Ordnung, dass du weinst. Ich möchte sogar, dass du weinst, denn es kommt mir so vor, als hättest du Akitos Tod noch immer nicht ganz akzeptiert.“ Unerwartet legt er seine Hand auf die Stelle an meinem Arm, unter dessen Ärmel sich der Verband ein wenig abzeichnet, sodass ich leicht zusammenzucke. „Du hast dich wieder geschnitten“, stellt er sorgenvoll fest. „Yamato, hast du momentan Selbstmordgedanken, -absichten oder -pläne?“ Mein Vater scheint alarmiert zu sein. Ich drehe meinen Kopf und blicke ihm direkt in die Augen, um die Ehrlichkeit meiner Antwort zu unterstreichen. „Gedanken an meinen Tod sind tagtäglich in meinem Kopf, aber derzeit gibt es keine konkreten Pläne, mir das Leben zu nehmen.“ „Du sagtest mir neulich, du hättest versucht dich zu töten, als ich noch in Deutschland war. Erzähle mir davon.“ „Papa, das ist nicht mehr wichtig. Ich habe es nicht getan.“ „Von welchem Gebäude wolltest du springen? Ich nehme nicht an, dass dein Fenster unbedingt ausreichend wäre und das weißt du ebenso.“ „Suche mich auf dem Mori Tower, wenn ich suizidal, aber nicht zu Hause bin. Dafür wolltest du es doch wissen, oder?“ Ich setze mich auf und wische mir das Gesicht trocken. Dann beuge ich mich zu meinem Vater und küsse ihn sanft auf den Mund. „Mach dir bitte nicht so viele Sorgen meinetwegen. Es geht mir soweit gut.“ Ich lächle ihn an. Skeptisch werde ich von meinem Gegenüber gemustert. „Genau diese Aussagen und dein momentanes Verhalten machen mir erst recht Angst. Du musst weder mir noch dir etwas vormachen. Mehr als Ehrlichkeit verlange ich nicht von dir, selbst wenn die Wahrheit schmerzhaft ist und mir nicht gefällt. Hast du verstanden, Yamato?“ „Ja“, antworte ich knapp und ohne ihn anzusehen. Zielgerichtet stehe ich auf und gehe zur Tür. „Ich hole mir einen Kaffee und werde mich dann wieder dem Lernen widmen. Möchtest du auch einen?“ Seufzend erhebt sich mein Vater und bleibt dicht vor mir stehen. Schwer lasten seine Hände auf meinen Schultern. „Ich vertraue dir, mein Sohn.“ Der Fernseher flimmert in der Dunkelheit und zeigt eine Reportage über den Alltag einer mittelständigen, japanischen Familie mit zwei Kindern im schulpflichtigen Alter. Ich sitze neben meinem Vater auf dem Sofa, seit einer Weile starren wir schweigend auf den Bildschirm. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es bereits nach Mitternacht ist. Es ist Sonntag und somit schulfrei, aus diesem Grund hat mein Vater wahrscheinlich noch nicht von mir verlangt ins Bett zu gehen. Ich schaue zur Seite und betrachte ihn aufmerksam. Er wirkt etwas mitgenommen, marode und ich habe das Gefühl, er kann selbst jetzt nicht abschalten geschweige denn entspannen. „Schlaf mit mir“, durchbreche ich unser wortloses Beisammensein. „Was?“ Mein Vater sieht mich verwirrt an. „Vielleicht gelingt es dir dadurch, vom Alltag loszulassen“, erkläre ich meine plötzliche Aufforderung. „Nein, Yamato. Nicht auf diese Art. Der Sex mit dir war ein Fehler, den ich kein zweites Mal begehen werde. Eine solche Beziehung zwischen uns wäre auf keinen Fall gut für dich.“ „Wenn es dir nichts bedeutet hat, warum hast du mich danach mit in dein Bett genommen? Wir waren beide unbekleidet, das ist quasi wie eine Einladung.“ „Du warst ziemlich aufgelöst und bist weinend zusammengebrochen. Ich war nicht in der Lage, deine folgenden Reaktionen abzuschätzen, deshalb wollte ich dich nicht allein lassen. Um auf dich aufpassen zu können, nahm ich dich mit in mein Bett. Allerdings spürte ich noch immer die Wirkung der Droge, die du mir verabreicht hattest, weshalb ich nicht darauf achtete, ob wir bekleidet waren. Ich ging auch nicht davon aus, dass du es falsch verstehen könntest.“ Einen Moment lang sage ich nichts. Bevor ich mich wieder an meinen Vater wende, senke ich meinen Blick. „Wie geht es Taichi?“, frage ich ruhig. Deutlich spüre ich die Bestürzung, mit der mein Vater mich betrachtet. „Vor einiger Zeit bekam ich ein Telefonat zwischen euch mit. Ich weiß also, dass du nach wie vor mit ihm in Kontakt stehst. Ist er der Grund, weshalb du nicht mit mir schlafen willst? Und hat er deinetwegen die Beziehung zu mir beendet?“ „Woher kommen nur diese unsinnigen Gedanken, Yamato? Es stimmt, ist stehe mit Taichi in Verbindung, aber in keiner sexuellen. Ich würde ihn auch niemals anfassen.“ „So wie du mich niemals anfassen würdest?“, bemerke ich provozierend. „Warum sonst hast du noch Kontakt zu ihm, wenn du ihn nicht fickst?“ „Yamato! Nicht in diesem Ton! Hör mir zu.“ Mein Vater packt mich hart an den Schultern und dreht mich zu sich. „Ich weiß nicht, warum du dich in diesem Wahn so festgebissen hast, aber du wirst dich in Zukunft mit solchen Äußerungen zurückhalten, hast du verstanden?“ Beschämt senke ich meinen Blick. „Es tut mir leid. Anscheinend habe ich mich tatsächlich in etwas verrannt, das nicht da ist. Dennoch, ich will dich in mir spüren. Bitte nimm mich noch einmal.“ „Nein, Yamato. Das werde ich nicht tun. Und jetzt lass mich endlich mit diesem Thema in Ruhe.“ Voller Verzweiflung stehe ich auf und schaue auf meinen Vater herab. Dann drücke ich ihn bestimmt gegen die Lehne und zwinge ihm einen Kuss auf. Mit gespreizten Beinen setze ich mich auf seinen Schoß und intensiviere den Kuss, worauf mein Vater letztlich doch zaghaft eingeht. Allerdings nur kurz, denn sofort schiebt er mich wieder von sich. „Nimm mich wenigstens in den Arm, okay?“, flüstere ich unter Tränen. Seufzend drückt er meinen Körper behutsam an sich. „Du fühlst dich ziemlich einsam, nicht wahr?“ Ich nicke und weine stumm. „Ist Tai noch immer in der Klinik?“ Meine Stimme ist brüchig und leiser als beabsichtigt. „Ja, aber es geht ihm ganz gut. Er macht Fortschritte, vom Alkohol ist er schon länger komplett weg. Nun geht es um die Prävention, damit er nicht rückfällig wird.“ „Es tut gut, zu hören, dass er es geschafft hat. Seine Freundin gibt ihm bestimmt den nötigen Rückhalt.“ Ich lächle bitter. „Das weiß ich nicht. Über derart private Details sprechen wir nicht.“ „Das tut alles so weh, Papa. Ich wollte Taichi eigentlich aufgeben und mich auf Akito einlassen. Doch schon während der Beziehung zu Akito merkte ich, dass es vergeblich ist. Ich kann Tai nicht vergessen. Und jetzt, wo Akito…“ Schluchzend klammere ich mich an meinen Vater und vergrabe mein Gesicht in seiner Halsbeuge. „Ich weiß, Yamato. Wenn man dich kennt und etwas beobachtet hat, war es offensichtlich. Und Akito war sich darüber auch im Klaren, oder?“ „Ja. Aber das spielt alles keine Rolle mehr. Letztlich habe ich beide verloren“, sage ich selbstironisch. „Warum hast du Taichi eigentlich von Anfang an aufgegeben? Soweit ich das mitbekommen habe, hast du nicht einmal darum gekämpft, ihn zurückzubekommen.“ „Er steht nicht auf Männer. Wie könnte ich ihn unter diesen Umständen für mich gewinnen? Zudem hatte er schon damals, noch während unserer Beziehung, seine Freundin, die er liebt.“ „Glaubst du das alles?“ Hellhörig geworden löse ich mich ein wenig von meinem Vater und schaue ihm prüfend in die Augen. „Akito stellte mir eine ähnliche Frage. Doch warum sollte Tai mich anlügen? Und selbst wenn, es ist besser für ihn, nicht mit mir zusammen zu sein. Immerhin ist er meinetwegen so sehr abgestürzt, dass er in die Klinik muss.“ Mein Vater macht noch immer keine Anstalten, mich von seinem Schoß zu heben, stattdessen wischt er mir die Tränen aus dem Gesicht und streichelt mir mit einem traurigen Lächeln liebevoll durch die Haare. „Taichi wird Mitte Oktober, also in zwei Wochen entlassen.“ Erschöpft lasse ich mich auf mein Bett fallen. Wieder habe ich einen dieser sinnlosen Schultage überlebt. Seit Akito nicht mehr da ist, frage ich mich, warum ich mir diese Folter überhaupt noch antue. Wenigstens lassen mich meine Mitschüler weitestgehend in Ruhe. Durch meinen Nervenzusammenbruch damals und die Situation im Allgemeinen sind sie offenbar etwas verunsichert und wissen nicht, wie sie sich mir gegenüber verhalten sollen, sodass sie mir lieber aus dem Weg gehen. Ich seufze und drehe mich auf die Seite. Jeden Tag die gleiche Monotonie, jeder Tag ist ohne Sinn und Ziel. In einer Woche wird Tai seinen Klinikaufenthalt hinter sich lassen und ganz neu anfangen. Deshalb habe ich beschlossen es dabei zu belassen. Ich werde ihn nicht aufsuchen, auch werde ich nicht versuchen ihn zurückzubekommen, das bin ich ihm schuldig, nach allem, was er meinetwegen durchmachen musste. Er hat mich aus seinem Leben gestrichen, weil er es wollte, das muss ich akzeptieren. Ich darf jetzt nicht wieder anfangen alles kaputt zu machen, nur weil ich meinen Egoismus ausleben muss. Verbissen kämpfte ich gegen die Zweifel und das Begehren diesbezüglich in meinem Inneren an. Fahrig stehe ich auf und gehe zu der Jacke meiner Schuluniform, die ich auf die Sofalehne geworfen hatte, als ich nach Hause kam. Prüfend betrachte ich das kleine Fläschchen, welches ich aus der Tasche gezogen habe und nun in meiner Hand halte. Es ist fast leer, da ich die letzten Tage nicht geschafft hätte, ohne drauf zu sein, denn das sind die einzigen Momente, die mich derzeit noch am Leben halten. Meinem Vater gehe ich größtenteils aus dem Weg, um zu verhindern, dass mein Verlangen nach seiner Nähe, seinem Körper, das Verlangen, ihn tief in mir zu spüren, zu groß, nahezu unerträglich wird. Er gab mir deutlich zu verstehen, dass es zu keinem weiteren sexuellen Kontakt zwischen uns kommen wird. Der Gedanke ist für mich unerträglich, weshalb ich erst einmal auf Abstand gehe. Ich werde ihm keine Drogen verabreichen, aber er wird freiwillig mit mir schlafen, dessen bin ich mir sicher. Mit einem Lächeln verstaue ich das BDO wieder in der Tasche. Heute muss ich auf diese Substanz verzichten. Ich schaue zur Uhr. In einer reichlichen Stunde werde ich mich auf den Weg zu meinem Freier nach Osaki machen. Er bot mir an, eine andere Droge auszuprobieren. In meiner Einsamkeit nahm ich dieses Angebot dankbar an. Der Gedanke an die bevorstehende neue weltfremde Erfahrung lässt mich nervös und gleichzeitig ruhig werden. Ich setze mich an meinen Schreibtisch und notiere einige Gedanken und Tonfolgen, die mir schon den ganzen Tag im Kopf herumschwirren. „Setz dich, Yamato.“ Ich nehme auf dem Bett im Schlafzimmer meines Freiers Platz. Dieses Mal werden wir es bei ihm zu Hause treiben. Seine Frau und sein Sohn sind nach seiner Aussage über das Wochenende zu Verwandten gefahren. „Bist du sicher, dass du etwas Neues ausprobieren möchtest?“, fragt er, während er offensichtliche Vorbereitungen trifft. Scheinbar routiniert legt er einen Löffel neben die bereits auf dem Nachttisch stehende Schale mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, daneben platziert er eine Einwegspritze, ein Fixierband und eine, in einem durchsichtigen Tütchen befindliche, weiß-kristalline Substanz. „Heroin?“, frage ich mit einer Mischung aus Unbehagen und Neugierde. „Ja, willst du doch nicht?“ Er hält in seinem Tun inne und sieht mich abwartend an. „Ist das Wasser, zum Lösen des Heroins?“ Interessiert deute ich auf die verschiedenen Komponenten. „Ja. Das ist H4, die reinste Art des Heroins. Diese Form ist wasserlöslich, somit brauche ich keinen Hilfsstoff wie Ascorbinsäure, keinen Filter und auch kein Feuer zum Erhitzen. Allerdings ist die Wirkung des weißen Heroins wesentlich stärker als die des braunen, gestreckten Straßenheroins.“ „Ich möchte es probieren“, antworte ich entschlossen auf seine Frage. Mein Freier streicht mir liebevoll über die Wange. „Keine Sorge, ich werde auf dich aufpassen. Die Dosis, die ich dir spritze, ist vorerst niedrig, da ich nicht weiß, wie du auf die Droge reagierst und um eine Überdosierung zu vermeiden. Dir kann also nichts passieren.“ „Sie klingen, als hätten Sie Erfahrung damit.“ „Wenn ich genügend Zeit für mich habe, setze ich mir hin und wieder einen Schuss. Ich glaube, ein solcher Trip wird dir gut tun. In der letzten Woche sahen wir uns täglich und ich muss feststellen, dass der Ausdruck deiner Augen von Tag zu Tag leerer wird. Du wirkst haltlos, einsam.“ Während er zu mir spricht, gibt er die beiden Substanzen auf den Löffel und beobachtet, wie sich das kristalline Pulver vollständig auflöst. „Sie wirken nicht wie ein Drogenabhängiger“, bemerke ich erstaunt. „Es gibt einige Dinge, die du beachten solltest, wenn du mit Drogen experimentierst. Die Zusammensetzung und somit die Qualität des Stoffes spielt eine große Rolle. Ich beziehe die Drogen von einem Freund, dem ich vertraue, und weiß somit, dass keine Strecksubstanzen enthalten sind. Auch ein verantwortungsbewusster Umgang ist sehr wichtig, du musst deinen Körper und auch deine Psyche gut kennen, um zu wissen, was du dir wann zumuten kannst. Ich möchte den Konsum von Drogen keineswegs verharmlosen, gerade weil es durch Verunreinigungen oder verantwortungslosen Umgang sehr gefährlich ist, und ich möchte auch nicht bestreiten, dass ich abhängig bin, aber ich wage zu behaupten, dass ich bewusst konsumiere und meine Sucht unter Kontrolle habe. Würdest du bitte die Spritze aus der sterilen Verpackung nehmen?“ Ich komme der Aufforderung nach und reiche sie ihm anschließend. „Leg dich am besten hin.“ „Werden Sie sich auch etwas spritzen?“, möchte ich wissen, während ich mich auf das Bett lege. „Nein, heute nicht. Schließlich will ich dich noch ficken.“ „Während ich auf Heroin bin?“ „Ja, natürlich. Das ist doch eine interessante Erfahrung für uns beide, oder?“ Er zieht die Spritze mit der klaren Lösung auf und legt sie auf den Nachttisch. „Zieh dich aus“, fordert mein Freier nun. Ohne das Bett zu verlassen, entledige mich meiner Kleidung. Sanft werde ich auf die Matratze gedrückt. Begierig streichelt mein Freier über meinen ganzen Körper, liebkost ihn mit seinen Lippen. Ich starre zur Decke und lasse die Berührungen über mich ergehen. „Blas mir einen, danach setze ich dir den Schuss.“ Er öffnet seine Hose. Fest und ausgiebig befriedige ich meinen Freier oral. Seine Atmung beschleunigt sich, hin und wieder löst sich ein Stöhnen aus seiner Kehle. „Danke, das reicht, Yamato“, keucht er und schiebt mich von sich. Mit sanftem Druck presst er mich auf das Laken zurück und greift nach der Spritze. Versiert legt er das Fixierband um meinen Oberarm und zieht es fest. Mit seinen Fingern zeichnet er einige der Narben und verschorften Wunden nach, dann streicht er über meine Armbeuge. „Ist alles okay, Yamato?“ „Ich denke schon.“ „Eines solltest du noch wissen. Das Gefühl des allerersten Schusses, solch einen psychischen Orgasmus, wirst du nie wieder erlangen. Ich sage das bewusst, weil du sehr labil bist. Ich will verhindern, dass du unkontrolliert abhängig wirst und an den Drogen zugrunde gehst.“ „Ich habe verstanden. Was Drogen anbelangt, wende ich mich ohnehin ausschließlich an Sie. Ich vertraue Ihnen.“ Ein leichtes Lächeln legt sich auf meine Lippen. Mein Freier gibt mir einen innigen Kuss. „Ich injiziere dir jetzt das Heroin. Genieße es, mein süßer Yamato.“ Vorsichtig sticht er die Kanüle in meine Vene, zieht etwas Blut an, um zu prüfen, ob er auch wirklich eine Vene und keine Arterie getroffen hat. Die Flüssigkeit ist dunkel, also löst er das Fixierband und drückt den Kolben langsam durch. Ich spüre, wie das süße Gift in meine Blutbahnen gelangt und sich plötzlich ein unvorstellbares Glücksempfinden einstellt. Die schmerzhafte Leere ist komplett verschwunden, ich fühle mich sicher, geschützt, schwebend und frei von allen Belastungen. Sämtliche negativen Empfindungen weichen einer entspannenden, beruhigenden Euphorie. Langsam schließe ich meine Augen und gebe mich der Droge und meinem Freier hin. Mit einem unangenehmen Gefühl der Übelkeit komme ich zu mir. Angestrengt schlage ich die Augen auf und schaue an eine fremde Zimmerdecke. Noch ehe ich registrieren kann, wo ich mich befinde, drehe ich mich reflexartig zum Bettrand und erbreche Galle und Magensaft. Ich spüre, dass mein Freier seinen unbekleideten Körper von hinten an mich presst und mit seiner Hand über meine nackte Haut streichelt, mit den Fingern der anderen Hand streicht er fürsorglich meine Haare hinter die Ohren. „Es tut mir leid“, bringe ich gequält und würgend hervor. „Mach dir keine Gedanken. Nach dem Erstkonsum von Heroin ist das nicht ungewöhnlich. Ich hole dir einen Eimer.“ Rasch erhebt er sich und verlässt den Raum. Ein weiteres Mal übergebe ich mich, dann stehe ich auf, um meinen Mund im Bad auszuspülen und so den bitteren Geschmack loszuwerden. „Yamato.“ Mit dem Eimer und Putzutensilien kommt mein Freier mir entgegen. Seine Augen haften auf meinem Körper. Er stellt die Gegenstände, die er in den Händen hält, beiseite und folgt mir. Ich trockne mir gerade das Gesicht ab, als ich von hinten umarmt werde. „Lass uns duschen gehen“, haucht er lüstern. Sein heißer Atem kitzelt an meinem Ohr. Ich schließe meine Augen und atme tief durch. „Okay“, antworte ich leise. Sofort zwingt er mir einen unangenehm heftigen Zungenkuss auf und drängt mich dabei in die Dusche. Er öffnet den Wasserhahn. Kurz zucke ich zusammen, da das Wasser relativ kalt eingestellt ist. Mein Freier löst sich von mir, dreht mich gebieterisch mit dem Gesicht zur Wand und drückt mich mit seiner Hand auf meinem Rücken unsanft in eine leicht gebückte Haltung. Sogleich dringt mein Freier hart in mich ein. Er nimmt mich intensiv und ausdauernd, wobei seine Stöße schmerzhafter werden. Mit der Zeit fällt es mir schwer, diese Stellung zu halten. Meine Kraft schwindet, meine Beine beginnen zu zittern und drohen nachzugeben. „Was ist? Kannst du nicht mehr?“, keucht mein Freier, zieht sich aus mir zurück und stößt mich aus der Dusche in Richtung Badewanne. „Beuge dich über den Rand“, befiehlt er nüchtern. Ich gehorche. Ohne zu zögern dringt mein Freier erneut in mich ein. Diesmal fühlen sich seine kraftvollen Stöße noch brutaler an, da sich der Wannenrand schmerzhaft gegen mein Becken und in meinen Bauch rammt. Tränen steigen mir in die Augen. Mein Stöhnen klingt gequält, doch wie immer interessiert es meinen Freier nicht. Wenn er mich fickt, erkenne ich von dem sonst so liebevollen Mann nichts mehr. Er ist unerbittlich, aber nicht auf so psychopathische Art wie Taichi oder derart kalt wie Akito, sondern eher wie ein Lehrer, der seinen Schüler bestraft. Oft frage ich mich, ob er sich beim Sex mit mir vorstellt, ich wäre einer seiner Schüler oder sein Sohn, an denen er sich aber niemals vergreifen würde. Um diese Begierden zu kompensieren, vögelt er mich. Inzwischen lasse ich den Sex nur noch über mich ergehen und warte darauf, dass mein Freier sein Sperma in mich spritzt und dann von mir ablässt. Nach einer Weile zieht er sich endlich aus mir zurück. Ich rutsche den Wannenrand hinab und bleibe gekrümmt auf den Fliesen liegen. Am Arm zieht mein Freier mich sofort wieder nach oben. „Komm, ich mache dich sauber.“ Das Wasser läuft noch, als wir uns unter den Duschkopf stellen. Mein Freier muss mich stützen, damit ich nicht zusammensacke. Behänd greift er zwischen meine Beine, um seine Spuren abzuwaschen, wobei er mit seinem Zeige- und Mittelfinger in mich eindringt. Ich ziehe die Luft zwischen meinen Zähnen ein und lasse meinen Kopf mit der Stirn auf seine Schulter sinken. Meine Hände schlinge ich Halt suchend um seinen Hals, als ich spüre, dass er mit einem dritten Finger in mich eindringt. Weinend klammere ich mich an meinen Gegenüber, seine gegenwärtige Handlung lässt mich an Akito denken. „Yamato?“, fragt er vorsichtig. „Shh, es ist alles okay.“ Er entfernt seine Finger aus mir, duscht mich ab und zieht mir und sich selbst einen Bademantel über. Sanft küsst er meine Stirn, hebt mich hoch und trägt mich zurück ins Schlafzimmer. Dort legt er mich behutsam auf das Bett. Ich bin wie erstarrt, kann mich nicht bewegen, nur die Tränen laufen unablässig über mein Gesicht. Unbewusst bekomme ich mit, dass mein Freier den Boden säubert und erneut im Bad verschwindet. Als er wiederkommt, setzt er sich zu mir. „Würden Sie mir bitte noch einen Schuss setzen? Ich ertrage die Realität einfach nicht. Ich möchte dieses vollkommene Glück noch einmal spüren, bei dem es keine negativen Gedanken oder Gefühle gibt.“ „Nein, mein Süßer.“ Zärtlich streichelt mir mein Freier über die Wange. „Der nächste Flash würde die Intensität des ersten nicht erreichen. Und mit jedem weiteren Schuss wird er schwächer, bis du dir nur noch Heroin spritzt, um die körperlichen Entzugserscheinungen zu lindern, welche bereits innerhalb von ein bis zwei Wochen regelmäßigen Konsums auftreten. Führe dir das bitte immer vor Augen, Yamato. Ich werde dir höchsten zwei Mal im Monat Heroin spritzen und ich verlange von dir, nicht zu versuchen anderweitig an die Droge zu kommen. Versprichst du mir das?“ Ich nicke leicht. „Bekomme ich aber weiterhin BDO von Ihnen?“, frage ich flehentlich. „Ich habe etwas anderes für dich. BDO ist auf Dauer zu schädlich für den Körper, insbesondere für die Leber. GHB ist der Stoff, in den BDO, nach Einnahme, im Körper umgewandelt wird. BDO ist quasi eine Vorstufe von GHB. Beide haben somit annähernd die gleiche Wirkung, BDO geht nur eher in Richtung Alkoholrausch, GHB ist wärmer und euphorisierender. Ich denke, für deine momentane Verfassung ist das genau richtig. Allerdings wirst du die Dosierung höher ansetzen müssen, da GHB sanfter wirkt als BDO. Der Rausch bei GHB kommt später, also pass auf, dass du nicht überdosierst. Dafür hält er länger an als bei BDO. Doch auch für GHB gilt, kein Mischkonsum, vor allem nicht mit Alkohol. Ebenso darfst du nichts einnehmen, bevor ich dir Heroin spritze.“ „Verstanden. Danke.“ Ich lächle ihn leicht an. Liebevoll küsst mein Freier meine Lippen. „Wollen wir frühstücken? Danach fahre ich dich nach Hause.“ Meine Augen weiten sich und ich springe panisch auf. Ein plötzliches Schwindelgefühl zwingt mich aber zurück auf das Laken. „Was hast du?“, möchte mein Freier irritiert wissen. „Mein Vater“, flüstere ich angstvoll. „Es war nicht geplant, über Nacht wegzubleiben. Demzufolge habe ich ihm nichts gesagt. Er wird sich Sorgen machen.“ „Dann fahre ich dich sofort nach Hause. Zieh dich an. Das GHB habe ich im Auto.“ Leise schließe ich die Wohnungstür hinter mir, ziehe meine Schuhe aus und schleiche in mein Zimmer. Rasch entkleide ich mich, lege mich in mein Bett und ziehe die Decke fest um meinen Körper. Müde schließe ich die Augen. Nach einem kurzen Moment der Ruhe stehe ich noch einmal auf und schalte den CD-Player ein, dann gehe ich zurück in mein Bett. Diesmal ziehe ich die Decke über meinen Kopf. Unscheinbares Licht, die Einsamkeit zerbricht An wortlosen Briefen, geschrieben an mich Ich kann nicht ruhen noch kann ich schreiten Hinaus in diese Welt Ein Herz von Trauer, voll von Schmerz Der mich gefangen hält Ich frage mich, ob es nicht besser gewesen wäre, niemals das pure Glück zu erleben. Nach einem solchen Erlebnis in dieser Welt leben zu müssen ist grausam. Weinend krümme ich mich zusammen. Warum töte ich mich nicht? Letztlich habe ich doch nichts, was mich hier noch hält. Abgesehen von meinem Vater, den ich jedoch in Verlegenheit gebracht habe, indem ich ihn indirekt dazu zwang, mit mir zu schlafen. Mein Verhalten ihm gegenüber ist rücksichtslos und egoistisch, das weiß ich. Dennoch will ich ihn spüren, seine Zuneigung und Geborgenheit. Meine Empfindungen gehen weit über die eines Sohnes für seinen Vater hinaus. Ich begehre ihn. Zudem gibt er mir den letzten, den einzigen Halt in meinem Leben. Ohne ihn würde ich vermutlich nicht mehr zögern mich zu töten. Ich brauche ihn. Und kaltes, graues Licht zerfrisst mich innerlich Ich denke nur an damals, denke nur an dich Wenn die Nacht vom Himmel fällt Bin das Opfer deiner Welt Niemand der mir helfen kann Der mir hilft neu anzufangen Du kommst nie mehr zurück Akito. Er hat getan, was ich nicht zustande bringe. Er ist gegangen. Einfach so. Wortlos. Und hat mich allein gelassen. Ich verlor gegen seinen Hass auf die Welt. Der letzte Abend kommt mir in den Sinn. Er ist brutal mit mir umgegangen, aber auch ungewohnt leidenschaftlich. Von Schmerz erfüllt hebe ich meinen Arm vor mein Gesicht und gebe einen Kuss auf die verheilte, frisch vernarbte Wunde, die er mir zugefügt hat. Sein Stigma wird für immer deutlich sichtbar bleiben, da der Schnitt absichtlich sehr tief war. Vielleicht wusste er schon damals, was passieren würde und wollte mich deshalb an sich binden. Aber auch ohne diese Verletzung könnte ich ihn niemals vergessen. Dafür schmerzt sein Verlust zu sehr. Ich vermisse ihn. Sehnsucht zieht mich fort an einen anderen Ort Wo alles was gewesen mir noch einmal gehört Du bist fort, was blieb ist die Erinnerung an dich Und alles was ich liebe, ist Unerreichbar fern für mich Taichi. Auch er ist gegangen. Um sich zu schützen. Vor mir. Ich möchte, dass es ihm gut geht, deshalb habe ich beschlossen, mich von ihm fernzuhalten. Doch es tut weh. Aus diesem Grund versuche ich mittlerweile jeden Gedanken an ihn abzutöten. Allerdings schaffe ich es nicht. Meine Gefühle für ihn treiben mich in den Wahnsinn. Vor etwa vier Monaten ist er komplett aus meinem Leben verschwunden. Ich möchte ihn sehen, seine Stimme hören und seine Haut spüren. Warum fällt es mir nur so schwer, ihn aufzugeben? Ich ertrage es nicht, dass er sein Leben ohne mich lebt, ohne mich leben möchte. Nie werde ich ihn gehen lassen können. Dafür ist er mir viel zu wichtig. Er bedeutet mir alles. Ich liebe ihn. Kapitel 20: ------------ Ich wache auf, als es draußen bereits dunkel wird. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es nach halb sieben ist. Schwerfällig erhebe ich mich aus dem Bett. Der Schlaf war keineswegs erholsam. Ständig wachte ich auf, dazwischen träumte ich schlecht. Noch immer leicht benommen gehe ich zu meinem Schrank und ziehe mir Shorts und ein Hemd über, welches ich offen lasse. Kurz setze ich mich an meinen Schreibtisch, um ein paar Notizen zu machen, dann verlasse ich mein Zimmer. Ich möchte in die Küche gehen, Kaffee kochen, doch ich höre den Fernseher im Wohnzimmer, sodass ich einen Blick hineinwerfe. Mein Vater sitzt auf dem Sofa, in der Hand ein Glas Whiskey, wie ich an der halbleeren Flasche auf dem Tisch erkennen kann. „Hast du das alles getrunken?“, frage ich leise, wobei ich näher komme. Er antwortet mir nicht und leert stattdessen sein Glas. Dann stellt er es auf den Tisch, steht auf und macht einige Schritte auf mich zu. Seine Augen, die mich fixieren, sind glasig und erinnern mich an Taichi, wenn er betrunken war. Ohne ein Wort zu sagen und schmerzhaft stark packt er mich am Oberarm. Mit ganzer Kraft schlägt er mir erst mit der flachen Hand ins Gesicht, dann mit der Rückhand noch einmal. Mir wird kurzzeitig schwarz vor Augen und ich taumle. Würde mein Vater mich nicht festhalten, hätte ich das Gleichgewicht ganz verloren und wäre zu Boden gegangen. „Wo warst du?“, fragt er wütend. Ich schaue zur Seite und lecke das Blut von meiner Lippe. Krampfhaft überlege ich, was ich ihm antworten soll. „Yamato, verdammt! Wo warst du die ganze Nacht? Und warum hältst du es nicht einmal für nötig, etwas zu sagen, wenn du nach Hause kommst?“ Noch immer schweige ich und sehe ihn nicht an. Erneut verpasst mein Vater mir eine kräftige Ohrfeige, anschließend drängt er mich rückwärts, bis ich gegen die Wand des Wohnzimmers hinter mir stoße. Hart presst er mich an den Schultern dagegen. „Wenn du mir nicht sofort sagst, wo…“ „Was ist dann? Prügelst du mich bewusstlos? Nur zu, das wirst du ohnehin tun, wenn du erfährst, wo ich war.“ Ich lächle ihn trotzig und provozierend an. „Nämlich bei einem Freier und ich habe es mir von ihm ordentlich besorgen lassen. Du willst mich schließlich nicht ficken.“ Bei diesen Worten und vermutlich aufgrund seiner Alkoholisierung verliert mein Vater die Beherrschung und schlägt ungehemmt auf mich ein. Es fühlt sich so an, als würde er seine gesamte aufgestaute Wut an meinem Körper auslassen. Er tritt sogar nach, als ich bereits zitternd vor Schmerz am Boden liege. Dann bricht auch er weinend zusammen. Behutsam nimmt er mich in den Arm. „Du weißt, warum ich das jetzt tun musste. Ich liebe dich und ich werde nicht dabei zusehen, wie du dich weiter selbst zerstörst. Wenn du nicht willst, dass ich dich einweise, dann reiß dich zusammen, hast du verstanden?“ Er drückt mich fest an sich und streichelt über meinen Kopf. „Papa, bitte verzeih mir. Ich möchte dich auf keinen Fall verletzen, auch wenn es manchmal so scheint.“ Schutz suchend schmiege ich mich an ihn. „Aber ich will ehrlich sein. Ich kann dir nicht versprechen, dass es nie wieder vorkommt.“ „Ich weiß“, seufzt er resigniert und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. „Kannst du aufstehen?“ Ich bewege mich ein wenig, zucke aber vor Schmerz zusammen. Mein gesamter Körper tut weh, besonders der letzte Tritt in den Magen hat mir ziemlich zugesetzt. „Hilfst du mir bitte? Ich glaube, allein schaffe ich es nicht.“ „Denkst du, es ist etwas gebrochen? Fühlt es sich so an, als hättest du innere Verletzungen?“ Nun klingt mein Vater sehr besorgst, sogar leicht panisch. „Nein, keine Sorge. Einige Stellen werden ziemlich blau, violett werden, aber sonst ist nichts weiter passiert. Mach dir keine Sorgen.“ Liebevoll lächle ich ihn an. Während mein Vater aufsteht und mich vorsichtig mit nach oben zieht, klammere ich mich voller Zuneigung an ihm fest. „Kannst du stehen?“ Statt zu antworten, fahre ich ihm mit meiner Hand durch das Haar. Mein Herzschlag beschleunigt sich, als ich den warmen, nach Whiskey riechenden Atem meines Gegenübers in meinem Gesicht spüre. Zaghaft, beinahe unschuldig berühre ich mit meinen Lippen die meines Vaters. Unerwartet spüre ich sofort die Zunge meines Vaters in meinem Mund, der mich von sich aus in einen sehr intimen Zungenkuss verwickelt. Noch nie bin ich auf eine solch verzehrende Art geküsst worden. Sehnsuchtsvoll streift er das Hemd von meinen Schultern. Hitze steigt in mir auf. Als mein Vater mich erneut mit dem Rücken gegen die Wand drängt, spüre ich deutlich meinen schmerzenden Körper, aber auch die enorme Erregung, die mich durchströmt. „Deine Lippen schmecken nach Blut“, flüstert mein Gegenüber, als er sich schwer atmend von mir löst. „Und deine nach Alkohol.“ Ich halte inne, als ich mir meiner Aussage bewusst werde. Taichi. Genau dieselben Worte richtete ich einst an ihn. Unter Anstrengung kämpfe ich meine Tränen nieder und wende meine Aufmerksamkeit wieder meinem Vater zu. Wir versinken erneut in einem leidenschaftlichen Kuss. Voller Begehren öffne ich seine Hose, als mein Vater mir Einhalt gebietet. „Yamato…“ Ich lege meinen Finger auf seine Lippen und bringe ihn somit zum Schweigen. „Nimm mich, Hiroaki“, flüstere ich hingebungsvoll in sein Ohr. Sanft hauche ich ihm einen Kuss auf die Wange. Mein Vater betrachtet mich, mustert meinen Körper eingehend. Dann hebt er mich plötzlich hoch und trägt mich zu sich ins Schlafzimmer. Der Schmerz, den ich dabei verspüre, erregt mich zusätzlich. Sachte lässt mein Vater mich auf das Bett sinken und entledigt mich meiner Shorts. Anschließend entkleidet er sich selbst. Mit seinen Händen fährt er sinnlich über meine Knie, die Oberschenkelinnenseiten entlang, bevor er sie auseinanderdrückt, seinen Körper dazwischen drängt und somit über mich kommt. Ich spüre seine Erregung. Mit leicht gerötetem Gesicht schaut er zu mir hinunter. Dass er Alkohol getrunken hat, merkt man nach wie vor sehr deutlich. Ansonsten würde er sich jetzt nicht darauf einlassen, mit mir zu schlafen. Zumal die Initiative diesmal vorwiegend von ihm ausgeht. „Würdest du auf die Freier verzichten, wenn im Gegenzug ich mit dir schlafe?“, raunt mein Vater heiser in mein Ohr. Meine Augen weiten sich und ich blicke wie erstarrt zur Decke, während ich entblößt und mit gespreizten Beinen unter meinem Vater liege. In aller Ruhe packe ich meine Schulsachen zusammen und verstaue sie in meiner Schultasche. Die letzten meiner Mitschüler verlassen gerade den Raum, sodass ich im Klassenzimmer allein bin. Ich greife in meine Jackentasche und hole das kleine braune Fläschchen, in dem sich das GHB befindet, heraus. Nachdem ich es gegen das Licht gehalten habe und feststellen musste, dass ich mit meiner jetzigen Einnahme erneut alles aufbrauchen werde, träufle ich mir den Rest der Flüssigkeit in den Mund. Ich konsumiere derzeit immer nur gerade so viel, dass ich eine leicht euphorisierende Wirkung erziele. Ein wenig verziehe ich das Gesicht. An den salzig-seifigen Geschmack werde ich mich nie ganz gewöhnen, weshalb ich mir in den letzten zwei Wochen oft eine Dose Orangensaft am Automaten gezogen habe, um das GHB zu verdünnen. Seit ich auf Heroin war, erscheint mir die Wirkung des GHB allerdings extrem schwach. Dennoch benötige ich es inzwischen jeden Tag, wobei ich die Droge nach dem Unterricht einnehme, damit ich den Rest des Tages überstehe, abends erhöhe ich auf eine sedierende Dosis, um schlafen zu können. Mein Blick fällt auf Akitos Platz, der, seitdem er gegangen ist, immer leer bleibt. Ich gehe darauf zu, während ich das Fläschchen wieder in meiner Jackentasche verschwinden lasse, und setze mich auf den Stuhl, auf dem mein Freund immer gesessen hat. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, welches mir die Kehle zuschnürt und die Luft zum Atmen nimmt. Hier hatten wir das erste Mal Sex. Ich forderte ihn dazu auf und bat ihn dann mittendrin aufzuhören, weil ich mich übergeben musste. Ein leichtes Lächeln legt sich auf meine Lippen. Seine brutalen Übergriffe und die Versuche, mir zu schaden, weckten wider Erwarten mein Interesse an ihm und ich fühlte mich immer stärker zu ihm hingezogen. Mittlerweile vermute ich allerdings, dass genau diese Entwicklung in seiner Absicht lag und letztlich ist seine Rechnung auch aufgegangen. Erfüllt von Melancholie lasse ich meinen Kopf auf die Tischplatte sinken. Tränen steigen in meine Augen, tropfen auf das abgeschliffene und lackversiegelte Holz. Meine Sicht verschwimmt und meine Augen brennen unangenehm, dennoch möchte ich sie nicht schließen. Stattdessen versuche ich das Weinen zu unterdrücken. Zunächst gelingt es mir nicht, doch mit der Zeit werde ich allmählich ruhiger. Ich spüre, wie die Anspannung von mir abfällt und ich von einer angenehmen Wärme durchströmt werde. Mit dem Ärmel trockne ich mein Gesicht, stehe auf und hole meine Tasche von meinem Tisch. Noch einmal schaue ich mit einem Lächeln auf Akitos Platz, dann verlasse ich den Klassenraum. Gemächlich laufe ich über den Flur. Ich fühle mich leicht, unbeschwert, nahezu frei von Gedanken. Als ich den Schulhof betrete, ziehe ich meine Jacke über den Blazer der Schuluniform, da es für Ende Oktober recht kühl ist. Anschließend zünde ich mir eine Zigarette an. Während ich das Schulgelände verlasse, überlege ich, wie ich meinem Vater erkläre, dass ich die Nacht über nicht zu Hause sein werde. Vielleicht sollte ich ihm einfach die Wahrheit sagen, dass ich mich von einem Freier ficken lasse. Meine Gegenleistungen, Heroin und GHB, sollte ich ihm allerdings verschweigen. Ich frage mich, ob mein Vater sein Angebot damals ernst gemeint hatte. Würde er mich wirklich nehmen, wenn ich im Gegenzug auf Sex mit Freiern verzichte? In jenem Moment konnte ich es nicht. Ich konnte nicht mit ihm schlafen. Als ich in dieser eindeutigen Stellung unter ihm lag, wollte ich ihn zunächst in mir spüren. Doch letztlich hat mich der Geruch von Alkohol zu sehr an Taichi erinnert. Unter Tränen drehte ich mich weg und signalisierte meinem Vater dadurch, dass ich es in diesem Augenblick nicht konnte. Im Nachhinein frage ich mich, ob er wirklich in mich eingedrungen wäre. Seit diesem Vorfall habe ich keinen weiteren Annährungsversuch gestartet, auch um zu verhindern, dass er meinen regelmäßigen Drogenkonsum bemerkt, dabei sehne ich mich sehr nach seinen Berührungen, seiner Art, mich zu küssen, sowie dem Gefühl, wenn er sich in mir bewegt. Genüsslich ziehe ich an meiner Zigarette. Die Rastlosigkeit in meinem Inneren wird stärker und mein Tatendrang ist kaum noch zu bändigen. Schnell eile ich über die Straße und werde lautstark von einem Auto, welches eine Vollbremsung machen musste, angehupt, da ich vor dem Überqueren weder nach rechts noch nach links geschaut habe. Selbst die Beschimpfungen des Fahrers interessieren mich nicht und ich laufe unbekümmert, ohne mich nach ihm umzusehen, einfach weiter. Kurz bevor ich zu Hause ankomme, stellt sich ein leichtes Schwindelgefühl ein und ich habe geringfügig Schwierigkeiten mit meiner Motorik. Wahrscheinlich war die Dosis diesmal ein wenig zu hoch. Etwas wankend steige ich die Treppen nach oben in den vierten Stock und schließe die Tür zur Wohnung auf. Wie erwartet ist niemand zu Hause. Es ist noch zu früh, mein Vater kommt erst in einigen Stunden nach Hause. Freitags macht er generell meist später Feierabend, da im Sender noch etliche Vorbereitungen für das Wochenende zu treffen sind. Ich ziehe mich in meinem Zimmer um, lege mich auf das Bett und schaue zur Decke. Mein Gefühl der Aufregung will einfach nicht verschwinden. Liegt es daran, dass ich gerade drauf bin oder an der Tatsache, heute Abend den lang ersehnten Schuss zu bekommen. Auch wenn die zwei Wochen des Wartens hart waren und ich sie nur durch die Einnahme einer anderen Droge überstehen konnte, habe ich beschlossen, mich an die Abmachung mit meinem Freier zu halten und keine anderen Drogen zu konsumieren, als die, welche er mir verabreicht beziehungsweise als Gegenleistung für Sex gibt. Denn ich bin mir inzwischen sicher, dass ich ansonsten sehr schnell und tief in die Abhängigkeit rutsche. Ich schaue auf die Uhr über meiner Tür. Es ist noch Zeit, bis ich mich auf den Weg zum Treffpunkt mit meinem Freier machen muss. Voller Elan stehe ich auf und setze mich an meinen Schreibtisch. Ich will meine momentan positive Verfassung dazu nutzen, ein wenig zu lernen, zuvor schreibe ich jedoch noch etwas an dem Lied weiter, woran ich in letzter Zeit arbeite. In diesem Zustand ist es zwar nicht möglich, die richtige Atmosphäre in den Text oder die Melodie zu bringen, aber ich kann gut an den technischen Details feilen. Entfernt nehme ich wahr, dass die Tür zu meinem Zimmer geöffnet wird. „Yamato“, höre ich die Stimme meines Vaters. Liebevoll streicht er mir über die Wange und dabei einige Strähnen meiner Haare aus dem Gesicht. Ich blinzele ihn an, dann schrecke ich entsetzt hoch. „Wie spät ist es?“ „Halb acht. Ich wollte dich zum Abendessen wecken. Offenbar bist du beim Lernen eingeschlafen.“ Erleichtert atme ich auf. Ich muss erst in einer Stunde beim Treffpunkt sein. Die Wirkung des GHB scheint inzwischen größtenteils verflogen zu sein, sodass mein Vater keinen Verdacht schöpfen dürfte. Zudem fällt mir gerade ein, dass ich vor dem Heroinkonsum keine anderen Drogen einnehmen soll, um einen gefährlichen Cocktail mit unvorhersehbaren Folgen zu vermeiden. Besonders die Kombination von GHB und Heroin oder auch Alkohol kann zur Atemdepression bis hin zum Atemstillstand führen. An sich sehr reizvoll, aber mit Sicherheit nicht angenehm. „Ich habe überhaupt keinen Appetit, Papa. Bitte zwing mich nicht.“ „Du weißt, dass ich über dieses Thema nicht diskutiere. Und jetzt komm“, sagt er kompromisslos und wartet darauf, dass ich mich erhebe. „Ja, ich weiß. Entschuldige“, gebe ich mich versöhnlich und lächle ihn an. Gemeinsam gehen wir in die Küche und setzen uns an den Tisch, an dem wir schweigend unser Essen einnehmen. „Was ist eigentlich in letzter Zeit mit dir los?“, unterbricht mein Vater plötzlich die unerträgliche Stille im Raum. Ich lasse meine Schale mit Reis sowie die Stäbchen sinken und schaue meinen Vater aufmerksam an. „Es ist nichts. Wie kommst du darauf?“ „Ich freue mich ja, dass du dich so auf das Lernen konzentrierst, aber ich habe das Gefühl, es steckt mehr dahinter, hab ich recht?“ Schmerzlich lächle ich meinen Vater an. „Nachher muss ich noch einmal weg und werde heute Nacht auch nicht nach Hause kommen.“ „Nein, Yamato! Du gibst dich keinem Freier mehr hin. Ich lasse nicht zu, dass du deinen Körper weiterhin verkaufst.“ „Dann war dein Angebot ernst gemeint? Du schläfst stattdessen mit mir?“ Betreten lässt mein Vater seinen Blick sinken. „Verstehe, es war doch nur der Alkohol, der aus dir sprach.“ Geräuschvoll stehe ich auf. „Ich muss los, sonst komme ich zu spät.“ „Du wirst nicht gehen.“ Mein Vater steht ebenfalls auf und hält mich mit festem Griff am Arm zurück. „Und wenn ich dich einsperren muss.“ „Dann springe ich aus dem Fenster. Bei der Höhe hätte ich vielleicht sogar eine Chance, zu überleben“, entgegne ich trocken und reiße mich von ihm los. „Lass den Unsinn. Ich meine es ernst.“ „Ich auch, Papa.“ Unbeirrt ziehe ich im Flur meine Schuhe und meine Jacke an. Dann nehme ich meinen Schlüssel von der Kommode. Gerade als ich die Tür öffnen will, packt mich mein Vater unsanft an den Schultern und presst mich hart gegen die Wand. Sein Körper ist dicht an meinen gedrängt und sein Gesicht ist so nah, dass ich seinen Atem erregend auf meiner Haut spüre. Ich schaue ihm direkt in die Augen, als sich ein Lächeln auf meine Lippen schleicht. Fordernd umfasse ich die Hüften meines Vaters und schmiege mich lasziv an seinen Körper. „Komm schon, Hiroaki. Küss mich“, flüstere ich verlangend. „Nimm mich, dann bleibe ich auch bei dir.“ Behutsam löst er sich von mir, tritt einen Schritt zurück und gibt mich somit frei. Schmerzlich betrachte ich meinen Vater. „Ich verstehe“, sage ich erzwungen monoton und verlasse die Wohnung. So schnell ich kann und ohne auf meine Umgebung zu achten, renne ich zur U-Bahn-Station. Tränen brennen in meinen Augen und verwehren mir eine klare Sicht. Unruhig sitze ich auf meinem Bett. Ich möchte spüren, wie das Heroin durch meine Venen fließt, die Unbeschwertheit, die ich dabei empfinde. Es ist tatsächlich das pure Glück, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Nun muss ich wieder zwei Wochen widerliche Realität ertragen, welche ich aber zumindest mithilfe des GHB etwas beschönigen kann. Sorgen bereitet mir allerdings mein Vater. Seit ich heute Vormittag von meinem Drogenfick nach Hause kam, habe ich das Gefühl, er geht mir aus dem Weg. Entschlossen stehe ich auf und verlasse mein Zimmer. Mein erster Weg führt in die Küche, doch dort ist er nicht. Als nächstes schaue ich im Wohnzimmer nach. Wieder Fehlanzeige, das heißt er muss in seinem Zimmer sein, der Raum, den auch Taichi bewohnt hat. Ein beklemmendes Gefühl stellt sich ein, während ich die Türklinke herunterdrücke. Ich klopfe bewusst nicht an, da ich ohnehin eintreten werde. Mein Vater steht am Fenster und raucht eine Zigarette. Der Aschenbecher, den er auf das Fensterbrett gestellt hat, quillt beinahe über. Ich schließe die Tür hinter mir und durchquere das Zimmer, wobei mein Blick auf die Stelle fällt, an der Taichi sich im Vollrausch den Arm aufgeschnitten hatte. Sein Blut ist inzwischen nicht mehr sichtbar, der Fleck ließ sich restlos auswaschen, ebenso wie der meines Blutes, der entstand, als Taichi verschwunden war. Damals hatte er mich zum ersten Mal mit einer Frau betrogen. Zumindest glaube ich, dass es das erste Mal war. Neben meinem Vater bleibe ich stehen, nehme ihm die Zigarette aus der Hand und ziehe selbst daran. Tief inhaliere ich den Rauch in meine Lungen und lasse ihn dann sanft wieder entweichen. Als ich meinem Vater die Zigarette entgegenhalte, winkt er ab, sieht mich jedoch weiterhin nicht an. „Papa, was ist los? Warum ignorierst du mich?“, frage ich verzweifelt. „Bitte sieh mich endlich an!“ Meine Stimme zittert, als ich ihm die Worte fast entgegen schreie. Traurig blickt mein Vater zu mir. Er sieht müde aus, seine Augen wirken leblos und dunkle Ringe zeichnen sich darunter ab. „Sag mir, was ich noch tun soll. Ich habe das Gefühl, dich überhaupt nicht mehr zu erreichen. Du entgleitest mir, Yamato. Wie soll ich mit dir umgehen, ohne Schaden anzurichten?“ Völlig aufgelöst setzt er sich auf das Bett und vergräbt sein Gesicht in den Händen. Ein schmerzhaftes Stechen scheint meine Brust zu durchbohren und lähmt meinen Körper. Für einen Moment herrscht bedrücktes Schweigen. Nur schwer schaffe ich es, mich aus meiner Erstarrung zu lösen. Ich nehme dicht neben meinem Vater Platz und lege ihm sachte meine Hand auf sein Knie. „Es ist alles okay. Du machst nichts falsch, hörst du? Du machst nichts falsch.“ Ich beuge mich zu ihm herüber, löse seine Hände und drehe sein Gesicht zu mir. Sanft berühre ich mit meiner Stirn die seine, Tränen laufen meine Wangen hinab. „Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr. Deshalb möchte ich, dass es dir gut geht. Verzeih mir, dass ich dir das Leben zur Hölle mache, aber…“ „Shh.“ Voller Zuneigung legt er mir seinen Zeigefinger auf die Lippen, um mich zum Schweigen zu bringen. „Vorwürfe gegen dich selbst machen es allenfalls schlimmer.“ Wir schauen einander an, dabei sind sich unsere Gesichter so nah, dass sich unsere Lippen fast berühren. „Ich möchte dich jetzt küssen“, flüstere ich schwer atmend. „Yamato, ich…“ „Warum wehrst du dich so dagegen? Findest du mich derart abstoßend?“ Meine Stimme ist ruhig und gezeichnet von Erregung. „Nein, das überhaupt nicht. Du vergisst allerdings, dass ich nicht auf Männer stehe.“ „Also hast du dich geekelt, als du mit mir geschlafen hast“, stelle ich ernüchtert fest, verharre jedoch in meiner Position. „Ich habe mich keineswegs geekelt. Allerdings habe ich auch keine Lust empfunden.“ Erleichterung überkommt mich, als ich die Worte meines Vaters vernehme. Zuversichtlich lächle ich ihn an. „Darauf kommt es doch nicht an. Es dauerte lange, bis ich Lust beim Sex empfinden konnte. Bei meinen Freiern verspüre ich so gut wie nie Lust, lediglich mein Körper reagiert und auch mit Taichi und Akito habe ich oft geschlafen, ohne Lust zu empfinden. Aber das ist in Ordnung, denn eigentlich geht es, wenn man jemanden liebt, nur darum, den anderen so intensiv wie möglich zu spüren. Und dabei spielt die Art der Liebe keine Rolle, nur die Intensität der Gefühle.“ Zaghaft berühren sich unsere Lippen. Zunächst bleibt der Kuss sehr verhalten, doch dann geht mein Vater auf meine Sehnsucht ein und schiebt seine Zunge in meinen Mund. Sofort schlägt mein Herz schnell und eine angenehme Aufregung ergreift Besitz von mir. Ohne mich von meinem Vater zu lösen, setze ich mich auf seinen Schoß, er jedoch unterbricht den Kuss atemlos. „Nein, hör jetzt nicht auf“, raune ich erregt in sein Ohr. „Ich glaube, ich verstehe allmählich, wie du denkst und fühlst. Allerdings kann ich nicht danach handeln. Es tut mir leid.“ Ich lächle nachsichtig und drücke meinen Vater in eine liegende Position auf das Bett. „Lass dich einfach fallen und entspann dich.“ Während ich seine Hose öffne, beobachte ich die Mimik meines Vaters genau. Widersprüchliche Gefühle spiegeln sich darin, die ich nicht genau einzuordnen in der Lage bin. „Heißt das, du willst…“, fragt mein Vater ungläubig, als ihm die Bedeutung meiner Worte bewusst wird. „Ja, ich werde dich nehmen. Vielleicht kann ich dir auf diese Weise helfen.“ „Hör auf, Yamato. Diese Rollenverteilung kommt mir erst recht falsch vor.“ „Dann bevorzugst du es, in mich einzudringen?“ Ich beuge mich zu ihm hinab und küsse seine Lippen, dabei bleibe ich auf seinen Beinen sitzen. „Wenn du so fragst, ja. Aber eigentlich steht das überhaupt nicht zur Debatte. Bitte versteh, dass ich nicht noch einmal mit dir schlafen werde.“ „Als wir letztens beide unbekleidet in diesem Bett waren, hättest du mich genommen, wenn ich mich nicht weggedreht hätte?“ Für einen Moment herrscht Stille. „Ja. Ich war kurz davor, in dich einzudringen“, gibt mein Vater beschämt zu. „Also ist es unter Alkoholeinfluss oder Drogen kein Problem für dich, Sex mit mir zu haben.“ Ohne Vorwarnung umfasst mein Vater meine Hüften und hebt mich von sich herunter, wobei er mich soweit herumdreht, dass ich unter ihm zum Liegen komme.“Ja, genau so“, flüstere ich heiser. Ich ziehe ihn am Nacken weiter zu mir herunter und küsse ihn erneut. Erregt bäume ich mich auf, als ich merke, dass mein Vater mit seiner Hand meine Hose öffnet und anschließend in meine Shorts gleitet. Mit geschickten Bewegungen holt er mir einen runter. Immer wieder unterbreche ich unser Zungenspiel durch lauter werdendes Stöhnen. Ich kralle mich, so gut es geht, an meinem Vater fest, suche Halt und Geborgenheit, während er mich immer weiter in die Ekstase treibt. „Yamato, ich liebe dich über alles und du weißt, dass ich auch ausnahmslos alles für dich tun würde. Aber mit dir zu schlafen…“ „Tu es einfach. Bitte, ich halte es nicht mehr aus“, keuche ich und schaue ihn mit verklärtem Blick an. „Mein ganzer Körper verglüht vor Verlangen nach dir. Ich will dich ganz tief in mir spüren.“ Als Reaktion beschleunigt mein Vater seine Stimulation, bis ich schließlich in seiner Hand abspritze. Schwer atmend lasse ich ihn los und sinke erschöpft auf die Matratze zurück. „Deinen letzten Ausführungen entnehme ich, dass du es zumindest nicht mehr komplett ausschließt, noch einmal mit mir zu schlafen. Oder ist das nur mein Wunschdenken?“ Zärtlich gibt mir mein Vater einen Kuss auf die Stirn, dann steht er ohne meine Frage zu beantworten auf. „Ich liebe dich“, flüstere ich voller schmerzlicher Zuneigung, als er das Zimmer verlässt, vermutlich um sich die Hände zu waschen. Lächelnd schließe ich meine Augen. Die Schulglocke ertönt und verkündet das Ende des Unterrichts. Wieder habe ich einen Tag in der Lehranstalt überlebt und wieder warte ich, bis meine Klassenkameraden den Raum verlassen haben. Als ich allein bin, gebe ich etwas von dem GHB in eine Dose Orangensaft, welchen ich mir in der Pause am Automaten gezogen habe. Gierig trinke ich ein paar große Schlucke. Die Droge hilft mir seit einigen Wochen regelmäßig nach dem Unterricht den Rest des Tages zu überstehen. Ich merke, dass ich allmählich drohe komplett abzustürzen. Aus diesem Grund sollte ich langsam einen Entzug in Erwägung ziehen. Nach zweiundsiebzig Stunden müssten die Symptome weitestgehend verschwunden sein, aber ich sollte anschließend noch einige Tage clean bleiben. Doch eine Woche harte Realität ertrage ich nie ohne durchzudrehen. Leicht nervös packe ich meine Sachen zusammen und verlasse das Klassenzimmer. In letzter Zeit wird die innere Unruhe immer schlimmer, wenn ich nicht drauf bin. Meine Gedanken treiben mich in den Wahnsinn und ich habe das Gefühl, als würde ich jeden Augenblick den Halt verlieren. Ich trinke noch einen großen Schluck des mit Drogen versetzten Saftes, während ich den Flur entlang laufe. Zwei Schülerinnen aus meiner Klasse kommen mir entgegen. Sie schauen verstohlen zu mir, dann lächeln sie schüchtern und laufen rasch an mir vorbei. Ich frage mich, ob den Weibern klar ist, wie dämlich und albern sie sich meistens verhalten. Gibt es tatsächlich Männer, die dieses lächerliche, peinliche Verhalten süß finden? Mich stößt es eher ziemlich heftig ab. Bevor ich das Gebäude verlasse, stelle ich mein Getränk auf einem der Fensterbretter ab und ziehe meine Jacke an. Erneut nippe ich an der Dose, als ich den Hof betrete. Ich atme tief durch. Nur noch einen Moment Geduld, dann wird alles leichter, angenehmer, wärmer. Auf Drogen zu sein ist für mich mittlerweile die einzige Möglichkeit, das Leben wenigstens etwas fühlen zu können, dem Gleichmut des Alltages zu entkommen. Langsam laufe ich über das Schulgelände. Der Himmel ist dunkel und dicht bewölkt. Es riecht nach Regen. Kurz bevor ich den Ausgang erreiche, bleibe ich wie versteinert stehen. „Taichi“, flüstere ich nahezu lautlos. Er lehnt an der Mauer des Schultors und scheint auf jemanden zu warten. Als er jedoch sieht, dass ich nicht weiterlaufe, kommt er ein paar Schritte auf mich zu. Mit meinen Augen fixiere ich ihn. Mein Herz schlägt schnell und schmerzhaft hart gegen meinen Brustkorb, als würde es meine Rippen zerbersten wollen. „Yamato.“ Tais Stimme klingt ungewohnt klar und warm. Erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr ich es vermisst habe, wenn er meinen Namen sagt. Tränen füllen meine Augen, doch es gelingt mir, sie zu unterdrücken. Noch immer besteht eine Distanz zwischen uns, sowohl räumlich als auch emotional, zumindest fühlt sich die Situation gerade merkwürdig fremd an. Unsicher führe ich die Dose zu meinem Mund und trinke ein wenig von dem Saft-Drogen-Gemisch. „Wie geht es dir?“, durchbricht Taichi das unangenehme Schweigen mit ernstem Blick. „Ziemlich gut“, antworte ich wahrheitsgemäß. Ich bin tatsächlich leicht euphorisch und es fällt mir schwer, herauszufiltern, ob es am GHB oder an Taichis Anwesenheit liegt. Dieser mustert mich prüfend, beinahe skeptisch. „Du bist jetzt seit etwa zwei Wochen wieder zu Hause, oder?“, rede ich weiter, bevor mein Gegenüber näher auf mich eingehen kann. „Ja, aber ich bin weiterhin in psychologischer Betreuung, da die eigentliche Arbeit erst jetzt beginnt.“ Ich lächle ihn an. „Du wirst es schaffen, da bin ich mir sicher. Vor allem, weil deine Freundin dir den nötigen Rückhalt geben kann.“ Ich bin erstaunt, dass ich doch sehr gefasst mit dieser Konfrontation umgehe, und frage mich erneut, ob ich es der Wirkung der Droge verdanke oder ob ich unter normalen Umständen ähnlich gelassen reagieren würde. Ich verspüre keine einzige negative Emotion, weshalb ich mich unverkrampft auf bekanntschaftlicher Ebene mit Taichi unterhalten kann. Der betrachtet mich noch immer mit einer Mischung aus Argwohn und Irritation. Offenbar hatte er eine andere Reaktion meinerseits erwartet. Kurz überlege ich, ob ich mich ungewöhnlich verhalte, allerdings fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren und eigentlich ist es auch egal. „Yamato…“ „Was tust du eigentlich hier?“, unterbreche ich Tai. Dass er im Begriff war, etwas zu sagen, registriere ich nur am Rande und vergesse es sofort wieder. „Meinst du die Frage ernst?“, entgegnet er mit Verwunderung. Ich lache. „Ja, natürlich. Sonst würde ich nicht fragen.“ Anstatt meinen Gegenüber anzusehen, spiele ich mit dem Verschluss der Dose, die ich nach wie vor in meiner Hand halte. „Ich wollte dich sehen.“ Tais Stimme ist ruhig und voller Zuneigung. „Einfach so? Ohne Anliegen?“, hinterfrage ich neutral. „Können wir reden? Immerhin ist einiges passiert. Viele Sachverhalte sind ungeklärt.“ „Gerade ist es eher schlecht“, gebe ich gleichmütig zur Antwort. Ein Gespräch unter diesen Bedingungen würde zu nichts führen, doch das kann ich ihm nicht sagen. Ohnehin befürchte ich, dass Tai bemerkt hat, dass ich gerade drauf bin. Schließlich kennt er mich besser als jeder andere, zumindest war es vor seinem Absturz, und bevor er unsere Beziehung beendete, so. Stoisch leere ich meine Dose und entferne mich etwas von Taichi, um sie in einen der umliegenden Mülleimer zu werfen. „Du hast dich verändert, Yamato“, ruft er mir seine Behauptung in traurigem Ton hinterher. Ich drehe mich um und lächle. „Wie du sagtest, es ist einiges passiert.“ Unberührt von der Tatsache, dass ich mich noch auf dem Schulgelände befinde, zünde ich mir eine Zigarette an und inhaliere den Rauch tief in meine Lungen. „Tut mir leid, aber ich muss jetzt langsam los.“ „Ja“, höre ich Taichi leise sagen. „Okay, pass auf dich auf. Bis dann.“ Zum Abschied hebe ich die Hand, dann mache ich mich auf den Weg nach Hause, ohne mich noch einmal umzudrehen. Ich laufe zügig, werde jedoch bald langsamer, bis ich stehenbleibe. Laut beginne ich zu lachen, zum einen, weil mir gerade danach ist, wobei mich die dämlichen Blicke der Passanten überhaupt nicht interessieren, und zum anderen, weil meine Halluzinationen immer realistischer werden. Liegt es wirklich am GHB oder werde ich nun vollends verrückt? Allerdings, wenn ich auf diese Weise wieder mit Taichi zusammen sein kann, auch wenn es nicht der Realität entspricht, werde ich dafür sorgen, dass ich von den Drogen gar nicht mehr runterkomme. Denn immerhin bin ich dann glücklich. Ich liege mit hinter meinem Kopf verschränkten Armen auf meinem Bett und starre zur Decke. Die Sonne ist vor Kurzem untergegangen, weshalb es in meinem Zimmer relativ dunkel ist. Inzwischen hat die Wirkung des GHB nachgelassen, die unschöne Realität hat mich weitestgehend wieder. Mein Vater ist heute für einen Freitag verhältnismäßig zeitig zu Hause, die nächste Dosis werde ich also wie gewohnt erst zum Schlafen einnehmen. Vielleicht kann ich dann wieder bei Taichi sein. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob die Begegnung heute Nachmittag tatsächlich nur Einbildung war. Noch nie hatte ich eine solch realistische Halluzination, zumal GHB keine halluzinogene Wirkung besitzt. Verzweifelt schlage ich meine Hände vor das Gesicht. Allmählich kann ich den Drogenrausch kaum noch von der Wirklichkeit unterscheiden. Die Grenzen verschwimmen, gehen ineinander über. Jedenfalls hat mir der Vorfall, ob echt oder nicht, erneut vor Augen geführt, wie einsam ich mich fühle, wie sehr ich Taichi vermisse. Dennoch muss ich mich zusammenreißen. Ich habe mit dem Thema abgeschlossen, endgültig. Es tut weh, doch ich habe keine andere Wahl. Meine Augen brennen und meine Kehle ist wie zugeschürt. Ich atme tief durch, um nicht die Kontrolle über meine Emotionen zu verlieren. Ein Klopfen an der Tür lässt mich hochschrecken und meinen Vater, der zur Tür hereinschaut, mit weit aufgerissenen Augen ansehen. „Ist alles okay?“, fragt er besorgt, als er in mein Gesicht schaut. Um mich besser ansehen zu können, tastet er nach dem Lichtschalter. „Nein. Bitte schalte das Licht nicht ein“, versuche ich ihn aufzuhalten. Mein Vater hält inne und betrachtet mich eingehend. „Was ist los, Yamato?“ „Nichts. Ich möchte nur lieber im Dunkeln sein.“ Seufzend setzt sich mein Vater neben mich. „Und das hat keinen Grund?“ Ich blicke mit tränennassen Augen in sein Gesicht. Warum lässt mich seine Anwesenheit immer so schwach werden? Bei ihm will ich mich fallen lassen, vollständig. Andererseits möchte ich ihm keine Sorgen bereiten und daher lieber schweigen sowie auf Abstand gehen, womit ich ihm allerdings genauso wehtun würde. Ich greife nach der Hand meines Vaters und halte sie mit der Innenfläche an meine Wange. „Fühlen sich Berührungen echt an, auch wenn sie es nicht sind? Wie realistisch können Halluzinationen sein?“ „Wie meinst du das?“, fragt mein Gegenüber zaghaft. Statt zu antworten, beuge ich mich zu ihm und küsse ihn. „Habe ich dich gerade geküsst? Dein Geschmack ist auf meinen Lippen.“ Ich lecke darüber, dann küsse ich ihn erneut. Mein Vater geht nicht darauf ein, sondern löst sich sanft von mir, hält mich aber an den Schultern fest. „Was ist los? Warum bist du so durcheinander?“ „Ich bitte dich, lass mich dich spüren.“ Verzweifelt schaue ich ihn an. „Yamato, nicht…“ „Bitte! Füll die Leere in mir aus, gib mir Halt, bevor ich ganz abstürze.“ Ich zittere ebenso wie meine Stimme. „Ich brauche dich so sehr!“ Unsicher knöpfe ich mein Hemd auf und warte auf eine Reaktion meines Vaters. Verlegen senke ich meinen Blick. „Entschuldige, ich…“ Meine Augen weiten sich und ich verstumme, als mein Vater das Hemd sanft von meinen Schultern gleiten lässt und behutsam mit seinen Fingern über die Narben auf meinem Brustkorb streicht. Ich umfasse sein Handgelenk und ziehe ihn dicht zu mir heran. „Küss mich“, fordere ich ihn flüsternd auf. Die Mimik meines Vaters zeigt deutlich, dass er nicht weiß, wie er sich verhalten soll. „Wir haben doch schon einmal miteinander geschlafen, es macht keinen Unterschied, ob weitere Male folgen. Ist es so wichtig, beim Sex Lust zu empfinden? Reichen die Gefühle füreinander nicht aus?“ „Nicht jeder teilt deine Ansichten, Yamato.“ Ich lasse das Handgelenk meines Vaters los. „Du hast recht. Es tut mir leid, ich werde dich nicht weiter nötigen“, sage ich leise und erhebe mich. An meinem Arm werde ich zurück auf das Bett gezogen. Bestimmt drückt mein Vater mich in eine liegende Position auf das Laken und beugt sich über meinen Körper, wobei er sein linkes Knie zwischen meinen Beinen platziert. „Warum sind dir diese Körperlichkeiten so wichtig? Das ist beinahe krankhaft.“ „Ich will die Menschen, die ich liebe, spüren und Sex ist die intensivste Form. Was ist falsch an diesem Verlangen?“, frage ich mit kindlicher Unschuld. Gefühlvoll streift er mir die Haare aus dem Gesicht. „Es ist nichts falsch daran“, lenkt mein Vater ein. Ich ziehe ihn an seinem Hemdkragen zu mir hinab. „Dann dring in mich ein und lass mich dich tief in mir spüren.“ Wieder küsse ich meinen Vater und diesmal geht er darauf ein. Schnell entwickelt sich der Kuss zu einem leidenschaftlichen, innigen Zungenkuss. Ich liebe die Art, wie er mich küsst, seine Zunge in meinem Mund, seinen Geschmack. Er ist sehr liebevoll, aber auch unglaublich fordernd. Kann diese intime Handlung bei der Intensität wirklich nur Einbildung sein? Die Hand meines Vaters wandert hinab zu meinem Hosenbund, öffnet Knopf und Reißverschluss, dann löst er den Kuss. Ich ringe nach Luft. Ohne Aufforderung, aus Gewohnheit hebe ich mein Becken etwas an, um meinem Vater das Ausziehen meiner Hose und Unterhose zu erleichtern. Anschließend entkleidet er sich selbst. Ich setze mich mit angezogenen Beinen in die Mitte des Bettes und betrachte den Körper meines Vaters. Zugegebenermaßen übt er einen gewissen Reiz aus. Mein Vater ist kräftiger gebaut als ich, muskulöser, aber nicht durchtrainiert, was ich aber ohnehin nicht attraktiv finde. Hitze steigt in mir auf, ich verspüre Erregung, weshalb ich meinen Blick verlegen abwende. Ich merke die Hand meines Vaters auf meiner Schulter, die leichten Druck ausübt und mir bedeutet, dass ich mich hinlegen soll. Mit flacher Atmung lasse ich mich auf die Matratze sinken, dabei versuche ich seine Augen zu fixieren, doch er lässt seinen Blick über meinen Körper schweifen. Schmerz zeichnet sich in seinem Gesicht ab, als er sehr behutsam über meine Rippenbögen streicht, dann über meine Beckenknochen und schließlich meine Oberschenkel entlang zu meinen Knien. Meine Atmung wird schwerfälliger und beschleunigt sich. Ich schließe die Augen, um die Berührungen intensiver wahrnehmen zu können. Sanft drückt er meine angewinkelten Beine auseinander. Um in mich eindringen zu können, holt er sich zunächst selbst einen runter. „Hiroaki, warte“, flüstere ich und richte mich auf. Beinahe schüchtern lächle ich ihn an, hauche einen Kuss auf seine Lippen, dann beuge ich mich hinab und blase ihm einen. Erregtes Stöhnen entweicht der Kehle meines Vaters. Unwillkürlich legt er eine Hand auf meinen Hinterkopf und dirigiert mich leicht. Allerdings lässt er meine Initiative nur so lange wie nötig zu. „Es reicht, Yamato.“ Ich schaue ihn an. Seine Mimik verrät nach wie vor Unsicherheit. „Komm“, hauche ich in sein Ohr, während ich meine Arme um seinen Nacken lege und ihn mit hinab ziehe. „Hab keine Angst.“ Bereitwillig spreize ich meine Beine. „Dring tief in mich ein und lasse mich spüren, dass ich mich noch immer in der Realität befinde.“ Mit einem traurigen Lächeln beugt sich mein Vater zu mir herunter und verwickelt mich in einen sinnlichen Kuss, dabei hebt er mein Becken sachte an und dringt gefühlvoll in mich ein. Langsam beginnt er sich in mir zu bewegen, ohne dass sich unsere Lippen voneinander lösen. Problemlos passe ich mich seinem schneller werdenden Rhythmus an. Mein Körper reagiert mit starker Erregung. Nach einigen intensiven Stößen, legt mein Vater meine Beine auf seine Schultern und dringt tiefer in mich ein. Stöhnend bäume ich mich auf, kralle meine Finger in das Bettlaken. Unsere Haut ist inzwischen schweißbenetzt, wodurch mein Vater auf mich noch verführerischer wirkt. „Yamato.“ Durch sein Keuchen klingt seine Stimme nahezu lustvoll. „Wie fühlt sich das hier für dich an?“ „Es fühlt sich in keiner einzigen Sekunde falsch an, nur sehr intensiv, unbeschreiblich innig und gefühlvoll. Ich liebe dich so sehr, Hiroaki. Bitte stoß deinen ganzen Schmerz in mich hinein.“ „Yamato…“ Traurig streichelt er über meine Wange, dann durch meine Haare. Wir versinken in einem langen Kuss, bei dem jeder die Verzweiflung des anderen deutlich spüren kann. Dann wird seine Penetration stärker, mit der Zeit sogar schmerzhaft. Ich versuche es mir jedoch nicht anmerken zu lassen, da mein Vater ansonsten mit Sicherheit sofort von mir ablassen würde. Sehnsüchtig schließe ich die Augen und gebe mich meinem Vater, der Lust und dem Schmerz vollkommen hin. „Denkst du, es ist real, was wir gerade tun?“ „Wie du dich in mir bewegst, fühlt sich zumindest sehr real und unfassbar gut an. Dabei zwingst du dich mit mir zu schlafen, weil du Angst hast, dass ich mich sonst wieder von Freiern ficken lasse. Das dachtest du doch vorhin, als ich aufstand, hab ich recht? Deshalb bist du letztlich auf mich eingegangen. Aber jetzt sollst du dich entspannen.“ Ich schiebe meinen Vater etwas von mir, sodass er sich aus mir entfernen muss, und bedeute ihm, sich auf den Rücken zu legen. Mit meinen Beinen zu beiden Seiten seines Körpers komme ich über ihn und lecke mit meiner Zunge über seine Lippen, bis er seinen Mund öffnet und sich auf einen fordernden Zungenkuss einlässt. Dabei gleiten meine Fingerspitzen über die schweißbedeckte Haut seines Brustkorbes. „Lass dich einfach fallen, Hiroaki“, raune ich in sein Ohr und richte mich auf. Während ich mich auf seinen Unterleib setze, dringt mein Vater, durch meine Hand geführt, erneut in mich ein. Selbstständig fange ich an mich zu bewegen, lasse ihn immer wieder tief in mich gleiten. Mein Stöhnen wird lauter, als ich die Penetration drastisch verstärke, auch die Atmung meines Vaters geht stoßweise und sehr schwerfällig. Ich suche nach der Hand meines Vaters und verhake unsere Finger. Unerwartet legt er seine andere Hand auf meine Hüfte und beschleunigt durch sein Einwirken meinen Rhythmus. „Bitte bleib in mir, wenn…“, keuche ich, werde aber von meinem Vater unterbrochen. „Warum ist das so wichtig für dich?“ „Ein Teil von dir ist dann noch in mir.“ Die lustvolle Anspannung in meinem Körper ist unerträglich, ebenso wie die Gefühle für meinen Vater. „Ich liebe dich, Hiroaki. Ich liebe dich.“ „Hör auf, Yamato! Du verrennst dich in deinen Gefühlen. Was ist der Grund für deine offensichtliche Verwirrung? Was ist heute passiert?“ „Shh.“ Ich lege einen Finger auf seine Lippen. „Nicht jetzt. Nicht während du in mir bist.“ Sofort umfasst mein Vater meine Taille und hebt mich von sich herunter. „Nein!“, protestiere ich fast panisch. „Warum beendest du es immer mittendrin? Ich beantworte dir doch deine Fragen, aber nicht, wenn du deswegen abbrichst.“ „Yamato. Ich lasse mich nicht erpressen.“ „Das will ich auch gar nicht.“ Zurückhaltend küsse ich ihn flüchtig auf die Lippen. „Ich will dich nur spüren. Bis zum Schluss. Ist das zu viel verlangt?“ Wieder klingt meine Stimme kindlich und unschuldig. Ich senke meinen Blick, doch mein Vater hebt meinen Kopf am Kinn behutsam wieder an. „Was soll ich nur mit dir machen?“ Seufzend sieht er mich an. „Mich ficken“, entgegne ich unbedacht. „Tut mir leid“, füge ich sofort hinzu. Mein Vater schaut mich ernst an, drückt meinen Körper zurück auf die Matratze und dreht ihn auf den Bauch. Ohne zu zögern umfasst er meinen Unterleib und hebt ihn etwas an. Seine andere Hand legt er zwischen meine Schulterblätter, um meinen Oberkörper leicht auf das Bett zu drücken. Nicht mehr ganz so sanft dringt er erneut in mich ein, stößt von Anfang an kraftvoll zu. „Das ist es doch, was du verlangst, oder?“ Ich halte mich auf meinen Ellenbogen gestützt, den Kopf mit der Stirn auf dem Laken, und lasse mich vom harten Rhythmus meines Vaters und den stärker werdenden Schmerzen verführen. Unser Keuchen ist das einzige Geräusch, welches in meinem Zimmer vernehmbar ist. Meine Haare kleben mir feucht im Gesicht und vereinzelte Schweißperlen rinnen über meine Haut. Ich zittere inzwischen vor Erregung, zudem spüre ich, dass mein Vater sein Sperma in mich abspritzt und sich aus mir zurückzieht. Dabei tritt ebenfalls etwas von der weißlichen Körperflüssigkeit aus und läuft über die Innenseiten meiner Schenkel. Lächelnd, aber erschöpft und schwer atmend sinke ich auf das Bett. Mein Vater legt sich ebenso außer Atem dicht neben mich, betrachtet mein Gesicht und schaut mir tief in die Augen. Besorgt streicht er einige Strähnen hinter mein Ohr. „Es tut mir leid, dass ich zum Schluss so grob mit dir umgegangen bin.“ Ich rutsche näher an meinen Vater heran, schmiege mich an ihn. „Es ist alles in Ordnung. Mach dir bitte keine Gedanken, Papa.“ Schützend legt er seine Arme um mich und drückt mich fest an sich. „Du machst es dir einfach, Yamato. Für mich ist es alles andere als leicht, Sex mit meinem Sohn zu haben.“ „Aber du tust es dennoch. Warum?“ „Weil ich dich mehr als alles andere liebe und eine wahnsinnige Angst um dich habe.“ Ich schweige nachdenklich. Für das, was ich meinem Vater antue und zumute, hasse ich mich abgrundtief, aber ich bin zu egoistisch, um es zu ändern. Dafür liebe ich ihn zu sehr. Akito fragte mich einmal, welche Liebe ehrlicher ist. Wenn man einer Person zuliebe etwas tut, auch wenn es gegen die eigene Überzeugung ist, oder wenn man aus Liebe etwas tut, das aber nicht unbedingt im Sinne der Person ist. Er war der Meinung, dass die zweite Variante oft die uneigennützigere, aufopferungsvollere Liebe ist. Ich denke, er hat recht, vor allem, wenn man davon ausgeht, dass die geliebte Person selbstzerstörerisch ist und nicht weiß, was gut für sie ist. Andererseits sehe ich meinen Vater. Durch seine Liebe zu mir richtet er sich selbst zugrunde. Er handelt für mich gegen seine Überzeugung. Ist das falsch? Ist diese Liebe unehrlich? Vielleicht ist die reinste Liebe die, welche beide Varianten jeweils zur richtigen Zeit anwendet. Nur müsste man dafür perfekt sein und das wäre nicht mehr menschlich. „Danke“, ist das Einzige, was mir momentan über die Lippen kommt. Ich schaue meinen Vater liebevoll an, dann küsse ich ihn zurückhaltend. Er zieht mich dichter an sich und intensiviert den Kuss. Erst durch das Ertönen der Türklingel lösen wir uns voneinander. Mein Vater gibt mich frei, streicht noch einmal durch mein Haar, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und steht auf, um sich rasch anzuziehen. Noch während er sein Hemd in die Hose stopft und diese schließt, verlässt er mein Zimmer. Auch ich stehe auf und gehe zu meiner Schultasche, woraus ich eine Packung Taschentücher entnehme. Ich säubere mich so gut wie möglich zwischen meinen Beinen, stelle jedoch fest, dass eine Dusche nötig sein wird. Wartend setze ich mich auf die Bettkante, doch beinahe zeitgleich erscheint mein Vater in der Tür, die er beim Rausgehen nicht geschlossen hatte. Hinter ihm sehe ich Taichi stehen, der allerdings weitestgehend von meinem Vater verdeckt wird. Mein Herzschlag scheint für einen Moment auszusetzen. Ist er wirklich hier oder bilde ich mir das bloß wieder ein? Oft konnte ich meinen Augen in letzter Zeit nicht trauen, warum sollte es jetzt anders sein? Vermutlich reagiert mein Gehirn mit diesen Halluzinationen lediglich auf meine Sehnsucht. Die Stimme meines Vaters holt mich aus meinen Gedanken zurück. „Du hast Besuch. Wir gehen erst einmal ins Wohnzimmer. Wenn du…“ „Nein, schon okay“, erwidere ich ausdruckslos, abwesend. Notdürftig ziehe ich mir etwas über, als Tai mein Zimmer betritt. Mir einen sorgenvollen Blick zuwerfend, lässt mein Vater uns allein und schließt die Tür hinter sich. „Hey“, begrüßt mich Tai sehr verunsichert. Ich schaue ihn an, mustere ihn, suche nach einem Anhaltspunkt, der mir beweist, dass der junge Mann, der gerade vor mir zu stehen scheint, nur meiner Wunschvorstellung entspringt. Er kommt einen Schritt auf mich zu und streckt seinen Arm nach mir aus, doch ich weiche reflexartig zurück. „Darf ich dich nicht mehr berühren?“ Tai lässt seinen Arm sinken, sucht Blickkontakt, aber ich schaue angestrengt zu Boden. „Yamato. Beantworte mir bitte eine Frage, danach werde ich sofort gehen, wenn du das möchtest.“ Er atmet tief durch, als koste ihn das Folgende viel Überwindung. „Hast du dich durch Akitos Tod so verändert?“ Voller Bestürzung hebe ich meinen Kopf und blicke Taichi direkt in die Augen. „Was?“, frage ich mit erstickter Stimme. Es ist nicht die Frage an sich, die mich derart verstört, sondern der Umstand, von ihm auf Akitos Tod angesprochen zu werden. „Bitte antworte mir, auch wenn es dir schwer fällt. Ich möchte verstehen, was mit dir los ist, warum du so reserviert bist.“ „Schon vergessen? Du hast dich von mir getrennt. Mit reiner Freundschaft kann ich nicht umgehen und das weißt du. Warum also…“ Ohne Vorwarnung umfängt Taichi mich mit seinen Armen. Meine Augen weiten sich und füllen sich mit Tränen, die sofort meine Wangen hinab laufen. Liebevoll streichelt er über meinen Kopf. „Unsere Situation war zu festgefahren, unser Leben entglitt uns immer mehr. Du hast es doch selbst gemerkt, Yamato. So konnte es nicht weitergehen, ohne dass auf Dauer vielleicht irreversible Schäden entstanden wären.“ Taichi drückt mich fester an sich. Ich kralle meine Finger im Stoff seines Shirts fest, als hätte ich Angst, dass er gleich wieder verschwindet. Doch offenbar befinde ich mich tatsächlich in der Realität, denn ich fühle die Wärme des anderen Körpers, nehme Tais wohlbekannten Duft wahr, spüre seinen Herzschlag, der ebenso wie meiner ziemlich beschleunigt ist. Allmählich geben meine Beine nach und ich sacke in mich zusammen. Taichi versucht noch mich abzufangen, schafft es jedoch nicht und sinkt mit mir zu Boden. Ich weine heftig, weshalb Tai mich fester in seine schützenden Arme schließt und mir das Gefühl gibt, nicht allein zu sein. „Ich möchte dich nicht wieder gehen lassen“, hauche ich nach einer Weile schluchzend und kaum verständlich. „Warum bist du wieder in mein Leben getreten? Jetzt, da es mir endlich einigermaßen gelungen ist, meine Gefühle für dich zu betäuben. Ist das Teil deiner Rache oder warum tust du mir das an?“ „Yamato…“ „Ich bin so verdammt einsam ohne dich! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermisse, wie sehr ich dich nach wie vor liebe! Es tut weh, es tut schrecklich weh, Tai!“ Das Zittern meines Körpers kann ich nicht unterdrücken, ebenso vergeblich ringe ich nach Luft. Ich muss mich beruhigen und verhindern, dass ich hyperventiliere. Gezielt konzentriere ich mich auf meine Atmung, aber ich schaffe es nur schwer, die Kontrolle wiederzuerlangen. „Ich weiß, Yamato. Mir geht es genauso. Deshalb tauchte ich heute Nachmittag bei dir in der Schule auf. Ich wollte dich unbedingt sehen. Und aus genau diesem Grund bin ich jetzt auch hier. Du fehlst mir unglaublich, aber vor allem mache ich mir Sorgen um dich. Du siehst krank aus.“ Seine letzte Aussage übergehend löse ich mich etwas von Taichi, um ihn ansehen zu können, ohne mich aus seiner Umarmung zu befreien. Mein Gesicht ist dicht vor seinem, sodass ich Tais Atem auf meiner Haut spüre. Das Verlangen, ihn zu küssen, kommt in mir auf, dabei habe ich noch deutlich den Geschmack meines Vaters auf meinen Lippen. „Wie soll es jetzt weitergehen?“, flüstere ich angespannt. Taichi lächelt und küsst mich sanft auf den Mund. Ich zucke leicht zusammen, lasse mich dann aber auf das sehnsuchtsvolle Zungenspiel ein. Es fühlt sich so unfassbar schön, richtig und vertraut an. Ich gebe mich Tai ganz hin, als wir langsam nach hinten sinken und auf dem Boden, er über mir, zum Liegen kommen. Der Kuss wird inniger, leidenschaftlicher, meine Arme umschließen seinen Körper, wobei ich ihn eng an mich presse. Hitze steigt in mir auf und ich kann gar nicht genug von Taichi bekommen, seinen Berührungen, den Küssen, seinem Geschmack, seinem Duft und dem Ausdruck seiner Augen, wenn er mich ansieht. Widerwillig lasse ich zu, dass Tai sich von meinen Lippen löst. Sehr sachte streicht er einige Haarsträhnen aus meinem Gesicht, dann fährt er liebevoll mit seinen Fingern über meine Wange, entlang der Spuren, welche die getrockneten Tränen hinterlassen haben. Sinnlich leckt er darüber. Ich schließe meine Augen und genieße die Zärtlichkeiten, dabei hoffe ich noch immer, dass ich nicht träume, auf Drogen bin oder doch den Verstand verloren habe. Warm spüre ich seine Lippen an meinem Ohr. „Was hältst du von einer Fortsetzung?“ Kapitel 21: ------------ Ich bin mir noch immer nicht ganz sicher, ob das, was vorhin passiert ist, wirklich der Realität entspricht. Aber Taichis Berührungen waren zu intensiv, als dass sie Halluzinationen sein könnten. Nur, kann es wirklich so einfach sein? Er taucht plötzlich wieder in meinem Leben auf und alles ist gut? Ich bin völlig durcheinander, da ich nicht weiß, was ich glauben soll, worauf ich mich wenigstens noch halbwegs verlassen kann. Meine Wahrnehmung ist derzeit mehr als fragwürdig. Was bleibt außer ihr? Worte? Ich lache. Daraus werden überhaupt erst Lügen gemacht. Auf der Bettkante sitzend lasse ich mich erschöpft nach hinten fallen und schaue nachdenklich zur Decke. Geistesabwesend spiele ich mit dem Gürtel meines Bademantels, welchen ich noch immer trage, obwohl ich schon vor einer ganzen Weile aus der Dusche kam und inzwischen längst getrocknet bin. Deutlich spüre ich auch jetzt noch Taichis Berührungen, es fühlte sich so gut an, wie er mit seinen Fingern über meinen Körper strich, mich mit seinen Armen umfing und an sich presste. Wir küssten uns so leidenschaftlich, so innig, jeder wollte den Anderen intensiv spüren und doch wussten wir stillschweigend, dass wir nicht miteinander schlafen würden. Aber es war wunderschön, einfach nur in seiner Nähe sein zu dürfen. Ich glaube, in dem Moment war ich glücklich. Ganz ohne Drogen. Dennoch muss ich zugeben, dass Heroin mir eine Unbeschwertheit gewährt, die ich ansonsten niemals erfahren würde, die kein Mensch mir je geben könnte, da das absolut reine Glück in der Wirklichkeit nicht existiert. Zudem schaffe ich es nur auf diesem Weg, Abstand von mir und meinen Gedanken zu bekommen. Ohne Drogen ist das undenkbar für mich. Ein Verlangen nach diesem Hochgefühl überkommt mich, wobei ich mich über meine eigenen Sehnsüchte erschrecke. Würde ich inzwischen tatsächlich die Drogen Taichi vorziehen? Bin ich inzwischen dermaßen abhängig? Das Heroin habe ich bisher nur zwei Mal gespritzt bekommen. Faktisch kann man also von bewusstseinsverändernden Substanzen, wie oft behauptet, ab dem ersten Konsum in die Sucht abrutschen, egal wie bewusst man mit ihnen umgeht, besonders, wenn man sich wie ich in einer psychisch labilen Verfassung befindet, die Realität nicht erträgt und ihr entfliehen möchte. In letzter Zeit war ich mehr drauf als clean, was eine Erklärung für meine Realitätsverwirrung sein könnte. Auf keinen Fall darf ich die Kontrolle über meinen Konsum verlieren. Ich drehe mich auf die Seite, dabei fällt mir ein, dass ich die Bettwäsche wechseln sollte, da sich auf der jetzigen mit Sicherheit Spermaflecken befinden. Ein angenehmes Kribbeln stellt sich in meinem Inneren ein, als die Gedanken an meinen Vater, insbesondere der Sex mit ihm, wieder präsent werden. Wenn ich mit ihm schlafe, fühle ich mich nicht so ausgeliefert, so dreckig wie bei meinen Freiern. Bei Taichi oder Akito wurde der Sex aufgrund von Besitzansprüchen oft sehr brutal, bei meinem Vater hingegen fühle ich mich beschützt, fast schon kindlich unschuldig, selbst wenn er mich mitunter auch etwas härter nimmt. Zu diesem Empfinden tragen mit Sicherheit seine Statur und der Umstand, dass er mein Vater ist, bei. Taichi sollte besser nichts davon erfahren. Er könnte damit vermutlich nicht umgehen. Allerdings will ich auch in Zukunft nicht auf Sex mit meinem Vater verzichten. Dafür liebe ich ihn zu sehr, weshalb ich gegen den Drang, ihn intensiv in mir zu spüren, ohnehin nicht ankommen würde. Der Kampf wäre, wie jeder Kampf gegen mich selbst, von vornherein verloren. Plötzlich werde ich panisch, da mir eine Tatsache einfällt, die ich bereits vergessen, oder wahrscheinlicher verdrängt, habe. Ich springe auf und verlasse eilig mein Zimmer, schaue in die Küche, ins Wohnzimmer, doch mein Vater ist nicht da. Ich laufe zu seiner Tür, klopfe kurz, betrete den Raum, jedoch ohne auf eine Antwort zu warten. „Papa!“, spreche ich ihn angsterfüllt an. Der sitzt an seinem Schreibtisch und sortiert offenbar diverse Papiere. Fragend dreht er sich zu mir um. „Yamato, was ist los? Wieso bist du so aufgeregt?“ Vor meinem Vater bleibe ich stehen und gehe auf die Knie. Mit meinen Händen stütze ich mich auf seinen Oberschenkeln ab und blicke ihm eindringlich in die Augen. „Du darfst mich nicht wieder verlassen! Ich bitte dich, bleib bei mir!“ Seufzend legt mein Vater seine Hand an meine Wange. „So einfach ist das nicht. Ich muss Anfang Januar zurück nach Berlin. Mit dem Sender ist soweit alles abgesprochen, weshalb ich jetzt keinen Rückzieher mehr machen kann.“ „Nein, lass mich nicht allein. Ohne dich…“ Meine Stimme bricht ab und weicht einem verzweifelten Schluchzen. Ich lasse meinen Kopf sinken und berühre mit meiner Stirn das Knie meines Vaters. Beruhigend streichelt er mit seiner Hand durch meine Haare. „Du verletzt dich wieder vermehrt selbst. Seit Akitos Tod, hab ich recht?“ „Kann sein“, antworte ich unter Tränen. „Ich vermisse ihn sehr. Wird der Schmerz jemals nachlassen? Ist dieses Ereignis nicht vielleicht doch nur eine Wahnvorstellung?“ Mit geröteten Augen schaue ich meinen Vater hoffnungsvoll an. „Was soll das, Yamato? Im Grunde weißt du genau, dass Akito Selbstmord begangen hat. Ich mache mir allerdings ziemliche Sorgen wegen deiner ständigen Realitätsflucht. Dadurch wirst du noch anfälliger für Drogen, wodurch die Gefahr einer Vertiefung deiner ohnehin vorhandenen Abhängigkeit drastisch steigt. Konsumierst du momentan irgendwelche Substanzen?“ Mein Vater sieht mich ernst an. „Ich bitte dich ehrlich zu sein.“ Ich senke meinen Kopf und schüttle ihn leicht. Es tut weh, ihn belügen zu müssen, aber ich kann ihm nicht anvertrauen, dass ich täglich mindestens zweimal GHB schlucke und aller zwei Wochen Heroin gespritzt bekomme. „Ich wünschte, ich könnte dir glauben. Bleibt mir wirklich nichts anderes übrig, als dir wieder einmal mit einer Zwangseinweisung zu drohen, denn ich will dich gut aufgehoben wissen, wenn ich hier abreise?“ Ruckartig hebe ich meinen Kopf und starre meinen Vater mit weit aufgerissenen Augen an. „Ich schwöre dir die Wahrheit zu sagen! Wie kann ich dich davon überzeugen? Sag mir, was ich tun muss, um dein Vertrauen wiederzuerlangen!“ Ich kralle meine Finger im Hemdärmel meines Gegenübers fest. Meine Worte sind flehend. „Okay, dann lassen wir einen Drogentest machen“, schlägt er, meine Mimik aufmerksam beobachtend, vor. „Einverstanden“, willige ich sofort ein. Die Antwort musste ohne Zögern über meine Lippen kommen, um keinen Verdacht zu erregen. Zudem habe ich nichts zu befürchten. Im Blut und Urin ist sowohl das GHB als auch das Heroin inzwischen nicht mehr nachweisbar. Fatal wäre es allerdings, wenn er eine Haaranalyse verlangt. Das GHB ist darüber zwar nicht nachweisbar, das Heroin aber schon. Doch ich denke nicht, dass mein Vater so weit geht. Misstrauisch betrachtet er mich. Ich versuche ein Lächeln zu unterdrücken, da es unter Umstanden verschlagen wirken könnte. Sanft fährt mein Gegenüber mit seinem Daumen unter meinen Augen entlang und meine Wangen hinab, um meine Tränen zu trocknen. Ich genieße seine Berührungen, lege meine Arme um seinen Nacken und ziehe ihn ein Stück zu mir herunter. Ganz sachte küsse ich seine Lippen, lecke leicht darüber und signalisiere dadurch mein Begehren, seine Zunge zu spüren. Mein Vater geht nicht darauf ein, stattdessen legt er seine Hände auf meine Schultern und drückt mich ein wenig von sich. „Solltest du dir diese Körperlichkeiten zukünftig nicht lieber wieder für Taichi aufheben?“ „Was?“ Fassungslos starre ich meinen Gegenüber an. „Glaubst du, ich habe mit dir geschlafen, weil ich dich als Ersatz für Tai oder Akito angesehen habe oder weil gerade kein Anderer da war? Bitte begreife endlich, dass ich dich liebe und deshalb in mir spüren möchte. Es geht mir um dich, hörst du? Um dich! Du bist weder ein Ersatz für jemanden noch ersetzbar. Falls du zurück nach Berlin gehen solltest…“ „Yamato, ich werde zurück nach Berlin gehen. Diese Art von Beziehung zwischen uns darf ohnehin nicht fortbestehen.“ „Warum nicht, verdammt nochmal? Weil die Gefühle unwichtig sind und nur die Norm oder Moral zählt? Denkst du wirklich so engstirnig?“ Vor Wut schreie ich meinen Vater lauter an als beabsichtigt. Dieser verstärkt seinen Druck auf meine Schultern schmerzhaft. „Jetzt atme erst einmal tief durch. Ist zwischen dir und Taichi eigentlich alles geklärt?“ Es ist offensichtlich, dass mein Vater ausweicht und das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken versucht. Widerwillig gehe ich darauf ein, wobei das Thema für mich damit noch lange nicht beendet ist. „Nein. Wir haben fast gar nicht über die Vergangenheit gesprochen.“ „Und über die Zukunft?“ „Wenn du wissen willst, ob wir wieder zusammen sind, dann kann ich dir nur sagen, dass ich es nicht weiß. Vielleicht ist es besser, wenn wir uns kein weiteres Mal aufeinander einlassen.“ Vorsichtig löse ich mich von meinem Vater und setze mich auf sein Bett. „Liebst du Taichi noch?“ „Ja, natürlich. Aber genau da liegt das Problem. Meine Liebe ist zu besitzergreifend, zu zerstörerisch. Tai ist meinetwegen erst in die Sucht abgerutscht. Wer garantiert, dass es nicht erneut passiert?“ „Eine Sicherheit dahingehen wirst du nie bekommen, Yamato.“ Nun steht auch mein Vater auf und nimmt neben mir Platz. Behutsam zieht er mich in seine Arme, wobei der Bademantel etwas von meinen Schultern rutscht. Ich klammere mich fest an ihn, will seine Nähe spüren. „Yamato, zieh dir bitte etwas Wärmeres an. Es ist zu kalt, um nur mit einem Bademantel bekleidet zu sein.“ Fürsorglich hüllt er meinen Körper in den Frotteestoff und küsst mich auf die Stirn. „Mir ist aber gerade nicht kalt“, lächle ich ihn vielsagend an. „Keine Diskussion.“ „Also gut.“ Ich komme meinem Vater so nahe, dass sich unsere Lippen berühren. „Küss mich richtig“, flüstere ich hingebungsvoll. „Ich liebe es, deine Zunge in meinem Mund zu spüren, deine fordernde, forsche Art, die dennoch unglaublich zärtlich und gefühlvoll ist.“ Das Zögern meines Gegenübers lässt auf weiterhin vorhandene Bedenken schließen. „Es ist nur ein Kuss, Hiroaki“, hauche ich mit sanfter Stimme in sein Ohr. „Du musst keine Angst habe, wir haben doch schon ganz andere Dinge miteinander getan. Handle einmal ohne nachzudenken.“ „Das mache ich, wenn du einmal nachdenkst, bevor du handelst“, entgegnet mein Vater ohne jeden Vorwurf in der Stimme, doch ich stoße ihn aufgebracht von mir. „Dann hör auf mich wie ein Kind zu behandeln!“, fahre ich ihn enttäuscht und zugleich verletzt an. Noch ehe er auf mein Verhalten reagieren kann, verlasse ich aufgewühlt sein Zimmer. „…to! Yamato! Wach auf!“ Ich höre aus den Worten meines Vaters eine Mischung aus Besorgnis und Verärgerung heraus. „Sieh mich an!“ Schläfrig richte ich meine Augen auf ihn. „Was ist denn los?“, frage ich mit kratziger Stimme. Noch immer ein wenig benommen richte ich mich auf. Allmählich erinnere ich mich, dass ich gestern Abend, nachdem ich wieder in meinem Zimmer war, infolge einer Kurzschlussreaktion unzählige Schlaftabletten geschluckt hatte. Das abrupte Ende der Unterhaltung mit meinem Vater sowie die gesagten Worte waren zu schmerzhaft. Im Nachhinein komme ich mir unendlich dumm vor. Habe ich mich so extrem verhalten, weil ich es nicht ertragen konnte, von meinem Vater abgewiesen zu werden? Es ist bitter, dass ich mich in dem Moment, in dem ich von ihm verlangte mich nicht wie ein Kind zu behandeln, mich wie eben jenes verhielt. „Du hast wieder irgendwelche Drogen genommen, oder? Ich habe mehrfach versucht dich zu wecken, meist kam keine Reaktion und wenn doch, warst du kaum ansprechbar und nicht lange bei Bewusstsein. Du hast mich angelogen, Yamato. Was hast du konsumiert? Ich möchte, dass du es mir aushändigst“, verlangt mein Vater mit strenger Miene. „Schlaftabletten, in meiner Schultasche“, murmle ich und fasse mir an den Kopf, in der Hoffnung, den Druck und das Schwindelgefühl eindämmen zu können. Durch das GHB, bei dem ich immer ziemlich erfrischt aufwache, hatte ich vergessen, wie unangenehm die Nachwirkungen von Schlaftabletten sind. Leider musste ich diesmal darauf zurückgreifen, da ich nicht mehr ausreichend GHB zur Verfügung hatte, um eine narkotisierende Wirkung zu erreichen. Das Treffen mit meinem Freier ist erst heute Abend, bis dahin bleibt mir nichts anderes übrig, als das Leben zu ertragen. Am liebsten würde ich schon heute und nicht erst nächstes Wochenende das Heroin durch meine Venen fließen lassen, aber dahingehend lässt mein Freier nicht mit sich reden. Inzwischen hat mein Vater die Medikamentenpackung aus meiner Tasche geholt. Ich bin froh, dass ich die Schachtel gestern Abend einfach nur achtlos da hineingeworfen hatte, somit musste ich keines der besseren Verstecke preisgeben. „Hast du den Inhalt dieser beiden Blisterpackungen geschluckt?“ Schockiert hält er mir zwei leere Packungen entgegen. „Yamato, das sind zwanzig Tabletten! Wolltest du dich umbringen?“ „Nein. Nur schlafen.“ „Erzähl keinen Unsinn. Dafür brauchst du nicht diese Menge“, brüllt er mich an. Ungehalten kommt mein Vater wieder zu mir ans Bett, zieht mich schmerzhaft am Oberarm ein Stück nach oben und verpasst mir eine kräftige Ohrfeige. Ich schaue mit flehendem Blick zu ihm auf. „Bitte, Papa. Glaub mir, die Dosis reicht nicht aus, um mich zu töten. Es war wirklich kein Selbstmordversuch.“ „Ich habe genug von deinen Lügen. Es reicht, Yamato!“ Wütend zerrt er mich aus dem Bett. „Zieh dir etwas an.“ Ohne Widerworte gehe ich zu meinem Schrank, entnehme Unterwäsche, eine Hose und ein Hemd, um sie schnell überzuziehen. Dann stelle ich mich fragend vor meinen Vater. „Und nun? Was wirst du jetzt tun? Schleifst du mich zum Drogentest, weil du wissen willst, was ich noch alles einwerfe oder willst du mich lieber gleich wegsperren lassen? Die Drohung hatten wir länger nicht mehr. Du würdest sogar doppelt profitieren, weil du mich los wärst. Keine Belästigung mehr durch deinen Sohn, kein erzwungener Sex mehr. Na, wie…“ Ein brutaler Schlag in mein Gesicht bringt mich zum Schweigen. Durch die Kraft meines Vaters, mit der er diesmal nicht zurückhaltend war, verliere ich das Gleichgewicht und falle unsanft zu Boden. Ich schmecke Blut in meinem Mund, da ich mir von innen auf die Wange gebissen habe. „Deine vorlaute Arroganz ist manchmal unerträglich. Steh auf.“ Außer sich vor Wut zieht er mich an meinen Sachen wieder auf die Beine. „Ach ja? Na, dann prügel sie doch aus mir heraus.“ Ich lächle ihn herausfordernd an. „Los, mach schon. Und benutze deine Faust, die tut mehr weh.“ Es ist unübersehbar, dass mein Vater Schwierigkeiten hat, an sich zu halten. Ich bin mir sicher, wenn ich ihn noch ein wenig reize, wird er meiner Aufforderung nachkommen. Anzüglich presse ich meinen Körper an den meines Gegenübers, schlinge einen Arm um dessen Hüfte, mit der anderen greife ich wollüstig zwischen seine Beine. „Schlag mich oder fick mich. Du kannst es dir aussuchen“, flüstere ich heiser in sein Ohr. Unvermittelt werde ich auf mein Bett gestoßen. „Ich warne dich, Yamato.“ Die Drohung meines Vaters lässt mich unbeeindruckt. Ich fühle mich wie im Rausch, während ich ihn weiter provoziere. „Ja? Was willst du denn tun? Du hast doch keine Macht über mich. Deine Hilflosigkeit hast du mir schon oft demonstriert. Lass es einfach, du kannst mir nicht helfen.“ Die Wut, die mein Vater mir die ganze Zeit entgegenbrachte, mischt sich nun mit Fassungslosigkeit, Verletzlichkeit und Verzweiflung. Sein Gefühlschaos lässt ihn endgültig die Beherrschung verlieren. Ich habe erreicht, was ich wollte. Unter Tränen schlägt er schweigend auf mich ein, bis ihn die Kraft verlässt. Ich wehre mich nicht, stattdessen lasse ich mich auf den Schmerz ein. Gerade als mein Vater mir einen weiteren Schlag verpassen will, wird er zurückgehalten. „Es reicht, Herr Ishida.“ Taichi steht hinter meinem Vater und hält seine Hand fest. „Ich denke, es ist genug.“ Schwer atmend lässt der seinen Arm sinken. Er weint noch immer, so aufgelöst habe ich ihn selten gesehen. Bewegungslos bleibe ich liegen. Der Selbsthass schreit in meinem Kopf, wie konnte ich meinen Vater das so kaltblütig antun? Tai spricht leise auf ihn ein, kurz darauf verlässt mein Vater schweigend mein Zimmer, ohne noch einmal zu mir zu schauen. „Warum, Yamato?“, fragt Tai mit ruhiger Stimme. Er setzt sich neben mich auf das Bett, ich versuche mich aufzurichten, doch der Schmerz lässt mich zurück auf das Laken sinken. Ich genieße das Gefühl und schließe meine Augen. „Wie bist du in die Wohnung gekommen?“, flüstere ich angestrengt. „Dein Vater hat mich rein gelassen. Er meinte, du würdest noch schlafen. Während ich im Wohnzimmer wartete, ging er in dein Zimmer, um dich zu wecken. Dann hörte ich euch lautstark streiten. Ich habe zwar nicht mitbekommen, worum es geht, aber es war eindeutig, dass du das Geschehene herausgefordert hast. Du wolltest, dass dein Vater dich zusammenschlägt, hab ich recht? Und ich frage mich, warum.“ „Ich weiß es nicht“, gebe ich ehrlich zu. Tränen laufen über meine Wangen. Sie brennen ein wenig auf meinem lädierten Gesicht. Vorsichtig berührt Tai die Stelle über meinem linken Auge am Ende der Augenbraue. Ich zucke zusammen. „Die Platzwunde sieht schlimm aus, auch die Verletzung an deiner Lippe. Warum willst du, dass dein schönes Gesicht so verschandelt wird? Selbsthass?“ Liebevoll wischt er die Tränen von meiner Haut und streichelt mir sanft durch die Haare. „Vermutlich“, stimme ich abwesend zu. Taichi legt sich neben mich und legt einen Arm über meinen Körper. Seine Nähe beruhigt mich und ich habe das Gefühl, wieder etwas klarer denken zu können. Tais Verhalten zufolge hat er offenbar nicht mitbekommen, dass ich meinen Vater aufgefordert habe mich zu ficken. Auf keinen Fall will ich diese bisher sehr zaghafte Beziehung zu Tai gefährden. Ihn noch einmal zu verlieren, könnte ich nicht ertragen. Deshalb darf ich ihm keinen Grund geben, mich erneut zu verlassen. „Du solltest noch einmal mit deinem Vater sprechen. Dieser Vorfall hat ihn ziemlich mitgenommen.“ Schwerfällig setze ich mich auf. „Geht es? Kannst du aufstehen?“ „Ja, das sieht alles wahrscheinlich schlimmer aus, als es ist.“ Ich erhebe mich, vermeide jedoch mich in dem Spiegel meiner Schranktür zu betrachten, stattdessen schaue ich zu Tai. Noch immer kommt es mir unwirklich vor, dass er wieder Teil meines Lebens ist. Ich lächle ihn an. Das Kribbeln in meinem Innern verstärkt sich. Ich habe das Gefühl, dass meine Empfindungen für ihn noch viel stärker geworden sind. Jedoch weiß ich nicht, wie ich sie ausdrücken soll. Generell fällt es mir schwer, mit der Situation und Tai umzugehen. Ich habe wahnsinnige Angst, etwas falsch zu machen und das lähmt mich irgendwie. „Geh erst einmal zu deinem Vater. Ich warte solange hier, wenn es für dich in Ordnung ist.“ „Okay“, sage ich leise, gehe auf ihn zu und küsse leicht seine Stirn. Dann wende ich mich zur Tür. Gerade als ich den Raum verlassen will, halte ich durch Tais Wort inne. „Ach, Yamato, vorher solltest du dir das Blut aus dem Gesicht waschen.“ Ich nicke stumm und schließe die Tür hinter mir. Im Bad betrachte ich mich im Spiegel. Die Verletzungen sehen tatsächlich ziemlich schlimm aus. Vorsichtig betupfe ich die Wunde am Auge und an meiner Lippe mit kaltem Wasser. Die Kühlung tut gut, dennoch ist der Schmerz stark, aber sehr angenehm. Als ich mit der Reinigung fertig bin, atme ich tief durch und wende mich zum Gehen. Zaghaft klopfe ich an die Tür meines Vaters, dann drücke ich die Klinke nach unten und betrete das Zimmer. Sein Gesicht in den Händen vergraben sitzt er auf dem Bett, zwischen den Fingern hält er eine fast heruntergebrannte Zigarette. Unruhig schweift mein Blick durch den Raum und bleibt an der angefangenen Flasche Whiskey auf seinem Schreibtisch hängen, daneben steht ein benutztes, aber leeres Glas. „Papa“, spreche ich ihn schuldbewusst und sehr leise an. Er reagiert nicht. Ich gehe ein paar Schritte auf ihn zu. „Du verbrennst dir die Finger.“ Fürsorglich nehme ich die Zigarette aus seiner Hand und drücke sie im Aschenbecher neben ihm aus. Diesen stelle ich anschließend beiseite und setze mich neben meinen Vater auf das Bett. Schweigend betrachte ich ihn. Er wirkt verzweifelt und mit den Nerven am Ende. Bitter muss ich mir eingestehen in meinem Selbsthass eindeutig zu weit gegangen zu sein. „Es…“, setze ich an, doch mein Vater lässt mich nicht ausreden. „Nein, Yamato. Ich will keine Entschuldigungen hören. Egal was du sagst oder tust, ich darf die Beherrschung einfach nicht derart verlieren. Allerdings geht es hier weniger um die Frage von Schuld. Als Vater habe ich schlichtweg versagt.“ „Nein, das ist nicht wahr.“ Es tut weh, ihn diese Worte sagen zu hören, zumal ich meinen Vater absichtlich dazu getrieben habe, mir Gewalt anzutun. „Doch, ich bin im Allgemeinen zu nachsichtig. Vor allem habe ich die gesamte Situation falsch eingeschätzt. Ich dachte, weil du in letzter Zeit so auf mich wirktest, dass es dir etwas besser geht. Deine Selbstverletzungen haben zwar wieder stark zugenommen, aber du schienst bei Weitem nicht so depressiv wie noch vor einiger Zeit. Inzwischen befürchte ich, dass Drogen diese Veränderung bewirkt haben, besonders in den letzten Wochen. Du dröhnst dich mittlerweile täglich zu, hab ich recht?“ Nun schaut mich mein Vater direkt an und ich vernehme deutlich den wohlbekannten Geruch von Alkohol. „Ja“, gebe ich zu und beobachte die Resignation, die sich immer mehr auf dem Gesicht meines Vaters abzeichnet. „Womit genau machst du dich kaputt?“ „GHB“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Womit noch?“ „Nichts weiter“, lüge ich diesmal. Wenn mein Vater von meinem Heroinkonsum erführe, würde er keine Rücksicht mehr auf meinen Schulabschluss nehmen und mich ohne zu zögern in eine Entzugsklinik einweisen. „Du weißt, dass ich dir nicht mehr glauben kann. Mein Vertrauen hast du zumindest vorerst verloren.“ „Ja“, flüstere ich traurig. Ich musste zwangsläufig mit einer solchen Konsequenz rechnen, zumal er mir in letzter Zeit ohnehin kaum noch sein Vertrauen schenkte, was bei meinem Verhalten keinesfalls verwunderlich ist. Ich erschrecke leicht, als mein Vater vorsichtig die Platzwunde an meinem Auge berührt. Dann streicht er über meine schmerzende Wange und die Verletzung an meiner Lippe. „Warum willst du, dass ich dir Schmerzen und Verletzungen zufüge?“ „Ich liebe dich, deshalb will ich alles von dir spüren. Jedes einzelne Gefühl, ob positiv oder negativ.“ „Und dein Selbsthass spielte keine Rolle?“, hinterfragt mein Vater skeptisch. Ich schweige einen Moment und schaue betreten zu Boden. „Doch“, gebe ich schließlich ehrlich zu. „Und für diesen Egoismus hasse ich mich noch mehr. Ich will dir wirklich nicht wehtun, dennoch tue ich es durch mein Verhalten immer wieder, zum Teil sogar absichtlich, denn in diesen Momenten ist es mir ziemlich egal.“ Unsicher beuge ich mich etwas vor und berühre mit meiner Stirn die Schulter meines Vaters. „Warum verspüren andere nicht das Verlangen, mit den Menschen, die sie lieben, schlafen zu wollen? Ist das denn so ungewöhnlich?“ „Nein, aber normalerweise beschränkt sich dieses Verlangen auf eine Art der Liebe. Du hingegen beziehst es beinahe auf jede Form der Zuneigung. Auf der anderen Seite schläfst du auch mit Menschen, denen du keine Gefühle entgegenbringst, zumindest glaube ich nicht, dass das bei deinen Freiern der Fall ist, oder?“ „Nein.“ Dass ich mittlerweile fast nur noch mit einem der Männer ins Bett gehe und dass es dabei hauptsächlich um die Beschaffung von Drogen geht, kann ich meinem Vater nicht sagen. „Verkaufst du dich des Geldes wegen oder ist es ausschließlich ein Mittel, um deinen Selbsthass auszuleben?“ „Das Geld ist mir egal“, antworte ich wahrheitsgemäß, wobei es sich genau genommen um eine Halbwahrheit handelt, da ich eben nur noch selten mit Geld für Sex bezahlt werde. „So egal kann es nicht sein, immerhin finanzierst du damit deine Drogen, oder etwa nicht? Es sei denn, du erhältst diese als Bezahlung“, mutmaßt mein Vater richtig. Bestimmt packt er mich an den Schultern und schiebt mich so weit von sich, dass er mir in die Augen schauen kann. Ich fluche innerlich, weil mir die Richtung, in welche sich das Gespräch entwickelt, absolut nicht gefällt. „Papa, ich möchte dein Vertrauen zurückgewinnen“, lenke ich ein wenig ab. „Ich mache einen Entzug. Bei GHB ist das nicht allzu schwierig und gut ohne Klinik oder professionelle Hilfe machbar. Nach spätestens drei Tagen müssten die Entzugserscheinungen abgeklungen sein, aber bitte hilf mir dennoch von dem Zeug runterzukommen, damit ich nicht doch wieder rückfällig werde. Als Beweis, dass ich es ernst meine, würde ich dir das GHB aushändigen, allerdings habe ich gerade nichts da. Zugegeben, das klingt nicht besonders glaubwürdig, aber aus diesem Grund hatte ich die Schlaftabletten geschluckt, als Ersatzstoff sozusagen.“ „Es fällt mir tatsächlich schwer, dir zu glauben. Bei diesem Thema hast du mich einfach zu oft angelogen.“ „Ich weiß. Aber was kann ich tun, damit sich das ändert? Wirst du mir überhaupt jemals wieder vertrauen können?“ „Das wird sich mit der Zeit zeigen. Beweise mir, dass du nicht nur redest, sondern es wirklich ernst meinst, indem du zu mir kommst, wenn du Hilfe brauchst oder es dir nicht gut geht. Hör auf der Realität mit Hilfe von Drogen entfliehen zu wollen. Letztlich wird ohnehin nichts besser, wenn du dich zudröhnst, allenfalls schaffst du dir nur mehr Probleme.“ Behutsam zieht mein Vater mich an sich, umfängt mich mit seinen Armen. An einigen Stellen meines Körpers fühle ich den Schmerz der Blessuren, die ich selbst herausgefordert und gewollt habe, weshalb ich leicht zusammenzucke. „Sind deine Verletzungen sehr schlimm?“, fragt mein Vater besorgt. „Dein Gesicht sieht zumindest furchtbar aus.“ „Nein, keine Angst und mach dir bitte keine Vorwürfe. Es ist gut so, wie es ist.“ „Ist es nicht, Yamato. Und das weißt du im Grunde auch, du verstehst es nur nicht, weil du in deiner eigenen, kindlichen Welt lebst.“ Sanft streicht mir mein Vater durch das Haar, gibt mir einen Kuss auf die Stirn, während er mein Gesicht zwischen seinen Händen hält, damit ich ihn ansehe. „Ich werde den Entzug mit dir machen, aber zuvor werde ich dein gesamtes Zimmer selbstständig durchsuchen und alle Suchtmittel, einschließlich Rasierklingen, konfiszieren.“ Entsetzt öffne ich meinen Mund, um zu protestieren, doch mein Vater legt seinen Zeigefinger auf meine Lippen und bedeutet mir zu schweigen. „Keine Widerrede.“ Ich gebe nach und nicke zustimmend. Traurig schaue ich ihn an. „Aber bitte nimm mir dich dann nicht auch noch weg.“ Sehnsüchtig küsse ich meinen Vater. Die erwartete Gegenwehr bleibt aus, stattdessen lässt er sich auf mein forderndes Zungenspiel ein. Verzweifelt lege ich meine Arme um den Nacken meines Vaters, klammere mich an ihn aus Angst, er könnte plötzlich verschwinden oder mich von sich stoßen. Der Kuss ist leidenschaftlich, allerdings ist der Geschmack mit einer Mischung aus Alkohol und Blut gewöhnungsbedürftig. „Die Wunde an deiner Lippe ist wieder aufgerissen“, bemerkt mein Vater ruhig, als er sich von mir löst und sehr behutsam darüber streicht. Mein Körper kribbelt mit jeder seiner Berührungen intensiver, reagiert mit starker Zuneigung und Erregung. Ich wische mit den Handrücken über meinen Mund, als könnte ich so die Blutung stoppen. „Es ist alles okay“, versichere ich nervös. „Tai wartet, ich sollte wieder zu ihm in mein Zimmer gehen.“ Ich stehe auf und steuere ohne ein weiteres Wort auf die Tür zu. „Yamato“, ruft mein Vater mir nach. „ Ich möchte mit dem Entzug nicht bis zu den Ferien warten, sondern ihn so schnell wie möglich durchziehen. Bist du mit dem nächsten Wochenende einverstanden?“ „Tut mir leid, das geht nicht. Samstagabend bin ich mit einem Mitschüler verabredet, der mir bezüglich der Prüfungen noch ein paar Dinge erklären wollte.“ Ich bleibe mit dem Rücken zu meinem Vater gewandt stehen, balle meine Hand für ihn nicht sichtbar zu einer Faust und drücke sie schmerzhaft fest zu. Für diese weitere Lüge hasse ich mich abgrundtief. „Also gut, lass uns später noch einmal darüber reden“, lenkt mein Vater, mit an meiner Aussage eindeutigen Zweifeln in der Stimme, ein. Schweigend verlasse ich den Raum. Im Flur lehne ich mich abwesend gegen die Wand und starre ins Nichts. Ich bin ein elender Heuchler. Von Anfang an hatte ich nicht vor, mit den Drogen aufzuhören, den Vorschlag bezüglich des Entzugs machte ich nur, um meinen Vater zu beruhigen. Doch nächstes Wochenende bekomme ich endlich den nächsten Schuss Heroin, darauf kann ich nicht verzichten, selbst wenn ich mit derart unglaubwürdigen Ausreden weiterhin das Misstrauen meines Vaters errege. Meine innere Anspannung wird unerträglich, sodass ich einen kurzen Blick zur Badtür werfe. Ich berühre die pulsierende Wunde an meinem Auge und ein stechender Schmerz durchfährt meinen Kopf. Eilig gehe ich zu meinem Zimmer, um in Taichis Nähe zu sein und dem Verlangen, mir den Arm aufzuschneiden, zu entfliehen. Als ich die Tür öffne, sehe ich ihn auf meinem Bett sitzen. „Du hättest doch ein wenig zocken können. Ich habe deine Spielstände nicht angerührt.“ „Schon okay, du warst ja nicht lange weg.“ Zur Sicherheit setze mich auf den Stuhl an meinem Schreibtisch, in ausreichendem Abstand zu Tai, da ich nicht weiß, ob ich aufgrund des Kusses mit meinem Vater nach Alkohol rieche. Ich habe keine Ahnung, inwieweit solche Kleinigkeiten fatal bei Alkoholabhängigkeit sein können, und einen Rückfall seinerseits möchte ich nicht riskieren. „Wie lange hast du die Auseinandersetzung zwischen meinem Vater und mir beobachtet, bevor du eingeschritten bist?“ „Dein Vater hat dich gerade auf das Bett gestoßen. Ich weiß nicht, was die Ursache für euren Streit war, aber deine Provokationen waren heftig. Vor allem, weil du mit deinen Worten zum Teil traurige Tatsachen angesprochen hast, die deinem Vater ohnehin bewusst sind und ihm schwer zu schaffen machen. Am Ende hast du ihn zwar dazu gebracht, dich zusammenzuschlagen, aber bist du sicher, dass er es ausschließlich getan hat, weil er die Kontrolle über sich verloren hat? Mir kommt es so vor, als würde dein Vater letztlich alles für dich tun, selbst wenn er gegen sein eigenes Gewissen handeln muss, in der Hoffnung, dir irgendwie helfen zu können. Er liebt dich sehr, Yamato. Warum nutzt du das so eiskalt aus?“ Taichis Worte klingen nicht vorwurfsvoll, aber Verständnis kann ich darin auch nicht erkennen. Ich versuche die Tränen, die in meinen Augen brennen, vor Tai zu verbergen und drehe mich mit meinem Stuhl zum Schreibtisch. Seine Aussage hinterlässt bei mir ein beklommenes, fast panisches Gefühl. Weiß er, dass mein Vater mit mir schläft? Ist es etwa offensichtlich? Und hat Taichi recht damit, dass jener mit seinen Schlägen einzig meinem Verlangen nachgibt? „Bist du hier, um mit mir über meinen Vater zu sprechen? In welchem Verhältnis steht ihr eigentlich zueinander? Ihr geht ungewöhnlich vertraut miteinander um.“ „Das ist nicht dein Ernst, Yamato.“ Taichi lacht. „Bist du wirklich der Meinung, ich hätte Sex mit deinem Vater?“ Ich höre, dass er aufsteht und auf mich zukommt. „Nein, bleib auf dem Bett.“ Es fällt mir schwer, Tai auf Abstand zu halten, aber es ist sicherer. In vielerlei Hinsicht. „Du weißt, dass ich nicht auf ältere Männer stehe, oder?“, hinterfragt er, während er sich wieder setzt. „Ja, denn du stehst im Allgemeinen nicht auf Männer.“ Ich drehe mich zu ihm um und lächle bitter. „Yamato…“ „Es ist okay. Inzwischen habe ich es akzeptiert. Nur eines verstehe ich nicht, warum haben wir uns beim letzten Mal erneut geküsst? Weiß deine Freundin davon?“ „Ich habe mich schon vor meinem Klinikaufenthalt wieder von ihr getrennt. Eigentlich war sie nur eine Art Ablenkung von dir beziehungsweise habe ich sie als Ersatz für dich benutzt. Da ich sie nie geliebt habe, konnte ich ihr das allerdings nicht lange antun und beendete die Beziehung recht schnell.“ Eindringlich schaut Taichi mich an. „Yamato, ich meinte es gestern Abend ernst. Bitte hör auf an der Ehrlichkeit meiner Gefühle zu zweifeln. Ich weiß, dass ich selbst schuld daran bin, da ich dich vorgeblich wegen dieses Mädchens verlassen habe. Aber wie ich bereits sagte, gab es für uns kaum eine andere Möglichkeit, unsere Probleme in den Griff zu bekommen. Ich musste den Entzug machen, doch das ging nur allein. Mit deinem labilen Gemütszustand und deinen eigenen Abhängigkeiten wäre es höchstens schwieriger geworden.“ Ich schweige und senke meinen Blick. „Wenn ich nicht für dich da sein kann, ist die Beziehung einseitig und somit nicht erstrebenswert, oder? Sollten wir es dann nicht besser dabei belassen?“ „Nein, Yamato. Nenn es egoistisch, aber ich liebe dich und will bei dir sein, selbst wenn du keine derartigen Gefühle mehr für mich haben solltest.“ Tai macht eine Pause, in der er kurz überlegt. „Du hast Akito wirklich geliebt, hab ich recht?“, fragt er vorsichtig, als hätte er Angst, das Thema anzusprechen. Tatsächlich steigen mir Tränen in die Augen. Verstohlen wische ich sie weg. „Er hat mit meinen Gefühlen für dich nichts zu tun.“ „Das sehe ich anders. Zudem kannst du nicht ewig vor seinem Tod davonlaufen.“ „Jetzt möchte ich mich aber nicht damit auseinandersetzen.“ „Wenn es nach dir geht, Yamato, gibt es nie den richtigen Zeitpunkt dafür.“ „Sollten wir nicht besser über uns reden?“, weise ich Tai sanft zurecht. Er seufzt, nickt anschließend, doch ich sehe an seinem Blick, dass er mit diesem Thema noch nicht abgeschlossen hat. „Warum bist du gerade so abweisend zu mir?“, möchte er stattdessen wissen. „Wie kommst du darauf?“, entgegne ich irritiert. „Du hältst mich auf Abstand, ist dir das nicht aufgefallen?“ „Ehrlich gesagt fürchte ich mich vor einem Neuanfang. Ich empfinde nach wie vor etwas für dich, vielleicht noch mehr als früher, aber genau das macht mir Angst. Deine Probleme sind erst durch mich entstanden und dich noch einmal zu verlieren, würde ich nicht verkraften. Es wäre vernünftiger, wenn wir keinen Kontakt mehr haben.“ Noch während ich die Worte ausspreche, habe ich das Gefühl, innerlich zu sterben. Reglos starre ich auf meinen entblößten Arm. Die Rasierklinge halte ich längs auf die Haut meiner Handgelenkinnenseite. Ich übe einen leichten Druck darauf aus, sitze ansonsten aber unbewegt auf den kalten Fliesen des Badezimmers. Nachdem Taichi meine Ablehnung wortlos hingenommen hat, ist er gegangen. Ich bin froh, dass er nicht versuchte mich umzustimmen, dennoch bereue ich meine Entscheidung. Ohne Tai ergibt der ganze beschissene Kampf keinen Sinn mehr. Jetzt, da er noch einmal in mein Leben getreten ist, schaffe ich es kein zweites Mal, über ihn hinwegzukommen, zumal ich Akito nicht mehr an meiner Seite habe, der mir die nötige Ablenkung gibt. Und für meinen Vater ist es zweifelsfrei besser, wenn ich ihm sein Leben nicht mehr zur Hölle machen kann. Ich drücke die Klinge noch etwas stärker auf meine Haut. Eigentlich muss ich sie nur durch mein Fleisch ziehen und zuschauen, wie eine tödliche Menge Blut aus meinem Körper herausläuft, ebenso wie Akito es getan hat. Ob er damals auch so lange zögerte? Ich glaube, bei ihm ging es relativ schnell. Er wird keine Zweifel gehabt haben. Vermutlich setzte er seinem Leben einfach so ein Ende und dachte nicht erst lange darüber nach. Dennoch frage ich mich nach wie vor, inwieweit er seinen Selbstmord geplant hatte oder ob es letztlich doch nur eine Kurzschlussreaktion war. Und wie sieht es bei mir aus? Was tue ich hier eigentlich? Ich gehe weder sonderlich kalkuliert vor, noch ist mein Verstand vernebelt. Wahrscheinlich ist aber genau das mein Problem, weshalb ich mir nicht einfach die Pulsadern aufschneide, sondern nur unschlüssig mit der Klinge in der Hand dasitze. Ich denke noch immer zu viel. Das Einzige, das mich hier noch hält, ist mein Vater, doch auch er ist in zwei Monaten weit weg. Spätestens dann würde ich mich ohnehin umbringen, also kann ich genauso gut jetzt den Schlussstrich ziehen. Ich verstärke den Druck der Rasierklinge auf meine Haut weiter. Meine Hand zittert leicht. „Fuck!“, schreie ich und werfe das kleine Metall mit ganzer Kraft verzweifelt durch den Raum. Wütend auf mich selbst vergrabe ich meine Hände in meinen Haaren und reiße schmerzhaft daran. Ich ziehe meine Beine an meinen Körper und lasse meinen Kopf auf meine Knie sinken. „Yamato? Ist alles in Ordnung?“ Mein Vater klopft laut an die Tür. Er klingt besorgt. „Ja“, lüge ich. Tränen füllen meine Augen. Hastig springe ich auf und laufe zur Tür, um sie zu öffnen. „Nein“, revidiere ich meine Aussage. Weinend umarme ich meinen Vater, woraufhin er mich schützend an sich drückt. „Ich will sterben, Papa!“, flüstere ich mit brüchiger Stimme. „Im Bad liegen meine Rasierklingen, mit denen ich…“ Meine Worte gehen in meinem Schluchzen unter. „Bitte hilf mir!“, hauche ich verzweifelt. „Es tut mir leid, Yamato, aber ich werde dich jetzt zur Krisenintervention ins Krankenhaus bringen.“ „Nein, die dröhnen mich nur mit Medikamenten zu, um mich ruhigzustellen. Bleib einfach bei mir und pass auf mich auf, okay? Ich flehe dich an! Im Notfall kannst auch du mir die Benzodiazepine, die ich für solche Fälle verschrieben bekommen habe, verabreichen. Aber bitte schiebe mich nicht in die Klinik ab.“ „Es wäre doch nur so lange, bis du die vorherrschende akute Phase deiner Suizidalität überstanden hast. Vielleicht musst du auch nur die Nacht dort verbringen.“ „Schon das wäre viel zu lange.“ Ich klammere mich an meinem Vater fest. „Also gut. Du bleibst die ganze Zeit in meiner Sichtweite. Wie fühlst du dich allgemein?“ „Extrem unruhig, das Zittern hört nicht auf.“ „Denkst du, du bist in der Lage, deine Handlungen zu kontrollieren?“ „Momentan geht es, glaube ich, aber richtig einschätzen kann ich es nicht.“ „Jetzt kommst du erst einmal mit in mein Zimmer.“ Entschieden hält mein Vater seinen Arm um meine Schultern gelegt und lenkt meine Schritte in die gewünschte Richtung. Hinter sich die Tür schließend bedeutet er mir auf seinem Bett Platz zu nehmen. „Leg dich ein wenig hin, vielleicht kommst du etwas zur Ruhe.“ Ich gehorche, ohne Widerstand zu leisten. Teilnahmslos, aber leicht bebend starre ich zur Decke. „Kann ich es riskieren, dich für zwei Sekunden nicht im Auge zu behalten?“ „Ja, ich mache nichts“, antworte ich tonlos. Zügig verlässt mein Vater den Raum, vermutlich um die Rasierklingen an sich zu nehmen. Nach kurzer Zeit kommt er mit einem Glas Wasser und einer Medikamentenschachtel in den Händen zurück, stellt beides auf dem Nachttisch ab und setzt sich zu mir. „Du zitterst noch immer“, bemerkt er sorgenvoll und streichelt beruhigend über meinen Arm. Mit tränennassen Augen schaue ich meinen Vater an. „Ich habe einen Fehler gemacht. Ich muss unbedingt zu Tai!“ Panisch richte ich mich auf, doch mein Vater drückt mich bestimmt zurück auf das Laken. „Du gehst in diesem Zustand nirgendwohin“, ermahnt er mich mit ernster Miene. „Aber wenn ich nicht gehe, verliere ich ihn endgültig! Also lass mich los, verdammt nochmal!“ Energisch wehre ich mich gegen meinen Vater. „Yamato! Hör mir zu!“ Er nimmt mich fest in seine Arme und macht mich so bewegungsunfähig. „Versteh bitte, dass ich dich zurückhalten muss. Wenn ich dich gehen ließe und du dich umbringst, würde ich mir das nie verzeihen.“ „Ich will doch nur zu Taichi! Bitte!“ Hemmungslos beginne ich zu weinen, wobei ich mich verzweifelt an meinem Vater festhalte. „Shh. Beruhige dich erst einmal. Und dann ruf ihn an. Morgen ist Sonntag, er kann gern hier übernachten. Ihr solltet euch endlich richtig aussprechen.“ Während er auf mich einredet, streichelt mein Vater mir liebevoll durch die Haare. Ich merke, wie dadurch die Anspannung etwas von mir abfällt und einer kaum erträglichen Zuneigung für meinen Gegenüber weicht. „Ich liebe dich, Papa“, flüstere ich mit erstickter Stimme. „Ich liebe dich so sehr!“ Mit einem sanften Lächeln betrachte ich meinen Vater, hebe meine Hand und berühre kaum merklich seine Wange. Zaghaft küsse ich seine Lippen. „Danke“, hauche ich und küsse ihn erneut. Ungewöhnlich verhalten spüre ich die Zunge meines Vaters in meinem Mund. „Fühlst du eigentlich gar nichts, wenn wir uns küssen oder miteinander schlafen?“, unterbreche ich unsere Zärtlichkeiten und schaue ihn fragend an. Behutsam wischt mein Gegenüber mir die Tränen aus dem Gesicht. „Doch. Die Liebe zu dir und den damit verbundenen Schmerz, die Angst um dich sowie die Gewissheit, etwas Falsches zu tun.“ „Wie kann etwas falsch sein, wenn beide Parteien das Gleiche empfinden?“ Flüchtig streife ich mit meinem Daumen über die Unterlippe meines Vaters. „Ekelst du dich vor unseren sexuellen Handlungen?“ „Nein. Wie ich dir jedoch bereits erklärte, stellt sich die Lust, die man normalerweise verspürt, nicht ein.“ „Was nicht schlimm ist, weil es darauf nicht ankommt. Für dich ist es aber ein notwendiger Faktor, oder? Deshalb kannst du dich nicht vollständig auf mich einlassen.“ „Wird man nicht aus diesem Grund überhaupt erst mit jemandem intim?“ „Ist das so? Sollten nicht Gefühle wie Liebe, Zuneigung oder unter Umständen auch Besitzanspruch eine größere Rolle spielen als die bloße Triebbefriedigung genannt Lust?“ Mein Vater seufzt ratlos und voller Schwermut. „Manchmal erscheint mir deine Welt unglaublich unschuldig und naiv. Vielleicht gerade weil du weißt, wie hässlich die Realität sein kann. Letztlich weißt du auch sehr genau, dass Sex nichts mit Gefühlen zutun haben muss.“ „Ja, allerdings hast du Gefühle für mich. Nur bedarf deiner Ansicht nach diese Art von Zuneigung keiner körperlichen Komponente. Deine Liebe ist rein mental, während meine allumfassend ist. Findest du mich deswegen abstoßend?“ „Nein, es ist nur befremdlich.“ „Weil es nicht der Norm entspricht? Oder der Moral?“ „Beides wahrscheinlich.“ „Heißt das, wenn Sex mit den eigenen Kindern von der Gesellschaft akzeptiert werden würde oder es etwas ganz Natürliches wäre, hättest du kein Problem damit, mit mir zu schlafen?“ „Ich weiß es nicht, Yamato.“ Etwas überfordert betrachtet mein Vater meinen Körper, als könnte er so eine Antwort auf die Frage finden. Wie selbstverständlich ziehe ich ihn mit mir hinab in eine liegende Position, bette meinen Kopf auf seinen Brustkorb und lausche dem beruhigenden Schlagen seines Herzens. Schützend legt mein Vater seinen Arm um mich, streichelt scheinbar gedankenverloren über meine Schulter, die Seite hinab zu meinen Lenden. „Denkst du, du könntest es jemals als normal empfinden? Auch ohne die Absegnung der Gesellschaft? Wirst du jemals mit mir schlafen wollen, weil deine Gefühle so schmerzhaft stark sind, dass sie dich fast in den Wahnsinn treiben und es die einzige Möglichkeit ist, die annähernd intensiv genug ist, um sie im Ansatz ausdrücken zu können?“ Für einen Moment schweigt mein Vater. „Yamato, du fühlst anders als ich.“ „Ja, wahrscheinlich“, murmle ich mit leichter Unzufriedenheit in der Stimme. Ich schließe meine Augen und atme den Duft meines Vaters tief in mich ein. Dann richte ich mich etwas auf und mustere ihn begehrend. „Ich liebe dich und ich danke dir. Das Zittern hat aufgehört und ich glaube die Suizidalität wieder unter Kontrolle zu haben. Es tut mir leid, was du meinetwegen…“ Sofort setzt mein Vater sich ebenfalls auf und bringt mich zum Schweigen, indem er seinen Finger auf meine Lippen presst. „Ich will nichts dergleichen hören. Du solltest endlich den Unterschied von deinetwegen und für dich begreifen.“ Nachsichtig lächelt er mich an. Der Schmerz, den die Gefühle für meinen Vater verursachen, wird unerträglich. Meine Brust ist wie zugeschnürt. „Bitte küss mich“, flüstere ich hingebungsvoll. „ So leidenschaftlich, fordernd und innig, als wäre ich dein Geliebter.“ Zögernd berührt mein Vater mit seiner Hand mein Gesicht. „Du solltest Taichi anrufen, sonst wird es zu spät.“ Nervös sitze ich an meinem Schreibtisch. Taichi fragte nicht weiter nach, als ich ihm am Telefon sagte, dass ich gern noch einmal mit ihm reden wollte. Er müsste jeden Augenblick hier sein. Ein wenig irritiert war ich, da er völlig normal wirkte. Ich rechnete mit einer distanzierteren oder unfreundlicheren Reaktion, doch offenbar verletzte ich ihn mit meinem Verhalten weniger, als ich befürchtet hatte. Auf den Vorschlag, bei uns zu übernachten, wollte er allerdings noch nicht ganz eingehen, wobei er es aber auch nicht ausschloss. Vermutlich will er den Verlauf des Gesprächs abwarten, was durchaus nachvollziehbar ist. Bevor ich Tai anrief, händigte ich meinem Vater freiwillig sämtliche Tabletten aus, die ich in meinem Zimmer versteckt hatte. Zwar wird ihn das nicht davon abhalten, selbst noch einmal alles gründlich zu durchsuchen, aber auf diese Weise wird er nichts weiter finden und meine Verstecke bleiben unentdeckt. Gleichzeitig hoffe ich durch die freiwillige Herausgabe das Vertrauen meines Vaters wenigstens ein klein wenig zurückerlangen zu können. Ich schaue auf das Blatt Papier, welches vor mir auf dem Tisch liegt. Das Lied, an dem ich seit einiger Zeit schreibe, ist fast fertig. Konzentriert betrachte ich die Noten, summe die Melodie leise vor mich hin, dann stehe ich auf und greife nach meiner Gitarre. Ich hole den Zettel mit der Komposition, setze mich auf mein Bett und lege ihn vor mir auf den Boden. Ruhig schlage ich die ersten Saiten an. Der unweigerliche Wunsch dich nach Hause zu bringen Als würden all meine klarsten Gedanken erstickt werden Es scheint erst gestern gewesen zu sein Dass wir hier Seite an Seite lagen Aber es ist schon unzählige Nächte her dass es verging In einer traumatisierten Welt Alle Tiefen erkundend in denen wir standen In einer traumatisierten Welt Jeden Tag unsere Ziele erkämpfend In einer traumatisierten Welt Die Wahrheit ist so surreal und unvollkommen In einer traumatisierten Welt Die Erinnerungen in unseren Köpfen durchsuchend Als ich eine zerbrechliche Hand hielt an jenem bedauerlichen Tag Innerlich keine Kälte fühlend rückhaltlos Als dichteten wir die ganze Nacht lang in unseren Einbildungen Und dann änderte eine Sekunde unsere Leben für immer Versteh mich falls ich dich in meine Arme nehme Bitte vergib mir falls ich nach deinem Herzen suche Hörst du mich wenn ich jede Nacht weine? Ich muss von vorn beginnen Tränen laufen über meine Wangen. Der Schmerz, den dieses Lied in mir auslöst, ist unerträglich real. Es fällt mir schwer, zu atmen, meine Kehle ist trocken, wodurch das Schlucken stark beeinträchtigt wird. Während ich mit meinem Ärmel über mein Gesicht wische, öffnet sich ohne ein vorheriges Anklopfen die Zimmertür. Ich stelle das Instrument beiseite und schaue Tai mit verschwommenem Blick an. „Hast du das Lied geschrieben? Es scheint dich ziemlich aufzuwühlen“, bemerkt er vorsichtig, wobei er neben mir auf der Matratze Platz nimmt. „Ich habe es mit dem Gedanken an Akito geschrieben“, entgegne ich ehrlich und mit brüchiger Stimme. Der eben noch liebevolle Gesichtsausdruck Tais wandelt sich bei diesen Worten in eine Mischung aus Ernsthaftigkeit, liebevoller Zuneigung und abfälliger Arroganz. Er sagt allerdings nichts. Stattdessen hebt er das Blatt vom Boden auf und zerreißt es mehrfach. Starr vor Entsetzen sehe ich ihm dabei zu und frage mich, ob das gerade wirklich passiert oder ob ich wieder einmal halluziniere. „Was…“, beginne ich verwirrt. „Schließe endlich mit ihm ab, verdammt nochmal! Akito ist tot. Akzeptiere das!“ „Nein!“, schreie ich ihn trotzig an und reiße ihm wütend die Papierfetzen aus der Hand, mit welcher er sofort meinen Kopf am Kinn zu sich heranzieht. „Liebst du mich, Yamato?“ Mit dieser unerwarteten Frage bringt Taichi mich völlig aus der Fassung, sodass ich seine Berührung zulasse. Leicht fährt er über meine Schläfe, als er eine Strähne aus meinem Gesicht streicht, dann über die Wunde an meinem Auge. Sehnsüchtig schließe ich meine Augen. „Ja, ich liebe dich“, flüstere ich. Tai legt seine Finger um meinen Hals. „Dann vergiss Akito. Und das ist keine Bitte. Wie du weißt, konnte ich ihn nie leiden, von daher hält sich mein Mitleid bezüglich seines Selbstmordes in Grenzen. Ich musste dulden, dass du dich von ihm ficken lässt, aber an einen Toten werde ich dich nicht mehr verlieren.“ Es ist befremdlich, diese schonungslosen Worte derart direkt von Tai zu hören, obwohl ich seine Meinung Akito betreffend kenne. Aus diesem Grund werde ich keine Diskussion mit Taichi eingehen. Er wird ohnehin wissen, dass Akito niemals aus meinem Bewusstsein verschwinden wird, dass ich ihn immer lieben werde. „Yamato, ich wiederhole meine Fehler aus der Vergangenheit nicht. Du gehörst mir und ich teile dich nicht mehr. Mit niemandem.“ Mein Herz schlägt schneller und ich verliere mich in Taichis wunderschönen Augen, welche ich so sehr vermisst habe und die mich nun mit stechendem Blick fixieren. Für einen kurzen Augenblick erwäge ich, meinem Gegenüber die Wahrheit zu sagen, dass ich Sex mit meinem Vater habe und von der Notwendigkeit, mich meinem Freier hinzugeben, um an Drogen zu gelangen. Da Tai mir allerdings schon mehr als einmal bewiesen hat, wie unberechenbar er ist, halte ich es für angebracht, ihm diese Tatsachen zu verschweigen. Genau genommen sollte er es besser nie erfahren. „Warum hast du meinen Entschluss, uns aufzugeben, vorhin einfach wortlos akzeptiert und bist gegangen?“, möchte ich stattdessen wissen. „Weil ich herausfinden wollte, ob du dieses Vorhaben tatsächlich ernst meinst und umsetzen willst oder ob du nur wieder kopflos nach deinen Gefühlen handelst. Doch ich muss zugeben, dass es mich erstaunte, wie schnell du dieses Mal deine Meinung revidiertest und vor allem, dass du von dir aus auf mich zukamst. Mein Eindruck bezüglich deiner Veränderung verstärkt sich immer mehr.“ „Ist das so? Auch mir kommt es so vor, als hättest du dich verändert.“ „Ich möchte endlich klare Verhältnisse schaffen.“ Nachdrücklich streicht er von meiner Schulter meinen Arm hinab, dann zieht er mich zu sich. „Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich nach dir verzehre“, raunt er in mein Ohr. Tais Worte und sein heißer Atem auf meiner Haut erregen mich. Ich schließe lustvoll die Augen, als ich spüre, dass er mit seinen Fingern unter mein Hemd gleitet. Mein Körper reagiert ungewohnt heftig auf die Berührungen meines Gegenübers, was diesem nicht zu entgehen scheint, denn mit einer Hand greift er mir unvermittelt zwischen die Beine. „Sehr interessant“, amüsiert er sich. Gebieterisch stößt Tai mich nach hinten, wobei mir die Papierfetzen des Liedtextes aus der Hand fallen, setzt sich mit gespreizten Beinen auf meine Oberschenkel und beugt sich zu mir hinab. „Soll ich dich ficken?“ Noch während er die Frage stellt, knöpft er mein Hemd langsam auf. Meine Atmung ist flach vor bebender Anspannung und das aufgeregte Kribbeln in meinem Inneren bringt mich beinahe um den Verstand. „Du hast mir so sehr gefehlt, Taichi. Bitte lass mich nicht noch einmal allein.“ Das Lächeln verschwindet aus seinem Gesicht und er legt seine Finger erneut um meinen Hals. „Keine Sorge, das werde ich nicht. Das nächste Mal töte ich dich.“ Kapitel 22: ------------ Mit offenen Augen liege ich in meinem Bett und starre in die Dunkelheit. Taichis Arm lastet schwer auf meinem Brustkorb und raubt mir die Luft zum Atmen. Ich wage jedoch nicht mich zu bewegen, weil ich Angst habe, ihn zu wecken. Seine Nähe wirkt auf mich ungemein beruhigend, sein Duft umhüllt mich sanft, ebenso die Wärme, die von seinem Körper auf meinen übergeht. Ich gebe mich meinen Gefühlen hin, dem Schmerz, der Zuneigung, dem Verlangen und der Sehnsucht. Vorsichtig drehe ich mich ein wenig, um dichter an meinen Freund rutschen zu können. Es ist erregend, seine nackte Haut auf meiner eigenen zu spüren. Allgemein sehne ich mich danach, ihn in mir zu spüren. Zwar hatte Tai es vorhin angesprochen, aber letztlich haben wir nicht miteinander geschlafen. Irgendwie kommt es mir so vor, als würde keiner von uns sich trauen den nächsten Schritt zu gehen. Aber warum? Vor unserer Trennung hatten wir oft Sex. Liegt es daran, dass wir, wie Taichi bereits sagte, die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen wollen? Allerdings wäre ein Neuanfang schon der erste und wahrscheinlich größte Fehler. „Kannst du nicht schlafen?“, höre ich meinen Freund unerwartet wach fragen. „Und du?“ „Nein.“ Eine kleine Pause entsteht. „War der Alkoholentzug eigentlich schwer?“ Meine Stimme ist gedämpft und klingt unsicher, da ich Bedenken habe, dieses Thema anzusprechen. „Ja. Ziemlich. Die Entzugserscheinungen waren heftig und ich war oft kurz davor, einfach aufzugeben.“ „Was hat dich dazu bewegt, weiterzumachen und die Therapie durchzuziehen?“ „Meine eigene Erbärmlichkeit. Ich konnte zum Schluss nicht einmal mehr in den Spiegel sehen. Jegliche Selbstachtung ging mit meiner Kontrolle über mich verloren. Zudem war ich nicht mehr in der Lage, für dich da zu sein. Die Angst, dich zu verlieren, hat schließlich den Anstoß gegeben, dass ich mich einweisen ließ.“ „Du verlierst mich nicht. Außer wenn ich tot bin.“ Sofort richtet sich mein Freund ein wenig auf und schaut mich, soweit ich das in der Dunkelheit ausmachen kann, ernst an. „Solche Äußerungen möchte ich nicht mehr hören, Yamato“, sagt er verärgert, streicht mir aber liebevoll durch die Haare. „Hast du Angst?“, flüstere ich. „Angst vor dem, was kommt? Angst vor einem Rückfall? Angst…“ „Shh.“ Sachte legt Tai seinen Zeigefinger auf meine Lippen, um mich zum Schweigen zu bringen. „Nein. Ich habe keine Angst. Aber du, nicht wahr?“ Ich nicke. Langsam beugt mein Freund sich zu mir hinab und küsst mich sanft. Ein aufgeregtes Kribbeln stellt sich ein, als ich den Kuss erwidere und zu einem schüchternen Zungenkuss ausweite. Ich gleite mit meiner rechten Hand über Tais nackten Körper, der leicht über mich gebeugt ist, wandere dabei immer weiter nach unten. Als ich zwischen seine Beine greifen möchte, hält mein Freund mich am Handgelenk zurück. „Nein, Yamato.“ Verunsichert unterlasse ich meinen Annäherungsversuch. „Willst du nicht?“ „Doch. Aber ich denke, es ist besser, wenn wir noch etwas warten.“ „Worauf denn?“, entgegne ich etwas ungehalten. „Es ist ja nicht so, als hätten wir noch nie miteinander geschlafen.“ „Ist der Sex für dich das Wichtigste in einer Beziehung?“ „Nein. Aber er gehört dazu. Möchtest du nicht auch den Menschen, den du liebst, so innig wie möglich spüren? Ihm alles geben, alles von dir zeigen?“ „Vermutlich ist unsere Einstellung zu diesem Thema einfach zu unterschiedlich.“ Ich hebe meine Hand und streiche über die Wange meines Freundes. „Taichi, was fühlst du, wenn du mit mir schläfst? Denkst du dabei oft an unser erstes Mal? Die Gewalt, mit der ich dich genommen habe?“ „Es kommt tatsächlich gelegentlich vor, dass die Erinnerungen daran präsent sind, allerdings eher, wenn du in mir bist.“ „Hasst du es, wenn ich aktiv bin?“ Das Zittern in meiner Stimme kann ich nicht verbergen. Ich bereue zwar nicht, was ich damals getan habe, aber ich war zu naiv, um an die möglichen Folgen zu denken. „Nur, wenn es, wie ich dir schon einmal sagte, gegen meinen Willen geschieht.“ Liebevoll lege ich meine Hand in seinen Nacken und ziehe Tai zu mir herunter. Erfüllt von widersprüchlichen Gefühlen küsse ich ihn. „Es tut mir leid, dass ich so körperlich fixiert bin. Nur, anders kann ich mit meinen schmerzhaft intensiven Empfindungen nicht umgehen. Ich…“ „Du musst dich nicht rechtfertigen. Es ist alles in Ordnung. Ich verstehe es, auch wenn ich es nicht nachvollziehen kann. Allerdings frage ich mich schon seit längerem, wie das bei anderen Menschen ist, die dir etwas bedeuten, beispielsweise deinem Bruder oder deinem Vater. Sind deine Gefühle für sie nicht so stark oder liegt es daran, dass es deine Familie ist? Schließlich würdest du in diesen beiden Fällen Inzest begehen.“ Mein Freund lacht kurz. „Nein, selbst du bist nicht so schamlos und abgedreht, dass du dich derart verwerflich verhalten würdest.“ Ich öffne meinen Mund, um zu protestieren, schweige letztlich jedoch. Bei dieser Meinung möchte ich die Reaktion von Tai bezüglich meiner sexuellen Beziehung zu meinem Vater nicht erfahren. „Lass uns versuchen zu schlafen“, lenke ich stattdessen ab. Offenbar mit meinem Vorschlag einverstanden, lässt mein Freund von mir ab und legt sich neben mich. Ich rutsche etwas an ihn heran, die Einsamkeit zerfrisst mich immer mehr. „Halt mich bitte fest“, flüstere ich kaum hörbar, doch Tais Handeln zeigt mir, dass er mich verstanden hat. Schützend legt er seine Arme um meinen Körper und zieht mich dicht an sich. Mein Herz schlägt schnell. Ich liebe Taichi und doch habe ich das Gefühl, zu ersticken. Dunkles Blut läuft über die helle Haut meines Armes und tropft auf die Bodenplatten des Badezimmers. Ich habe ziemlich tief geschnitten und dabei vermutlich eine Ader angeritzt, denn die rote Körperflüssigkeit pulsiert stark aus einer Stelle der Wunde. Mit einem Lappen, welchen ich fest auf die selbst zugefügte Verletzung presse, versuche ich die Blutung zu stillen. Ich hatte gehofft wieder atmen zu können, wenn ich mir den Arm aufschneide, doch ich bekomme noch immer keine Luft. Es fühlt sich so an, als würde Taichi seit einer Woche permanent seine Finger um meinen Hals gelegt halten und gnadenlos zudrücken. Der Lappen ist inzwischen durchweicht. Vorsichtig hebe ich ihn ein wenig an, damit ich den Schnitt inspizieren kann. Nach wie vor quillt das Blut in durchgängig fließenden Intervallen aus der Wunde. Ich stehe auf und lasse kaltes Wasser darüber laufen, gleichzeitig wasche ich das auf meinem Arm bereits getrocknete Blut ab. Anschließend lege ich umständlich einen Druckverband an. Diesmal hat das Schneiden kaum Wirkung gezeigt, vielleicht war der Schmerz zu gering, um das Chaos in mir ordnen zu können. Routiniert wische ich den Boden und spüle den Lappen aus, bevor ich ihn zum Trocknen über den Wannenrand lege. Abschließend reinige ich das Waschbecken, in welchem die rote Flüssigkeit in Bahnen zum Abfluss hinab gelaufen und darin größtenteils verschwunden ist. Noch einmal schaue ich durch den Raum und vergewissere mich, dass ich alle Spuren beseitigt habe, dann verlasse ich das Badezimmer. Im Flur bleibe ich unschlüssig stehen. Seit ich von meinem Freier nach Hause gekommen bin, habe ich meinen Vater noch nicht gesehen. Zuerst musste ich meinem Verlangen nach Selbstverletzung nachgeben. Der Sex mit meinem Freier war dieses Mal ziemlich erniedrigend und vor allem erbarmungslos. Wäre ich nicht völlig zugedröhnt gewesen, hätte ich möglicherweise seit langem so etwas wie Scham verspürt. Doch dank des Heroins fühlte ich nichts dergleichen, nur angenehme Leichtigkeit und vollkommenes Glück. Auch in der Woche war ich eigentlich ständig drauf, zum Teil sogar in der Schule, nahm dann allerdings eine geringere Dosis als üblicherweise. Der Lehrer scheint nichts bemerkt zu haben, ebenso Taichi, der die Nachmittage oft bei mir verbrachte. Selbst jetzt bin ich nicht ganz runter von dem GHB, welches ich in geringer Dosis sofort nach dem Herointrip einnahm, doch die Wirkung scheint allmählich nachzulassen. Ich gehe in mein Zimmer, um das kleine Fläschchen zu holen, anschließend begebe ich mich in die Küche. Dort fülle ich ein Glas mit Orangensaft und tropfe die Droge hinein, da mir der seifige Geschmack im Moment zuwider ist. Gierig trinke ich die kühle Flüssigkeit in einem Zug aus. Dann lasse ich mich erschöpft auf einen der Stühle sinken, lege meinen Kopf in den Nacken und schließe die Augen. Warum hält Taichi mich derart hin? Es ist unerträglich, ihn nicht spüren zu können. Als Ersatz lasse ich dafür meinen Freier inzwischen täglich ran, zum Einen, um die Abweisung meines Freundes zu kompensieren, zum Anderen wegen des erhöhten Drogenbedarfs. „Yamato, ist alles in Ordnung?“, fragt mein Vater besorgt, als er in die Küche kommt. Ich erschrecke mich so extrem, dass ich beinahe das GHB hätte fallen lassen. Panisch umfasse ich es fester und hoffe, dass er nicht auf meine Hand achtet. „Ja, ich bin nur etwas müde. Ich muss jedoch gleich noch einmal weg.“ „Du warst doch bereits über Nacht bei einem Mitschüler, um zu lernen. Auch wenn ich mich über deinen Fleiß sehr freue, übernimm dich bitte nicht, okay?“ „Nein, heute lerne ich nicht mehr. Es ist ohnehin Sonntag, da haben die meisten Verabredungen mit Freunden. Aber morgen treffen wir uns wieder. Jetzt will ich nur kurz nach Shibuya, zu Tower Records.“ Ausnahmsweise entspricht meine Ortsangabe der Wahrheit. „Verstehe. Kommt Taichi nachher noch?“ „Ja, am frühen Abend. Bis dahin bin ich aber zurück.“ Leichtigkeit durchflutet meinen Körper und ich merke, wie die Anspannung etwas von mir abfällt. Voller Zuneigung lächle ich meinen Vater an. Ich erhebe mich und verstaue dabei unbemerkt die kleine Flasche in meiner Gesäßtasche. Ohne darüber nachzudenken, lehne ich mich Halt suchend an meinen Vater. „Was ist los? Geht es dir nicht gut?“, fragt er sofort und klingt beunruhigt. „Doch, es ist alles in Ordnung. Ich möchte einfach nur deine Nähe, deinen Körper spüren. Bitte stoß mich nicht auch noch von dir.“ „Wie meinst du das?“ Ehrliche Verwunderung liegt in seiner Stimme. „Ist nicht so wichtig, vergiss es einfach.“ „Taichi?“, hakt mein Vater nach. Ich schweige und presse mich stärker gegen ihn. Schützend umfängt er mich mit seinen Armen. Mein Körper reagiert auf jede seiner Berührungen mit angenehmer Erregung. „Ich möchte dich küssen“, gestehe ich sehnsüchtig und zugleich schüchtern. „Bitte, Hiroaki. Nur…“ Sanft drückt mein Vater mich etwas von sich, legt einen Finger unter mein Kinn und dreht meinen Kopf in seine Richtung. Zunächst zaghaft küsst er meine Lippen, doch schnell spüre ich seine Zunge verlangend in meinem Mund. Immer fordernder steigert sich der Kuss in seiner Heftigkeit, sodass mir leicht schwindelig wird. Langsam dränge ich meinen Vater nach hinten, bis er gegen den Küchenschrank in seinem Rücken stößt. Begierig gleite ich mit meinen Händen seinen Körper hinab und öffne schließlich die Hose meines Gegenübers. Als Reaktion umgreift dieser schmerzhaft meine Oberarme, wechselt unsere Positionen und presst mich auf erregende Weise gegen den Schrank, ohne eine Sekunde von mir abzulassen. Schwer atmend löse ich mich von meinem Vater. „Nimm mich“, flüstere ich heißer. Bestimmt zieht er mich an sich, streicht mit seinen Händen meinen Rücken hinab, über meine Lenden, meinen Steiß und greift, bevor ich reagieren kann, zielgerichtet in meine Hosentasche. Vorwurfsvoll und wütend hält er mir das kleine Fläschchen entgegen. „Antworte mir ehrlich, Yamato! Hast du überhaupt jemals damit aufgehört.“ Mein Vater schreit mich fast an. Einen Augenblick schweige ich vor Entsetzen. Mein Herz klopft schnell. „Nein“, entgegne ich ehrlich und mit gesenktem Blick. „Wie oft konsumierst du das Zeug mittlerweile?“ „Ich habe es unter Kontrolle.“ Ruckartig hebe ich meinen Kopf wieder und schaue meinem Gegenüber direkt in die Augen, um ihn von meiner Aussage zu überzeugen. „Das war nicht meine Frage. Wie oft, Yamato?“ „Nur, wenn ich anders nicht mehr zurechtkomme.“ „Wie oft?“ Ich seufze. „Vielleicht zwei, drei Mal im Monat, manchmal auch einmal die Woche. Aber das…“ Ein heftiger Schlag ins Gesicht lässt mich zu Boden gehen. „Hör auf zu lügen!“ Zornig sieht er zu mir herab. Dieses Mal benutzte mein Vater sofort seine Faust und nicht erst die flache Hand, wie er es normalerweise tut, wenn er mich schlägt. Und wieder werden deutlich sichtbare Spuren des Übergriffes zurückbleiben. Gleichmütig bleibe ich liegen, schmecke das Blut in meinem Mund und fühle mich irgendwie gut. „Du hast mich nur geküsst, um an diese beschissenen Drogen zu kommen, hab ich recht?“, frage ich gleichmütig. „Warum hast du nicht einfach von Anfang an zugeschlagen? Das hätte dich mit Sicherheit weniger Überwindung gekostet.“ Ein bitteres Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Oder war es schlicht widerliches Mitleid mit deinem erbärmlichen Sohn? Weil ich von meinem Freund schon die ganze Zeit zurückgewiesen werde, konntest du mir das nicht auch noch antun, also hast du dich für den Moment geopfert. Gratuliere, mich zu erregen, um an meinen Stoff zu kommen, war eine wunderbare Idee. So hatten wir alle etwas davon.“ Ich drehe mich auf den Rücken und betrachte die Zimmerdecke. Das Lächeln wird zu einem unkontrollierten Lachen. „Bist du gerade drauf?“ Die Mimik meines Vaters zeigt eine Mischung aus Entsetzen, Wut und verzweifelter Zuneigung. „Und wenn schon. Mir geht es dadurch besser. Anders ist diese beschissene Welt doch nicht zu ertragen“, sage ich mit Gleichgültigkeit in der Stimme. Grob zieht mein Vater mich wieder auf die Beine, nur um erneut auf mich einzuschlagen. Ich wehre mich nicht, denn ich genieße den Schmerz, obwohl er sich durch die Droge etwas anders, ein wenig gedämpfter anfühlt als im nüchternen Zustand. „Du brauchst Hilfe, Yamato. So geht es nicht weiter. Seit Akitos Tod bist du extrem abgestürzt. Deine Selbstverletzungen sind schlimmer geworden.“ Vehement ergreift mein Gegenüber mein linkes Handgelenk und schiebt meinen Ärmel ein Stück nach oben. „Ich möchte nicht wissen, wie tief du diesmal geschnitten hast, wenn ein Druckverband nötig ist. Mit deiner Drogenabhängigkeit kann ich noch weniger umgehen. Du entgleitest mir, Yamato, und ich habe eine verdammte Angst um dich!“ Tränen schimmern in seinen Augen. „Dennoch werde ich dir zuliebe vorerst von einer Einweisung absehen, wenn du zu dem Kompromiss bereit bist, dich noch einmal auf eine ambulante Therapie einzulassen, regelmäßig hingehst, ernsthaft mitarbeitest und nicht vorzeitig abbrichst.“ Für einen Moment lässt mich der Schock über das Gesagte erstarren. Dann weicht die Paralyse einer Panik. Bestürzt und angsterfüllt entziehe ich mich meinem Vater und verlasse fluchtartig die Wohnung. Seine Versuche, mich aufzuhalten, wehre ich ab und blende ich aus. Der Wind weht kalt in mein Gesicht. Ich friere, bekomme das Zittern meines Körpers nicht unter Kontrolle. Zu kopflos habe ich die Wohnung verlassen, sodass ich mich nun ohne Jacke und ohne Schuhe mitten im November auf dem Dach eines 54-stöckigen Hochhauses befinde. Ich stehe nah am Abgrund, es ist nur ein kleiner Schritt auf der Erhöhung notwendig, um in die endlose Tiefe springen zu können. Ein Schwindelgefühl überkommt mich, als ich ein wenig vorgebeugt nach unten sehe. Traurig blicke ich gen Himmel. Damals schien die Sonne und es war warm. Damals gab es viele Probleme zwischen Tai und mir, jeder von uns war in seinen Abhängigkeiten gefangen, allerdings hatte er zu diesem Zeitpunkt die Beziehung noch nicht beendet. Damals war mein Vater in Deutschland, wir schliefen noch nicht miteinander. Damals lebte Akito noch, wir hatten nahezu regelmäßig Sex, ich war bereits in ihn verliebt, hätte jedoch nicht gedacht, dass ich jemals eine Beziehung mit ihm eingehen würde. Damals bin ich nicht gesprungen. Wäre ich in der damaligen Situation konsequent gewesen, hätte ich all das nicht mehr erlebt. Ich weiß nicht, ob ich froh darüber bin oder ob es nicht doch besser gewesen wäre, einfach zu sterben. Und wie ist es dieses Mal? Ich stehe an derselben Stelle, vor derselben Entscheidung. „Yamato!“ Die panisch klingende Stimme meines Vaters reißt mich aus meinen Gedanken. Ich drehe mich um, bleibe aber dicht am Rand stehen. Ganz außer Atem und mit angsterfülltem Blick erfasst mein Vater die Situation und wahrt zunächst etwas Abstand zu mir. „Ich wusste, dass du dich an meine Worte erinnern und herkommen würdest“, rufe ich ihm ernst zu. „Bitte, Yamato. Komm her. Ich habe deine Schuhe und eine Jacke von dir dabei. Sicher frierst du. Der Wind ist hier oben noch unangenehmer. Du wirst dich erkälten, wenn…“ „Nein. Nimm zuerst deine Therapieforderung zurück. Dann sehen wir weiter.“ „Willst du mich erpressen?“, fragt mein Vater ungläubig. „Du lässt mir keine andere Wahl. Es tut mir leid, aber ich möchte mit diesem ganzen Psychoscheiß nichts mehr zutun haben. Würde es auch nur im Ansatz etwas nützen, wäre Akito noch am Leben. Er ist das beste Beispiel, dass die einem nicht helfen können, sondern alles bloß schlimmer machen. Die Klinik war jedes Mal die Hölle für mich, besser wurde danach jedoch nichts. Und die ambulante Therapie war reine Zeitverschwendung. Veränderungen hingen ausschließlich mit anderen Faktoren zusammen. Das musst du doch sehen, Papa!“ Verzweifelt schreie ich ihm meine Worte entgegen. „Ich sehe es, Yamato. Aus diesem Grund habe ich die Drohung, dich einzuweisen, bisher nie wahrgemacht. Aber ich bin am Ende. Bitte verstehe auch mich. Ich habe eine verdammte Angst um dich! Vor allem, weil ich selbst dir nicht helfen kann. Was soll ich also deiner Meinung nach tun? Dich sterben lassen? Zusehen, wie du dich auf Raten tötest?“ Die Stimme meines Vaters zittert und ich glaube zu erkennen, dass er weint. Vorsichtig und mit langsamen Schritten kommt er auf mich zu. „Bleib stehen!“, rufe ich ihm mit drohendem Unterton zu und setze gleichzeitig einen Fuß auf die Erhöhung am Rand des Daches. Unerwartet öffnet sich die Tür zum Treppenhaus. Ohne mich aus den Augen zu lassen, geht Tai zu meinem Vater. „Du bist so ein manipulatives Arschloch, Yamato! Was willst du deinem Vater eigentlich noch alles antun?“ Ich merke, dass mein Freund extrem wütend ist, auch wenn er nach außen hin ruhig wirkt. „Taichi, was…“ „Ich habe ihn angerufen“, unterbricht mich mein Vater. „In der Hoffnung, dass er dir mehr helfen kann als ich.“ „Es läuft also doch etwas zwischen euch. Sag, wirst du von meinem Vater gefickt, Taichi, oder treibt ihr es andersherum?“ Hasserfüllt schaue ich die beiden Menschen an, die mir alles bedeuten. „Du bist paranoid und zugedröhnt, Yamato. Ich schlafe nicht mit deinem Vater. Niemals käme mir das auch nur in den Sinn. Ebenso würde er sich nie an jemandem vergreifen, der sein Sohn sein könnte und am Freund seines Sohnes erst recht nicht.“ Ein leichtes Lächeln legt sich auf meine Lippen, welches jedoch sofort verschwindet, als ich das betroffene Gesicht meines Vaters sehe. „Nein, das würde er nicht“, murmle ich so leise, dass keiner der Beiden etwas verstanden haben dürfte. „Zumindest nicht von sich aus.“ Ich steige ganz auf die Erhöhung am Rand des Daches, stehe mit dem Rücken zum Abgrund. Ein Gefühl der Unsicherheit überkommt mich. „Was soll das, Yamato?“ Vor Angst gelähmt starrt mein Vater zu mir. Er steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Tai versucht ihn zu beruhigen, indem er ihm eine Hand auf die Schulter legt. „Ich muss mich korrigieren, Yamato“, ruft mir mein Freund herablassend entgegen. „Du bist nicht nur ein manipulatives, sondern auch ein egoistisches Arschloch!“ Ich lache laut auf. „So wie du, Taichi.“ „Ja, es stimmt. Ich bin nicht besser als du. Obwohl ich weiß, wie wichtig die körperliche Komponente für dich ist, halte ich dich hin. Einfach so. Weil ich sehen will, wie du auf Dauer reagierst. Ich spiele mit dir. Obwohl ich dich liebe, tue ich dir unverzeihliche Dinge an. Gewaltsame Dinge, die dich ins Krankenhaus bringen, bei denen du sterben kannst.“ „Nein, Taichi. Du irrst dich. Es ist keine Liebe, die du für mich empfindest. Du willst Rache für damals und verlierst höchstens dein Ziel ab und zu aus den Augen.“ „Ja, anfangs trieben mich tatsächlich Rachegedanken dazu, dieses Spiel mitzuspielen. Aber das ist schon lange nicht mehr so. Und ich weiß nicht, wie oft ich dir das noch sagen muss, bis du mir endlich glaubst.“ „Deine Gefühle haben ihren Ursprung in einer Art Stockholmsyndrom. Wie könnte ich jemals etwas anderes glauben?“ „Du irrst dich schon wieder. Ich liebe dich mehr als alles andere. Es sind deine eigenen Zwangsgedanken und paranoiden Vorstellungen, welche dich die Wahrheit nicht sehen lassen.“ „Nein, du lügst!“, schreie ich meinen Freund verzweifelt an. „Ich habe dich vergewaltigt! Mehrfach! Das darfst du mir nicht verzeihen! Niemals!“ Tränen laufen unaufhörlich über meine Wangen. „Yamato, du hast…“ Mein Vater, der die Unterhaltung stumm verfolgte, schaut erst entsetzt zu Tai und starrt dann mich fassungslos an. Verzögert registriere ich, was ich eben laut ausgesprochen habe. „Ich…“ Meine Stimme stirbt ab. „Hat Yamato dich wirklich vergewaltigt, Taichi?“ Mein Freund fixiert mich mit seinen Augen. Sein Blick ist emotionslos, als er die Frage meines Vaters mit einem Nicken beantwortet. „Scheiße…“, flucht dieser leise. Er wirkt hilflos und ziemlich aufgelöst. „Wann?“ „Als wir elf waren, das erste Mal.“ Noch immer schaut Tai unverwandt zu mir. „Yamato…“, richtet sich mein Vater sichtlich schockiert an mich. Ich taste mit einem Fuß nach hinten und spüre bereits die Kante. Wenn ich nur einen Schritt zurückgehe, falle ich. „Jetzt willst du auch, dass ich sterbe, nicht wahr, Papa?“ „Nein, das möchte ich nicht. Ich liebe dich, deshalb will ich, dass du lebst und dass es dir gut geht.“ Mit langsamen Schritten kommt Tai näher, ergreift mein Handgelenk und zieht mich von der Erhöhung hinunter in seine Arme. Durch die Veränderung der Situation und die leichte Entspannung breche ich nervlich endgültig zusammen. Meine Beine geben nach und ich sinke mit meinem Freund zu Boden. Krampfartiges Weinen schüttelt meinen Körper und ich sacke immer weiter in mich zusammen. „Herr Ishida, wir sollten ihm etwas von dem Beruhigungsmittel verabreichen, das Sie vorsorglich eingepackt haben. Ich möchte nicht riskieren, dass er in einer Kurzschlusshandlung plötzlich losrennt und doch noch springt.“ Tais Stimme vernehme ich nur am Rande meiner Wahrnehmung. Alles ist dumpf, taub und irreal. Aus einer Tasche holt mein Vater eine Jacke, die er mir um die Schultern legt, Schuhe, eine Flasche Wasser und die Medikamentenschachtel. Ich kralle mich an meinem Freund fest, Tränen tropfen unablässig von meiner Nasenspitze und meinem Kinn. „Hier, Yamato. Nimm sie bitte, so wirst du etwas Ruhe finden.“ Mein Vater hält mir eine dieser kleinen, blauen Tabletten und die Flasche entgegen. Wie fremdgesteuert schlucke ich das Medikament. Nach einigen Minuten tritt die Wirkung ein und setzt mich endgültig außer Gefecht. Wie durch einen Dunstschleier bekomme ich mit, dass Taichi meine Tränen weg küsst, mein Vater mich anschließend hochhebt und auf seinen Armen in Richtung Treppenhaus trägt. Dann gleite ich in die Bewusstlosigkeit ab. „… tun konnte. Ich traue ihm ja inzwischen einiges zu, aber dass er dich…“ Die Stimmen klingen weit entfernt, als ich langsam zu mir komme. Ziemlich benommen halte ich meine Augen geschlossen. Offenbar unterhalten sich mein Freund und mein Vater gerade über ein ernstes Thema. „Sprechen Sie es bitte aus, sonst geben Sie dem Ganzen eine schwerere Bedeutung, als es hat.“ „Taichi, du solltest aufpassen, dass du diese Angelegenheit nicht bagatellisierst. Mein Sohn hat dich vergewaltigt. Hast du jemals mit jemandem darüber gesprochen, um es zu verarbeiten?“ „Mit Yamato. Diese Sache geht niemanden sonst etwas an.“ „Du musst ihn nicht in Schutz nehmen. Was er getan hat, war kein Kavaliersdelikt. Wenigstens mit deinen Eltern hättest du reden müssen. Wie bist du über die Jahre damit umgegangen? Hast du versucht es zu verdrängen und so getan, als wäre nichts geschehen?“ Mein Freund schweigt einen Moment. „Nein, das war nicht möglich.“ „Wieso n…“ Mitten im Satz stockt mein Vater. „Nein… Taichi, bitte… sag mir, dass meine Befürchtung…“ „Yamato nimmt sich, was er will. Meist ohne Rücksicht. Bis heute. Er hat nie damit aufgehört. Körperlich bin ich ihm zwar überlegen, doch durch seine Kampfsporterfahrung habe ich dennoch kaum eine Chance gegen ihn. Deshalb wollte ich es ebenfalls lernen, um seine Übergriffe abwehren zu können, aber meine Eltern waren dagegen. Sie meinten, ich wäre mit dem Fußballspielen genug ausgelastet.“ „Taichi, es tut mir so…“ „Shh. Das möchte ich nicht von Ihnen hören.“ Ich öffne ein wenig meine Augen, weil eine Pause im Gespräch entsteht. Taichi hat seinen Zeigefinger auf die Lippen meines Vaters gelegt, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen und ihn sanft zum Schweigen zu bringen. Sie sitzen auf meinem Sofa, dicht beieinander, ihre Knie berühren sich und die Gesichter sind einander zugewandt. Viel zu nah. „Es ist nicht Ihre Schuld. Niemand trägt Schuld. In den Momenten, in denen Yamato die Kontrolle über sich verliert und mich mit Gewalt zum Sex zwingt, hasse ich ihn.“ „Warum trennst du dich nicht von ihm?“ „Weil ich ihn eigentlich liebe, Herr Ishida. Ich liebe ihn so sehr. Meistens schlafe ich freiwillig mit ihm. Ich will ihn spüren und ich will, dass er mich spürt. Insofern kann ich Yamato sogar verstehen, nur dass es bei ihm über jedes gesunde Maß hinausgeht. Er lebt in Extremen und leidet offensichtlich am meisten darunter. Haben Sie es vorhin mitbekommen? Er zerbricht an seinen Schuldgefühlen.“ „Wenn ich dir eines versichern kann, dann dass mein Sohn dich ebenso sehr liebt. Auch wenn er sich damals sofort auf eine Beziehung mit Akito einließ, ist er nie über die Trennung von dir hinweggekommen. Er hatte heftige Nervenzusammenbrüche, wirkte ansonsten jedoch leblos und leer.“ „Davon haben Sie…“ „Ja, ich weiß. Entschuldige. Ich habe meine Berichte am Telefon etwas abgeschwächt, weil ich wollte, dass du dich auf deine Suchtbewältigung konzentrierst.“ „Verstehe.“ Ich glaube zu erkennen, dass mein Freund in meine Richtung blickt, und hoffe, dass er meine einen Spalt geöffneten Augen nicht bemerkt hat. Bedächtig schließe ich sie wieder. „Herr Ishida, Sie schlagen ihn öfter, hab ich recht? Häufig sieht er ziemlich zugerichtet aus. Sie wissen, dass er Sie absichtlich provoziert, um genau dies zu erreichen? Er braucht den Schmerz. Auch ich weiß mir meist nicht anders zu helfen, als ihn mit Gewalt aus seiner verqueren Welt zu befreien. Yamato ist sehr manipulativ, ich habe nur noch nicht herausgefunden, ob er es bewusst oder unbewusst macht. Zudem habe ich Angst, was passiert, wenn wir seinen Provokationen nicht nachgeben. Vermutlich würde sein selbstverletzendes Verhalten noch stärker und vielleicht sogar gefährlicher werden.“ Plötzlich tritt Stille ein. Das Einzige, was ich höre, ist das Rascheln von Kleidung. Ich blinzle ganz leicht und sehe, dass Tai und mein Vater sich umarmen, kann aber nicht ausmachen, von wem diese innige Körperlichkeit ausging. „Wenn Yamato seinen Schulabschluss hat, werde ich ihn einweisen lassen. Er braucht Hilfe, die wir ihm scheinbar nicht geben können. Aber zu einem solchen Übergriff darf es nie wieder kommen“, flüstert mein Vater, sodass ich Schwierigkeiten habe, ihn zu verstehen. Als ich den Sinn seiner Worte begreife, will ich panisch aufspringen, schaffe es jedoch mit Mühe, ruhig zu bleiben und so zu tun, als hätte ich mein Bewusstsein noch nicht wiedererlangt. Liebevoll streicht mein Vater über Taichis Rücken, während dieser sich an ihm festkrallt. „Denken Sie wirklich, dass ein Klinikaufenthalt irgendwas besser macht? Yamato hat recht. Die bisherigen haben auch nichts genützt. Es würde ihn nur weiter kaputt machen.“ „Ich weiß. Aber es gibt keine Alternative mehr, oder? So kann es jedenfalls nicht weitergehen.“ „Nein“, antwortet mein Freund gedankenverloren, noch immer in einer liebevollen Umarmung mit meinem Vater. Es ist bereits dunkel in meinem Zimmer, als ich zu mir komme. Offenbar bin ich noch einmal eingeschlafen, nachdem ich teilweise eine Unterhaltung zwischen meinem Vater und Taichi mitgehört habe. So vertraut, wie die beiden miteinander umgehen, bin ich mir sicher, dass sie Sex haben. Vermutlich wird Tai von meinem Vater genommen, da ich mir meinen Vater als passiven Part nicht vorstellen kann. Aber war das Gespräch wirklich real? Es fühlt sich sehr unwirklich an, was allerdings auch an dem Beruhigungsmittel liegen kann. In letzter Zeit ist meine Wahrnehmung nicht gerade verlässlich. Oft habe ich das Gefühl, zu halluzinieren, kann echt von unecht nicht unterscheiden. Vielleicht war es auch einfach nur ein Traum. Vorsichtig richte ich mich auf. In meinem Kopf pulsiert es, ich bin kraftlos. Auf dem Sofa erkenne ich die Silhouetten von zwei Menschen. Mein Vater ist leicht in sich zusammengesackt und scheint zu schlafen. Taichi sitzt neben ihm, an ihn gelehnt und ebenfalls schlafend. Das Gespräch war also doch keine Einbildung, was bedeutet, dass auch die Ankündigung, mich nach dem Schulabschluss einzuweisen, den Tatsachen entspricht. Will mein Vater mich loswerden? Er kann nicht glücklich werden, solange es mich gibt. Schon gar nicht mit meinem Freund, weil ich es nicht zulassen würde. Ich frage mich, ob mein Vater Taichi wirklich liebt und ob Tai mit ihm ebenso spielt wie mit mir. Ist er überhaupt in der Lage, so etwas wie Liebe zu empfinden? Oder ist er doch nur ein kranker Psychopath? Wobei ich zugeben muss, dass diese Seite an ihm mich sehr erregt. Langsam stehe ich auf und gehe leise zur Tür. „Yamato“, spricht mein Vater mich mit schläfriger Stimme an. „Wohin willst du?“ „Komm mit raus“, flüstere ich. Behutsam löst er sich von meinem Freund, legt ihn richtig auf das Sofa und deckt ihn liebevoll zu. Dann folgt er mir. Im Flur drücke ich meinen Vater sofort mit Gewalt gegen die Wand und öffne fordernd seine Hose. „Yamato!“ Er macht Anstalten, sich zu wehren, doch ich wende meine Kampfsportkenntnisse an, um ihn bewegungsunfähig zu machen. „Sei still oder willst du Tai aufwecken und ihn zusehen lassen, wie wir es miteinander treiben?“, raune ich höhnisch in sein Ohr. „Ist das dieselbe Vorgehensweise, mit der du dir Taichi gefügig machst, wenn du ihn vergewaltigst? Verdammt nochmal, Yamato! Weißt du eigentlich noch, was du tust?“ „Sag du es mir. Immerhin vögelst du meinen Freund! Los, mach schon. Besorge es mir genauso, wie du es Tai besorgst!“ „Du bist dermaßen besessen von dieser wahnhaften Idee. Zwischen Taichi und mir läuft nichts!“ „Wie du willst. Wenn du mich nicht fickst, werde ich dich jetzt nehmen.“ Nicht gerade sanft drehe ich meinen Vater mit dem Gesicht zur Wand, presse ihn stark dagegen und drehe einen seiner Arme schmerzhaft auf den Rücken. Mit meiner freien Hand mache ich mich an seiner bereits geöffneten Hose zu schaffen. Unerwartet spüre ich von der Seite einen harten Faustschlag in meinem Gesicht, der die frische Wunde an meiner Lippe wieder aufplatzen lässt und mich brutal zu Boden bringt. „Was ist los, Yamato? Steh auf! Ich will dir wieder etwas Verstand in dein hübsches Köpfchen prügeln. Merkst du eigentlich, dass du jeglichen Bezug zur Realität verloren hast? Dein Vater hat recht. Du brauchst Hilfe. Und zwar dringend.“ Dieser hat inzwischen seine Hose geschlossen und hockt sich nun neben mich. „Yamato? Hörst du mich? Sieh mich bitte an!“ Ich reagiere nicht, sondern halte meinen Freund mit meinen Augen fixiert. „Yamato, ich werde dich jetzt in die Klinik fahren.“ „Nein!“ Panisch schaue ich nun zu meinem Vater. „Doch. Du bist nicht mehr zurechnungsfähig und ich befürchte, dass du in deinem momentanen Zustand jemand anderem oder dir selbst etwas antun könntest.“ „Bitte, Papa! Das darfst du nicht! Schieb mich nicht einfach ab!“ „Hör auf, Yamato!“, schaltet sich Taichi ein. „Dieses Mal schaffst du es nicht, deinen Vater zu manipulieren. Es muss sein. Bitte versteh das.“ Ich schaue zwischen meinen Widersachern hin und her. „Ja, ich verstehe. Ihr wollt ungestört ficken und dafür muss ich natürlich verschwinden.“ Nachsichtig lächelt mein Vater mich an. „Komm jetzt, Yamato.“ Er will mir aufhelfen, doch ich stoße ihn heftig von mir. „Fass mich nicht an!“, drohe ich und verliere endgültig die Nerven. Schnell stehe ich auf und renne zur Tür. Bevor ich diese allerdings erreiche, hält mein Freund mich grob am Handgelenk fest. „Du bleibst hier! Laufe nicht immer vor deinen Problemen davon.“ Liebevoll, aber bestimmt zieht er meinen Körper an sich und umfängt ihn mit seinen Armen. Verzweifelt versuche ich mich zu wehren, doch Taichi gibt nicht nach und hält mich fest umklammert. „Ruhig, Yamato. Niemand will dir etwas tun.“ „Ihr wollt mich wegsperren!“, schreie ich meinen Freund hysterisch an. „Wir wollen dir helfen“, entgegnet mein Vater, der inzwischen aufgestanden und zu uns gekommen ist. „Und momentan ist die Krisenintervention das Einzige, was dich vor dir selbst schützen kann. Glaube mir, wir würden dich lieber bei uns behalten. Aber du bist gerade so sehr in deiner eigenen Welt gefangen, dass wir dich nicht mehr erreichen.“ Tai gibt mich in die Obhut meines Vaters, da er es kaum noch schafft, mich zu bändigen. Dieser hält mich von hinten fest. Sofort beginne ich nach meinem Freund zu treten, der mir ausweicht, indem er einige Schritte zurückgeht. Fieberhaft versuche ich mich aus den Fängen meines Vaters zu befreien. „Taichi, ruf bitte in der Klinik an. Allein schaffen wir es nicht, Yamato ist völlig außer Kontrolle. Ich nehme an, dass sie ihn ruhigstellen müssen.“ „Nein, Tai! Bitte, ich flehe dich an!“ Tränen der Verzweiflung laufen über meine Wangen. „Taichi… bitte…“ Meine Stimme versagt. „Es tut mir leid, Yamato. Wirklich.“ Die Augen meines Freundes sehen mich unglaublich traurig an, als er den Hörer des Telefons abnimmt. „Ich liebe dich und habe gerade ziemliche Angst um dich. Verzeih mir, aber ich will dich nicht verlieren!“ Tai wählt eine Nummer. Weinend breche ich in den Armen meines Vaters zusammen. „Herr Ishida.“ Nur am Rande meiner Wahrnehmung registriere ich, dass eine Schwester mein vorübergehendes Zimmer betritt. Teilnahmslos liege ich auf meinem Bett und starre aus dem geschlossenen, vergitterten Fenster. „Gehen Sie bitte zum Mittagessen, damit ich den Raum durchlüften kann.“ „Ich habe keinen Hunger“, sage ich monoton. „Sie müssen etwas essen. Zum Frühstück haben sie auch nichts zu sich genommen. Ihr Vater teilte uns bereits mit, dass es bei diesem Thema Probleme geben könnte. Es liegt an Ihnen, entweder Sie essen freiwillig oder ich gebe dem Stationsarzt Bescheid, damit er eine Zwangsernährung bei Ihnen veranlasst.“ Ich schaue die Schwester an. Ihr Blick verrät mir, dass sie es ernst meint. Schwerfällig erhebe ich mich aus dem Bett, meine Beine geben jedoch sofort nach. Fürsorglich versucht die Schwester mich zu stützen und hilft mir, mich wieder auf die Matratze zu setzen. „Es tut mir leid, mir ist etwas schwindelig“, murmle ich tonlos. „Sie sollten sich nach dem Essen dann nicht gleich hinlegen. Bewegen Sie sich etwas, um Ihren Kreislauf zu stabilisieren.“ „Wo soll ich mich hier denn bewegen? Den Gang auf und ab laufen?“ „Heute Nachmittag wird die Terrasse für eine Stunde aufgeschlossen. Nutzen Sie die Gelegenheit, etwas an die frische Luft zu kommen.“ „Wann werde ich entlassen?“ „Das müssen Sie mit dem behandelnden Arzt besprechen. Dazu kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Er ist heute nach dem Mittagessen auf dieser Station, da er Wochenendbereitschaft hat. Sie können um ein Gespräch bitten, wenn sie etwas zu sich genommen haben. Versuchen Sie noch einmal ganz langsam aufzustehen.“ Ich befolge Ihre Anweisung ohne Widerworte. Das Schwindelgefühl ist nicht abgeklungen, aber schwächer geworden. Müde schleppe ich mich zu dem Speise- und Aufenthaltsraum, setze mich auf einen freien Stuhl und schaue leblos ins Nichts. Die Tabletts werden von einem Pfleger an die Patienten verteilt. Sobald er den Raum verlassen hat, wird mit dem Lebensmitteltauschhandel begonnen. Auch ich verteile die verschiedenen Nahrungsmittel, die mir vorgesetzt wurden, unter meinen Mitpatienten. Ohne Gegenleistung. Im Abstand von fünf Minuten sieht ein Aufpasser nach dem Rechten. Nach einer halben Stunde kommt der Pfleger zurück, um die ersten Tabletts wieder abzuräumen. „Denken Sie bitte an die Medikamentenausgabe im Schwesternzimmer“, ruft er dabei in den Raum. Einen Moment bleibe ich noch sitzen, dann gehe ich zum Zimmer des Stationsarztes. Ich klopfe an. „Es ist noch niemand da“, informiert mich eine der Schwestern. „Holen Sie sich bitte Ihre Medizin, Herr Ishida.“ „Erst muss ich mit dem Arzt sprechen.“ „In der Zeit, in der Sie auf den Arzt warten, können Sie auch Ihre Tabletten einnehmen.“ Genervt wende ich mich um und laufe auf die Schwester zu. „Das Benzodiazepin schlucke ich aber erst nach dem Gespräch.“ „Ich verabreiche Ihnen die Medikation gemäß der ärztlichen Verordnung. Wenn Sie sich weigern, werden Sie fixiert und intravenös ruhiggestellt.“ „Wie soll ich denn vernünftig mit dem Arzt sprechen, wenn ich völlig zugedröhnt bin?“, frage ich unzufrieden. Die mir gegenüberstehende Frau antwortet nicht, sondern hält mir einen kleinen, mit Wasser gefüllten Plastikbecher und einen Medikamenteneinteiler mit vier Fächern für morgens, mittags, abends, nachts hin. Sie leert das Fach mit der Aufschrift mittags auf meiner Handfläche aus. Das Fach für morgens ist bereits ohne Inhalt. Stumm blicke ich auf die vier verschiedenen Tabletten, von denen drei zu meiner eingestellten Medikation gehören. Die kleine blaue Tablette dient lediglich zur Ruhigstellung und wird in der Regel nur kurzzeitig verabreicht, da diese Arznei ein großes Abhängigkeitspotential besitzt. Widerwillig schlucke ich im Beisein der Schwester die Psychopharmaka mit etwas Wasser hinunter. Die Dosierung des Beruhigungsmittels muss höher sein als bei meiner letzten Einweisung. Die Wirkung greift wieder, ich kann kurz nach der Einnahme keinen klaren Gedanken mehr fassen und bin völlig benommen. Ich habe noch etwa zehn Minuten im halbwegs klaren Zustand. Zu wenig Zeit, um dem Arzt mein Anliegen vorzutragen. Betrübt gehe ich zurück in mein Zimmer und lege mich auf das Bett. Das Fenster ist nach dem Lüften wieder abgeschlossen worden. Mir geht ein Gedanke durch den Kopf, den ich vergesse, bevor ich ihn richtig zu fassen bekomme. Dabei fühlt es sich so an, als wäre es etwas Wichtiges gewesen. Krampfhaft versuche ich mich zu erinnern, doch mein Denken entgleitet mir immer mehr. Ich schließe die Augen. Ich spüre eine kühle Hand, die mir liebevoll vereinzelte Haarsträhnen aus der Stirn streicht. Benommen öffne ich meine Augen. „Taichi?“, nuschle ich unverständlich. Das Benzodiazepin, welches ich vier Mal täglich verabreicht bekomme, beeinträchtigt mein Sprachvermögen enorm. „Ja. Es ist Besuchszeit. Dein Vater ist auch hier und spricht gerade mit dem Arzt.“ „Hm.“ Die Frage, ob ich halluziniere, kommt in mir auf. „Bitte berühre mich, damit ich weiß, dass du echt bist.“ Mein Freund beugt sich zu mir und küsst sanft meine Lippen. Dann lächelt er. „Keine Angst, ich bin wirklich hier. Du unterliegst keiner Sinnestäuschung.“ Tränen laufen, von mir zunächst unbemerkt, meine Wangen hinab, bis Tai sie mit behutsamer Zärtlichkeit von meiner Haut küsst. Er steht auf und legt sich hinter mich auf das Bett. Schützend umfängt er mit seinem Arm meinen Körper. Ich spüre die Wärme meines Freundes und schließe beruhigt die Augen. „Herr Ishida. Herr Ishida!“ Langsam öffne ich meine Augen. Desorientiert blicke ich die Schwester, die an meinem Bett steht, an. Plötzlich erinnere ich mich an Taichis Anwesenheit. Ich drehe mich um, doch neben mir liegt niemand. War er doch nur Einbildung? „Es ist Zeit für das Abendessen“, sagt sie sanftmütig. Noch immer verwirrt schaue ich mich im Zimmer um. „War vorhin…“ „Ihr Vater ist mit Ihrem Freund unten in der Caféteria, da die Patienten zu den Essenszeiten keinen Besuch empfangen dürfen. Machen Sie sich also keine Gedanken, in zirka einer halben Stunde können Sie noch etwas Zeit miteinander verbringen. Aber jetzt werden Sie erst einmal ihre Mahlzeit zu sich nehmen.“ Nach wie vor leicht benebelt, erhebe ich mich, laufe unsicheren Ganges über den Flur zum Speise- und Aufenthaltsraum. Mein Umfeld ausblendend lasse ich mich auf einen der Stühle sinken. „Yamato?“ Ich reagiere nicht. „Du bist doch Yamato, oder?“ Ich hebe meinen Kopf und betrachte die zierliche Frau, die schüchtern lächelnd vor mir steht. „Frau Itami“, flüstere ich erstaunt. „Sie sind noch immer hier?“ „Ja, es hat lange gedauert, aber jetzt bin ich stabil genug, um nächste Woche auf die offene Station verlegt zu werden.“ „Das ist schön. Sie sehen auch besser aus als bei meinem Besuch.“ Ich lächle schwach. „Dafür siehst du gar nicht gut aus. Ich hatte dich schon heute Morgen erkannt, traute mich jedoch nicht dich anzusprechen. Die meiste Zeit bist du ziemlich weggetreten. Wann wurdest du eingewiesen? In der Nacht?“ „Kann sein.“ Ich senke den Blick. Die Mutter meines verstorbenen Freundes begibt sich auf Augenhöhe zu mir und berührt mit ihren Fingern leicht meine Wange. „Gib dich bitte nicht auf, Yamato. Du bist stärker, als Akito es war.“ „Er fehlt mir so sehr“, flüstere ich mit erstickter Stimme. Meine Kehle ist wie zugeschnürt und ich kann kaum atmen. „Würde er noch leben, wenn er mir wenigstens ein Mal geglaubt hätte, dass ich ihn liebe? Würde er noch leben, wenn Sie Ihr Leben im Griff hätten und mehr für ihn da gewesen wären? So, wie es für eine Mutter normal sein sollte?“ Schmerzlich halte ich inne. Dass ich aufgrund meiner erhöhten Lautstärke die Aufmerksamkeit der anderen Anwesenden auf mich gezogen habe, interessiert mich nicht. Auch nicht, dass einer der Pfleger eilig auf mich zugelaufen kommt. Ich lächle und schaue ihn an, als er vor mir stehen bleibt. „Mütter sind doch immer egoistische Schlampen, hab ich recht?“, frage ich ruhig. „Sie nehmen einem die Geschwister weg, zerstören die ganze Familie und denken, es wäre das Beste für alle.“ Mein krampfhaftes Lachen hallt durch den Raum. Dann fixiere ich Frau Itami finster. „Sie haben Akito getötet!“ Entsetzt schaut sie mich an. Der Pfleger packt mich grob an den Schultern und schüttelt mich leicht. „Es reicht, Herr Ishida! Beruhigen Sie sich.“ „Nein, verdammt!“ Energisch versuche ich mich aus seinem Griff zu befreien. „Sie ist schuld, dass mein Freund sich das Leben genommen hat, weil sie nichts als eine Last für ihn war. Warum hat er sie nicht einfach verrecken lassen? Warum hat er sich nicht von ihr lösen können? Warum hat er sie trotz allem geliebt?“ Weinend breche ich zusammen. „Warum hat er uns keine Chance gegeben? Warum hat er mich allein gelassen?“ Nur am Rande bekomme ich mit, dass weitere Personen den Raum betreten. Als eine Ärztin den Ärmel meines Hemdes nach oben schiebt, beginne ich panisch um mich zu schlagen. „Fasst mich nicht an!“ Mit geübten Handgriffen bekommen mich die Pfleger soweit unter Kontrolle, um meinen Körper auf die Fixierbahre im Flur tragen zu können und ihn mit den dafür vorgesehenen Gurten festzuschnallen. Erneut legt die Ärztin meine Armbeuge frei und injiziert mir ein starkes Beruhigungsmittel. Fast unmittelbar lässt meine Gegenwehr nach. Mein Denken wird zäh, meine Empfindungen taub. Ich verstehe die Worte der umstehenden Personen nicht mehr, registriere meine Umgebung kaum noch. Teilnahmslos starre ich ins Nichts. Langsam öffne ich meine Augen. Das grelle Tageslicht schmerzt, sodass ich sie gleich wieder schließe. Mein gesamter Körper fühlt sich an, als wäre ich überfahren worden. Krampfhaft versuche ich mich daran zu erinnern, was passiert ist. Akito. Ich glaube, ich bin seinetwegen ausgerastet, habe seine Mutter beschimpft, ihr Vorwürfe gemacht sowie die Schuld an allem ihr gegeben. Als die Tür zu diesem Zimmer geöffnet wird, schlage ich meine Augen erneut auf. Vermutlich ist es eine der Schwestern oder ein Pfleger, um nach mir zu sehen. „Ah, Herr Ishida. Sie sind wach“, spricht mich die junge Frau, die nun den Raum betritt, freundlich an. „Sie haben lange geschlafen. Das Sedativum, welches Ihnen verabreicht wurde, war relativ stark. Wie fühlen Sie sich?“ „Ich bin mir nicht sicher. Noch ziemlich benommen.“ „Das wird sich geben. Haben Sie etwas Geduld.“ Lächelnd setzt sie sich zu mir ans Bett, misst meinen Blutdruck, den Puls sowie meine Körpertemperatur und notiert die Werte. „Wie spät ist es?“, frage ich mit nach wie vor leicht kratziger Stimme. „Gleich drei Uhr nachmittags. Es gibt Kaffee und Kuchen, wenn Sie möchten.“ „Welcher Tag ist heute?“, will ich wissen, obwohl ich mir die Antwort selbst ausrechnen kann. „Montag. Wollen Sie nicht aufstehen? Die Terrasse wird halb vier für eine Stunde geöffnet. Etwas Bewegung und frische Luft wird Ihnen gut tun.“ Meine Gedanken driften ab, sodass ich der Schwester kaum noch zuhöre. Montagnachmittag. Das bedeutet, ich habe die Schule verpasst und somit die Bedingung für meinen Schulabschluss, keine weiteren Fehltage zu haben, nicht erfüllt. Wie konnte es nur dazu kommen? Wieso bin ich einmal mehr in der geschlossenen Psychiatrie gelandet? Habe ich wirklich so sehr die Kontrolle verloren, dass dieser Schritt notwendig war? „Herr Ishida?“, werde ich von der Schwester aus meinen Gedanken gerissen. Gerade als ich auf sie reagieren möchte, öffnet sich erneut die Tür und der Stationsarzt schaut in das Zimmer. Erfreut registriert er, dass ich wach bin, nimmt sich den Stuhl, der an dem kleinen Tisch steht, und setzt sich ebenfalls zu mir ans Bett. „Wie sind die Messwerte?“, richtet er sich zunächst an seine junge Mitarbeiterin. „Der Blutdruck ist etwas niedrig, ansonsten ist alles im Normalbereich.“ „Und wie geht es Ihnen, Herr Ishida?“, möchte der Arzt nun von mir wissen. Ich räuspere mich etwas, da mein Hals trocken ist. „Noch immer etwas benommen, schwindelig.“ „Sie müssen sich auch mehr bewegen, um Ihren Kreislauf anzukurbeln. Liegen Sie nicht die ganze Zeit im Bett“, bringt der Arzt mir vorwurfsvoll entgegen. Missmutig blicke ich ihn an, verzichte jedoch auf eine Bemerkung. „Kommen Sie, Ihr Vater und Ihr Freund warten im Besucherzimmer auf Sie.“ Hellhörig richte ich mich auf. „In einer halben Stunde beginnt die offizielle Besuchszeit, bis dahin sind sie auf jeden Fall ungestört. Ihr Vater möchte einiges mit Ihnen besprechen.“ Schwerfällig erhebe ich mich und verlasse mit dem Arzt und der Schwester zusammen den Raum. Während die beiden in die Richtung ihrer Dienstzimmer gehen, laufe ich langsam über den Flur zum Besucherzimmer. Ich fühle mich schwach und sehr wackelig auf den Beinen. An meinem Ziel angelangt, drücke ich mit Bedacht die Türklinke nach unten. Tai und mein Vater sitzen auf dem Sofa und schauen mich liebevoll, aber ernst an. Leise schließe ich die Tür und nehme den beiden gegenüber auf dem Sessel Platz. „Wie geht es dir?“, fragt mein Vater sorgenvoll. „Soweit okay, aber warum hast du mich eingewiesen? Du weißt doch genau, was weitere Fehltage bedeuten!“, entgegne ich anklagend. „Du hast mir keine Wahl mehr gelassen, Yamato“, verteidigt er sich. „Ich bekam dich nicht unter Kontrolle. Du warst unberechenbar.“ „Nein, das ist nicht wahr! Ich…“ „Yamato“, schaltet sich Taichi ein. „Du wolltest deinen Vater vergewaltigen.“ „Was? Nein!“ Empört betrachte ich meinen Freund. „Hättest du mit deinem Vater geschlafen, wenn ich nicht dazwischen gegangen wäre?“ Ich schweige einen Moment. „Ja“, gebe ich schließlich beinahe stimmlos zu. „Das nennt man Vergewaltigung, Yamato. Du kannst dir nicht immer mit Gewalt holen, was dir freiwillig nicht gegeben wird. Und dein Vater wollte mit Sicherheit nicht von dir genommen werden. Aber allein schon die Tatsache, dass du Sex mit deinem eigenen Vater wolltest, zeigt deutlich, dass du nicht bei Verstand warst und eine Einweisung somit die einzig logische Konsequenz darstellte.“ Ich schaue zu meinem Vater. Dieser erwidert meinen Blick schweigend. Mir fällt auf, wie sehr Taichi Partei für meinen Vater ergreift und dass der meinen Freund gewähren lässt. Wieder empfinde ich Eifersucht und erneut drängt sich mir die Gewissheit auf, dass die Beiden miteinander ins Bett gehen. „Yamato“, richtet nochmals mein Vater das Wort an mich. „Ich hoffe inständig, dass es sich als kein folgenschwerer Fehler erweist, den ich bitter bereuen und teuer bezahlen muss. Vorhin habe ich deine Entlassung veranlasst. Der Arzt teilte mir zwar seine Bedenken mit und war strikt dagegen, allerdings habe ich ihm die Umstände bezüglich deines Schulabschlusses erklärt. Dennoch musste ich unterschreiben, dass du gegen ausdrücklichen ärztlichen Rat entlassen wirst. Jetzt trage also ich die gesamte Verantwortung, falls etwas passiert.“ Mit großen Augen schaue ich ihn an. „Aber was ist mit der Schule? Ich habe gegen die Auflage, nicht mehr zu fehlen, verstoßen.“ „Das stimmt. Aus diesem Grund habe ich heute Morgen mit deinem Direktor gesprochen. Du wirst einen Test ablegen müssen, mit dem dein Wissensstand geprüft wird. Dein Bestehen bedeutet, dass du auf dem Niveau deiner Mitschüler bist. Dann kannst du trotz deiner Fehltage deinen Abschluss machen, vorausgesetzt es kommen, von dieser Woche einmal abgesehen, keine weiteren hinzu. „Diese Woche?“, frage ich irritiert. „Du darfst zwar heute mit nach Hause kommen, allerdings stehst du noch immer unter starken Beruhigungsmitteln. Du weißt, dass du sie nicht einfach absetzen kannst. Um Entzugserscheinungen zu vermeiden, musst du sie langsam ausschleichen. Deshalb solltest du wenigstens noch bis Ende der Woche zu Hause bleiben. Wenn keine schlimmen Nebenwirkungen eintreten, kannst du ab nächsten Montag wieder zur Schule gehen.“ Einen Moment schweige ich und schaue die Männer mir gegenüber abwechselnd an. „Danke“, sage ich schließlich im Flüsterton. Meine Empfindungen sind noch immer ziemlich dumpf, was vermutlich tatsächlich daran liegt, dass ich derzeit dauerhaft unter diesen alles abtötenden Medikamenten stehe. Einerseits mag ich dieses Gefühl, weil man über nichts mehr nachdenkt, sich einfach treiben lässt, aber andererseits kommt man sich auch unglaublich verblödet vor. „Tai?“, spreche ich meinen Freund an. „Du warst doch ganz gut in der Schule. Würdest du mir die Dinge erklären, die ich beim Lernen nicht verstehe? Ich will meinen Schulabschluss unbedingt schaffen.“ „Woher kommt plötzlich dieser Wille?“, fragt Taichi skeptisch, denn alle in diesem Raum wissen, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein wird. Vermutlich wird er sich bereits mit nachlassender Wirkung der Medikamente wieder wandeln. Bewusstseinsverändernde Substanzen sind generell problematisch. Wenn man drauf ist, sieht man die Welt mit anderen Augen. Es erscheint alles einfacher, leichter und man hat das Gefühl, endlich leben zu können. Doch wenn man wieder in der harten Realität aufschlägt, verzweifelt man, weil einem alles viel schlimmer vorkommt, als es eigentlich ist. Bei Heroin sind, nach meinem Empfinden, die Extreme am schlimmsten. „Yamato, du bist abwesend und stehst ziemlich neben dir. Vielleicht wäre es besser, wenn du die Nacht über noch hier bleibst und ich dich morgen abhole. Dann kannst du unter professioneller Aufsicht mit dem Ausschleichen beginnen.“ „Nein, bitte! Hier drin verliere ich wirklich noch den Verstand. Außerdem ertrage ich die Anwesenheit von Akitos Mutter momentan nicht. Durch sie muss ich an Akito und seinen Tod denken. Es tut einfach wahnsinnig weh.“ Ich richte meinen Blick auf Taichi, dessen Miene sich verfinsterte, als er den Namen Akito hörte. Dennoch sagt er nichts. „Ich verstehe dich ja, aber…“, äußert sich mein Vater, allerdings unterbreche ich ihn. „Nein. Ich bitte dich. Nimm mich heute mit.“ Seufzend lenkt er ein. „Also gut. Im Übrigen habe ich mit Taichi ausgemacht, dass er die Tage, während du die Tabletten absetzt, bei uns bleiben wird und auf dich aufpasst, da ich mir auf Arbeit nicht frei nehmen kann.“ „Wird er auch bei uns übernachten?“, frage ich hoffnungsvoll. „Nein, nachts bin ich doch zu Hause.“ „Aber dann bin ich nicht so allein. Oder darf ich mit in deinem Bett schlafen?“ Ich werfe meinem Vater einen vielsagenden Blick zu. „Du verhältst dich wie ein Kind, Yamato“, entgegnet der vorwurfsvoll. „Ist schon okay, Herr Ishida. Für mich wäre es in Ordnung, wenn Sie nichts dagegen haben.“ Liebevoll legt Tai seine Hand auf den Unterarm meines Vaters. Wieder diese Vertrautheit zwischen den Beiden. Argwöhnisch beobachte ich, wie mein Freund seinen Sitznachbarn anlächelt. Ich frage mich, ob sie nur miteinander vögeln oder ob es nicht schon eher in Richtung Beziehung geht. Zumindest würde das erklären, warum Tai sich nicht näher auf mich einlässt. Aber vielleicht bilde ich mir das alles doch nur ein. Immerhin ging die Kontaktaufnahme von ihm aus. Andererseits sieht er auf diese Weise meinen Vater häufiger und ihre Beziehung wird dadurch unauffälliger. Doch wenn ich Taichi darauf anspreche, streitet er mit Sicherheit alles ab. Ein verächtliches Lächeln legt sich auf meine Lippen. Gerade wird mir bewusst, dass wir eine Art Dreiecksbeziehung führen, in der jeder mit jedem vögelt. Die Vorstellung, mit beiden gleichzeitig zu schlafen, widert mich allerdings an. Diese Form von Sex hat nichts mehr mit den Personen selbst zu tun. Das intensive Spüren des Anderen geht verloren, da die Konzentration und die Empfindungen unweigerlich auf den eigenen Körper gerichtet werden. „Yamato, du packst mit Taichi deine Sachen zusammen und ich hole in der Zeit deine Medikamente. Bevor du entlassen wirst, möchte der Arzt aber noch einmal mit dir sprechen. Wenn du fertig bist, klopfe einfach an die Tür seines Dienstzimmers.“ Mein Freund erhebt sich als erster und bleibt vor mir stehen. Zärtlich streicht er durch meine Haare, hält sie im Nacken zusammen und lächelt. „Komm. Du solltest dich mal wieder kämmen.“ Kapitel 23: ------------ Erschöpft lasse ich mich auf mein Sofa sinken. Nach wie vor spüre ich die Wirkung des Beruhigungsmittels. Die kurze Autofahrt von der Klinik nach Hause fand ich unerwartet anstrengend. Zwar hielten wir noch einmal bei der Wohnung von Tais Eltern, damit er ein paar Sachen für die nächsten Tage holen konnte, aber da blieb ich mit meinem Vater im Wagen sitzen. Taichi nimmt neben mir Platz, während mein Vater sich am Türrahmen anlehnt. Liebevoll streift mein Freund mit seinen Fingern durch meine Haare und einige Strähnen hinter mein Ohr. „Deine Haare sind lang geworden. Sie reichen schon über deine Schultern.“ „Ich weiß. Wenn ich sie zu einem Zopf binde, wird es aber gehen, denke ich.“ Mit leicht zitternder Hand greife ich nach der Zigarettenschachtel, welche auf meinem Tisch liegt. „Verdammt!“, fluche ich leise, zerdrücke die leere Packung und werfe sie genervt auf den Tisch zurück. Flehentlich schaue ich zu meinem Vater. „Papa, bekomme ich welche von dir? Bitte.“ Nachdenklich betrachtet er mich. Ich sehe, dass Tai kaum merklich den Kopf schüttelt, um meinen Vater in seiner Entscheidung zu beeinflussen. Dennoch sage ich nichts. „Also gut. Wenn ich es dir verbiete, wirst du losgehen und dir selbst eine Schachtel kaufen. Somit hätte ich nichts gekonnt. Aber ich möchte nicht, dass du unter diesem starken Medikamenteneinfluss länger draußen herumläufst.“ Seufzend wendet sich mein Vater ab, um seine Zigaretten zu holen. Obwohl er bereits seit einiger Zeit wieder in Japan ist, forderte er seinen TASPO nicht von mir ein. Er weiß, dass ich ohnehin irgendwie an mein Nikotin kommen würde, weshalb er gezwungenermaßen akzeptieren muss, dass ich rauche. Da er aber für die Automaten einen TASPO benötigt, wird er seine Zigaretten nun im Konbini kaufen. Ich blicke zu meinem Freund. Schweigend sieht auch er mich an. Als mein Vater mit dem von mir begehrten Suchtmittel zurückkommt, nehme ich es dankend entgegen und zünde mir am Fenster sofort eine Zigarette an. Tief ziehe ich den Rauch in meine Lungen, bis sie zu schmerzen beginnen. Dann lasse ich ihn sanft entweichen. „Ich mache uns jetzt erst einmal etwas zum Abendessen. Es ist zwar etwas früh, allerdings muss ich danach noch einmal zum Sender, da ich mir den Nachmittag freigenommen hatte, um dich abzuholen.“ Voller Zuneigung schaut mein Vater mich an. „Warten Sie, ich helfe Ihnen, Herr Ishida.“ Mein Freund will gerade aufstehen, als mein Vater ihn liebevoll anlächelt. „Danke, Taichi. Aber bleib ruhig bei Yamato. Ich rufe euch, wenn wir essen können.“ Beim Verlassen meines Zimmers schließt mein Vater hinter sich die Tür. Ich ziehe ein letztes Mal an meiner Zigarette, dann werfe ich sie aus dem Fenster und setze mich wieder neben Tai. Eine unangenehme Stille hängt schwer im Raum. Das Verlangen nach der euphorisierenden Wirkung des GHB kriecht in mir empor, wird bedenklich schnell stärker, unerträglich. Mir ist bewusst, dass diese Droge nicht mit zentral dämpfenden Medikamenten wie den von mir derzeit eingenommenen Benzodiazepinen kombiniert werden darf, da es im schlimmsten Fall zu einer Atemdepression, Atemstillstand und somit zum Tod führen kann. Gleiches gilt für Heroin, welches ich jetzt noch lieber konsumieren würde, nur komme ich im Moment nicht an einen Schuss. Die Risiken diesbezüglich sind mir egal. Ich will die Leichtigkeit spüren, welche die Substanzen mir schenken. „Tai, ich bin kurz im Bad. Willst du mitkommen und aufpassen, dass ich keine Dummheiten mache?“, frage ich spöttisch, stehe auf und gehe zu der Jacke meiner Schuluniform, die über der Lehne meines Schreibtischstuhls hängt. „Was suchst du?“ Am Tonfall meines Freundes erkenne ich sein Misstrauen mir gegenüber. Aus der Jackentasche hole ich ein Päckchen Rasierklingen hervor und werfe sie ihm absichtlich ungeschickt zu, damit sie zu Boden fällt. Während Tai sie aufhebt, lasse ich unbemerkt das Fläschchen GHB in meine Hosentasche gleiten. „Vielleicht vertraust du mir jetzt etwas mehr.“ Ich lächle ihn unschuldig an. Noch immer sehe ich Skepsis in seinen Augen. „Ich beeile mich.“ Mit diesen Worten verlasse ich mein Zimmer und gehe ins Bad, schließe mit beschleunigtem Herzschlag die Tür hinter mir ab. Gierig träufle ich mir die Droge in den Mund. Anschließend spüle ich diesen mit Wasser gründlich aus, um den ekelhaften Geschmack loszuwerden. Ich atme tief durch. Mein Blick bleibt an der Person im Spiegel haften. Ich sehe einen jungen Mann mit langen blonden Haaren. Sein Körper zeichnet sich dürr unter der Kleidung ab, das Gesicht ist ausgemergelt und fahl. Aus einer Schublade krame ich einen schwarzen Haargummi, den ich vor einiger Zeit in weiser Voraussicht einmal gekauft habe, und binde mir einen Zopf. Dann wende ich mich ab. Ich ertrage den Anblick dieser erbärmlichen Person im Spiegel nicht länger. Etwas unruhig verlasse ich das Bad und gehe zurück in mein Zimmer. Meine Aufmerksamkeit meinem Freund schenkend setze ich mich auf das Bett. Tai hält Blickkontakt zu mir, als er auf mich zukommt und vor mir stehenbleibt. Ich nehme seine Hand, ziehe ihn zu mir herunter und hauche einen Kuss auf seine Lippen. Zärtlich, aber bestimmt drückt mein Freund mich auf das Laken. Fordernd spüre ich seine Zunge in meinem Mund und lasse mich auf das verzehrende Spiel ein. Allmählich breitet sich eine angenehme Ruhe in mir aus, ich fühle mich leicht, nahezu trunken und etwas schwindelig. Offenbar habe ich die verstärkende Wirkung des Benzodiazepin unterschätzt, weshalb der Drogenrausch nun vermutlich heftiger wird als geplant. Ich muss mich zusammenreißen, damit keinem der Beiden auffällt, dass ich drauf bin. Meine Finger wandern über Taichis Rücken, zu seinem Hosenbund. Hastig öffne ich den Knopf sowie den Reißverschluss. Ich löse mich von dem Zungenkuss, ziehe meinen Freund zu mir auf das Bett und entledige ihn seiner Beinbekleidung. Dann gleite ich mit meinen Fingern unter seinen Pullover, liebkose die Haut seines Oberkörpers und nehme dabei seinen Duft begierig in mich auf. Schließlich streife ich Tai den Pullover über den Kopf und lasse ihn ungeachtet neben das Bett fallen. „Da du dich nicht wehrst, gehe ich davon aus, dass du einverstanden bist“, raune ich lustvoll in Tais Ohr. Als Antwort knöpft er mein Hemd auf, fährt mit den Fingern meine Narben entlang und streift den Stoff schließlich von meinen Schultern. „Zieh den Rest aus“, fordert er mich auf. Ich komme dem mit unsicheren Bewegungen nach. Mein Freund beobachtet mich aufmerksam. „Ist alles in Ordnung? Du wankst.“ „Ja, mir ist nur etwas schwindelig. Wahrscheinlich von dem Beruhigungsmittel.“ „Sollten wir dann nicht besser warten?“ Besorgt schaut Taichi mich an. Ich beuge mich über ihn und küsse ihn erneut. „Nein. Ich kann nicht mehr warten“, flüstere ich heiser. Sinnlich streiche ich mit meinen Händen über die Beine meines Freundes, winkle sie an und drücke sie weit auseinander, um meinen Körper dazwischen zu drängen. „Yamato, willst du aktiv sein?“ In der Frage schwingt deutliches Unbehagen mit. „Ja, aber keine Angst. Ich werde dir nicht wehtun.“ Ich lächle und streichle zärtlich über Tais Wange. Sanft hebe ich sein Becken etwas an. Die Umgebung dreht sich immer schneller. Es fühlt sich beinahe so an, als wäre ich alkoholisiert. Meine Sicht verschwimmt immer mehr. Ich greife nach der Hand meines Freundes und verhake unsere Finger, in der Hoffnung, auf diese Weise etwas Halt zu finden. Behutsam dringe ich in ihn ein und beginne mich langsam und rhythmisch in ihm zu bewegen. Lustvolles Stöhnen entweicht unseren Kehlen, als ich meine Stöße intensiviere. Das Gefühl, meinen Freund nach so langer Zeit und in dieser Rollenverteilung zu spüren, ist unbeschreiblich schön. Ich schließe meine Augen. Meine Empfindungen, durch die Droge zusätzlich verstärkt, sind kaum zu ertragen. Ich küsse hingebungsvoll den Schweiß von Taichis Stirn, stoße weiterhin hart zu. „Weißt du, wie sehr ich dich vermisst habe? Ich liebe dich! Du gehörst mir!“, keuche ich. Tränen füllen meine Augen und lassen meine Sicht zusätzlich verschwimmen, sodass ich Tais Gesicht nicht mehr erkennen kann. „Ich gehöre dir, so wie du mir gehörst. Yamato, ich liebe dich auch und ich habe eine verdammte Angst, dich zu verlieren.“ Es tut weh. Mein gesamter Körper, mein Inneres, alles. Ich steigere meine Penetration bis zur Ekstase, komme schließlich in meinem Freund und lasse von ihm ab. Völlig entkräftet falle ich neben ihm auf die Matratze. Sehnsuchtsvoll legt Tai seine Arme um mich. Schwer atmend schweigen wir eine Weile und genießen einfach nur die Nähe des anderen. Überraschend richtet Taichi sich plötzlich auf, dreht mich auf den Bauch und umfasst mein Becken. „Tai, was…?“ „Shh, ich will, dass auch du mich spürst.“ Ohne auf eine Reaktion meinerseits zu warten, nimmt er mich von Anfang an mit sehr harten Stößen. Lautes, lustvolles Stöhnen erfüllt den Raum. Ich spüre meinen Freund mit jeder Faser meines Körpers, wodurch ich langsam das Gefühl bekomme, meinen Verstand zu verlieren. Krampfhaft kralle ich meine Finger im Laken fest, bäume mich leicht auf, höre fast auf zu atmen. Der Schmerz, den ich mittlerweile durch Tais harte Penetration verspüre, steigert meine Erregung noch weiter. Er spritzt in mir ab und zieht sich erschöpft aus mir zurück. Sein Brustkorb hebt und senkt sich schnell, ebenso wie meiner. Tai zieht meinen verschwitzten Körper eng an sich, spielt mit seinen Fingern in meinen Haaren, aus denen sich der Gummi gelöst hat und die mir zum Teil wirr im Gesicht kleben. Ich zittere. Die Dopaminausschüttung durch das GHB und den Sex waren anscheinend etwas zu viel für mich. Schutzsuchend klammere ich mich an meinen Freund. Ich erschrecke, als es unerwartet an der Tür klopft. „Kommt ihr essen?“, ruft mein Vater durch die Tür hindurch. Erst jetzt fällt mir auf, dass wir nicht abgeschlossen haben. Da mein Vater keinerlei Anstalten macht, mein Zimmer zu betreten, sondern lediglich von draußen Bescheid gibt, bin ich mir ziemlich sicher, dass er den Sex zwischen Tai und mir mitbekommen hat. „Ja“, antwortet Taichi sofort. Er lächelt mich an und gibt mir einen gefühlvollen Kuss. „Ich liebe dich so sehr“, flüstere ich mit unsicherer Stimme. „Und danke.“ „Du zitterst, Yamato“, flüstert Tai in mein Ohr. „Sind das Entzugserscheinungen von den Benzodiazepinen? Ich dachte, durch das Ausschleichen vermeidet man diese. Dein Vater wird heute erst spät da sein. Ich weiß nicht, wo er diese Tabletten versteckt. Hältst du durch, bis er nach Hause kommt?“ Schützend zieht mein Freund mich dichter an sich. Ich spüre seine nackte Haut auf meiner und schließe die Augen. „Mach dir keine Sorgen. Mir ist nur etwas kalt“, lüge ich, denn mein eigentliches Problem ist eine andere Abhängigkeit. Seit die Wirkung des GHB nachgelassen hat und obwohl ich in den Armen meines Freundes liege, bekomme ich das Verlangen nach Heroin nicht mehr aus dem Kopf. Inzwischen reicht mir ein Schuss in zwei Wochen nicht mehr. Ich weiß, dass ich mittlerweile psychisch komplett abhängig bin, doch das Zittern bedeutet keine körperliche Abhängigkeit, sondern lediglich unerträgliche Nervosität. Taichis Nähe erscheint mir so unwirklich und doch spüre ich ihn deutlich, als wäre er noch in mir, dabei sind inzwischen Stunden vergangen. „Warum hast du vorhin mit mir geschlafen?“, frage ich, um meine Gedanken vom Heroin auf etwas anderes zu lenken. „Weil ich es wollte. Weil ich dich wollte.“ Zärtlich streicht er über meine Seite. Eigentlich sollte ich mich über diese Worte freuen, doch sie lösen eher ein unbehagliches Gefühl in mir aus. „Was hast du beim Sex mit deiner Freundin gefühlt?“, kommt dieser mich anekelnde Gedanke ganz unvermittelt über meine Lippen, obwohl ich es eigentlich nie wissen wollte. „Die Frage kommt unerwartet.“ „Beantworte sie bitte trotzdem.“ Für einen Augenblick herrscht Stille. „Es fühlte sich gut an. Anders als mit Männern.“ Diese Aussage bestätigt meine Gewissheit, dass Tai mit meinem Vater ins Bett geht. Ich frage mich nur, ob er der Einzige ist oder ob es außer ihm noch andere gibt, von denen Tai sich ficken lässt. Oder übernimmt mein Freund eher den aktiven Part, so wie in unserer Beziehung? Anstatt ihm meine Gedanken mitzuteilen, schmiege ich mich stärker an seinen Körper. Seine Wärme umhüllt mich sanft. „Du stehst wirklich eher auf Frauen, oder?“ Kurz zögert Taichi. „Ja“, bestätigt er schließlich meine Vermutung. „Ich bin aber keine Frau. Warum…“ Langsam und sehr sinnlich lässt mein Freund seine Finger über meine Haut gleiten. Meine Atmung wird schwerfälliger und Erregung steigt in mir auf, als Tai zwischen meine Beine greift und beginnt mir einen runterzuholen. „Nicht…“, stöhne ich, meine Nägel in seinen Arm krallend. „Magst du es nicht, wenn ich das mit dir mache?“, flüstert mein Freund mir ins Ohr. „Doch… ich verstehe nur nicht, warum du das machst, wenn du lieber mit Frauen schläfst.“ „Meine Worte damals haben sich ziemlich in dich eingebrannt, nicht wahr? Wie kann ich dich davon überzeugen, dass ich dich bezüglich meiner Gefühle anlügen musste, um unseren endgültigen Absturz zu verhindern? Es war notwendig, Yamato. Bitte versteh das.“ Taichi hält in seiner Bewegung inne. „Aber dass ich dich liebe, ist keine Lüge. In den Monaten unserer Trennung hast du mir wirklich gefehlt, deine Nähe, dein Körper, deine Stimme…“ „Ich fickte dich, als wir noch Kinder waren. Gegen deinen Willen. Mehrfach. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Will ich dich vögeln, nehme ich dich rücksichtslos und mit Gewalt. Vielleicht bist du emotional abhängig von mir, aber du liebst mich nicht. Du darfst es nicht“, zische ich aufgebracht. „Hör auf, Yamato. Ich möchte deine verbalen Selbstverletzungen nicht hören. Es geht bei der ganzen Sache doch weniger um mich. Du willst dich mit deinen Worten und eingeredeten Annahmen bestrafen, hab ich recht?“ Tai richtet sich auf und drückt meine Schultern auf das Laken. Er kommt über mich und beugt sich zu mir hinab. „Deine Schuldgefühle würden dich sonst endgültig zerbrechen“, flüstert er mit befremdlicher, heiserer Stimme und krallt sich schmerzhaft in meinen Haaren fest. „Ist das möglicherweise auch der Grund, warum du dich von anderen Männern so brutal ficken lässt? Sie widern dich extrem an, tun dir weh, erniedrigen dich… es ist jedes Mal wie eine Vergewaltigung, nicht wahr, Yamato? Du willst das durchleben, was du meinst mir angetan zu haben. Ich möchte, dass du damit aufhörst, hast du verstanden?“ Spielerisch streicht er über meinen Hals. „Die Freier sind der falsche Weg. Denn mit diesem Egoismus verletzt du mich nur noch mehr.“ Ich schweige, da ich ihm die Wahrheit nicht sagen kann. Es geht bei dem bezahlten Sex längst nicht mehr nur um Selbstverletzung. Mir fällt keine preiswertere Möglichkeit ein, an sauberen Stoff zu kommen, als hin und wieder die Beine breit zu machen und die perversen Praktiken zu ertragen. Davon, dass ich mich von meinem Vater ficken lasse, weiß mein Freund nichts. Zudem haben die beiden selbst etwas miteinander, weshalb er kein Recht hätte, mir diesbezüglich Vorschriften zu machen. „Tai? Hast du manchmal Schuldgefühle wegen der Übergriffe, mit denen du mich ins Krankenhaus brachtest?“ „Was?“ Sein Tonfall klingt überrascht. „Nein“, sagt er schließlich nach einem Moment des Schweigens. Ich weiß, dass jede andere Antwort eine Lüge gewesen wäre. Beruhigt schließe ich die Augen und lächle. „Ich staune immer wieder, wie gefühllos und kalt du sein kannst. Es erregt mich, wenn du in solchen Momenten die Kontrolle verlierst. Du bist dann vollkommen unberechenbar und skrupellos, beinahe wie ein anderer Mensch.“ „Und ich bin immer wieder verwirrt, wenn du das sagst. Vor allem, da du etwas in der Art nicht zum ersten Mal erwähnst.“ Noch immer leicht zitternd hebe ich meinen Arm und berühre das Gesicht meines Freundes. „Erinnerst du dich an deine Handlungen, als du mich in meinem Zimmer mit der Kleiderstange vergewaltigt hast? Existiert dieses Geschehen in deinem Gedächtnis?“ „Ja, natürlich“, antwortet er ohne nachzudenken. „Bereust du es?“ „Nein. Mir blieb keine Wahl. Ich musste dir einiges begreiflich machen und das ging nur so.“ Tais Ernsthaftigkeit bringt mich zum Lachen. Es ist ein bitteres, freudloses Lachen. „Manchmal frage ich mich, ob du tatsächlich Liebe empfinden kannst.“ „Soll ich es dir beweisen?“ Mit diesen Worten gleitet er nach unten und fängt an mir einen zu blasen, allerdings nur so lange wie nötig. Dann setzt er sich mit gespreizten Beinen auf meinen Unterleib und führt mich langsam in sich ein. „Taichi, was…“, beginne ich, unterbreche mich jedoch selbst mit einem Keuchen, als mein Freund sich in einem schnellen Rhythmus auf mir bewegt und somit meine Erregtheit weiter antreibt. „Du definierst Liebe doch über Sex, oder? Also gebe ich mich dir bedingungslos hin, um dir meine Liebe zu beweisen“, bemerkt er schwerfällig atmend. „Fick mich so hart und so lange du willst.“ Tais Worte machen mich wütend. Unsanft stoße ich ihn von mir, drücke seinen Kopf derb auf die Matratze und dringe von hinten brutal in ihn ein. Zufrieden vernehme ich ein schmerzverzerrtes Stöhnen aus dem Mund meines Freundes. Ich penetriere ihn hart, bis ich diese Laute immer wieder in kürzer werdenden Abständen zu hören bekomme. Verschwitzt und verkrampft bäumt mein Freund sich auf, versucht am Laken Halt zu finden. „Ich will deine auf Schmerz basierende Erregung hören. Unterdrücke dein Stöhnen nicht“, befehle ich keuchend. „Yama…“ Tai dreht seinen Kopf so gut es geht in meine Richtung. „Ich liebe dich wirklich.“ Seine Stimme bebt, als er diesen Satz wie eine Beschwörung mehrere Male wiederholt. Völlig durcheinander, verwirrt vom Verhalten meines Freundes lasse ich von ihm ab. Weinend bleibt er liegen. Er wirkt hilflos, schutzlos und unglaublich zerbrechlich. In einem solchen Zustand erlebe ich Taichi selten und ich begreife nicht, wodurch er ausgelöst wurde. Die Situation überfordert mich. Ich möchte meinen Freund in den Arm nehmen, ihm Halt geben, doch ich bin wie gelähmt. Panisch schrecke ich hoch. Meine Atmung ist hektisch und mein schweißbenetzter Körper zittert stark. Liegt es an dem Traum, an den ich mich nicht erinnere, oder sind es doch Entzugserscheinungen von den Beruhigungsmitteln? Dem GHB? Oder dem Heroin, wobei das sehr unwahrscheinlich ist. Allmählich werde ich wach und damit das Verlangen stärker, mir federleichtes Glück in die Venen zu spritzen. „Tai?“, flüstere ich in die Dunkelheit. Stille. Vorsichtig taste ich neben mich, doch das Laken ist leer und bereits ausgekühlt. Ich setze mich auf die Bettkante und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Einen Moment bleibe ich regungslos, atme tief durch. Dann schaue ich auf. Ich bin allein. Unbeaufsichtigt. Rasch, aber dennoch vorsichtig, leise stehe ich auf und suche nach meiner Hose. Nervös krame ich in ihrer Tasche nach dem kleinen Fläschchen, schraube es auf und tropfe gierig das GHB in meinen Mund. Anschließend verstecke ich es in meinem Kleiderschrank, während ich ein Hemd heraushole. Ich muss unter die Dusche, bevor die Droge zu wirken beginnt, um mir den Nachtschweiß von der Haut zu waschen. Als ich mein Zimmer verlasse, fällt mir auf, dass in der Wohnung alles ruhig ist und kein Licht brennt. Nur unter der geschlossenen Tür zum Zimmer meines Vaters sehe ich künstliche Beleuchtung. Mein Herzschlag setzt für einen Augenblick aus. Jetzt habe ich den endgültigen Beweis für das Verhältnis zwischen den beiden wichtigsten Personen in meinem Leben. Die Menschen, die ich über alles liebe, vögeln gerade in dem Raum, vor dem ich wie erstarrt stehe. Ich habe das Gefühl, zusammenzubrechen. Mir wird schlecht, schwindelig, ich taumle zurück gegen die Wand und gleite an ihr hinab. Die Gewissheit ist kaum zu ertragen. Mein Vater und Taichi haben Sex miteinander. Die Vorstellung treibt mich fast in den Wahnsinn. Bilder tauchen vor meinem inneren Auge auf, wie Tai von meinem Vater genommen wird, wie er unter ihm liegt, sie sich leidenschaftlich küssen. Vielleicht lässt mein Vater aber auch meinen Freund in sich eindringen. Eine Handlung, die er mir nie erlauben würde. Lächelnd schüttle ich meinen Kopf. Ich bin so erbärmlich. Es ist unfassbar, wie eifersüchtig ich bin. Mich selbst verachtend gleite ich mit meiner Hand zwischen meine Beine und hole mir einen runter, dabei schaffe ich es kaum, mein Stöhnen zu unterdrücken. Fest presse ich meine andere Hand auf den Mund. Während ich die Stimulation intensiviere, schließe ich meine Augen. Die Situation ist so absurd, dass ich mich frage, ob sie überhaupt der Realität entspricht, doch die Feuchtigkeit, die sich in meiner Hand ausbreitet, fühlt sich echt an. Ich betrachte das Sperma mit Abscheu, lasse mich kraftlos zur Seite fallen und bleibe reglos liegen. Wieder muss ich an Tai und meinen Vater denken und erneut überkommt mich Übelkeit, welche durch die viel zu hohe Dosis GHB noch verstärkt wird. Krampfhaft erbreche ich mich in den Flur. Meine Wahrnehmung beginnt zu schwinden. Noch immer würgend krümme ich mich zusammen. Tai und mein Vater. Schwindelgefühle verzerren meine Sicht und engen sie ein. Sie vögeln miteinander. Kurz versuche ich gegen die Droge anzukämpfen, doch eigentlich weiß ich, dass es aussichtslos ist, denn sie zieht mich immer weiter in die Bewusstlosigkeit. Ein flüchtiges, bitteres Lachen entweicht schwach meiner Kehle. Völlig zugedröhnt liege ich im Flur in meiner eigenen Kotze mit meinem Sperma an der Hand und zwischen den Beinen, krankhaft eifersüchtig auf meinen Freund und meinen Vater… ich verachte mich und ekle mich vor mir selbst. Glücklicherweise hüllt mich die Benommenheit allmählich gänzlich ein und ich falle in einen drogeninduzierten, komatösen Schlaf. Ich öffne meine Augen und sehe Taichi, der mit dem Rücken zu mir gewandt an meinem Schreibtisch sitzt und sich Notizen aus einem Buch macht. Vermutlich erledigt er Arbeiten für die Uni, da er die nächsten Tage nicht hingeht, um auf mich aufpassen zu können. Eine Weile betrachte ich meinen Freund liebevoll. Immer wieder bin ich erstaunt, wie sehr meine Gefühle für ihn noch steigerbar sind. Ich setze mich auf. „Bist du endlich wach?“, fragt Tai ohne sich umzudrehen. Ich schaue auf die Uhr, es ist bereits Nachmittag. Erinnerungen an die vergangene Nacht kommen langsam zurück. Erinnerungen daran, dass mein Freund und mein Vater Sex hatten. Erneut empfinde ich eine quälende Eifersucht. „Meine Nacht war furchtbar“, erkläre ich knapp. „Ich weiß. Du lagst vollgekotzt, vollgewichst und, wie dein Vater vermutet, zugedröhnt im Flur. Verdammt nochmal, Yamato, seit wann nimmst du regelmäßig Drogen?“ Ungehalten steht Taichi auf, kommt zu mir auf das Bett, packt mich an den Schultern und presst mich brutal gegen die Wand. „Warum, Yamato? Was war los, dass du dermaßen drauf sein musstest? Du lagst in dem Flur wie tot!“ „Die Dosis war wirklich unbeabsichtigt hoch, aber bei Weitem nicht gefährlich. GHB in dieser Menge führt einen komatösen Schlaf herbei, worauf ich es auch schon oft abgezielt hatte, aber diesmal wollte ich eigentlich eine andere Wirkung erreichen.“ Eine schmerzhafte Ohrfeige bringt mich zum Schweigen. „Du bist echt das Letzte! Weißt du, was für eine Scheißangst ich um dich hatte, als du völlig leblos auf dem Boden lagst? Aber du verherrlichst deinen Drogenkonsum auch noch.“ „Nein, ich weiß die Substanzen nur bestmöglich zu nutzen. Keine Sorge, ich habe es unter Kontrolle, Tai.“ Ein trockenes Lachen entweicht der Kehle meines Freundes. „Du machst dir etwas vor. Dein Vater glaubt, dass du mittlerweile tief in die Abhängigkeit gerutscht bist.“ Tai streicht mir durch die Haare, nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. Dann schaut er mir eindringlich in die Augen, ohne mich loszulassen. „Warum, Yamato?“, fragt er noch einmal. Schmerzlich betrachte ich meinen Gegenüber. „Ich ertrage es nicht, wenn du nicht bei mir bist. Ohne dich fühle ich mich schrecklich einsam.“ „Somit habe ich dich in die Drogensucht getrieben? Was ist mit dem Tod von Akito? Dein Vater meinte, du wärst danach extrem abgestürzt. Hast du diesen kleinen Wichser so sehr geliebt?“ Mein Blick verfinstert sich. „Warum hasst du Akito so sehr? Auch jetzt noch.“ „Die Frage meinst du nicht ernst.“ Taichi sieht mich ungläubig an. „Der Typ hat seinen Schwanz in dich reingesteckt und dich solange gefickt, bis du dich in ihn verliebt hast und später sogar eine Beziehung mit ihm eingegangen bist.“ Erst als mein Freund mit seinen Fingern über meine Wange wischt, bemerke ich die Tränen, die darüber laufen. „Weinst du seinetwegen?“ „Bist du wirklich in der Position, mir Vorwürfe zu machen? Immerhin vögelst du mit meinem Vater.“ Tai seufzt. „Fängst du schon wieder mit diesem Unsinn an? Deine paranoiden Wahnvorstellungen sind allmählich beängstigend, Yamato.“ „Dann erkläre mir bitte, warum du mitten in der Nacht im Zimmer meines Vaters warst. Was habt ihr gemacht, wenn ihr angeblich keinen Sex hattet?“ „Es gab ein paar wichtige Sachverhalte zu besprechen. Du hast geschlafen, diese Gelegenheit wollte ich nutzen. Wir haben ja gesehen, was passiert, wenn man dich allein lässt.“ „Und worüber habt ihr euch unterhalten?“ Mein Freund zögert, als müsse er überlegen, was er mir antwortet. „Es ging um die Zeit, wenn dein Vater wieder in Deutschland ist. Sowohl er als auch meine Eltern wollen uns nicht noch einmal alleine wohnen lassen. Sie haben Angst, dass wieder alles eskaliert. Allerdings wissen wir auch, dass du nicht ohne Aufsicht bleiben kannst. Dein Vater ist ziemlich verzweifelt und überlegt sogar, hierzubleiben, obwohl er als Konsequenz seine Position beim Sender verlieren und in eine andere Abteilung versetzt werden würde.“ Ich löse mich ein wenig von Taichi. Ein verzerrtes Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Ihr seid sehr vertraut miteinander. Zu vertraut dafür, dass er nur der Vater deines Freundes ist, meinst du nicht?“ Wütend presst Tai mich erneut hart gegen die Wand. „Es reicht, Yamato! Glaubst du wirklich, dass dein Vater einen Minderjährigen ficken würde? Noch dazu den Freund seines Sohnes? Zudem bin ich ein Mann. Und ich denke nicht, dass er mit Männern ins Bett geht. Wie oft müssen wir eigentlich noch über dieses Thema sprechen, bis du es endlich begreifst?“ Zitternd lässt er mich los. „Und was ist mit dir?“, bohre ich nach. „Verdammt, ich sagte dir mehrfach, dass ich nicht auf Männer stehe und du die einzige Ausnahme bist.“ „Sicher? Du sagtest, der Sex mit Frauen wäre anders als der mit Männern. Die Mehrzahl. Du hast demzufolge mit mindestens einem weiteren Mann geschlafen. Meinem Vater, nicht wahr?“ Entsetzt blickt Tai mich an. Er wirkt ungewohnt zerbrechlich, beinahe hilflos. „Ich habe also recht“, flüstere ich mit vibrierender Stimme. „Vögelst du außer mit meinem Vater noch mit anderen?“ „Yamato…“ Nervös kratzt sich Taichi über seine Unterarme, während seine Augen unruhig durch das Zimmer wandern. Es dauert einen Moment, bis ich begreife, was mit ihm los ist, obwohl ich diesen Zustand vor allem in letzter Zeit nur allzu gut kenne. Ich strecke meinen Arm nach ihm aus und ziehe ihn dicht an mich. „Du willst etwas trinken, nicht wahr? Dein Verlangen nach Alkohol ist nach wie vor da, trotz Therapie.“ Kaum merklich nickt mein Freund. Sein gesamter Körper bebt noch immer. Ich umfange ihn mit meinen Armen, versuche ihm Halt und Schutz zu geben, dabei weiß ich, dass ich das Problem bin, der Stressfaktor, der ihn zurück in die Sucht treiben kann. Ich klopfe an die Zimmertür meines Vaters und öffne sie. Er sitzt am Schreibtisch, dreht sich zu mir herum. „Komm rein, Yamato“, fordert er mich mit ernstem Blick auf. „Wir müssen reden.“ Mit einem unguten Gefühl nehme ich auf dem Bett Platz, halte dabei Augenkontakt zu ihm. „Sag mir bitte die Wahrheit. Du hast heute Nacht Drogen konsumiert.“ Aufrichtig schaue ich ihn an. „Ja“, gebe ich zu. Ernüchtert schließt mein Vater die Augen und atmet hörbar aus. Er kannte die Antwort und hoffte doch auf eine andere. „Es tut mir leid“, flüstere ich betroffen. „Hör auf zu lügen. Du wirst es wieder tun. Merkst du nicht, wie sehr du schon von den Drogen beherrscht wirst?“ „Du bist ziemlich enttäuscht von mir. Kein Wunder bei dem, was ich dir alles antue“, weiche ich der Frage meines Vaters aus. „Yamato, es geht hier nicht um Enttäuschung. Ich habe Angst um dich. Zwar scheint es derzeit keine konkreten Selbstmordpläne zu geben, dennoch tötest du dich auf Raten mit deinem Drogenkonsum, deinen Selbstverletzungen und deiner Essensverweigerung. Aber genau das ist dein Ziel, oder? Jeden Tag, Stück für Stück sterben. Ein langsamer, grausamer Tod.“ Schuldbewusst senke ich meinen Blick. „Was war heute Nacht los? Weshalb musstest du dich dermaßen mit Drogen zudröhnen? Du weißt genau, dass die gemeinsame Einnahme mit Benzodiazepinen tödlich enden kann. Also warum, Yamato? Wolltest du dich…“ „Nein, kein Selbstmordversuch. Aber ich habe mitbekommen, wie du und Tai…“ Ich atme tief durch. „Den Gedanken, dass ihr Sex miteinander habt, ertrage ich einfach nicht.“ Diese Aussage entspricht nur der halben Wahrheit. Als ich das GHB einnahm, wusste ich noch nicht, dass mein Freund bei meinem Vater ist. Ich war schlichtweg auf Entzug. „Du kannst nichts mitbekommen haben und du musst auch nichts ertragen, weil zwischen Taichi und mir keine sexuelle Beziehung besteht, nie bestanden hat oder bestehen wird. Wie kann ich dir das nur endlich begreiflich machen?“ „Komm her“, fordere ich ihn liebevoll auf. Mein Vater erhebt sich, vor mir bleibt er stehen. Sanft ziehe ich ihn am Handgelenk zu mir herab und küsse ihn. Er reagiert nicht darauf. „Lass es zu, Hiroaki. Ich bitte dich!“, hauche ich schmerzlich verlangend. „Yamato, findest du es nicht unangebracht, da dein Freund im Zimmer nebenan ist?“ „Wozu? Meine Gefühle für dich haben mit Tai nichts zutun, ebenso wie meine Gefühle für ihn nichts mit dir zutun haben. Ich liebe dich, Papa. Es tut weh. Wie soll ich das aushalten, wenn ich dich nicht spüren darf?“ Mein Vater seufzt schwermütig. „Gleich wirst du mich hassen.“ Vorsichtig löst er sich von mir und setzt sich neben mich auf das Bett. „Ich habe dir einen ambulanten Therapieplatz besorgt.“ „Was?“ Fassungslos starre ich meinen Vater an. „Das hast du nicht wirklich getan!“ „Eine ambulante Therapie war Bedingung, falls du dich erinnerst.“ „Verdammt! Das ist nicht dein Ernst!“ Meine Stimme wird lauter, hysterischer. „Doch. Und solltest du dich weigern, gehst du in die Klinik.“ Ich schaue in die Augen meines Vaters. Sie sind eindringlich, stechend und darin ist kein Verständnis mehr zu erkennen. Voller Entsetzen wäge ich ab, doch eigentlich habe ich keine Wahl. Ein erneuter stationärer Aufenthalt ist für mich definitiv keine Option. „Also gut“, lenke ich ein. „Stößt du mich dann aber nicht mehr von dir?“, frage ich kindlich unschuldig und ein wenig verletzt. „Yamato…“ Traurig sieht mein Vater mich an. „Es ist eine Bitte. Ich kann dich nicht zwingen.“ „Du willst faktisch eine dauerhafte sexuelle Beziehung mit mir eingehen?“, fragt er ungläubig und ziemlich bestürzt. „Ja, genau das möchte ich. Meine Gefühle für dich sind viel zu stark. Anders kann ich damit nicht umgehen.“ Gezielt beuge ich mich zu ihm herüber und küsse ihn erneut. Auch dieses Mal reagiert er nicht darauf. „Du anscheinend nicht“, stelle ich resignierend fest. „Es tut mir leid, mein Sohn.“ „Schon gut. Ich respektiere deine Entscheidung, allerdings akzeptiere ich sie nicht.“ Mit schnellen Bewegungen und ein paar geschickten Handgriffen gelingt es mir, meinen Vater bäuchlings auf dem Bett liegend bewegungsunfähig zu machen. „Hör auf damit, Yamato!“, presst er gequält hervor, als ich mich an seiner Hose zu schaffen mache. Mit großem Kraftaufwand versucht er sich von mir zu befreien. Tatsächlich habe ich ziemliche Schwierigkeiten, ihn unter Kontrolle zu halten. Er ist mir körperlich weit überlegen. Ich verstärke meinen Griff, soweit es mir möglich ist. „Wehre dich nicht, dann tut es auch nicht so sehr weh, wenn ich in dich eindringe“, flüstere ich liebevoll in sein Ohr. „Du bist wahnsinnig, Yamato! Ich bin dein Vater, verdammt!“ „Ich weiß. Aber ich kann nicht beeinflussen, in wen ich mich verliebe.“ „So ein Unsinn! Du bist nicht in mich verliebt.“ „Stimmt. Meine Gefühle gehen viel tiefer. Ich liebe dich, Hiroaki. Ich liebe dich, hörst du? Warum begreifst du nicht, dass ich dich einfach nur spüren möchte? Warum zwingst du mich Gewalt anzuwenden?“ Inzwischen habe ich die Hose meines Vaters heruntergezogen und öffne meine eigene. „Ich warne dich! Solltest du Hand an mich legen, ist dir die Klinik für die nächsten Monate sicher. Dann nehme ich keine Rücksicht mehr auf deinen Schulabschluss.“ Sanft hauche ich einen Kuss in den Nacken meines Vaters. „Tu, was du nicht lassen kannst. Wenn du mich abschieben und wegsperren willst, um deine Ruhe vor mir zu haben, kann ich das sogar verstehen. Aber ich halte das alles nicht mehr aus. Verzeih mir bitte, aber...“ „Stehst du unter Drogen?“, will mein Vater missbilligend wissen. Ich lache laut auf. „Kann sein. Allmählich weiß ich kaum noch, wie es sich ohne anfühlt. Dennoch ändert das nichts an meinem Verlangen nach dir.“ „Dein Drogenrausch sowie dein Verlangen treiben dich dazu, eine Straftat zu begehen, ist dir das überhaupt bewusst?“ „Nein, denn was ist falsch daran, mit dem Menschen, den man liebt, schlafen zu wollen?“ „Nichts. Wenn es auf Gegenseitigkeit beruht. Aber du nimmst dir, was du willst. Rücksichtslos und egoistisch.“ Noch immer versucht er gegen mich anzukommen und meine Kraft schwindet allmählich. Ich muss handeln. „Jetzt halt still und entspann dich, dann wird es nicht so schlimm. Vielleicht gefällt es dir sogar“, flüstere ich voller Zuneigung. „Nein, Yama…“ Die Stimme meines Vaters stirbt ab, als ich vorsichtig in ihn eindringe. „Verdammt!“, zischt er hasserfüllt. Langsam bewege ich mich in ihm, beschleunige aber sogleich meinen Rhythmus. Ein Keuchen entweicht der Kehle meines Vaters. Ich halte inne. „Papa… ich…“ Verstört lasse ich von ihm ab und stürze rückwärts zu Boden. Apathisch starre ich vor mich auf den Teppich. Nachdem mein Vater seine Hose wieder hochgezogen hat, wendet er sich mir zu. Mit ganzer Kraft verpasst er mir eine Ohrfeige. Durch die Wucht falle ich zur Seite und bleibe reglos liegen. Warmes Blut läuft aus meiner Nase und der aufgeplatzten Lippe. Habe ich gerade wirklich meinen Vater zum Sex gezwungen? Wie konnte ich derart die Kontrolle verlieren? Sind die Drogen schuld daran? Oder bin ich tatsächlich ein krimineller Irrer? Der Selbsthass zerfrisst mich, lähmt mich, tötet mich innerlich. „Yamato!“, höre ich meinen Vater rufen, der sich inzwischen neben mich gesetzt hat. Ich nehme ihn kaum wahr. Alles erscheint wie durch einen Schleier und ist in weiter Ferne. „Vergib mir, Papa“, bitte ich stimmlos und nahezu abwesend. Das Letzte, das ich mitbekomme, ist eine angenehm kühle Hand, die meine Haare sorgsam aus dem Gesicht streicht. Allmählich erlange ich mein Bewusstsein wieder. Langsam öffne ich die Augen. Es dauert eine Weile bis meine Orientierung und mit ihr meine Erinnerung zurückkehrt. Ich liege im Bett meines Vaters und erblicke seine Statur, die von mir abgewandt am Schreibtisch sitzt. Mit gemischten Gefühlen betrachte ich den von mir begehrten Körper. Dass ich meinen Vater liebe und ihn tief in mir spüren möchte, steht außer Frage. Ich bereue nicht ihn genommen zu haben. In meinen Vater einzudringen fühlte sich unglaublich an und der Gedanke daran erregt mich noch immer. Dennoch bleibt ein bitterer Nachgeschmack. „Bist du wach?“, durchbricht mein Vater plötzlich die Stille. „Ja“, antworte ich leise. „Papa, ich…“ „Pack ein paar Sachen zusammen. Ich fahre dich in die Klinik. Taichi habe ich vorerst nach Hause geschickt.“ Fassungslos setze ich mich auf. „Was?“ Meine Stimme ist kaum hörbar, meine Kehle wie zugeschnürt. „Ich hatte dich gewarnt, Yamato. Diesmal hast du deutlich eine Grenze überschritten. Du bist zu weit gegangen.“ „Warum? Weil mein Verlangen nach dir unerträglich schmerzhaft ist? Ich habe nur die Initiative ergriffen, weil du nicht mit mir schlafen wolltest. Aber das kann nicht das Problem sein. Wir hatten nicht zum ersten Mal Sex miteinander. Oder magst du es nicht, wenn ich in dich eindringe?“ Verblüfft und zugleich schockiert betrachtet mein Vater mein Gesicht. „Du begreifst nicht, was du getan hast, oder? Dein Unrechtsempfinden ist gestört, denn dir scheint nicht bewusst zu sein, dass deine sexuellen Handlungen an mir eine Vergewaltigung waren.“ „Das ist nicht wahr!“, schreie ich ihn bestürzt an. „Wie würdest du erzwungenen Sex sonst nennen? Hast du Taichi also nicht mehrfach vergewaltigt? Auch wenn du eine Beziehung mit ihm führst, ist es eine Vergewaltigung, sobald er deine Annährung ablehnt, egal ob verbal oder nonverbal, und du trotzdem gewaltsam mit ihm schläfst.“ Ich schweige. Tränen brennen mir in den Augen und lassen meine Sicht verschwimmen. Unzählige Male fallen mir ein, in denen ich ohne jedes Mitleid brutal in Tai eindrang, obwohl er sich heftig wehrte. Erst später, meist anhand der Auswirkungen und Konsequenzen, stellen sich Schuldgefühle ein und ich werde von meinem Selbsthass derart verzehrt, dass ich hoffe endgültig daran zu zerbrechen. Tatsächlich ist es einzig die Gewalt, die mich am aktiven Part reizt und extrem erregt. Die Gegenwehr, die Unterwerfung, die Demütigung sowie die erbarmungslose und schmerzhafte Penetration des anderen. Aber diese Rolle nehme ich selten von mir aus ein, meist wird mir keine Wahl gelassen. „Jetzt pack deine Sachen. Wir müssen noch zum Arzt. Vorhin habe ich dort angerufen, damit er eine Akuteinweisung für dich ausstellt.“ Er wendet sich wieder seinem Schreibtisch zu. „Bitte Papa…“, hauche ich mit zittriger Stimme. Nun laufen die Tränen über meine Wangen. „Lass mich wenigstens meinen Schulabschluss machen. Danach lasse ich mich stationär behandeln. Ich verspreche es dir!“ Mein Vater seufzt und dreht sich erneut zu mir. „Und wie oft hast du mich schon angelogen und deine Versprechen gebrochen? Ich glaube dir nicht mehr, Yamato.“ „Ich weiß.“ Resigniert senke ich meinen Blick. Wie schaffe ich es, meinen Vater von seinem Vorhaben abzubringen? „Wäre es ein Beweis für dich, wenn ich in der Klinik anrufe und mich für April auf die Warteliste setzen lasse? Und bis dahin werde ich die ambulante Therapie machen.“ Abschätzig sieht mein Vater mich an. Dann steht er auf und setzt sich zu mir auf das Bett. „Nein, das reicht mir nicht. Dein Drogenkonsum ist mehr als bedenklich. Mittlerweile dröhnst du dich dauerhaft zu, selbst in der Schule, hab ich recht? Gibt es eigentlich noch Momente, in denen du nicht drauf bist?“ Unerwartet sanft streicht er über meine Wange und wischt eine Träne weg, dann berührt er vorsichtig die Verletzung an meiner Lippe. „Aber ich nehme meist nur eine niedrige Dosis, um die angstlösende, euphorisierende und antidepressive Wirkung zu erzielen. Die hohe Dosis abends brauche ich, um schlafen zu können. Meine verschriebenen Psychopharmaka haben bei weitem nicht den Effekt, falls sie überhaupt in irgendeiner Weise helfen. Doch ich mache den Entzug und nutze dafür gleich meine momentane Krankschreibung. Es dauert maximal drei Tage, von dem GHB runterzukommen.“ Hoffnungsvoll schaue ich meinem Gegenüber in die Augen. „All das ändert jedoch nichts an deinem sexuellen Übergriff.“ „Ich glaube nicht, dass ein Klinikaufenthalt etwas an meiner Liebe zu dir ändert.“ „Das vielleicht nicht, allerdings musst du lernen, dass du dir nicht mit Gewalt nehmen kannst, was du willst. Rein theoretisch könnten sowohl Taichi als auch ich dich wegen Vergewaltigung anzeigen, was bei einer Verurteilung mindestens zwei Jahre Haft bedeuten würde, in deinem Fall vermutlich sogar mehr. Dessen musst du dir bewusst werden!“ Grob umfasst mein Vater meine Oberarme und verstärkt seinen Druck, als er mich ein wenig zu sich zieht. Sein Blick ist eindringlich. „Warum macht ihr keine Anzeige? Mein Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt dauert mit Sicherheit mehrere Jahre, während ich in der Psychiatrie lediglich Monate wäre, wenn ich eine Therapie komplett durchziehe.“ Ich versuche mich von meinem Gegenüber zu lösen, doch der hält mich unnachgiebig fest. „Verdammt, Yamato! Ich will dich nicht los werden, ich will dir helfen. Die jüngsten Ereignisse haben mir noch einmal verdeutlicht, wie krank du bist. Deine Wahrnehmung, deine eigene Realität entsprechen nicht der tatsächlichen Wirklichkeit, doch das entzieht sich völlig deinem Verständnis. Ich weiß nicht mehr, wie ich mich verhalten soll, was richtig und was falsch ist.“ Verzweifelt und ziemlich derb nimmt er mein Gesicht zwischen seine Hände. „Ich verstehe, wie es sich anfühlt, wenn Liebe so stark ist, dass man nichts außer Schmerz fühlt und glaubt, daran zugrunde zu gehen. Denn genau so empfinde ich für dich, mein Sohn. Ich liebe dich sehr, wahrscheinlich kann ich auch nur deshalb so verdammt wütend auf dich sein.“ „Papa…“, flüstere ich. „Du tust mir weh.“ Er lässt nicht los und sieht mich unverwandt an. „Du machst mich wahnsinnig! In vielerlei Hinsicht. Warum gelingt es dir immer wieder, meine Drohungen bezüglich deiner Einweisung zu entschärfen? Das ist nicht unbedingt zuträglich für meine Glaubwürdigkeit und doch kann ich nicht anders. Wenn ich dich ansehe und sich in deinen Augen nichts als Schmerz und Verzweiflung widerspiegeln, möchte ich dich nur in den Arm nehmen und alles tun, um dir zu helfen.“ „Bist du mir nicht mehr böse?“, frage ich mit kindlicher Hoffnung. „Ob ich dir den unfreiwilligen Sex verzeihen kann, weiß ich nicht. Allerdings werde ich dich nicht in die Klinik abschieben, vorausgesetzt du erfüllst die von dir genannten Bedingungen.“ Noch immer hält mein Vater meinen Kopf fest zwischen seinen Händen. „Ich liebe dich, Papa!“, sage ich heftig schluchzend. „Glaubst du mir wenigstens das?“ Zärtlich küsst er meine Stirn. „Ja.“ „Aber ich werde dich nie wieder in mir spüren. Du wirst nie wieder mit mir schlafen, nicht wahr?“ Endlich lässt mein Vater von mir ab, um mich unsanft auf das Laken zu drücken. Meine Atmung und mein Herzschlag beschleunigen sich, als er mit seinen Fingern schmerzhaft meine Handgelenke umschließt und sich über mich beugt. „Beweise mir zuerst, dass du deine Versprechen dieses Mal ernst meinst, vor allem einhältst und es nicht wieder nur leere Versprechungen sind. Dann sehen wir weiter“, raunt er mit seinen Lippen dicht an meinem Ohr. „Versuche dich auf die Aufgaben zu konzentrieren. Vielleicht kannst du dich damit ein wenig ablenken“, meint mein Freund, der neben mir am Schreibtisch sitzt, verständnisvoll. Sanft streicht er mir über den Rücken. „Ja“, sage ich knapp, während ich krampfhaft meine Übelkeit unterdrücke, um mich nicht zum fünften Mal innerhalb weniger Stunden zu übergeben. Nie hätte ich gedacht, dass mir der Entzug so schwer fallen würde. Zugegebenermaßen dachte ich nicht an eine mögliche Verstärkung der Symptomatik durch das gleichzeitige Absetzen der Benzodiazepine. „Vielleicht sollten wir erst einmal eine Pause machen. Du zitterst stark und kannst den Stift kaum halten.“ Tai betrachtet mich voller Zuneigung, nimmt meinen Kopf zwischen seine Hände und küsst mir behutsam den Schweiß von der Stirn. Dann gleitet er unter mein Oberteil, fährt mit seinen Fingerspitzen sachte über meine feuchte, leicht ausgekühlte Haut. Ich schließe die Augen. Für einen Moment möchte ich die Drogen, die Entzugserscheinungen und die Angst, Tai oder meinen Vater zu verlieren, vergessen und nur die Berührungen meines Freundes genießen. „Du bist so schrecklich dünn und zerbrechlich. Als ich aus der Klinik kam, hatte ich das Gefühl, es würde besser werden. Dein Vater schien dein Essverhalten einigermaßen unter Kontrolle zu haben. Du sahst etwas gesünder aus. Aber durch deinen massiven Drogenkonsum bist du wieder extrem abgemagert.“ Langsam knöpft er mein Hemd auf, mustert mich traurig, wobei er die Rippenbögen nachzeichnet. Anschließend haucht er unzählige Küsse auf meinen Brustkorb, verziert mit seinen Narben, während er meine Hose öffnet, mit seinem Kopf weiter hinab wandert und beginnt mir einen zu blasen. Sofort versuche ich mich zu entspannen, indem ich mich etwas in meinem Stuhl zurücklehne. Kurz vor dem Abspritzen bedeute ich meinem Freund jedoch aufzuhören. „Nicht das!“, keuche ich. „Ich will nicht in deinem Mund…“ „Warum nicht?“, fragt Taichi sichtlich irritiert. „Du musst dir das nicht antun. Ich will dich zu nichts zwingen.“ Mein Freund lächelt. „Seit wann bist du so sittsam und rücksichtsvoll? Aber keine Angst, du zwingst mich nicht. Bei dir macht es mir nichts aus.“ Ohne Zeit für eine Erwiderung zu lassen, setzt er seine Stimulation in extrem erregender Weise mit seinem Mund und seiner Zunge fort. „Taichi…“, stöhne ich lustvoll und greife Halt suchend in seine Haare. Dann lässt meine Anspannung nach und ich sacke erschöpft in meinem Stuhl zusammen. Mit seinem Handrücken wischt sich Tai über den Mund, richtet sich auf und streicht mir zärtlich einige der verschwitzten blonden Strähnen hinter die Ohren. Anschließend bindet er mit dem Gummi, welchen ich in letzter Zeit immer um mein Handgelenk trage, einen Zopf. „Hat es etwas geholfen?“, fragt mein Freund schließlich. „Nein“, gebe ich ehrlich zu. „Aber die Methode ist interessant. Wurde das bei deinem Entzug in der Klinik auch so gemacht?“ Ich versuche meine Eifersucht aus meinem Tonfall herauszuhalten, doch es gelingt mir nicht. Tai lächelt nachsichtig. „Yamato.“ Beruhigend streichelt er über meine Wange. „Während meines Entzugs bin ich keinerlei sexuellen Aktivitäten nachgegangen. Weder mit Frauen noch mit Männern.“ Ich sage nichts, sondern stehe auf, um meine Hose sowie mein Hemd wieder zu schließen. Die permanente, teils aber nur unterschwellige Übelkeit wandelt sich unerwartet in Brechreiz. Mich von Taichi abwendend laufe ich schnellen Schrittes ins Bad und würge erneut ein Gemisch aus Magensaft und Speichel in die Toilette. Bereits wackelig geben meine Beine endgültig nach, sodass ich auf den kühlen Fliesen zusammenbreche. Unaufhörlich zittert mein Körper, was ich krampfhaft versuche unter Kontrolle zu bekommen. Ich sehne das Wochenende herbei. Ich sehne mich nach Heroin, das durch meine Venen fließt, nach dem puren Glück. Den Abstand des Konsums muss ich jetzt definitiv auf eine Woche verkürzen, da ich das GHB nicht mehr ungehemmt zur Überbrückung einnehmen kann. Ich muss vorsichtiger sein, mein Vater darf nicht erfahren, dass ich diesen Entzug nur zu seiner Beruhigung durchziehe, die Drogen allgemein aber nicht aufgebe. Nicht aufgeben kann. „Yamato.“ Besorgt hockt sich Taichi neben mich. „Du denkst gerade daran, dich zuzudröhnen, hab ich recht?“ Ich überlege kurz, nicke dann jedoch kaum merklich. „Hast du noch irgendwo etwas von dem Zeug versteckt? Für den Notfall?“ „Nein“, antworte ich sofort. „Ich habe meinem Vater wirklich alles ausgehändigt.“ Meine Stimme vibriert und es fällt mir schwer, ruhig zu sprechen. „Aber gerade bereue ich es.“ Speichel läuft aus meinem Mund, als ich erneut beginne zu würgen. „Ich weiß.“ Im Augenwinkel sehe ich, dass mein Freund sitzend gegen die Badewanne lehnt und in den Raum starrt. „Das Verlangen nach deinem Suchtmittel verschwindet auch nach dem Entzug nicht. Du wirst lernen müssen, damit umzugehen.“ Eine Weile schweigen wir, nur meine unregelmäßige Atmung erscheint unnatürlich laut im Raum. „Ich habe Angst um dich, Yamato. Ehrlich gesagt bist du wesentlich labiler als ich, zudem hältst du dich an deinen Drogen fest. Schlechte Voraussetzungen für einen erfolgreichen und vor allem dauerhaften Entzug, aber das weißt du selbst. Ich sollte dir jetzt besser den Schweiß von der Haut waschen.“ Fürsorglich streift er mir das Hemd und die Hose vom Körper, bevor er sich ebenfalls entkleidet. Dann hilft er mir ganz langsam auf die Beine zu kommen. Taichi muss mich stützen, weil ich sonst sofort mein Gleichgewicht wieder verlieren würde. Vorsichtig lenkt er meine Schritte zur Dusche. Mit einem verhaltenen Lächeln lehnt er mich gegen die Wand, presst seinen Körper dicht an meinen und stellt das Wasser an. Kalt prasselt es auf meine Haut, wodurch mein Zittern weiter verstärkt wird. Schützend legt Tai einen Arm um mich, mit dem anderen langt er zum Wasserhahn und regelt die Temperatur etwas nach oben. Die Wärme tut gut, ebenso wie die Berührungen meines Freundes, der mich gründlich mit Duschbad am ganzen Körper einseift. Ich klammere mich krampfhaft an ihn, als er seine Hände über meinen Rücken gleiten lässt. „Es tut so weh!“, flüstere ich schmerzerfüllt. „Ich habe wahnsinnige Angst, dich wieder zu verlieren.“ „Yamato…“ „Nein, du kannst mir nicht versichern, dass es nicht passieren wird. Ansonsten wärst du ein verdammter Lügner!“ Mit dem Duschwasser vermischte Tränen laufen unsichtbar über meine Wangen. „Ich liebe dich, Taichi. Ich liebe dich so…“ Heftig weinend rutsche ich an meinem Freund hinab, greife dabei jedoch verzweifelt nach seiner Hand und drücke sie fest. Sowohl unschlüssig als auch hilflos steht Tai vor mir und betrachtet meine erbärmliche Gestalt. Für eine Weile sind nur das Rauschen des Wassers und mein Schluchzen zu hören, dann zieht mein Freund mich wortlos an den Armen nach oben. „Komm, ich dusche dich ab, sonst erkältest du dich noch.“ Gründlich wäscht er die Seife von unseren Körpern, anschließend stellt er das Wasser ab und wickelt mich fest in meinen Bademantel. Er selbst zieht den meines Vaters an, wobei mich der Anblick für einen Moment irritiert und erregt zugleich. Verlegen schaue ich zu Boden. „Yamato, was hast du?“ Sorgenvoll berührt Taichi meine Wange. „Ich glaube, das Duschen war doch keine gute Idee. Dein Gesicht ist ganz rot. Hoffentlich bekommst du kein Fieber.“ Ich schüttle leicht meinen Kopf, fixiere meinen Freund und tippe beinahe schüchtern mit meinem Zeigefinger auf meine Lippen. Sofort kommt Tai auf mich zu, stützt sich links und rechts von mir am Wannenrand, auf dem ich Platz genommen habe, ab und küsst mich fordernd. Ich erwidere das Zungenspiel ebenso intensiv, drohe jedoch nach hinten in die Badewanne zu rutschen. Taichi bemerkt es und hält mich mit einer Hand im Rücken fest. Plötzlich, ohne sich von mir zu lösen, zieht mein Freund mich mit sich auf den Boden, sodass ich auf seinem Schoß zum Sitzen komme. Von hinten schiebt er seine Hand unter meinen Bademantel und dringt ohne Vorwarnung mit zwei Fingern in mich ein. Geräuschvoll ziehe ich die Luft zwischen meinen Zähnen ein. Um eine schmerzvollere Penetration zu erzielen, nimmt Tai einen dritten, kurz darauf einen vierten Finger hinzu. Heftiges Zittern erfasst meinen Körper und ich frage mich, ob es an meiner Erregung oder am Entzug liegt. Schwer atmend klammere ich mich an meinen Freund. „Ich möchte dich ficken, mein süßer Yamato“, flüstert der heiser in mein Ohr. „Nein“, höre ich mich unerwartet sagen. Verwundert sieht Taichi mich an. „Der Entzug muss dir ziemlich zu schaffen machen, wenn du freiwillig auf Sex verzichtest, ihn sogar ablehnst.“ Ein seltsames Lächeln legt sich auf seine Lippen. „Ich hoffe, du bist nachsichtig, dass ich dich trotzdem nehmen werde.“ Unsanft drückt er mich rückwärts mit dem Rücken auf den Boden. Er hebt mein Becken etwas an, wobei der Bademantel ein Stück weiter nach oben rutscht. „Halt, Tai! Warte! Nicht…“ Ich beginne zu schluchzen, als Tai rücksichtslos in mich eindringt. „Hör auf zu weinen“, befiehlt er mir und stößt sich tiefer in mich hinein. „Bitte, Taichi! Nicht in seinem Bademantel. Es fühlt sich seltsam an und verwirrt mich. Bitte, ich…“ Meine Stimme versagt, weicht leisem Stöhnen. „Was ist dein Problem? Denkst du, du wirst gerade von deinem Vater vergewaltigt?“ Die Penetration meines Freundes wird brutaler. Trotz des Bademantelstoffes schürfen meine Schulterblätter unangenehm über die Fliesen. „Taichi! Zieh ihn raus, verdammt!“ Ich versuche mich zu wehren, doch er nutzt sein gesamtes Körpergewicht, um mich unter Kontrolle zu halten. Lautes Keuchen erfüllt das Badezimmer. Verzweifelt schiebe ich meine Hände in seine Ärmel, um mit meinen Fingernägeln abwehrend über Tais Haut kratzen zu können. Der zuckt kurz zusammen, lächelt mich aber sogleich an, legt meine Beine auf seine Schultern, damit er sich tiefer und schmerzhafter in mich stoßen kann. „Tai…“ Ein leiser Schrei entweicht meiner Kehle und erneut laufen Tränen über meine Wangen. „Ich kann nicht…“ „Sieh mich an.“ Liebevoll streicht er mir über die feuchten Augen. „Weißt du, von wem du gerade gefickt wirst? Spürst du mich tief in dir?“ „Ja und es tut weh.“ „Körperlich oder…“ „Beides“, unterbreche ich ihn. „Und jetzt zieh ihn endlich raus!“ „Deine Reaktion vorhin und dein Verhalten in letzter Zeit werfen einige Frage in mir auf. Hattest du in deiner Vorstellung schon einmal Sex mit deinem Vater?“ Entsetzt blicke ich meinen Freund an. „Wie kommst du darauf?“ „War es einvernehmlich?“ „Was?“ „Hat er sich in deiner Fantasie an dir vergriffen oder wolltest du mit ihm schlafen?“ Ich weiß nicht, was ich Taichi entgegnen soll. Die Wahrheit zieht er offenbar noch nicht in Erwägung, weshalb ich ihn ganz von diesen Gedanken abbringen muss. Tais Rhythmus hat sich mittlerweile in mich eingebrannt, mich gefügig gemacht und mich an ihn anpassen lassen. Lust verspüre ich allerdings nicht, nur den reinen Schmerz. Plötzlich steigt wieder Übelkeit in mir auf. „Taichi, lass mich… ich muss… mir ist schlecht.“ Sofort zieht sich mein Freund aus mir zurück. Ich krieche hastig zur Toilette und beuge mich darüber. Geistesgegenwärtig bindet Tai meine Haare zu einem Zopf zurück, der sich irgendwann beim Sex gelöst haben muss, wobei ich bereits zu würgen beginne. „Ich mache dir nachher einen Reisbrei. Du musst etwas essen, Yamato. Dein Magen ist vollkommen leer. Proteste dulde ich nicht.“ Ich schweige. Mein vom Sex mit Schweiß benetzter Körper wird nun von einem Schweißfilm durch den Entzug überdeckt. „Deine feucht schimmernde Haut erregt mich“, flüstert Taichi in mein Ohr. „Aber ich denke, wir sollten uns noch einmal abduschen.“ Ich nicke leicht. Meine Atmung ist schwerfällig von der Anstrengung des Würgens. Hätte ich nicht alle Substanzen meinem Vater gegeben, wäre jetzt der Punkt erreicht, an dem ich aufgeben und mich mit allem zudröhnen würde, was mir in die Finger käme. Ich ertrage die Realität nicht mehr. Kapitel 24: ------------ „Er sieht schlimm aus“, glaube ich meinen Vater sagen zu hören. Die Tür meines Zimmers wird leise geschlossen. Eine kühle Hand legt sich auf meine Stirn. „Wie verlief der Tag? Hat mein Sohn dir Schwierigkeiten bereitet? Es tut mir leid, dass ich dir diese Last, den Entzug mit Yamato zu machen, aufbürde. Zumal du genug eigene Probleme hast.“ „Bitte machen Sie sich keine Vorwürfe. Ich möchte auf meinen Freund aufpassen und ihm helfen. Außerdem habe ich selbst einen Entzug hinter mir, dadurch verstehe ich, was mit Yamato gerade passiert.“ Die Stimmen klingen weit entfernt, unwirklich und irgendwie bedrohlich. Ich verstehe, was sie sagen, aber ich kann es nicht greifen. Die Worte rinnen wie Sand durch meine Hände. In immer kürzeren Abständen zieht es mich in diese Höhle, dunkel, kalt und doch bemerke ich es nicht. Mein kleiner Freund läuft neben mir, schweigend. Ein Ziel habe ich nicht. Auch suche ich keinen Ausgang. Ich weiß nicht einmal, wie ich an diesen Ort gelangt bin. Spielt das überhaupt eine Rolle? „Er hat den Entzug ziemlich unterschätzt. Den ganzen Tag musste er sich immer wieder übergeben, dabei würgte er lediglich Magensaft hinaus. Ich habe ihm vorhin einen Reisbrei gekocht, von dem er auch anstandslos ein wenig gegessen hat.“ Die kühle Hand auf meiner Stirn streicht nun sanft über meine Wange. „Er ist schweißnass“, bemerkt mein Vater mitfühlend. Mit seinen Fingern fährt er meinen Hals hinab, das Schlüsselbein entlang, wobei er mit seiner Hand ein wenig unter mein leicht geöffnetes Hemd gleitet, weiter über den Brustkorb, auf dem er seine Hand schließlich ruhen lässt. „Seine Atmung ist unregelmäßig und schwerfällig, sein Herzschlag ist etwas beschleunigt.“ „Das ist normal bei einem Entzug“, versucht mein Freund meinen Vater zu beruhigen. „Ich kann nicht zurück zu den anderen. Mein Bruder braucht mich nicht mehr, doch es ist ohnehin egal. Taichi ist viel wichtiger. Er ist immer für alle da.“ Energisch versuche ich die Pranke meines Begleiters abzuschütteln, als dieser mir klarmachen möchte, dass wir an diesem Ort nicht bleiben können. Verzweifelt redet er auf mich ein, will mir helfen, doch ich höre ihn nicht mehr. Viel zu tief versinke ich in meinem Selbstmitleid, weil ich mich als nutzlos und ersetzbar betrachte. „Hat er Wahnvorstellungen?“ „Ja, er befindet sich gerade im Delirium. Offenbar ist er in einer anderen Welt gefangen. Er war vorhin der Meinung, gegen eine Marionette kämpfen zu müssen. Und soweit ich es verstanden habe, sprach er zuvor mit einem riesigen, uralten Kirschbaum, der ihn manipulierte und gegen seine Freunde auflehnte.“ „Wenn es nicht so tragisch wäre, könnte man fast darüber lachen.“ Die Stimme meines Vaters zittert bei dieser Bemerkung. Ich spüre, wie die Last von meiner Brust genommen wird, als er seine Hand hebt und bedächtig die Knöpfe meines Hemdes öffnet. „Taichi, gibst du mir bitte ein frisches Oberteil aus dem Schrank?“ Mein Fall endet in einer Seifenblase, die mich nun schützend umgibt. Ich lasse mich treiben in einem See aus Tränen, einem Meer der Dunkelheit. Rufe aus der Ferne dringen an mein Ohr, mein Name. Ich wende mich um, doch dort ist niemand zu sehen. Als ich wieder nach vorn schaue, blicke ich direkt in die mir wohlbekannten, wunderschönen braunen Augen. Taichi sitzt vor mir. In meiner Seifenblase. Wir sind beide wieder elf Jahre alt. Dabei hatte ich bis eben nicht einmal ein Alter. Fürsorglich streift mein Vater mir das Hemd von den Schultern, liebkost dabei mit seinen kühlen Fingern meine feuchte, mit Schweißperlen bedeckte Haut. „Immer nimmst du dir, wonach es dir verlangt, ohne an mögliche Folgen zu denken.“ Vorwurfsvoll sieht mein bester Freund mich an. Ich erschrecke, als wir uns plötzlich in meinem Zimmer befinden. „Du bist wahnsinnig! Merkst du nicht, dass deine Gefühle reine Besessenheit sind?“ Derselbe Wortlaut, dieselbe Betonung wie damals. „Nein, keine reine Besessenheit.“ Ich schaue Taichi an. Schluchzend, zusammengekrümmt und zum Teil entblößt liegt mein bester Freund vor mir. Ein Bild, welches sich mir schon einmal so dargeboten hat und das ich nie vergessen habe. „Ich bin nicht krank, ich bin nicht krank, ich bin nicht krank“, beschwöre ich, ohne den Blick von diesem geschändeten Körper abzuwenden. Doch selbst in dieser Verfassung ist er noch unglaublich schön. „Es ist alles gut, mein Sohn.“ Besorgt nimmt mein Vater meinen stark zitternden, teils verkrampften, aber ansonsten leblosen Körper in seine Arme. Die Seifenblase zerplatzt und ich bekomme keine Luft. Taichi lächelt mich an. „Lass dir helfen.“ Als würde ich aus einem traumlosen Schlaf erwachen, öffne ich die Augen. Mein kleiner, digitaler Freund hält meine Hand so fest, als hätte er Angst, ich würde sonst verschwinden. „Bitte geh nicht wieder. Bleib bei mir in der Realität. Ich musste so lange auf dich warten und war so glücklich, als ich dich endlich gefunden hatte.“ „Ich weiß. Du bist mein Partner, da kann ich dich nicht einfach allein lassen. Aber…“ „Nein, Yamato. Was soll der Unsinn, dich mit Taichi zu vergleichen? Du wirst genauso gebraucht und bist wichtig!“ „Danke, Gabumon. Das ist jedoch nicht das Problem. Er ist für alle da, ich will ihn aber für mich allein, verstehst du?“ Mein digitaler Freund nickt. „Egal, was passiert oder was du willst. Ich bin immer auf und an deiner Seite.“ „Was denkst du, wie lange die Entzugssymptome noch anhalten, Taichi?“ „Eigentlich müssten sie in den nächsten Stunden langsam abklingen.“ In ein frisches Hemd gekleidet, legt mein Vater mich zurück auf das Laken. Ich schaue ihn an. „Yamato, hörst du mich?“, fragt er hoffnungsvoll. „Ich danke dir, mein Freund. Mir geht es jetzt schon viel besser. Weißt du, dass ich nun froh bin mit in das Sommercamp gefahren zu sein? Sonst hätte ich dich nie getroffen.“ Voller Zuneigung umarme ich Gabumon, sein weiches Fell, welches eigentlich nur aus Daten besteht, auf meiner Haut zu spüren, ist ein seltsam vertrautes Gefühl. „Aber zunächst müssen wir diesen Clown töten, wenn wir nicht selbst sterben wollen.“ „Könnte es passieren, dass er aus diesem Wahn keinen Weg zurück findet?“ „Nein, ich glaube nicht. Würden Sie sich wohler fühlen, wenn wir Yamato in ein Krankenhaus bringen?“, schlägt Tai vor. „Ich weiß es nicht. Warten wir noch etwas ab.“ „Dir geht es also besser. Nach allem, was du tust, nicht tust… und vor allem bisher getan hast.“ Ich wende mich erschrocken um. Ein Junge mit blonden Haaren und blauen Augen sieht mich lächelnd an. „Keine Schuldgefühle? Keine Reue?“ „Ich weiß es nicht“, gebe ich ehrlich zu. Halt suchend strecke ich meine Hand nach Gabumon aus, doch er ist nicht mehr an meiner Seite. „Schneide dir die Pulsadern auf. So, wie Akito es getan hat.“ „Nein, ich kann das nicht. Noch nicht.“ Ich wende mich ab und setze einen Schritt vor den anderen. „Du wirst hier nicht rauskommen. Ebenso wenig wie ich.“ „Wie lange bist du schon hier?“ „Zeit spielt an diesem Ort keine Rolle. Man vergisst sie, weil man sie nicht braucht.“ „Und was tust du hier, wenn du an diesen Ort gefesselt bist?“ „Auf meinen Tod warten.“ „Warum tötest du dich nicht selbst?“ „Weil nur du das kannst.“ „Wieso ich?“, möchte ich irritiert wissen. „Er scheint etwas ruhiger zu werden. Und er hat seine Augen gerade geschlossen. Vielleicht schläft er jetzt ein wenig.“ Mein Vater streicht mir einige Strähnen aus dem Gesicht. „Das hoffe ich auch. Sein Körper muss sich wieder erholen.“ „Taichi, ich danke dir, dass du für Yamato trotz allem da bist. Und auch für mich. Dein Beistand bedeutet mir wirklich viel. Ich weiß, was für eine Bürde ich dir auferlege. Und als Erwachsener sollte ich dir erst recht nicht derart viel zumuten, aber…“ Irgendwo am Rande meiner Wahrnehmung bekomme ich mit, dass eine längere Pause entsteht. „Sagen Sie nicht solche Dinge“, flüstert mein Freund anschließend kaum hörbar. „Ich mag Sie wirklich sehr. Und auch Sie geben mir Kraft. Zudem liebe ich Ihren Sohn über alles, trotz dass oder gerade weil er so ist, wie er ist.“ Wieder folgt vermeintliches Schweigen. „Sie werden mir fehlen, wenn Sie wieder in Deutschland sind.“ Nach wie vor spricht Taichi im Flüsterton. Er wird leiser, sodass ich den nächsten Satz nicht verstehe. „Ja, mir geht es auch so“, entgegnet mein Vater traurig. „Gibt es nun schon eine Lösung für Yamatos Verbleib?“ „Mehr oder weniger. Später, wenn er den Entzug überstanden hat, wollte ich mit ihm darüber sprechen.“ Ich kehre nicht noch einmal zurück in die eine oder andere Realität, sondern drifte ab in die Dunkelheit, in das Nichts. Offenbar mitten in der Nacht wache ich auf. Mein Kopf dröhnt, mein Körper fühlt sich schwach und unangenehm verschwitzt an. Behutsam drehe ich mich zur Seite. Taichi liegt neben mir. An seiner ruhigen Atmung erkenne ich, dass er schläft. Mit meinen Fingern streife ich leicht durch seine Haare, dann hauche ich einen Kuss auf seine Schläfe. „Ich liebe dich, Taichi Yagami“, flüstere ich voller Zuneigung. Leise erhebe ich mich aus dem Bett und verlasse auf wackeligen Beinen das Zimmer. Aus der Küche fällt Licht in den Flur, weshalb ich meine Schritte in diese Richtung lenke. „Yamato.“ Sofort stellt mein Vater seine Kaffeetasse ab, steht auf und kommt mit besorgter Miene auf mich zu. „Wie geht es dir. Du bist schrecklich blass.“ Mit seinem Daumen fährt er über die Haut unter meinen Augen, dann zieht er mich an sich und küsst meine Stirn. „Während deines Deliriums hast du Fieber bekommen. Aber es scheint zum Glück gesunken zu sein. Vermutlich hat dein Körper aufgrund deiner allgemein schlechten Verfassung den ohnehin anstrengenden Entzug nicht verkraftet. Allerdings hätte ich auch verhindern müssen, dass du die Drogen und die Benzodiazepine gleichzeitig absetzt.“ „Papa, bitte gib nicht dir die Schuld. Ich denke, das Schlimmste habe ich überstanden.“ Flüchtig hauche ich einen Kuss auf seine Lippen. „Ich liebe dich.“ Schließlich löse ich mich von ihm und gehe zur Kaffeemaschine. Dem Schrank entnehme ich eine Tasse und fülle sie mit der fast schwarzen Flüssigkeit. Ein leichtes Schwindelgefühl ergreift Besitz von mir, doch ich versuche nicht zu wanken, als ich an meinem Vater vorbei zu meinem Stuhl gehe. Ich möchte ihm nicht noch mehr Sorgen bereiten. „Meine Suchtmittel habe ich dir restlos ausgehändigt. Und wahrscheinlich wirst du mich gleich alarmiert ansehen, aber mein Kopf schmerzt unerträglich.“ Seufzend nimmt mein Vater am Tisch auf dem Stuhl mir gegenüber Platz. „Du willst ein Schmerzmittel, hab ich recht? Wie viele von den hochdosierten Tabletten brauchst du, um eine Wirkung zu erzielen?“ „Pauschal kann ich das nicht sagen.“ Einen Moment schweige ich und senke meinen Blick. „Meist irgendwas zwischen acht und sechzehn Tabletten. An manchen Tagen hilft selbst eine noch höhere Einnahme nicht.“ Mein Vater bleibt gefasst, da wir über diese Problematik schon einmal gesprochen haben. „Wie oft nimmst du diese Überdosierungen inzwischen?“ Ich beschließe weiterhin ehrlich zu sein. „Nahezu täglich, manchmal sind es aber auch nur drei bis vier Tage in der Woche.“ „Vermutlich sind deine Schmerzen auch Absetzungserscheinungen, medikamenteninduziert. Wir hatten das Thema, wie du weißt, schon mehrfach, Yamato. Es tut mir leid, da du durch den Entzug schon stark belastet bist, aber ich werde dir kein schmerzstillendes Mittel geben.“ Vorsichtig nippe ich an meiner Tasse. „Irgendwie wusste ich, dass du das sagen würdest.“ Ich lächle ihn an und trinke einen weiteren Schluck Kaffee. Schweigend betrachtet mich mein Vater. „Du gehst wirklich wieder zurück nach Deutschland, oder?“ Meine Stimme zittert und meine Kehle schnürt sich schmerzhaft zu. Er nickt. „Ohne dich werde ich es nicht schaffen, Papa“, äußere ich mich unerwartet kalt und nüchtern. „Du weißt, dass ich sonst meinen Posten verliere und in eine andere Abteilung versetzt werde.“ „Ja. Es tut mir leid, meine Äußerung war egoistisch.“ Erneutes Zittern ergreift von meinem Körper Besitz. „Yamato, du weißt, dass ich dich gerade wegen deiner Probleme nicht allein lassen möchte. Ich liebe dich, aber ich kann dir nicht vertrauen. Dich zurücklassen zu müssen tut extrem weh und ich habe eine wahnsinnige Angst um dich. Ich befürchte, dass du endgültig abstürzen wirst. Aus diesem Grund bricht meine Entschlossenheit immer wieder ein, denn du bist das Wichtigste in meinem Leben.“ „Nein, du hast recht. Deine Arbeit ist wichtig, der darf ich nicht im Weg stehen.“ Fahrig wische ich über meine Augen. Das Schwindelgefühl wird stärker, meine Sicht verschwimmt und mein Kopf ist wie vernebelt. „Du hast einen neuerlichen Schub, oder? Deine Haut schimmert feucht vom Schweiß und dein Körper schlottert regelrecht.“ „So schlimm ist es nicht. Bleibe ich dann ganz allein hier? Taichi darf von seinen Eltern aus nicht wieder einziehen, sie haben zu viel Angst, dass er ohne Kontrolle rückfällig werden könnte.“ „Ja, ich weiß. Darüber wollte ich noch mit dir reden. Allerdings hatte ich vor zu warten, bis es dir besser geht.“ „Was genau gibt es zu besprechen?“ Mein Vater erhebt sich und bleibt vor mir stehen. Vorsichtig, als hätte er Angst, mich zu zerbrechen, legt er seine Hand auf meine Stirn. „Das Fieber ist wieder ziemlich gestiegen. Wir reden später darüber. Jetzt gehst du erst einmal ins Bett zurück. Du musst deinem Körper die Möglichkeit geben, sich zu erholen. Er hat es wirklich nötig bei dem, was du ihm alles zumutest.“ „Vielleicht hast du recht“, lenke ich unerwartet vernünftig ein. Auch meinem Vater scheint der für mich eher beängstigende Gehorsam aufzufallen. Ich führe erneut die Kaffeetasse zu meinem Mund und leere sie mit großen Schlucken, in der Hoffnung, dass das Koffein ein wenig gegen die Kopfschmerzen wirkt. Unsicher stehe ich auf und verliere auch sofort mein Gleichgewicht. Geistesgegenwärtig hält mein Vater mich fest. Um mich besser stützen zu können, legt er seinen Arm um meine Hüfte. „Ich dachte, das Schlimmste wäre überstanden?“, fragt er deutlich besorgt. „Keine Angst, ich werde schon nicht sterben“, entgegne ich mit einem verkrampften Lächeln. „Papa, darf ich dich um einen Gefallen bitten?“ „Natürlich.“ „Bevor ich zurück ins Bett gehe, würde ich mich gern abduschen. Ich weiß nicht, ob ich es allein schaffe.“ Langsam richte ich mich auf und schaue meinem Vater in die dunklen, müde wirkenden Augen. Er nickt und lenkt meine Schritte behutsam in Richtung des Bades. Während ich kühles Wasser über meinen erhitzten Körper laufen lasse, sitzt mein Vater auf dem Toilettendeckel und mustert meinen Körper. „Gefällt dir, was du siehst?“, ziehe ich ihn liebevoll auf. „Ich würde eher sagen, es ängstigt mich, was du dir alles antust. Als Vater habe ich ziemlich versagt.“ „Nein!“, bringe ich ihm ohne zu zögern entgegen. „Denk nicht einmal daran, dir die Schuld an irgendwas zu geben.“ Ich schalte das Wasser ab und gehe tropfnass zu meinem Vater. „Ich weiß, dass du die Scheidung nie verwunden hast, Yamato.“ „Papa, ich fühle mich merkwürdig. Mein Körper… unter meiner Haut kribbelt es seltsam taub.“ Bevor ich reagieren kann, bringt mich das stärker werdende Schwindelgefühl aus dem Gleichgewicht und somit zu Fall. Benommen bleibe ich auf den angenehm kalten Fliesen liegen. „Yamato? Hörst du mich?“ Schützend nimmt mein Vater mich in den Arm. „Ja, es tut mir leid.“ Tränen laufen über meine Wangen. „Die Scheidung ist nicht an allem schuld, falls sie überhaupt Einfluss auf die folgenden Gegebenheiten hatte und hat.“ Meine Stimme ist kraftlos, unbeständig. „Ich trockne dich erst einmal ab und dann bringe ich dich ins Bett. Dein Zustand ist für solche Themen nicht der beste.“ Mit einem Handtuch umhüllt er meinen Körper, dann drückt er mich fest an sich. „Was ich dir angetan ha…“ „Shh. Später.“ Sorgfältig tupft er über meine Haut. Jede seiner Berührungen fühlt sich durch das Fieber intensiver an. Erschöpft schließe ich meine Augen. „Ich will jetzt wieder zu Taichi“, flüstere ich müde, dabei hebe ich meine Hand und ziehe den Kopf meines Vaters zu mir hinab. Verlangend lecke ich über seine Lippen, doch er wendet sich ab. „Es tut mir leid. Ich wollte dich nur küssen.“ Ein leichter Schweißfilm bedeckt bereits wieder meinen Körper. Meine Atmung ist schwerfällig. „Meine Liebe zu dir ist falsch, oder?“ Die Frage ist eher auf das Fieber, die daraus resultierende Verwirrtheit und meine Verzweiflung zurückzuführen, als auf eine plötzlich gewonnene Erkenntnis. „Yamato…“ Mitfühlend betrachtet mein Vater mich. Nur mit großem Kraftaufwand und seiner Hilfe gelingt es mir, auf die Beine zu kommen. Behutsam bringt er mich zu meinem Zimmer. „Ich liebe dich, auch wenn ich es nicht darf. Bitte sei mir deswegen nicht böse.“ Ohne auf eine Reaktion zu warten, löse ich mich von ihm. Hinter mir schließe ich mit einem beklemmenden Gefühl die Tür. Zitternd lege ich mich neben meinen Freund und krümme mich weinend zusammen. Ich fühle mich wie ein kleines, dummes Kind und unglaublich einsam. „Komm her“, murmelt Taichi schläfrig und zieht mich dicht an sich. „Irgendwie mag ich es, wenn du so hilflos in meinen Armen liegst, wenn du wehrlos in meiner Gewalt bist.“ Er raunt diese Worte voller Begehren in mein Ohr. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Und mich erregt es, wenn du mich deine Gewalt spüren lässt. Bitte lass mich nicht los.“ Meine Haut ist mittlerweile schweißnass, das Zittern lässt nicht nach, ebenso wie das Schwindelgefühl und die merkwürdigen Körperempfindungen, auch in meinem Kopf pulsiert es unverändert schmerzhaft. Dennoch beruhigt mich die Nähe meines Freundes so sehr, dass ich nach einer Weile eng an ihn geschmiegt einschlafe. Hinter mir schließe ich die Wohnungstür, stelle meine Tasche im Flur an der Wand ab und ziehe meine Schuhe sowie Jacke aus. Zielgerichtet gehe ich in die Küche. In der Kaffeekanne ist noch kalter Kaffee, den ich mir restlos in eine Tasse fülle und in einem Zug gierig austrinke. Dann begebe ich mich ins Wohnzimmer. Niemand befindet sich darin, weshalb ich umkehre. Vor der Tür zum Zimmer meines Vaters bleibe ich stehen. Kurz überlege ich, ob ich anklopfen soll, entscheide mich dann allerdings dagegen und begebe mich in mein eigenes Zimmer. Ohne nachzudenken schalte ich den Fernseher ein und lege mich auf mein Sofa. Mir fällt ein, dass ich meinen Vater vielleicht doch über meine Rückkehr informieren sollte. Falls er mich nicht gehört hat, macht er sich sicher Sorgen. Ich stehe wieder auf, gehe zurück und klopfe diesmal an. Nur mit leichter Verzögerung öffne ich die Tür und schaue in den Raum. „Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich wieder da bin.“ Sogleich wende ich mich um und will die Tür hinter mir schließen, als mein Vater mich verbal zurückhält. „Yamato, komm bitte rein und setz dich“, fordert er mich freundlich auf. Argwöhnisch betrachte ich ihn und komme dem nur zögernd nach. Weiß er, dass ich gelogen habe? Hat er herausgefunden, dass ich Heroin fixen war und nicht mit einem Klassenkameraden für die Prüfung gelernt habe? Mit einem unguten Gefühl nehme ich auf seinem Bett Platz. „Wie fühlst du dich? Traust du dir zu, morgen wieder zur Schule zu gehen?“ Ich atme innerlich auf. „Ja, ich bin bereits seit zwei Tagen komplett symptomfrei. Sowohl von dem Benzodiazepin als auch von dem GHB bin ich runter. Morgen gehe ich wie geplant zur Schule“, bestätige ich lächelnd. „Okay. Wie kommst du mit dem Lernen voran?“ Ich versuche den Augenkontakt zu halten, um glaubwürdig zu wirken. „An sich ganz gut. Nur, wenn du es erlaubst, würde ich gern jedes Wochenende bei meinem Mitschüler lernen. Abends bin ich aufnahmefähiger, das Lernen bringt mir dann immer am meisten. Für ihn und seinen Vater ist es in Ordnung.“ „Was ist mit seiner Mutter?“ „Sie lebt nicht mehr, die Tante hilft oft im Haushalt, ich habe sie allerdings noch nie gesehen. Soweit ich weiß, ist sie nur in der Woche für ein paar Stunden da.“ Skeptisch hört mein Vater sich meine Ausführungen an. „Keine Sorge, du kannst Namen und Telefonnummer haben und dich bei seinem Vater nach dem Wahrheitsgehalt meiner Worte erkundigen. Ich ging ohnehin nicht davon aus, dass du mir glaubst. Nach allem, was bisher geschehen ist, kann ich das von dir auch nicht erwarten.“ Für einen langen Moment schweigt mein Vater. „Also gut, ich erlaube es dir“, lenkt er schließlich ein. „Gib mir bitte die Telefonnummer.“ Angespannt stehe ich auf und begebe mich zu ihm an den Schreibtisch. Mit einem Bleistift schreibe ich die Zahlen auf ein Stück Papier. Wenn mein Vater anruft, wird er mit meinem Freier sprechen, der meine Version bestätigt. Sollte im ungünstigeren Fall die Frau ans Telefon gehen, sollte mein Vater aufgrund der ihm bekannten Informationen eigentlich nach meinem Freier fragen. Und laut dessen Aussage geht der Sohn nicht ans Telefon. Es ist ein risikoreiches Unterfangen, aber mir bleibt keine andere Möglichkeit. Erst nach einem intensiven Gespräch stimmte mein Freier der wöchentlichen Heroingabe zu, kürzte mir aber im Gegenzug das GHB erheblich. Mit den Drogen will er mich nicht zerstören oder schwer abhängig machen. Vielmehr soll ich dadurch von ihm abhängig sein, damit er mich uneingeschränkt ficken kann. Dessen bin ich mir durchaus bewusst, zumal mein Freier es ganz offen zugab. Ich schaue meinen Vater an. „Zufrieden? Am frühen Abend ist er meist zu Hause.“ Mit meinem Bein berühre ich unbeabsichtigt das Knie meines Vaters. Erneutes Verlangen kriecht in mir empor. Ich will ihn spüren, seine Haut auf meiner und ihn tief in mir. Fahrig hebe ich meine Hand und berühre seine Schläfe. Traurig blicke ich ihn an, dann wende ich mich ab und setze mich zurück auf das Bett. In, für meinen Vater, sichere Entfernung. Er hat bewiesen, dass seine Drohungen nicht immer ins Leere laufen, dass er sie durchaus wahr macht. Für mich ist nun nicht mehr abschätzbar, was passiert, wenn ich mich noch einmal an ihm vergreife. Dabei wird meine Sehnsucht von Tag zu Tag größer. Mittlerweile versuche ich mir verzweifelt vorzustellen, statt von meinem Freier, von meinem Vater gefickt zu werden. Das Alter und die Statur stimmen zwar überein, dennoch fühlen sie sich in mir unterschiedlich an. Ich kann meinen Vater durch niemanden ersetzen, ebenso wenig wie ich Taichi ersetzen konnte. Selbst mit Akito nicht. Und auch seine Stelle wird niemand einnehmen können. Sie wird für immer leer bleiben. Mein Vater machte mir zwar Hoffnung, als er meine Befürchtung, nie wieder Sex mit ihm haben zu werden, nicht bestätigte und meinte, ich solle meine Auflagen einhalten und dann würden wir weitersehen, aber ich bin mir sicher, dass er mich anlog. Er hat nicht vor, noch einmal mit mir zu schlafen. Ohnehin wird er bald wieder in Deutschland sein, dann hat sich dieses Thema sowieso für die nächste Zeit erledigt. Tränen füllen meine Augen. Ich drehe mich ein wenig, sodass mein Vater mein Gesicht nicht sehen kann. „Du wirkst seit einigen Tagen sehr haltlos, Yamato“, stellt der nachdenklich fest. „Es ist schwierig, sich ohne Drogen in der Realität zurechtzufinden, oder?“ Ich nicke stumm und denke an das Fläschchen GHB in meiner Tasche oder die Nadel, mit der ich mir letzte Nacht flüssiges Glück in die Venen spritzte. Da ich noch kein sonderlich geübter Fixer bin, bildete sich um die Einstichstelle ein Hämatom, weshalb ich aufpassen muss, dass die nächste Zeit niemand meinen Arm zu Gesicht bekommt. „Nächste Woche beginnt die ambulante Therapie…“, werfe ich nüchtern in den Raum. „Yamato, ich kenne deine Meinung dazu, aber bitte lass dich dennoch darauf ein. Sonst kann es natürlich nichts bringen.“ Am liebsten würde ich abfällig lachen und eine zynische Bemerkung machen. Ich kann nicht mehr verhindern, dass Tränen über meine Wangen laufen. Tränen der Wut, der Verzweiflung, des Verlangens, aber auch der Resignation. „Ich bemühe mich“, sage ich knapp und noch immer von ihm abgewandt. „Entschuldige, aber ich brauche einen Moment für mich.“ Unsicher stehe ich auf und verlasse das Zimmer meines Vaters, ohne auf ihn zu achten. Aus dem Flur nehme ich die Schultasche mit und schließe meine Tür hinter mir ab. Entnervt schalte ich den Fernseher wieder aus, dann krame ich das kleine, braune Fläschchen hervor und nehme eine geringe Menge des GHB ein. Anschließend verstecke ich die Droge in einem der Sockenpaare aus meinem Schubfach. Als nächstes hole ich eine CD aus der Tasche, die ich schon vor einiger Zeit kaufen wollte. Dummerweise kam der Klinikaufenthalt dazwischen. Ich lege sie in den Player und lasse mich kraftlos auf das Bett fallen. Schmerzlich ersehne ich die angstlösende, euphorisierende Wirkung herbei, um darin ein wenig Halt zu finden. Mir fällt ein, dass mein Vater skeptisch werden könnte, wenn er meine Tür verschlossen vorfindet, also stehe ich auf, drehe den Schlüssel im Schloss und lege mich wieder hin. Zunächst starre ich an die Decke, lasse die Musik auf mich wirken. Es handelt sich um ein neues Album einer der Lieblingsbands Akitos, auf dem sich interessanterweise ein Lied befindet, welches den zweiten Teil eines der Lieder auf dem Vorgängeralbum darstellt. Einmal mehr wird mir bewusst, wie sehr ich Akito vermisse. Oft frage ich mich, ob er sich gegen den Tod entschieden hätte, wenn ich zu ihm durchgedrungen wäre und wir uns eine Chance gegeben hätten. In allen Belangen verstanden wir einander, nur die Drogen waren ein leidiges Streitthema. Wüsste er, was für ein Junkie aus mir geworden ist, würde er unglaublich wütend werden und mich wahrscheinlich bis zur Bewusstlosigkeit zusammenschlagen. Bei diesem Thema kannte er keine Kompromisse, keine Nachsicht und keine Ausnahme. Trotzdem, oder gerade deswegen, spürte ich seine Liebe für mich deutlich. Ich schließe meine Augen, als das besagte Lied beginnt. Du suchst nach Medizin und brauchst die Batterie. Dir fehlt die Disziplin und auch die Energie. Schau dich an! Was ist nur aus dir geworden? Hast du auch alles brav in dich hineingefressen? Willst du dich auf Raten nun selbst ermorden, um die mageren Jahre endlich zu vergessen? Selbst völlig nackt fühlst du dich falsch angezogen, zu schwer bepackt und irgendwie, als wärest du auf Drogen. Wie füllst du deine Leere aus? Mit letzter Kraft kriechst du umher. Du wohnst in deinem Panzerhaus und trägst daran so furchtbar schwer. Das Leben schmeckt so schal. Der Geist ist dünn und matt. Die Welt ist leer und kahl, und du wirst niemals satt! Kannst du dich damit denn am Ende brüsten? Denn niemals riefst du dich alleine zu den Waffen. Die Verteidigung war leicht aufzurüsten, leichter, als dich endlich wieder aufzuraffen. Selbst völlig nackt fühlst du dich falsch angezogen, zu schwer bepackt und irgendwie, als wärest du auf Drogen. Wie füllst du deine Leere aus? Mit letzter Kraft kriechst du umher. Du wohnst in deinem Panzerhaus und trägst daran so furchtbar schwer. Morgen bist du nichts als ein alter Recke, der sich am Ende immer selbst zu retten scheute. Bleibst du in der Spur und statt Falter Schnecke, wird dir klar: Du bist des Wahnsinns fette Beute. Wie füllst du deine Leere aus? Mit letzter Kraft kriechst du umher. Du wohnst in deinem Panzerhaus und trägst daran so schwer. Wie füllst du deine Leere aus? Mit letzter Kraft kriechst du umher. Du wohnst in deinem Panzerhaus und trägst daran so furchtbar schwer. Tränen laufen unablässig über mein Gesicht. Ich drehe mich zur Seite und krümme mich heftig weinend zusammen. Mein Körper ist vollkommen verkrampft. „Akito…“, hauche ich stimmlos. „Verzeih mir, Taichi… ich weiß, du hasst ihn… aber er wird immer in mir sein. Ich spüre ihn, halte ihn fest. Ich kann ihn nicht gehen lassen. Ich will es nicht.“ Sämtliche Gefühle für Akito, meinen Vater, aber vor allem für Taichi scheinen meine Eingeweide zu zerquetschen. Gibt es emotionalen Wahnsinn? Lebe ich diesen tagtäglich aus und zerbreche damit die Menschen, die ich liebe? Ist nicht schon genug passiert? Habe ich nicht schon genug Schaden angerichtet? Ich muss dem ein Ende setzen. Das beklemmende Gefühl lässt ein wenig nach und Erleichterung tritt an diese Stelle. Ob es an der einsetzenden Wirkung der Droge liegt oder mit meinem Entschluss zusammenhängt, vermag ich nicht zu sagen. Ich atme tief durch, dann legt sich ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. „Yamato, kommst du essen?“ Mein Vater schaut zur Tür herein. Unmerklich zucke ich zusammen, da ich ihn nicht mitbekommen habe, ebenso wie ich die einsetzende Dämmerung nicht wahrnahm. Ich bin nach wie vor drauf, müsste es aber vor meinem Vater verbergen können, da die eingenommene Dosis sehr niedrig war. Noch immer von Leichtigkeit umhüllt setze ich mich auf. „Entschuldige, habe ich dich geweckt?“ Sanft lächelnd schüttle ich den Kopf. Mit traurigem Blick setzt mein Vater sich zu mir auf das Bett. „Aber du hast geweint. Deine Augen sind ganz rot und verquollen.“ Einfühlsam berührt er mein Gesicht, doch ich entziehe mich dem sofort und stehe auf. „Lass uns in die Küche gehen, das Essen wartet.“ Noch immer lächle ich ihn an, schalte den CD-Player aus und verlasse mein Zimmer. Der Tisch ist bereits gedeckt. Ich setze mich und betrachte diese typisch japanische Mahlzeit. Misosuppe, Reis und eingelegtes Gemüse. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich eingelegtes Gemüse hasse, und bisher habe ich mich immer geweigert, dieses widerliche, salzige Zeug zu mir zu nehmen, doch dieses Mal esse ich es anstandslos, wobei ich jedoch krampfhaft versuche die aufkommende Übelkeit niederzukämpfen. Lange schweigen wir während des Abendessens, allerdings bemerke ich, dass mein Vater mich ganz genau beobachtet und dabei ein nachdenkliches, scheinbar abwägendes Gesicht macht. „Yamato“, setzt er schließlich an. Ich schaue nicht auf und stopfe mir noch eine Stäbchenportion Reis in den Mund. „Es geht um die Zeit, die ich in Deutschland sein werde.“ Schweigend schlürfe ich die Misosuppe. Mir ist schlecht, aber ich drängle mir die Lebensmittel weiter rein. Ich frage mich, ob die Übelkeit an dem Essen oder der aufkommenden Thematik liegt. „Du weißt, dass ich dich nicht mitnehmen kann, aufgrund deines bevorstehenden Schulabschlusses. Zudem würdest du Taichi ohnehin nicht zurücklassen wollen, hab ich recht?“ Mein Nicken ist zögerlich und sehr verhalten. „Die Klinik ist aus demselben Grund keine Option. Mir ist auch bewusst, dass ich dich damit wahrscheinlich seelisch töten würde. Aber komplett ohne Aufsicht kann ich dich nicht lassen und ich hoffe, in diesem Punkt bringst du Verständnis für mich auf. Ich liebe dich und habe eine wahnsinnige Angst, dich zu verlieren.“ „Ich weiß, Papa.“ Meine Stimme ist dünn, das Schlucken schmerzhaft. Ich habe ein ungutes Gefühl. „Gut, denn es gibt Regeln, an die du dich zwingend zu halten hast. Du wirst dich mindestens einmal am Tag telefonisch bei mir melden. Ebenso werde ich Kontrollanrufe zu unbestimmten Zeiten tätigen. Sollte ich dich nicht erreichen, versuche ich es noch ein paar Mal. Nimmst du auch dann nicht ab, informiere ich Taichi. Im Notfall, wenn er dich nicht findet und auch kein Lebenszeichen von dir erhält, schaltet er die Polizei und gegebenenfalls den Notarzt ein. Dass diese letzte Maßnahme die geschlossene Psychiatrie bedeutet, ist dir sicher bewusst. Ich gebe ihm zudem den Wohnungsschlüssel zurück, den er besaß, als ich das erste Mal in Deutschland war und er hier wohnte. Somit hat er die Möglichkeit, jederzeit nach dir zusehen.“ „Einverstanden“, stimme ich widerstandslos zu. Mit dieser Art von Kontrolle kann ich leben. „Zum Abendessen wirst du zu Takeru und deiner Mutter gehen, damit sie wenigstens etwas auf deine Ernährung achten kann.“ Vor Entsetzen rutschen mir die Stäbchen aus der Hand und landen geräuschvoll auf dem Tisch. „Nein!“ Ich schüttle fassungslos meinen Kopf. „Ich war seit Jahren nicht mehr dort und habe sie ebenso lange nicht gesehen. Sie kennt mich im Grunde nicht einmal.“ „Ich habe mit ihr über dich gesprochen, als ich sie um ihre Mitarbeit bat. Sie weiß von deiner Drogenabhängigkeit, von deinem kürzlichen Entzug, von deinem selbstverletzenden Verhalten, insbesondere der Essensproblematik sowie dem Schneiden und ich klärte sie über deine sexuellen Neigungen auf. Manches wusste sie ohnehin bereits von Takeru. Dennoch war sie tief erschüttert. Sie möchte dir wirklich helfen, schließlich ist sie deine Mutter.“ „Wenn du mich schon so entblößt, hast du ihr dann auch erzählt, dass du mich fickst?“, werfe ich ihm feindselig entgegen. Sofort bereue ich jedoch meine unüberlegte Äußerung. „Es tut mir leid“, entschuldige ich mich kleinlaut, balle jedoch unter dem Tisch meine Hand schmerzhaft zur Faust. „Davon habe ich ihr ebenso wenig etwas gesagt wie von der Tatsache, dass du deinen Körper an ältere Männer verkaufst.“ Immer mehr kriecht die Übelkeit meine Kehle empor. „Aber am Wochenende bin ich bei meinem Klassenkameraden“, gebe ich zu bedenken. „Ich weiß, das habe ich deiner Mutter auch mitgeteilt.“ Erleichtert atme ich innerlich auf. Wenigstens mein wöchentlicher Herointrip ist nicht gefährdet. Zu dieser ganzen unsinnigen Unterhaltung und den gestörten Bedingungen fallen mir nur abfällige Bemerkungen ein, weshalb ich mich dazu ermahne, zu schweigen. „Eine Auflage gäbe es noch und ich bitte dich, ruhig zu bleiben.“ Abwartend schaue ich meinen Vater an. „Ich habe deiner Mutter gesagt, dass sie oder Takeru deinen Körper regelmäßig auf Schnittwunden untersuchen sollen, was ich im Übrigen ab sofort auch tun werde.“ „Wie bitte?“ Ungläubig weiten sich meine Augen. Mit dieser Maßnahme geht er zu weit. Brechreiz stellt sich bei der Vorstellung ein, von einer Frau, noch dazu der eigenen Mutter, nackt betrachtet und berührt zu werden. Ohne ein weiteres Wort stehe ich auf und laufe schnellen Schrittes ins Bad. Schmerzhaft würgend erbreche ich das Abendessen restlos in die Toilettenschüssel. Verkrampft und schwer atmend sinke ich auf die kalten Fliesen. Meine Kehle brennt und mein Brustkorb fühlt sich an, als würde er jeden Augenblick zerbersten. „Yamato.“ Mein Vater steht im Türrahmen und blickt hilflos zu mir hinab. Ich muss ein erbärmliches Bild abgeben. Wie so oft. „Ich bin einverstanden. Mit all deinen Bedingungen.“ Wieder lächle ich ihn an. „Obwohl du gelogen hast und trotz deren Erfüllung nicht mehr mit mir schlafen wirst.“ Schwerfällig stehe ich auf, bemüht darum, meinem Vater meine Tränen nicht zu zeigen. Ausgiebig wasche ich mir das Gesicht, spüle meine Mund gründlich aus, putze mir aber nur flüchtig die Zähne, um den widerwärtigen Geschmack loszuwerden. Dann presse ich mich an meinem Vater vorbei in den Flur, um in mein Zimmer zu gehen, werde allerdings von ihm aufgehalten. „Warte, Yamato“, sagt er ruhig, beinahe sachlich. Ich habe das Gefühl, nicht atmen zu können, als würde ich in einem Meer aus Dunkelheit immer tiefer fallen. Und mit jedem ausklingenden Trip wird es schlimmer. „Nein, lass mich einfach gehen!“ Verzweifelt versuche ich mein Handgelenk aus seiner Umklammerung zu lösen. Ohne Vorwarnung zieht mein Vater mich an sich und drückt mich mit dem Rücken gegen die Wand. Fast panisch versuche ich mich aus seiner Gewalt zu befreien, doch es gelingt mir nicht. Ich spüre seinen Körper dicht an meinem, seine Wärme, seinen Duft und meine Sehnsucht. „Du läufst jetzt nicht weg“, sagt mein Vater mit gedämpfter Stimme. „Was ist los, mein Sohn?“ „Bitte, hör auf mich zu berühren. Es ist wie bei einer Droge. Solange man ihr widersteht und ausweicht, mag es irgendwie gehen, aber sobald man auch nur ein winziges Bisschen davon kostet, kann man nicht mehr von ihr lassen, will mehr, will alles.“ „Yamato…“ Ein schwermütiges Seufzen kommt über seine Lippen. „Du sagtest, ich darf mir nicht mit Gewalt nehmen, was ich freiwillig nicht bekomme. Ich weiß nicht, ob ich deine Worte in vollem Umfang begreife, aber wenn ich nicht besitzen kann, wonach ich verlange, wonach ich mich sehne, dann ist es doch besser, das Objekt der Begierde ganz freizugeben und darauf zu verzichten, oder? Alles dazwischen ist nur grausame Folter.“ Tränen laufen unaufhörlich über mein Gesicht, meine Atmung ist unregelmäßig, tief und krampfartig. Ich versuche die Beherrschung über mich wiederzuerlangen, um nicht zu hyperventilieren, doch es gelingt mir kaum. Mein Vater zieht mich näher an sich, gibt mir Halt, als er merkt, dass ich zittere und meine Beine mich nicht mehr tragen. „Hör zu, Yamato“, flüstert er beruhigend in mein Ohr. „Nein! Nicht mehr.“ Ich schaffe es, ein Stück Kontrolle zurückzubekommen. Zwar noch immer heftig weinend gelingt es mir, wenigstens wieder selbstständig zu stehen und meinen Vater von mir zu stoßen. „Es ist in Ordnung, aber geh bitte. Verschwinde aus meinem Leben.“ Mein Tonfall ist kalt und emotionslos, doch meine Stimme bebt kaum merklich. Taichi sitzt bereits seit einer Weile an meinem Schreibtisch und kontrolliert die von mir gelösten Aufgaben auf ihre Richtigkeit, während ich, unruhig auf meinem Bett sitzend, im Raum umherblicke. „Das letzte Mal hattest du neunundsiebzig Prozent, oder? Du hast dich auf vierundachtzig Prozent verbessert. In der kurzen Zeit ist das wirklich gut. Allerdings bestehst du die Prüfung nur, wenn du mindestens fünfundneunzig Prozent erreichst, uns bleiben jedoch weniger als zwei Wochen.“ Er dreht sich zu mir um und sucht den Augenkontakt. „Ich weiß“, seufze ich und lasse mich nach hinten auf das Bett fallen. „Mehr als lernen kann ich leider nicht, doch irgendwie werde ich es schon schaffen.“ Mein Freund kommt zielgerichtet auf mich zu und nimmt grinsend neben mir Platz. „Mit Sicherheit. Lass uns eine Pause machen. Entspannung ist förderlich für deine Konzentration.“ „Okay, dann mache ich uns einen Kaffee.“ Schnell stehe ich auf und begebe mich in die Küche. Gerade als ich das Wasser in den Tank füllen möchte, spüre ich Taichi hinter mir. Er schlingt seine Arme um meine Hüfte und zieht mich eng an sich. „Warum läufst du vor mir weg?“, flüstert mein Freund vorwurfsvoll in mein Ohr. „Willst du mich ebenso wie deinen Vater von dir weisen und aus deinem Leben verbannen?“ „Woher…“, setze ich an, doch Tai packt abrupt meinen Körper und presst ihn mit dem Rücken gegen die Wand neben dem Fenster. Laut klirrend fällt die Kanne zu Boden, zerspringt in unzählige Teile. „Was hast du dir jetzt wieder in deinem hübschen Köpfchen zurechtgesponnen?“ „Lass mich los, Taichi!“, zische ich und versuche mich aus seinen Fängen zu befreien. „Nein. Du hörst mir jetzt zu!“ Er hebt seinen Arm und drückt ihn schmerzhaft an meine Kehle. „Hasst du deinen Vater?“ „Was? Nein!“, dementiere ich sofort ungehalten. Mein Herz schlägt schnell und hart gegen meinen Brustkorb. „Dann verstehe ich nicht, wie du so grausam sein kannst. Er liebt dich wahnsinnig, würde alles für dich tun. Warum tust du ihm das an? Weißt du eigentlich, wie sehr er unter deinem abweisenden Verhalten leidet? Du nimmst ihm das Wichtigste in seinem Leben, Yamato.“ „Dann kannst du ihn ja trösten. Sei lieb zu ihm und mach schön die Beine breit. Oder fickst du ihn?“, speie ich ihm bissig entgegen. Dass mein Freund dermaßen Partei für meinen Vater ergreift, macht mich rasend vor Eifersucht. „Ich ficke nur dich, Yamato. Im Gegensatz zu dir. Wie viele Freier stecken eigentlich derzeit ihren Schwanz in dich?“ „Keine Ahnung, ich habe sie nicht gezählt“, lüge ich wütend, denn eigentlich lasse ich nur noch den Lehrer wegen der Drogen an mich heran. Sonst niemanden. Taichi verstärkt seinen Druck und schneidet mir dadurch allmählich die Luftzufuhr ab. Meine Atmung wird schwerfälliger. „Du kleine Hure bist auch noch stolz darauf.“ Fassungslos sieht er mich an. „Was willst du eigentlich von mir? Warum bindest du mir erst auf die Nase, dass du mit meinem Vater vögelst, und dann beleidigst du mich, weil ich mit anderen ins Bett gehe?“ Ich halte seinem Blick verärgert stand. Selbst in dieser absurden Situation drohe ich in den Tiefen seiner Augen zu versinken. „Es tut mir leid“, sage ich plötzlich und völlig unerwartet. Mein Freund lässt seinen Arm irritiert sinken. „Yamato?“, hakt er sowohl skeptisch als auch besorgt nach. Ziemlich verloren lehne ich mich an Tai, suche seine Nähe, seine Wärme. „Bitte, halt mich fest!“ Ohne zu zögern legt er seine Arme schützend um mich. „Ich möchte dich wegen eines dummen Streits nicht auch noch verlieren.“ „Das wirst du nicht. Und du hast auch deinen Vater nicht verloren. Sprich noch einmal mit ihm, dann…“ „Nein. Es ist besser, so wie es ist.“ „Für wen? Du leidest darunter und er auch.“ „Liebst du meinen Vater?“ Ich stelle meine Frage leise, unsicher. Seufzend drückt mein Freund mich näher an sich. „Was soll die Frage?“ „Du schläfst mit ihm. Ist es da nicht naheliegend? Zudem scheint ihr regen Kontakt zu haben und euch alles zu erzählen.“ Nur den Sex mit seinem eigenen Sohn hat mein Vater ihm bisher offenbar verschwiegen. Wahrscheinlich weil Taichi ihn wegen des Inzests verachten würde. „Ich kann dich von deinen Zwangsgedanken nicht befreien, oder?“ Seine Stimme klingt traurig. „Warum streitest du es noch ab, obwohl euer Verhalten eindeutig ist? Als ich im Delirium war, habe ich dennoch einiges mitbekommen. Ihr habt euch geküsst. Es war ein sehr inniger, leidenschaftlicher und doch unglaublich liebevoller Zungenkuss.“ Tai schiebt mich etwas von sich, um mich anschauen zu können, hält mich aber weiterhin am Oberarm fest. Mit der freien Hand streicht er durch meine Haare, von den Schläfen beginnend, hinab zu den Spitzen, die bis über die Schultern reichen. „Wie du bereits sagtest, du warst im Delirium. Was du gesehen hast, war eine dadurch ausgelöste Wahnvorstellung.“ Es wäre möglich, dass mein Freund recht hat, aber so fühlt es sich nicht an. Trotzdem schweige ich. Zärtlich berührt Taichi meine Lippen. Obwohl der Kuss sanft und zurückhaltend, nahezu unschuldig ist, fühlt er sich unendlich schmerzhaft an. Lautes Stöhnen erfüllt mein Zimmer. Ich halte meine Augen geschlossen, um jede einzelne Berührung noch intensiver zu fühlen. Während seine Finger begierig über meinen Körper gleiten, stößt er sich immer wieder hart und schmerzhaft in mich hinein. Es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass ich mich von meinem Freier ficken lasse, ohne auf Drogen zu sein. Wahrscheinlich gelingt mir die Vorstellung, meinen Vater in mir zu spüren, aus diesem Grund noch weniger als sonst. Ich schaue meinen Freier an, Schweiß perlt von seiner Haut und durchfeuchtet ebenso seine Haare. Auch ich bin schweißbedeckt und zittere. „Dreh dich um, ich will dich von hinten ficken.“ Anstandslos gehorche ich, bis er seine Hand zur Hilfe nimmt. „Nein“, hauche ich angestrengt, als mein Freier beginnt mich zusätzlich zu stimulieren. „Bitte nicht so!“ Tränen füllen meine Augen, denn ich weiß, dass es ihm ziemlich egal ist, was ich will und was nicht. Schon oft hat er mich auf diese Weise genommen, obwohl ich ihn jedes Mal bitte, aufzuhören. Beim Sex nimmt er sich skrupellos, wonach ihm verlangt. Ich halte dann still, lasse es über mich ergehen und warte, bis es vorbei ist. Wie immer bringt er mich zum Schweigen, indem er seine andere Hand auf meinen Mund presst. „Shh. Dir gefällt es doch auch, mein süßer Yamato“, raunt er lüstern in mein Ohr. Meine Tränen benetzen seine Finger, doch das interessiert ihn nicht. Seine Penetration sowie die Stimulation sind nach wie vor schmerzhaft intensiv. Übelkeit steigt in mir auf. Ich ertrage diese Handlungen nicht mehr, ohne Heroin oder GHB fühlen sie sich einfach nur widerlich an. „Gut so, mein Kleiner. Es erregt mich zusätzlich, wenn du weinst, während ich dich ausgiebig ficke.“ Er nimmt seine Hand von meinem Mund, wodurch er mir signalisiert auf seine Aussage zu reagieren. „Ja, Papa“, schluchze ich. Dieses Rollenspiel beim Sex ist einfach nur pervers, aber ich lasse mich dennoch darauf ein. Letztlich ergänzen wir uns hervorragend. Er will mit seinem Sohn vögeln und ich mit meinem Vater. Da mein Freier sich nicht an seinem Sohn vergreifen will und mein Vater mich zurückweist, versuchen wir beide verzweifelt unser Verlangen auf diese Weise zu kompensieren. Allerdings funktioniert es nicht wirklich. Zumindest von meiner Seite. Wenn ich meinen Vater tief in mir spüre, fühle ich mich geborgen und sicher. Ich gebe mich ihm hin, um ihm so nahe wie möglich zu sein. Mit ihm zu schlafen beruhigt mich. Egal wie hart er mich nimmt, er lindert den Schmerz meiner Gefühle ein wenig und lässt mich dadurch atmen. Die Gedanken an meinen Vater schnüren mir die Kehle zu und mir wird einmal mehr bewusst, wie sehr ich ihn liebe. Kurz bevor mein Freier in mir abspritzt, zieht er sich aus mir zurück, dreht meinen Körper wieder auf den Rücken, legt meine Beine auf seine Schultern und dringt erneut tief und schmerzhaft in mich ein. „Du bist süß, wenn du weinst“, keucht er und streicht mir eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Es könnte jetzt noch einmal etwas weh tun, aber du bist ja ein tapferer Junge. Gleich hast du es geschafft, gleich ist es vorbei.“ „Lass mich dich richtig spüren, Papa“, flüstere ich mit bebender Stimme, die sich in erstickte Schreie wandelt, als er sich mehrfach hart in mich stößt. Die Übelkeit wird schlimmer. Endlich lässt mein Freier von mir ab, sein Sperma klebt in mir und zwischen meinen Beinen. Sofort drehe ich mich auf die Seite, wende mich inzwischen stark zitternd von ihm ab. „Ganz ruhig, Yamato. Es ist alles in Ordnung.“ Liebevoll streichelt er mir über den Arm, beugt sich zu mir und leckt die salzige Flüssigkeit von meiner Wange. Ich schweige und versuche mich zu entkrampfen. Ganz langsam gelingt es mir und ich drehe mich zu meinem Freier, um ihn anzusehen. Seine Mimik ist ernst. Unerwartet küsst er mich, worauf ich nur zögerlich eingehe. Ich spüre seine Zunge fordernd in meinem Mund. „Ich habe mich in dich verliebt, Yamato“, haucht er und küsst erneut meine Lippen. Erschreckt drücke ich ihn leicht von mir. „Was?“ „Keine Sorge, ich habe keine Erwartungen an dich. Es bleibt alles wie bisher, wenn du das möchtest. Du sollst es nur wissen. Im Übrigen habe ich etwas Heroin für dich dabei. Es ist aber nur eine Ausnahme, dass ich dir außer der Reihe welches beschaffe.“ „Danke. Ich glaube, ohne würde ich den Abschied von meinem Vater nicht verkraften.“ „Vorher musst du allerdings deine Prüfung bestehen. Zeig mir die Aufgaben, die du nicht verstehst.“ Ich setze mich auf und wische mit meinen Händen über mein Gesicht. „Wann kommt dein Vater nach Hause? Vielleicht sollten wir noch schnell duschen und uns wieder anziehen.“ „Das wäre besser.“ Zurückhaltend lächle ich ihn an. „Geh du zuerst, ich schaue mir solange die Aufgaben an.“ Mit seinem Vorschlag einverstanden gehe ich ins Bad und lasse eine Weile kühles Wasser über meinen verschwitzten Körper laufen. Die Worte meines Freiers gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe nie daran gedacht, dass er Gefühle für mich entwickeln könnte. Die Übelkeit ist bisher nicht abgeklungen, obwohl ich den Sex überstanden habe. Ich schalte das Wasser nicht ab, als ich aus der Dusche zur Toilette gehe. Entschlossen beuge ich mich darüber und stecke mir den Finger in den Hals, um das Erbrechen gezielt herbeizuführen. Würgend krümme ich mich weiter zusammen, außer Speichel und Magensaft spucke ich jedoch nichts aus. Dennoch schwindet die Übelkeit. Ich betätige die Spülung und stelle mich erneut unter die Dusche, um mich nun gründlich zu säubern. Beinahe wahnhaft schiebe ich dabei zwei Finger in mich, um den sinnlosen Versuch zu starten, das unerträgliche Gefühl aus mir herauszuwaschen, welches das Sperma meines Freiers in mir hervorruft. Es schmerzt, da er auch dieses Mal nicht zimperlich mit mir umgegangen ist. Ich ziehe meine Finger wieder heraus, seife mich ein, spüle den Schaum von meiner Haut und schalte das Wasser ab. Rasch ziehe ich einen Bademantel über, lege Handtücher für meinen Freier bereit und verlasse das Bad. „Ich bin fertig, wenn Sie möchten…“ „Danke, Yamato.“ Leicht streicht er über meine Wange, als er an mir vorbei aus dem Zimmer geht. Ich setze mich an meinen Schreibtisch und starre ins Nichts. Nach einer Weile fällt mein Blick auf das zerwühlte Bett. Auf dem Laken sehe ich ein paar Blutflecke. Das würde den Schmerz erklären, dabei kam mir der Sex nicht derart hart vor. Es tat zwar ziemlich weh, aber im Vergleich zu den Verletzungen, die Taichi mir mehrfach zufügte, war es harmlos. Ich seufze. Bisher habe ich in meinem Bett nur mit Menschen geschlafen, die ich liebe. Wieder habe ich eine Grenze überschritten und wieder hasse ich mich dafür. „Hey, träumst du?“ Ich habe nicht mitbekommen, dass mein Freier aus dem Bad zurück ist. Sein Äußeres ist tadellos. Der Anzug, die Krawatte, die frisierten Haare, er sieht seriös aus. Kaum zu glauben, dass derselbe Mann mich gerade in einem perversen Rollenspiel brutal gefickt hat. Ohnehin würde man nie vermuten, dass sich hinter diesem netten Lehrer ein Pädophiler verbirgt, der sich Sex mit seinen Schülern, aber vor allem mit seinem kleinen Sohn vorstellt. Um zu verhindern, dass etwas Derartiges geschieht, suchte er sich einen Stricher, der möglichst jung aussieht. Warum er seinen Schwanz ausgerechnet in mich stecken will, obwohl es im Milieu deutlich jüngere Stricher gibt, habe ich ihn nie gefragt. „Ich erkläre dir jetzt am besten die Aufgaben.“ „Danke“, sage ich leise. Die Ausführungen meines Freiers sind verständlich und gut zu merken. Ich höre aufmerksam zu, versuche mir jedes einzelne seiner gesagten Worte einzuprägen. Er steht dicht hinter mir, eine Hand ruht auf meiner Schulter, mit der andern zeigt er auf verschiedene Stellen des Arbeitsblattes, um Zusammenhänge zu verdeutlichen. Ohne seine Erklärungen zu unterbrechen, fährt er mit seiner Hand mein Schlüsselbein entlang, gleitet mit seinen Fingern unter den Stoff meines Bademantels weiter nach unten. Ich atme hörbar aus und schließe beinahe beschämt die Augen. Es klopft an der Tür und fast zeitgleich wird sie von meinem Vater geöffnet. „Yama…“ Sein Gesichtsausdruck wandelt sich von Entsetzen in Erschütterung, als er begreift, was für ein Bild sich ihm gerade bietet. Die Hand zwischen meinen Beinen verharrt kurz und wird dann zurückgezogen. „Papa… er hilft mir bei der Prüfungsvorbereitung.“ „Das sehe ich“, erwidert der ungehalten. Entschlossen stehe ich auf, bedecke meinen halb entblößten Körper mit dem Bademantel und gehe auf meinen Vater zu. Vor ihm bleibe ich stehen. „Würdest du mein Zimmer bitte verlassen? Es geht dich nämlich gar nichts an, was ich hier drin mit wem treibe“, zische ich respektlos. „Yamato!“, will mein Vater mich zurechtweisen, doch ich schreie ihm dazwischen. „Los! Raus, habe ich gesagt!“ Grob schiebe ich ihn aus dem Raum und verschließe danach die Tür. Entsetzt schaut mein Freier mich an. „Entschuldigen Sie bitte“, flüstere ich mit gesenktem Kopf. Tränen steigen in meine Augen und der Schmerz in meiner Brust wird unerträglich. Liebevoll umfängt mich mein Freier mit seinen Armen, drückt mich fest an sich. „Ist schon gut, Yamato.“ Heftig weinend suche ich nach Halt in seinen Armen. „Du liebst deinen Vater wirklich sehr. Hör auf ihm krampfhaft aus dem Weg zu gehen. Du zerbrichst daran, merkst du das nicht?“ „Deshalb brauche ich die Drogen. Sonst würde ich diese Welt schon lange nicht mehr ertragen.“ Ich möchte mich von ihm lösen, um zu meinem Schrank zu gelangen, doch mein Freier lässt nicht von mir ab. „Du dröhnst dich jetzt nicht zu!“, sagt er ungewohnt autoritär. „Lerne deine Gefühle auszuhalten. Mit Drogen betäubst du sie für den Moment, aber deine Emotionen verschwinden dadurch nicht. Du kannst deine Probleme nicht wegfixen, ertränken oder mit einer Line durch deine Nase ziehen. Wenn du das vergisst, wird aus dir ganz schnell ein abgewrackter Junkie. Bei dir sehe ich Tendenzen dahingehend, also pass bitte auf dich auf. Ich will nicht für deinen Tod verantwortlich sein.“ Er macht eine kurze Pause. „Dennoch denke ich, es wäre der falsche Weg, dir die Substanzen ganz zu untersagen, denn dann würdest du sie wahrscheinlich anderweitig beschaffen. Straßenheroin ist jedoch kein reines Heroin, sondern mit allem möglichen Mist gestreckt und wenn du Pech oder Glück hast, je nachdem, kannst du bereits daran sterben.“ „Es wäre Glück…“, murmle ich, offenbar etwas zu laut. „Nein, Yamato“, entgegnet er voller Zuneigung. Dann nimmt er mein Gesicht in seine Hände und küsst mich sanft auf die Lippen. „Ich werde jetzt gehen. Am Wochenende sind meine Frau und mein Sohn wieder bei Verwandten. Wir müssen also nicht ins Hotel. Deine Schulsachen hast du ohnehin als Tarnung dabei, wenn du willst, kann ich dir dann noch bei deiner Prüfungsvorbereitung helfen.“ „Das wäre sehr nett von Ihnen“, bringe ich schüchtern hervor. Ich spüre, wie er den Gürtel von meinem Bademantel löst, als er mich aus seinen Armen entlässt. Mit lüsternen Blicken betrachtet er meinen Körper eingehend, schiebt den Stoff von meinen Schultern, sodass er zu Boden fällt und ich schutzlos vor ihm stehe. „Ich würde dich jetzt gern noch einmal vögeln, mein Kleiner. Aber dein Vater ist da und ich muss auch los.“ Er holt seine Tasche und aus ihr ein Beutelchen mit weiß-kristallinem Heroin sowie Spritzbesteck. „Wie du es in eine Lösung bringst und das Fixen habe ich dir gezeigt. Bitte versprich mir, es dir erst zu injizieren, wenn du es wirklich brauchst.“ Ich nicke. Zärtlich küsst er meine Schulter, bewegt sich weiter zur Halsbeuge und leckt über meinen Hals hinauf zum Kieferknochen. „Enttäusche mich nicht, sonst muss ich dich bestrafen. Aber das wird dir nicht gefallen.“ Ich will etwas sagen, doch mein Freier versiegelt meine Lippen mit den seinen. „Versuche deinen Vater nicht so abweisend zu behandeln. Das tut euch beiden nur weh und nützt niemandem etwas.“ „Okay.“ Kurz streicht mein Freier durch meine Haare, bevor er mein Zimmer verlässt. Ich höre, wie er sich im Flur knapp, aber sehr höflich von meinem Vater verabschiedet, dann fällt die Wohnungstür ins Schloss. Schnell schließe ich meine eigene Tür und drehe den Schlüssel. Kraftlos rutsche ich an ihr hinab und krümme mich voller Verzweiflung weinend zusammen. Kapitel 25: ------------ Nach einigen Stunden, die ich überwiegend reglos und weinend gegen die Tür gelehnt verbrachte, zwingt mich der Durst den Schutz meines Zimmers zu verlassen. Leise gehe ich durch den Flur in die Küche. Ich zucke innerlich zusammen, als ich meinen Vater am Tisch sitzen sehe. Aus starren, leblosen Augen schaut er mich an. Erst jetzt registriere ich die angefangene Whiskeyflasche und das fast geleerte Glas vor ihm, ebenso wie den Aschenbecher, die Zigarettenschachtel und das Feuerzeug. Dem Kühlschrank entnehme ich eine Flasche Wasser, trinke einige Schlucke und stelle sie dann meinem Vater hin. „Ich habe keine Ahnung, wie viel von dem Zeug du bereits in dich geschüttet hast. Solltest du den Whiskey neu aufgemacht haben, definitiv zu viel. Das Wasser kann helfen einen Kater zu verhindern, also bitte…“ Noch während ich mit meinem Vater spreche, wende ich mich zum Gehen. Der hält mich jedoch schmerzhaft stark am Handgelenk fest. „Bleib da, ich muss mit dir reden.“ Seine Sprache ist inzwischen hörbar vom Alkohol beeinträchtigt. „Nicht in deinem Zustand“, entgegne ich unnötig kalt. „Wenn ich sage, du bleibst, dann bleibst du.“ Der Griff meines Vaters verstärkt sich weiter und er zieht mich näher zu sich heran. „Lass mich los!“, drohe ich ihm und versuche mich zu befreien, was mir wie erwartet nicht gelingt. „War der Typ vorhin einer deiner Freier? Hast du hier in meiner Wohnung die Beine für ihn breit gemacht?“ Mit einer Mischung aus Entsetzen, Mitgefühl und Trotz betrachte ich meinen Vater. „Ja, ich habe sogar geblutet, so brutal hat er mich gefickt.“ Ich beuge mich absichtlich so nah zu ihm, dass sich unsere Lippen fast berühren. Sein Atem riecht stark nach Alkohol. „Soll ich dir noch etwas verraten?“, flüstere ich. „Jedes Mal, wenn er in mir ist, stelle ich mir vor, mit dir zu schlafen.“ Der Blick meines Vaters zeigt völlige Verzweiflung. „Ich weiß nicht, ob ich dich umarmen oder schlagen soll.“ „Du bist ziemlich betrunken, Papa.“ „Zu sehen, wie du von einem fremden, älteren Mann angefasst wirst, mit dem Wissen, was er wahrscheinlich noch alles mit dir anstellt, war für mich unerträglich. Deine Augen waren tot, dein Körper total verkrampft. Warum, Yamato? Warum tust du dir das freiwillig an, wenn es dir ganz offensichtlich zuwider ist.“ „Bitte, Papa. Lass mich gehen“, flehe ich beinahe. „Nein, du entziehst dich mir nicht mehr.“ „Warum folterst du mich so?“ Tränen füllen meine Augen. „Ich liebe dich, Hiroaki. Verstehst du? Ich liebe dich nicht, wie ein Sohn seinen Vater laut Gesellschaft lieben sollte. Ich will dich in mir spüren. Ich will Sex mit dir.“ „Yamato, ich…“ „Sag nichts weiter. Du willst nicht mit mir schlafen. Das akzeptiere ich inzwischen, aber zwinge mich nicht in deiner Nähe zu sein. Ich muss mich zudem von dir entwöhnen, sonst werde ich an deinem Abschied zerbrechen.“ Endlich lässt mein Vater mich los. Kurz bin ich versucht zu gehen, bleibe letztlich jedoch unbewegt stehen. Seufzend leert mein Vater sein Glas, füllt es wieder mit Whiskey auf und führt es erneut an seine Lippen. „Willst du wirklich noch etwas trinken? Hast du nicht schon mehr als genug?“ Ich versuche ihm das Glas aus der Hand zu nehmen, doch mir wird sehr bestimmt Einhalt geboten. „Vielleicht sollte ich mich mit Alkohol enthemmen und deinem Begehren nachgeben“, überlegt er ernsthaft. Meinen Vater so zu sehen tut verdammt weh. „Nein, du würdest es bereuen, wenn du wieder nüchtern bist. Kannst du überhaupt noch gerade stehen? Wahrscheinlich würdest du ohnehin keinen mehr hochbekommen. Taichi zumindest hatte das Problem, wenn er zu betrunken war.“ Ohne etwas darauf zu erwidern, entnimmt er der Zigarettenschachtel zwei Zigaretten und hält mir eine entgegen. Dankend nehme ich sie an, mein Vater gibt mir Feuer, dann setze ich mich auf den freien Stuhl. Während wir schweigend rauchen, betrachte ich meinen Vater eingehend. Selten habe ich ihn in einem derart desolaten Zustand gesehen. Ich hasse mich dafür, dass ich sein Sohn bin. Was ich ihm antue, ist unverzeihlich. Für ihn ist es definitiv besser, nach Deutschland zurückzukehren. Vielleicht kann er dann endlich wieder frei atmen. „Weißt du, Yamato…“ Seine Artikulation wird mit fortschreitendem Alkoholkonsum immer undeutlicher. „Papa, ist der Inhalt dieser Flasche das Einzige, das du getrunken hast?“ „Nein“, gibt er zu, ohne mich anzusehen. „In einer anderen Flasche war noch ein Rest, den…“ „Wie viel war dieser sogenannte Rest?“ Er macht eine Geste, aus der ich herauszulesen glaube, dass es sich um mehr als die Hälfte eines Flascheninhalts handelte. „Du hast weit mehr als genug! Willst du dich ins Koma saufen?“ Mit einer Mischung aus Besorgnis und Verärgerung drücke ich meine Zigarette im Aschenbecher aus. Unerwartet greift mein Vater erneut nach meinem Handgelenk und zieht mich näher zu sich, dabei drückt er seine Zigarette ebenfalls aus. „Weißt du, wie oft ich mir wünsche, deinem Begehren einfach nachzukommen, wenn ich dir dadurch helfen kann. Ich will, dass du glücklich bist, und würde eigentlich alles dafür tun. Aber mit dir zu schlafen erscheint mir nicht richtig. Jedoch ist mir nach dem heutigen Vorfall bewusst geworden, dass du dich offenbar auch meinetwegen an ältere Männer verkaufst. Es war schrecklich, sehen zu müssen, wie du halb entkleidet auf dem Stuhl saßest, mit seiner Hand zwischen deinen Beinen. Ihm stand die Begierde nach deinem Körper deutlich ins Gesicht geschrieben. Dieses Bild werde ich nie wieder aus meinem Kopf bekommen. Ich habe Angst um dich, dieses Milieu ist gefährlich, Yamato. Hör bitte auf dich irgendwelchen Männern hinzugeben.“ Mit seiner Hand in meinem Nacken zieht er mich zu sich herunter und küsst mich. Der Geruch und Geschmack von Alkohol benebelt meine Sinne, ich muss an Taichi denken. Ein wenig verwirrt lasse ich mich auf den Kuss ein, der nach und nach an Heftigkeit gewinnt. Durch sein kopfloses Handeln spüre ich die Verzweiflung meines Vaters in seinem ganzen Ausmaß. Tiefer als sonst fühle ich seine Zunge in meinem Mund, wodurch er mir die Luft zum Atmen nimmt. Ohne von mir abzulassen, steht er auf, drängt mich etwas zurück und hebt mich in eine sitzende Position auf den Küchentisch, wobei er meine Beine weit auseinander drückt, um mit seinem Körper dazwischenzukommen. „Hiroaki…“, keuche ich erregt. „Ich will mit dir schlafen. Ich will, dass du tief in mich eindringst…“ Mit fahrigen Bewegungen öffnet mein Vater meine Hose. „Warte, bitte.“ Widerwillig halte ich ihn auf. „Ich liebe dich und ich will dich gerade mehr als alles andere.“ Meine Stimme zittert. „Aber…“ Das Läuten der Türklingel lässt uns beide erschreckt zusammenfahren. Ich schaue meinen Vater ernst an. „Beantworte mir bitte eine Frage.“ Durch den Alkohol hoffe ich eine ehrliche Antwort von ihm zu erhalten. „Schläfst du mit Taichi?“ Erneut küsst mich mein Vater. „Zerbrich dir deinen Kopf nicht über solche Dinge.“ Mit finsterem Blick schließe ich meine Hose. Wieder bekam ich keine eindeutige Antwort auf meine Frage. Ich sehe, wie mein Vater aus der Küche wankt. „Die Tür werde ich öffnen“, sage ich streng und helfe ihm zurück auf den Stuhl. „Bleib sitzen.“ Ich gehe wieder in den Flur, um nachzuschauen, wer in einem so ungünstigen Moment stört. „Taichi?“ Er sieht abgehetzt aus. „Dein Vater hat angerufen. Er klang völlig fertig und war kaum zu verstehen. Hat er getrunken?“ „Ja, er ist in der Küche. Komm rein.“ Tai betritt die Wohnung, doch dann halte ich ihn zurück. „Vielleicht solltest du…“ Mein Freund lächelt mild. „Du bist süß. Aber du kannst mich nicht für den Rest meines Lebens vom Alkohol fernhalten. Im Gegenteil, ich muss lernen damit umzugehen. Zudem werde ich zu Hause durch meinen Vater ständig mit Alkohol konfrontiert.“ Dieser Aussage folgend geht er an mir vorbei zu meinem Vater. Ich bleibe absichtlich auf Abstand und beobachte das Verhalten der beiden genau. „Taichi“, murmelt mein Vater und sieht ihn aus glasigen Augen an. Der hockt sich vor ihn. „Herr Ishida.“ Mein Freund streicht mit seinem Daumen sanft unter dessen Augen entlang. „Yamato, wie viel hat er getrunken?“ Ich schaue auf den Tisch, Tais Blick folgt meinem und meiner Meinung nach verweilt der etwas zu lange auf dem Suchtmittel. „Einiges mehr als eine Flasche“, mutmaße ich. „Was ist passiert, dass Sie so viel Alkohol brauchten, Herr Ishida? Warum haben Sie angerufen?“ Mein Vater schaut mich an und antwortet nicht weiter. Taichi scheint diese Geste jedoch zu begreifen und hakt nicht nach. Ich bin ein Störfaktor, der die beiden daran hindert, offen zu reden. Oder andere, nonverbale Dinge miteinander zu tun. Es ist eine merkwürdige Situation. Noch immer spüre ich die Lippen meines Vaters, seinen Körper, der meine Schenkel auseinanderdrängt, seine Hand zwischen meinen Beinen. Ich liebe ihn, ebenso wie ich Taichi über alles liebe. Doch diese zwei Menschen derart vertraut miteinander zu sehen ist für mich unerträglich. Unbemerkt balle ich meine Hand schmerzhaft zur Faust und schaue auf sie herab. Sanft, aber begierig streicht mein Vater mit seiner Hand über das schlanke, angewinkelte Bein meines Freundes, während er ihn mit festen Stößen rhythmisch penetriert. Dieser hat die Augen geschlossen, seinen Kopf lustvoll in den Nacken gelegt und die Finger Halt suchend in den Arm meines Vaters gekrallt. Erregtes Stöhnen entweicht ihren Kehlen und hallt laut von den Wänden wider. Ich versuche mir die Ohren zuzuhalten, denn ich will es nicht hören, doch es gelingt mir nicht. Um die beiden voneinander zu trennen, möchte ich schreien, allerdings bringe ich keinen Ton hervor. „Hiroaki…“, keucht mein Freund leidenschaftlich. „Du weiß, wie sehr ich dich liebe. Bitte lass mich hier nicht allein zurück. Ich möchte dich begleiten.“ Seine Sätze werden immer wieder von leisen Schreien unterbrochen, da mein Vater seine Stöße weiter intensiviert. Offenbar bis an die Schmerzgrenze oder leicht darüber hinaus. „So sehr ich es bedauere, aber du kannst nicht mitkommen, Taichi. Allein wegen deines Studiums.“ Die Atmung meines Vaters ist ebenfalls unregelmäßig und schwerfällig. Beide Körper sind inzwischen schweißbedeckt, ihre Haare feucht von der Anstrengung. Das Stechen in meiner Brust wird unerträglich schmerzhaft. Ansonsten kann ich nicht einmal sagen, was ich fühle. Eifersucht? Hass? Wut? Trauer? Enttäuschung? Ich weiß nur, dass ich nicht sehen will, wie mein Vater mit meinem Freund schläft, doch aus irgendeinem Grund kann ich nicht wegschauen. Die beiden vollziehen einen Stellungswechsel, sodass Tai nun von hinten genommen wird. „Hiro…“ Offenbar befindet sich mein Freund in einem Zustand höchster Erregung, denn seine Stimme versagt und wandelt sich in Laute der Ekstase. „Dein Körper ist wunderschön, Taichi.“ Mit seinen Händen fährt er sinnlich über dessen Lenden, die Wirbelsäule nach oben zum Nacken und wieder hinab zu den Schulterblättern. „Wie konnte ich mich nur so sehr in dich verlieben?“ Auch die Worte meines Vaters sind abgehackt aufgrund seiner Erregung. Für eine Weile sprechen beide nicht mehr, sondern geben sich ihrer unbändigen Lust, ihrem Fieber, ihrem Begehren füreinander hin, bis sie erschöpft nebeneinander auf das Laken sinken. „Bitte halt mich fest, Hiroaki“, flüstert mein Freund. Liebevoll legt mein Vater seinen Arm um ihn und zieht seinen Körper dicht zu sich. Ihre Lippen berühren sich zunächst schüchtern, werden aber bald fordernder, sodass die beiden Männer in einem tiefen, innigen Kuss versinken. Tränen füllen meine Augen, worüber ich froh bin, denn sie verschleiern meine Sicht. Warum und von wem werde ich gezwungen mir dieses Schauspiel anzusehen? Ich fühle mich, als würde meine Seele vergewaltigt werden, gewollt und absichtlich. Die Hände, die mich schmerzhaft festhalten, lockern sich etwas. Jene Person hinter mir tritt dicht an mich heran. Ich kann den Körper spüren sowie den warmen Atem an meinem Ohr. „Gefällt dir, was du siehst?“, fragt mein Peiniger sanftmütig. Ich bin irritiert, als ich die Stimme erkenne. Eine kühle Hand streicht zärtlich über meine Wange. Langsam öffne ich meine Augen. „Papa“, murmle ich schläfrig. „Was…“ Ein wenig desorientiert richte ich mich auf. „Als ich in dein Zimmer sah, lagst du auf dem Bett. Es sah aus, als hättest du einen Albtraum, deshalb wollte ich dich wecken.“ „Nein… ich weiß nicht…“ „Du wirkst sehr durcheinander“, stellt mein Vater voller Sorge fest und legt seine Hand auf meine Stirn. „Fieber scheinst du keines zu haben.“ Ich schüttle den Kopf. „Hat es etwas mit der Prüfung zutun? Wie lief es denn?“ „Dazu möchte ich lieber nichts sagen. Jetzt sind erst einmal Ferien, danach bekomme ich das Ergebnis. Ich rufe dich dann sofort an, um dich über mein Bestehen oder Versagen in Kenntnis zu setzen.“ „Yamato…“ Traurig schaut mein Vater mich an. „Glaub mir, ich möchte dich wirklich nicht alleine lassen.“ Geistesabwesend betrachte ich ihn. Ich muss an den Traum von eben denken, aber auch an sein Verhalten, als er ziemlich betrunken war. „Lag es nur am Alkohol?“ „Was?“, fragt mein Vater sichtlich verwirrt. „Eigentlich wollte ich diesen Vorfall nicht ernst nehmen, weil ich das Ganze sonst eventuell überbewerte, doch es kommt mir immer wieder in den Sinn. Ich kann damit nicht so einfach abschließen, es tut mir leid.“ Seufzend zieht er mich in eine Umarmung. „Versprichst du mir, auf meine Fragen ehrlich zu antworten?“ „Ja“, meint er knapp, klingt aber aufrichtig. „Du hättest mich beinahe auf dem Küchentisch genommen. Nur aufgrund des Alkohols?“ Eine lange Pause entsteht. Überdeutlich spüre ich den Herzschlag meines Vaters, da meine Hand genau an dieser Stelle auf seinem Brustkorb ruht. „Erinnerst du dich, was ich davor zu dir sagte? Das war mein Ernst. Ich weiß, dass ich stark alkoholisiert war, aber über meine Worte war ich mir im Klaren, nur hätte ich dir derartiges im nüchternen Zustand vermutlich nie erzählt.“ „Dann ist es tatsächlich nur eine Frage der Enthemmung?“ „Nein, so einfach ist es nicht, Yamato.“ Nachdenklich spiele ich mit meiner Hand im Nacken meines Vaters mit seinen kurzgeschnittenen Haaren. Ich verstehe seinen Zwiespalt nicht. Er liebt mich, aber nicht körperlich, würde dennoch mit mir schlafen, aber nicht aus Liebe. Das ergibt für mich keinen Sinn. Trotzdem darf ich ihn nicht noch einmal zum Sex zwingen, obwohl ich denke, dass es seinen Konflikt vielleicht lösen könnte. Dabei muss es nicht unbedingt unter Zwang meinerseits geschehen, die direkte Konfrontation mit dem Problem würde meines Erachtens reichen. „Bist du froh, dass du dem Ganzen aus dem Weg gehen kannst, indem du ins Ausland gehst?“ Mein Tonfall ist nach wie vor ruhig. „Nein, und das solltest du wissen, Yamato“, meint mein Vater leicht vorwurfsvoll. Sachte löse ich mich soweit aus der Umarmung, dass ich meinem Vater in die dunklen Augen blicken kann. „Wirklich meinetwegen? Oder weil du Taichi vermissen wirst.“ „Was soll das schon wieder?“ „Du hast versprochen, ehrlich auf meine Fragen zu antworten, und ich will endlich eine klare Stellungnahme. Schläfst du mit meinem Freund?“ „Wie kommst du nur auf diesen Gedanken?“ „Euer Verhältnis ist ungewöhnlich innig. Es ist auffällig, wie oft ihr euch berührt. Zudem glaube ich ein paar Mal mitbekommen zu haben, dass ihr euch küsst.“ Mein Vater wirkt überrascht. „Wann?“ „Nachdem ihr mich auf dem Mori Tower außer Gefecht gesetzt habt, als ich bei meinem Drogenentzug im Delirium lag…“ „Fällt dir etwas auf, Yamato? Immer wenn du glaubst, etwas gesehen zu haben, warst du nicht bei klarem Verstand. Hör endlich auf dich in diese Sache hineinzusteigern. Aber wenn wir schon einmal dabei sind, wie sieht es mit deiner Ehrlichkeit aus? Hast du noch immer bezahlten Sex, obwohl ich dich bat damit aufzuhören, nachdem ich dich mit einem deiner Freier sah?“ „Ja“, antworte ich, wobei ich dem Blick meines Vaters standhalte. „Warum, mein Sohn?“ Seine Besorgnis ist deutlich hörbar. „Aus verschiedenen Gründen.“ „Bin ich einer dieser Gründe, weil du dir bei denen holst, was du eigentlich von mir willst, ich dir aber nicht gebe?“ „Ja, es tut mir leid.“ Meine Stimme ist monoton. Die Augen meines Vaters sehen unglaublich traurig aus. „Wie oft gibst du dich diesen Männern hin?“ „Das ist unterschiedlich. Momentan im Durchschnitt vier, fünf Mal in der Woche.“ Seine Traurigkeit wandelt sich in Entsetzen. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“ Fassungslos hält er mich schmerzhaft an den Oberarmen fest. „Warum tust du dir das an, verdammt? Hast du Spaß dabei? So sahst du neulich nicht aus und da hat dieser Mann dich nur angefasst.“ „Finde dich einfach damit ab, dass dein Sohn eine dreckige Hure ist.“ „Nein, das bist du nicht. Diese Typen benutzen aber doch wohl Kondome?“ Ich zögere mit meiner Antwort. „Nein, nicht unbedingt.“ Voller Bestürzung starrt mein Vater mich an. „Es besteht keine Gefahr, das versichere ich dir.“ „Weiß Taichi davon?“ „Ja.“ „Du wirst dich testen lassen! Und das ist keine Bitte, Yamato!“ „Papa, das ist nicht nötig, wirklich. Wenn es dich allerdings beruhigt, werde ich den Test machen.“ „Und wie sieht es mit Drogen aus? Bist du noch clean?“ „Ja“, lüge ich sofort. In diesem Punkt kann ich nicht ehrlich sein. Ohne Heroin oder GHB würde ich die Realität nicht mehr ertragen. Skeptisch werde ich von meinem Gegenüber gemustert. „Hoffentlich bleibt es so. Ich bin stolz auf dich, mein Sohn.“ Liebevoll drückt er mich wieder an sich. Ich kralle mich in seinem Hemd fest und schließe die Augen. Tränen laufen stumm und ungesehen meine Wangen hinab. Der letzte Satz meines Vaters hinterlässt ein unangenehmes Gefühl. „Yamato. Es ist lange her.“ Das Lächeln, mit dem meine Mutter mich begrüßt, ist verhalten und unterstreicht ihre Unsicherheit. Sie bleibt auf Abstand, berührt mich nicht. „Hiroaki.“ Leicht deutet sie ein Nicken in seine Richtung an. „Kommt rein.“ Wir folgen der Aufforderung meiner Mutter und betreten das Apartment. Im Wohnzimmer nehmen mein Vater und ich auf dem Sofa Platz. „Ich mache uns Tee, wartet bitte einen kleinen Augenblick.“ Schnellen Schrittes geht sie in die Küche. Mit gemischten Gefühlen schaue ich meinen Vater an. Dieser legt beruhigend seine Hand auf mein Knie. „Entspann dich. Es ist alles in Ordnung. Du wirst dich schnell an die Situation gewöhnen.“ Ich lege meine Hand auf die meines Vaters, verhake unsere Finger und drücke verkrampft zu. Im Flur vernehme ich das Öffnen und Schließen einer Tür, kurz darauf steht Takeru sichtlich erfreut im Raum. „Yamato! Papa!“ Sein Blick fällt auf unsere Hände, als er auf uns zuläuft. „Du musst nicht so nervös sein, Yamato“, sagt er sanft. „Mama freut sich dich zu sehen.“ „Ja“, antworte ich mit Zurückhaltung. Mir würde es besser gehen, hätte ich zu Hause meinem Drang nachgegeben und etwas GHB eingenommen. Dann wäre ich mit Sicherheit entspannter. Ich hasse mich dafür, dass ich noch nicht einmal das kleine Fläschchen in meine Hosentasche steckte, um jetzt die Option wahrnehmen zu können. Meine Mutter kommt aus der Küche zurück, auf einem Tablett Tassen und Teekanne, welches sie auf dem Tisch abstellt. Anschließend setzt sie sich auf den Sessel uns gegenüber. „Es ist schön, dich zu sehen, Yamato“, versucht meine Mutter ein Gespräch zu beginnen. „Inzwischen bist du fast genauso groß wie dein Vater.“ Sie schaut zwischen uns beiden hin und her. Noch immer halte ich die Hand meines Vaters fest in meiner und habe auch nicht vor sie loszulassen. „Ja“, entgegne ich knapp und schaue dabei zu Boden. Ich empfinde keine Abneigung gegen meine Mutter, es ist lediglich Unbehagen gegenüber der Situation. „Ich finde es wirklich schön, dass du bald täglich bei uns sein wirst. So haben wir die Möglichkeit, uns wieder ein wenig anzunähern, denn derzeit habe ich das Gefühl, dich kaum zu kennen.“ Ein bitteres Lächeln legt sich auf meine Lippen. Ich bezweifle, dass sie die ungeschönte Wahrheit über ihren Sohn bezüglich Prostitution, Vergewaltigung, Inzest, Suizid, Selbstschädigung sowie Drogen- und Medikamentenmissbrauchs wissen will. „Darüber freue ich mich auch“, meint mein Bruder. Als ich zu ihm sehe, lächelt er mich an. Hilfe suchend blicke ich zu meinem Vater. Ich fühle mich schon jetzt unglaublich schutzlos, obwohl er noch in meiner Nähe ist. Auch verstehe ich nicht, weshalb ich gerade derart überfordert bin, dass ich es kaum schaffe, etwas zu sagen. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Am liebsten würde ich weglaufen, nur leider ist das nicht möglich. „Yamato, was ist los? Du bist doch sonst nicht so schüchtern“, äußert mein Vater nachdenklich. „Mag sein“, lenke ich ein. „Mama, entschuldige bitte, dass ich verschlossen bin. Diese radikalen Veränderungen in nächster Zeit bereiten mir ziemliche Schwierigkeiten. Zudem sollst du auf mich aufpassen, mich überwachen und kontrollieren. Das ist überhaupt erst der Grund für unseren Kontakt. Ich weiß nicht, ob das die beste Voraussetzung für einen sogenannten Neuanfang ist.“ Einen Moment herrscht Schweigen im Raum. „Ich verstehe dich, Yamato“, räumt meine Mutter ein. „Aber du musst auch mich verstehen. Immerhin bist du drogenabhängig, ganz zu schweigen von deinen anderen selbstschädigenden Verhaltensweisen und Problemen.“ „Ich habe einen Entzug gemacht“, wende ich empört ein. „Und ich befürchte, dass du ohne Aufsicht wieder rückfällig wirst.“ Sie macht eine kurze Pause. „Wenn du es nicht schon bist.“ Mit gemischten Gefühlen schaue ich sie finster an, entgegne aber nichts. Bei meiner Mutter muss ich offenbar vorsichtiger sein als bei meinem Vater. Da keine starke emotionale Bindung zwischen uns herrscht, ist sie misstrauischer und denkt von vornherein, ich würde lügen. „Darf ich dein Schweigen als Zustimmung deuten?“ „Deute, was du willst. Es ist ohnehin egal. Du würdest mir nicht glauben, deshalb spare ich mir die Antwort.“ Meine Mutter seufzt und blickt ernst zu meinem Vater, während sie weiterhin mit mir spricht. „Yamato, ich greife dich mit meinen Worten nicht an. Meiner Meinung nach brauchst du jedoch mehr Strenge und Struktur in deinem Leben, damit du endlich Verantwortung für dich und dein Handeln übernimmst.“ Wut bezüglich dieser Äußerung steigt in mir auf. „Ist das eine Kritik an Papas Umgang mit mir?“, schreie ich meine Mutter ungehalten an, woraufhin mein Vater meine Hand fester drückt. „Hör auf, Yamato. Beruhige dich.“ Liebevoll lächelt er mich an, dann wendet er sich an seine Ex-Frau. „Natsuko, es stimmt, ich bin zu nachsichtig mit ihm. Aber mit deinem Verhalten wirst du erst recht nichts erreichen. Yamatos Problematik ist nicht zwangsläufig beziehungsweise ausschließlich erziehungsbedingt. Das Schneiden, die Drogen, die Essensverweigerung, all diese Verhaltensmuster sind Symptome seiner Krankheit, die zu einem bestimmten Prozentsatz auch genetisch verankert ist.“ „So viel weiß ich darüber nicht, dennoch machst du es dir meiner Meinung nach zu einfach. Yamato muss lernen, dass er nicht machen kann, was er will, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen.“ „Mama, Papa, es bringt doch nichts, wenn ihr euch gegenseitig Vorwürfe macht“, mischt sich nun Takeru in das Gespräch ein. „Was denkt ihr, wie Yamato sich dabei fühlt?“ „Schon gut. Danke, aber du musst mich nicht in Schutz nehmen.“ Ich lächle meinen Bruder leicht an. „Hier drin bekomme ich keine Luft. Ich muss kurz raus.“ Ohne auf eine Reaktion zu warten, lasse ich behutsam die Hand meines Vaters los und eile aus der Wohnung. Fahrig zünde ich mir vor der Tür eine Zigarette an und atme den Rauch tief ein. Kurz darauf kommt auch mein Vater nach draußen. „Yamato, ist alles okay?“ „Ja, Mama ist nur ganz anders als du. Daran muss ich mich erst gewöhnen. Es wird wahrscheinlich eine Weile dauern, dein Flug geht jedoch bereits in ein paar Tagen. Einfacher wird es ohne dich jedenfalls nicht.“ Nachdenklich greift mein Vater nach meiner Zigarette, nimmt einen tiefen Zug und hält sie mir wieder entgegen. „Ihr werdet euch sicher schon bald wieder einander annähern“, spricht mein Vater mir Mut zu. Ich ziehe ebenfalls erneut an der Zigarette und lasse den Rauch in meine Lungen gelangen, bis sie zu schmerzen beginnen. Dann entweicht er sachte durch meine Lippen. „Vielleicht, es ändert aber nichts daran, dass du für unbestimmte Zeit nicht hier sein wirst.“ Tränen füllen meine Augen, die ich verstohlen wegwische. Unerwartet greift mein Vater nach meinem Handgelenk, wobei ich die Zigarette vor Schreck fallenlasse, und nimmt mich fest in seine Arme. Nun fange ich richtig an zu weinen und suche nach Halt, indem ich meine Finger in sein Hemd kralle. „Yamato, ich verspreche dir, nicht länger als nötig in Deutschland zu bleiben.“ „Ja. Wenn wenigstens Taichi bei mir wohnen könnte. Seine Eltern hassen mich, weil ich ihren Sohn krank gemacht habe, nicht wahr?“ „Nein. Ich habe mit ihnen gesprochen. Sie geben dir nicht die Schuld dafür. Du musst allerdings verstehen, dass sie Angst vor einem Rückfall haben und Taichi vor sich selbst schützen wollen, indem sie ihn unter ihrer Aufsicht halten.“ Ich löse mich etwas aus der Umarmung und gebe meinem Vater einen Kuss auf die Wange. „Es ist lieb von dir, mich von meiner Schuld freisprechen zu wollen. Dabei ist unbestreitbar, dass Tai wegen meines Verhaltens angefangen hat zu trinken.“ „Du willst die Schuld, nicht wahr? Denn so hast du einen weiteren Grund, dich an dir selbst zu verletzen. Nur, findest du es fair, deinen Freund dafür zu benutzen?“ Ich senke betreten meinen Blick. Vorsichtig hebt mein Vater meinen Kopf am Kinn wieder an und wischt mir die Tränen aus dem Gesicht. „Wir sollten jetzt erst einmal zurück zu deiner Mutter und deinem Bruder gehen.“ „Ja“, sage ich monoton, wobei ich meinen Gegenüber genau betrachte. „Ich werde dich so wahnsinnig vermissen.“ Voller Zuneigung fahre ich mit meinen Fingerspitzen über die dunklen Augenringe meines Vaters. „Aber für dich ist es besser. Dann kannst du dich endlich von mir erholen.“ Ein schmerzliches Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Du weißt, dass du gerade Unsinn redest. Ich liebe dich über alles und würde bei dir bleiben, wenn es möglich wäre. Mach es uns nicht schwerer, als es ohnehin schon ist.“ „Es tut mir leid“, flüstere ich niedergeschlagen. „Gehen wir rein.“ „Ich danke dir für deine Gesellschaft heute und morgen Nacht, Taichi. Allein würde ich den Abschied von meinem Vater nicht überstehen.“ Zärtlich, aber auch nachdenklich streicht mein Freund mir durch die Haare. Er sitzt auf meinem Sofa, während ich mich hingelegt und meinen Kopf auf seinem Schoß gebettet habe. „Ich weiß. Du würdest dir wahrscheinlich selbst Schaden zufügen, um die Situation halbwegs ertragen zu können, hab ich recht?“ „Vielleicht“, entgegne ich ruhig. „Bist du deshalb hier? Um mich zu kontrollieren?“ „Nein. Aber ich sehe, wie viel dein Vater dir bedeutet. Dich erneut von ihm verabschieden zu müssen ist für dich unglaublich schmerzhaft. Zumal ich mich noch an die erste Trennung vor knapp einem Jahr erinnere. Ich bin hier, weil ich bei dir sein will, aber ebenso habe ich eine wahnsinnige Angst, dass du den Abschied dieses Mal nicht verkraftest. Eure Beziehung scheint inzwischen noch inniger zu sein als damals.“ „Was ist mit dir und deiner Beziehung zu meinem Vater? Wirst du ihn vermissen?“, frage ich ganz direkt. „Ja, werde ich.“ Tais Antwort ist überraschend ehrlich. Kommentarlos nehme ich sie hin und wechsle das Thema. „Denkst du, deine Eltern lassen dich noch bei mir schlafen, wenn mein Vater nicht mehr hier wohnt? Falls es ihnen lieber ist, würde ich auch zu euch kommen. Ich will einfach nur bei dir sein.“ „Egal, was sie sagen, bei dir zu übernachten, würde ich mir nicht verbieten lassen. Schließlich bin ich alt genug und muss eine gewisse Eigenverantwortung tragen können.“ Sanft streicht er mit seinen Fingerkuppen über meinen Kieferknochen, hinab zu meinem Hals. „Du hast mir noch gar nichts von dem Besuch bei deiner Mutter und Takeru vor ein paar Tagen erzählt. War es so schlimm oder warum schweigst du dich darüber aus?“ „Nein, es ging. Die Situation ist eben für alle ungewohnt. Mit der Zeit wird sich das momentan noch angespannte Verhältnis sicher geben.“ „Für mich klingt das nicht, als ob es okay war. Was ist passiert, Yamato?“ „Naja, meine Mutter hat die Erziehung meines Vaters kritisiert. Das hat mich ziemlich wütend gemacht. Offenbar ist sie der Meinung, wenn er strenger zu mir wäre, hätte ich keine Probleme.“ Für einen Augenblick schweigt Taichi. „Ich finde, das ist Unsinn. Es ist immer leicht zu sagen, dass die eigenen Vorgehensweisen besser wären, aber ob es letztlich wirklich so ist, kann niemand genau sagen. Zwar stimmt es, dass dein Vater nicht sehr streng ist und oft auch inkonsequent, allerdings hat er dafür auch seine Gründe. Er kennt dich und weiß, dass er bei bestimmten Problemen mit Autorität bei dir nicht weiterkommt, sondern eher das Gegenteil erreicht. Außerdem liebt dein Vater dich sehr, weshalb es ihm schwer fällt, gegen deinen Willen zu agieren. Mir geht es zum Teil ähnlich, aus diesem Grund kann ich ihn gut verstehen.“ „Du klingst wirklich verliebt, wenn du von meinem Vater sprichst“, bemerke ich beiläufig. „Taichi, kann ich dich um einen Gefallen bitten?“ Ich drehe meinen Kopf auf seinem Schoß etwas, um meinen Freund ansehen zu können. „Das kommt darauf an“, erwidert er skeptisch. „Die Verabschiedung morgen am Flughafen möchte ich mir ersparen und stattdessen zu Hause bleiben, ebenso wie beim letzten Mal. Würdest du meinen Vater begleiten und ihm Gesellschaft leisten?“ Tai atmet hörbar aus, streichelt traurig lächelnd über meine Wange. „Naja, gerade in dieser Situation will ich dich eigentlich nicht allein lassen.“ „Weil du mir nicht vertraust“, sage ich nüchtern. „Stimmt, im Bezug auf dein Handeln, Denken und Fühlen vertraue ich dir nicht. Wundert dich das?“ „Nein“, gebe ich kleinlaut zu. „Warum schlägst du mir eigentlich vor ohne dich mit deinem Vater zum Flughafen zu fahren? Bist du nicht eifersüchtig? Sonst unterstellst du uns doch bei jeder Gelegenheit eine Affäre.“ „Doch, aber ich gehe davon aus, dass ihr in der Öffentlichkeit eure Finger bei euch behalten könnt.“ „Und wenn nicht?“ Prüfend schaue ich meinen Freund an. „Ist das ein Eingeständnis? Ihr schlaft also tatsächlich miteinander.“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Es fällt auf, dass ihr beide meinen Fragen diesbezüglich ausweicht. Keiner bezieht klar Stellung. Verwundert es dich da wirklich, wenn ich meine Meinung nicht ändere, sondern mich lediglich bestätigt sehe? Warum gibst du mir keine eindeutige Antwort? Hast du Sex mit meinem Vater? Ja oder nein?“ „Genau genommen ist egal, was ich sage. Verneine ich, behauptest du, ich würde lügen. Am Ende erhältst du immer die Wahrheit, die du schon lange in deinem hübschen Köpfchen verankert hast.“ Sinnlich fährt er mit seinem Daumen über meine Lippen. „Woher willst du das wissen? Du versuchst es nicht einmal. Hast du Angst vor meiner Reaktion?“ Ich warte einen Moment, in dem Taichi nichts erwidert. „Also gut, belassen wir es dabei. Ab morgen ist er ohnehin außer Reichweite.“ Kurz halte ich aufgrund eines merkwürdigen Gefühls inne. „Liebst du mich, Taichi Yagami?“ „Ja“, gibt der ohne zu zögern, aber ein wenig irritiert zur Antwort. „In einem meiner Träume warst du in meinen Vater verliebt und er auch in dich. Ihr hattet Sex. Du fragtest ihn, ob er dich nicht mitnehmen könne. Ich bin mir gerade nicht mehr sicher, ob es tatsächlich nur ein Traum war.“ „Glaubst du, ich würde mit deinem Vater gehen und dich hier allein zurücklassen?“ „Warum nicht? Hast du Angst, ich tue mir etwas an, wenn du mich noch einmal verlässt? Diese Schuld willst du dir nicht aufbürden, hab ich recht?“ Ein wenig unbedacht werfe ich meinem Freund die Bemerkung an den Kopf. Der seufzt nachsichtig. „Yamato. Merkst du nicht, dass wir uns immer nur im Kreis drehen?“ „Doch. Aber findest du das wirklich verwunderlich, wenn ich wieder und wieder keine konkreten Antworten bekomme? Weder von dir noch von meinem Vater.“ Einmal mehr bringt Tai mir nur Schweigen entgegen. Ich hebe meinen Arm und berühre ihn mit meinen Fingern sachte an seiner Halsschlagader. Bedächtig schließe ich die Augen und achte nur auf die steten Schläge. Kaum merklich beschleunigt sich sein Puls etwas, als ich leichten Druck ausübe. Unerwartet ergreift Taichi mein Handgelenk, doch statt mir Einhalt zu gebieten, schiebt er meinen Ärmel ein Stück nach oben. Ich schaue ihn an, doch sein Blick haftet auf den zahllosen Narben und frisch verschorften Wunden. „Welche von denen hat Akito dir zugefügt?“ Dass mein Freund mich plötzlich auf Akito anspricht, wirft mich leicht aus der Bahn. „Wie kommst du darauf, dass er…“ „Da ich weiß, wie dieser kleine Mistkerl drauf war, bin ich mir sicher, er wollte dich auch auf diese Weise.“ „Falls dem so sein sollte, was würdest du tun? Die Male wieder öffnen und mit von dir tiefer geschnittenen Wunden überdecken? Genauso, wie du es damals schon auf meinem Oberkörper getan hast?“ „Vielleicht.“ Tais Gesichtsausdruck ist ernst, seine Augen durchdringend. Ich lächle und lasse meine Hand sinken. „Du willst jede Erinnerung an ihn auslöschen, ihn komplett aus meinem Leben entfernen, oder? Mir kommt es so vor, als würdest du noch immer gegen ihn kämpfen.“ „Nein, denn mit seinem Tod habe ich gegen ihn verloren“, meint mein Freund bitter. „Wie meinst du das?“, frage ich verwundert, wobei ich meine freie Hand vorsichtig auf seine lege, mit welcher er nach wie vor mein Handgelenk umgreift. „Akito hat sich zu einem Zeitpunkt getötet, als du sehr intensive Gefühle für ihn hattest, ist es nicht so?“ Er drückt fester zu. Einen Moment schweige ich. „Ja“, gebe ich schließlich traurig zu. „Er hat dich somit emotional an sich gebunden. Für immer. Denn mit den Gefühlen, die du zuletzt für ihn empfunden hast, wirst du bis zu deinem eigenen Tod an ihn denken. Du liebst ihn und ich kann nichts dagegen tun. Würde ich mich jetzt ebenfalls töten, könnte ich eventuell gleichauf ziehen. Aber gegen diesen arroganten Arsch gewinnen kann ich nicht mehr. Und das macht mich wahnsinnig!“ Schmerzhaft stark umfasst mein Freund nun mein Handgelenk. Er zittert leicht vor Erregung, aber auch vor Verzweiflung. „Taichi, hör bitte auf so etwas zu sagen!“ Tränen füllen meine Augen und ich richte mich auf. Behutsam und voller Zuneigung berühre ich sein Gesicht mit meiner Hand, küsse sanft seine Stirn, seine Augen, die Wange, verweile auf seinen Lippen und lecke leicht darüber. „Du bist mein Ein und Alles. Das wusste Akito. Er wusste auch, dass er dich nicht ersetzen kann und dass ich immer zu dir zurückgehen würde. Ich liebe ihn und er fehlt mir sehr, was das betrifft, will ich dich nicht belügen. Aber die Gefühle, die ich für dich empfinde, sind unfassbar schön und zugleich unerträglich schmerzhaft. Sie sind so unglaublich intensiv, dass ich oft denke, es nicht aushalten zu können. Ich zerbreche daran.“ Flüchtig küsse ich noch einmal seine Lippen. „Du schmeckst salzig“, flüstert mein Freund. Mit seinen Fingern fährt er über meine Wangen, entlang der Tränenspur hinab zu meinem Kinn. „Was du mir zu erklären versuchst, glaube ich dir und im Grunde weiß ich es auch. Nur, darum geht es nicht direkt. Ich allein habe das Besitzrecht an dir. Du bist mein Eigentum und es widerstrebt mir einfach, dich teilen zu müssen. Versteh das doch endlich, Yamato!“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, legt er seine Finger um meinen Hals. Reflexartig schließe ich meine Augen. „Du verdammter Masochist!“, zischt Tai und lässt seine Hände sinken. Ich lächle ihn traurig an, dann deute ich auf meinen Arm. „Diese Narbe ist entstanden, als du verschwunden beziehungsweise ohne eine Nachricht zu hinterlassen zu deinen Eltern gegangen warst. Damals dachte ich, ich hätte dich verloren und würde dich nie wieder sehen.“ Ich streiche über eine größere, blassrosa und leicht gewölbte Vernarbung entlang meiner linken Unterarminnenseite. „Akito hat sie gekreuzt.“ Taichi berührt die etwas breitere, weniger verblasste, im rechten Winkel verlaufende Linie quer über das Handgelenk. „Ein umgedrehtes, christliches Kreuz. Die Stelle ist nicht ungefährlich, dafür hat er beinahe unverantwortlich tief geschnitten.“ Mit seinen Fingernägeln kratzt er geringschätzig darüber. „Ja, die Tiefe der Wunde war berechnete Willkür seinerseits. Weitere Schnittverletzungen fügte er mir jedoch nicht zu.“ Die Erinnerungen an die Zeit mit Akito überwältigen mich, sodass ich erneut zu weinen beginne. Meine Kehle ist wie zugeschnürt und ich bekomme kaum Luft. „Erinnerst du dich an deine Worte, als wir nach deinem Klinikaufenthalt wieder eine Beziehung eingingen?“, schluchze ich. „Du fragtest, was ich von einer Fortsetzung hielte. Aber wäre ein Neuanfang nicht sinnvoller?“ Schützend umfängt mein Freund mich mit seinen Armen und streichelt beruhigend durch meine Haare sowie über meinen Rücken. „Nein“, haucht er in mein Ohr. „Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen und unsere Erinnerungen nicht löschen. Ebenso entwickeln wir uns anhand dieser Dinge weiter und lernen aus unseren Fehlern.“ Mit einem aufgeregten Kribbeln im gesamten Körper erwidere ich die Umarmung und drücke meinen Freund fest an mich. Sein Duft umhüllt mich sanft, macht mich benommen wie eine weiche, angenehme Droge. Wärme steigt in mir auf, meine Atmung beschleunigt sich leicht und mein Herz schlägt spürbar schneller und härter gegen meine Brust. „Ich will nur bei dir sein. Egal wie. Ich liebe dich, Taichi. Ich liebe dich so sehr.“ Meine Stimme zittert und ich presse mich noch stärker gegen den Körper meines Freundes. „Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich lie…“ „Shh. Beruhige dich“, versucht er meine beginnende Hysterie zu dämpfen. Gefühlvoll löste er sich etwas von mir und verwickelt mich in einen zunächst schüchternen, dann innigen Zungenkuss. Dabei drängt er mich soweit zurück, dass ich mit dem Rücken auf dem Sofa zum Liegen komme. Ich spüre sein Knie zwischen meinen Beinen. Verlangend betrachte ich den Menschen, der alles für mich bedeutet. Seine braunen, stets zerzausten Haare, die bronzefarbene Haut sowie seine unergründlichen, wunderschönen Augen, in denen ich mich immer wieder verliere. Ein Lächeln legt sich auf Tais Lippen. Unerwartet und derb dreht er mich auf den Bauch, öffnet meine Hose und zieht sie ein Stück nach unten. Anschließend öffnet er seine eigene Hose. „Taichi, was…“ Ein erstickter Schrei entweicht meiner Kehle, als er rücksichtslos in mich eindringt. Schnell findet mein Freund seinen Rhythmus mit dem er mich schmerzhaft stark penetriert. Meine Erregung steigert sich, auf meiner Haut bildet sich Schweiß und eine Mischung aus lustvollem Stöhnen und unterdrückten, schmerzverzerrten Schreien erfüllt verhalten den Raum, ebenso wie das Keuchen meines Freundes. Sein Verhalten wundert mich ein wenig. Der Sex ist hart und lieblos, ohne zärtliche Berührungen. Normalerweise mag ich es, auf diese unpersönliche Art genommen zu werden, aber bei Tai fühlt es sich nicht ausschließlich richtig an. Durch seine enorme Ausdauer und die brutalen Stöße fügte er mir bereits relativ schwere Verletzungen zu. Legt er es im Moment darauf an? Aus welchem Grund? Die Gewalt seinerseits kam wie sooft plötzlich und ohne vorherige Anzeichen. Ich kralle mich verbissen im Polster des Sofas fest und vergrabe mein Gesicht darin, um meine Schreie zu dämpfen, damit mein Vater uns nicht hört. „Warum lässt du mich deine schöne Stimme nicht hören? Soll ich dich noch härter ficken?“ „Dringe bitte mit jedem Stoß so tief wie möglich in mich ein. Vor allem, weil es so verdammt wehtut, spüre ich dich wahnsinnig intensiv.“ Die Worte kommen nur abgehackt über meine Lippen. „Ich sollte dich immer so brutal ficken, dich derart kraftvoll nehmen, dass du blutest und dir somit Verletzungen zufügen, die dich zwangsläufig an mich denken lassen, wenn einer dieser perversen alten Säcke seinen Schwanz in dich reinsteckt.“ „Hör auf, Taichi! Zieh ihn raus und lass mich los.“ Unbeirrt setzt mein Freund seine kräftigen, schmerzenden Stöße fort, penetriert mich auf eine Weise, die mich kaum atmen lässt. „Warum, Yamato? Ich dachte, du stehst auf harten Sex.“ Versucht unterdrückte Schreie entweichen meiner Kehle und erschweren es mir, zu sprechen. „Ja, ich lasse mich von dir auch gern krankenhausreif vögeln, aber ich will dich dabei spüren. Dich. Nicht nur Schmerz, sondern deinen Schmerz. So emotionslos, wie du mich gerade fickst, könntest du auch nur ein Freier sein, bei dem mir ausnahmsweise nicht bei jeder Berührung schlecht wird.“ Langsam lässt Tai von mir ab, ohne mich vollständig loszulassen. Mit seinen Fingern streicht er über eine meiner Oberschenkelinnenseiten, dann richtet er mich ein wenig auf, zieht mich näher zu sich und hält mir seine Hand hin. Es verwundert mich nicht, geringfügig Blut darauf zu erblicken, der Schmerz in meinem Unterleib ist eindeutig und es ist nicht ungewöhnlich, dass mein Freund so weit geht. Mit seiner sauberen Hand greift er grob in meine Haare, dreht meinen Kopf so, dass seine Lippen direkt an meinem Ohr sind und ich seinen beinahe heißen Atem auf meiner Haut spüren kann. „Nur ich darf dir solche Verletzungen zufügen, hast du verstanden? Das Blut, das durch deinen Körper fließt, gehört mir.“ „Ich weiß, Taichi, denn mein gesamtes Selbst gehört dir. Schon seit langem.“ Behutsam drehe ich mich so, dass ich meinem Freund in die Augen schauen kann. Er wirkt abwesend, sein Blick verläuft sich im Nichts. Flüchtig berühre ich seinen Mund mit meinen Lippen und streiche dann mit meinem Daumen darüber. „Sieh mich an, um mir zu zeigen, dass du mich wahrnimmst.“ Als Reaktion auf meine Bitte gibt er mir einen Kuss auf die Stirn und nimmt mich anschließend fest in den Arm. „Lass uns zur Ablenkung ein wenig zocken. Ich denke, das tut uns beiden jetzt gut“, flüstert Tai liebevoll. Ich nicke kaum merklich, schließe meine Augen und genieße die vertraute Wärme meines Freundes. „Ich klinke mich erst einmal aus. Von mir aus kannst du aber im Einzelspielermodus weiterspielen.“ Gähnend lege ich den Kontroller beiseite und strecke mich ausgiebig. „Warum?“, fragt Tai nach, woraufhin ich mir ein Lachen nicht verkneifen kann. „Falls es dir nicht aufgefallen ist, wir zocken bereits seit Stunden. Die Sonne ist längst untergegangen. Wenn du an der Konsole sitzt, bekommst du um dich herum gar nichts mehr mit, oder?“ „Das ist nicht wahr!“ Schmollend legt nun auch mein Freund seinen Kontroller aus der Hand. Ich beuge mich zu ihm herüber und küsse ihn sanft. Zunächst durch meine Haare streichend und mich dann am Hinterkopf festhaltend intensiviert er den Kuss. Erst als ich zu ersticken drohe, löse ich mich von Taichi. „Deine Haare sind inzwischen so lang, dass ich dir einen Zopf flechten könnte“, meint er grinsend. „Du kannst flechten?“, entgegne ich verblüfft. „Was soll das denn heißen? So schwer ist das nun auch wieder nicht. Aber mit den langen Haaren siehst du noch viel mehr wie ein Mädchen aus. Ich wette, wenn du Frauenkleidung tragen würdest, käme niemand auf die Idee, dass du ein Junge bist.“ „Dann müsste ich dir so doch gefallen, da du ohnehin auf Frauen stehst.“ „Lässt du sie also meinetwegen wachsen?“ Die Stimme meines Freundes drückt Unzufriedenheit aus. Liebevoll streichelt er über meine Wange. „Yamato, ich will dich, weil du bist, wie du bist. Nicht eine Sekunde lang habe ich mir gewünscht, dass du ein Mädchen bist. Ich liebe deinen Körper, abgesehen davon, dass ich ihn viel zu dünn finde. Also meinetwegen kannst du deine Haare auch ganz kurz schneiden.“ „Nein, ich will keine kurzen Haare. Und ich habe sie nicht bewusst deinetwegen wachsen lassen. Dass ich dadurch mädchenhafter aussehe, ist mir egal. Ich lege keinen Wert darauf, männlich zu wirken.“ „Wärst du lieber ein Mädchen?“, fragt Tai mit ernster Miene. „Nein, auf keinen Fall. Ich bin froh ein Mann zu sein. Mit Frauen komme ich irgendwie nicht zurecht. Die Vorstellung, selbst eine zu sein, finde ich eher abstoßend.“ Nachdenklich betrachtet Taichi mein Gesicht. „Woher kommt diese Abneigung eigentlich?“ „Es ist nicht wirklich Abneigung, was ich für sie empfinde. Ich kann mit Frauen nur einfach nichts anfangen. Sie interessieren mich auch nicht. Mental genauso wenig wie sexuell.“ „Würdest du nicht einmal aus reiner Neugier mit einer Frau schlafen wollen? So hast du doch gar keinen Vergleich.“ „Den brauche ich auch nicht. Der weibliche Körper spricht mich überhaupt nicht an. Wahrscheinlich würde ich nicht einmal einen hochbekommen. Der Körper eines Mannes hingegen erregt mich mittlerweile, seit ich beim Sex auch Lust empfinden kann.“ „Wann hat sich das bei dir eigentlich eingestellt?“ Ich überlege einen Moment. „So genau kann ich das gar nicht sagen. Es kam nach und nach, je öfter wir miteinander geschlafen haben.“ „Verspürst du auch Lust, wenn du von deinen Freiern gefickt wirst?“ „Ja“, gebe ich zu. „Allerdings geht es dabei nicht um sie, sondern lediglich um den Schmerz und den Ekel.“ „Quasi eine Art Lust an der Selbstbestrafung?“ „Irgendwie schon.“ Eine kurze, wenig angenehme Pause entsteht. „Yamato, deine Logik ist unlogisch. Ich sagte es dir inzwischen mehrmals. Du kannst nichts ungeschehen oder wiedergutmachen, indem du dir antust, was du mir angetan hast. Im Gegenteil, es tut weh, zu wissen, dass du dich anderen Männern hingibst und aus welchem Grund du es tust. Genau genommen treibe ich dich in die Prostitution und damit einhergehend in die Drogenabhängigkeit, weil du den Sex anders nicht erträgst.“ „Das ist nicht wahr! Nichts von all dem ist deine Schuld, da ich die Vergangenheit nicht zu kompensieren versuche. Ich bereue es nicht, wenn ich dich mit Gewalt und gegen deinen Willen nehme. Weder damals noch heute.“ „Vielleicht verspürst du keine Reue, aber du verkraftest deine Taten definitiv nicht. Yamato, merkst du wirklich nicht, dass du daran immer mehr zerbrichst? Besonders in Ausnahmesituationen wie neulich auf dem Mori Tower wird das sehr deutlich.“ „Ich muss noch einmal zu meinem Vater rüber“, wechsle ich das mir unangenehme Thema. „Du weichst mir aus, Yamato.“ Vorwurfsvoll und zugleich traurig schaut mein Freund mich an. „Nein, aber es ist schon spät. Ich will mit ihm noch ein paar Dinge bezüglich der Zeit seiner Abwesenheit besprechen. Allerdings hat mein Vater morgen einen langen, anstrengenden Flug vor sich, da möchte ich ihn nicht allzu lange wachhalten.“ Tai seufzt. „Schon gut. Geh. Aber für mich ist diese Diskussion noch nicht beendet.“ Ohne darauf zu antworten, verlasse ich den Raum. Vor der Zimmertür meines Vaters bleibe ich stehen, atme tief durch und klopfe. Gleich darauf öffne ich sie, noch bevor dieser reagieren kann. Es ist das letzte Mal für lange Zeit, dass jemand in diesem Raum ist, wenn ich ihn betrete. Mein Vater steht vor dem Kleiderschrank und verstaut gerade die letzten Kleidungsstapel in seinem Koffer. Kurz sieht er mich an, dann fährt er mit seiner Tätigkeit fort. „Yamato, komm rein. Setz dich, ich bin gleich fertig.“ Schweigend folge ich der Aufforderung und nehme auf seinem Bett Platz. „Koffer zu packen ist wirklich das Schlimmste am Verreisen, findest du nicht?“ „Ich bin eigentlich nur hier, weil ich mich bereits jetzt von dir verabschieden will.“ Voller Bestürzung hält mein Vater inne und blickt mich mit schmerzlicher Miene an. „Yamato…“ „Schon okay. Ich möchte einfach nicht mitbekommen, wenn du gehst. Bitte verstehe das. Aber Taichi wird dich zum Flughafen begleiten.“ Wehmütig lächle ich meinen Vater an. „Nein, ich will nicht, dass du in dieser Situation alleine bleibst.“ „Papa, du lässt mich morgen für unbestimmte Zeit allein. Außerdem brauche ich etwas Ruhe, um mit all dem halbwegs fertigzuwerden.“ Betroffenheit spiegelt sich im Gesicht meines Vaters wider. Er legt den Stapel Kleidungsstücke, den er in der Hand hält, beiseite und setzt sich zu mir auf das Bett. „Du weißt, dass ich dich niemals allein lassen würde, wenn es nicht sein müsste. Mir bleibt nur keine Wahl.“ „Ich weiß. Das sollte auch kein Vorwurf sein. Der Abschied von dir tut nur so verdammt weh!“ Tränen füllen meine Augen und laufen meine Wangen hinab. Unerwartet zieht mein Vater mich zu sich und legt schützend seine Arme um meinen leicht zitternden Körper. „Yamato, bitte versprich mir, dich an unsere Abmachungen zu halten und vor allem weiterhin clean zu bleiben. Möglicherweise helfen dir die Erinnerungen an den furchtbaren Entzug nicht wieder rückfällig zu werden.“ „Ja“, schluchze ich, obwohl ich nach wie vor Drogen konsumiere und nie wirklich von ihnen runter war. „Also gut. Ich vertraue dir, mein Sohn.“ Es schmerzt, meinen Vater so dreist anlügen und seine Gutgläubigkeit missbrauchen zu müssen, aber so ist es besser für alle. Ich schmiege mich enger an ihn, damit ich seine Nähe intensiver spüre und von seinem Duft eingehüllt werde. Vermutlich ist es kindlich naiv zu hoffen, dass etwas davon über die Zeit seiner Abwesenheit an mir haften bleibt, aber ohne dieses Denken würde ich gänzlich den Halt verlieren. „Bitte schlaf mit mir, Hiroaki“, flüstere ich mit erstaunlich ruhiger Stimme. „Mir ist deine Abneigung dahingehend bewusst. Dennoch bitte ich dich darum. Dring tief in mich ein, lass mich dich intensiv spüren. Ich brauche diese Nähe, diese Art der Zuneigung jetzt. Vielleicht mehr als je zuvor.“ Vorsichtig drückt mein Vater mich etwas von sich. Er hat Tränen in den Augen, als er meine mit seinem Daumen sanft von meiner Haut wischt. Zärtlich küsst er meine Stirn, dann meinen Mund. Zunächst ist der Kuss zurückhaltend, doch schnell wird mein Vater fordernder, worauf ich mich sofort einlasse. Langsam knöpft er dabei mein Hemd auf und streift es von meinen Schultern, anschließend löst er sich von mir, um mich meiner restlichen Kleidung zu entledigen. Mit schnell klopfendem Herz schaue ich nun meinem Vater beim Ausziehen zu. „Dein Körper ist schön, weißt du das? Er erregt mich sehr.“ Als er nackt vor mir steht, erhebe ich mich. Erfüllt von Begehren streiche ich über seinen Brustkorb, gehe vor ihm auf die Knie und beginne ihm einen zu blasen. „Nicht, Yamato“, keucht mein Vater. Er legt seine Hände auf meine Schultern und versucht mich von meinem Tun abzuhalten. „Es ist in Ordnung, Hiroaki. Lass es einfach zu.“ Seine ohnehin nicht besonders starke Gegenwehr schwindet. Tränen laufen ihm über das Gesicht, als er seine Augen schließt und den Kopf in den Nacken legt. Mit der Zeit wird das Stöhnen meines Vaters lauter. Bestimmt legt er eine Hand auf meinen Hinterkopf, um mich ein wenig zu dirigieren und sich tiefer in mich hineinzustoßen. „Das reicht. Steh auf“, fordert mein Vater schwer atmend. Ich gehorche ohne Widerrede. Eingehend betrachte ich sein Gesicht, welches von Erregung gezeichnet ist. Erneut versinken wir in einem innigen Kuss, wobei ich von meinem Vater nach hinten auf das Bett gedrängt werde. Sorgenvoll mustert er meinen Körper, fährt mit seinen Fingern über vereinzelte Narben auf meinem Brustkorb und meinem linken Arm, dann zeichnet er die Knochen des Schlüsselbeines, sowie die Rippenbögen und die deutlich hervorstehenden Hüftknochen nach. „Bitte sag nichts.“ Am Gesicht meines Vaters erkenne ich, dass er etwas zum Zustand meines Körpers anmerken möchte, weshalb ich ihm zuvorkomme. „Ich weiß es selbst.“ Wieder treffen sich unsere Lippen. Der Kuss ist leidenschaftlich, beinahe grob. Tief schiebt mein Vater seine Zunge in meinen Mund, sodass ich fast zu ersticken drohe. Trunken vor Verlangen streichle ich durch seine Haare, hinab zu seinem Rücken und kratze mit meinen Fingernägeln schmerzhaft über dessen Haut, woraufhin mein Vater leicht zusammenzuckt. Entschlossen löst er sich von mir, streicht über meine Beine und winkelt diese an. Seine Augen fixieren mich, als er sie weit auseinanderdrückt. Bereitwillig gebe ich mich meinem Vater hin. „Nimm mich, Hiroaki. Ich will dich tief in mir spüren“, ermutige ich ihn, hebe meinen Arm und berühre seine Wange. Unglaublich behutsam dringt mein Vater in mich ein. Trotzdem verziehe ich mein Gesicht vor Schmerz und kann einen leisen Schrei nicht unterdrücken. „Yamato, du blutest“, meint mein Vater voller Entsetzen. „Ich…“ „Shh. Es ist nicht deine Schuld. Bitte hör nicht auf!“, unterbreche ich ihn flehentlich. „Wer hat dir das angetan?“ „Ich wollte es. Also mach dir keine Sorgen.“ „Wer, Yamato?“, hakt mein Vater unbeirrt nach. „Taichi. Ich habe ihn darum gebeten, ihn trifft keine Schuld“, nehme ich meinen Freund mit einer Lüge in Schutz. Mein Vater kann seine Bestürzung nicht verbergen. Wieder füllen Tränen seine Augen, als er beginnt sich langsam in mir zu bewegen. Ich kralle meine Finger in das Bettlaken, der Schmerz ist stärker als erwartet. Immer wieder entweichen Schreie meiner Kehle, vermischt mit Lauten der Lust. „Ich liebe dich“, hauche ich weinend. „Ich liebe dich so sehr.“ Keuchend streicht mein Vater einige verschwitzte Strähnen aus meinem Gesicht. „Ich liebe dich auch, Yamato“, flüstert er mit zitternder, kaum hörbarer Stimme. „Dring tiefer und härter in mich ein. Keine Angst, meine Verletzungen sind nicht schwerwiegend. Es kann nichts passieren.“ Wider Erwarten geht mein Vater auf meine Bitte ein. Die Stöße werden härter, intensiver und sein Rhythmus beschleunigt sich. Meine Atmung ist stockend und schwerfällig. Lustvoll bäume ich mich auf. Schwindel ergreift Besitz von mir, mein Herz schlägt schnell und mein Puls rast. Das Keuchen meines Vaters erregt mich zusätzlich. Ich greife nach seiner Hand und verhake unsere Finger. Seine Penetration ist inzwischen so stark, dass ich beinahe den Verstand verliere. Die Umgebung, die Berührungen sowie mein eigener Körper fühlen sich irreal an. Ich spüre meinen Vater so tief in mir und doch frage ich mich, ob ich nicht einer Wahnvorstellung erliege. Unser Stöhnen dröhnt laut in meinen Ohren. Vollkommen berauscht drehe ich meinen Kopf zur Seite. Mit ausdrucksloser Miene schaut Taichi direkt in meine tränennassen Augen. Als ich vorhin das Zimmer meines Vaters betrat, schloss ich hinter mir nicht die Tür, sondern ließ sie unbewusst einen Spalt weit geöffnet. Kapitel 26: ------------ „Bitte pass auf dich auf, mein Sohn. Ich liebe dich sehr.“ Die Stimme meines Vaters klingt unfassbar traurig, als er diese Worte flüstert und mir zärtlich durch die Haare streichelt. Ich halte meine Augen geschlossen, bleibe bewegungslos und versuche ruhig zu atmen. Er soll nicht mitbekommen, dass ich wach bin, denn ich möchte nicht noch einmal von ihm Abschied nehmen müssen. Meine Tür schließt sich und einige Zeit später fällt auch die Wohnungstür ins Schloss. Alles ist still, mein Vater und Taichi sind weg, ich bin allein. Krampfartig breche ich in Tränen aus, vergrabe mein Gesicht tief in meinem Kissen. Ich winde und krümme mich vor Schmerz, da ich das Gefühl habe, meine Eingeweide würden herausgerissen und meine Haut verbrenne. Panisch nach Luft ringend rolle ich mich auf den Rücken, versuche verzweifelt zu atmen, wodurch ich allerdings stark husten muss. Ich greife mir an die Kehle, kratze wie besessen über die Haut, dem Wahn folgend, nur so nicht zu ersticken. Mit großem Kraftaufwand versuche ich mich aufzurichten, bis ein heftiges Schwindelgefühl mich zwingt, innezuhalten. Das ganze Ausmaß meiner Erbärmlichkeit wird mir erst bewusst, als ich mich fiebrig vom Bett fallen lasse und zu meiner Schultasche krieche. Zitternd entnehme ich meinem Portemonnaie die Rasierklinge und ziehe sie unbedacht über meinen Arm. Der Schnitt ist vergleichsweise harmlos, da ich nicht allzu viel Druck ausübe. Dennoch quillt unaufhörlich dunkles Blut aus der leicht auseinanderklaffenden Verletzung. In mehreren Rinnsalen läuft es über meine Haut und tropft in kurzen Abständen auf den Teppich. Der Schmerz beruhigt mich ein wenig. Ich lehne mich auf dem Boden sitzend mit meinem Rücken an das Bett und lege den Kopf in den Nacken. Es dreht sich alles, ich schließe die Augen und lasse mich von dem starken Pulsieren der Wunde vereinnahmen. Gedanken an die letzte Nacht drängen sich mir auf. Mein Vater ist tatsächlich ohne große Gegenwehr auf mich eingegangen. Noch immer kann ich seine Haut auf meiner spüren, ebenso wie seine Hände, die mich überall berührten. Den Gesichtsausdruck, den mein Vater hatte, als er in mich eindrang und sich trotz meiner Verletzung durch Taichi und des Blutes kraftvoll in mir bewegte, werde ich nie vergessen. Tränen liefen über seine Wangen, er schien entsetzt, verstört, hilflos, unendlich traurig und doch voller Zuneigung zu sein. Ich konnte meinen Vater so tief in mir spüren, dass es mich fast um den Verstand brachte. Auch jetzt noch bin ich mir nicht sicher, ob Taichi in der Nacht tatsächlich vor der angelehnten Zimmertür stand und zuschaute, wie ich von meinem Vater intensiv genommen wurde. Nach dem Sex verschwand ich ziemlich schnell im Bad. Mit einer qualvoll kalten Dusche versuchte ich einen klaren Kopf zu bekommen und die viel zu starken Gefühle für meinen Vater abzutöten, bevor ich endgültig an ihnen zerbreche. Ich entschied mich, nicht noch einmal zu ihm zurückzugehen und somit auf einen Abschied zu verzichten. Stattdessen begab ich mich zu meinem Freund, der allerdings bereits in meinem Bett lag. Seine Atmung war gleichmäßig und er rührte sich nicht, weshalb ich davon ausging, dass er schlafen würde. Falls ich jedoch nicht halluzinierte, weiß Taichi jetzt, dass ich Sex mit meinem eigenen Vater habe. Wahrscheinlich widere ich ihn an, denn er äußerte sich in der Vergangenheit mehrfach abfällig über Inzest. Oder er bringt mir nichts als Verachtung entgegen. Wütend auf mich selbst vergrabe ich meine Fingernägel in der Wunde an meinem Arm. Ich ziehe die Luft scharf zwischen meinen Zähnen ein und übe nach diesem kurzen Moment der Schwäche mehr Druck aus. Gewaltsam presse ich meine Lippen aufeinander, um mich selbst am Schreien zu hindern. Niemals hätte das passieren dürfen. Niemals hätte Tai meinen Vater und mich so sehen dürfen. Wie konnte ich mich meinem Verlangen derart bedingungslos hingeben, obwohl ich wusste, dass mein Freund im Zimmer nebenan ist? Die Liebe, die ich für meinen Vater empfinde, meine Sehnsucht nach ihm, die Trauer des Abschieds und meine zerstörerische, vereinnahmende Verzweiflung ließen mich unvorsichtig werden. Ich wollte nur meinen Vater tief in mir spüren, ohne an mögliche Konsequenzen zu denken. In diesem Augenblick war mir alles andere egal. Ein nahezu lähmendes Angstgefühl ergreift Besitz von mir. Ich möchte Taichi nicht verlieren. Er darf mich nicht auch noch verlassen. Nervös wische ich mit meiner Hand über mein Gesicht, wobei ich eine klebrige Feuchtigkeit auf meiner Haut bemerke. Stark zitternd ziehe ich mich zu meinem Nachtschrank, öffne das Schubfach und entnehme das Spritzbesteck sowie das Heroin. Manchmal sind die offensichtlichsten Verstecke die besten. Kurz betrachte ich die kristalline Substanz in der kleinen Plastiktüte. Mein Freier ist umsichtig, der Stoff reicht gerade für einen Trip. Den goldenen Schuss kann ich mir damit nicht setzen. Nur mit viel Anstrengung gelingt es mir, die Droge in eine Lösung zu bringen und mit der Spritze aufzuziehen. Ich muss mich beruhigen, in meinem jetzigen Zustand bin ich kaum in der Lage mir das flüssige Glück zu injizieren. Mehrfach atme ich tief durch, beobachte dabei meine Hände. Das Zittern hört zwar nicht auf, doch es wird geringfügig schwächer. Trotzdem kann und will ich nicht mehr warten. Unbeholfen lege ich das Fixierband um meinen Oberarm und zurre es fest. Ich habe Schwierigkeiten, die Kanüle intravenös zu platzieren, benötige mehrere Einstiche. Als ich glaube endlich in eine Vene zu stechen, ziehe ich zur Kontrolle etwas Blut an, um sicher zu gehen, keine Arterie getroffen zu haben. Zufrieden nehme ich die dunkle Flüssigkeit zur Kenntnis, löse das Fixierband und drücke das Heroin langsam in meinen Blutkreislauf. Mit einem leichten Lächeln lehne ich mich zurück, doch sogleich kriecht Übelkeit meine Kehle empor. Schnell beuge ich mich zur Seite, erbreche Magensaft und Speichel auf meinen Teppich. Einer Eingebung folgend krieche ich mit letzter Kraft zu meiner Tür und drehe den Schlüssel im Schloss. Dann sinke ich zu Boden, bleibe leblos, apathisch liegen. Völlig im Rausch, fernab der Realität, gefangen. Langsam öffne ich meine Augen. Für einen Moment fehlt mir jegliche Orientierung. Mühsam setze ich mich auf, noch immer leicht benommen, lehne ich mich gegen die Tür. Mein Blick fällt auf einen großen rostbraunen Fleck auf meinem Teppich. Irritiert und fasziniert zugleich betrachte ich ihn. Dann schaue ich auf meinen Arm. Das Blut auf meiner Haut ist inzwischen geronnen, die Wunde geschlossen und stark verkrustet. Als ich neben mir die Spritze bemerke, erinnere ich mich, was geschehen ist. Ich ziehe den Ärmel des rechten Armes nach unten. Die Einstichstellen sind noch zu sehen, vermutlich werden sich sogar Hämatome bilden, da ich mich durch das Zittern und meinen schlechten Allgemeinzustand beim Fixen wirklich dämlich angestellt habe. Ich werfe einen Blick auf meinen Wecker. Der Trip scheint dieses Mal verhältnismäßig kurz gewesen zu sein, irgendwann muss ich bewusstlos geworden sein. Die Menge, die mein Freier mir überließ, war, wie ich bereits vermutete, sogar geringer als üblich. Offenbar hat er Angst um mich, wenn ich allein Heroin drücke, zumal es das erste Mal ohne seine Aufsicht war. Plötzlich muss ich an meine verschlossene Tür denken. Panik kommt in mir auf. Taichi müsste inzwischen vom Flughafen zurück sein. Wenn er nicht in mein Zimmer kommt und ich nicht reagiere, wird er die Polizei anrufen. Schwerfällig erhebe ich mich und beseitige alle Spuren meines Drogenkonsums. Anschließend öffne ich die Tür. Hoffentlich nicht zu spät. In der Wohnung ist es allerdings seltsam ruhig. Ich schaue in die Küche und in das Wohnzimmer, niemand da. Vor der Tür meines Vaters bleibe ich stehen. Mit zitternder Hand drücke ich die Klinke nach unten. Auch dieser Raum ist leer, so wie er es in Zukunft immer sein wird. Traurig und unglaublich einsam setze ich mich auf das Bett, in dem ich vor einigen Stunden noch die Haut meines Vaters feucht auf meiner spüren durfte, sein Duft mich sanft einhüllte und sein Geschmack auf meinen Lippen lag. Ich schlage die Decke zurück. Er hat das Bett vor seiner Abreise noch frisch bezogen, auf dem Laken ist kein Blut zu sehen. Wehmütig schlinge ich meine Arme um meinen Körper. Es ist schrecklich kalt. Mein Blick schweift durch den auf mich nun trostlos wirkenden Raum, dann schaue ich nach unten, wobei mir die Wunde auf meinem Arm wieder auffällt. Ich sollte sie allmählich versorgen. Erneut frage ich mich, warum Taichi noch nicht zurück ist. Sicher braucht man vom Flughafen Narita nach Odaiba eine Weile, aber mein Vater hat ihm unter Garantie Geld für ein Taxi gegeben. Wenn ich die Hin- und Rückfahrt also mit insgesamt zwei Stunden rechne und die Verweildauer auf dem Flughafen mit ein bis zwei Stunden plane, müsste mein Freund nach spätestens vier Stunden zurück sein. Zu etwa dieser Zeit erwachte ich nach meinem Herointrip. Es wäre allerdings möglich, dass der Flug aus irgendeinem Grund Verspätung hat und Tai deshalb noch immer nicht da ist. Nachdenklich und zugleich besorgt verlasse ich das Zimmer meines Vaters und begebe mich ins Bad. Der Anblick meines Spiegelbildes erschreckt mich, da mein Gesicht blutverschmiert ist. Ich drehe das kalte Wasser auf, reinige zunächst meine ebenfalls von geronnenem Blut verklebten Hände, anschließend wasche ich gründlich mein Gesicht, bevor ich mit der Wundversorgung beginne. Während ich meinen Arm und die Wunde säubere, reißt diese wieder auf. Die rote Körperflüssigkeit vermischt sich sofort nach dem Austreten mit dem klaren, fließenden Wasser. Fasziniert beobachte ich das Ganze eine Weile. Dann hole ich einen Waschlappen aus dem Schrank und drücke ihn fest auf die Verletzung. Im Flur höre ich das Drehen eines Schlüssels im Schloss der Wohnungstür. Einen Moment später steht Taichi im Türrahmen des Badezimmers. „Ist das der eigentliche Grund, weshalb du unbedingt wolltest, dass ich deinen Vater zum Flughafen begleite?“, fragt er bissig, nahezu wütend und deutet auf den Schnitt in meiner Haut. Erleichtert über seine Rückkehr atme ich tief durch. „Wo…“, setze ich an, aber mein Freund unterbricht mich. „Hast du dich auch wieder mit Drogen zugedröhnt, um vor der Realität zu fliehen?“ Tai kommt auf mich zu, bedeutet mir, mich auf den Toilettendeckel zu setzen und übernimmt die restliche Wundversorgung. „Deine Selbstverletzungen werden auch immer heftiger.“ Ich sage nichts, stattdessen schaue ich ihm beim Anlegen des Verbandes zu. „Glaubst du mir, wenn ich dir versichere, dass ich nichts genommen habe?“ „Nein“, antwortet mein Freund schonungslos direkt. „Ich bin auch der Meinung, dass du nie clean warst. Im Gegensatz zu deinem Vater, der dir eigentlich vertrauen möchte und dadurch zu anfällig für deine Manipulationen ist, lasse ich mich nicht so leicht von dir anlügen.“ Sein Tonfall ist unerwartet neutral und ohne jeden Vorwurf. „Ich habe wirklich nichts eingenommen“, lüge ich dennoch eiskalt, wobei ich eigentlich tatsächlich nichts eingenommen habe, sondern intravenös spritzte. „Was auch immer du in der Zeit meiner Abwesenheit getan hast, war es wegen deines Vaters?“ Argwöhnisch schaue ich meinen Freund an. Spielt er auf die letzte Nacht an? War es also doch real? „Ja“, bestätige ich Tais Vermutung schließlich. Der befestigt das Ende der Binde und sieht mir dann in die Augen. Zielgerichtet hebt mein Freund seinen Arm und legt seine Hand behutsam in meinen Nacken. „Ich kann es mir zwar nicht vorstellen, aber was ich in der Nacht gesehen habe, war eigentlich eindeutig.“ Er verstärkt seinen Griff etwas. „Wirst du von deinem Vater missbraucht?“ „Was?“ Völlig entgeistert starre ich meinen Freund an. Ziemlich derb nimmt der meinen Kopf zwischen seine Hände. „Hör mir zu. Ich möchte die Wahrheit bezüglich der Verbindung zwischen dir und deinem Vater erfahren. Dass ihr keine normale Vater-Sohn-Beziehung habt, ist mir schon lange aufgefallen. Letzte Nacht hattet ihr Sex, vermutlich nicht zum ersten Mal, hab ich recht?“ Kaum merklich nicke ich. „Für mich sah es so aus, als hätte er dich zum wiederholten Mal vergewaltigt. Die Stöße deines Vaters waren nicht gerade sanft, sondern sehr intensiv und eher schmerzhaft. Du lagst unter ihm, mit weit gespreizten Beinen, unglaublich hilflos und zerbrechlich. Aber am schlimmsten fand ich deinen Gesichtsausdruck, als du deinen Kopf drehtest, um deinen Vater nicht mehr ansehen zu müssen. Du hast heftig, aber nahezu stumm, geweint. Yamato, wie oft und seit wann musst du das über dich ergehen lassen? Zumindest verstehe ich jetzt dein Sexualverhalten.“ „Du verstehst überhaupt nichts!“, schreie ich Taichi an, nachdem ich meine Fassung wiedererlangt habe. „Mein Vater würde das nie mit mir machen. Er vergeht sich nicht freiwillig an mir. Dabei hätte ich nichts dagegen. Ich werde lieber brutal vergewaltigt als den Menschen, den ich liebe, gar nicht spüren zu dürfen.“ Emotional aufgewühlt blicke ich in das verwirrte Gesicht meines Freundes. „Du willst die Wahrheit hören? Dann erzähle ich sie dir. Es stimmt, ich schlafe mit meinem Vater. Weil ich ihn liebe. Meine Gefühle gehen weiter als die eines Sohnes für seinen Vater. Ich will ihn körperlich spüren, auch wenn es ihm widerstrebt. Von sich aus würde er sich niemals an mir vergreifen. Mir ist durchaus bewusst, dass er mich nur nimmt, weil es ihm schwerfällt, mich abzuweisen. Zudem weiß er aus eigener Erfahrung, dass ich ihn zum Sex zwinge, in ihn eindringe, wenn er nicht mit mir schlafen will.“ „Yamato! Du hast deinen Vater vergewaltigt?“ Entsetzt packt Tai mich schmerzhaft an den Schultern und fixiert meine Augen. „Nein, ich habe lediglich die Rollenverteilung geändert, da er mich nicht nehmen wollte. Allerdings schien ihm der passive Part auch nicht zu gefallen. Er war ziemlich wütend und wollte mich erneut einweisen. Beinahe wäre es mir nicht gelungen, ihn noch einmal zu überred...“ Ein harter Schlag trifft mich ins Gesicht. „Bist du bescheuert? Denkst du wirklich so? Verdammt nochmal, hör auf deine Übergriffe zu verharmlosen! Nur weil es dir nichts ausmacht, gewaltsam und gegen deinen Willen gefickt zu werden, empfinden andere noch lange nicht genauso. Aber du verstehst das nicht, oder? Du kannst es nicht verstehen.“ „Nein“, sage ich beinahe stimmlos und mit gesenktem Kopf. „Ich verstehe es tatsächlich nicht. Wenn man jemanden liebt, will man die Person doch auch intensiv spüren. Und wenn man bereits miteinander geschlafen hat, dürften weitere Male doch kein Problem sein. Wieso ist es das eine Mal in Ordnung und ein anderes Mal wird man zum kranken Verbrecher, obwohl man nichts anderes tut als zuvor? Wieso, Taichi?“ Verzweifelt suche ich in seinen Augen nach einer Antwort, die ich allerdings nicht erhalte. Stattdessen schließt mein Freund mich fest in seine Arme. „Inzest widert dich an, deshalb verachtest du mich jetzt, hab ich recht?“ „Nein, aber warum hast du mir die ganze Zeit unterstellt, ich würde mit deinem Vater ins Bett gehen, wenn du dich selbst von ihm vögeln lässt? Seit wann eigentlich, Yamato?“ Ich überlege kurz. „Nach Akitos Tod. Gefühle waren aber schon länger in mir, ich erinnere mich, dass ich mit Akito darüber gesprochen hatte.“ „Du hast es dem erzählt?“, fragt Tai abfällig. „Ja, er fand es sehr amüsant.“ Ein liebevolles Lächeln legt sich bei dem Gedanken an meinen damaligen Freund auf meine Lippen. „Glaubst du mir, dass ich dieses Mal die Wahrheit sage?“, füge ich ernst hinzu. „Ich glaube dir. Ohnehin hatte ich bereits den Verdacht, dass zwischen euch eine körperliche Beziehung besteht. Deshalb sprach ich dich in letzter Zeit des Öfteren darauf an, aber du bist immer irgendwie ausgewichen.“ „So wie du, wenn ich dich auf deine Beziehung zu meinem Vater anspreche.“ Ich möchte mich von meinem Freund lösen, werde von ihm jedoch enger an seinen Körper gepresst. „Wir haben uns geküsst“, gibt Taichi endlich zu. „Und Sex?“ „Nein. Allerdings will ich dir nicht verschweigen, dass wir trotzdem das Bett teilten, uns berührten. Besonders als du in der Klinik warst, gab dein Vater mir mit seiner Nähe Halt, Kraft und Geborgenheit. Zudem war er sehr oft selbst nervlich am Ende. Für ihn war es ebenso wichtig, nicht allein zu sein.“ „Warum habt ihr nicht miteinander geschlafen?“ „Nur weil ich deinen Vater sehr mag, muss ich nicht gleich mit ihm schlafen.“ „Liebst du ihn?“ „Nein“, antwortet Tai entschieden. „Waren die Zuwendungen sowie Küsse, die ich unter anderem im Delirium zwischen euch zu sehen glaubte, also doch real? Auf meine Nachfrage habt ihr beide meine Beobachtungen dementiert und mich als wahnhaft bezeichnet.“ Ich löse mich etwas aus der Umarmung und blicke ihn verletzt an. „Warum lügt ihr mich auf diese Weise an?“ Taichi streicht zärtlich durch meine Haare. „Es tut mir leid, Yamato. Du solltest es eigentlich nie erfahren.“ Behutsam berührt er mit seinen Fingern die leicht schmerzende Stelle an meiner Wange. „Anscheinend habe ich dich kraftvoller geschlagen als beabsichtigt. Deine Haut ist noch immer sehr gerötet.“ „Das macht nichts. Ich mag dieses Gefühl“, beruhige ich meinen Freund tonlos. „Wann habt ihr euch zum ersten Mal geküsst? Wann das letzte Mal? Und ist wirklich nichts in der Nacht geschehen, als du in seinem Zimmer warst?“ Verlegen schaut Tai zur Seite. „Als er aus Deutschland zurückkam, holte ich ihn vom Flughafen ab. Da ich deinen Vater über die aktuelle Situation vollständig aufklären wollte und das Zeit in Anspruch nahm, begleitete er mich nach Hause. Ich bot ihm eine Tasse Kaffee an, somit führten wir die Unterhaltung in meinem Zimmer weiter. Der Kuss war einvernehmlich, spontan. Niemand ergriff die Initiative.“ Kurz denke ich nach. „Das bedeutet, zwischen euch lief bereits etwas, bevor ich mir meiner Gefühle für meinen Vater bewusst wurde. War deine Trennung von mir seinetwegen? Immerhin hast du ihn aufgrund dessen gebeten, zurückzukommen. War deine Sehnsucht so stark?“ „Das ist Unsinn, Yamato. Und das weißt du.“ Sein Tonfall ist ruhig, nachsichtig. „Wirklich? Genauso unsinnig wie meine Behauptung, dass zwischen euch etwas läuft? Wie oft ist es passiert?“ „Ich weiß es nicht. Mehrmals. Das letzte Mal heute beim Abschied.“ „In der Öffentlichkeit?“, frage ich erstaunt. Mein Freund schweigt kurz. „Naja, nicht direkt. Als wir auf der Toilette waren…“ „Bist du sicher, dass bei euch keine Gefühle im Spiel sind?“, hake ich mit aufkommender Eifersucht nach. „Es sind Gefühle im Spiel, aber keine Liebe.“ Tais Worte tun enorm weh und schüren meine Angst, ihn, aber auch meinen Vater, zu verlieren. „In seinem Zimmer damals lagen wir im Bett, sprachen miteinander und... küssten uns. Aber keiner von uns dachte an Sex“, ergänzt mein Freund peinlich berührt. Ich zweifle an seiner Ehrlichkeit, sage jedoch nichts. Generell fühle ich mich wie betäubt, emotionslos, tot. „Dich belastet die Situation gerade sehr, oder?“ Ich nicke. „Die Wunde scheint noch stark zu bluten, der Verband weicht etwas durch. Ich erneuere ihn und dann mache ich uns etwas zu essen, einverstanden?“ „Bist du vom Flughafen gleich hierher zurückgekommen? Oder warst du noch woanders?“, stelle ich eine Gegenfrage. Taichi lächelt mich an. „Ich war bei meinen Eltern zu Hause. Solange Ferien sind, werde ich hier bleiben. Deshalb musste ich noch einige Sachen holen.“ „Du bleibst bei mir?“ Mit großen Augen schaue ich ihn an. Ich freue mich sehr über diese Nachricht, aber alles in mir schreit laut durcheinander und die Unterhaltung bezüglich meines Vaters kreist wie ein dunkler Schatten über meinen Gedanken. „Seit wann schläfst du im Schlafanzug?“, fragt mein Freund verwundert, als ich mich bekleidet zu ihm ins Bett lege. „In letzter Zeit ist mir nachts oft kalt“, lüge ich. Auf keinen Fall darf Tai meine zerstochene Armbeuge sehen, die sich inzwischen blauviolett verfärbt hat. „Ich kann dich doch wärmen. Ohnehin hilft Körperwärme besser gegen Kälte als Kleidung.“ Bestimmt zieht mein Freund mich dicht an sich. Ich lasse mich von seinem Duft umhüllen und schließe die Augen. „Taichi? Darf ich dich um etwas bitten?“ „Worum geht es?“ Aus seiner Gegenfrage höre ich deutlich Argwohn heraus. „Würdest du mich nächste Woche zum Arzt begleiten? Mein Vater verlangt einen Aidstest von mir. Ich versicherte ihm zwar, dass das nicht nötig ist, da ich nicht infiziert bin, aber er bestand dennoch darauf.“ „Ich kann ihn verstehen, Yamato. Du hast ungeschützten Verkehr mit fremden Männern. Seine Bedenken sind also durchaus angebracht.“ „Wenn ihr Angst vor Krankheiten habt, warum schlaft ihr dann beide ohne Kondom mit mir?“ „Ich weiß nicht, warum dein Vater es tut, aber ich will dich richtig spüren, wenn ich in dir bin. Falls etwas passieren sollte, würde ich ohne dich nicht weiterleben. Deshalb ist es mir egal. Wie ich deinen Vater kenne, denkt er vermutlich ähnlich. Er liebt dich absolut bedingungslos. Du bist alles für ihn, Yamato. Vor einiger Zeit gestand er mir, dass er deinen Tod niemals verkraften und ebenfalls sterben wollen würde.“ „Also bin ich euer beider Verderben“, stelle ich bitter fest. „Ich halte eure Leben in meinen Händen. Warum bürdet ihr mir diese Verantwortung auf?“ Verzweifelt klammere ich mich an meinen Freund, meine Stimme zittert. „Empfindest du das so? Yamato, wir sind eigenständige Menschen mit einem eigenständigen Willen, die eigenständige Entscheidungen treffen. Du versuchst schon wieder die Schuld dir zuzuschreiben, um dich noch mehr hassen zu können.“ Taichi richtet sich etwas auf, ohne mich gänzlich loszulassen. „Zum wiederholten Mal, hör auf damit!“ Sanft haucht er einen Kuss auf meine Wange. „Ich möchte nicht, dass du dir auf so egoistische Art und Weise wehtust. Zudem ist es unfair, wenn du uns für deinen Selbsthass benutzt.“ Betreten schweige ich. „Wieso bist du dir eigentlich so sicher, dass du gesund bist?“ „Weil ich, entgegen jeglicher Vorwürfe, nicht mit jedem ins Bett gehe“, antworte ich ruhig, monoton. „Also ließen deine Freier sich testen, bevor sie dich ohne Kondom fickten?“ „Nein.“ Seufzend streichelt mein Freund über meinen Kopf. „Du bist blauäugig, Yamato. Findest du es nicht merkwürdig, dass sie mit einem Stricher, der ein erhöhtes Risiko einer Infektion birgt, ungeschützt vögeln? Es sei denn, sie brauchen keine Angst mehr vor einer Ansteckung zu haben, weil sie bereits erkrankt sind.“ „So gesehen hast du recht. Dennoch glaube ich nicht, dass etwas passiert ist. Zur Beruhigung meines Vaters werde ich mich aber gleich noch auf Hepatitis C und diverse Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen.“ „Hepatitis C? Bekommt man das nicht eher beim Heroinkonsum durch verunreinigtes Spritzbesteck?“ „Auch. Ein erhöhtes Risiko besteht jedoch ebenso beim ungeschützten Analverkehr, insbesondere wenn die Darmschleimhaut verletzt wird. Und da ich auf brutale Praktiken stehe, passiert das, wie du weißt, nicht selten.“ „Also gut, ich werde dich begleiten. Hast du Angst vor den Ergebnissen?“ „Nicht meinetwegen.“ Tai legt sich wieder hin und zieht mich fest in seine Arme. Schwere Stille umhüllt uns und jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Ich frage mich, ob die Beziehung zwischen Taichi und mir jemals wieder wie vor der Trennung werden wird, denn ich fühle, dass etwas Wichtiges fehlt und die Leere allmählich größer wird. „Es ist schön, dich wiederzusehen, Taichi“, sagt meine Mutter, während sie mir einen Teller mit einer riesigen Portion Reis und eingelegtem Gemüse vorsetzt. „Wer soll das alles essen? Die Menge würde für drei Personen reichen, um satt zu werden. Außerdem hasse ich eingelegtes Gemüse“, beschwere ich mich. „Es ist aber gesund. Und die Portion ist ganz normal. Du wirst aufessen, Yamato.“ In ihren Augen liegt ein Ausdruck, der mir vermittelt, dass es zwecklos ist, mit ihr zu diskutieren. Unzufrieden senke ich meinen Blick. „Das letzte Mal sah ich dich, als ich Takeru zum Sommercamp gefahren habe“, wendet sich meine Mutter wieder lächelnd an meinen Freund. „Das muss vor sieben Jahren gewesen sein. Wie alt warst du da? Elf?“ „Ja“, bestätigt Tai, während er auf etwas Reis herumkaut. „Damals wusste ich noch nicht, dass Sie Yamatos Mutter sind und Takeru sein Bruder. Ich hätte es auch nie vermutet, weil die Nachnamen verschieden sind.“ „Eigentlich wäre ich gar nicht mit zum Sommercamp gefahren, weil ich nicht auf eure Schule ging, nicht wahr, Mama?“, bringt sich nun auch Takeru in das Gespräch ein. „Das stimmt. Die Schule machte bei dir eine Ausnahme, damit du die Ferien mit deinem Bruder verbringen konntest.“ Genervt stochere ich in meinem Essen herum. Die gesamte Unterhaltung wirkt aufgesetzt, gespielt familiär. Dass Taichi bei dieser Farce mitmacht, verwundert mich jedoch nicht. Im Gegenteil, vor anderen ist er immer mehr Schein als Sein, daran hat sich seit unserer Kindheit nichts geändert. Bei Erwachsenen gibt er sich besonders viel Mühe, unschuldig und liebenswürdig zu sein. Ich betrachte meinen Freund. Wieder hat er dieses Lächeln, welches ich so sehr verachte. Mir wird regelrecht schlecht davon. Andererseits würde ich es hassen, wenn noch jemand außer mir ihn wirklich kennt, er anderen ebenso seine grausame Seite zeigt. Gemeinschaftliches Lachen am Tisch holt mich aus meinen Gedanken. Angeekelt schiebe ich meinen Teller ein Stück von mir und stehe auf. „Wohin willst du? Bisher hast du kaum etwas gegessen“, bemerkt meine Mutter tadelnd. „Zur Toilette“, entgegne ich knapp, ohne auf ihren Vorwurf einzugehen. „Den Rest isst du aber noch.“ „Nein, ich habe keinen Hunger mehr.“ „Das war keine Bitte, Yamato.“ Ihr Tonfall wird strenger. „Ich weiß“, erwidere ich nur und verlasse den Raum. Rasch laufe ich über den Flur, hinter mir schließe ich die Badezimmertür ab. Tief atme ich durch. Wie sehr ich es allerdings versuche, es gelingt mir nicht, meine Tränen zurückzuhalten. Weinend sinke ich zu Boden, ziehe meine Beine dicht an meinen Körper und lege meinen Kopf auf meine Knie. „Papa, du fehlst mir so sehr“, flüstere ich schluchzend. „Ohne dich schaffe ich das alles nicht. Ich fühle mich so schutzlos. Ich brauche den Halt, den du mir gibst.“ Nervös schiebe ich meinen Ärmel nach oben und öffne die frisch verschorfte Verletzung wieder. Mit meinen Fingernägeln kratze ich in der Wunde, bis sie erneut zu bluten beginnt. Dann lasse ich mich zur Seite falle und bleibe reglos auf den kalten Fliesen liegen. Ich konzentriere mich auf das penetrante Pulsieren in meinem Kopf und versuche ihm einen Rhythmus aufzuzwingen. Ein Klopfen durchdringt die Stille und lässt mich leicht zusammenzucken. „Yamato?“ Es ist Tais Stimme, die meinen Namen ruft. „Öffne bitte die Tür, Yamato.“ Nur mit Mühe kann ich der Aufforderung meines Freundes Folge leisten. Nachdem er das Bad betreten hat, schließt er sofort wieder die Tür hinter sich ab. Sein Blick fällt auf meinen Arm. Er reißt etwas Toilettenpapier von der Rolle und befeuchtet es am Waschbecken. „Setz dich.“ Mit einem Kopfnicken deutet er auf den Wannenrand. Er kniet sich vor mich und reinigt sorgfältig die Wunde. „Taichi…“ Meine Stimme zittert hörbar. „Du hast geweint. Deine Augen sind gerötet und leicht geschwollen.“ Mein Freund sieht mich nicht an. „Es bereitet mir ziemliche Sorgen, dass du momentan so extrem labil bist.“ „Ich liebe dich.“ Stumm laufen Tränen über meine Wangen. Traurig sieht Tai mich an. „Ich liebe dich, Yamato. Mehr als du dir vorstellen kannst. Du bedeutest mir so unendlich viel. Es tut wirklich verdammt weh.“ Mit meinen Fingern berühre ich behutsam die Wange meines Freundes, beuge mich langsam vor und küsse sanft seine Lippen. „Die Blutung hat aufgehört. Wasch dir deine Hände, die sind ganz verschmiert, danach gehen wir zurück ins Wohnzimmer zu deiner Mutter und Takeru, okay?“ Ich nicke verhalten und gehorche anstandslos. Mit fest ineinander verhakten Fingern verlassen wir anschließend das Bad. „Yamato, ist alles in Ordnung? Du bist so blass“, fragt meine Mutter besorgt, als ich wieder am Tisch Platz nehme. „Mir geht es nicht so gut“, antworte ich zurückhaltend, leise. „Dann fahre ich euch nach dem Essen nach Hause. Aber nimm wenigstens den Reis zu dir. Du weißt doch, dass man weißen Reis nicht stehen lässt.“ „Ja, Mama“, lenke ich ein und greife nach meinen Stäbchen. „Bevor wir uns auf den Weg machen, werde ich allerdings noch deinen Körper auf Verletzungen kontrollieren.“ Ich erstarre in meiner Bewegung und schaue meine Mutter ungläubig an. „Wie bitte?“, entweicht es mir nahezu stimmlos. „Du kennst die Abmachungen, Yamato. Dein Vater hat mich darum gebeten und das weißt du.“ „Mama, ich glaube Yamato wäre es angenehmer, wenn ich das übernehmen würde.“ Mein Bruder lächelt mich beruhigend an. „Danke, aber das ist nicht nötig, Takeru“, äußert sich nun auch mein Freund zu dem Sachverhalt. „Yamato hat sich nach dem Abschied von seinem Vater selbst verletzt. Ich kam gerade nach Hause, habe die Wunde gesehen und versorgt. Sie müssen sich insofern keine Sorgen machen.“ Meine Mutter seufzt. „Ich vertraue dir, Taichi. Du stehst meinem Sohn wesentlich näher als ich. Bitte pass auf ihn auf.“ „Das werde ich, Frau Takaishi.“ Meine aufkommende Angst ebbt ab, da mein Freund mich unbewusst mit seiner Einmischung gerettet hat. Die Selbstverletzungen kann meine Mutter ruhig sehen, das ist mir egal. Aber die Einstiche und die darum entstandenen Hämatome zu erklären wäre ein Problem. „Danke. Kann ich morgen zum Abendessen wieder mit dir rechnen?“ „Ja, gern.“ Tai drückt meine Hand stärker, die er bis jetzt nicht losgelassen hat. Nachsichtig lächelt mich meine Mutter an. „Es ist in Ordnung, Yamato.“ Sie deutet auf meinen noch immer gut gefüllten Teller. „Wichtiger ist jetzt, dass du nach Hause ins Bett kommst, damit du dich ausruhen kannst.“ Ich nicke lediglich und stehe erleichtert auf. „Es tut mir leid, Mama“, murmle ich kaum hörbar. Leise fällt die Tür hinter uns ins Schloss. Ich spüre, dass Taichi mich dabei beobachtet, wie ich mühsam meine Schuhe ausziehe, versuche aber es zu ignorieren. Während der kurzen Autofahrt sagte ich kein Wort, mein Freund hingegen unterhielt sich angeregt mit meiner Mutter. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie Tai ohne Probleme belanglose Gespräche führen kann. „Was ist nur los mit dir, Yamato?“, spricht er mich wie erwartet an. „Warum bist du deiner Mutter gegenüber so zickig?“ Ich stelle die Schuhe beiseite und ziehe meine Jacke aus. „Das weiß ich selbst nicht“, gebe ich betrübt zu. „Allerdings frage ich mich, weshalb du immer Partei für meine Eltern ergreifst. Mit meiner Mutter hast du dich offensichtlich wunderbar verstanden. Willst du jetzt sie anstelle meines Vaters vögeln? Immerhin ist sie eine Frau und entspricht somit deiner sexuellen Neigung.“ Ich schaue meinen Freund voller Eifersucht an. „Dir ist echt nicht mehr zu helfen. Glaubst du das allen Ernstes, Yamato? Dann ist deine Wahrnehmung gestörter, als ich dachte.“ Tais Stimme ist ruhig, strahlt Überlegenheit aus. „Ausgerechnet du wirfst mir vor gestört zu sein?“ Ich lache verächtlich. „Erinnerst du dich nicht mehr, was du mir bisher alles aus Eifersucht angetan hast? Du bist keineswegs besser als ich, Taichi Yagami.“ Wortlos kommt er auf mich zu, drückt mich hart gegen die Wand, seine Finger um meinen Hals gelegt. „Jede einzelne Tat sowie meine Eifersucht waren berechtigt“, zischt er mit drohendem Unterton. „Du legst es doch absichtlich darauf an, dass ich grob zu dir werde. Zudem kann ich dich nicht anders in die Realität zurückholen, außer mit Gewalt. Denn nur so erhalte ich von dir eine angemessene Reaktion.“ „Du opferst dich also meinetwegen? Es hat nicht zufällig etwas mit deiner Affinität zur Gewalt zutun?“ Grinsend betrachte ich meinen Freund. Der schweigt, verstärkt jedoch den Druck auf meine Kehle, sodass ich kaum schlucken kann. „Ist diese Brutalität deine Antwort?“, presse ich angestrengt hervor. „Du weißt genau, warum ich das tun muss, Yamato.“ Schwarze Punkte beginnen zu tanzen, beeinträchtigen immer mehr meine Sicht. Auch das Rauschen in meinen Ohren wird unangenehm laut. Ich schließe meine Augen und warte darauf, das Bewusstsein zu verlieren. Als meine Beine nachgeben, lässt Taichi von mir ab, gibt mir allerdings Halt, damit ich aufrecht stehen bleibe. Stark hustend kralle ich mich an meinem Freund fest. „Geht es dir jetzt besser?“, flüstert er fürsorglich und sehr liebevoll in mein Ohr. Ich nicke verhalten. „Danke“, kommt es leise und mit kratziger Stimme über meine Lippen. „Aber lass mich nicht los.“ Laut klopfe ich gegen das Holz und warte auf die Forderung, einzutreten. Als ich diese vernehme, öffne ich die Tür. „Yamato, komm rein und setz dich bitte.“ Mein Direktor deutet auf einen leeren Stuhl, wobei er mich jedoch ernst ansieht. Ich folge der Geste und warte anschließend darauf, dass er zu sprechen beginnt. „Ich vermute, du weißt, warum ich dich herbestellt habe.“ „Wegen meines Prüfungsergebnisses“, antworte ich nüchtern. „Korrekt. Die Bedingung war ein Ergebnis von mindestens fünfundneunzig Prozent, um deinen Abschluss machen zu dürfen. Ich legte diesen Richtwert fest, weil ich der Meinung bin, dass das im Test abverlangte Wissen eine solide Basis für das weitere Leben bildet.“ Er reicht mir die Arbeit über den Tisch, ich nehme sie entgegen und schenke nur der zweifach unterstrichenen Zahl in der rechten oberen Ecke des Blattes Beachtung. Einundneunzig Prozent. Mein Kopf ist vollkommen leer. Reglos starre ich auf das Papier. „Ehrlich gesagt bin ich erstaunt über deine hohe Prozentzahl. Ich hatte mit einem wesentlich schlechteren Ergebnis gerechnet, wenn man bedenkt, wie viele Fehlstunden du hast. Aus diesem Grund war meine Vorgabe eigentlich unmöglich zu schaffen. Mit deiner Leistung jedoch hast du bewiesen, wie wichtig dir dein Schulabschluss ist. Ich unterbreite dir folgenden Vorschlag, der mir sehr sinnvoll erscheint. Sicher möchtest du studieren, hab ich recht?“ Verunsichert nicke ich. „Ende des Monats finden die Aufnahmeprüfungen statt. Schaffst du die Prüfung und wirst an einer Universität angenommen, kannst du selbstverständlich deinen Abschluss machen, da du somit meiner Meinung nach endgültig bewiesen hast, dass dein Wissensstand ausreichend ist.“ Ich schaue meinen Direktor erstaunt an und versuche die Bedeutung seiner Worte in meinem Kopf zu verarbeiten. „Voraussetzung ist natürlich weiterhin, dass es bei dir zu keinen vorsätzlichen Fehltagen mehr kommt. Auch hoffe ich, dass du dein Fehlverhalten von damals inzwischen einsiehst und so etwas nie wieder passiert. Verstehe mich bitte nicht falsch, ich weiß, dass Akito Itami ein guter Freund von dir war und du seinen Verlust mit Sicherheit kaum verkraftest, zumal du ohnehin, ganz direkt gesagt, psychisch wenig belastbar bist aufgrund deiner Krankheit. Auch ich bedauere seinen Tod sehr. Euer kindlich experimentelles Verhalten war dennoch nicht tragbar. Ich hoffe, deinem Vater ist es gelungen, dir diese Widernatürlichkeit auszutreiben.“ Mein Blick verfinstert sich und ich balle meine Hand schmerzhaft zur Faust. „Momentan wohnst du allein, oder? Dein Vater ist wieder im Ausland?“ Ich nicke. „Denkst du, du schaffst es ohne Aufsichtsperson?“, fragt mein Gegenüber skeptisch und zugleich besorgt. „Ich bin kein Kind mehr. Außerdem habe ich noch meine Mutter und meinen Bruder. Und vor allem meinen Freund.“ Die letzte Aussage betone ich aus Trotz besonders deutlich. An der Mimik meines Direktors erkenne ich, dass er die Bedeutung meiner Worte verstanden hat. Er seufzt. „Yamato, willst du dir wirklich selbst Steine in den Weg legen? Diese… Neigung ist nicht gut.“ Mitleidig betrachtet er mich. Schweigend erhebe ich mich und gehe um den Schreibtisch herum. Vor meinem Direktor bleibe ich stehen und beuge mich zu ihm hinab, sodass mein Gesicht dicht vor seinem ist. Irritiert sieht er mir in die Augen. „Ich werde meine Neigung nicht verleugnen. Akito war nicht ein Freund, sondern mein Freund. Ich habe mit ihm geschlafen, weil ich ihn liebe.“ Krampfartig zieht sich mein Herz zusammen. „Und Taichi ist alles für mich. Ich liebe ihn mehr als ich mir wünsche zu sterben.“ „Taichi Yagami?“, fragt mein Gegenüber ungläubig. „Er ist dein… Freund?“ „Ja, wir sind zusammen. Und wir haben auch Sex. Intimitäten mit einer Frau hingegen kann ich mir nicht vorstellen. Bei dem Gedanken wird mir eher schlecht.“ „Du hattest nie eine Freundin? Wie kannst du dann wissen, dass es dir nicht besser gefallen würde?“ Statt zu antworten, greife ich meinem Direktor in den Nacken und zwinge ihm einen Kuss auf. Als er sich nach dem ersten Schock zu wehren beginnt, presse ich ihn unsanft gegen die Stuhllehne. Sein Versuch, zu protestieren, ermöglicht es mir, meine Zunge in seinen Mund zu schieben. Nahezu panisch stemmt er seine Hände gegen mich. Ich ziehe seinen Kopf an den Haaren im Nacken heftig nach hinten, ergreife mit meiner anderen Hand grob eines seiner Handgelenke und setze mich mit gespreizten Beinen auf seinen Schoß, um ihn in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken. Ohne den Kuss zu lösen, lasse ich die Haare meines Gegenübers los, wandere nach unten und öffne seine Hose. Die Gegenwehr meines Direktors wird stärker. Meine Finger gleiten in seine Shorts. Ich unterbreche den Kuss, damit ich in sein Gesicht blicken kann, während ich ihm einen runterhole. „Oder soll ich es dir mit dem Mund machen?“, lächle ich ihn unschuldig an. Angeekelt sieht mein Direktor mich an, antwortet jedoch nichts. Stattdessen gelingt es ihm, seinen Arm aus meiner Gewalt zu befreien, und schlägt mir hart ins Gesicht. Ich verliere mein Gleichgewicht und stürze zu Boden. „Steh auf, Yamato“, befiehlt er mit scharfem Ton, schließt seine Hose und stellt sich abwartend vor mich. Mit den Fingern über meine schmerzende Wange streichend erhebe ich mich. Mein Gegenüber holt aus und schlägt mir erneut, diesmal mit der Rückhand, unverhohlen ins Gesicht. „Ich hoffe, du bist dir darüber im Klaren, dass dein Verhalten nicht ohne Konsequenzen bleiben wird.“ Seine Stimme vibriert, doch er bemüht sich ruhig zu bleiben. „Ja, Herr Direktor“, entgegne ich emotionslos. „Geh jetzt zurück in deine Klasse“, fordert er mich streng auf. „Ob du nach dieser Aktion noch an der Schule bleiben darfst, werde ich dir beziehungsweise deinen Eltern mitteilen, sobald ich eine Entscheidung darüber getroffen habe.“ „Ja, Herr Direktor.“ Ich wende mich zur Tür, bevor ich diese jedoch öffne, drehe ich mich noch einmal um. „Vielleicht hätte es Ihnen auch besser gefallen, mit einem Mann zu schlafen.“ Zweimal betätige ich den Klingelknopf, dann warte ich. Nach einem kurzen Moment öffnet mein Bruder die Tür. Er sieht besorgt aus. „Yamato, komm rein.“ Ich betrete die Wohnung, stelle meine Schultasche ab und ziehe Schuhe sowie Jacke aus. „Dein Direktor hat angerufen. Mama ist ziemlich sauer. Was ist denn passiert?“, fragt Takeru betrübt. „Nichts weiter. Mach dir keine Sorgen“, entgegne ich lächelnd, um ihn zu beruhigen, doch sein trauriger Gesichtsausdruck ändert sich nicht. Ich gehe an ihm vorbei ins Wohnzimmer und nehme auf dem Sofa Platz. Den Geräuschen zufolge befindet sich meine Mutter in der Küche und bereitet das Abendessen zu. Kurz überlege ich zu ihr zu gehen, um sie zu begrüßen, entscheide mich dann allerdings dagegen und bleibe sitzen. Eine Weile starre ich reglos auf den Boden, bis schließlich meine Mutter ins Wohnzimmer kommt und sich vor mich stellt. „Was ist heute in der Schule vorgefallen, Yamato?“ Ihr Tonfall ist für mich ungewohnt autoritär. „Das weißt du doch von meinem Direktor“, begegne ich ihr monoton und mit weiterhin gesenktem Blick. „Ich möchte es aber von dir hören.“ „Was soll das bringen? Aber wenn du dadurch glücklich bist, erfülle ich dir deinen Wunsch.“ „Deine patzige Art hilft dir hier nicht weiter, Yamato“, weist meine Mutter mich zurecht. Verständnislos schüttle ich den Kopf. „Wieso patzig? Ich werde dir doch antworten. Ich habe meinen Direktor geküsst und damit begonnen, ihm einen runterzuholen. Ich hätte auch Sex mit ihm gehabt, wenn er sich nicht gewehrt hätte, aber letztlich war er mir körperlich überlegen und beendete mein Vorhaben sehr unsanft.“ Dass er mich zwei Mal geschlagen hat und letzteres nicht aus Notwehr, sondern ganz bewusst, verschweige ich. „Das ist unfassbar! Kannst du mir bitte verraten, was du dir dabei gedacht hast? Und sieh mich an, wenn ich mit dir rede!“ Ich hebe meinen Kopf und schaue ihr fest in die Augen. Darin erkenne ich unglaubliche Aufgebrachtheit, die sie nach außen jedoch nur in Form von Strenge zeigt. „Meine Handlungen waren lediglich die Reaktion auf eine seiner Aussagen“, verteidige ich mich reinen Gewissens. „Du kannst der Schule verwiesen werden, ist dir das überhaupt bewusst? In den nächsten Tagen wird dein Direktor darüber entscheiden. Aber war es das wirklich wert? Immerhin steht deine Zukunft auf dem Spiel.“ Aufgrund des letzten Satzes lächle ich verächtlich. Gern würde ich meine Mutter fragen, was sie mit Zukunft meint, halte mich allerdings zurück und schweige stattdessen. „Die Erziehung deines Vaters war einfach nicht streng genug. Ich hätte damals verhindern müssen, dass du mit deinem Vater gehst, immerhin hatte ich ursprünglich das Sorgerecht für dich und Takeru zugesprochen bekommen.“ Meine Wut lässt mich die Kontrolle verlieren. Ich springe auf, packe meine Mutter derb am Handgelenk und ziehe sie dicht an mich. „Hör auf und wage es nicht noch einmal, schlecht über Papa zu reden!“, zische ich mit drohendem Unterton. „Ist das ein Versuch, mich einzuschüchtern? Lass mich los, Yamato“, fordert meine Mutter selbstsicher. „Wendest du bei deinem Vater auch Gewalt an, um deinen Willen durchzusetzen?“ „Was? Nein, natürlich nicht!“, schreie ich ihr voller Verachtung entgegen und stoße sie angewidert von mir. Sie taumelt leicht, findet aber sofort ihr Gleichgewicht wieder. „Mäßige dich in deinem Ton und Handgreiflichkeiten dulde ich nicht, hast du verstanden, Yamato?“ Jetzt wird auch meine Mutter lauter, ungehaltener. Ich beiße mir auf die Lippen. Mein Körper bebt vor Erregung, trotzdem zwinge ich mich wieder auf dem Sofa Platz zu nehmen. Krampfhaft versuche ich mich zu beruhigen, doch es gelingt mir kaum. „Dein Verhalten wird einschneidende Folgen für deine Freiheiten haben, darüber bist du dir hoffentlich im Klaren. Es wird Zeit, dir endlich Grenzen zu setzen, damit du begreifst, dass du nicht ungestraft machen kannst, was du willst.“ „Und mit welchen Maßnahmen gedenkst du mich erziehen zu können?“, frage ich herablassend, ohne sie jedoch anzusehen. „Ich möchte dich auch am Wochenende unter meiner Aufsicht haben. Du wirst also nicht zu deinem vermeintlichen Schulfreund gehen.“ Entsetzt hebe ich meinen Kopf und starre sie ungläubig an. „Aber wir lernen zusammen für die Schule“, protestiere ich. „Falls du tatsächlich mit einem Klassenkameraden lernst, wobei ich glaube, dass du diesbezüglich nicht die Wahrheit sagst, kann er auch hierher kommen. Ich habe nichts dagegen, auch wenn es spät werden sollte.“ Prüfend beobachtet mich meine Mutter, vermutlich um meine Reaktion zu sehen. „Nein. Ich lasse mich von dir nicht derart bevormunden“, stelle ich unmittelbar klar. „Dann bitte ich dich zu gehen“, verlangt meine Mutter entschlossen. „Was?“ Irritiert versuche ich an ihrer Mimik die Bedeutung ihrer Worte herauszulesen. „Da du nicht, laut deiner Formulierung, bevormundet werden willst, bitte ich dich zu gehen. Deiner selbstgefälligen Arroganz zufolge brauchst du niemanden und kommst allein zurecht. Halte dich in Zukunft fern von hier. Ich möchte nicht sehen, wie mein Sohn durch unbelehrbare Unvernunft sein Leben wegwirft oder sich mit Drogen zugrunde richtet.“ Plötzlich spüre ich, wie sämtliche Empfindungen taub werden und Gleichgültigkeit von mir Besitz ergreift. Mechanisch erhebe ich mich. Ohne von meiner Mutter weiter Notiz zu nehmen, verlasse ich das Wohnzimmer. Mit Tränen in den Augen sieht mein Bruder mich an. Offenbar stand er die ganze Zeit im Flur und hat die Auseinandersetzung zwischen meiner Mutter und mir mit anhören müssen. „Yamato, bitte geh jetzt nicht. Nicht in deinem Zustand. Sprich noch einmal mit Mama.“ Seine Stimme zittert deutlich. Ich schüttle leicht den Kopf, während ich meine Schuhe und meine Jacke anziehe. Dann nehme ich meine Schultasche und wende mich Takeru zu, der inzwischen weint. Liebevoll umarme ich ihn. „Was wirst du jetzt machen? Ich habe solche Angst, dass du dir etwas antust“, schluchzt er. Voller Zuneigung streichle ich durch seine Haare und küsse ihn zärtlich auf die Wange. „Mach dir keine Sorgen.“ Ich lächele unbeholfen. „Pass auf dich auf. Ich liebe dich, kleiner Bruder.“ Flüchtig hauche ich einen Kuss auf seine Lippen, dann öffne ich die Tür und verlasse die Wohnung. Abwesend sitze ich auf einer Bank, die einem Raucherpunkt zugehörig ist. Die Zigarette in meiner Hand brennt langsam, von mir unbeachtet, herunter. Wie viel Zeit inzwischen vergangen ist, seit ich diesen Ort in Beschlag genommen habe, vermag ich nicht zu sagen, aber meine ursprünglich fast volle Zigarettenschachtel ist nahezu leer. Auch die Sonne ist seit langem untergegangen. Ich starre vor mich auf den Asphalt, unfähig aufzustehen, geschweige denn weiterzugehen. Nie hätte ich gedacht, dass meine Mutter sich von mir lossagt und mich ihrer Wohnung verweist. Diese ganzen Ereignisse lassen die Sehnsucht nach meinem Vater unerträglich werden. Wenigstens seine Stimme möchte ich hören, wenn ich ihn schon nicht spüren kann. Allerdings wäre ein Anruf wahrscheinlich keine gute Idee. Sicher wurde er inzwischen über den Vorfall in der Schule informiert, möglicherweise weiß er mittlerweile sogar von dem Rauswurf meiner Mutter. Er wird mich am Telefon anschreien, wütend und enttäuscht sein. Mir ist bewusst, dass ich vor dem Gespräch nicht davonlaufen kann und mich dem Hass meines Vaters stellen muss, momentan jedoch ertrage ich seine anklagenden Worte nicht. Dasselbe trifft auf Taichi zu. Auch von ihm kann ich keinen Rückhalt oder gar Zuspruch erwarten. Ebenso wie mein Vater würde er mir lediglich Vorwürfe machen. Ich glaube, Akito ist der Einzige, der mich wegen solcher Handlungen nicht verurteilt. Als ich mich in meinen Vater verliebte, lachte er und fand es interessant. Vermutlich würde er im jetzigen Fall nicht anders reagieren. In Momenten wie diesem fühle ich besonders schmerzlich, wie sehr er mir fehlt. Heftig zucke ich zusammen, als die heruntergebrannte Zigarette heiß an meinen Fingern wird. Ich drücke sie vorsichtig aus und zünde sofort eine neue an. Tief ziehe ich den Rauch in meine Lungen. Bedauerlicherweise muss ich mich mit Nikotin zufriedengeben, da ich derzeit weder im Besitz von Heroin noch GHB bin. Zu meinem Freier kann ich allerdings nicht gehen, weil seine Familie um diese Uhrzeit zu Hause sein wird und ich ihn nicht in Schwierigkeiten bringen will. Zudem gibt er mir außer der Reihe ohnehin keine Drogen. Es ist nicht einmal möglich, mich von ihm ficken zu lassen, um meinen Selbsthass zu nähren und meine Leere zu füllen. Ich ziehe mehrfach kräftig an der Zigarette, bevor ich sie ausdrücke und mich langsam in Bewegung setze. Die Straßen sind inzwischen von den unzähligen Neonschildern bunt und hell erleuchtet. Viele der Menschen, die mir entgegenkommen oder an mir vorbeieilen, scheinen mit dem heutigen Arbeitstag abgeschlossen zu haben, wirken aber dennoch geschäftig und gestresst. Ich versuche mir vorzustellen, dass ich in einigen Jahren genauso sein werde, scheitere aber an der Befremdlichkeit dieser Überlegung. Ein Bild von meiner Zukunft existiert in mir einfach nicht, weil ich nicht sicher bin, ob ich solange durchhalte und am Leben bleibe. Durch Träume und Wünsche setzen die Menschen sich zusätzlich unter Druck, sie verzweifeln daran und bekommen lediglich ihre Schwäche und ihr Scheitern aufgezeigt. Mir könnte so etwas Labiles und vor allem Wankelmütiges niemals Halt, geschweige denn Kraft geben. Ich öffne die Haustür und steige schwerfällig die Stufen bis in den vierten Stock hinauf. Erst durch die geringfügig wärmere Temperatur im Treppenhaus bemerke ich, dass die winterliche Kälte draußen bis zu meinen Knochen durchgedrungen ist. Schwer atmend krame ich den Schlüssel aus meiner Schultasche und schließe die Wohnungstür auf. Leicht zitternd entledige ich mich meiner Schuhe, die Jacke behalte ich aufgrund meines Frierens jedoch an. Mein Blick fällt auf das Telefon. Als ich die Lampe leuchten sehe, laufe ich darauf zu. Wie erwartet hat mein Vater versucht mich zu erreichen. Laut Anzeige scheint er erst vor etwa einer Stunde von den Geschehnissen erfahren zu haben, sodass er zunächst Taichi über mein vermeintliches Verschwinden informieren wird, bevor er die Polizei einschaltet. Ich wähle die Nummer, die er mir gegeben hat, und lasse es klingeln. Der Anrufbeantworter schaltet sich ein. „Papa, hier ist Yamato. Ehrlich gesagt bin ich froh, dich nicht zu erreichen. Vermutlich wurdest du bereits sowohl von meinem Direktor als auch von Mama über mein Fehlverhalten in Kenntnis gesetzt und mit Sicherheit bist du deshalb ziemlich wütend auf mich. Doch deine Verachtung spüren zu müssen wäre für mich momentan schlimmer als jede andere Strafe. Mach dir also bitte keine Sorgen, wenn ich vorübergehend nicht ans Telefon gehen werde. Es tut mir leid, dass ich so egoistisch bin, sobald…“ Der Hörer wird abgenommen. „Yamato?“, fragt mein Vater völlig außer Atem. Offenbar war er unterwegs und ist gerade erst zur Tür hereingekommen, als er meine Stimme hörte. Für einen Augenblick schweige ich, dann lege ich auf. Es dauert nicht lange, bis das Telefon klingelt. Reglos und mit Tränen in den Augen starre ich es an. Mein Körper verkrampft sich, meine Kehle ist wie zugeschnürt. Erfüllt von schmerzlicher Zuneigung und Selbstverachtung wende ich mich ab und gehe in mein Zimmer. Achtlos werfe ich meine Schultasche in die Ecke und setze mich, von der Situation vollkommen überfordert, auf mein Bett. Das Telefon klingelt noch immer erbarmungslos. Heftig weinend halte ich mir die Ohren zu. Ich verfluche mich meinen gesamten Stoff bereits aufgebraucht zu haben. Nach meinem Herointrip, der mir helfen sollte die Trennung von meinem Vater zu verkraften, hielt ich mich dauerhaft auf einem niedrigen, aber relativ konstanten GHB-Level, um nicht wieder gänzlich abzustürzen. Unruhig ziehe ich die Jacke aus, schiebe den Hemdärmel nach oben und kratze nervös über meine verletzte und vernarbte Haut. Inzwischen herrscht in der Wohnung Stille, offenbar gibt mein Vater für den Moment auf. Mein Zittern wird stärker, wobei ich befürchte, dass sich zusätzlich zu der Kälte der Entzug allmählich bemerkbar macht. Ohne nachzudenken erhebe ich mich und verlasse mein Zimmer. Vor dem meines Vaters bleibe ich stehen. Zögernd lege ich meine Hand auf die Türklinke, drücke sie jedoch nicht nach unten, sondern gehe stattdessen ins Wohnzimmer. Dem Schrank entnehme ich die zur Hälfte gefüllte Whiskeyflasche und ein Glas, dann setze ich mich auf das Sofa. Fahrig gieße ich etwas von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit von dem einen in das andere Gefäß und leere dieses in einem Zug. Angewidert verziehe ich das Gesicht, trotzdem zwinge ich mich den kompletten Inhalt der Flasche innerhalb kurzer Zeit auszutrinken. Übelkeit steigt in mir auf, welche ich krampfhaft zu unterdrücken versuche. Die Gefahr, wie Taichi Alkoholiker zu werden, besteht bei mir definitiv nicht, aber momentan brauche ich einfach den Rausch. Egal woher. Für eine Weile lehne ich mich zurück, schließe die Augen und warte auf das Einsetzen der Wirkung. Allmählich spüre ich ein leichtes Schwindelgefühl, allerdings ist es bei weitem nicht so stark wie erhofft. Ich erhebe mich, um Nachschub zu holen, doch unerwartet taumle ich, verliere mein Gleichgewicht und stürze zu Boden. Scheinbar unterschätzte ich den Alkoholrausch, dennoch kann ich einem Drogentrip mehr abgewinnen. Mühsam richte ich mich auf und wanke zum Schrank, aus dem ich eine weitere Flasche Whiskey nehme. Wie es aussieht, kauft mein Vater, sobald er die vorhandene Flasche öffnet, eine neue nach. Ungeduldig drehe ich den Schraubverschluss auf, fülle erneut das Glas und leere es sofort wieder. Anschließend versuche ich in mein Zimmer zu gelangen. Die Umgebung verschwimmt, nimmt groteske Formen und intensive Farben an, meine Wahrnehmung ist surreal. Der Boden bewegt sich, wodurch das Laufen erheblich beeinträchtigt wird. Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit mein Ziel erreiche, krame ich aus meiner Schultasche die Zigarettenschachtel und das Feuerzeug. Sogleich entzünde ich eine Zigarette und nehme den Rest mit ins Wohnzimmer zurück. Erneut setze ich mich auf das Sofa und trinke ein weiteres Glas Whiskey. Ich ziehe an der Zigarette. Gleichgültig stelle ich fest, dass auf dem Tisch kein Aschenbecher steht, da in diesem Raum nicht geraucht werden soll. Unbeirrt lasse ich die Asche auf den Teppich fallen. Den letzten Rest der Zigarette drücke ich auf meiner Handinnenfläche aus. Ich hatte erwartet Schmerz zu spüren, offenbar unterschätzte ich auch die betäubende Wirkung der sogenannten weichen Droge. Ich habe das Gefühl, durch diese Erfahrung meinen Freund jetzt besser verstehen zu können. Die Übelkeit nimmt weiter zu, weshalb ich versuche sie mit mehr Alkohol hinunterzuspülen. Kaum habe ich die in der Kehle angenehm brennende Flüssigkeit geschluckt, erbreche ich sie wieder. Meine Eingeweide verkrampfen sich schmerzhaft. Ich krümme mich, rolle mich vom Sofa auf den Boden und bleibe schwer atmend liegen. Gelegentlich fährt ein unkontrolliertes Zucken durch meinen Körper. Ich richte mich leicht auf und ergebe mich dem anhaltenden Brechreiz erneut. Anschließend versuche ich aufzustehen, doch meine Motorik entgleitet mir. Eher stolpernd und kriechend als aufrecht laufend gelange ich in den Flur. Ich nehme den Hörer vom Telefon ab, lege aber sofort wieder auf, als ein Schlüssel im Schloss der Wohnungstür gedreht wird. Entsetzt sieht Taichi mich an. „Yamato… was…“ Taumelnd falle ich in seine Arme und weine hemmungslos. Mein Freund hat Schwierigkeiten, mich aufrecht zu halten, und drängt mich deshalb gegen die Wand. „Du hast getrunken. Und offensichtlich wesentlich mehr, als du verträgst.“ „Es tut mir leid!“, schluchze ich sehr undeutlich. Meine Zunge fühlt sich schwer an und ich habe Probleme, die Worte richtig zu formen. „Geh bitte. Du darfst nicht hier sein, das ist gefährlich. Keinen Alkohol. Du musst weggehen. Bitte!“ Statt ihn freizugeben, klammere ich mich fester an meinen Freund. „Schon gut, Yamato. Mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung.“ Liebevoll drückt er mich dichter an sich. „Ich möchte dich küssen“, flüstere ich in sein Ohr, „aber ich schmecke mit Sicherheit nach Alkohol.“ Meine Beine geben nach und ich sacke etwas in mich zusammen. Tai schafft es gerade noch, mich nicht ganz fallenzulassen. „Am besten bringe ich dich erst einmal ins Bad, falls du dich übergeben musst.“ „Bitte lass mich los, ich bin so müde, mir fehlt die Kraft“, nuschle ich kaum verständlich. Sachte setzt mich mein Freund auf dem Boden ab. „Hier kannst du aber nicht bleiben, hörst du, Yamato?“ Ich nicke leicht. Dann spüre ich Tais Lippen auf meinen, seine Zunge tief in meinem Mund. Durch den Alkohol ist das Gefühl vollkommen anders. Intensiv, aber auch nicht real. Ich schließe meine Augen, Tränen laufen meine Wangen hinab. Schwermütig und von quälender Liebe erfüllt gebe ich mich meinem Freund hin. Kapitel 27: ------------ „Yamato, du musst aufstehen!“ Ich fühle eine Hand, die sanft über meinen stark schmerzenden Kopf streichelt. „Es ist schon spät. Wenn du jetzt nicht aufstehst, schaffst du es nicht mehr pünktlich zur Schule. Weitere Fehlzeiten kannst du dir nicht leisten, das sollte dir bewusst sein.“ Mein Freund spricht ruhig und mit gedämpfter Stimme. Aus eigener Erfahrung kann er nachempfinden, wie ich mich gerade fühle. Die Decke über meinen Kopf ziehend drehe ich mich von ihm weg. „Alkohol ist schrecklich! Wie konntest du das Zeug nur täglich in großen Mengen trinken?“, brumme ich unter meinem Bettzeug hervor. „Es ist anders, wenn du deinen Pegel hältst.“ Tai zupft an meiner Decke herum, versucht sie mir wegzuziehen. Ich kralle mich jedoch daran fest und denke nicht daran, sie loszulassen. „Yamato, sei vernünftig. Bitte steh auf.“ „Wenn ich mit meinem Befinden zur Schule gehe, kann ich auch zu Hause bleiben. So bin ich überhaupt nicht aufnahmefähig“, nörgele ich verschlafen, aber deutlich genervt. Meine Stimme ist ungewohnt kratzig, vermutlich eine Nachwirkung des Alkohols. „Jetzt sei nicht so zickig! Verdammt nochmal, du benimmst dich wie ein Kleinkind! Reiß dich zusammen!“, beschimpft mein Freund mich ungehalten. Vorsichtig luge ich unter meiner Bettdecke hervor. „Bitte nicht so laut, mein Kopf dröhnt so schon genug.“ Ich strecke meine Hand nach Taichi aus und bekomme ihn am Arm zu fassen. Sichtlich verärgert setzt er sich zu mir auf das Bett. Sehnsuchtsvoll verhake ich unsere Finger, woraufhin er seufzend meine Hand fester drückt. „Du hast die Nacht hier verbracht, oder? Kennen deine Eltern den Grund? Wissen sie, dass Alkohol im Spiel war?“ „Nein, ich sagte ihnen nur, dir geht es nicht gut und ich will dich deshalb nicht allein lassen.“ „Danke, dass du trotz dieser schwierigen Situation für mich da warst. Ich fühlte mich so einsam, deine Nähe zu spüren tat einfach gut. Und wer weiß, was ich ohne deine Gegenwart noch alles angestellt hätte.“ Tai lächelt. „Vermutlich nicht mehr viel. Du hast dich dermaßen abgeschossen, sodass du dich noch mehrfach übergeben musstest und ansonsten kaum ansprechbar warst. Ich war kurz davor, einen Krankenwagen zu rufen, weil alles auf eine Alkoholvergiftung hindeutete, schließlich bist du aber eingeschlafen.“ Ich rutsche, noch immer mit der Decke über dem Kopf, näher an meinen Freund. Mein ganzer Körper zittert unkontrolliert. „Offenbar hast du Schüttelfrost. Ist dir schlecht?“ „Ja, ziemlich. Die Nachwirkungen von Alkohol sind wirklich heftig. Damit hatte ich nicht gerechnet, zumal der Rausch nicht sehr angenehm und schon gar nicht befriedigend war“, schmolle ich. Taichi umarmt den Stoff, in den ich eingewickelt bin, liebevoll. „Du bist es nicht gewohnt, Alkohol zu trinken, deshalb reagiert dein Körper so stark darauf. Allerdings bin ich darüber sehr froh. Bitte versprich mir, dass du nicht auch noch von dieser Droge abhängig wirst.“ Seine Stimme klingt unglaublich traurig, als er mir die Worte zuflüstert. „Bestimmt nicht“, versuche ich ihn zu beruhigen. „So wie jetzt möchte ich mich nie wieder fühlen, trotz meiner masochistischen Veranlagung.“ Ein leichtes Lächeln legt sich auf die Lippen meines Freundes. „Ich hoffe es. Vielleicht wäre es wirklich besser, wenn du in deiner Verfassung nicht zur Schule gehst. Soll ich anrufen und dich entschuldigen?“ Er lässt mich los und steht auf. „Warte, Taichi.“ Schwerfällig wühle ich mich aus meinem Bettzeug hervor. „Du hast recht. Ich kann mir weitere Fehlstunden nicht leisten.“ Langsam versuche ich aufzustehen, doch meine Beine tragen mich nicht. Mein Freund hält mich am Arm fest und verhindert dadurch gerade noch, dass ich zu Boden falle. Behutsam stützt er mich und hilft mir zurück auf das Bett. „Wie es aussieht, schaffst du es noch nicht einmal aus deinem Zimmer heraus. Leg dich wieder hin, ich melde dich für heute krank.“ Ohne auf meine Einwände zu hören, verlässt Tai den Raum. Ich höre, wie er im Flur telefoniert, dann kommt er zurück und setzt sich zu mir. „Mit wem hast du gesprochen?“ „Mit dem Direktor. Ich hielt es für sinnvoll, seine Durchwahl zu nutzen. Als Grund für dein Fehlen gab ich eine Magenverstimmung an. Es ist in Ordnung, dass du heute zu Hause bleibst, und er wünscht dir gute Besserung. Wenn du morgen allerdings wieder zur Schule kommst, sollst du dich sofort in seinem Büro melden.“ In den Augen meines Freundes erkenne ich, dass er weiß, worum es geht. Was zwischen meinem Direktor und mir vorgefallen ist. Vermutlich erzählte mein Vater davon, als sie telefonierten. Ich sollte ihn auch bald anrufen. Bei dem Gedanken verkrampft sich mein Körper. „Was hast du, Yamato? Tut dir etwas weh?“ Besorgt blickt Taichi mich an. „Es ist okay, abgesehen von meinem Kopf. Aber mir fällt gerade ein, ich muss zu meiner Mutter zurück. Sie bewahrt meine Psychopharmaka auf und teilt sie mir für jeweils einen Tag zu. Die Einnahme gestern Abend und somit auch heute Morgen habe ich bereits versäumt. Eigentlich bin ich der Meinung, dass das Zeug ohnehin nicht wirkt, allerdings weiß ich nicht, wie es ohne wäre, und mit meinem derzeitigen Gefühlschaos möchte ich es nicht ausprobieren.“ „Besser nicht. Wenn du möchtest, begleite ich dich.“ Nun kriecht mein Freund zu mir unter die Decke, legt seine Arme um mich und zieht meinen Körper dicht zu sich. „Ja, ich wäre dir dankbar.“ Unbemerkt fallen mir die Augen zu. Die Wärme, die Tai an mich abgibt, beruhigt mich und dämmt mein Zittern ein wenig ein. Ich vernehme noch seine Stimme, aber die Worte sind nur noch Laute in weiter Ferne, dann gleite ich in einen unruhigen Schlaf voller wirrer, nicht greifbarer Träume ab. Ich ergreife die Hand meines Freundes und halte mich krampfhaft stark daran fest. Er lächelt mich aufmunternd und voller Zuneigung an. Von seinem Beistand ermutigt, betätige ich den Klingelknopf für die Wohnung der Takaishis. Es dauert einen Moment, dann öffnet meine Mutter die Tür. „Yamato.“ Sie klingt wenig überrascht. „Du kommst sicher wegen deiner Medikamente. Einen Augenblick, ich hole sie dir“, sagt sie mit kühler, nahezu gleichgültiger Stimme. Ich hätte nicht gedacht, dass mir das abweisende Verhalten meiner Mutter so sehr wehtut. „Warte, Mama“, halte ich sie zurück. „Können wir reden?“ Mein plötzliches Einlenken veranlasst meine Mutter, mich prüfend zu mustern. Tai hingegen blickt überrascht zu mir. „Also gut, kommt rein.“ Wir gehen an ihr vorbei in den Flur und entledigen uns unserer Schuhe und Jacken. Dann folgen wir meiner Mutter ins Wohnzimmer, wo Taichi und ich nebeneinander auf dem Sofa Platz nehmen. Erneut greife ich nach seiner Hand und drücke sie fest. Meine Mutter setzt sich uns gegenüber auf den Sessel und schaut mich abwartend an. Beschämt und mit einem quälenden Gefühl der Niederlage senke ich meinen Kopf, um sie nicht ansehen zu müssen. Allerdings ist mir ebenso bewusst, dass diese Haltung erst recht unterwürfig wirkt, doch darauf kommt es nun auch nicht mehr an. „Ich entschuldige mich bei dir für mein unangemessenes Verhalten gestern. Zudem werde ich meinen Direktor um Verzeihung bitten, deiner Bestrafung beziehungsweise deinem Verbot werde ich aber nicht nachkommen. Ich möchte meinen Schulabschluss bekommen. Um die Aufnahmeprüfungen für die Universität zu bestehen, brauche ich die Lerneinheiten am Wochenende.“ „Die verbiete ich dir überhaupt nicht. Ich möchte lediglich, dass ihr hier lernt. Deine vehemente Gegenwehr bestätigt nur meine Vermutung einer Lüge deinerseits. Was tust du wirklich an den Wochenenden, Yamato?“ Mit einem beklemmenden Gefühl beschließe ich mich so nah wie möglich an die Wahrheit zu halten. „Ich lerne. Allerdings nicht mit einem Mitschüler, sondern mit einem Lehrer.“ Meine Mutter und mein Freund sehen mich gleichermaßen verblüfft an. „Ein Lehrer deiner Schule?“, fragt sie skeptisch. „Nein.“ „Woher kennst du ihn dann?“, möchte sie weiter wissen. Ich schaue entschuldigend zu Taichi, wende meinen Blick aber sofort wieder schuldbewusst ab. Ziemlich schnell begreift er die Bedeutung meines Verhaltens. „Du schläfst mit ihm. Er ist einer deiner Freier, nicht wahr?“, äußert er unüberlegt seine Vermutung. „Habe ich das gerade richtig verstanden? Yamato, du verkaufst deinen Körper an ältere Männer?“ Die Stimme meiner Mutter birgt gleichermaßen Entsetzen wie Abscheu. „Du weißt, dass mein Sohn dich betrügt, und es ist dir egal?“, wendet sie sich verständnislos an Tai. „Natürlich nicht“, entgegnet mein Freund leicht ungehalten. „Aber was soll ich denn tun? Yamato zu Hause festbinden?“ „Konsequenzen ziehen und dich notfalls von ihm trennen.“ Fassungslos starre ich die Frau mir gegenüber an. Versucht sie gerade sich in meine Beziehung einzumischen und sie zu zerstören? Wütend balle ich meine Hand zur Faust, zwinge mich jedoch zu schweigen und die Reaktion meines Freundes abzuwarten. „Wenn ich Yamato verlassen würde, wäre das eine Handlung gegen meine eigenen Gefühle. Ich liebe ihn und möchte unter allen Umständen mit ihm zusammen sein. Allerdings muss ich zugeben, dass ich tatsächlich krampfhaft versuche ihn von der Prostitution abzubringen. Nur leider ist das nicht so einfach.“ „Warum tust du das überhaupt? Wofür brauchst du das Geld? Finanzierst du auf diese Weise deine Drogen?“, richtet meine Mutter ihre Frage an mich. „Nein. Es geht nicht um das Geld, Mama. Anfangs habe ich sogar ohne Bezahlung mit Männern geschlafen. Geld für Sex zu nehmen ist ein positiver Nebeneffekt, der sich irgendwann einfach ergab.“ „Das ist krank, Yamato. Ich hoffe, dieses Problem ist Bestandteil deiner therapeutischen Behandlung?“ Mein Blick verfinstert sich. „Es ist sicher schlimm, so etwas Abartiges wie mich deinen Sohn nennen zu müssen. Ich werde dir einen Gefallen tun und aus deinem Leben verschwinden. Gib mir meine Medikamente und du siehst mich nie wieder!“ Bebend vor Wut stehe ich auf und schaue verachtend auf sie herab. „Yamato…“ Nachsichtig lächelt sie mich an, erhebt sich ebenfalls und macht ein paar Schritte auf mich zu. Sie ergreift meinen Arm, doch ich stoße sie heftig von mir, sodass sie zurücktaumelt und fast das Gleichgewicht verliert. „Fass mich nicht an!“, schreie ich ihr hasserfüllt entgegen. „Shh… beruhige dich“, mischt Taichi sich ein und versucht mich zu besänftigen. „Nein, verdammt! Ich…“ Tränen laufen über meine Wangen. „Scheiße…!“, fluche ich, wende mich ab und laufe in den Flur, um diese Wohnung, in der ich nicht atmen kann, zu verlassen. „Yamato, du bleibst hier!“, ruft meine Mutter mir im Befehlston nach. Ich ignoriere sie ebenso wie meinen Freund, der vergebens an meine Vernunft appelliert, und suche kopflos Schutz in der Dunkelheit des Abends. Schwer atmend und mit tränennassem Gesicht stehe ich vor der Wohnungstür meines Freiers. Eigentlich wollte ich gerade hierher nicht kommen, da seine Frau um diese Uhrzeit mit Sicherheit zu Hause sein wird und ich ihm mit meiner Anwesenheit nichts als Schwierigkeiten bereite. Meine Schritte führten mich trotzdem unbewusst zu ihm. Suche ich in meinem Freier mittlerweile ernsthaft einen Ersatz für meinen Vater? Bereits seit Minuten stehe ich unschlüssig und nahezu bewegungslos in der Kälte und starre die Tür an. Durch das Fenster sehe ich Licht, es ist also auf jeden Fall jemand da. Schließlich entscheide ich mich dagegen, Hilfe von meinem Freier in Anspruch zu nehmen, und wende mich zum Gehen, nur um sofort wieder stehenzubleiben. Taichi möchte ich nicht noch mehr mit meinen unsinnigen Problemen belasten. Er leidet meinetwegen schon genug. Doch wie sehen meine Alternativen aus? Ich habe keine Drogen, mit denen ich der Realität entfliehen kann, und Alkohol rühre ich definitiv nicht mehr an, nachdem es mir gestern Abend und heute Morgen so elend ging. Was hält mich eigentlich davon ab, mich zu töten? Leben ist ohnehin viel zu schwer und überfordert mich jeden Tag aufs Neue. Dennoch ist es in diesem Augenblick keine Option für mich. Warum nicht? Aus einem egoistischen Impuls heraus betätige ich den Klingelknopf. Indem ich nicht allein bleibe, will ich verhindern, dass meine momentane Einstellung kippt, der Wunsch, zu sterben, wieder übermächtig wird und ich mir doch das Leben nehme. Diesbezüglich vertraue ich mir selbst nicht, weshalb ich präventiv handeln muss, solange ich klar denken kann. Die Tür öffnet sich und ich blicke direkt in das Gesicht einer sehr hübschen Frau mittleren Alters. Fragend mustert sie mich, beschämt schaue ich zu Boden. „Ich… entschuldigen Sie bitte die Störung.“ Verlegen und voller Reue verbeuge ich mich tief vor ihr. Mein Körper zittert und mein Herz klopft schnell vor Nervosität. „Zu klingeln war die falsche Entscheidung. Es tut mir leid, bitte verzeihen Sie mir.“ Ich möchte gehen, werde allerdings am Arm zurückgehalten. Die unerwartete Berührung dieser fremden Frau lässt mich heftig zusammenzucken. Entsetzt blicke ich sie an, woraufhin sie meinen Arm sofort loslässt. „Verzeih, ich wollte dich nicht erschrecken oder dir zu nahe kommen.“ Ihre Stimme ist verständnisvoll und sehr einfühlsam. „Du bist ein Schüler meines Mannes, nicht wahr? Ich habe dich schon einmal gesehen. Sicher möchtest du zu ihm. Komm erst einmal rein. Es ist kalt hier draußen, ich habe Angst, dass du dich erkältest.“ Ihre liebenswerte Art ist schmerzhaft vor dem Hintergrund der Perversität, die ihr eigener Ehemann mit mir auslebt. „Danke, aber ich warte lieber draußen.“ Prüfend betrachtet sie mich einen Moment. „Also gut. Warte kurz. Aber lauf nicht weg, versprochen?“ Ich nicke zögerlich, obwohl ich genau das beabsichtigt hatte. Rasch huscht sie zurück in die Wohnung. Gerade als ich mich abwenden will, kommt mein Freier schnellen Schrittes nach draußen gelaufen. „Yamato!“ Er klingt besorgt. Langsam drehe ich mich zu ihm. Erneut benetzen heiße Tränen die ausgekühlte Haut meiner Wangen. Völlig aufgelöst presse ich mich dicht an ihn und fange heftig zu weinen an. Schützend schließt er seine Arme um meinen bebenden Körper und streicht beruhigend über meinen Rücken. „Lass uns ins Hotel fahren, dort können wir ungestört und in aller Ruhe reden. Ich hole nur schnell meine Jacke und die Autoschlüssel, okay?“ Ganz behutsam löst er sich von mir. „Nein“, entgegne ich mit gesenktem Kopf, aber durchaus entschlossen. „Viel zu oft bringe ich Sie in Schwierigkeiten. Ihre Frau ist sicher schon misstrauisch. Bleiben Sie bitte bei Ihrer Familie. Es war ein dummer Fehler von mir, hierher zu kommen.“ „Yamato, in deinem jetzigen Zustand lasse ich dich ohnehin nicht allein“, widerspricht mein Freier mit ernster Miene. „Mach dir keine Sorgen. Meine Frau hat bemerkt, dass es dir nicht gut geht. Es ist nicht schwer, eine passende und glaubwürdige Geschichte zu erfinden, um für dich da sein zu können.“ Bestimmt zieht er mich mit in die Wohnung und schließt die Tür hinter uns. Offenbar befürchtet er, ich würde verschwinden, während er mit seiner Frau spricht. Liebevoll streichelt er über meine tränennasse Wange. „Du bist so schön, wenn du weinst. Gleich bin ich wieder bei dir, mein Süßer“, flüstert er voller Zuneigung. Dann geht er in einen Raum, der vermutlich das Wohnzimmer ist. Stimmen dringen an mein Ohr, von der Unterhaltung verstehe ich jedoch kaum etwas. Es fallen Worte wie Probleme und Familie, scheinbar versucht auch mein Freier mit seinen Lügen so dicht wie möglich an der Wahrheit zu bleiben. Plötzlich öffnet sich eine Tür und ein Junge mustert mich schüchtern, aber ebenso neugierig. Ich kann verstehen, dass mein Freier seinen Sohn inniger liebt, als er es dürfte, und auch, dass er mit ihm schlafen möchte. Der Kleine ist wirklich unglaublich süß. Mit Sicherheit wird er sehr hübsch sein, wenn er erwachsen ist. Ich stelle mir vor, wie der Junge von seinem Vater genommen wird, finde allerdings, dass er noch zu klein dafür ist. Dann fällt mir jedoch auf, dass er im selben Alter ist wie ich, als ich mit Taichi das erste Mal geschlafen habe. Jetzt, da der Kleine mit seinem zierlichen Körper so unschuldig vor mir steht, erschreckt mich die Tatsache, mit elf Jahren schon Sex gehabt zu haben. Mir war nicht derart deutlich bewusst, dass wir eigentlich noch richtige Kinder waren. Bei dem Gedanken an meine eigene Verderbtheit kriecht Übelkeit meine Kehle empor. Schnell zieht der Junge seine Tür zu, als sein Vater in den Flur zurückkommt. „Es ist alles in Ordnung, Yamato. Ich begleite dich und werde noch einmal mit deinen Eltern reden, einverstanden?“ Lächelnd und mit einem vielsagenden Blick sieht mein Freier mich an. Ich nicke nur stumm und verlasse mit ihm die Wohnung. Auf dem Weg zum Auto sagt keiner von uns beiden ein Wort. Erst als wir losfahren, breche ich das Schweigen. „Wir können zu mir fahren. Ich bin ohnehin allein in der Wohnung“, äußere ich leise und vollkommen emotionslos. Sachte legt mein Freier seine Hand auf meinen Oberschenkel und streichelt zärtlich darüber. „Erzählst du mir, was passiert ist?“, fragt er vorsichtig nach. „Mein Vater hat vor seiner Abreise meine Mutter gebeten, auf mich Acht zu geben. Allerdings ist sie ungewohnt autoritär, womit ich überhaupt nicht klarkomme. Ständig spricht sie Verbote aus, zieht Konsequenzen aus jeder kleinen Sache, nimmt mir jegliche Freiheit sowie die Luft zum Atmen. Vorhin hat sie versucht sich in meine Beziehung zu meinem Freund einzumischen, indem sie ihm geraten hat, sich von mir zu trennen. Und sie kritisiert andauernd meinen Vater, behauptet, er würde im Bezug auf mich alles falsch machen. Auch ist sie der Meinung, ich wäre krank, weil ich für Geld mit fremden, älteren Männern ins Bett gehe. Ich glaube, sie ekelt sich vor ihrem eigenen Sohn, dabei kennt sie mich nicht einmal.“ „Du hast sie seit der Scheidung deiner Eltern nicht oft gesehen, oder?“ „Nein. Nur zu den Geburtstagen meines Bruders, der bei ihr lebt, und zu meinen eigenen Geburtstagen. Sie ist mir so fremd geworden. Ich denke, ich habe sie lieb, aber immer, wenn wir aufeinandertreffen, eskaliert die Situation.“ „Ich verstehe, wie du dich fühlst, zumal du durch die Trennung von deinem Vater noch labiler bist als sonst. Allerdings glaube ich nicht, dass deine Mutter sich vor dir ekelt. Mit Sicherheit hat auch sie dich sehr lieb. Ihr strenges Verhalten zeigt, dass sie besorgt um dich ist.“ „Kann sein. Vielleicht“, gebe ich resigniert zu. „Wir sind da.“ Mein Freier parkt den Wagen und stellt den Motor ab. Dann wendet er sich mir zu, gleitet mit seinen Fingern durch meine Haare. „Sie sind so lang geworden. Dadurch siehst du erst recht wie ein Mädchen aus.“ „Das meinte mein Freund auch schon“, begegne ich ihm unsicher. „Kürzer wäre besser, oder?“ „Ich finde dich generell schön, obwohl dir dein destruktiver Lebensstil allmählich deutlich anzusehen ist.“ Sein Lächeln sieht traurig aus. „Gehen wir nach oben“, sage ich ausweichend und steige aus dem Auto. Als die Wohnungstür hinter uns ins Schloss fällt, drängt mein Freier mich sofort gegen die Wand, küsst meinen Hals entlang und öffnet dabei meine Hose. „Das willst du doch eigentlich. Du hast keine Drogen mehr, hab ich recht?“ Ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme haucht er die Worte sanft und gleichsam begierig auf meine nackte Haut. Meine Jacke landet auf dem Boden, ebenso wie mein Hemd. Erfüllt von schmerzlicher Lust lege ich meinen Kopf in den Nacken und schließe die Augen, als er mir sehr intensiv einen bläst. „Drogen sind nicht der einzige Grund“, presse ich schwer atmend hervor. „Die Sehnsucht nach meinem Vater ist unerträglich.“ Ein Stöhnen entweicht meiner Kehle, abgesehen davon lasse ich seine Liebkosungen unbeteiligt geschehen. „Ich weiß, mein kleiner Liebling“, flüstert mein Freier, richtet sich wieder auf und zieht mich dicht an sich. Mit zwei Fingern dringt er von hinten in mich ein. „Du bist verkrampft. Entspann dich, Yamato. Oder willst du nicht…“ „Doch!“, unterbreche ich ihn sofort, dabei bin ich mir nicht sicher, ob es tatsächlich der Wahrheit entspricht. „Gehen wir ins Bett“, füge ich schüchtern an. „In dein Bett, Papa.“ „Bist du sicher?“ „Ja.“ Ich befreie mich sanft aus seiner Gewalt und ziehe ihn hinter mir her in das Zimmer meines Vaters. Beim Betreten des Raumes umhüllt mich sofort sein Duft. Fröstelnd bleibe ich stehen. „Bist du wirklich sicher, dass du es hier tun willst?“, hakt er rücksichtsvoll nach, tritt dicht an mich heran und schließt seine Arme schützend um meinen Körper. „Ja“, antworte ich mit belegter Stimme. Behutsam schiebt mein Freier mich in das Zimmer. Langsam, um mir Zeit zu geben, meine Entscheidung zu überdenken. Als ich keine Anstalten mache, mich zu wehren, schließt er die Tür hinter uns. Schweigend entkleidet er mich, dann sich selbst. Währenddessen setze ich mich auf das Bett und betrachte ihn eingehend. Die Statur ist tatsächlich sehr ähnlich, allerdings ist er etwas größer als mein Vater. Immer wieder wird mir in Momenten wie diesen bewusst, wie sehr ich ältere Männer begehre. Und dennoch ist der Mensch, den ich am meisten liebe, der mir alles bedeutet und der mich am Leben hält, in meinem Alter. Bei dem Gedanken an Taichi hört mein Herz für einen Augenblick auf zu schlagen. Falls er nach mir sucht, wird er früher oder später hierherkommen. Er hat einen Schlüssel, sodass er die Wohnung jederzeit, ohne klingeln zu müssen, betreten kann. Doch nun ist es zu spät. Es gibt kein Zurück mehr. Ich erschrecke leicht, als mein Freier meinen Kopf zwischen seine Hände nimmt. „Du bist abwesend, Yamato. Wir müssen es nicht hier tun. Vielleicht ist es generell keine gute Idee, dich jetzt zu nehmen.“ Mit Tränen in den Augen schaue ich ihn an. „Nein. Bitte berühre mich. Lass mich dich spüren, Papa.“ Ich zittere und meine Stimme ist unbeständig. „Schlaf mit mir.“ Seufzend und mit traurigem Blick streicht er die salzige Flüssigkeit von meinen Wangen. „Ich liebe dich, Yamato. Warum kann ich nichts tun, damit es dir besser geht?“ „Du tust so viel für mich und dafür bin ich dir sehr dankbar.“ Unaufdringlich berührt mein Freier meine Lippen mit seinen, der Kuss ist beinahe schüchtern. Sachte und ohne sich von mir zu lösen, drückt er mich nach hinten auf das Bett. Als hätte er Angst, mich zu zerbrechen, liebkost er meinen Körper sehr sanft. Generell geht er ungewohnt liebevoll mit mir um. Ich schließe meine Augen und versuche mich auf die Berührungen einzulassen. Es gelingt mir nicht. „Papa, bitte sei derber im Umgang mit mir.“ Mein Freier kommt über mich und blickt mich eindringlich an. „Ist es in Ordnung für dich, wenn ich heute mit Yamato schlafen möchte?“ Erstaunt mustere ich sein Gesicht. „Wenn Sie das möchten“, stimme ich ein wenig irritiert zu. „Keine Sorge, ich werde dich hart nehmen.“ Er lächelt mich liebevoll an, dann drückt er meine Beine weit auseinander und hebt mein Becken ein wenig an. Rücksichtslos dringt er in mich ein. Ich verziehe das Gesicht vor Schmerzen und kralle meine Finger Halt suchend in das Laken. Mit jedem Stoß entweichen erstickte Schreie meiner Kehle, die ich zu unterdrücken nicht in der Lage bin. Ungewollt verkrampfe ich mich, wodurch auch mein Freier vor Schmerz aufstöhnt. „Versuche locker zu bleiben.“ Sorgsam nimmt er meine Hand in seine und drückt sie fest. „Hältst du es aus oder soll ich…“ „Nein! Ficken Sie mich ruhig noch brutaler. Verletzen Sie mich, bis ich außer Ihrem Schmerz nichts mehr fühle“, flüstere ich mit brüchiger Stimme. „Also gut“, lenkt mein Freier zögernd ein. „Unter der Bedingung, dass du mir sagst, wenn es zu sehr wehtut. Ich möchte dich nicht schwerer verletzen als nötig.“ Mit einem Lächeln erkläre ich mich einverstanden, woraufhin er sich aus mir zurückzieht. „Dreh dich um, von hinten kann ich dich kraftvoller und tiefer ficken.“ Bereitwillig gehorche ich. Es ist mir ohnehin lieber, wenn ich ihn nicht ansehen muss und er mein Gesicht nicht sehen kann. Unglaublich liebevoll streicht er meine Haare zur Seite und haucht sanft einen Kuss auf die Haut meines Nackens. Ein kalter Schauer überkommt mich. Schließlich dringt mein Freier erneut hart in mich ein. Seine Penetration ist von Anfang an wahnsinnig intensiv, steigert sich jedoch schnell zu beinahe unerträglichen Schmerzen. Ich presse mein Gesicht in das Kissen, welches noch immer nach meinem Vater riecht, um meine Schreie zu dämpfen und die Tränen zu verbergen. In kürzer werdenden Abständen höre ich immer wieder kurz auf zu atmen. Zu stark werde ich von meinem Freier genommen. Der Schmerz in meinem Unterleib raubt mir fast das Bewusstsein. Es fühlt sich so an, als würde ich innerlich zerbersten. Ich werde ganz von meinem Freier ausgefüllt. Schlimmer war bisher nur Akitos fanatischer Übergriff mit dem Holzstiel und einige gewalttätige Aussetzer meines Freundes, besonders die Vergewaltigung mit der Kleiderstange. Nach einer quälenden Weile ergebe ich mich dem selbstgewählten und ersehnten Schmerz, der sich langsam in Taubheit wandelt. Mit seiner Hand fährt mein Freier über meine feuchte, schweißbeperlte Haut, entlang meiner Wirbelsäule hinab zu den Lenden. Diese Berührungen sowie sein lustvolles Stöhnen lassen die altbekannte Übelkeit in mir aufsteigen. Ich habe den Punkt erreicht, an dem ich leblos darauf warte, dass es vorbei ist. Mein tränenverschleierter Blick fällt auf die geschlossene Tür, als würde ich erwarten, meinen Freund dort stehen zu sehen. Mich verzehrende Sehnsucht nach ihm ergreift Besitz von mir. Endlich zieht sich mein Freier aus mir zurück. Durch die Brutalität beim Sex jedoch gibt er mir das Gefühl, wieder einigermaßen atmen zu können. „Ist alles in Ordnung?“ Seine Besorgnis ist ihm deutlich anzuhören. Er legt sich erschöpft neben mich und zieht meinen Körper dicht an sich. „Wie geht es dir, Yamato? Ich hoffe, ich habe dich nicht bedrohlich verletzt.“ „Nein, es geht“, versuche ich ihn zu beruhigen. Durch mein verzerrtes Keuchen wirke ich jedoch nicht sehr glaubhaft. „Du hast starke Schmerzen, oder? Bist du sicher, dass keine ärztliche Versorgung notwendig ist?“ „Ich gebe zu, die Schmerzen sind heftiger als erwartet, aber sie lassen bereits nach. Es ist also nichts Schlimmeres.“ „Letztlich muss ich dir glauben. Aber die Blutung wird zum Glück auch schwächer.“ „Bitte halten Sie mich ganz fest.“ Zaghaft und offenbar ziemlich verwundert kommt er meiner Bitte nach. Es ist tatsächlich ungewöhnlich, dass ich nach dem Sex nicht sofort unter die Dusche möchte. „Ist dir kalt? Du zitterst“, bemerkt mein Freier fürsorglich und zieht die Decke schützend über unsere nackten Körper. „Ich weiß es nicht“, antworte ich abwesend. Für eine Weile liege ich schweigend in seinen Armen und zum ersten Mal genieße ich seine Nähe absolut uneingeschränkt. „Wie konnte es eigentlich passieren, dass Sie sich in mich verliebten?“, durchbreche ich schließlich die Stille. Kurz überlegt mein Freier. „Im Laufe der Zeit bist du mir einfach sehr wichtig geworden. Mittlerweile schlafe ich nicht mehr nur wegen der Kompensation bezüglich meines Sohnes mit dir. Ich will dich. Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf, meine Zuneigung für dich hat sich verändert, ich fühle mich stark zu dir hingezogen. Dabei weiß ich, dass meine Empfindungen falsch sind.“ „Sie sind nicht falsch. Gefühle sind niemals falsch.“ Ich zögere. „Allerdings sind die Gegebenheiten ungünstig. Sowohl bei Ihnen als auch bei mir“, fahre ich vorsichtig fort. „Yamato, was ich dir damals sagte, trifft auch jetzt noch zu. Ich habe keinerlei Erwartungen an dich. Zwar liebe ich dich, aber das gilt ebenso für meine Familie und die würde ich niemals verlassen.“ „Das dürfen Sie Ihrem Sohn auch gar nicht antun. Waren Sie eigentlich nie versucht Hand an ihn zu legen?“ „Doch. Ich bin einmal schwach geworden und habe ihn angefasst. Zu seinem Schutz suchte ich mir danach junge Stricher, damit so etwas nie wieder passiert.“ „Was genau haben Sie mit ihm gemacht?“ „Ich küsste ihn, schob ihm meine Zunge in den Mund. Dabei glitt ich mit einer Hand unter sein Oberteil, mit der anderen fuhr ich zwischen seine Beine. Dann drückte ich ihn auf sein Bett und zog ihn aus. Beinahe hätte ich mit ihm geschlafen.“ Er spricht die Sätze voller Selbstvorwürfe und Selbstverachtung aus. „Was hat Sie letztlich davon abgehalten?“ „Mein Sohn. Er fragte mich mit seinem kindlich unschuldigen Gesicht, warum ich das mit ihm machen würde. Dadurch kam ich wieder zur Besinnung.“ „Wann ereignete sich dieser Vorfall?“ „Vor zwei Jahren. Er war damals neun Jahre alt.“ „Und wann haben Sie gemerkt, dass Sie Ihren Sohn nicht wie ein Vater lieben, sondern ihn auch körperlich spüren wollen?“ „Etwa ein Jahr bevor ich die Beherrschung verlor“, gibt er bitter zu. „Damals schwor ich mir, wenn ich mich noch einmal an meinem Sohn vergehe oder ihn auch nur anfasse, zeige ich mich selbst wegen Kindesmissbrauch an.“ „Durch den Sex mit mir können Sie Ihre Neigung ausleben, ohne sich an Kindern vergreifen zu müssen und somit strafbar zu machen. Aber bin ich nicht eigentlich zu alt, um Ihre Lust befriedigen zu können?“ Das Lachen meines Freiers ist aufrichtig und sehr herzlich, wobei er mir einige meiner Haare hinter das Ohr streicht. „Du bist halb so alt wie ich und fast noch ein Kind. Zudem siehst du nicht aus, als wärst du achtzehn Jahre alt, sondern jünger.“ Eine kurze Pause entsteht, in der ich mich enger an ihn kuschele. „Nächstes Jahr werde ich volljährig. Wollen Sie mich dann nicht mehr?“ „Yamato, ich liebe dich. Dein Alter ist mir egal. Hast du eigentlich noch Schmerzen?“ „Ja“, räume ich ein. „Aber sie sind erträglich. Machen Sie sich deswegen bitte keine Gedanken.“ „Hm. Es gibt noch etwas anderes, worüber ich mir Gedanken mache.“ Der Tonfall meines Freiers ist ernst, väterlich. „Deine körperliche Verfassung ist bedenklich, Yamato. Du bist abgemagert und dein Drogenkonsum ist mir eindeutig zu hoch. Zwar habe ich die Zuteilung des GHB schon reduziert, dadurch scheinst du allerdings psychisch schneller abzustürzen. Ich fürchte, du bist in eine tiefe Abhängigkeit gerutscht. Beschaffst du dir anderweitig Stoff? Sei bitte ehrlich.“ „Nein. Ich halte mich an die Abmachung, auch wenn es mir zugegebenermaßen oft sehr schwerfällt. Vor Kurzem habe ich meinem Vater zuliebe einen Entzug gemacht, jedoch stand ich nicht dahinter, sodass es am Ende nicht viel brachte.“ „Das Problem sind eigentlich auch nicht die Drogen, sondern dein Umgang mit ihnen. Missbrauche die Substanzen nicht als Ersatz für etwas anderes und vor allem, ich sage es dir immer wieder, bis du es verinnerlicht hast, versuche nicht Probleme damit zu lösen oder vergessen zu wollen. Denn das tust du inzwischen, nicht wahr?“ „Ja“, gebe ich kleinlaut zu. „Anders ertrage ich diese Welt beziehungsweise die Realität und vor allem mich selbst nicht mehr.“ „Hilft es dir letztlich weiter, Süßer?“ In der Frage schwingt ein rhetorischer Unterton mit, da er die Antwort bereits kennt. „Nein, nicht wirklich.“ „Bitte versuche dir das immer wieder vor Augen zu führen. Versprichst du es mir?“ „Ich verspreche es.“ Tatsächlich nehme ich mir fest vor, dieses Versprechen einzulösen und auch zu halten, da ich meinen Freier nicht enttäuschen will. Ebenso für Taichi und meinen Vater möchte ich meine Drogenabhängigkeit in den Griff bekommen. „Es gibt noch eine andere Sache, die mir ziemliche Sorgen bereitet. Du isst nicht, hab ich recht? Oder zumindest nur sehr unregelmäßig und gerade so viel, dass du nicht verhungerst.“ Ich nicke verhalten. „Warum?“ „Weil ich keinen Hunger verspüre und mir vom Essen meist schlecht wird.“ „Das liegt daran, dass sich dein Magen inzwischen an das Hungern gewöhnt hat. Du bist magersüchtig, Yamato.“ „Nein, das ist Unsinn. Ich habe keine Angst, dick zu werden, wenn ich Lebensmittel zu mir nehme.“ „Magersucht kann auch aus anderen Gründen entstehen. Du bist suizidal, hast also den Wunsch, nicht da zu sein. Es wäre möglich, dass du unbewusst versuchst, dies auch mit deinem Körper auszudrücken. Je weniger von dir existiert, desto besser. Hinzu kommt der Faktor der Selbstschädigung, welcher du dich auf jede erdenkliche Art hingibst. Im Prinzip ein Tod auf Raten.“ „Mein Vater sagte vor einiger Zeit etwas Ähnliches.“ Schmerzlich muss ich daran denken, wie verzweifelt er immer versuchte mir diese Dinge begreiflich zu machen. „Aber du wolltest es dir nicht annehmen, oder? Warum hörst du jetzt mir zu? Solltest du nicht den Menschen, die du liebst, mehr Beachtung schenken und auf deren Ängste eingehen?“ Sein Denkanstoß ist vorwurfsfrei und durchaus berechtigt. „Ich glaube, da liegt das Problem. Es sind zu viele Emotionen im Spiel. Auf beiden Seiten.“ „Da wir gerade beim Thema sind. Die folgende Frage ist sehr persönlich, du musst also nicht antworten. Dein Vater schlägt dich, nicht wahr? Ich habe bisher nie etwas gesagt, aber du siehst oft ziemlich zugerichtet aus.“ „Nicht nur mein Vater, mein Freund auch. Und ich bin ihnen sehr dankbar dafür. Ich brauche diese Gewalt, deshalb provoziere ich die beiden, fordere sie regelrecht dazu auf, mich körperlich zu verletzen. Es ist egoistisch von mir, weil zumindest mein Vater sich danach Vorwürfe macht. Für das, was ich ihm antue, gibt es keine Entschuldigung. Mich selbst abgrundtief zu hassen reicht bei Weitem nicht aus. Ich will weder meinem Freund noch meinem Vater wehtun, allerdings bin ich unfähig meine Liebe anders auszudrücken als durch Besessenheit und Schmerz.“ Wieder füllen Tränen meine Augen. „Ich glaube, beide wissen, wie sehr du sie liebst. Die Qualen, die du durch deine Gefühle empfindest, sind dir deutlich anzumerken. Du bist ziemlich unbeholfen im Umgang mit anderen Menschen, aber gerade das finde ich sehr süß an dir. Es lässt dich extrem kindlich wirken.“ Ein leichtes Lächeln legt sich bei der letzten Aussage auf meine Lippen. Gerade wird mir klar, dass mein Freier tatsächlich zu einem Vaterersatz für mich geworden ist. Ich fühle mich sicher in seinen Armen. Ihn liebe ich, wie ein Sohn seinen Vater vermutlich eigentlich lieben sollte. Zwar schlafe ich auch mit ihm, aber die Gründe dafür sind andere. „Darf ich Sie auch etwas fragen?“, setze ich schüchtern an. „Natürlich.“ „Sie haben nie etwas zu meinen Narben gesagt. Ekeln Sie sich nicht vor mir? Finden Sie es nicht abstoßend?“ „Nein. Nicht eine Sekunde. Zugegeben, manche sind wirklich heftig, weshalb ich mir eher Sorgen mache, dass du es irgendwann einmal übertreibst. Ansonsten gehören Narben zwar nicht zu meinen Vorlieben, aber sie sind Zeichen deines Lebens und somit ein Teil von dir. Ich finde dich trotz dieser Male schön, dein Körper erregt mich sogar sehr.“ Auch ich muss zugeben, dass mich der Körper meines Freiers erregt, spreche es jedoch nicht laut aus. „Was ich dich schon lange fragen wollte, möchtest du die Höflichkeitsform lieber weglassen? Ich hätte nichts dagegen.“ Einen Augenblick herrscht Stille. „Nein“, sage ich schließlich. „Zumindest nicht sofort. Ich kann das nicht von jetzt auf gleich, das wäre zu seltsam. Bitte geben Sie mir Zeit, mich daran zu gewöhnen.“ Kurz überlege ich. „Andererseits, woher wissen Sie und ich dann, wann Sie Sex mit Ihrem Sohn und wann mit Yamato haben?“ Erneut lacht mein Freier. „Manchmal wirkst du so extrem unschuldig.“ Ich will mich umdrehen, ohne mich aus seiner Umarmung zu lösen, damit ich ihn ansehen kann, zucke aber vor Schmerzen zusammen, sodass ich gezwungen bin innezuhalten. „Ist es nicht besser geworden?“ Mein Freier setzt sich auf und betrachtet mich mit sorgenvollem Blick. „Wenn ich ehrlich sein soll, tut es nach wie vor sehr weh. Aber es ist wirklich schon besser geworden.“ Beruhigend lächle ich ihn an, ziehe ihn zu mir hinab und küsse ihn leidenschaftlich. Mit meiner Hand wandere ich unter der Decke zwischen seine Beine und hole ihm unvermittelt einen runter. „Yamato…“, keucht mein Freier meinen Namen lustvoll. „Würden Sie mich jetzt noch einmal ficken?“ Meine Frage gleicht eher einer Bitte. „Nein“, presst er die erwartete Antwort hervor. Ich bin mir sicher, Taichi hätte es getan, auch mit dem Risiko, mich wieder ins Krankenhaus zu bringen. Dahingehend ist er skrupellos. Das Stöhnen meines Freiers wird lauter, wodurch ich mich ermutigt fühle, meine Bewegungen zu intensivieren, um ihn in die Ekstase zu treiben. Erst als ich die bewusst erzwungene Feuchtigkeit in meiner Hand spüre, lasse ich von ihm ab. Ich wundere mich über mich selbst, als ich diese anschließend an meine Lippen führe, um das Sperma abzulecken. Normalerweise schlucke ich diese Körperflüssigkeit eher unfreiwillig. Mit beschleunigter Atmung haucht mein Freier mir einen Kuss auf die Stirn. „Wenn Sie duschen wollen, im Badschrank sind Handtücher, die können Sie nutzen.“ „Ja, danke. Möchtest du mitkommen?“ „Es tut mir leid, aber ich bleibe lieber noch etwas liegen.“ Anhand seines Blickes erkenne ich, dass er die Problematik erfasst hat. „Hoffentlich habe ich dich nicht zu schwer verletzt.“ Liebevoll streichelt er durch meine Haare. „Nein, haben Sie nicht.“ Mit einem Lächeln nehme ich seine Hand, verhake unsere Finger und küsse diese. Dann verlässt er den Raum. Unter Schmerzen setze ich mich auf, schlage die Decke zurück und starre auf den großen, rotbraunen Blutfleck des sonst weißen Lakens. Mein Freier ist meiner Bitte bezüglich der Zufügung von Schmerzen und Verletzungen wirklich vollständig und kompromisslos nachgekommen. Ich hatte damals wahnsinniges Glück, an einen Mann wie ihn geraten zu sein. Bedächtig lege ich mich wieder hin und betrachte die Zimmerdecke. Wieder habe ich eine Grenze überschritten, indem ich mit einem Anderen Sex im Bett meines Vaters hatte. Meine Gedanken sind wirr und ich kann sie kaum greifen. Unbemerkt werden sie zäher, meine Augen fallen zu und ich schlafe erschöpft ein. Ich öffne meine Augen, für einen Moment fehlt mir jegliche Orientierung. Vorsichtig versuche ich mich aufzurichten, sacke vor Schmerz jedoch sofort wieder in mich zusammen. Erst jetzt bemerke ich die Hand, die meine fest gedrückt hält. Taichi sitzt vor dem Bett auf dem Boden, den Kopf auf der Decke liegend, und schläft. Er sieht so süß und unschuldig aus. Voller Zuneigung streiche ich sanft eine Strähne aus seinem hübschen Gesicht, wodurch er allerdings aufwacht. Verschlafen blinzelt er mich aus glasigen Augen an. Ihr Ausdruck wird kalt, als er registriert, dass ich wieder bei Bewusstsein bin. „Hast du es dir selbst besorgt und dich dabei absichtlich dermaßen verletzt oder hast du dich im Bett deines Vaters von einem Freier halbtot vögeln lassen?“ Entschlossen erhebt sich mein Freund, schlägt die Decke zurück und kommt ebenfalls auf das Bett. Grob dreht er mich auf den Bauch und öffnet seine Hose. „Taichi, nein!“ Panik ergreift Besitz von mir, doch mein Freund ignoriert meine Untersagung und dringt ohne Rücksicht in mich ein. Meine Schreie sind qualvoll und hallen laut von den Wänden wider. Ich krümme mich, verkrampfe reflexartig, wodurch die Schmerzen so schlimm werden, dass ich mich am Rande zur Bewusstlosigkeit befinde. Mit jedem erbarmungslosen Stoß höre ich auf zu atmen, in der Hoffnung, die Tortur so irgendwie ertragen zu können und um meine Schreie zu unterdrücken. „Bitte, Taichi! Hör auf!“, wimmere ich unter Tränen. „Warum? Andere lässt du ran und mich nicht? Du bist doch sonst so extrem schmerz- und sexbesessen. Außerdem drohte ich dir mehrfach an, dass ich alles, was andere dir antun, um einiges grausamer noch einmal mit dir machen werde. Zudem nehme ich den Ratschlag deiner Mutter ernst und ziehe die Konsequenzen aus deinem Verhalten. Also halt schön still, mein Liebling, dann ist es schneller vorbei.“ Außer meines heftigen Schluchzens und einigen erstickten Schreien bringe ich nichts hervor. Die Penetration meines Freundes ist unglaublich intensiv, doch aufgrund der Umstände bin ich nicht einmal mehr erregt. Mein Körper scheint bei jeder Berührung zu verbrennen. „Ich sterbe, Tai“, bringe ich mit vibrierender Stimme und nur stockend hervor. „So schnell stirbst du nicht. Das lasse ich nicht zu, Schatz. Und falls du diesen Sex doch nicht überlebst, dann hättest du wenigstens endlich erreicht, wonach du seit langer Zeit schon strebst.“ Taichi spricht die Worte ohne eine Gefühlsregung zu zeigen. Nüchtern, sachlich, fremd und doch vertraut. Trotzdem zieht er sich aus mir zurück und kommt weinend auf meinem Rücken zum Liegen. „Du bist so ein verdammter Idiot! Weißt du, was für eine Scheißangst ich um dich hatte?“ Ich spüre das Zittern seines Körpers, seine Stimme versagt beim Sprechen immer wieder. Leblos und mit tränennassem Gesicht liege ich unter ihm. „Als du aus der Wohnung deiner Mutter geflüchtet bist, wollte ich dich aufhalten, allerdings sah ich dich nicht mehr. So schnell ich konnte, rannte ich hierher, aber die Wohnung war verlassen. Ich suchte dich auf dem Mori Tower, im Stricherviertel von Shibuya, auf dem Friedhof, nirgends fand ich dich. Die Angst, dich zu verlieren, machte mich wahnsinnig! Völlig verzweifelt kam ich erneut hierher und entdecke dich in einem schrecklichen Zustand im Bett deines Vaters.“ Unaufhörlich tropfen die Tränen meines Freundes auf die Haut meiner Schulterblätter. „Ich liebe dich so sehr, Yamato! Warum tust du mir immer wieder diese Panik um dein Leben an? Irgendwann kann auch ich nicht mehr. Irgendwann schaffe ich es nicht mehr, für uns beide stark zu sein. Aber wenn ich versage und dir keinen Halt mehr geben kann, werde ich mit deinem Tod bestraft, hab ich recht?“ Meine Augen starren apathisch und mit verschleiertem Blick ins Leere. „Du riechst nach Alkohol, Taichi“, bemerke ich schwach. „Bereits an deinen Augen sah ich, dass du nicht zurechnungsfähig bist. Hättest du mich auch so brutal vergewaltigt, wenn du nicht betrunken wärst?“ „Ich weiß es nicht. Vielleicht“, gibt er ungerührt zu, rutscht von mir herunter und nimmt mich in den Arm. „Wie stark sind die Schmerzen?“ „Ziemlich heftig, aber du hast mir schon schlimmere zugefügt.“ Mein Freund setzt sich wieder auf und untersucht meine Verletzungen genauer. „Noch blutet es. Sollte die Blutung in der nächsten Viertelstunde nicht stoppen, rufe ich den Notarzt. Ansonsten können wir probieren, ob die Salbe von damals hilft.“ „Meinetwegen“, stimme ich gleichgültig zu. Tai beugt sich zu mir und küsst die Tränen von meiner Wange. Benommen von seinem alkoholverseuchten Atem schließe ich meine Augen. „Wie viel hast du getrunken?“ Eine Weile ist es ruhig im Raum. Mein Freund scheint zu überlegen. „Ich glaube, es waren nur vier, fünf Gläser Whiskey.“ „Was wirst du jetzt tun? Beichtest du deinem Therapeuten von dem Rückfall oder gibst du den Entzug auf?“ „Momentan ist es schwierig, diese Frage zu beantworten. Wenn du drauf bist, könntest du das auch nicht, oder?“ Erneut schaut er sich meine Verletzungen an. „Glücklicherweise blutest du nicht mehr. Ich hole die Salbe.“ Rasch steht er auf und läuft aus dem Zimmer. Sein Gang ist wankend, aber nur sehr geringfügig. Als er zurückkommt, setzt er sich neben mich. „Kannst du dich bewegen?“ Ich rege mich etwas. „Nicht ohne Schmerzen.“ „Ist es in Ordnung für dich, mir das Auftragen der Salbe zu überlassen?“ Durch ein leichtes Nicken gebe ich ihm die Erlaubnis. „Sag bitte Bescheid, falls die Schmerzen zu stark werden.“ „Vorhin hat dich das auch nicht interessiert“, erwidere ich bitter. „Du weißt, warum ich das machen musste. Ich führe die Finger jetzt ein. Es sind zwei. Bereit?“ „Ja.“ Verbissen kralle ich meine Nägel in den Bezug des Kissens. Ungewohnt behutsam dringt Taichi in mich ein. Trotzdem sind die Schmerzen kaum zu ertragen. Ich schaffe es nicht, meine Schreie zu unterdrücken, weshalb ich mein Gesicht in das Kissen drücke. Nach einer gefühlten Ewigkeit ist mein Freund endlich fertig, geht ins Bad seine Hände waschen und legt sich dann wieder neben mich, den Arm um meinen Körper gelegt. Der Geruch nach Alkohol ist intensiver geworden. Vermutlich war er noch schnell im Wohnzimmer, um seinen Pegel zu halten oder vielleicht sogar noch zu steigern. Ich betrachte ihn ernst. Seine Augen sind geschlossen, seine Atmung wird ruhiger und gleichmäßiger. Kaum zu glauben, dass Tai mit diesem hübschen Gesicht so skrupellos, grausam und brutal wie vorhin sein kann. Selten hat er mich so gewalttätig und gefühllos vergewaltigt, dass nicht einmal ich es noch ausgehalten habe, geschweige denn auch nur minimal erregt war. Ich streiche ihm liebevoll über die Wange. Tränen füllen meine Augen, als mir bewusst wird, dass unsere Beziehung zu zerstörerisch ist, um sie aufrecht zu erhalten. Jetzt allerdings lasse ich ihn schlafen, da er betrunken ohnehin nicht zu seinen Eltern nach Hause gehen kann. Umständlich und mit Vorsicht ziehe ich meine Schuluniform an, immer wieder schaue ich dabei zu meinem schlafenden Freund. Als ich es geschafft habe, mich einigermaßen anzukleiden, hocke ich mich bedächtig an das Bett und betrachte Tai einen kurzen Augenblick. Bin ich wirklich in der Lage, die Beziehung zu ihm zu beenden? Ich küsse seine Lippen, doch da sein Mund leicht geöffnet ist, gleite ich unwillkürlich mit meiner Zunge hinein. Sofort beende ich den Kuss, zu meiner Überraschung wacht Taichi nicht auf. Vermutlich ist der unerschütterliche Schlaf eine Nebenwirkung des Alkohols. Ich streiche die Haare meines Freundes aus der Stirn und küsse diese, bevor ich mit meiner Schultasche den Raum verlasse. Diese stelle ich im Flur ab und gehe ins Badezimmer, wo ich meine Haare zu einem Zopf zusammenbinde. Aus dem Medizinschrank hole ich eine Schachtel Schmerzmittel, drücke vier der Tabletten aus dem Blister und schlucke sie mit etwas Wasser hinunter. Den Rest der Packung nehme ich mit und verstaue sie in meiner Schultasche. Auf dem Rückweg von der Schule muss ich unbedingt neue besorgen, ebenso wie Schlaftabletten und Hustenblocker. Das darin enthaltene Dextromethorphan soll kombiniert mit dem Diphenhydramin des Schlafmittels Rauschzustände auslösen, womit ich die Zeit überbrücken könnte, in der mir keine Drogen zur Verfügung stehen. Zwar hasse ich den Morgen nach einer Überdosierung von Tabletten, da ich mich immer in einem surrealen Verwirrtheitszustand befinde, also sehr benommen und desorientiert aufwache. Auch schmerzen meine Augen unangenehm, meine Sicht ist verzerrt und mein Kopf fühlt sich merkwürdig leicht, aber auch ebenso schwer an, was vermutlich dem Schwindel sowie Gleichgewichtsproblemen zuzuschreiben ist. Für einen Trip nehme ich den Hangover trotz allem in Kauf. Ganz langsam ziehe ich meine Jacke und meine Schuhe an, die Schmerzen durch den harten Sex letzte Nacht sind noch immer nicht abgeklungen. Einer Eingebung folgend gehe ich in mein Zimmer zurück und hole die Salbe. In der Pause kann ich sie auf der Schultoilette auftragen. Mein Blick fällt noch einmal auf meinen Freund. Es fühlt sich so an, als würde mein Herz brutal zerquetscht und meine Eingeweide erbarmungslos aus meinem Leib gerissen werden. Ich liebe ihn so wahnsinnig, warum funktioniert es einfach nicht mit uns? Warum kann ich Taichi nicht glücklich machen? „Scheiße…“, fluche ich leise und wische mir die Tränen aus den Augen. Dann wende ich mich ab, ohne dem Drang, ihn zu berühren, nachzugeben. Im Flur bleibe ich vor der Küche stehen. Einen Moment starre ich nur hinein, schließlich betrete ich sie entschlossen. Aus dem Schrank hole ich das Toastbrot. Während ich darauf warte, dass die Scheibe aus dem Toaster springt, hole ich die Butter aus dem Kühlschrank. Ich bestreiche das Brot damit und schaue zu, wie die Butter durch die Wärme zerläuft. Zögernd beiße ich ein kleines Stück ab und kaue lange darauf herum. Verstohlen schaue ich zum Mülleimer, esse jedoch trotz Übelkeit den Rest. Anschließend mache ich mich auf den Weg zur Schule. Ich erinnere mich, schon einmal mit ziemlichen Schmerzen in der Schule gewesen zu sein. Damals hatte Akito mich in einem der Kellerräume der Schule ausgiebig mit seinem Messer bearbeitet. Ich lächle. An einem Raucherpunkt bleibe ich stehen, ziehe so schnell eine Zigarette durch, dass mir leicht schwindelig wird, und gehe dann weiter. In der Schule suche ich zuerst den Klassenraum auf, um meine Tasche und Jacke abzulegen, anschließend gehe ich zum Büro des Direktors. Ich klopfe und trete, nach der Aufforderung dazu, ein. „Setz dich, Yamato“, weist mich der Direktor, der am Fenster und mit dem Rücken zu mir gewandt steht, an. „Wie geht es dir? Kannst du wieder am Unterricht teilnehmen?“ „Ja“, antworte ich mit Zurückhaltung. „Ich bitte Sie, mir mein unsittliches Verhalten Ihnen gegenüber zu verzeihen.“ Voller Selbstverachtung gehe ich in die Defensive und agiere wider meiner Überzeugung, indem ich durch mein unterwürfiges Verhalten vorgebe, meine Handlung zu bereuen und als falsch zu deklarieren. Ich kralle meine Finger auf meinem Schoß in den Stoff meiner Hose, um mich ruhig zu halten und diese bittere Erfahrung leichter zu ertragen. „Ich nehme deine Entschuldigung an, dennoch muss ich dich bestrafen. Du verstehst sicher, dass ich dir keine Sonderbehandlung zukommen lassen darf.“ „Ja“, stimme ich ihm reserviert zu und senke unaufrichtig reumütig meinen Kopf. „Zunächst einmal werde ich dich nicht der Schule verweisen. Eine solche Maßnahme nützt niemandem etwas. Es bleibt also dabei, dass die Uniaufnahmeprüfungen über deinen Verbleib an der Schule entscheiden werden.“ Mein Direktor wendet sich vom Fenster ab und setzt sich mir gegenüber. „Sieh mich bitte an, Yamato.“ Sein Tonfall ist streng, aber ebenso liebevoll. Ich schaue ihm direkt in die Augen. Einen Moment herrscht Stille im Raum, in welcher er mich eingehend betrachtet. „Deine Haare sind laut Schulordnung eigentlich zu lang. Aber wenn du sie immer wie jetzt zu einem Zopf bindest, lasse ich es dabei bewenden. Ich erlaubte es auch schon anderen Jungs unter dieser Bedingung. Etwas anderes kann ich allerdings nicht dulden. Du rauchst, nicht wahr? Ich habe dich schon oft mit einer Zigarette vor der Schule stehen sehen. Ab sofort rauchst du weder in noch in der Nähe der Schule, hast du verstanden? Ganz verbieten kann ich es dir leider nicht.“ „In Ordnung“, lenke ich artig und doch leicht unterkühlt ein. „Ist das meine Strafe?“ Argwöhnisch blicke ich ihn an. „Nein. Das ist ein ganz allgemeines Verbot. Aber das Rauchen ist eine gute Überleitung zur eigentlichen Thematik. Deine Kondition wird nicht die beste sein, deine schlechte körperliche Verfassung sieht man dir sogar an. Etwas Sport könnte nicht schaden und du bist, meines Wissens, in keiner AG, weshalb du bis zum Ende deiner Schulzeit, falls du bleiben wirst, in eine Sport-AG eintreten wirst. Die Wahl überlasse ich dir, bis morgen gebe ich dir Zeit.“ Völlig entgeistert starre ich meinen Gegenüber an. Das kann nicht sein Ernst sein. „Aber…“, setze ich meinen Protest an, werde jedoch sofort unterbrochen. „Yamato, das ist keine Bitte und nicht fakultativ, sondern obligatorisch. Lediglich die Sportart ist optional. Bei Verweigerung sehe ich mich leider gezwungen, dir doch den Schulverweis zu erteilen.“ Widerstrebend willige ich mit einem leichten Nicken ein. „Gut, dann geh jetzt bitte zum Unterricht.“ Ohne ein weiteres Wort verbeuge ich mich und verlasse den Raum. Schnellen Schrittes gehe ich die Treppen hinab zu den Kellerräumen. Um diese Uhrzeit ist hier normalerweise niemand. Wütend schlage ich meine Faust gegen die Wand, wiederhole den Vorgang mehrfach, bis der Schmerz taub und die Hand blutig ist. Dann lehne ich mich gegen die Wand und sinke teilnahmslos an ihr herab. Während ich meine Arme um meine Beine schlinge, den Schmerz in meinem Unterleib ignorierend, berühre ich mit meiner Stirn meine Knie. Völlig überfordert frage ich mich, wie es weitergehen soll. Ich sehne mich nach Taichi, aber da ich vorhabe, mich von ihm zu trennen, werde ich mich an dieses Gefühl gewöhnen müssen. Letztlich hoffe ich, dass die dadurch entstehende Leere so quälend wird, dass ich mich endlich töten kann. Ich drehe den Schlüssel im Türschloss und stelle fest, dass nicht abgeschlossen ist. Entweder hat Taichi es beim Gehen vergessen oder er ist noch überhaupt nicht gegangen beziehungsweise wiedergekommen. Beim Betreten der Wohnung schaue ich sofort in die Küche. Leer. Das Toastbrot, die Butter, alles steht so da, wie ich es heute Morgen verlassen habe. Ich ziehe Schuhe sowie Jacke aus und gehe in mein Zimmer. Ebenfalls leer. Allerdings registriere ich nun die leisen Geräusche aus dem Wohnzimmer. Es klingt, als würde der Fernseher eingeschaltet sein. Das Bild, welches sich mir beim Betreten des Raumes bietet, ist schlimmer als meine Befürchtungen. Wie erwartet sehe ich auf dem Tisch eine leere Flasche Whiskey und ein noch zur Hälfte gefülltes Glas. Taichi liegt völlig betrunken und ohne Bewusstsein leblos auf dem Sofa. Sein linker Arm ist blutüberströmt aufgrund etlicher Wunden, die er sich augenscheinlich selbst zugefügt hat. Die Rasierklinge liegt auf dem Boden, in einer Lache aus Blut. Nahezu apathisch gehe ich auf meinen Freund zu und setze mich neben ihn auf das Sofa. Mit zitternder Hand suche ich nach seinem Pulsschlag am Hals. Tai lebt. Erleichtert betrachte ich seine Wunden am Arm genauer. Die Schnitte sind zwar tief, aber nicht lebensbedrohlich, wobei einer der Längsschnitte tatsächlich auf einen Selbstmordversuch hindeuten könnte. Ich lege meinen Kopf auf seinen Brustkorb, schließe meine Augen und achte nur auf seinen Herzschlag. „Bitte hör nicht auf damit!“, flüstere ich unter Tränen. „Du musst weiterschlagen. Für mich.“ Stumm weinend stehe ich auf, gehe ins Bad und hole Utensilien zum Säubern, Desinfizieren und Verbinden der Verletzungen. Nicht einmal, als ich mich um die Wundversorgung kümmere, wacht Tai auf. Anschließend reinige ich den Boden und das Sofa, so gut es geht. Liebevoll streichle ich ihm durch die Haare und über die Wange. „Ich liebe dich“, hauche ich auf seine Lippen, ohne ihn zu küssen. Dann verlasse ich den Raum und gehe in mein Zimmer. Ich schalte den CD-Player ein, setze mich an meinen Schreibtisch und lasse meinen Kopf auf die Arbeitsfläche sinken. Eine Weile sitze ich regungslos in dieser Position, die Augen starr ins Nichts gerichtet. Du bist meine Qual, mein zweites Gesicht Ich schreie Dich an und dann küsse ich Dich Du bist wie ein Gift, es dringt in mich ein Es trocknet mich aus und lässt mich allein Ich will doch nur dich Ich will dich berühren Um all meine Schuld In Dir zu verlieren Ich will doch nur Dich Um mich zu belügen Um Dir zu gehören Um Dich zu zerstören Meine Gedanken entgleiten, sodass ich das Lied nicht mehr wahrnehme. Es wäre ein Fehler, mich von Taichi zu trennen. Selbst wenn ich mich danach töten sollte, würde er vermutlich nicht sterben. Diesen Gedanken ertrage ich nicht. Er gehört mir. Unwillkürlich erhebe ich mich und verlasse wie fremdgesteuert mein Zimmer. Meine Schritte lenken mich in das Zimmer meines Vaters. Vor einiger Zeit nahm dieser mir mein Klappmesser ab. Ich kannte das Versteck von Anfang an, ließ das Messer aber dort, da ich es bisher nicht brauchte. Kurz prüfe ich die Klinge auf ihre Schärfe, anschließend begebe ich mich ins Wohnzimmer. Taichi liegt noch immer genau so auf dem Sofa, wie ich ihn vorhin zurückgelassen habe. Vor ihm bleibe ich stehe. Sein Brustkorb hebt und senkt sich leicht, seine Atmung ist ruhig. Teilnahmslos und mit leeren Augen schaue ich auf meinen Freund herab, das Messer fest umschlossen in meiner Hand. Kapitel 28: ------------ Angespannt liege ich neben meinem Freund in meinem Bett, lausche seiner ruhigen, gleichmäßigen Atmung und überwache mit meinen Fingern seinen Pulsschlag am Handgelenk. Wieder schaffte ich es nicht, Tai zu töten. Allerdings fügte ich ihm diesmal eine nicht unerhebliche Wunde am Hals zu. Sie blutete stark, war aber nicht tief genug, um gefährlich zu sein. Vielleicht hätte ich die Klinge sogar durchgezogen, wenn Taichi nicht plötzlich zu Bewusstsein gekommen wäre, möglicherweise aufgrund des Schmerzes, und in seiner Trunkenheit in das Messer gegriffen hätte. Ich glaube, der Anblick des klaffenden Schnittes in seiner Hand und das darauffolgende Begreifen meines Vorhabens sowie die Realisierung der noch immer blutenden Halswunde brachten mich wieder zu Verstand. Fast panisch warf ich das Messer beiseite und drückte mit meinem Ärmel die Verletzung am Hals ab, um die Blutung zu stillen. Taichi blinzelte mich immer wieder an, verzog zeitweise das Gesicht, vermutlich, weil er den Schmerz trotz Betäubung durch den Alkohol spürte. Auf mein Ansprechen reagierte er lediglich mit dem Versuch, mich zu schlagen oder nach mir zu greifen, wobei er meine Sachen ebenso wie mein Gesicht mit seinem Blut beschmierte. Ich musste warten, bis er sich etwas beruhigte, damit ich ihn kurz allein lassen konnte, um das passende Verbandsmaterial aus dem Bad zu holen. Ungeduldig strich ich ihm besänftigend durch die Haare, wobei ich weiterhin die Wunde abdrückte, was jedoch erschwert wurde, da ich wiederholt Tais Arme abwehren musste. Irgendwann driftete mein Freund erneut in die Bewusstlosigkeit ab, worüber ich in diesem Fall zumindest für den Moment sehr froh war. Ich zitterte am ganzen Körper, als ich die Schnitte eher notdürftig versorgte. Vielleicht wäre es besser gewesen, den Notarzt zu rufen, auch wegen der Gefahr einer Alkoholvergiftung, dennoch ging ich das Risiko ein, einen möglicherweise tödlichen Fehler zu begehen, und entschied mich dagegen. Die Verletzungen, gerade am Hals und am Handgelenk, deuten beinahe unmissverständlich auf Selbstmordversuche hin. Er wäre wegen Eigengefährdung auf die geschlossene Station der Psychiatrie gekommen, was ich ihm definitiv ersparen will. Der Tod wäre gnädiger. Schließlich blieb ich bei ihm sitzen, auf dem Boden neben dem Sofa, wachte über seine Atmung und seinen Herzschlag. Es vergingen Stunden, in denen Taichi sich kaum bewegte und auch ich nahezu reglos blieb. Meine Hand ruhte unablässig auf seinem Brustkorb, meinen Kopf hatte ich auf den Oberarm meines ausgestreckten Armes gebettet und mit der anderen Hand umschloss ich sehr behutsam die verletzte, mit einem Verband versehene Hand meines Freundes. Als dieser endlich zu sich kam, war er zumindest so weit ausgenüchtert, dass ich mit ihm reden konnte. Ich erklärte ihm wahrheitsgemäß, was geschehen war, seine Miene war allerdings vollkommen ausdruckslos, während er mir zuhörte. Dann griff er nach dem Glas auf dem Tisch und leerte es. Traurig schaute ich ihm dabei zu, sagte aber nichts. Seither haben wir kaum miteinander gesprochen. Bevor wir uns in mein Bett legten, wechselte ich schweigend Tais Verbände an Hand, Arm und Hals, er sah mich dabei nicht einmal an. Sein Verhalten verunsichert und besorgt mich, seine Augen sind völlig leblos, seine Handlungen mechanisch. Fühlt er gerade das Gleiche, was ich nach meinen Selbstmordversuchen empfunden, oder besser nicht empfunden, habe? Die Leere, das Gefühl der Falschheit, Schmerz und ebenso Taubheit. Ich frage mich, ob Taichi bereut nicht gestorben zu sein oder ob er froh darüber ist, ob er mich hasst, weil ich ihn nicht getötet habe oder weil ich versucht habe ihn zu töten. Der Geruch von Alkohol haftet fortwährend und unausweichlich in meiner Nase. Bei dem einen Glas nach dem Aufwachen ist es nicht geblieben. Er öffnete eine neue Flasche in meinem Beisein, ich saß in seiner Nähe auf dem Boden, beobachtete ihn dabei und ließ es wortlos, aber mit Tränen in den Augen geschehen. Vermutlich sollte ich handeln, ihn vor sich selbst schützen, aber ich war wie gelähmt. Zudem habe ich nicht das Recht, ihm das Betäuben seiner Gefühle, das Weglaufen vor der Realität zu verbieten, denn ich mache nichts anderes, nur mithilfe von GHB und Heroin. Schwierig wird es jedoch, ihn noch vor seinen Eltern in Schutz zu nehmen. Es ist auffällig, dass immer nur ich bei ihnen anrufe und bitte, Tai noch bei mir behalten zu dürfen, zumal sie ihn so nicht unter ihrer Aufsicht haben können. Jedenfalls dürfen sie von seinem Rückfall unter keinen Umständen etwas erfahren. Die Situation überfordert mich, trotzdem versuche ich mich zusammenzureißen. Ich will für meinen Freund da sein, ihm helfen und mich nicht wieder in mir selbst verlieren. Voller Zuneigung betrachte ich seine Konturen in der Dunkelheit meines Zimmers. Ob er wach ist oder schläft, vermag ich nicht zu sagen. Als ich mich an ihn kuschele, rührt er sich jedenfalls nicht. Müde schließe ich die Augen, meine Finger ruhen weiterhin auf Taichis Plusschlag am Handgelenk. Dann sinke ich in einen unruhigen, von schweißtreibenden Albträumen geplagten Schlaf. Nervös stehe ich im Flur vor dem Telefon und starre es an. Ich atme tief durch, dann nehme ich mit meiner Hand den Hörer und wähle die Nummer meines Vaters. Es klingelt. Nach einem kurzen Moment nimmt er ab. Er klingt müde. „Hallo, Papa. Habe ich dich geweckt? Das wollte ich nicht. Tut mir leid.“ „Ach so, also kommt mein Anruf ungelegen. Wenn du gleich zu einem Termin musst, rufe ich später noch einmal an.“ „Ja, mir geht es gut. Und ja, ich nehme nach wie vor keine Drogen“, lüge ich ungerührt. Skrupel diesbezüglich kenne ich inzwischen nicht mehr. „Nein, zu Mama habe ich seit dem letzten Vorfall keinen Kontakt.“ „Ich will nicht. Sie kann mir nicht helfen, sie macht alles nur schlimmer. Wir kommen einfach nicht miteinander klar. Versteh das bitte, Papa.“ „Mühe geben?“ Meine Stimme wird vor Empörung unwillentlich lauter. „Lassen wir das. Ich möchte mich nicht in den paar Minuten, die ich mit dir habe, streiten.“ Langsam gehe ich in die Hocke, setze mich auf den Boden und ziehe meine Beine dicht an meinen Körper. Mit meiner Hand umgreife ich den Hörer so fest ich kann und presse ihn an mein Ohr, als könnte ich auf diese Weise meinem Vater näher sein. „Ja, für zwei Universitäten habe ich die Aufnahmeprüfungen schon hinter mir. Übermorgen werde ich die letzte absolvieren.“ „Dahingehend habe ich kein Gefühl. Ich warte das Ergebnis ab.“ „Ja, ich weiß, was davon abhängt. Aber mehr als lernen und mein Bestes geben, kann ich nicht.“ Einen Augenblick herrscht Stille. „Was willst du jetzt von mir hören, Papa? Du kennst die Antwort. Er gibt mir weiterhin Nachhilfe. Und die…“ Mein bitteres Lachen hallt durch den Flur. „Glaubst du wirklich, bei all den Schwänzen, die schon in mir waren, habe ich Nachhilfe auf diesem Gebiet nötig? Kommt es dir so vor, wenn du mich fickst?“ Mein Tonfall ist voller Hohn. Doch sofort wandelt er sich zu einem traurigen Flüstern. „Wirst du jemals wieder mit mir schlafen?“ Erneut schweigt mein Vater. „Ich vermisse dich so sehr!“ Sollte ich ihm beichten, dass seine Abreise einer der Faktoren ist, weshalb ich mich wieder von völlig Fremden vögeln lasse? Würde er dann zurückkommen? Vielleicht, aber es würde nicht viel ändern. Denn der andere Grund ist Taichi. Nach seinem Totalabsturz verbrachte er ein paar Tage daueralkoholisiert bei mir, das heißt, in unserer Wohnung. Mich nahm er kaum wahr. Dann hatte er offenbar einen klaren Moment und ging zu seinen Eltern zurück. Ob er dabei nüchtern war, weiß ich nicht, da ich gerade in der Schule war, als er mich verließ. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört. Als ich mit ihm sprechen wollte, sagte mir seine Mutter an der Tür, er wolle mich nicht sehen. Ich bin mir nicht sicher, ob das der Wahrheit entspricht. Vielleicht wissen seine Eltern von dem Rückfall und sind nun darauf bedacht, den Kontakt zu mir zu unterbinden. Seit mittlerweile einer Woche versuche ich mich, so gut es geht, abzulenken. Tagsüber durch die Schule sowie die Sport-AG. Letztlich habe ich mich für Leichtathletik entschieden, weil das wenigstens kein Mannschaftssport ist. Die Abende verbringe ich entweder mit meinem Freier, der seiner Frau erzählte, er würde mir in der nächsten Zeit des Öfteren Nachhilfe geben, wobei das nicht einmal gelogen ist. Nur, dass er ebenfalls mit mir schläft, erwähnte er nicht. Oder ich fahre nach Shibuya, um mit irgendeinem Freier Sex zu haben. So wie heute. Was würde mein Vater sagen, wenn er wüsste, dass ich mich vor wenigen Stunden noch von einem dreiundsechzigjährigen Mann habe ficken lassen? „Im Übrigen ließ ich mich testen. Der HIV-Test fiel negativ aus. Ebenso keine Geschlechtskrankheiten. Dahingehend bin ich vollkommen gesund.“ Deutlich spüre ich die Erleichterung meines Vaters in seiner Stimme. Auch deshalb sollte er von meinem derzeitigen Lebensstil nichts erfahren, denn das Ergebnis könnte inzwischen nichts mehr wert sein, wobei ich allerdings nach wie vor nicht wahllos mit jedem Sex habe und auch nicht immer ohne Kondom. „Warum hast du mich angelogen?“, wechsle ich plötzlich das Thema. „Bezüglich der Beziehung zwischen Taichi und dir.“ „Ja, er hat es mir gestanden.“ „Hast du das Bedürfnis, mit ihm zu schlafen?“ Mein Vater verneint meine Frage. „Liebst du ihn?“ „Wenn du ihn wie einen Sohn liebst, dann liebst du ihn ebenso, wie du mich liebst. Und mich liebst du auch körperlich. Warum ihn dann nicht?“ „Inwiefern sind deine Gefühle für mich anders? Liebst du mich?“ Ich erwarte eine unklare Antwort von ihm zu hören, doch er bejaht ohne weitere Anmerkung. Verwirrt fixiere ich die Wand mir gegenüber. Ein leichtes Zittern erfasst meinen Körper. Liegt es an der Kälte in der Wohnung? „Wie einen Geliebten?“, frage ich vorsichtig und versuche nicht zu hoffnungsvoll zu klingen. Als er verneint, senke ich meinen Blick und schaue zu Boden, dann auf meine Füße. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe seine Gefühle nicht. Ich verstehe ihn nicht. „Später? Ja. Du musst zu deinem Termin, hab ich recht?“ „Nein, es ist alles okay“, versichere ich ihm so ruhig es geht und klinge dabei fast monoton, unterkühlt. „Mach dir bitte keine Sorgen.“ „Ich bleibe clean, versprochen.“ Zwar ist dieses Versprechen eine Lüge, allerdings bemühe ich mich ernsthaft meinen Konsum in den Griff zu bekommen, wobei mir mein Freier sehr hilft. „Ja, zwischen Taichi und mir ist alles in Ordnung“, versichere ich meinem Vater zögernd. Stehen die beiden in Kontakt? Hat Tai meinen Vater über den Stand unserer Beziehung informiert? Ein unangenehmes Gefühl ergreift Besitz von mir. „Ich liebe dich auch. Bis dann.“ Die letzten Worte spreche ich beinahe automatisiert, ohne sie selbst richtig mitzubekommen. Das Besetztzeichen ertönt. Mein Vater hat aufgelegt. Ich lasse den Hörer sinken, behalte ihn aber in der Hand. Abwesend starre ich ins Nichts. Meine Empfindungen sind unerträglich, dabei bin ich nicht einmal in der Lage, sie zu benennen. Alles ist kalt. „So, für heute machen wir Schluss. Yamato, bleibst du bitte und hilfst mir beim Aufräumen?“ Mürrisch schaue ich zu meinem Sportlehrer. Ich bin froh, wenn ich diese verhasste AG halbwegs überlebe, und will nicht länger als unbedingt nötig hier verweilen müssen. Mein Kopf dröhnt und ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. So viel Bewegung bin ich einfach nicht gewohnt, ich will mich aber auch nicht daran gewöhnen. Genervt nicke ich, wobei ich meinem Lehrer deutlich zeige, dass seine Aufforderung mir widerstrebt. Umso mehr verwirrt es mich, als er mir mit einem Lächeln begegnet. „Gut, dann bring bitte als Erstes die Startblöcke hinter in den Geräteraum.“ Unwillig befolge ich seine Anweisung und schleppe mich mit den Laufvorrichtungen in den Händen in den kleinen Raum am Ende der Turnhalle. Dort lege ich sie in einer hinteren Ecke an ihren vorgesehenen Platz. Müde setze ich mich auf eine der Bodenturnmatten und schließe die Augen. In der Umkleidekabine muss ich unbedingt ein paar Schmerztabletten einnehmen. „Was ist los, Yamato? Geht es dir nicht gut?“, höre ich die Stimme meines Sportlehrers hinter mir sagen. Sofort stehe ich auf und drehe mich zu ihm um. „Nein, es ist alles in Ordnung“, antworte ich. Ohne mich aus den Augen zu lassen, kommt er auf mich zu, greift ziemlich derb in meine Haare, wobei sich mein Zopfgummi löst, und zwingt mich ihm ins Gesicht zu sehen. Er ist größer als ich und wesentlich kräftiger gebaut. Im Ernstfall habe ich gegen ihn keine Chance. „Yamato Ishida, einer unserer berüchtigtsten Schüler. Ich wurde vorgewarnt, dass der Umgang mit dir nicht einfach sein würde. Es ist offensichtlich, wie sehr du es hasst, hier zu sein. Du versuchst nicht einmal deinen Unmut zu verbergen oder dich anzustrengen.“ Ich sage nichts, funkle ihn nur trotzig und geringschätzig an. „In der Schule sind schon lange einige Gerüchte über dich im Umlauf. Es heißt, du seist rebellisch und unbelehrbar. Aber am interessantesten finde ich die Behauptungen bezüglich deiner Sexualität. Du sollst auf Männer stehen, wurdest sogar beim Sex in der Schule erwischt. Zudem heißt es, du treibst dich in Shibuya in zwielichtigen Vierteln herum und verkaufst deinen Körper.“ Ich werde von meinem Lehrer nach hinten gedrängt und mit dem Rücken grob gegen eines der Regale gedrückt. „Mein Privatleben geht Sie überhaupt nichts an. Und jetzt lassen Sie mich los!“, bringe ich ihm mit Nachdruck entgegen. „Es stimmt also. Du bist ein kleiner perverser Stricher, eine dreckige Hure. Weiß der Direktor eigentlich von deinem Nebenverdienst?“ Ein widerliches Grinsen umspielt seine Lippen. Panik steigt in mir auf. „Verdammt nochmal! Was wollen Sie von mir? Ich möchte jetzt gehen!“ Vergeblich versuche ich mich von ihm zu befreien. „Du weißt genau, was ich will. Wenn du mich ranlässt, werde ich den Direktor weder von deiner Prostitution noch von deinem bisher zweimaligen Fehlen in der AG allein diese Woche in Kenntnis setzen.“ Ekel überkommt mich. „Das wäre Missbrauch von Schutzbefohlenen. Ficken Sie des Öfteren Ihre Schüler?“ Brutal schlägt er mir ins Gesicht. „Halt deinen vorlauten Mund! Du machst doch ohnehin für jeden die Beine breit, oder? Warum zierst du dich so?“ Unerwartet dreht er mich mit dem Rücken zu sich, nimmt eines der Springseile aus dem Regal und bindet meine Hände daran fest. Dann öffnet er meine Hose und zieht sie ein Stück nach unten. „Hören Sie bitte auf! Ich will das nicht!“, flehe ich verzweifelt. Mir ist schlecht und ich kämpfe dagegen an, mich zu übergeben. Unsanft zieht er mich an den Hüften zu sich heran und zwingt mich dadurch in eine leicht gebückte Haltung. Es scheint, als würde er ein Kondom überziehen, bevor er mit Gewalt in mich eindringt. Offenbar ist dieser Übergriff kein Zufall, warum sonst sollte er in der Schule Verhütungsmittel bei sich tragen. Ich gebe auf und lasse den Sex über mich ergehen, wie so oft, vor allem in letzter Zeit. Außerdem hat mein Lehrer Recht, ich mache für nahezu jeden die Beine breit. Es ist also egal, ob er mich fickt oder ein Freier. Letztlich besteht da kein Unterschied, oder? Sein Keuchen dringt widerlich lustvoll an mein Ohr. „Genießt du es?“ Anzüglich leckt er darüber. Ich verziehe das Gesicht und drehe meinen Kopf beschämt zur Seite. „Du bist wirklich eine abartige, kleine Hure.“ „Ja, ich weiß.“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. Die Penetration meines Sportlehrers wird allmählich unerträglich und es fällt mir zunehmend schwerer, aufrecht zu stehen. Ich frage mich, wie viele Schüler er bereits vergewaltigt hat. Definitiv bin ich nicht der Erste, den er zum Sex zwingt. Aber ich sorge dafür, dass ich der Letzte sein werde. Endlich lässt er von mir ab und wirft mir das benutzte Kondom vor die Füße. „Lieber hätte ich in dir abgespritzt, aber bei einem dreckigen Straßenstricher weiß man nie, was man sich einfängt.“ Obszön leckt er über meine Wange, hinab zu meinem Hals. „Allerdings gibt es eine andere Möglichkeit, wie du mein Sperma in dich aufnehmen kannst“, raunt er in abstoßendem Ton. Ich ahne, worauf er hinaus will und sehe mich bestätigt, als er das Kondom vom Boden aufhebt. „Jetzt zeige ich dir, was passiert, wenn man unaufgefordert den Mund zu weit aufmacht.“ Mit einer Hand drückt er meine Wangen kraftvoll zusammen, mit der anderen stopft er mir das mit seinem Samen gefüllte Präservativ in den Mund. Heftig würgend und voller Abscheu spucke ich es sofort wieder aus. „Was hast du? Gehört das etwa nicht zu deinem Service?“ Er steht dicht hinter mir, legt seine Finger um meinen Hals und drückt leicht zu. „Dir ist sicher bewusst, dass du deinen Schulabschluss vergessen kannst, wenn das hier jemand erfährt.“ Ich bekomme mit, wie er mir einen Geldschein in die Hosentasche steckt. „Da du dich gerade in der Schule prostituiert hast, wäre es auch in deinem Sinne, zu schweigen. Und jetzt geh dich umziehen. Es ist schon spät, ich muss die Turnhalle abschließen.“ Er löst meine Fesseln. Ohne ein Wort zu sagen, laufe ich auf wackeligen Beinen in die Jungenumkleide und schlucke als Erstes unzählige Schmerztabletten. Unter der Dusche lasse ich einige Zeit heißes Wasser über meinen Körper laufen. Die hohe Temperatur schmerzt und meine Haut ist stark gerötet, aber diese Tortur tötet das Gefühl der Berührungen meines Lehrers. Auch meine Tränen sind durch das Duschwasser nicht sichtbar. Ich vermisse Taichi so sehr. Wenn er bei mir ist, kann ich alles ertragen. Wenn er bei mir ist, bin ich glücklich. Wenn er nur bei mir ist. Bedächtig trockne ich mich ab, ziehe mich an und verlasse die Räumlichkeit. In der Halle wartet bereits mein Sportlehrer. Wieder lächelt er. „Danke, dass du mir geholfen hast, Yamato.“ „Wobei? Beim Druck ablassen? Hatte ich denn eine Wahl?“, entgegne ich bitter. Mit seinem Zeigefinger hebt er mein Kinn, um mich zu zwingen ihn anzusehen. „Du solltest aufpassen, was du sagst. Dann ersparst du dir viel Ärger. Oder hat dir meine Sanktion noch nicht gereicht?“ Provozierend schlage ich seine Hand weg und halte seinem Blick stand. „Die Gerüchte über dich stimmen. Du bist tatsächlich rebellisch und unbelehrbar. Aber damit kommst du bei mir nicht weit. Ebenso wenig wie mit deinem hübschen, unschuldigen Mädchengesicht, wobei du durch deinen meist leeren Blick eher wie eine leblose Puppe wirkst, die gefickt werden muss, um überhaupt eine Daseinsberechtigung zu haben. Es ist beinahe schade, dass du nichts anderes kannst, außer die Beine breit zu machen. Geh jetzt nach Hause. Wir sehen uns morgen. Und ich rate dir zu erscheinen.“ „Soll ich Ihnen wieder gefügig sein, damit Sie sich noch einmal an mir vergehen können?“ Rücksichtslos und ohne Vorwarnung schlägt mein Lehrer mir mit der Rückhand hart ins Gesicht. Ich verliere mein Gleichgewicht und stürze zu Boden. Meine Wange schmerzt stark. Als ich sie vorsichtig betaste, habe ich Blut an meiner Hand. Vermutlich ist die Haut ein wenig aufgeplatzt, möglicherweise durch den Ehering an seinem Finger. Mühsam stehe ich wieder auf. „Ich habe verstanden“, murmle ich ergeben und verlasse die Turnhalle. Es ist bereits dunkel. Tief atme ich die kalte Winterluft ein und schließe meine Augen. Ich versuche mir vorzustellen, wie Tai seine Arme liebevoll um mich legt. Seine Wärme durchströmt meinen Körper, sein Duft hüllt mich sanft ein. Bei ihm fühle ich mich sicher. Bei ihm habe ich keine Angst mehr. Zitternd öffne ich meine Augen wieder. Ich bin allein. „Yamato“, sagt sie überrascht meinen Namen. Wie erwartet öffnete Tais Mutter die Tür und mustert mich nun abschätzig. „Warum bist du hergekommen? Mein Sohn sucht nach wie vor Abstand von dir.“ Fast klingt ihre Stimme mitleidig, aber auch sehr bestimmt. Traurig senke ich meinen Blick. „Ich muss mit ihm reden. Nur kurz. Wenn er mich dann noch immer nicht will, werde ich endgültig aus Taichis Leben verschwinden.“ Demütig gehe ich vor ihr auf die Knie und verbeuge mich so tief, dass meine Stirn den Boden berührt. „Ich flehe Sie an, Frau Yagami!“ Stumm laufen mir Tränen über die Wangen, tropfen von meiner Nasenspitze hinab auf die Steinplatten. „Steh bitte auf, Yamato“, befiehlt mir Tais Mutter peinlich berührt und zieht mich am Arm nach oben. Ich halte meinen Kopf gesenkt, um sie nicht ansehen zu müssen. „Also gut“, lenkt sie seufzend ein. „Komm rein. Er ist in seinem Zimmer.“ „Vielen Dank.“ Rasch entledige ich mich meiner Schuhe und will in die vorgegebene Richtung laufen, als ich von Frau Yagami zurückgehalten werde. „So, wie die Sachlage derzeit ist, möchte auch ich dich nicht in der Nähe meines Sohnes wissen. Ich hoffe, du verstehst meine Sorge. Du bist gefährlich und ich habe einfach Angst. Um euch beide. Merkst du nicht selbst, dass deine ambulante Therapie nichts bringt? Lass dich stationär behandeln. Ich weiß, wie sehr du Tai liebst, wie sehr er dich liebt und auch ich habe dich gern, aber die momentane Situation zwingt mich auf diese Art zu handeln.“ Zögernd lässt sie mich los. „Ihnen mache ich keinerlei Vorwurf“, ist meine einzige Antwort, gleichzeitig frage ich mich, was Taichi seinen Eltern erzählt hat. Ich gehe durch den kleinen Flur am Ende des Wohnzimmers und bleibe vor einer der Türen stehen. Leise klopfe ich und betrete anschließend den Raum. Mein Freund dreht sich zu mir um, seine Augen betrachten mich verwundert. Ich drohe mich wie so oft darin zu verlieren, weshalb ich meinen Blick schnell abwende. Als ich kam, schaute Tai gedankenversunken aus dem Fenster. Er sah unglaublich verloren aus. „War es das mit uns?“, frage ich leise. Langsam bewegt sich mein Freund auf mich zu, vor mir bleibt er stehen. Mit dem Daumen streicht er über die Verletzung an meiner Wange. „Ich weiß es nicht. Sag du es mir“, entgegnet er in ruhigem Ton. „Findest du, dass die Aufrechterhaltung unserer Beziehung noch erstrebenswert ist?“ „Ja.“ „Warum wolltest du mich dann töten?“ „Ich kann dich nicht verlassen. Ich will nicht, dass du ohne mich lebst. Außerdem hattest du zuvor selbst versucht dich zu töten. Zumindest sah es für mich so aus, als ich dich fand.“ „Ob ich Selbstmord begehen wollte, weiß ich nicht. Mir fehlt jegliche Erinnerung, ich war zu betrunken.“ „Deine Eltern wissen es, hab ich recht?“ „Sie wissen, dass ich wieder trinke. Als ich von dir hierher kam, war ich noch alkoholisiert, weshalb ich ihnen die Wahrheit erzählte. Sie wissen somit auch, dass du mir die Halswunde zugefügt hast und mich eigentlich töten wolltest. Später versuchte ich meine Aussage zu entschärfen, indem ich sie über deine Krankheit aufklärte und dich als unzurechnungsfähig einstufte. Ich glaube, dadurch gelang es mir, sie von einer Anzeige abzubringen.“ „Deine Eltern wollten mich anzeigen?“, entweicht es mir ungläubig. „Du solltest lernen erst nachzudenken, bevor du handelst. Ansonsten wirst du irgendwann mit Folgen rechnen müssen.“ Ich schweige betreten. „Warum sollten wir nun deiner Meinung nach unsere Beziehung fortsetzen?“ Meine Sicht verschwimmt, als ich meinem Freund erneut in die Augen blicke. „Weil ich dich liebe.“ „Ist das der einzige Grund?“ „Weil ich ohne dich wertlos bin. Weil ich deinetwegen und für dich leben will. Weil du alles bist, was ich habe, alles, was ich brauche. Ich möchte einfach bei dir sein, dich ansehen dürfen, dich berühren und spüren, für dich da sein…“ Die Worte kommen nur zittrig über meine Lippen, bis meine Stimme endgültig versagt. Verkrampft schlinge ich meine Arme um meinen Körper, kralle dabei meine Finger in den Stoff meines Pullovers. „Vielleicht wäre es vernünftig, unsere Beziehung endgültig zu beenden“, flüstert Taichi in mein Ohr, während er mich mit seinen Armen Halt gebend und schützend umschließt. „Ich habe die letzten Tage ernsthaft darüber nachgedacht, aber ein Leben ohne dich ist auch für mich unvorstellbar.“ Sanft löse ich mich von Tai und ziehe vorsichtig seinen Rollkragen ein Stück nach unten. Der Schnitt ist dick verschorft, die zurückbleibende Narbe wird deutlich sichtbar sein. Ich greife nach seiner Hand. „Zumindest diese Wunde hätte genäht werden müssen.“ „Das trifft demzufolge auf etliche deiner Selbstverletzungen ebenso zu. Ich schlage vor, wir setzen uns, bevor du zusammenbrichst.“ Er hat bemerkt, dass ich mich kaum auf den Beinen halten kann, und hilft mir zum Bett zu gelangen. „Da wir gerade beim Thema Selbstverletzung sind. Was ist mit deiner Wange passiert?“ „Der Lehrer der Leichtathletik-AG hat mich geschlagen“, halte ich mich an die Wahrheit. „Wie bitte?“, hakt Tai ungläubig nach. „Warum?“ „Anscheinend war ich ihm zu aufmüpfig“, meine ich bitter. „Bei dir kann ich mir das zwar vorstellen, trotzdem ist er deshalb noch lange nicht berechtigt bei einem Schüler so hart zuzuschlagen. Was hast du denn gesagt? Oder hast du deine Mitarbeit verweigert?“ „Nein, eigentlich war ich ihm gefügig. Körperlich zumindest. Verbal eher weniger.“ „Wie meinst du das? Und sieh mich bitte an, Yamato!“ Ich schaue meinem Freund fest in die Augen. „Er hat mich gestern in der Turnhalle… vergewaltigt.“ Als ich meine eigenen Worte höre, frage ich mich, ob er das wirklich tat. Letztlich wehrte ich mich nicht, ließ den Sex über mich ergehen und wartete, bis es endlich vorbei war. Somit ist es meine eigene Schuld. „Nein, er vergewaltigte mich nicht“, revidiere ich meine Aussage. „Er bezahlte mich, als er fertig war, wodurch es zur Prostitution wurde. Es war also eher ein Job.“ „Denkst du das wirklich? Du hast dich ihm also angeboten und ohne Gegenwehr hingegeben?“ „Sozusagen, da ich schnell merkte, dass ich nicht entkommen kann. Dennoch meldete ich den Vorfall heute beim Direktor, weil ich glaube, dass dieser widerliche Typ auch andere Schüler zum Sex zwang oder nach wie vor zwingt.“ „Moment. Hat er dich doch gezwungen? Was genau ist denn nun passiert?“ „Er teilte mich nach der AG zum Aufräumen ein. Im Geräteraum fesselte er meine Hände an ein Regal und fickte mich anschließend. Dann stopfte er mir das benutzte Kondom in den Mund und einen 1000-Yen-Schein in die Hosentasche. Im Nachhinein erkenne ich die Doppeldeutigkeit der Botschaft. Er wollte mir nicht nur verdeutlichen, dass es besser für mich ist, zu schweigen, sondern mir meinen Wert aufzeigen.“ Bei dem Gedanken an das Geschehene kriecht Übelkeit meine Kehle empor. Ich lächle Tai verkrampft an. „Er ist zunächst suspendiert worden. Mich ermahnte man wegen der Heftigkeit meiner Beschuldigungen, aber sie werden ernst genommen und ihnen wird nachgegangen. Von der Drohung, die der Lehrer aussprach, nachdem er mit mir fertig war, erzählte ich dem Direktor ebenfalls. Der versicherte mir, dass ich mich bezüglich eines Rauswurfes nicht sorgen muss, wenn ich tatsächlich die Wahrheit sage.“ „Yamato.“ Erneut streicht Taichi mit dem Daumen über die Wunde an meiner Wange. „Dass du den Missbrauch nicht verschweigst, finde ich gut. Aber was passiert, wenn deine Vorwürfe entkräftet werden oder dieser kinderfickende Mistkerl sich an dir rächen will? Hast du keine Angst davor?“ Mit einem beklemmenden Gefühl lehne ich mich an die Schulter meines Freundes. „Doch. Ich habe Angst. Wenn ich dich allerdings verliere, ist alles andere egal. Meinetwegen kann er mich dann totvögeln oder sonstwas mit mir anstellen, es spielt keine Rolle m...“ „Shh! Sag nicht immer solche Dinge. Ich will das nicht hören.“ „Dann bleib bei mir. Bitte! Gib uns nicht auf!“ „Ich liebe dich, Yamato. Meine Eltern sind aus naheliegenden Gründen momentan jedoch gegen unsere Beziehung.“ „Trinkst du noch? Auf mich machst du einen nüchternen Eindruck und ich rieche auch keinen Alkohol.“ „Ja, zwar wesentlich weniger, aber ohne geht es nicht. Heute trank ich lediglich am Morgen zwei Gläser Whiskey, weshalb ich schon den ganzen Tag gegen die innere Unruhe und das stärker werdende Verlangen ankämpfe.“ „Kennen deine Eltern deinen Zustand?“ „Dahingehend kann ich sie nicht belügen. Es wäre unrealistisch, würde ich nach der kurzen Zeit behaupten trocken zu sein. So schnell kommt man vom Alkohol nicht wieder los. Eigentlich wollten sie mich einweisen, als sie von meinem Rückfall erfuhren. Es gelang mir aber, sie zu überzeugen den neuerlichen Entzug ambulant zu schaffen. Zudem musste ich ihnen versprechen bezüglich meines Konsums ehrlich zu sein.“ „Willst du überhaupt abstinent leben?“, frage ich vorsichtig. Eine kurze Pause entsteht. „Ich weiß es nicht.“ „Das dachte ich mir.“ Liebevoll ziehe ich meinen Freund an mich und streichle durch seine Haare. Wie eine Droge sauge ich seinen Duft begierig in mich ein. Für einen Augenblick vergesse ich die Geschehnisse der letzten Zeit, die Angst, die Einsamkeit sowie die Sinnlosigkeit und bin glücklich. Nur unterschwellig bleibt unumstößlich das Gefühl der Verzweiflung. Abwesend sitze ich an meinem Fenster und schaue hinaus. Mit meinem Blick folge ich einigen Schneeflocken, die sachte zu Boden fallen. Für Februar ist es noch ungewöhnlich kalt, aber trotzdem zu warm für den wenigen Schnee, um liegenzubleiben. Knapp drei Wochen sind bereits vergangen, seit ich Taichi das letze Mal sah. Seine Eltern verbieten den Kontakt inzwischen zwar nicht mehr im Allgemeinen, erlauben uns aber nur zu telefonieren. Vermutlich, weil mein Freund nach wie vor trinkt. Ohne Alkohol, meint er, würde er das alles nicht aushalten. Und auch ich weiß nicht, wie lange ich die Trennung von ihm noch ertrage. Ich sehne mich so sehr nach Tai. Generell ließen die Ereignisse der letzten Zeit meinen Drogenkonsum wieder stark ansteigen. Als ich meinen Freier jedoch um eine Erhöhung der GHB- und Heroinmenge bat, weigerte er sich. Zumindest bis ich ihm meine täglich steigende Überdosierung verschiedener Tabletten beichtete. Unter der Bedingung, in der Schule clean zu bleiben, auf mich aufzupassen und es nicht zu übertreiben, willigte er schließlich mit Unbehagen ein. Glücklicherweise ist mein Freier meinem Vater sehr ähnlich und gibt nach einer kurzen Diskussion meinen Wünschen nach. Ich glaube, genau diese Vorgehensweise meint Taichi, wenn er mich manipulativ nennt. Allerdings habe ich keine Wahl, ich bin gezwungen auf diese Art zu handeln, da ich den Stoff derzeit dringend brauche. Inzwischen setze ich mir aller zwei Tage einen Schuss, die restliche Zeit außerhalb des Unterrichts, wie vereinbart, überbrücke ich mit der Einnahme von GHB, welches ich vor allem benötige, um schlafen zu können. Auch Sex mit Freiern habe ich nur, wenn ich drauf bin. Seit ich von meinem Lehrer unfreiwillig genommen wurde, widern mich die Berührungen fremder Männer noch mehr an. Nachts träume ich oft von dem Übergriff und manchmal zucke ich sogar bei normalen Berührungen zusammen. Ich hoffe, die Auswirkungen nehmen des Weiteren keinen Einfluss auf den Körperkontakt mit Taichi oder meinem Vater, den ich über jenen Vorfall in der Schule nicht informierte. Ehrlich gesagt habe ich Angst davor, mit meinem Freund zu schlafen, und bin fast froh, dass sich bisher keine Gelegenheit bot. Ich verstehe nicht, warum dieser Missbrauch mir so sehr zu schaffen macht. Letztlich war es nur Sex, nichts anderes als sonst, oder? Nervös greife ich nach der Zigarettenschachtel, die neben mir auf dem Boden liegt, und zünde eine der Zigaretten an. Tief atme ich den Rauch ein. Ich ziehe meine Beine dichter an meinen Körper und lege meinen Kopf auf die Knie. Im Flur höre ich das Telefon klingeln. Zunächst zögere ich, dann erhebe ich mich schwerfällig, wobei ich mehrmals intensiv an meiner Zigarette ziehe und diese anschließend aus dem Fenster werfe. Von meinem Tisch nehme ich das Fläschchen mit dem GHB und konsumiere eine geringe Dosis, da ich spüre, wie die Wirkung der vorherigen langsam nachlässt. Als ich mein Zimmer verlasse, ist das Telefon bereits verstummt. Ohnehin ist mir gerade nicht nach Reden zumute. Egal mit wem. Stattdessen lenke ich meine Schritte in die Küche und trinke ein paar Schlucke Orangensaft, welchen ich dem Kühlschrank entnehme, um den salzig-seifigen Geschmack der Droge loszuwerden. Dann ziehe ich im Flur meine Stiefel und meinen Mantel an, nehme Schlüssel sowie Portemonnaie von der Kommode und verlasse die Wohnung. Mit meinen Händen in den Taschen und hochgezogenen Schultern laufe ich in der kalten Dämmerung durch die Straßen. Um diese Uhrzeit sind viele Menschen unterwegs, doch ich nehme sie kaum wahr. An einem Automaten ziehe ich mit dem TASPO meines Vaters eine Schachtel Zigaretten, an einem weiteren, nebenstehenden, eine Dose heiße Matcha Latte. Mich an dem Getränk wärmend setze ich meinen Weg fort, bis ich nach einer Weile der Einbiegung zu einem Friedhof folge. Mit einem merkwürdigen Gefühl laufe ich die Reihen entlang, an einem der Gräber bleibe ich schließlich stehen. „Hey, Akito“, flüstere ich. „Nun besuche ich dich doch. Hier, an diesem Ort.“ Einen Augenblick schweige ich und schlucke schwer. „Du fehlst mir so.“ Kraftlos und unter Tränen setzte ich mich vor die Ruhestätte meines einstigen Freundes. „Verzeih, ich hatte nicht vor zu weinen. Set und Setting für den GHB-Konsum sind denkbar ungünstig, was ich bei der Einnahme jedoch nicht bedachte. Wahrscheinlich würdest du mir jetzt genau dafür eine reinhauen. Ich weiß, wie sehr es dir zuwider ist, wenn ich mich mit Drogen zudröhne. Dabei muss ich dir gestehen, dass aus mir ein rumhurender Junkie geworden ist. Könntest du es, würdest du mich dafür bewusstlos schlagen, nicht wahr?“ Ich lächle verzerrt. „Und du hast recht behalten, ich habe mit meinem Vater geschlafen. Nicht nur einmal. Mit Taichi bin ich auch wieder zusammen, mehr oder weniger zumindest. Irgendwie glaube ich, dass dein Hass auf ihn nicht so groß ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Aber das würdest du natürlich nie zugeben. Doch manche deiner früheren Aussagen erwecken den Anschein, dass du Tai besser verstehst als ich. Irgendwie seid ihr euch ein wenig ähnlich, auch wenn ihr beide es nicht gern hört.“ Schluchzend wische ich einige Tränen von meinen kalten Wangen. Ich zittere, allmählich bin ich bis auf die Knochen durchgefroren. „Weißt du, Akito, ich schaffe das alles nicht mehr. Ohne Taichi, ohne meinen Vater… und auch ohne dich ersticke ich an mir selbst. Das Schneiden hilft nicht mehr, Drogen betäuben nur und Sex ruft derzeit lediglich unerwünschte Gefühle und Gedanken hervor.“ Verzweifelt drücke ich meine eisigen Hände gegen meine fast abgefrorenen Ohren. „Ich bitte dich, Akito, hilf mir!“ Völlig aufgelöst krümme ich mich zusammen und weine stumm auf das Grab meines einstigen Freundes. Ich schließe meine Zimmertür hinter mir und setze mich neben meinen Freier, der auf meinem Bett Platz genommen hat. Schweigend lässt er seinen Blick durch den Raum schweifen. Auch ich schaue mich um. Erst jetzt bemerke ich die Unordnung, die ich in den letzten Wochen fabrizierte. Mein Schreibtisch ist mit Schulbüchern, Heften und Schreibutensilien bedeckt, auf meinem Tisch liegen unzählige Noten- und Notizblätter, mittendrin steht eine Kaffeetasse, ein Teller mit ein paar restlichen Brotkrümeln verschwindet fast vollständig unter dem Papier. Die Augen meines Freiers bleiben jedoch gleichsam erschreckt wie nachdenklich auf meinem Nachttisch haften. Darauf befinden sich verschiedene Psychopharmaka, Packungen mit Schmerz- und Schlafmitteln sowie mein Spritzbesteck und ein durchsichtiges Plastikbeutelchen, welches noch ein wenig Heroin beinhaltet. Auf dem Boden vor dem Nachttisch liegen etliche leere Blister und Medikamentenverpackungen. „Yamato, beim Anblick deines Zimmers bekomme ich noch mehr Angst um dich und ich frage mich, ob ich es wirklich noch verantworten kann, dir Drogen auszuhändigen.“ „Sie müssen sich keine Sorgen machen. Ich habe meinen Konsum unter Kontrolle. Die Abmachung, in der Schule clean zu bleiben, halte ich auch ein. Es ist alles in Ordnung.“ „Das sehe ich anders, Yamato. Mit den Drogen machst du gerade genau das, wovor ich dich immer warne. Du benutzt sie, um vor deinen Problemen davonzulaufen. Hast du inzwischen eigentlich wieder Kontakt zu deiner Mutter?“ Ernüchtert schaue ich zu Boden. „Nein. Seit ich damals aus ihrer Wohnung geflüchtet bin, habe ich sie nicht mehr gesehen. Es gibt auch keinen Grund, meine Mutter zu kontaktieren, da sie ebenso meine Medikamente nicht mehr verwaltet. Eigentlich wollte mein Vater, dass ich die Psychopharmaka zu meinem eigenen Schutz von ihr zugeteilt bekomme. Aufgrund des Streits nahm mein Freund die Tabletten damals allerdings an sich, brachte sie zu mir. Und letztlich hat mich meine Mutter ohnehin rausgeworfen. Ich telefoniere regelmäßig mit meinem Vater und weiß, dass er mit meiner Mutter über mich spricht. Somit ist sie nach wie vor über mich informiert. Vermutlich sieht mein Vater, bedingt durch die Umstände, dass ich auch allein zurechtkomme, und hat meine Mutter gebeten, sich erst einmal zurückzuhalten. Vielleicht möchte er mir vertrauen und die Chance geben, ihm meine Eigenverantwortung zu beweisen.“ Liebevoll zieht mein Freier mich zu sich heran. „Du kommst aber nicht allein zurecht, mein Süßer. Antworte bitte ganz ehrlich, bist du einsam?“ Mit einem Gefühl der Verlorenheit presse ich mich dichter an den Körper meines Freiers. „So sehr, dass ich nicht weiß, wie ich es aushalten soll.“ „Helfen dir die Drogen es auszuhalten?“ „Ja“, antworte ich ohne zu überlegen. „Es stimmt, dass ich damit keine Probleme lösen kann, aber die Wirkung der Substanzen ermöglicht es mir, die Umstände und vor allem mich selbst wenigstens einigermaßen zu ertragen.“ „Möglicherweise wäre es gut, wenn du hin und wieder entziehen würdest“, überlegt mein Freier. „Allein schaffe ich das nicht. Die Entzugserscheinungen sind bereits zu heftig. Und meinem Freund will ich diese Last nicht noch einmal aufbürden. Er hat genug Probleme mit seiner eigenen Sucht. Zudem kann sich der Entzug im schlimmsten Fall über Wochen hinziehen. Ich muss jedoch zur Schule. Somit kann ich frühestens Mitte nächsten Monats, nach meinem Schulabschluss und vor dem Unibeginn, einen Versuch starten.“ „Also gut. Ist es für dich in Ordnung, wenn ich dir dabei helfe?“ Fragend blicke ich meinen Gesprächspartner an. „Wie meinen Sie das?“ „Ich werde in der Zeit auf dich aufpassen. Du meintest selbst, du schaffst es nicht allein. Es wäre auch unverantwortlich.“ „Ich verstehe nicht ganz. Es sind zwar Ferien, sodass es bezüglich Ihrer Arbeit keine Probleme gäbe, aber wie wollen Sie Ihrer Familie erklären, dass Sie zwei Wochen lang nicht da sein werden?“ „Mir wird schon eine glaubhafte Begründung einfallen. Aber dir ist der Umstand unangenehm, mich so lange in deiner Wohnung zu haben, oder?“ Mit meinen Fingern berühre ich zärtlich die Wange meines Freiers. „Nein.“ Ich lächle, woraufhin er meine Lippen küsst und mich dabei bestimmt nach hinten auf die Matratze drückt. Unter ihm komme ich zum Liegen. Meine Haut scheint zu verbrennen, als er seine Hände unter meinen Pullover gleiten lässt und mich sinnlich, voller Verlangen und Begierde berührt. Bereits sichtlich erregt öffnet er meine Hose, dann seine eigene. Meine Augen sind starr zur Decke gerichtet, fixieren einen unbestimmten Punkt. „Ist alles in Ordnung? Soll ich aufhören? Du bist total verkrampft.“ „Es tut mir leid. Bitte machen Sie weiter.“ „Sieh mich an, Yamato. Was ist los? So kenne ich dich überhaupt nicht.“ „Würden Sie mir etwas versprechen?“ Irritiert blickt mein Freier mich an. „Worum geht es?“ Ich drehe meinen Kopf beschämt zur Seite. „Schlafen Sie niemals mit Ihrem Sohn oder einem Ihrer Schüler, wenn die es nicht möchten.“ „Auch ich will nicht, dass so etwas passiert und habe Angst, doch einmal die Kontrolle zu verlieren. Wie kommst du jetzt darauf?“ Einen Moment schweige ich und überlege, was ich antworten soll. „Es ist herausgekommen, dass ein Lehrer meiner Schule jahrelang Schülerinnen, vereinzelt auch Schüler, vergewaltigt hat. Besagter Lehrer wurde suspendiert und Ermittlungen eingeleitet. Gegen ihn läuft nun ein Verfahren wegen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in mindestens einundzwanzig Fällen.“ „Verstehe. Hat er dich angefasst?“ Mein Freier mustert mich ernst, aber ich wage es nach wie vor nicht, ihn anzusehen. „Er hat dich vergewaltigt, oder?“ „In erster Linie ging es ihm, glaube ich, eher darum, mich zu erniedrigen.“ Die Erinnerung an den Übergriff ruft Übelkeit in mir hervor. „Ich möchte dich nicht weiter mit Fragen nach dem, was genau er dir angetan hat, bedrängen. Es fällt dir sicher auch nicht leicht, darüber zu reden, also…“ „So schlimm ist es nicht, schließlich war es nur Sex. Mein Lehrer meinte, mich vögeln zu lassen ist das Einzige, das ich kann. Und er hat recht. Somit darf ich nicht rumheulen, wenn andere davon Gebrauch machen. Ich…“ „Shh. Das ist Unsinn und das weißt du. Merkst du nicht, dass dich die Vergewaltigung mehr belastet, als du es wahrhaben möchtest? Hör auf, den Vorfall herunterzuspielen.“ Von Scham erfüllt schlage ich meine Hände vor das Gesicht und beginne heftig zu weinen. Behutsam werde ich von meinem Freier in den Arm genommen. „Weine, Yamato. Du musst keine Angst mehr haben. Es tut mir leid, dass ich die letzten Male so rücksichtslos und egoistisch war, mit dir zu schlafen, obwohl…“ „Nein“, unterbreche ich ihn schluchzend. „Sie wussten es nicht. Außerdem will ich mit Ihnen schlafen. Auch jetzt. Bitte weisen Sie mich nicht aus falscher Rücksichtnahme von sich.“ Seufzend küsst mich mein Freier. „Warum bist du so schonungslos brutal zu dir selbst und lässt durch solche Handlungen eine fortdauernde seelische Vergewaltigung zu? Willst du an dir zerbrechen?“ Ich antworte nicht, ziehe ihn zu mir und führe seine Hand zwischen meine Beine. „Fühlen Sie das? Allein Ihre Berührung erregt mich. Ich will Sie. Ich will Sie so sehr.“ Bereitwillig gebe ich mich ihm hin, als er mich meiner Kleidung entledigt. Anschließend zieht auch er sich aus und kommt über mich. „Möchtest du in deiner Verfassung, mit deinen jetzigen Empfindungen wirklich Sex haben?“, vergewissert sich mein Freier noch einmal. „Seit diese Sache passiert ist, haben wir schon mehrfach miteinander geschlafen. Es ändert sich nichts, nur weil Sie davon wissen. Im Gegenteil, wenn Sie sich deshalb mir gegenüber anders verhalten, bekommt der Missbrauch noch mehr Gewicht und ich werde zudem immer wieder daran erinnert.“ Sanft streichelt mein Freier über meine Beine, winkelt sie behutsam an und gleitet mit seinen Händen über meine Oberschenkelinnenseiten, drückt sie weit auseinander. Mit zwei Fingern dringt er in mich ein. Ich schließe meine Augen und versuche mich auf die Berührungen einzulassen. Kurz darauf spüre ich einen dritten und vierten Finger in mir. „Wurdest du schon einmal gefistet, Yamato?“, fragt mein Freier, während er sich weiter in mir bewegt. „Nein“, keuche ich. „Ich wollte es mit meinem damaligen Freund praktizieren. Bis zur Hälfte war seine Hand bereits in mir, tiefer ging sie zu der Zeit nicht.“ Voller Sehnsucht denke ich an Akito. „Möchtest du es noch immer probieren?“ „Ja. Versuchen Sie es.“ Ermutigend lächle ich meinen Freier an. Vorsichtig schiebt er seine Hand weiter in mich. Ich beiße mir stark auf die Lippen, um Schmerzensschreie zu unterdrücken. Meine Atmung ist stockend und Tränen füllen meine Augen. Akito ist von der Statur eher zierlich, auch seine Hände sind für einen Mann sehr schmal, die meines Freiers hingegen sind recht groß, was ich nun deutlich spüre. „Es tut ziemlich weh, oder? Soll ich erst einmal aufhören?“ „Nein, machen Sie bitte weiter“, presse ich mühsam hervor. Ein qualvoller Schrei entweicht meiner Kehle und ich bäume mich verkrampft auf, als mein Freier tiefer in mich eindringt. „Ich müsste äußerst brutal und gewaltsam vorgehen, wenn ich ganz in dir sein will.“ „In Ordnung“, stimme ich entschlossen zu und stelle mich auf starke Schmerzen ein. Mein Freier jedoch zieht sich aus mir zurück. „Wir sollten nichts überstürzen. Noch ist es einfach zu früh, du würdest Verletzungen davontragen. Dir wird das zwar egal sein, aber mir ist es nicht egal.“ Ich ziehe meinen Freier zu mir herunter, um ihn in einen innigen Kuss zu verwickeln. Nach einer Weile lösen wir uns schwer atmend voneinander. „Mein Süßer, wartest du einen Augenblick? Ich gehe nur kurz ins Bad, okay?“ „Keine Angst, ich laufe nicht weg“, entgegne ich liebevoll und schaue ihm nach. Leicht fröstelnd drehe ich mich auf die Seite. Ein unangenehmes Gefühl breitet sich in mir aus. Rasch stehe ich auf, hole aus meiner Schultasche das Fläschchen GHB und nehme eine geringe Dosis ein. Dann lege ich mich wieder auf das Bett. Beim Betreten des Raumes schließt mein Freier die Tür hinter sich. „Wie geht es dir?“, fragt er voller Zärtlichkeit und Besorgnis. „Es geht mir gut. Ich möchte nur Ihre Nähe spüren.“ Wie ein Kind strecke ich meine Arme nach ihm aus. Mein Freier setzt sich neben mich und zieht mich dicht an sich. Für den Moment sagt keiner von uns beiden ein Wort. „Spielst du eigentlich noch?“, durchbricht mein Freier die Stille und deutet auf meine Gitarre. „Ja, aber nur hier zu Hause. Früher war ich Sänger und Bassist in der Schulband, durch zu viele Fehlzeiten und Unentschlossenheit meinerseits verlief sich das allerdings irgendwann im Nichts.“ „Würdest du mir etwas vorspielen?“ „Was? Ich… ähm…“ Verlegen schaue ich zu Boden. „Ist dir das unangenehm? Wenn du nicht…“ „Doch. Es ist in Ordnung. Ihre Frage kam nur so unvorbereitet.“ Etwas nervös stehe ich auf, um meine Gitarre zu holen. „Das Lied habe ich eigentlich für meinen Freund geschrieben, aber bisher traute ich mich nicht, es ihm vorzuspielen.“ Sachte schlage ich die Saiten an. Ich fühle deinen Atem Er könnte das Eis unter meiner Haut zerschmelzen Dein Lächeln ist verschwunden Und die Bilder in meinem Kopf machen mich verrückt Der einzige Wunsch Der noch immer besteht, ist jener, bei dir zu sein An deiner Seite Wo Tränen trocknen und Gedanken wieder klar sind Ich werde da sein Falls du fallen solltest Wirst du in meine Arme fallen Ich werde da sein Um deinen Fall aufzuhalten Nimm einfach meine Hand noch einmal In deinen Augen Kann ich die Reflektionen meines Lebens sehen Nicht nötig sich zu verstecken Meine Erinnerungen stehen still Bestehen noch immer für dich Wenn da Angst war Konnten wir sie gleich zu Beginn ersticken Aber ich bin noch immer hier Und du bist so schrecklich weit weg von mir Unsicher, beinahe schüchtern stelle ich das Instrument beiseite. Allmählich spüre ich die Wirkung der Droge, ich fühle mich leichter, ein wenig schwindelig. „Du hast eine schöne Stimme, Yamato. Anhand des Liedes merkt man, wie sehr du deinen Freund liebst. Der Text ist wirklich emotional und wird von der Melodie noch unterstrichen. Wovor hast du Angst? Warum spielst du es deinem Freund nicht vor?“ „Er ist der Einzige, in dessen Gegenwart es mir peinlich ist, zu singen oder auch nur Gitarre zu spielen.“ „Du bist unglaublich süß, mein kleiner Yamato.“ Bestimmt drückt mein Freier mich wieder auf das Bett und liebkost sanft meinen Körper, wodurch ich laut zu lachen beginne. „Ihr Atem kitzelt auf meiner Haut.“ Erstaunt werde ich von meinem Freier gemustert. „Es ist, glaube ich, das erste Mal, dass ich solch ein unbeschwertes Lachen von dir höre. Du bist auf GHB, nicht wahr?“ Ich erstarre bei seinen Worten. „Woher…?“ „Wenn man das Zeug selbst konsumiert, fallen einem die kleinsten Verhaltensänderungen auf.“ „Bitte entschuldigen Sie“, sage ich kleinlaut. „Ich mache mir nur Sorgen, Yamato.“ Verführerisch streicht mein Freier über meinen Hals, dann mein Schlüsselbein entlang. Mein Gesichtsausdruck wird ernst, dennoch schaffe ich es kaum, meine Begierde, ebenso meine Erregung zu verbergen. Hitze steigt in mir auf. „Bitte dringen Sie tief in mich ein. Ich möchte Sie fest und kraftvoll in mir spüren.“ „Yamato…“, versucht mein Freier seinen Einwand vorzubringen, allerdings lasse ich ihn nicht ausreden. „Ihre Bedenken sind unbegründet. Es geht mir gerade nicht um Selbstverletzung. Ich verspüre tatsächlich Lust. Mein Körper reagiert unglaublich empfindsam auf Ihre Berührungen.“ „Das liegt am GHB, mein Süßer.“ Er lächelt leicht. „Vielleicht, aber nicht ausschließlich. Inzwischen mache ich nicht mehr nur die Beine für Sie breit und lasse es über mich ergehen. Ich liebe die Art, wie Sie mich anfassen, wie Sie beim Sex mit mir umgehen. Selbst ohne Gegenleistung will ich mit Ihnen schlafen. Mittlerweile bin ich nicht ausschließlich der Drogen wegen von Ihnen abhängig, sondern auch körperlich und emotional. Bei Ihnen fühle ich mich sicher.“ Ich hebe meine Hand und streichle voller Zuneigung durch die Haare meines Freiers. „Zudem sind Sie der Einzige, der mich noch nie allein gelassen hat“, füge ich bitter an. „Sie sind ohne zu zögern immer für mich da, helfen mir, obwohl Sie es nicht müssten.“ Sanft ziehe ich ihn zu mir hinab und küsse verlangend seine Lippen. „Für all das bin ich Ihnen unendlich dankbar“, flüstere ich in sein Ohr. „Es tut mir leid, dass ich Ihnen so viele Sorgen bereite.“ „Mach dir deswegen keine Gedanken. Ich liebe dich, da ist es normal, dass mir deine Gesundheit wichtig ist. Mit Sicherheit empfinden dein Freund und dein Vater genauso. Aber du fühlst dich von ihnen alleingelassen, hab ich recht?“ „Eigentlich reicht es mir schon, wenn sie bei mir sind. Einfach nur bei mir sind. Mehr nicht. Ich weiß, wie egoistisch dieser Wunsch ist, aber ich habe Angst, die beiden entfernen sich noch weiter von mir. Inzwischen hat mein Freund sogar zugegeben, mit meinem Vater eine innigere Beziehung zu haben. Ich sagte dazu nicht viel, versuchte ruhig zu bleiben. Dabei finde ich die Vorstellung unerträglich und die Eifersucht zerfrisst mich. Ich bin ein ziemliches Arschloch…“ „Nein, du liebst eben sehr intensiv und fordernd. Das ist nicht schlimm und erst recht nicht falsch.“ Wir versinken erneut in einem langen Kuss. Ohne sich von mir zu lösen, dringt er hart in mich ein. Ich stöhne lustvoll auf, kratze mit meinen Nägeln über den Rücken meines Freiers, während er sich immer wieder tief in mich stößt. Unsere Atmung ist schwerfällig und stockend, unsere Körper von Schweiß bedeckt. Seine anhaltende Penetration lässt mich diesen bittersüßen Schmerz empfinden, der mich bis zur Ekstase treibt. Ich schließe meine Augen und gebe mich meinem Freier bedingungslos hin. Nachdem er in mir gekommen ist, zieht er sich aus mir zurück und legt sich erschöpft neben mich. „Ich muss leider gleich los. Kann ich dich allein lassen?“ „Ja“, antworte ich, stehe auf und zünde mir am geöffneten Fenster eine Zigarette an. „Du erkältest dich, dein Körper ist noch erhitzt und schweißnass.“ Mein Freier kommt auf mich zu und legt fürsorglich die Bettdecke über meine Schultern. „Sei nicht so leichtsinnig, Yamato. Ich wünschte, du würdest dir selbst mehr bedeuten und mehr auf dich achten.“ Unbeschreiblich zärtlich nimmt er mich in den Arm. Ich schmiege mich dicht an ihn, darauf achtend, ihn nicht mit der Zigarette zu verbrennen. „Ich habe gesehen, dass du dein Heroin noch nicht ganz verbraucht hast. Wie oft fixt du momentan?“ „Alle zwei Tage.“ Nachdenklich schaut er mich an. „Bitte versprich mir, deinen Konsum nicht weiter zu steigern. Mehr Stoff als jetzt werde ich dir für die Woche definitiv nicht geben.“ „Ich verspreche es.“ Vorsichtig löse ich mich von ihm, ziehe einige Male kräftig an meiner Zigarette und werfe den verbleibenden Filter aus dem Fenster. Mein Freier kleidet sich wieder an und auch ich schlüpfe in meine Unterwäsche und streife ein Hemd über. „Hier.“ Unerwartet drückt mir mein Gegenüber ein durchsichtiges Plastiktütchen mit einem kristallinen Pulver und ein kleines Fläschchen in die Hand. Ich werfe ihm einen verunsicherten, aber dankbaren Blick zu und verstaue die Drogen im Schubfach meines Nachtschranks. Anschließend verlassen wir mein Zimmer. Als ich im Flur neben meinen Schuhen die von Taichi stehen sehe, habe ich das Gefühl, mein Herzschlag setzt für einen Augenblick aus. „Was ist los? Du wirkst verstört.“ „Mein Freund ist hier“, entgegne ich flüsternd und nahezu abwesend. „Dann solltest du zu ihm gehen. Aber, Yamato, wenn etwas sein sollte, komm zu mir. Egal um welche Uhrzeit.“ Er packt mich an den Schultern und schüttelt mich leicht. „Hast du verstanden?“ „Danke“, hauche ich kaum hörbar. Sanft küsst mein Freier meine Lippen, dann wendet er sich zum Gehen. Die Tür fällt leise ins Schloss. Ich atme tief durch, langsam laufe ich in Richtung des Wohnzimmers. Mein Freund sitzt auf dem Sofa, ein zur Hälfte geleertes Glas Whiskey in der Hand, die Flasche ist noch zu zwei Dritteln gefüllt und steht auf dem Tisch. „Bist du fertig damit, dich vögeln zu lassen?“, fragt Tai ohne mich anzusehen. „Er scheint es dir ordentlich besorgt zu haben, du warst ziemlich laut. Ist der Sex mit ihm so gut?“ „Ja“, bestätige ich nüchtern, fast emotionslos. „Verstehe“, antwortet mein Freund ruhig. „Yamato, ich bin hier, weil wir reden müssen.“ Mit einem unguten Gefühl setze ich mich neben Taichi. „In den letzten Wochen, in denen wir uns nicht sahen, habe ich mehrmals mit einer Kommilitonin von mir geschlafen.“ „Du hast…“ Ohne es zu wollen laufen Tränen über meine Wangen. Erschüttert betrachtet Tai mein Gesicht. Offenbar rechnete er ebenso wenig mit einer solchen Reaktion wie ich. „Warum…“ Meine Stimme versagt. „Es ergab sich einfach. Ich hatte Druck und mir einen runterzuholen befriedigt mich nicht. Außerdem wollte ich den Körper einer Frau spüren.“ Mein Freund schaut mich aus glasigen, aber kalten Augen an. „Hör zu, Yamato, ich unterbreite dir folgenden Vorschlag. Wenn du keine Drogen mehr nimmst, trinke ich keinen Alkohol mehr. Vögelst du nicht mehr fremd, werde ich es auch nicht tun. Klingt fair, oder?“ „Das ist Erpressung“, wende ich verärgert ein. „Ja, das ist es. Vielleicht komme ich auf diese Weise bei dir weiter. Anders scheinst du die Schwere der Problematik nicht zu begreifen. Yamato, so wie jetzt können wir nicht weitermachen, sonst gehen wir aneinander kaputt.“ „Und wenn ich mich nicht darauf einlasse beziehungsweise an deine Bedingungen halte?“, frage ich trotzig. Nachdenklich und in einem Zug leert Taichi sein Glas. „Du musst selbst wissen, wie viel ich dir wert bin.“ „Das eine hat mit dem anderen doch überhaupt nichts zu tun!“, bringe ich ihm ungehalten entgegen. „Für mich schon.“ „Verstehe. Nun ziehst du doch Konsequenzen, genau so, wie meine Mutter es dir damals riet.“ Ich schaffe es nicht, die Enttäuschung und Verbitterung in meinem Tonfall zu verbergen. „Warum verhältst du dich, als würde ich dich angreifen? Dabei will ich dir und uns helfen.“ Unverständnis zeichnet Tais Gesicht. Beiläufig füllt er sein Glas und trinkt einen Schluck der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. „Helfen?“ Ich lache laut auf. „Wo warst du denn in den letzten Wochen, als ich mich fremden Männern hingab, in den Drogenrausch flüchtete und mir die Arme aufschnitt, nur um die Einsamkeit und Sehnsucht nach dir irgendwie zu verdrängen? Ausschließlich telefonieren reicht mir nicht, Taichi. Ich möchte dich bei mir haben. Aber das beruht anscheinend nicht auf Gegenseitigkeit. Deine Eltern geben dir durchaus Freiheiten und lassen dich allein aus dem Haus gehen, sonst hättest du nicht rumhuren können!“ Erneut laufen Tränen über meine Wangen. „Es tut mir leid“, flüstere ich voller Verzweiflung. Mit einer schnellen Bewegung drücke ich meinen Freund derb auf das Sofa. Dabei fällt das Glas aus seiner Hand und dessen Inhalt verteilt sich auf dem Boden. Meine Finger lege ich fest um seinen Hals. „Ich hätte dir damals die Kehle durchschneiden sollen. Erwürgen ist wesentlich langwieriger und qualvoller.“ Schmerzhaft gräbt Tai seine Fingernägel in die Haut meiner Handgelenke, während ich immer stärker zudrücke. Er wehrt sich heftig und beginnt nach mir zu treten. Als ich sein Knie hart in meinem Bauch spüre, lasse ich keuchend von ihm ab. Trotz Husten bleibt mein Freund wachsam, behält mich im Blick und wahrt einen Sicherheitsabstand. Auch ich brauche einen Moment, um mich wieder zu fangen. „Du wirst sterben, Taichi“, kündige ich tonlos und entschlossen an. „Jetzt. Durch meine Hand. Es gibt kein Zurück mehr. Unser Kampf ist vergeblich, also können wir es ebenso gut beenden.“ Mit der Faust schlägt Tai mir brutal ins Gesicht. Blut läuft aus einer Verletzung an meiner Lippe, welches ich mit meinem Ärmel wegwische. „Warum ist der Tod für dich immer der einzige Ausweg? Verdammt, Yamato! Ich will leben und zwar mit dir! Wie kannst du behaupten, dass der Kampf vergeblich ist, wenn du nicht einmal richtig kämpfst?“ „Und wie kannst du behaupten, dass ich nicht richtig kämpfe?“, erwidere ich ungehalten. „Du bist nicht bereit für unsere Beziehung auf Drogen und Prostitution zu verzichten. Liebst du mich, Yamato?“ „Ja“, antworte ich sofort, ohne nachzudenken. „Dann hör, verdammt nochmal, auf dich selbst zu zerstören! Ich ertrage deinen Selbsthass nicht mehr. Ich will nicht mehr sehen müssen, wie du unter dir selbst leidest, dich quälst und erniedrigst.“ Kurz schweigt Taichi, mit Tränen in den Augen spricht er leise weiter. „Ehrlich gesagt sahen wir uns in den letzten Wochen nicht, weil ich es nicht wollte. Ich brauchte Abstand, um in Ruhe eine Entscheidung zu treffen. Obwohl ich dich mehr als alles andere liebe, dachte ich ernsthaft über eine Trennung nach. Aber ich kann es nicht! Ich kann es einfach nicht!“ Weinend bricht er vor mir zusammen. Unendlich hilflos blicke ich ihn an. Er hat recht. Wir zerstören uns gegenseitig, trotzdem kommen wir nicht voneinander los. Selbst der Tod scheint keine Option mehr zu sein. Kapitel 29: ------------ Schweigend liege ich in Taichis Armen in meinem Bett. Ich habe die Augen geschlossen und genieße die Geborgenheit, die er mir mit seiner Anwesenheit gibt. Seine Atmung ist ebenso ruhig wie meine, aber ich bin sicher, dass er nicht schläft. Eng an meinen Freund gekuschelt spüre ich die Wärme seines Körpers, mit der er mich sanft umhüllt. Seit ich das letzte Mal versuchte ihn zu töten, hat sich unser Verhältnis etwas entspannt. Wir verbringen wieder mehr Zeit miteinander, vermeiden es allerdings, schwierige beziehungsweise unangenehme Themen anzusprechen. „In knapp zwei Wochen ist die Schulabschlussfeier“, durchdringe ich nachdenklich die Stille. „Und dann… ich habe Angst, Tai.“ „Wovor? Der Veränderung? Dem Studium?“ „Nein. Davor, dich zu verlieren. Davor, dass du dich von mir entwöhnst, wenn ich nicht da bin. Davor, dass du feststellst, doch lieber mit einer Frau zusammen sein zu wollen. Davor…“ „Hey“, unterbricht mich mein Freund liebevoll, aber auch hörbar verunsichert und besorgt. „Beruhige dich. Warum bist du so aufgelöst? Es gibt doch überhaupt keinen Grund.“ Er nimmt mich fester in den Arm. „Ich habe den Bescheid bekommen, Ende April mit meiner stationären Therapie beginnen zu können, was bedeutet, dass ich für drei Monate in der Klinik und somit nicht bei dir sein werde.“ Mit mäßigem Erfolg versuche ich meine Emotionen unter Kontrolle zu halten, denn ich schaffe es nicht ganz, das Zittern aus meiner Stimme zu verbannen. „Du wirst dich behandeln lassen?“, fragt Tai erstaunt. „Woher kommt der Sinneswandel?“ „Es ist kein Sinneswandel. Ich versprach es meinem Vater, als er mich zwangseinweisen wollte, nachdem ich ihn… zum Sex zwang, ihn gegen seinen Willen nahm. Zudem möchte ich deine Vorwürfe, ich würde nicht kämpfen, entkräften.“ „Yamato.“ Sanft streichelt Taichi meinen Arm. „Ehrlich gesagt überrascht mich deine Vernunft und die Tatsache, dass du dich an dein Versprechen von damals erinnerst und es auch wirklich einlösen möchtest.“ „Ich habe meinem Vater mehr angetan, als ein normaler Mensch ertragen kann. Es wird Zeit, ihm meine Dankbarkeit dafür zu erweisen, dass er mich nie aufgab und mein Verlangen nach körperlicher Nähe befriedigte, obwohl er unter jenem unmoralischen Verhalten litt und leidet. Allmählich zerbricht er an seinem inneren Konflikt, den ich zu verschulden habe. Auch dich zog ich mit in den Abgrund. Nun sehe ich ein, dass du recht hast. Es muss sich etwas ändern, aber allein schaffe ich es nicht. Dich und meinen Vater werde ich dieses Mal jedoch heraushalten und professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.“ „Meinst du wirklich, mit einem Klinikaufenthalt kannst du deine Probleme lösen, wenn du eigentlich der Auffassung bist, dass eine derartige Maßnahme Zeitverschwendung ist, weil sie ohnehin nichts bringt?“, wendet mein Freund berechtigterweise ein. „Ich werde mich so gut es geht darauf einlassen und viel an mir arbeiten müssen. Einfach wird es nicht, dessen bin ich mir bewusst, nur, dich zu verlieren, würde ich erst recht nicht verkraften.“ Um Tai ansehen zu können, stütze ich mich etwas auf. „Noch weiß ich nicht, wie über Besuche oder Ausgang entschieden wird, aber oft werden wir uns wahrscheinlich nicht sehen. Ich würde dir am liebsten das Versprechen abringen, mich niemals zu verlassen, doch es wäre vermessen. Letztlich…“ „Ich verspreche es dir. Yamato, ich liebe dich.“ Mein Freund hebt seine Hand und streichelt voller Zuneigung über meine Wange. „Und du brauchst auch keine Angst zu haben, dass ich dich gegen eine Frau ersetze. Zwar fühle ich mich eher zu ihnen hingezogen als zu Männern, aber das spielt alles keine Rolle. Ich will dich und niemanden sonst.“ Ein freches Grinsen legt sich auf seine Lippen. „Immerhin ist der Sex mit dir bei Weitem am besten.“ Ich verziehe gespielt beleidigt das Gesicht. „Reduzierst du mich gerade auf meinen Körper?“ „Nein, auf das, was du am besten kannst.“ Taichis Aussage weckt sofort die Erinnerung an die Worte des Sportlehrers. Das Gefühl seiner Berührungen kehrt zurück, Bilder tauchen vor meinem inneren Auge auf. Sofort löse ich mich von meinem Freund, ich ertrage den Körperkontakt nicht. Übelkeit steigt in mir auf und ich habe Mühe, sie niederzukämpfen. „Yamato?“ Unbewegt starre ich ins Leere und versuche krampfhaft den Übergriff zu vergessen. Warum reagiere ich wegen nichts derart heftig? „Bis zum Beginn der Therapie werde ich noch zur Uni gehen, damit ich wenigstens den Anfang nicht verpasse“, versuche ich mich und vom Thema abzulenken. Trotzdem meide ich Tais Blick, wende mich von ihm ab, indem ich mich auf die Bettkante setze und somit Abstand zwischen uns bringe. „Du wirst dich erkälten, Yamato. Es ist nicht sehr warm in der Wohnung und du hast nichts an. Komm wieder her.“ Er hebt die Bettdecke etwas an und bedeutet mir, mich neben ihn zu legen. „Schon okay. Ich friere nicht“, entgegne ich monoton. „Du Lügner. Auch wenn du es zu verbergen versuchst, spüre ich das leichte Beben deines Körpers. Yamato, es ist offensichtlich, dass du dich von mir distanzierst. Warum so plötzlich? Wegen meiner Aussage? Es tut mir leid. Was ich vorhin sagte, war dumm. Meine Worte waren nicht ernst gemeint, dennoch haben sie dich verletzt.“ Taichi setzt sich auf und umarmt mich von hinten, wobei er uns mit der Decke umhüllt. Ich zucke bei seiner Berührung zusammen, unterdrücke aber den Drang, ihn von mir zu stoßen. „Nein, es ist meine Schuld.“ „Was ist deine Schuld?“, fragt mein Freund irritiert. „Mit deinen Worten hast du mich nicht verletzt. Im Gegenteil, sie entsprechen der Wahrheit. Das Problem ist meine Assoziation. Ich will das ni…“ „Tust du mir einen Gefallen? Besprich dieses Thema bitte mit einem Psychologen.“ „Was meinst du?“, stelle ich mich unwissend. „Die Vergewaltigung.“ „Nein, das ist nicht nötig.“ „Doch, Yamato. Auch wenn du es dir nicht eingestehst, geschweige denn zugibst, aber du kannst den Missbrauch nicht verarbeiten. Er hat Spuren hinterlassen und zerstört dich langsam innerlich.“ „Nein, es ist gut so. Ich habe dir viel Schlimmeres angetan. Über Jahre.“ Vorsichtig löse ich mich von meinem Freund und gehe zum Fenster. Stark zitternd zünde ich mir eine Zigarette an. „Tai, dass du noch trinkst, weiß ich, denn du riechst oft nach Alkohol.“ Ich stehe von ihm abgewandt, schaue hinaus. „Erinnerst du dich an deinen Vorschlag vor einigen Wochen? Wenn ich mit den Drogen aufhöre, wirst du nicht mehr trinken. Ich denke, wir haben beide dasselbe Problem. Wir wollen und können nicht auf den Rausch verzichten. Realistisch gesehen schafft keiner von uns den Entzug allein, uns gegenseitig zu beaufsichtigen wird nicht funktionieren, solange wir beide süchtig sind.“ Tief atme ich den Rauch ein. „Falls ich es schaffen sollte, clean zu werden, lässt du dir von mir helfen?“ „Bist du tatsächlich der Meinung, dass es auf diese Weise funktionieren kann?“ Mein Freund klingt skeptisch. „Ich weiß es nicht“, antworte ich wenig hoffnungsvoll. Schließlich kann ich Tai nicht erzählen, dass ich den Entzug nicht unter professioneller Aufsicht in der Klinik machen werde. Ich muss es vorher mit Hilfe meines Freiers durchziehen. Die Ärzte und Therapeuten sollen nichts von meiner Drogenabhängigkeit wissen. In der Zeit meines Aufenthalts darf ich ihnen nicht den geringsten Grund für ein Screening liefern, denn ich möchte sowohl meinem Vater als auch Taichi das Wissen bezüglich meines Heroinkonsums ersparen. Sie würden es nicht verstehen, sich unnötig Sorgen machen und die Gefährlichkeit überbewerten, obwohl Heroin mit hohem Reinheitsgrad und bei vernünftigem, bedachtem Gebrauch weniger schädlich ist als manch andere Droge. „Ist dir egal, ob und wie viel ich trinke?“, reißt mich Taichi mit seiner Frage aus meinen Gedanken. „Natürlich nicht! Wie kommst du darauf?“ Ich drehe mich etwas, um meinen Freund ansehen zu können. „Meist schweigst du, wenn ich alkoholisiert bin.“ „Ich habe nicht das Recht, dir Vorschriften zu machen. Zumal ich selbst Drogen nehme. Dennoch werde ich fast wahnsinnig vor Sorge um dich. Es wird von der Gesellschaft unterschätzt oder ignoriert, aber Alkohol gehört zu den gefährlichsten Rauschmitteln überhaupt. Verstehst du? Ich will dich nicht verlieren, Taichi. Trotz allem bleibt mir nur das Zuschauen, denn zwingen kann ich dich nicht.“ „Du machst es dir ziemlich einfach.“ „Möchtest du etwa, dass ich dich bevormunde, erpresse oder gewalttätig werde?“ Mein Freund schweigt. Ich drehe mich wieder zum Fenster. Eine Weile herrscht Stille, nur das Klicken des Feuerzeuges ist zu hören, als ich mir eine weitere Zigarette anzünde. „In letzter Zeit denke ich wieder oft über Selbstmord nach“, gebe ich nüchtern zu und lasse den Rauch aus meinem Mund entweichen. „Keine Angst, ich habe bisher keine konkreten Pläne, mir das Leben zu nehmen. Ich bin einfach müde und fühle mich von mir selbst überfordert. Vielleicht ist die Klinik doch nicht die schlechteste Idee.“ Ich ziehe ein weiteres Mal an meiner Zigarette und werfe sie anschließend aus dem Fenster. Dann gehe ich auf Taichi zu, vor ihm bleibe ich stehen. Meine Finger berühren seine Wange, ich beuge mich zu ihm hinab und küsse sanft seine Lippen. Mit gespreizten Beinen setze ich mich auf den Schoß meines Freundes, lege meine Arme um seinen Körper und schmiege mich eng an ihn. „Du bist eiskalt“, flüstert Tai besorgt. Er streicht mit seiner Hand liebevoll über die Haut meines Rückens. Ich schließe meine Augen und genieße die Berührungen, die mir momentan unendlich viel Halt geben. Doch meine Angst können sie mir nicht nehmen. Verhalten klopfe ich gegen die Tür und warte darauf, hineingebeten zu werden. Als dies geschieht, betrete ich das Büro des Direktors. Der schaut von seinen Unterlagen auf und blickt mich fragend an. „Yamato.“ Mit seiner Hand deutet er zu dem leeren Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches. „Setz dich. Warum suchst du mich an deinem letzten Schultag noch einmal auf?“ Sein Tonfall ist freundlich und er lächelt mir zu. Ich verbeuge mich tief. „Vielen Dank für alles“, sage ich voller Ehrerbietung. „Sie haben mich nie aufgegeben und blieben immer fair, egal wie falsch ich mich verhielt. Und dass Sie meinen Worten bezüglich der jüngsten Ereignisse Glauben schenkten und entsprechend handelten, bedeutet mir wirklich viel.“ „Bitte stell dich wieder gerade hin beziehungsweise setz dich.“ Seiner Aufforderung folgend nehme ich ihm gegenüber Platz. Meinen Kopf halte ich jedoch weiterhin gesenkt. „Sieh mich an, Yamato.“ Mit Zurückhaltung suche ich den Augenkontakt zu ihm. „Meine Schüler sind mir sehr wichtig. Für mich ist es selbstverständlich, ihre Probleme ernst zu nehmen und alles dafür zu tun, damit es ihnen gut geht. Besonders Anschuldigungen gegen einen meiner Lehrer, der sich an Schülern vergreifen soll, kann und darf ich nicht ignorieren. Als du dich mir anvertrautest, war ich wirklich schockiert. Ich wollte nicht glauben, über all die Jahre nichts bemerkt zu haben.“ Ernst schaut mein Direktor mich an. „Trotzdem wusste ich anhand deiner Körperhaltung und deines Gesichtsausdrucks, dass du die Wahrheit sagst. Du bist kein Lügner, Yamato, auch wenn du eher zu den Problemschülern gehörtest. Im Gegenteil, meiner Meinung nach wurden bezüglich deiner Person zu viele Gerüchte gestreut, die du nie dementiertest, obwohl ich in diesen Fällen Unehrlichkeit deinerseits sogar ausnahmsweise befürwortet hätte.“ Kaum merklich verziehe ich bei der letzten Bemerkung das Gesicht. Allein die Vorstellung, meine Liebe zu Taichi zu leugnen, stößt mich unglaublich ab. „Wie du vielleicht selbst weißt, ist dein Verhalten zum Teil sehr widersprüchlich, weshalb der Umgang mit dir nicht immer ganz leicht war. Einen der Gründe dafür kennen wir beide. Dennoch darf durch deine Krankheit nicht alles entschuldbar sein. Ich denke, es ist auch nicht in deinem Sinne, deswegen eine Sonderbehandlung zu erhalten.“ Zur Bestätigung seiner Vermutung schüttle ich meinen Kopf. „Für deine Zukunft wünsche ich mir, dass du einen besseren Umgang mit dir selbst findest und dein Leben somit in den Griff bekommst. Denn momentan stehst du dir eher selbst im Weg, hab ich nicht recht?“ „Ich weiß es nicht. Vielleicht.“ Beschämt senke ich meinen Blick. „Sei ehrlich, Yamato, du weißt es.“ In der Stimme meines Gegenübers schwingt ein Hauch von Vorwurf mit. „Ja, es tut mir leid“, entgegne ich kleinlaut und beginne nervös an meinen Fingern zu spielen. „Du musst dich bei mir nicht entschuldigen. Höchstens bei dir selbst, weil du dir viele Dinge unnötig schwer machst. Dass du auch anders kannst, hast du bewiesen, indem du die Aufnahmeprüfung deiner Wunschuniversität geschafft hast und somit deinen Schulabschluss trotz enormer Fehlzeiten machen konntest.“ „Meinen Schulabschluss verdanke ich in erster Linie Ihnen. Es gab mehr als genug Gelegenheiten, mich der Schule zu verweisen. Sie taten es aber nicht.“ „Was hätte ich denn davon gehabt? Ich hätte dir lediglich deine Zukunft verbaut und den für mich denkbar einfachsten Weg gewählt. Meiner Meinung nach hätte ich dann aber meinen Beruf verfehlt. Allerdings möchte ich dir noch einen Rat geben. Ich weiß, dass du auf dieses Thema äußerst empfindlich reagierst, hör mich bitte trotzdem an. Nach all den Vorkommnissen und durch deine Aussagen habe ich nun verstanden, dass deine Neigung nicht nur eine Phase sexueller Verwirrung ist, sondern dass du es durchaus ernst meinst. Nach wie vor heiße ich es nicht gut, was allerdings daran liegt, dass du so offen mit deiner Zuneigung für Männer umgehst. Ich sage nicht, dass du dich verleugnen sollst, aber etwas mehr Zurückhaltung wäre in unserer Gesellschaft angebracht. Verstehst du, wie ich das meine?“ Eine Pause entsteht. „Ja, ich verstehe. Dennoch bin ich der Meinung, wenn immer alle schweigen, ändert sich die Einstellung der Menschen nie. Ich möchte nicht behaupten, dass ich durch das Ausleben meiner Gefühle etwas bewirken könnte, aber ich lasse mir zumindest kein Verhalten aufzwingen. Diesbezüglich bin ich wie Sie. Ich wähle nicht den einfachsten Weg, sondern jenen, welchen ich vor mir selbst rechtfertigen kann.“ Mein Direktor bringt mir ein trauriges Lächeln entgegen. „Ich weiß, Yamato, aber genau damit machst du dich kaputt. Ein Mindestmaß an Anpassung ist notwendig, um in dieser Gesellschaft zu überleben. Doch dessen bist du dir mit Sicherheit bewusst. Ich möchte dich auch gar nicht belehren, nur denke hin und wieder an meine Worte. Manchmal kommt man schneller und leichter an sein Ziel, wenn man nicht versucht, seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen.“ „Das ist nicht so einfach“, wende ich ein. „Es ist nie einfach, nachzugeben, Kompromisse einzugehen oder zurückzustecken. Aber anders funktioniert es nun einmal nicht, wenn die Meinungen und Interessen verschieden sind.“ „Das stimmt schon, aber…“ „Nein. Versuche Dinge als gegeben hinzunehmen, ohne Einwände zu äußern.“ Ich schweige betreten, woraufhin mein Direktor aufsteht, zum Fenster geht und hinaus auf den Schulhof sieht. „Mit meiner Aussage möchte ich dir keinesfalls Gleichgültigkeit oder blinden Gehorsam einreden. Prinzipien zu haben ist wichtig, aber es ist nicht unbedingt gut, um jeden Preis daran festzuhalten.“ „Wozu sind Prinzipien dann sinnvoll, wenn man sich nicht daran halten soll?“ „Im Normalfall haben Prinzipien etwas mit deiner Einstellung und deinem Charakter zu tun. Du lebst danach, agierst und urteilst dementsprechend. Doch den Einfluss von außen kannst du nicht unterbinden, du bist ihm ausgeliefert und musst versuchen, angemessen darauf zu reagieren. Oft bedeutet das, entgegen deiner eigenen Grundsätze zu handeln. Letztlich entscheidest jedoch du selbst, wie du deine Prioritäten setzt, aber vergiss dabei nie, mögliche Auswirkungen auf Beteiligte oder dein Leben abzuwägen, sonst passiert es ganz leicht, dass du irreparable Fehler begehst, die du vielleicht auf ewig bereust.“ „Würde sich mein Denken irgendwann einmal vor meinem Handeln einschalten, wäre es leichter, Ihren Rat zu befolgen“, sage ich in zynischem Ton mehr zu mir als an meinen Gesprächspartner gerichtet. „Stimmt, das ist allerdings ein ziemlich großes Problem von dir. Dadurch bringst du dich oft in schwierige Situationen“, erhalte ich unerwartet eine Antwort. Mein Direktor wendet sich vom Fenster ab und schaut mir direkt in die Augen. „Yamato, ich bitte dich. Gib nicht auf. Versprichst du mir das?“ Verwundert erwidere ich seinen Blick. „Warum?“ „Vorhin sagte ich dir, jeder meiner Schüler läge mir am Herzen. Das gilt auch, wenn sie bereits abgegangen sind. Es interessiert mich, hin und wieder etwas über ihren Lebensweg nach der Schulzeit zu erfahren, was aus ihnen geworden ist, wie sie sich weiterentwickelt haben. All das trifft ebenso auf dich zu, Yamato, denn auch du bist einer meiner Schüler.“ Verlegen wende ich meinen Kopf zur Seite. Ich finde keine Worte bezüglich seiner Aussage, also schweige ich. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich zum letzten Mal in diesem Raum bin, zum letzten Mal mit meinem Direktor spreche und die Schule nachher für immer verlassen werde. Wehmut und Angst ergreifen Besitz von mir und lassen meine Sicht verschwimmen. Ich hasse das Gefühl des Abschieds. „Yamato, halte dich rechts. Ich werde frontal auf ihn schießen“, weist mein Freund mich taktisch an. In Shootern war er schon immer besser als ich, weshalb ich ihm die Führung gern überlasse. Wie befohlen dringe ich von der Seite zu unserem Gegner vor, während Tai ihn unter Beschuss nimmt. „Jetzt, Yamato! Mein Magazin ist leer, ich muss nachladen. Ziele auf den Kopf.“ Sofort gebe ich Taichi Feuerschutz, um ihm etwas Zeit zu verschaffen. „In den nächsten zwei Wochen werden wir uns nicht sehen können“, erwähne ich beiläufig, ohne das Spiel zu unterbrechen. „Warum?“, möchte mein Freund wissen, lässt seinen Kontroller sinken und schaut mich beunruhigt an. „Hey, pass auf! Der…“ „Ist doch jetzt egal! Warum, Yamato?“ Schuldbewusst weiche ich Tais Blick aus und schweige. „Darf ich heute noch mit einer Antwort von dir rechnen? Was ist los?“Allmählich wird mein Freund ungeduldig. Ich lege meinen Kontroller ebenfalls beiseite und betrachte Taichi. „Ich werde den Drogenentzug vor meinem Klinikaufenthalt durchziehen.“ „Allein? Wieso nicht in sicherer Umgebung und unter professioneller Aufsicht?“ Unverständnis schwingt im Tonfall meines Freundes mit. Ich zögere mit meiner Erklärung. „Nicht allein“, gestehe ich schließlich mit ruhiger Stimme. „Mein Freier, der Lehrer, wird auf mich aufpassen und den Entzug überwachen.“ „Sag mal, bist du bescheuert? Das ist nicht wirklich dein Ernst, oder?“, wirft Taichi mir ungläubig an den Kopf. „Vertraust du diesem Mann wirklich so sehr? Dabei dachte ich, eure Beziehung besteht lediglich aus Sex. Aber er fickt dich nicht nur, hab ich recht? Womit macht er dich so stark von sich abhängig?“ Ich suche nach einer glaubhaften Antwort, in der ich die Drogen nicht erwähnen muss. „Er erinnert mich an meinen Vater“, entgegne ich leise. „Du siehst ihn als Vaterersatz? Das ist lächerlich! Verdammt, Yamato, warum wirst du immer gleich von den Menschen, die ihren Schwanz in dich stecken, emotional abhängig? Bei Akito war es dieselbe Scheiße“, sagt mein Freund abfälliger als nötig. „Das ist nicht wahr“, fahre ich ihn wütend an. „Ich glaube vielmehr, dass du einfach nur eifersüchtig bist.“ „Ja, ich bin eifersüchtig. Wie oft muss ich dir eigentlich noch sagen, dass ich dich nicht teile? Und schon gar nicht, wenn es über das Körperliche hinausgeht. Ich hasse es, dass außer mir noch andere Menschen eine Rolle in deinem Leben spielen. Deinen Vater kann ich gerade noch akzeptieren, etwas anderes bleibt mir ohnehin nicht übrig. Aber alle anderen würde ich am liebsten töten, um sie aus deiner Nähe zu verbannen. Deshalb bin ich froh, dass Akito mir den Gefallen tat und sich selbst tötete. Zwar liebst du ihn nach wie vor, was mich wahnsinnig macht, doch wenigstens ficken kann er dich nicht mehr.“ Aus einem Impuls heraus verpasse ich meinem Freund eine kräftige Ohrfeige. „Warum musst du immer wieder auf Akito ansprechen? Es reicht, Taichi!“, schreie ich ihn wütend an, wobei ich mich bemühe das Zittern in meiner Stimme zu verbergen. Verzweifelt versuche ich meine Tränen zu unterdrücken, denn sie würden Tais Hass nur noch mehr schüren. „Akito ist tot“, sage ich bedrückt. „Er kommt nicht zurück. Wovor hast du also Angst? Außerdem vögelst du im Gegenzug irgendwelche Frauen. Was sollen also die Vorhaltungen?“ „Dann frag dich mal, warum ich das mache, du dämlicher Idiot!“ Mein Freund wirkt ungehalten und emotional aufgelöst. „Ich fasse es nicht! Wie kann man nur so blind sein? Kapierst du wirklich nicht, dass ich mit anderen schlafe, um dir wehzutun? Du sollst wissen, wie es sich anfühlt, wenn der Partner mit anderen ins Bett geht. Nur scheint es dir völlig egal zu sein, da du in solchen Situationen kaum reagierst. Lässt du fremde Männer mittlerweile so tief körperlich und seelisch in dich eindringen? Bin ich nur noch einer von vielen?“ „Natürlich nicht und das weißt du! Aber wenn du die Frauen lediglich als Druckmittel gegen mich benutzt, bist du ein ziemliches Arschloch.“ „So gesehen, ja. Allerdings lässt du mir auch keine andere Wahl.“ „Du gibst mir die Schuld für dein Verhalten?“ Ungläubig schaue ich Tai an. „Damit machst du es dir verdammt einfach, findest du nicht? Deinen Worten zufolge verspürst du also keine Lust, wenn du mit ihnen schläfst? Bekommst du dann überhaupt einen hoch?“ „Eigentlich müsstest du dir deine Frage selbst beantworten können, da es bei dir oft nicht anders ist. Lustempfindung und Erregung müssen nicht immer konform gehen.“ „Verstehe. Doch du irrst dich. Es stört mich gewaltig, dass du nicht ausschließlich mich fickst. Zudem steckst du deinen Schwanz in Frauen, womit ich erst recht nicht klarkomme.“ „Wieso ist es bei Frauen schlimmer als bei Männern?“, fragt Taichi verwundert. „Ganz einfach, dem weiblichen Geschlecht habe ich nichts entgegenzusetzen. Ich kann dir nicht geben, was eine Frau dir geben kann. Ihr Körper fühlt sich anders an, ebenso wie der Sex. Frauen entsprechen, im Gegensatz zu mir, deinen Neigungen. Vermutlich können sie dich deshalb auch besser befriedigen.“ Meinen Blick von meinem Freund abwendend erhebe ich mich und zünde mir am Fenster eine Zigarette an. „Wenn ich könnte, würde ich mit all dem aufhören. Wir drehen uns im Kreis mit unseren Problemen. Gegenwärtig kann ich dich nicht glücklich machen, sondern ziehe dich in den Abgrund. Deine Alkoholabhängigkeit ist der beste Beweis. “ Unruhig führe ich die Zigarette an meine Lippen. „Warum kannst du nicht aufhören? Weil er deinen Vater ersetzt? Und die anderen Freier? Ersetzen die auch deinen Vater?“, fragt Tai bissig. „Nein. Sie brauche ich, um meinen Selbsthass befriedigen und nähren zu können.“ Taichi seufzt. „Dein Selbsthass ist für mich unüberwindbar. Entweder ich akzeptiere ihn und schaue dabei zu, wie du daran zerbrichst, oder ich gebe auf und verlasse dich. Ist es das, worauf du es anlegst?“ Schmerzhaft zieht sich mein Brustkorb zusammen. Die bis zum Filter gerauchte Zigarette werfe ich achtlos aus dem Fenster, bevor ich mich wieder zu meinem Freund auf den Boden setze. Behutsam nehme ich seinen Kopf zwischen meine Hände und fixiere ihn eindringlich mit meinen Augen. „Was meinst du, warum ich die stationäre Therapie machen werde, obwohl ich eine wahnsinnige Angst davor habe? Eigentlich habe ich mir geschworen, mich nie wieder einsperren zu lassen, denn ich glaube, die bisherigen Aufenthalte brachten rein gar nichts, sondern richteten nur Schaden an. Doch ich weiß, was auf dem Spiel steht, und möchte ein letztes Mal versuchen in der Klinik in den Griff zu bekommen, was ich allein nicht schaffe. Du hast selbst genug Probleme, weshalb ich nicht will, dass du mir hilfst. Im Gegenteil, ich hoffe, dich vom Alkohol wegbringen zu können, falls ich es schaffe, stabil zu werden. Vielleicht bin ich dann endlich in der Lage, dich glücklich zu machen.“ Sachte streiche ich durch die Haare meines Freundes und nehme ihn anschließend voller Zuneigung in den Arm. „Yamato, mir wäre es lieber, wenn du all das für dich und nicht für mich umsetzen wolltest“, haucht Tai beinahe resigniert in mein Ohr. „Es tut mir leid, aber meinetwegen würde ich nichts dergleichen tun. Ich bedeute mir nichts, du jedoch bist alles für mich. Um allerdings etwas erreichen zu k…“ Das Klingeln an der Wohnungstür unterbricht mich in meinen Ausführungen. „Öffnest du nicht?“, fragt Tai schließlich, als ich mich auch nach dem zweiten Klingeln nicht rühre. Widerwillig löse ich mich von ihm und verlasse mein Zimmer. Ich erstarre beim Anblick des Besuchers. „Mama…“, bringe ich zaghaft hervor. „Was willst du?“ Mein Tonfall ist feindseliger als beabsichtigt. „Hallo, Yamato“, begrüßt sie mich dennoch freundlich. „Darf ich kurz reinkommen? Ich würde gern mit dir reden.“ „Nein, ich denke, das ist keine gute Idee.“ Ausweichend senke ich meinen Kopf und blicke zu Boden. „Es ist zudem sehr unaufgeräumt.“ „Keine Sorge, darauf werde ich nicht achten. Mir geht es lediglich um ein Gespräch mit dir.“ Ich zögere. „Also gut. Wir gehen ins Wohnzimmer“, fordere ich meine Mutter auf und bedeute ihr die Richtung. Im Vorbeilaufen klopfe ich an die Tür meines Zimmers. Während meine Mutter auf dem Sofa Platz nimmt, setze ich mich in mäßiger Entfernung auf den Boden. An ihrem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass ihr mein Verhalten nicht gefällt, trotzdem hält sie sich zurück und schweigt. Als Tai den Raum betritt, betrachtet er verunsichert die vorherrschende Situation. Ohne ein Wort zu sagen, setzt er sich neben meine Mutter auf das Sofa. „Worüber möchtest du mit mir sprechen?“, durchbreche ich die unangenehme Stille. „Zunächst einmal gratuliere ich dir zu deinem Schulabschluss“, sagt sie lächelnd. „Danke“, entgegne ich absichtlich unterkühlt. „Dein Vater berichtete mir von deinem Entschluss, dir endlich helfen zu lassen. Es ist ein Versprechen ihm gegenüber, welches du nun einlöst, richtig?“ Ich nicke. „Selten habe ich deinen Vater glücklicher erlebt. Er liebt dich wirklich sehr, Yamato. Und auch ich bin froh, dass du dich zu diesem Schritt, der dir sicher nicht leichtfällt, durchringen konntest. Hoffentlich gelingt es dir dieses Mal, endlich die Hilfe, die dir dort zuteilwird, für dich zu nutzen.“ Mein Blick verfinstert sich, doch als ich Taichis kaum merkliches Kopfschütteln registriere, ermahne ich mich ruhig zu bleiben. „Frau Takaishi“, mischt sich nun Taichi in das Gespräch ein. „Bitte verzeihen Sie meine Bemerkung, aber Ihre Sorge klingt immer eher wie ein Vorwurf. An sich zu arbeiten ist nicht einfach und die meisten Menschen scheitern daran. Ich weiß, dass Yamatos Leben von seinem Erfolg abhängen kann, dennoch dürfen wir keine Wunder erwarten. Je mehr wir Ihren Sohn unter Druck setzen, desto weniger wird er vermutlich erreichen. Es ist wichtig, dass er, so wie jetzt, eigenverantwortlich handelt. Der Wunsch, etwas zu ändern, muss von ihm selbst kommen. Verstehen Sie? Wir können ihm Rückhalt geben, für ihn da sein, aber kämpfen muss Yamato allein. Das kann ihm niemand abnehmen und ihm kann auch niemand dabei helfen.“ Voller widersprüchlicher Gefühle betrachte ich meinen Freund. Sobald er mit meinen Eltern beziehungsweise Respektspersonen im Allgemeinen spricht, klingt er unglaublich erwachsen und vernünftig. Oft frage ich mich, wie viel Wahrheit in seinen Worten steckt. „Du musst mich nicht in Schutz nehmen, Taichi.“ Ich wende meinen Blick von ihm ab. „Mama, ich begebe mich freiwillig in ärztliche Obhut, weil ich einsehe, dass ich Hilfe brauche, wenn ich für Papa und Tai keine Last mehr sein will.“ „Ich hoffe, du bleibst bei dieser Einstellung, Yamato.“ Erstaunlicherweise hat diese Aussage keinen vorwurfsvollen Unterton, sondern klingt aufrichtig besorgt. „Ja, das hoffe ich auch“, gebe ich ebenso ehrlich zurück. „Worüber wolltest du nun eigentlich mit mir sprechen?“ Schweigend erhebt sich meine Mutter vom Sofa und geht in den Flur. Taichi und ich folgen ihr wortlos. An der Tür wendet sie sich noch einmal zu mir um. „Ich wollte dir viel Kraft für die Therapie wünschen.“ Liebevoll zieht sie mich in ihre Arme. Erschreckt zucke ich zusammen. Mit einer solchen Geste hatte ich nicht gerechnet. Ich brauche einen Moment, um mich an diese Art von Nähe zu gewöhnen, doch dann erwidere ich die Zuneigung meiner Mutter, drücke mich eng an ihren Körper und kralle meine Finger in den Stoff ihrer Jacke, die sie bei ihrer Ankunft nicht auszog. „Mama, ich hab dich lieb“, flüstere ich kaum hörbar. Sie antwortet, indem sie ihre Umarmung verstärkt. Für einen kurzen Moment genieße ich ihre Berührung, dann löse ich mich von ihr, ohne sie anzusehen. „Bitte gib nicht auf, mein Sohn. Ich weiß, dass es nicht leicht ist.“ Sie streicht mir über die Wange, anschließend verlässt sie die Wohnung. Unbewegt stehe ich im Flur, versuche das Geschehene zu verarbeiten und meine Gefühle zu sortieren. „Du siehst verloren aus“, höre ich meinen Freund sagen. Langsam macht er ein paar Schritte auf mich zu, berührt mich vorsichtig am Arm und küsst sanft meine Lippen. „Wie geht es dir jetzt?“, fragt er sehr behutsam. „Ich weiß es nicht“, bringe ich tonlos hervor. „Auf jeden Fall bin ich froh, dass die Begegnung mit deiner Mutter nicht wieder eskalierte.“ „Ich auch“, stimme ich Tai zu. „Was meinst du, ob sie von sich aus hier war oder ob dein Vater sie bat, den Kontakt wieder aufzunehmen, weil er weiß, dass du es wahrscheinlich nicht tun würdest?“ „Keine Ahnung, aber für mich ist es auch nicht wichtig, denn letztlich lag die Entscheidung bei ihr und sie entschied sich dafür, herzukommen.“ „Du freust dich über die Zuneigung, die deine Mutter dir vorhin entgegenbrachte, oder?“ Ich überlege, da ich die Frage bisher für mich selbst nie beantwortete. „Ja, obwohl es sich seltsam anfühlte.“ Ich löse mich von meinem Freund und gehe zurück in mein Zimmer. Taichi folgt mir. Während ich mich auf das Bett setze, nimmt er auf dem Sofa Platz. „Warum gehst du auf Abstand?“, frage ich mit unbeabsichtigt kindlicher Empörung. „Weil ich dir Zeit geben und dich nicht gleich wieder bedrängen möchte. Immerhin konntest du dich nicht auf den Besuch deiner Mutter einstellen. Du wirkst abwesend und etwas durcheinander.“ Ich lächle meinen Freund an. „Komm her“, bitte ich ihn. „Ich hasse es, wenn du dich von mir distanzierst.“ Ohne zu zögern reagiert er auf meine Aussage und bewegt sich langsam auf mich zu. Bestimmt packe ich Tai am Handgelenk, verwickle ihn in einen leidenschaftlichen, sehr innigen Zungenkuss. Mir ist schwindelig, als wir uns schwer atmend wieder voneinander lösen. „Küsst du meinen Vater auch so heftig und intensiv?“ Ich bemühe mich nicht, meine Eifersucht zu verbergen. Taichi mustert mein Gesicht eingehend und streicht voller Zuneigung durch meine Haare. „Was erwartest du für eine Antwort zu hören?“ Seufzend senkt er seinen Blick. „Die Wahrheit.“ „Du kennst sie bereits, aber du willst sie unbedingt aus meinem Mund hören, oder?“ Noch immer sieht mein Freund mich nicht an. „Was soll das, Tai. Fällt es dir so schwer, mir ein klares Ja oder Nein zu geben? Immer wenn wir von deiner Beziehung zu meinem Vater sprechen, beginnst du auszuweichen. Ist dir peinlich, was zwischen euch gelaufen ist, oder wart ihr intimer als du mir gegenüber zugibst?“ „Ich wollte dich nie belügen, Yamato.“ Im Tonfall meines Freundes ist keinerlei Reue erkennbar. „Aber du hast es getan. Warum?“ „Würde ich behaupten, ich wollte dich schützen, wäre es nur die halbe Wahrheit.“ „Meine Vorwürfe waren also letztlich doch berechtigt. Ihr hattet Sex.“ „Ja.“ Vor dieser Antwort hatte ich immer Angst, doch momentan empfinde ich nichts als lähmende Gewissheit. „Wann und wie oft?“, frage ich kalt und distanziert. „Als du in der Klinik warst. Einmal. Und ich erachte es nicht als Fehler. Im Gegenteil, jetzt, da ich weiß, was zwischen dir und deinem Vater läuft, denke ich, dass diese Erfahrung wichtig, sogar notwendig für ihn war, um Antworten zu finden.“ „Ich nehme an, du hast für ihn die Beine breit gemacht. Wolltest du auf diese Weise auch Antworten erhalten?“, begegne ich Taichi bissiger als beabsichtigt. „Zumindest konnte ich für mich erfahren, dass Sex nicht vom Geschlecht, sondern eher von den Gefühlen abhängig ist.“ „Ich frage dich noch einmal und dies…“ „Nein, Yamato. Ich liebe deinen Vater nicht. Mit ihm zu schlafen war in gewisser Weise schön, aber es ist nicht das, was ich will.“ Ich stehe auf und gehe zum Fenster, um mir eine Zigarette anzuzünden. „Mein Freier kommt nachher, damit ich den Entzug beginnen kann. Ich möchte, dass du so lange bleibst und ihn kennenlernst“, fordere ich nach wie vor emotionslos. Zwar vernehme ich Tais Unmut, wende mich jedoch nicht zu ihm und blicke starr nach draußen. „Ein pädophiles Arschloch, das Minderjährige durch Drogen von sich abhängig macht, will ich nicht kennenlernen. Es sei denn, du möchtest, dass ich ihn für das, was er dir antut, töte.“ Die Stimme meines Freundes ist extrem feindselig, hasserfüllt. „Warum wechselst du einfach das Thema?“ Nun schaue ich Taichi mit einem Lächeln an. „Wirst du dich weiterhin von meinem Vater vögeln lassen?“ Er hält meinem Blick stand. „Tut mir leid, aber ausschließen kann ich es nicht, zumindest von meiner Seite.“ „Die Antwort habe ich erwartet. Immerhin ist mein Vater verdammt gut im Bett, nicht wahr?“ Lachend nehme ich einen tiefen Zug von meiner Zigarette. „Was ist so lustig, Yamato?“, will mein Freund leicht verärgert wissen. „Die vorherrschende Situation, das gesamte beschissene Leben, ich selbst… such dir etwas aus. Letztlich ist doch alles nur eine Farce, findest du nicht, Yagami?“ „Ich schlafe lieber mit dir, Yamato. Das mit deinem Vater…“ „Verdammt, sei still!“, schreie ich meinen Freund ungehalten, von quälender Eifersucht zerfressen, an. „Es ist mir scheißegal, warum er seinen Schwanz in dich steckt! Ich will auch nicht wissen, wie ihr es treibt!“ Voller Verachtung werfe ich die Zigarette aus dem Fenster und schließe es lautstark. Dann gehe ich langsam auf Tai zu. „Aber in Zukunft verhindere ich, dass ihr Gelegenheit zum Ficken habt. Und ich schrecke nicht davor zurück, Gewalt anzuwenden.“ Vor ihm bleibe ich stehen. Rücksichtslos brutal ziehe ich Taichis Kopf an seinen Haaren nach hinten, um ihn zu zwingen mich anzusehen. „Du gehörst mir! Mir allein! Doch du scheinst das aus irgendeinem Grund nicht so ganz zu verstehen, mein Süßer. Soll ich dir zeigen, wie einfach es ist, dich mir gefügig zu machen?“ Lieblos zerre ich meinen Freund zu meiner Schultasche, aus der ich das kleine braune Fläschchen hole und den Deckel abschraube. „Schatz, nimmst du es freiwillig oder muss ich dir das GHB gewaltsam einflößen?“ Panisch schaut Taichi in meine Augen, als suche er darin nach einem letzten Funken Verstand. „Du bist völlig irre, Yamato! Ich warne dich! Wage es nicht, mich unter Drogen zu setzen!“ Lachend ergreife ich mit meiner Hand Tais Gesicht und drücke seine Wangen schmerzhaft zusammen, sodass sich sein Mund öffnet. „Dann bin ich gespannt, was du gleich mit mir tun wirst“, säusele ich und tropfe etwas von der farblosen Flüssigkeit auf seine Zunge. Ich dosiere relativ hoch, damit der Rausch dem des Alkohols ähnelt. Als ich von meinem Freund ablasse, erhalte ich wie erwartet eine derbe Ohrfeige, welche mich jedoch nur noch heftiger lachen lässt. „Scheiße, bist du selbst drauf oder hat der Wahnsinn dich endgültig in seinen Fängen?“ Deutlich spüre ich die Feindseligkeit, die Taichi mir entgegenbringt. Allerdings glaube ich unterschwellig trotzdem Sorge und Zuneigung zu vernehmen. „Nein, ich bin gerade nüchtern. Die Wirkung des GHB müsste gleich einsetzen. Es wird dir gefallen, versprochen.“ Spielerisch zärtlich streiche ich mit meinen Fingern über seinen Hals. „Keine Angst, ich werde auf dich aufpassen. Darf ich dich während deines Trips ficken?“ Bestimmt drücke ich meinen Freund in eine liegende Position auf den Boden. „Ich bin auch ganz sanft zu dir“, hauche ich beinahe frivol in sein Ohr. „Solltest du Hand an mich legen, Yamato, zeige ich dich wegen Vergewaltigung an. Das meine ich ernst!“, zischt Taichi drohend. Wieder lache ich. „Du bist wirklich süß. Unter Umständen kannst du dich nicht erinnern, was mit dir während eines GHB-Rausches geschehen ist. Lass dich einfach fallen, mein Geliebter. Genieße es. Deine Augen sagen mir, dass du bereits etwas spürst, nicht wahr?“ Mit meiner Hand gleite ich in seine Hose, zwischen seine Beine. „Auch das fühlt sich anders an. Intensiver, erregender. Du willst mehr, hab ich recht?“ Tais Körper reagiert mit fiebrigem Verlangen auf die Berührungen seiner nackten Haut. Leises Stöhnen entweicht seiner Kehle und er bäumt sich begehrlich auf. Ich beobachte meinen Freund genau, wie er mit seinem Bewusstsein allmählich in die Tiefen der Droge und seines eigenen Wahnsinns abgleitet. „Du gehörst mir, Taichi Yagami!“ Ich sitze an meinem Bett und überwache den Schlaf meines Freundes. Letztlich schätzte ich seinen Körper falsch ein, ließ fatalerweise seinen relativ konstanten Alkoholpegel unbeachtet und dosierte das GHB zu hoch. Er wurde zunächst sehr unruhig, seine Bewegungen unkoordiniert. Die fehlende Kontrolle machte ihn unberechenbar, sodass ich Mühe hatte, auf ihn aufzupassen. Nach kurzer Zeit verlor er schließlich das Bewusstsein. Als ich versuchte ihn ins Bett zu tragen, musste ich erschreckt feststellen, wie leicht er geworden ist. Schon seit längerem kam er mir besorgniserregend dünn vor. Offenbar täuschte mich meine optische Wahrnehmung nicht. Dabei hätte ich es mir in diesem Fall ausnahmsweise gewünscht. Wenn ich Tai nicht verlieren will, muss ich handeln, bevor der Alkohol ihn zerstört. Notfalls mit radikalen Mitteln. Erfüllt von schmerzlicher Zuneigung streichle ich durch die Haare meines Freundes. „Du ahnst nicht, wie sehr ich dich liebe“, hauche ich im Flüsterton, obwohl meine Worte ohnehin niemand hört. Vermutlich nicht einmal Taichi. „Ich will dich nicht mehr betrügen, kein dreckiger Stricher mehr sein, der gegen Geld oder Drogen fremde Schwänze lutscht und sich auf jede erdenklich perverse Art ficken lässt. Außer dir will ich niemanden mehr in mir spüren. Wenn mein Vater aus Deutschland zurückkommt, ziehe ich aus, um meinem Verlangen nach seiner Nähe und seinem Körper entgegenzuwirken. Ich liebe meinen Vater zu innig, genau deshalb muss ich meine Gefühle für ihn abtöten. Dasselbe gilt für Akito.“ Sanft streiche ich mit meinem Daumen über Tais etwas rissige Lippen. „Werde ich dann in der Lage sein, dich glücklich zu machen? Oder reicht es nicht, weil letztlich ich selbst das Problem bin? Warum hast du dich nicht schon längst von mir getrennt, bei all dem, was ich dir bisher angetan habe? Weil du weißt, dass ich dich niemals gehen lassen würde? Einmal möchte ich mich mit deinen Augen sehen. Würde ich dann endlich begreifen?“ Fast schüchtern beuge ich mich hinab und küsse den leicht geöffneten Mund meines Freundes. „Zumindest wüsste ich, wie ich sein müsste, um deinen Vorstellungen und vor allem dir gerecht zu werden.“ Ich schlage die Bettdecke zurück und gleite mit meinen Fingern unter Tais Shirt. „Deine Haut zu berühren, erregt mich.“ Behutsam schiebe ich das störende Kleidungsstück ein wenig nach oben und liebkose den Körper meines Freundes sowohl mit meinen Lippen als auch mit meiner Zunge. „Du findest Frauen wirklich schöner? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das hier bei ihnen besser anfühlt. Aber ich verstehe deine anziehende Wirkung auf Frauen. Allein dein Geruch, dein Geschmack bringen mich um den Verstand.“ Seufzend betrachte ich den nahezu leblosen Körper. Lediglich seine ruhige Atmung zeigt mir, dass Taichi nicht tot ist. „Ich bin so wahnsinnig verliebt in dich.“ Sanft und mit einem Gefühl der Traurigkeit, des Selbsthasses und der Ohnmacht zeichne ich die deutlich sichtbaren Rippenbögen nach. „Ich liebe dich, ich liebe dich…“ Meine Stimme versagt. Tränen tropfen auf die blasse Haut meines Freundes. Seit er nicht mehr zum Fußballtraining geht und damit den ihm einst so wichtigen Sport aufgab, seit er zu trinken begann, ist er kaum noch an der frischen Luft. Nur wenn er zu mir kommt oder neuen Alkohol braucht, verlässt er die Wohnung. Selbst zur Universität geht er nur noch selten. Somit ist es nicht verwunderlich, dass seine schöne Bronzefarbe verloren ging. „Jetzt bin ich an der Reihe, für uns beide stark zu sein. Allein kannst du deine Sucht nicht mehr in den Griff bekommen. Inzwischen riechst du wieder permanent nach Alkohol, an manchen Tagen sogar auffällig intensiv, sodass ich mich frage, wie viel du mittlerweile trinkst und warum deine Eltern anscheinend nicht darauf reagieren. Liegt es daran, dass dein Vater ebenfalls Alkoholiker ist? Kannst du deine Abhängigkeit dadurch besser verbergen?“ Mit meinen Liebkosungen gleite ich weiter hinab, am Hosenbund halte ich jedoch inne, löse den Knopf und öffne den Reißverschluss. Lüstern greife ich zwischen die Beine meines Freundes, reibe dabei mehrmals über den Stoff der Hose. „Ich will dich in mir spüren. Reagierst du trotz deiner Bewusstlosigkeit auf meine Berührungen, sodass ich dich in mich aufnehmen kann? Aber selbst wenn nicht ich dich, sondern du mich fickst, bleibt es nach deiner Definition eine Vergewaltigung, oder?“ Traurig ziehe ich meine Hand zurück. „Keine Angst, ich werde dich nicht mehr zum Sex zwingen.“ Mit einem bitteren Beigeschmack lasse ich gänzlich von Tais halb entblößten Körper ab und setze mich neben das Bett auf den Boden. Meine Beine ziehe ich dicht an meinen Köper, sodass ich mit meiner Stirn meine Knie berühren kann. „Wenn du mich so sehr erregst, musst du mich auch ranlassen, Idiot“, murmle ich mit deutlich hörbarem Zittern in der Stimme. Ohne nachzudenken öffne ich das Schubfach des Nachtschrankes neben mir und hole ein kleines Beutelchen mit einer kristallinen Substanz heraus. Wenn ich mir nur eine geringe Dosis spritze, müsste der Trip vorbei sein, bevor Taichi wieder zu Bewusstsein kommt. Ich zögere nicht, verflüssige das Heroin, ziehe es in die Spritze auf und lege das Fixierband an. Dann injiziere ich die Droge und lehne mich seufzend zurück. Spürbar fällt die Anspannung von mir ab und weicht einer unendlichen Leichtigkeit. Wie in Watte gepackt gebe ich mich der Geborgenheit hin. Tai ist aus meinem Kopf verschwunden. Erst spät registriere ich das Klingeln an der Tür. Mein Verstand ist noch völlig vernebelt, als ich wankend versuche den Weg durch den Flur zu finden, um dem Besucher zu öffnen. „Yamato!“ Anhand meiner Augen scheint mein Freier die Sachlage sofort zu erkennen. „Du hast dich allen Ernstes noch einmal zugedröhnt?“, bemerkt er ungläubig und in ungewohnt wütendem Tonfall. „Ich… weiß nicht. Ja… vielleicht…“ Kraftlos sinke ich an der Wand, an welcher ich mich abstütze, hinab. Besorgt hockt sich mein Freier vor mich und nimmt meinen Kopf fest zwischen seine Hände. „Verstehst du mich? Sieh mich an.“ Ich versuche zu gehorchen, bin mir aber nicht sicher, ob es mir gelingt. „Du bist noch drauf. Wann hast du dir das Heroin gespritzt?“ Kaum merklich hebe ich meine Schultern etwas, dann knöpfe ich unbeholfen mein Hemd auf und führe die Hand meines Freiers zwischen meine Beine. „Nimm mich“, flüstere ich unbedacht, ziehe meinen Freier dicht zu mir heran und verwickle ihn in einen heftigen Kuss. „Yamato, nicht hier im Flur. Gehen wir wenigstens in dein Zimmer.“ „Nein… mein Freund schläft… in meinem Bett. Wohnzimmer wäre besser.“ „Dein Freund ist hier? Bist du sicher, dass du in seiner Gegenwart Sex mit einem anderen haben möchtest?“ „Egal. Ich will, dass du es mir ordentlich besorgst.“ Schwerfällig versuche ich aufzustehen, doch es gelingt mir nicht und ich sacke immer wieder in mich zusammen. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen, denn trotz allem fühle ich mich gut. „Komm her, mein Kleiner.“ Vorsichtig hebt mein Freier mich hoch, trägt mich ins Wohnzimmer und legt mich behutsam auf das Sofa. Mit seinen Fingern streicht er sanft über meine Wange. „Ich finde es nicht gut, dass du vor dem Entzug noch einmal drauf bist. Gab es zum Fixen einen Grund?“ Ich antworte nicht. „Yamato, bekommst du überhaupt mit, was ich sage?“ Statt auf die Frage meines Freiers einzugehen, setze ich mich etwas auf und streife mir lasziv das Hemd von meinen Schultern. Dann ziehe ich umständlich meine Hose aus. Mit gespreizten Beinen mache ich eine einladende Geste. „Machen Sie mit mir, was Sie wollen. Ich gehöre Ihnen.“ Seufzend drückt mein Freier mich in eine liegende Position. „Nein, Yamato. Nicht unter diesen Umständen.“ Lächelnd betrachte ich ihn. „Wie oft hast du mich schon gefickt, wenn ich auf Drogen war?“ „Es geht mir eher um deinen Freund. Er…“ „Shh…“ Sanft lege ich meinen Zeigefinger auf seine Lippen, um ihn am Weitersprechen zu hindern. „Das ist jetzt nicht wichtig. Außerdem… habe ich ihm vorhin eine zu hohe Dosis GHB verabreicht, weshalb er noch eine Weile ohne…“ „Du hast was?“ Entsetzt sieht mein Freier mich an. Ich übergehe seine Frage und ziehe ihn an seiner geöffneten Anzugjacke zu mir. „Bitte, fick mich“, flüstere ich und lecke verführerisch über seine Lippen. „Lass mich deinen Schwanz hart in mir spüren.“ Liebevoll streicht mir mein Freier durch die Haare, küsst voller Zuneigung meine Stirn. „Dir geht es gerade nicht gut, oder? Immer wenn du dich so verhältst, bist du psychisch sehr angespannt. Liegt es am bevorstehenden Entzug?“ Meine Augen weiten sich und ich schaue meinen Freier wie erstarrt an. „Ist schon gut, mein Süßer. Ich bin da und passe auf dich auf.“ Ohne auf meinen Freier zu achten, öffne ich seine Hose und beuge mich hinab, um ihm einen zu blasen. „Warte, Ya…“ Schmerzhaft krallt er seine Finger in meine Haare, lustvolles Stöhnen entweicht seiner Kehle. Ich schaue an ihm hinauf, direkt in sein erregtes Gesicht. Seine Augen sind geschlossen. Mit seinen Händen hält er meinen Kopf nun kompromisslos fest und stößt sich immer wieder schmerzhaft tief in meinen Rachen. Tränen laufen über meine Wangen, doch ich lasse meinen Freier gewähren. Genau diese Art von Gewalt brauche ich jetzt. Taichi vereinnahmt bereits wieder meine Gedanken, bringt mich um meinen Verstand. „Das reicht, Yamato. Steh auf und beuge dich leicht nach vorn. Stütze dich an der Lehne des Sofas ab“, befiehlt mein Freier im strengen Tonfall. Es fällt mir schwer, dem nachzukommen, da ich mich kaum auf den Beinen halten kann. Derb umfasst mein Freier meine Hüften. „Du wolltest unbedingt gefickt werden, also stell dich jetzt nicht so an.“ Unwillkürlich zucke ich zusammen, als ich spüre, wie er stoßweise grob in mich eindringt. Ich fühle das Heroin kaum noch in meinen Adern, weshalb ich die Rücksichtslosigkeit meines Freiers fast in ihrem vollen Ausmaß mitbekomme. Übelkeit und Panik steigen in mir auf, als ich durch die Ähnlichkeit der Stellung an den Sex mit meinem Sportlehrer erinnert werde. Meine beschleunigte Atmung flacht ab, setzt aus, geht schwerfällig und nur noch stoßweise. Verzweifelt kralle ich mich im Stoff der Lehne fest, beiße mir schmerzhaft verkrampft auf die Lippen, um meine Angst daran zu hindern, die Oberhand zu gewinnen. Ich versuche, den Ekel zu ertragen und meinen Freier nicht anzuflehen von mir abzulassen. Gedanklich sage ich mir wiederholt, dass ich gerade nicht vergewaltigt werde. Er hat recht, ich wollte den Sex. Es ist also alles in Ordnung. Unerwartet hält mein Freier inne. „Du zitterst, Yamato.“ Besorgt streicht er über die Haut meines verschwitzten Rückens. „Soll ich aufhören?“ Ich schweige, beginne nun aber heftig zu weinen. Sofort zieht sich mein Freier aus mir zurück und umfängt mich liebevoll mit seinen Armen. „Shh, beruhige dich, mein süßer Liebling.“ Er drückt mich fest an sich, doch ich nehme ihn kaum wahr. In meinem Kopf ist ausschließlich der Vorfall mit dem Sportlehrer präsent. „… weg… nicht… anfassen…“, stammele ich leise, beinahe abwesend, aber noch immer unter Tränen. „Taichi… ich liebe ihn so sehr! Ich will zu ihm… ich will zu meinem Taichi!“, schreie ich mit zitternder Stimme und versuche verzweifelt mich aus der Umarmung zu befreien. Unvermittelt küsst mein Freier meine Lippen, nimmt mir mit seiner Zunge die Luft zum Atmen und bringt mich so zum Schweigen. Ich werde ruhiger, wehre mich nicht mehr. Der Kuss ist fordernd, einnehmend, besitzergreifend. Als wir uns voneinander lösen, streichelt er sanft meine Wange. „Was kann ich tun, damit du nicht mehr an… diesen Vorfall erinnert wirst?“ Seine Augen blicken mich traurig an. „Ich liebe dich.“ Mit wackeligen Beinen stehe ich auf und ziehe meine Hose an, mein Freier gibt mir dabei Halt. Erschöpft lehne ich mich an ihn, schließe die Augen und lasse mich von seinem Duft umhüllen. „Ist es vermessen und egoistisch, wenn ich Ihnen darauf antworte, dass ich Sie brauche?“ „Nein, Yamato. Das zeigt wie wichtig ich für dich bin und darüber freue ich mich sehr. Mir ist bewusst, dass du mich nie lieben wirst, aber für mich ist das wirklich in Ordnung, denn ich habe meine Familie. Damals, als ich dir meine Gefühle gestand, versicherte ich dir, ich hätte keinerlei Erwartungen an dich. Die habe ich nach wie vor nicht, zumindest nicht deine Gefühle betreffend.“ „Dabei bin ich unerträglich“, murmle ich kaum hörbar. Ohne Vorwarnung hebt mein Freier mich hoch, wobei ich vor Schreck einen leisen Schrei ausstoße. „Was…“ „Ich denke, du brauchst jetzt die Nähe deines Freundes. Vielleicht kommst du so etwas zur Ruhe und kannst deinen restlichen Rausch ausschlafen. Schließlich brauchst du Kraft für den Entzug.“ „Ja… danke…Sie…“ Meine Lider werden schwer und noch bevor wir mein Zimmer erreichen, schlafe ich ein. Durch eine leichte Erschütterung der Matratze wache ich auf. Um zu erfahren, wer sich gerade auf das Bett setzte, blinzele ich und erkenne Taichi, der mir den Rücken zuwendet. In der Hand hält er ein gut gefülltes Glas Whiskey. „Ich warne Sie! Ficken Sie Yamato, während er auf Entzug ist, sich im Delirium befindet oder ohne Bewusstsein ist, schneide ich Ihnen eigenhändig Ihren widerlichen kleinen Schwanz ab. Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, was Sie womöglich mit meinem Freund alles anstellen, wozu Sie ihn vielleicht sogar zwingen…“ Tai macht eine Pause, um einen Schluck zu trinken. „Yamato ist noch minderjährig, aber das wissen Sie, oder? Sie sind ein perverses, pädophiles Arschloch, das auf Kinder steht, sie vergewaltigt…“ „Es reicht… Taichi!“, beginnt mein Freier sich endlich zu wehren. „Ich wollte mich eigentlich nicht in deine Angelegenheiten einmischen, aber ich denke, du hast genug. Es stimmt, Yamato ist noch minderjährig, aber vom Gesetz her darf er Sex haben. Du hingegen dürftest noch keinen Alkohol trinken, sitzt aber ziemlich angetrunken vor mir.“ Mein Freund leert sein Glas, erhebt sich etwas unsicher und verlässt wankend das Zimmer, um mit einem gefüllten Glas wiederzukommen. „Sie haben mir überhaupt nichts zu sagen! Und wenn Sie Ihre dreckigen Finger nicht von Yamato lassen, zeige ich Sie wegen Kindesmissbrauch an. Ihretwegen ist mein Freund abhängig von diesem scheiß GHB, verdammt!“ Mit zitternder Hand leert Tai das Glas ein weiteres Mal. Als er erneut aufstehen möchte, halte ich ihn an einem Hemdzipfel zurück. „Hör bitte auf“, flüstere ich. Mein Kopf dröhnt und nur unter Anstrengung gelingt es mir, mich aufzusetzen. Müde reibe ich über meine schmerzenden Augen, währenddessen versuche ich die letzten Stunden in meiner Erinnerung wachzurufen. Ein Gefühl des Schocks fährt durch meinen Körper, als mir einfällt, dass ich gefixt habe. Irgendwann klingelte mein Freier, wir gingen ins Wohnzimmer und er nahm mich wie damals der… ich hatte keine Zeit beziehungsweise Gelegenheit, das Spritzbesteck zu verstecken. Vorsichtig schaue ich zu Tai, dann zu meinem Freier. Beruhigend lächelt er mich an. Es scheint beinahe so, als kenne er meine Gedanken. Vorhin sprach Taichi auch nur von GHB, kein Wort von Heroin. „Womit soll ich bitte aufhören? Du gehörst mir und das versuche ich diesem Wichser klarzumachen“, reißt Tai mich aus meinen Gedanken. Ich blicke wieder zu ihm. „Ich meinte den Alkohol. Er…“, kurz deute ich zu meinem Freier, „… kann sich selbst verteidigen.“ „Zum einen habe ich kaum etwas getrunken und …“ „Nach meiner Beobachtung war es bisher mindestens eine halbe Flasche Whiskey. Das ist dir auch deutlich anzusehen, Taichi“, meint mein Freier in gefasstem Ton. „Wenn es dich beruhigt, versichere ich dir, dass ich während des Entzugs nicht mit Yamato schlafen werde. Er wird ohnehin vermutlich ziemlich starke Schmerzen haben. Was allerdings danach geschieht, liegt allein bei Yamato. Der Sex mit ihm ist gut, aber ich würde deinen Freund niemals dazu zwingen.“ Tai greift nach meiner Hand und zieht mich provokant zu sich. „Ich bin der Einzige, der Yamato zu irgendetwas zwingen darf. Der Einzige, der ihn ficken darf, verstanden?“ „Du bist betrunken“, entgegne ich abfällig, versuche jedoch nicht mich aus seinen Armen zu befreien. „Nein, ich hasse es nur mit Menschen in einem Raum zu sein, von denen du es dir besorgen lässt.“ Tai drückt mich fester an sich. Lächelnd erhebt sich mein Freier von meinem Schreibtischstuhl und kommt auf uns zu. Bestimmt nimmt er meinem Freund das Glas aus der Hand. „Vielleicht solltest auch du einen Entzug machen, Taichi“, sagt er ganz direkt. Ohne auf eine Reaktion zu warten, verlässt er mein Zimmer. „Er hat recht. Du bist wieder viel zu sehr abgerutscht.“ Sanft berühre ich den Oberkörper meines Freundes, küsse seine nackte Haut. „Lass das, Yamato“, fordert der mich schwer atmend auf, legt aber trotzdem den Kopf in den Nacken und krallt sich in meinen Haaren fest. Mit meinen Lippen und meiner Zunge gleite ich tiefer hinab. „Soll ich wirklich aufhören? Du bist erregt“, stelle ich herausfordernd fest. „Ja, ich kann und will nicht mit dir schlafen, wenn dieser Kinderficker in der Wohnung ist. Womöglich fällt er über uns her, wenn er es mitbekommt, weil ihm einer abgeht.“ Angewidert schiebt Tai mich von sich. „Verzeih mir“, sage ich leise, mit gesenktem Kopf. „Du hasst mich sehr, oder, Taichi?“, höre ich die Stimme meines Freier. Als ich zu ihm blicke, streicht er meinem Freund gerade durch die Haare und berührt dann seine Wange. „Fassen Sie mich nicht an!“, schreit Tai feindselig. Sein Gegenüber geht einen Schritt zurück, lächelt aber sein liebenswertes Lächeln. „Keine Angst, Kleiner. Ich werde mich nicht an dir vergehen. Eigentlich solltest du es nicht erfahren, aber ich habe mich in Yamato verliebt, was bedeutet, dass ich keine anderen Stricher mehr aufsuche.“ „Wie bitte? Yama…“ Noch bevor sich Tai an mich wenden kann, spricht mein Freier weiter. „Yamato liebt dich, Taichi. Das hat er mir von Anfang an deutlich gesagt. Nie würde ich mich in eure Beziehung drängen. Im Gegenteil, ich habe euch beobachtet. Ihr braucht einander. Und ich habe meine Familie, die ich nicht verlassen würde.“ „Stimmt, Familie“, werfe ich plötzlich ein. „Es ist offensichtlich, dass du getrunken hast. Man riecht es sehr stark. So kannst du nicht nach Hause. Soll ich anrufen, dass du hier übernachtest?“ „Nein, meine Eltern sind noch immer nicht sehr erfreut, wenn ich so oft über Nacht bei dir bleibe. Du weißt, warum.“ Der Blick meines Freundes ist vorwurfsvoll. Ich nicke nur verhalten. „Es ist schon spät und du bist nicht gerade nüchtern. Auch wenn es dir nicht passt, ich werde dich fahren. Zuvor mache ich uns aber etwas zu essen.“ Taichi will offensichtlich protestieren, doch ich lege meine Hand auf seinen Arm und schaue ihn bittend an. Seufzend fügt er sich. „Sie kennen die Regel. Ficken Sie meinen Freund, sorge ich dafür, dass Sie Ihren Schwanz nirgendwo mehr reinstecken können. Und wenn Sie Yamato wirklich lieben, sorgen Sie dafür, dass er den Entzug professionell in der Klinik macht. Helfen können Sie ihm ohnehin nicht!“ Reglos liege ich auf meinem Bett und starre zur Decke. Tais Augen waren voller Hass. Auf genau diese verabscheuende Art betrachtete er auch Akito. Es ist mehr als nur ein Gefühl der Eifersucht. Seine Liebe ist gefährliche Besessenheit. Ich erinnere mich, dass Taichi einmal dasselbe über mich sagte. Wahrscheinlich sind diese Empfindungen, wenn man innig und bedingungslos liebt, untrennbar miteinander verbunden. Ich zucke heftig zusammen, als es an der Tür klingelt und ich dadurch aus meinen Gedanken gerissen werde. Unnötig schnell stehe ich auf, um zu öffnen, verliere jedoch mein Gleichgewicht, da mein Kreislauf kurzfristig absackt und mir schwarz vor Augen wird. Ich schaffe es gerade noch, mich wieder auf das Bett zu setzen, und harre einen Moment aus. Als das Schwindelgefühl nachlässt, erhebe ich mich erneut. Diesmal langsam und bedächtig. Wie erwartet klingelte mein Freier. „Vielen Dank, dass Sie Taichi nach Hause gefahren haben. Wenn er sich in diesem Zustand befindet, ist er noch unberechenbarer als sonst. Ich mache mir wirklich Sorgen um ihn. Trotzdem soll ich ihn nie begleiten.“ „Er liebt dich, Yamato. Vermutlich hat auch er Angst um dich.“ Ein bitteres Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Ja, er hat Angst, dass ich es mir von jedem, der mir über den Weg läuft, besorgen lasse.“ Unglaublich sanft nimmt mein Freier meinen Kopf zwischen seine Hände und küsst meine Stirn, meine Wange und schließlich meine Lippen. „Ehrlich gesagt verstehe ich ihn. Taichi will dich nicht teilen.“ „Ich weiß“, hauche ich mit Tränen in den Augen. „Auch ich hasse es, wenn er Sex mit Frauen hat, und werde fast wahnsinnig bei dem Gedanken, dass er mit meinem Vater schläft, sich ihm sogar hingibt. Doch ich kann nichts dagegen tun.“ Nun laufen die Tränen mein Gesicht hinab. „Vielleicht schaffe ich es für Tai, die Drogen aufzugeben, ich würde versuchen für ihn auf Sex mit fremden Männern zu verzichten, allerdings liebe ich meinen Vater und möchte ihn spüren. Zudem könnte ich es nicht ertragen, Sie zu verlieren. Sie sind wie ein Vater für mich, ein wichtiger Teil in meinem Leben. Ich habe Sie sehr lieb.“ Traurig schaut mein Freier mich an, lässt meinen Kopf los und nimmt mich fest in den Arm. „Glauben Sie, Taichi würde sich nicht mehr selbst zerstören, wenn ich mit all dem aufhöre?“ Schluchzend presse ich mich enger an meinen Gegenüber. Meine Stimme ist unbeständig und brüchig. „Glauben Sie, ich kann ihn so retten?“ „Ich weiß es nicht, Yamato“, antwortet mein Freier einfühlsam. „Dein Freund hat ein offensichtliches und nicht unerhebliches Alkoholproblem. Selbst wenn du jetzt alles aufgibst, kannst du ihm nicht helfen, weil du ebenfalls abhängig von Drogen bist. Es wäre schön, wenn Taichis Wille, wieder trocken zu werden, durch deine Abstinenz geweckt werden würde, aber das allein reicht nicht, um die Sucht zu überwinden.“ „Ich kann also nichts tun, außer ihm beim Sterben zusehen?“ Meine Beine tragen mich nicht mehr und ich sacke leicht in mich zusammen, doch meinem Freier gelingt es, mich einigermaßen aufrecht zu halten. „Ganz ruhig, mein Kleiner. Das habe ich nicht gesagt. Im Übrigen könnte dein Freund dasselbe über dich und deinen Zustand sagen. Vermutlich fühlt er genau wie du. Was ich dir eigentlich vermitteln will, ist, dass du nichts überstürzen sollst. Momentan solltest du nur an deinen bevorstehenden Entzug und die folgende Therapie denken. Logischerweise kannst du Taichi eher helfen, wenn du selbst gekräftigt und stabil bist.“ „Verstehe“, sage ich leise. Ohne ihn loszulassen, löse ich mich etwas von ihm und schaue meinem Freier direkt in die Augen. „Das bedeutet allerdings, ich verliere Sie zwangsläufig irgendwann. Für Sie ist das in Ordnung?“ Ein mildes, aber freudloses Lächeln zeichnet sich auf den Lippen meines Gegenübers ab. „Natürlich nicht. Am liebsten würde ich dich niemals gehenlassen. Doch ich zwinge dich nicht zu Dingen, die du nicht willst. Deine Entscheidung kann ich zudem durchaus nachvollziehen. Taichi ist wirklich süß.“ „Ja, und er gehört mir“, entgegne ich finster. Mein Freier lacht und küsst mich innig. „Keine Sorge, ich nehme ihn dir nicht weg. Du weißt, dass ich nur dich will.“ Mit seiner Hand gleitet er unter mein Hemd und streicht begierig über meine nackte Haut. „Wollen wir es hier im Flur tun?“, frage ich erregt. Kurz flackert eine Erinnerung an Akito in mir auf. Damals hatte ich an fast derselben Stelle Sex mit ihm und mein Vater erwischte uns. „Ich habe nichts dagegen.“ An meinem Ohr spüre ich den heißen Atem meines Freiers, meine Atmung beschleunigt sich, als er in meine Hose greift. „Danach gibst du mir deine restlichen Drogenvorräte, auch die Tabletten. Deine Psychopharmaka teile ich dir zu.“ „Ja“, keuche ich. „Darf ich zuvor noch einen kurzen Herointrip…“ „Nein, wir fangen jetzt sofort mit dem Entzug an.“ Nun schiebt er meine Hose ein Stück nach unten und dringt mit zwei Fingern von hinten in mich ein, während er mir weiter einen runterholt. „Dann versprechen Sie mir eines.“ Mein Keuchen wandelt sich in lustvolles Stöhnen, als mein Freier die Anzahl seiner Finger in mir von zwei auf drei und dann auf vier erhöht. „Ficken Sie mich… wenn ich entziehe. Ich will Sie in mir spüren… wenn ich Schmerzen habe… und im Delirium.“ „Yamato, dein Freund verbot mir genau dies zu tun.“ „Es ist mein Körper, oder?“ Beinahe ekstatisch kralle ich mich im Hemd meines Freiers fest und werfe meinen Kopf schwer atmend in den Nacken. „Du bist unverbesserlich, mein süßer Schatz.“ Er gibt mir einen leidenschaftlichen Kuss, dann sinken wir zu Boden. Kapitel 30: ------------ Mit gemischten Gefühlen packe ich einige meiner Sachen in eine Tasche und schaue mich dann noch einmal im Zimmer um. Gestern bekam ich einen Anruf aus der Klinik, dass ich bereits morgen mit meiner Therapie anfangen kann, da eher ein Platz frei wurde. Nun kann ich nicht einmal zum Unibeginn anwesend sein. Mein Blick bleibt an Taichi haften, der auf meinem Bett sitzt und mich ebenfalls ansieht. „Du hast Angst, oder?“, fragt er mitfühlend. Aus eigener Erfahrung weiß er, was es bedeutet, sich stationär behandeln zu lassen. Zumindest psychische Krankheiten betreffend. Ich wende mich von ihm ab und verlasse mein Zimmer, ohne Tai zu antworten. Mein Kopf schmerzt, weshalb ich in die Küche gehe, um Kaffee zu kochen. Auf Tabletten kann ich derzeit nicht zurückgreifen, da mein Freier, als er vor ein paar Tagen nach Hause ging, alle Suchtmittel mit sich nahm, und bisher konnte ich mich im Bezug auf Neubeschaffungen unter Kontrolle halten. Der Entzug war schlimmer als erwartet, weshalb ich auf eine Wiederholung gern verzichte. Noch nie hatte ich derart starke Schmerzen, die mich mehr als sonst wünschen ließen zu sterben. Wäre mein Freier nicht gewesen, der meinen krampfenden Körper in den extremen Phasen fest umklammert hielt, hätte ich mir im Affekt womöglich wirklich das Leben genommen. Ich war vollkommen unzurechnungsfähig, kaum ansprechbar und meine Erinnerungen sind sehr lückenhaft. Nicht einmal, ob mein Freier während dieser Zeit mit mir geschlafen hat, kann ich mit Sicherheit sagen. Viele Geschehnisse wirkten auf mich völlig irreal. Ich weiß nicht, was im Delirium geschah und was wirklich passierte. Auf meine Nachfrage lächelt mein Freier jedoch nur und schweigt ansonsten zu dem Thema. Als die ersten Entzugserscheinungen auftraten, warnte er mich noch einmal, dass ein kalter Entzug äußerst hart wäre und gefährlich werden könne, dass es in der Klinik anders abliefe, etwas weniger schmerzhaft, aber vor allem geschützt wäre. So, wie mein Freier darüber sprach, klang es, als hätte er eigene Erfahrungen auf diesem Gebiet. Für mich jedenfalls blieb von Anfang an nur die Option des kalten Entzugs. Ich hoffe nicht wieder rückfällig zu werden und diese Tortur noch einmal durchleben zu müssen. Das letzte Heroin spritzte ich mir vor fünfzehn Tagen, beim Konsum von GHB sowie Schlaf- und Schmerzmitteln sind es noch ein paar Tage mehr. Verlangen nach all diesen Substanzen verspüre ich trotzdem sehr stark. „Yamato“, spricht mein Freund mich an, als er in die Küche kommt. Er setzt sich mir gegenüber an den Tisch, auf den Platz meines Vaters. „Möchtest du auch Kaffee? Oder soll ich dir lieber eine Flasche Whiskey holen?“, frage ich bissig, stehe auf und nehme zwei Tassen aus dem Schrank. Meine Worte tun mir bereits leid, trotzdem kann ich nicht verhindern, dass sich meine Sorge in Vorwürfen und gemeinen, teils unsachlichen Bemerkungen äußert. Ich hasse mich dafür, mein Fühlen, Denken und Handeln nicht in Einklang bringen zu können, wenn die Stimmen in mir durcheinanderschreien, der Körper jedoch völlig anders agiert, unkontrolliert, aber auf irreale Art bei Bewusstsein. Seit ich keine Drogen mehr nehme, kommt es mir so vor, als wären die Dissoziationen wieder schlimmer geworden. Vielleicht überlagerten sie sich aber auch lediglich mit dem Rausch. Ich fülle die Tassen mit Kaffee und stelle beide auf den Tisch. Dann setze ich mich wieder und trinke vorsichtig einen Schluck. „Versuchst du überhaupt vom Alkohol loszukommen? Permanent riechst du danach und deine Augen haben einen ganz anderen Ausdruck bekommen. Sie wirken müde, gleichgültig, als hättest du aufgegeben. Warum unternehmen deine Eltern nichts?“ Mein Freund klammert sich an seine Tasse, als hätte er Angst, sonst den Halt zu verlieren. Ich frage mich, ob er die Hitze an den Händen nicht spürt oder ob er den Schmerz gerade braucht. „Sie drohten mir bereits mehrfach mit einer erneuten Einweisung. Dummerweise ist es sinnlos, wenn ich nicht bereit bin zu entziehen. Vermutlich haben sie ihre Machtlosigkeit inzwischen eingesehen, denn seit einiger Zeit sagen sie nichts mehr. Außerdem hielt ich ihnen den Spiegel vor, zumindest meinem Vater.“ Mit Tränen in den Augen betrachte ich meinen Freund. Durch die Drogen bekam ich nie richtig mit, wie krank Taichi eigentlich ist. Nicht nur sein Körper hat unglaublich abgebaut, sein ganzes Wesen ist kaum wiederzuerkennen. „Du hast dich verändert. Nein, der Alkohol hat dich verändert. Merkst du das nicht?“ Tai trinkt etwas von seinem Kaffee, wobei er mich fixiert. „Wie geht es dir jetzt, Yamato? Es ist ein Scheißgefühl, wenn man hilflos zusehen muss, wie der Mensch, den man liebt, sich selbst zugrunde richtet, nicht wahr?“ Fassungslos starre ich ihn an. „Was soll der Unsinn? Das ist kein Spiel, Taichi! Wenn du mich verletzen willst, dann auf eine Weise, die dich nicht umbringt! Warum gehst du so weit, verdammt! Ich habe den Entzug gemacht, bin clean und ab morgen in stationärer Behandlung. Findest du nicht, dass jetzt du an der Reihe bist, dir helfen zu lassen?“ Mein Freund senkt seinen Blick und starrt schweigend in seine Tasse. „Du fragtest mich, ob Drogen und Sex mit anderen Männern mir mehr wert wären als du. Wie sieht es bei dir aus? Ist dir der Alkohol mehr wert als ich?“ Wieder bekomme ich keine Antwort. Genervt trinke ich den Rest meines Kaffees und verlasse wortlos die Küche. Tränen laufen über meine Wangen, als ich mein Zimmer betrete und mir am geöffneten Fenster zitternd eine Zigarette anzünde. „Shit!“, fluche ich leise. Unruhig nehme ich einige tiefe Züge, um mein Verlangen nach härteren Drogen zu mindern. Ich kann keine Therapie beginnen, wenn ich Taichi in seinem jetzigen Zustand allein lassen muss. Heftig weinend rutsche ich an der Wand hinab, an der ich lehne. „Yama… ich….“ Behutsam legt mein Freund seine Hand auf meine Schulter. Ich hebe meinen Kopf, um ihn anzusehen, und bemerke sofort seinen stark alkoholverseuchten Atem. Wütend stoße ich ihn von mir. „Geh!“, schreie ich ihn an. „Ich…“ Meine Stimme versagt. Liebevoll nimmt Taichi mich in den Arm und streichelt beruhigend durch meine Haare. „Morgen früh brauchst du mich nicht zur Klinik zu begleiten“, sage ich nach einem kurzen Moment tonlos. „Willst du allein gehen?“ „Nein“, antworte ich kühl. „Also fährt dich dieser widerliche Kinderficker.“ Die Aussage meines Freundes ist herablassend und voller Hass. Ich löse mich aus der Umarmung, werfe die fast heruntergebrannte Zigarette aus dem Fenster und zünde mir eine neue an. Dann drehe ich Tai den Rücken zu und schaue nach draußen. „Ja. Er gibt mir Stabilität, Sicherheit und Zuneigung. Ich brauche ihn und seine Nähe.“ Mein Körper verkrampft und meine Kehle zieht sich schmerzhaft zusammen, als ich höre, wie mein Freund aufsteht und ohne ein Wort zu sagen das Zimmer verlässt. Ich sprach absichtlich auf meinen Freier an, um Tais Reaktion zu testen. Er scheint zwar noch eifersüchtig zu sein, gibt ansonsten aber auf und flüchtet lieber mithilfe des Alkohols in die Emotionslosigkeit. Erfüllt von Selbsthass schlage ich auf die Wand ein, solange, bis meine Hand blutig, geschwollen und taub ist, anschließend sinke ich zitternd und weinend zu Boden. Die Zigarette werfe ich aus dem Fenster, bevor ich endgültig zusammenbreche. Mein Kopf dröhnt, mir ist schwindelig und mein Körper wie gelähmt. Ich will nach Taichi rufen, bringe jedoch keinen Ton über meine Lippen. Wahrscheinlich würde er in seinem Alkoholrausch ohnehin nichts mehr mitbekommen. „Wie geht es dir?“, fragt mein Freier sorgenvoll und nimmt mich fest in den Arm. „Gehen wir in den Besucherraum“, schlage ich vor, statt zu antworten. Langsam laufen wir den Gang entlang, wobei ich die Hand meines Freiers nicht loslasse. Glücklicherweise ist der Raum leer. Ich schalte die Lampe außen über der Tür ein, die als Besetztzeichen fungiert, um ungestört zu sein. Wir nehmen auf dem Sofa Platz und ich lehne mich liebebedürftig bei meinem Freier an. „Taichi war heute wieder nicht hier, hab ich recht?“ „Nein.“ Inzwischen bin ich seit knapp einem Monat in stationärer Behandlung, doch mein Freund besuchte mich bisher kein einziges Mal, wohingegen mein Freier sogar seinen Terminplan nach meinen Besuchszeiten richtet. Dafür bin ich ihm unglaublich dankbar, denn ohne ihn hätte ich bereits aufgegeben und die Therapie abgebrochen. Ich telefoniere zwar hin und wieder mit meinem Vater, aber dadurch verstärkt sich meine Sehnsucht eher, als dass es mir Kraft und Motivation zum Durchhalten gibt. Unerwartet dreht mein Freier meinen Kopf in seine Richtung und küsst sanft meine Lippen. „Du machst dir Sorgen um ihn, nicht wahr?“, fragt er leise und versucht mir durch seine Nähe Halt zu geben. Resigniert schmiege ich mich an ihn, mein Blick verläuft sich im Nichts. „Vorhin rief ich bei ihm zu Hause an. Ich wollte wenigstens seine Stimme kurz hören, aber seine Mutter ging ans Telefon. Zunächst wollte sie mir nichts sagen, fing dann aber zu weinen an und setzte mich darüber in Kenntnis, dass Tai in den letzten Wochen zweimal wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus war. Er soll oft unterwegs sein, nur noch selten nach Hause kommen und auf Anfragen über seinen Verbleib oder sein Tun nicht reagieren.“ Mit einem Flehen schaue ich meinen Freier an. „Bitte, ich muss hier raus! Das alles bringt doch ohnehin nichts!“ „Yamato, beruhige dich! Nach so wenigen Wochen kannst du über Erfolg oder Misserfolg noch gar nicht urteilen. Wirf das bisher Erreichte nicht so leichtsinnig weg.“ Ein spöttisches Lachen entweicht meiner Kehle. „Erreicht? Was habe ich denn erreicht, außer meinen Freund in den Tod zu treiben?“ Mich selbst verachtend balle ich meine Hände auf meinen Oberschenkeln schmerzhaft stark zu Fäusten und versuche meine Tränen zu unterdrücken. „Das ist Unsinn. Taichi ist alt genug, um sich für sein Verhalten selbst zu verantworten. Du bist der Meinung, schuld an seiner Alkoholabhängigkeit zu sein, dabei ist es seine Entscheidung, zur Flasche zu greifen, statt eine andere Art der Kompensation zu wählen.“ Ich werde von einem heftigen Weinkrampf erfasst, der mich daran hindert, zu antworten. Beruhigend streichelt mir mein Freier über den Rücken. „Hör mal, Yamato. Es bringt niemandem etwas, wenn du die Therapie jetzt abbrichst. Damit hilfst du weder deinem Freund noch dir selbst.“ „Aber er stirbt! Taichi stirbt! Der Alkohol tötet ihn!“, schreie ich hysterisch. Mit einem sehr intensiven Kuss bringt mein Freier mich zum Schweigen. Anfangs wehre ich mich, lasse das Zungenspiel letztlich aber doch zu, da ich weiß, dass es seine Art ist, mich wieder zur Vernunft zu bringen. „Ich verstehe deine Angst, aber manchmal ist es besser, rational zu bleiben und sich nicht von seinen Gefühlen zu überstürzten, eventuell sogar kontraproduktiven Handlungen verleiten zu lassen.“ Er streicht mir einige Haarsträhnen hinter die Ohren und küsst mich erneut. „Bitte vergiss dich selbst nicht. So hart es klingt, aber du hast genug eigene Probleme, die es zu bewältigen gilt.“ „Tai ist mir wichtiger.“ „Ich weiß. Nur, glaubst du wirklich, dass er für deinen Tod verantwortlich sein möchte? Yamato, ihr müsst es endlich schaffen, aus diesem verfluchten Teufelskreis auszubrechen, sonst bringt ihr euch irgendwann gegenseitig den Tod.“ Nachdenklich verharre ich in den Armen meines Freiers und schließe meine Augen. „Also gut. Ich beende die Therapie“, lenke ich mit einem unguten Gefühl ein. „Danke. Wie läuft es eigentlich? Hast du deiner behandelnden Psychologin inzwischen von der Vergewaltigung erzählt?“ „Nein, aber das ist auch nicht notwendig. So schlimm war es nicht.“ Demonstrativ legt mein Freier seine Hand auf meinen Oberschenkel und streicht über die Innenseite entlang nach oben. „Als ich dich das letzte Mal im Heroinrausch genommen habe, bist du wegen der Erinnerung an den Missbrauch weinend zusammengebrochen. Du wolltest nicht einmal angefasst werden.“ „Daran erinnere ich mich nicht“, lüge ich meinen Freier unbeabsichtigt an. Seine Hand ruht zwischen meinen Beinen. „Aber wenn es so war, tut es mir leid, denn ich schlafe wirklich gern mit Ihnen.“ „Dir muss nichts leidtun. Was dieses Arschloch mit dir gemacht hat, ist nicht deine Schuld, versteh das endlich!“ Ich schweige. Seufzend umfasst mein Freier meine Taille. Mit einem Lächeln reagiere ich darauf, setze mich mit gespreizten Beinen auf seinen Schoß und verwickle ihn in einen langen, sinnlichen Kuss. „Ich finde Sie unglaublich süß, wenn Sie versuchen mich zu erziehen.“ Verführerisch lecke ich an seinem Ohr entlang, während ich gleichzeitig den Knopf seiner Hose löse. Entschlossen hält mein Freier mich am Handgelenk fest. „Nein, Yamato. Nicht jetzt und vor allem nicht hier. Warum willst du immer mit Sex von deinen Problemen ablenken?“ „Verdammt, ich habe es einfach nur nötig!“ Wütend rutsche ich von meinem Freier herunter und laufe nervös durch das Besucherzimmer. „Seit ich hier bin, hatte ich keinen Sex mehr. Ich habe es satt, immer nur Hand an mich legen zu müssen“, schreie ich laut durch den Raum. „Das alles hier… ich ertrage es nicht mehr. Überall Regeln, Verbote, Bestrafungen und wofür? Wofür, frage ich dich?“, richte ich meine Verzweiflung direkt auf meinen Freier. Der steht auf und zieht meinen zitternden Körper in seine Arme. Kraftlos lasse ich es geschehen. „Heroin“, hauche ich. „Oder GHB… bitte… irgendwas… damit ich das hier überstehe und Taichi vergesse.“ „Es tut mir leid, Yamato“, erwidert mein Freier unter Tränen und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Erschöpft und außer Atem vom Steigen der Treppenstufen drehe ich den Schlüssel im Schloss. Kurz stutze ich, denn die Tür ist nicht verschlossen. Am Morgen meines Therapiebeginns schlief Taichi noch, als ich mich auf den Weg machte. Vermutlich war er wieder alkoholisiert und ging ohne abzuschließen. Mit Betreten der Wohnung lasse ich meine Tasche achtlos im Flur stehen und gehe rasch in die Küche. Dort fülle ich ein Glas mit Wasser und leere den Inhalt der Plastiktüte, welche ich noch immer in der Hand halte, auf dem Tisch aus. Fahrig drücke ich einige Schmerz- und Schlafmittel aus ihren Blisterverpackungen und schlucke sie mit etwas Flüssigkeit herunter. Dann setze ich Kaffee auf, ziehe meine Schuhe sowie Jacke aus und nehme meine Tasche, um sie in mein Zimmer zu bringen. Vor der Tür bleibe ich verwundert stehen, da ich mir einbilde Musik zu hören. Ist Tai da? Kommt er etwa hierher, wenn seine Mutter nicht weiß, wo er sich aufhält? Warum? Will er allein sein, damit er ungestört trinken kann? Beim Öffnen der Tür überkommt mich die Angst, in welchem Zustand ich meinen Freund vorfinden werde. Ich erstarre und lasse meine Tasche fallen, als ich sehen muss, wie er in meinem Bett eine blonde Frau von hinten nimmt. Bei dem Anblick wird mir ebenso schlecht wie von dem Gestank in meinem Zimmer, einem Gemisch aus Alkohol und Parfüm. „Yamato…“, sagt Tai eher überrascht als erschreckt. Anhand seines Gesichtsausdrucks sehe ich, dass er betrunken ist. Er lässt von dem Mädchen ab, welches mich völlig irritiert mustert. Wie versteinert stehe ich an der Tür, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Auch fühle ich nichts, weder Hass, Wut noch Traurigkeit oder Eifersucht. Trotzdem laufen Tränen meine Wangen hinab. „Taichi, wer ist das?“, durchbricht das Mädchen plötzlich die unangenehme Stille. Dieser sieht mich unverwandt an. „Mein Freund.“ „Was…“, hakt sie nach, wird von Tai allerdings unterbrochen. „Ich liebe ihn. Du bist lediglich ein Ersatz.“ „Und ich glaube, du hast zu viel getrunken, mein Süßer“, erwidert sie lachend und berührt meinen Freund am Arm. „Geh“, befiehlt er ihr kalt, ohne seinen Blick von mir abzuwenden. Das Mädchen schaut mich abfällig an, als gäbe sie mir die Schuld an Taichis Verhalten. Als sie merkt, dass ich nicht reagiere und auch Tai nicht weiter auf sie eingeht, steht sie auf, zieht sich an und nimmt ihre Tasche, ohne sich von meinem Freund zu verabschieden. „Verrecke, du dreckige Schwuchtel!“, zischt sie mir hasserfüllt zu, während sie an mir vorbeigeht, um das Zimmer und die Wohnung zu verlassen. Noch immer stehe ich unbewegt da und noch immer sieht Taichi mich an. Nach einer Weile erhebt er sich von meinem Bett und kommt unsicheren Schrittes auf mich zu. Dicht vor mir bleibt er stehen, streicht liebevoll über meine Wange und küsst die Tränen von meiner Haut. Ein starker Alkoholgeruch steigt mir in die Nase. Ich schließe meine Augen und lasse seine Berührungen unbeteiligt zu. Allmählich spüre ich die Wirkung der Tabletten. Mir wird schwindelig, schlecht und es fällt mir schwer, aufrecht zu stehen. Leicht benommen öffne ich meine Augen wieder und sehe, wie die Realität verschwimmt. Die Farben sind wesentlich greller, die Formen verändern sich, alles wirkt grotesk und die Geräusche entfernen sich langsam. Ich versuche Tai zu fixieren, bekomme ihn aber nicht zu fassen. Er ist ungreifbar, ich erkenne ihn kaum. Allmählich verliere ich die Kontrolle über meinen Körper, gerate ins Wanken und letztlich aus dem Gleichgewicht. Als ich zu Boden falle, fühle ich keinen Schmerz. Am Rande meiner Wahrnehmung merke ich, dass mein Freund mich in den Arm nimmt und auf mich einredet, doch ich verstehe nicht, was er sagt. Dann wird alles dunkel. Schlaftrunken öffne ich meine Augen. Sie schmerzen stark und mein Kopf droht fast zu zerspringen. Es ist dunkel, sodass ich einen Moment brauche, um mich zu orientieren. Bedächtig setze ich mich auf und erkenne endlich, dass ich in meinem Bett zu Hause, und nicht in der Klinik, liege. Angestrengt versuche ich mir ins Gedächtnis zu rufen, was geschehen ist. Ich hatte Tabletten geschluckt, offenbar in einer Menge, die in der Bewusstlosigkeit endete. Schwerfällig stehe ich auf und schleppe mich über den Flur in die Küche. Ich brauche Schmerzmittel, sonst kann ich keinen klaren Gedanken fassen. Verwirrt blicke ich auf den Küchentisch. Dort steht lediglich ein zur Hälfte mit Wasser gefülltes Glas. Ich werde leicht panisch und schaue mich im Raum um. Der Kaffee in der Kanne, den ich vorhin aufgesetzt hatte, dürfte inzwischen kalt sein. „Suchst du deine Tabletten?“ Erschreckt zucke ich zusammen und drehe mich rasch um. Taichi steht an den Türrahmen gelehnt und betrachtet mich ernst. „Ich habe mich der wenigen Tabletten, die du übriggelassen hast, angenommen. Für deine Therapie ist dieser Rückfall nicht gerade förderlich, oder?“ Sein Tonfall klingt eher besorgt als vorwurfsvoll. „Wie lange hast du Ausgang?“ „Ich gehe nicht zurück in die Klinik. Die Therapie habe ich abgebrochen“, entgegne ich, während ich aus dem Schrank eine Tasse nehme und mit Kaffee fülle. Anschließend setze ich mich an den Tisch. „Hältst du es nicht mehr aus?“, fragt Tai, der mich die ganze Zeit beobachtete. „Nein.“ Begierig trinke ich einen Schluck des koffeinhaltigen Getränkes, in der Hoffnung, meine Kopfschmerzen etwas lindern zu können. „Außerdem bringt es nichts, wenn ich nicht bereit bin mich darauf einzulassen.“ Schweigend sehen wir uns an. „Taichi, du meintest vorhin, du würdest mich lieben. Warum hast du mich nicht einmal in der Klinik besucht?“ „Ich wollte, aber sie ließen mich nicht zu dir, weil ich… alkoholisiert war.“ Er weicht meinem Blick aus. „Deine Mutter erzählte mir von deinen Krankenhausaufenthalten aufgrund von Alkoholvergiftungen. Wegen meines Drogenkonsums habe ich nicht das Recht, dir Vorhaltungen zu machen, dennoch habe ich Angst, dich an den Alkohol zu verlieren, falls das nicht schon längst geschehen ist.“ Ohne etwas darauf zu antworten, kommt mein Freund auf mich zu und nimmt mich in den Arm. „Fass mich nicht an!“, schreie ich und stoße ihn derb von mir. „Du stinkst noch immer nach dieser Frau!“ Tai scheint durch meinen plötzlichen Gefühlsausbruch ernüchtert, denn er bleibt auf Abstand und sieht nur bestürzt zu mir hinab. „Geh duschen und wasch dir den Gestank von der Haut, erst dann lasse ich dich wieder an mich ran. Wie viele Frauen hast du eigentlich in der Zeit, in der ich weg war, gevögelt? Jeden Tag eine andere? Oder war es immer dieselbe?“ „Yamato…“ „Hör auf mich so anzusehen. Los, sag schon. Ich will es wissen.“ „Mal war es dieselbe, mal eine andere. Was spielt das für eine Rolle? Letztlich waren sie alle nur ein Ersatz für dich. Oder glaubst du, die optische Ähnlichkeit der Frauen zu dir ist zufällig?“ Ziemlich sprachlos greife ich nach meiner Tasse und leere sie in einem Zug. Dann stehe ich auf und gehe zur Kaffeemaschine, da in der Kanne noch ein letzter Rest Kaffee übrig ist. „Heißt das, du suchst dir gezielt blonde Mädchen mit schulterlangen Haaren und ähnlicher Statur aus, nimmst sie von hinten und stellst dir dabei vor, mich zu vögeln?“ Betreten senkt mein Freund seinen Blick. „Das ist pervers, Taichi.“ „Aber wenn du mit fremden Männern Sex hast, ist das in Ordnung“, entgegnet er leicht ungehalten. „Nein. Ich allerdings will dich damit nicht verletzen. Es geht allein um Selbstverletzung.“ „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie sehr du mir wehtust, wenn du dich einem anderen hingibst? Warum benutzt du nicht mich für deinen Selbsthass?“ „Weil ich mich in dieser Beziehung an dir nicht verletzen kann. Ich habe keine Schuldgefühle, wenn ich mit dir schlafe. Ich fühle mich nicht dreckig und minderwertig, wenn ich von dir berührt und genommen werde.“ Tai kommt ein paar Schritte auf mich zu und schlingt von hinten seine Arme um meine Taille. „Du kleiner, verdammter Lügner“, säuselt er in mein Ohr. „Als würdest du dich nicht auch zu deinem Vergnügen ficken lassen. Zumindest von deinem Vater und vermutlich auch von diesem pädophilen Wichser, hab ich recht?“ „Sagte ich nicht, du sollst mich nicht anfassen?“ Als ich mich zu wehren versuche, dreht mein Freund meinen Körper zu sich herum und stößt mich kraftvoll gegen den Kühlschrank. Schmerzhaft stark packt er mich an den Handgelenken, um eine Flucht meinerseits zu verhindern. „Ich fasse dich an, wann, auf welche Weise und so oft ich will. Und jetzt will ich dich ficken. Warum zierst du dich so? Als Stricher bist du es doch gewohnt, auf Kommando die Beine breit zu machen, oder?“ Panik kommt in mir auf. Ich befinde mich wieder im Geräteraum der Turnhalle, das widerliche Grinsen, sein Geruch, das Gefühl seiner Bewegungen in mir, der Geschmack seines Spermas, meine Wehrlosigkeit. „Bitte lass mich los… ich will nicht…“, hauche ich angsterfüllt. „Ich weiß, dass du es willst. Und jetzt halt still!“ Reglos und völlig abwesend sitze ich auf den kalten Fliesen, an die Wanne gelehnt, im Badezimmer. Warmes Blut läuft in Rinnsalen meinen Arm hinab, doch ich nehme es kaum wahr. Legte Tai es vorhin darauf an, mich eines Besseren zu belehren? Als er mich in der Küche mit harten Stößen von hinten nahm, fühlte ich mich ekelhaft und dreckig. Nur war es nicht Taichi, der sich schmerzhaft in mir bewegte, sondern der Sportlehrer. Wie damals ließ meine Gegenwehr schnell nach und ich ergab mich der peinvollen Entwürdigung. Ich war nicht mehr in der Lage, Realität von Dissoziation zu unterscheiden. Der Sex war rücksichtslos, aber auf eine andere Art, als ich es von meinem Freund normalerweise gewohnt bin. Er zeigte keinerlei Emotionen, es fehlte jegliches Gefühl. Erinnerungen an früher wurden in mir wach. Damals war der Sex genauso kalt und bedeutete nichts, doch heute kann ich zugeben, dass wir uns etwas vormachten und uns selbst verleugneten. Trotzdem stimmt die Aussage des Sportlehrers bezüglich meiner Daseinsberechtigung, wie Taichi vorhin bestätigte. Ich muss gevögelt und erniedrigt werden, zu etwas anderem bin ich nicht nütze. Nachdem er schließlich genug hatte, ließ Tai von mir ab. Sofort brach ich zitternd zusammen, mein Freund würdigte mich keines Blickes und ging, ohne ein weiteres Wort an mich zu verschwenden. Es dauerte lange, bis es mir gelang, mich ins Bad zu schleppen. Ich hoffte, durch das Schneiden etwas empfinden zu können, doch mein Körper ist nach wie vor taub und ich fühle mich leer. Entfernt nehme ich wahr, dass die Wohnungstür ins Schloss fällt und jemand durch den Flur poltert. Wankend kommt Taichi ins Badezimmer. Er ist völlig betrunken, in den Händen hält er drei Flaschen Whiskey, von denen eine bereits zu zwei Dritteln geleert ist. Offenbar verließ er die Wohnung nur, um weiteren Alkohol zu beschaffen. „Warum“, fragt er undeutlich und zeigt auf meinen Arm. Ich antworte nicht. „Gefiel dir nicht, was ich mit dir gemacht habe?“, spricht er lallend weiter. „Dabei habe ich es dir doch ordentlich besorgt.“ Er stolpert auf mich zu, stellt die Flaschen ab, wobei die fast geleerte umfällt, und packt mich grob am Arm. „War dir das etwa nicht genug, du billiges Flittchen?“ „Selbst wenn, so besoffen wie du bist, würdest du ohnehin keinen mehr hochbekommen, um mich ausreichend zu befriedigen. Und jetzt lass mich los, verdammt!“ Wütend funkle ich meinen Freund an. Wider Erwarten lässt er mich tatsächlich los und trinkt stattdessen die angefangene Whiskeyflasche in einem Zug aus. „Idiot! Willst du dich ins Koma saufen?“ „Was kümmert es dich? Komm, mach schön die Beine breit und öffne deinen hübschen Mund nur, um meinem Schwanz zu lutschen. Etwas anderes kannst du ohnehin nicht, mein Liebling.“ Lüstern beugt sich Tai zu mir hinab, greift mit einer Hand in meinen Schritt und versucht mit der anderen mich in eine liegende Position zu drücken. Kraftvoll schlage ich ihm meine Faust ins Gesicht. Mein Freund ist unvorbereitet, aufgrund seiner starken Alkoholisierung verliert er das Gleichgewicht und fällt unsanft zu Boden, wobei er die Flaschen umwirft und eine der ungeöffneten zu Bruch geht. „Also gut, du hast es nicht anders gewollt, Taichi.“ Mühsam erhebe ich mich und verlasse das Bad. Im Flur nehme ich meinen Wohnungsschlüssel sowie den meines Freundes von der Kommode, schließe von innen ab und verstaue beide Bunde in meinen Hosentaschen. Mit fragendem Blick krabbelt Tai auf mich zu, in der Hand die einzig verbliebene volle Flasche Whiskey. „Was wird das? Wieso…“ Energisch laufe ich auf meinen Freund zu, entreiße ihm den Alkohol, suche erneut das Bad auf und zerschmettere ungehalten das Glas auf den Fliesen. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit verteilt sich auf dem Boden, vermischt sich mit dem Inhalt der anderen Flasche und meinem Blut. Der Geruch im Raum ist beißend. Ich drehe mich um und blicke Taichi entschlossen an. „Diese Wohnung wirst du in nächster Zeit nicht verlassen. Ich mache mit dir den kalten Entzug.“ „Du sperrst mich ein?“ Mein Freund benötigt einige Versuche, um sich zu erheben, schafft es aber letztlich und steht auf unsicheren Beinen vor mir. „Lass mich raus!“, zischt er in drohendem Ton. Mit verzweifelter Wut drücke ich ihn brutal gegen die Wand, meinen verletzten, blutverklebten Unterarm an seine Kehle. „Nein. Und solltest du dich nicht fügen, schlage ich dich bewusstlos. Das meine ich ernst. Es reicht, Taichi. Ich werde dich nicht an den Alkohol verlieren.“ Mit Tränen in den Augen knie ich im Badezimmer auf dem Boden und sammle die Scherben der zerbrochenen Whiskeyflaschen auf. Anschließend fülle ich einen Eimer mit Wasser und Reinigungsmittel, um die Fliesen zu wischen. Dabei fällt mein Blick auf meinen Arm, welcher blutverkrustet ist. Aufgrund der Ereignisse vergaß ich die Wundversorgung vollkommen. Auch muss ich Taichis Eltern über seinen Verbleib in den nächsten Tagen informieren, doch ich befürchte, dass sie mit meinem Vorhaben nicht einverstanden sein werden und verlangen, dass ihr Sohn nach Hause kommt. Zwar bin ich mir selbst nicht sicher, ob ich es schaffe, den Entzug mit meinem Freund durchzuziehen, allerdings kann ich ihn vom Alkohol fernhalten, während er bei sich zu Hause durch die Sucht seines Vaters ständig damit konfrontiert und verleitet wird. Fortwährend verschwimmt meine Sicht und behindert mich beim Reinigen des Bodens, trotzdem gelingt es mir, die Tränen zurückzuhalten. Meine Kehle ist wie zugeschnürt und ich verspüre einen unangenehmen Schmerz beim Schlucken. Ich halte inne, betrachte die Glasscherben. Aus einem Impuls heraus nehme ich eines der größeren Stücke und mustere gebannt die Bruchkanten. Dann schaue ich zu der Rasierklinge, die noch immer neben der Badewanne liegt. Es wäre einfach, jetzt alles zu beenden. So einfach. Ich hätte es schon längst tun sollen. Für Taichi. Plötzlich ertönt die Türklingel, reißt mich aus meinen Gedanken und verhindert deren Umsetzung. Erschreckt lasse ich die Scherbe fallen. Ich stehe auf und laufe langsam, weiterhin in einem tranceähnlichen Zustand, durch den Flur und öffne die Tür. Sofort zieht mein Arm die Aufmerksamkeit meines Freiers auf sich, einen Moment später sucht dieser Augenkontakt. Ohne ein Wort zu sagen, betritt er die Wohnung, entledigt sich seiner Schuhe sowie Jacke und schiebt mich vorsichtig, aber bestimmt an den Schultern zurück ins Bad. Dort setzt er mich auf den Wannenrand. „Ist das Verbandsmaterial da drin?“ Mein Freier deutet auf das kleine Medizinschränkchen neben der Dusche. Ich nicke kaum merklich. Schweigend versorgt er die Wunden, dann schaut er sich im Raum um und wieder zu mir. „Was genau ist eigentlich passiert, Yamato? Am Telefon sagtest du nur, du brauchst Hilfe. Dabei klangst du ebenso apathisch, wie ich dich jetzt vorfinde. Komm, ich fahre dich zurück in die Klinik. Es ist eindeutig zu früh, dir Ausgang zu gewähren.“ „Das geht nicht“, murmle ich mit belegter Stimme. „Ich habe die Therapie abgebrochen.“ Seufzend setzt sich mein Freier neben mich auf den Wannenrand. „Erzähl mir bitte, was passiert ist.“ Er deutet auf den Wassereimer und den von mir errichteten Scherbenhaufen. Bei seinem Anblick legt sich ein Lächeln auf meine Lippen. Ein Symbol meiner Beziehung zu Taichi. Ich lache laut, zugleich kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie brennen auf meinen Wangen, als würde diese salzige Körperflüssigkeit meine Haut verätzen. Dennoch kann ich nicht aufhören zu weinen. Oder zu lachen. „Yamato.“ Mein Freier hockt sich vor mich und nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände. „Beruhige dich.“ Ich nehme seine Worte kaum wahr und reagiere auch nicht darauf. „Hörst du mich überhaupt?“ In der Hoffnung, mich zur Besinnung zu bringen, schüttelt er meinen Körper. Anstatt zu verstummen wird mein Lachen hysterischer. Verzweifelt schlägt er mir kräftig ins Gesicht, um mich in die Realität zurückzuholen. Voller Entsetzen schaue ich meinen Freier an und streiche mit meinen Fingern über die schmerzende Wange. „Yamato?“, fragt er vorsichtig. „Ja.“ Meine Antwort ist nicht mehr als ein Flüstern. Ich wende meinen Blick ab und schaue zu Boden. „Danke.“ Die Berührung meines Freiers ist nur flüchtig, dennoch zucke ich leicht zusammen. „Deine Haut ist stark gerötet. Tut es sehr weh?“ „Nein.“ Erneut schaut sich mein Gegenüber im Raum um. „Die zerbrochenen Whiskeyflaschen und der starke Alkoholgeruch lassen vermuten, dass es um deinen Freund geht, hab ich recht?“ „Taichi entgleitet jegliche Kontrolle über seinen Alkoholkonsum und somit über sich selbst.“ Trotz ruhiger Stimme ist ihr Vibrieren deutlich hörbar. „Er kam völlig betrunken in die Wohnung, woraufhin ich den Entschluss fasste, mit ihm einen kalten Entzug zu machen. Als ich die Wohnungstür verschloss und die Schlüssel an mich nahm, begriff Tai, dass ich es ernst meine und fing an mich auf unterstem Niveau zu beschimpfen. Ich ging nicht auf seine Beleidigungen ein, was ihn noch wütender machte und handgreiflich werden ließ. Ab diesem Moment verlor auch ich die Beherrschung und schlug ungehemmt auf ihn ein, bis er bewusstlos am Boden lag.“ Die Worte kommen über meine Lippen, als würde sie ein Fremder sagen, unbeteiligt, emotionslos. „Wo ist dein Freund jetzt?“ „Ich habe ihn in mein Bett gebracht.“ Mit festem Griff packt mich mein Freier am Arm und zieht mich hinter sich her zu meinem Zimmer. Er setzt sich auf die Bettkante, während ich neben ihm stehenbleibe, und streicht Taichi liebevoll durch die Haare, dann über die Wange. „War es wirklich nötig, ihn so zuzurichten, Yamato?“ Ich schaue meinen Freund nicht an, weiß aber, wie schlimm er aussieht, da ich seine Verletzungen, Platzwunden und Schwellungen, so gut es ging, behandelte. „Nein. Vermutlich nicht.“ Wütend balle ich meine Hände zusammen, grabe meine Fingernägel schmerzhaft stark in meine Handinnenflächen. „Kennst du den Grund, weshalb er sich derart betrunken hat? Weißt du, ob zuvor etwas vorgefallen ist?“ „Nein“, antworte ich steif. Erinnerungen an den erzwungenen Sex in der Küche drängen sich mir auf. „Hmm… ich glaube nicht, dass du es schaffst, mit ihm einen Entzug durchzuziehen. Du bist selbst zu labil und noch nicht lange genug clean.“ Ich meide den Blick meines Freiers. Meinen Rückfall in Form von Medikamentenmissbrauch verschweige ich lieber. „Wenn es mir nicht gelingt, Tai zu helfen, werde ich mit seinen Eltern sprechen und ihn durch sie zwangseinweisen lassen. Diesen Schritt würde ich uns allen jedoch gern ersparen. Aber ohne Sie schaffe ich es wirklich nicht.“ „Wenn du mich weiterhin hier festhältst, garantiere ich für nichts mehr“, spricht mein Freund die Drohung zum wiederholten Mal hasserfüllt aus. „Das Risiko gehe ich ein“, entgegne ich ruhig, während ich ohne aufzusehen Worte auf ein Blatt Papier vor mir schreibe. Seit ich Tai seiner Freiheit beraubte, um ihn zu einem kalten Entzug zu zwingen, sind fast zwei Tage vergangen. Seine Eltern waren erwartungsgemäß gegen mein Vorhaben, vermutlich auch, weil sie mir aufgrund vergangener Ereignisse noch immer misstrauen. Letztlich schaffte ich es, Tais Eltern zu überzeugen, nachdem ich sie mit dem Alkoholproblem des Vaters konfrontierte. Dabei musste ich entsetzt feststellen, dass sein Trinkverhalten von ihnen als normal eingestuft wird. Erst, als ich meine Geduld sowie jegliches Verständnis verlor, sogar in den Hörer schrie und ihnen Vorwürfe bezüglich ihrer Unverantwortlichkeit machte, begannen die Eltern meines Freundes nachdenklich zu werden und gaben schließlich meinem Willen nach. Ich hebe meinen Blick und beobachte Tai, wie er ziellos durch das Zimmer läuft, sich auf mein Sofa setzt, wieder aufsteht, um kurz darauf nervös auf dem Bett Platz zu nehmen. Der Entzug macht sich deutlich bemerkbar, er zittert stark und ist schweißnass. Seine Haut ist fahl, seine Haare fallen ihm strähnig ins Gesicht. „Yamato, bitte! Ich halte das nicht mehr aus!“ „Du musst, denn ich lasse dich nicht gehen.“ „Gib mir die verdammten Schlüssel!“ Taichis Tonfall wird energischer, aggressiver. „Nein“, erwidere ich bestimmt. Unvermittelt steht mein Freund auf und kommt schnellen Schrittes auf mich zu. Ich halte Blickkontakt, bis er mich stark gegen die Lehne des Stuhls presst, seine Hand fest an meiner Kehle. Bedächtig schließe ich meine Augen, woraufhin er den Druck noch verstärkt. „Ich frage dich noch einmal und rate dir zu antworten! Wo sind die Schlüssel?“ Er betont jedes einzelne Wort mit Nachdruck. Ein leichtes Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Nimm mir das Bewusstsein, besser noch das Leben, und suche sie.“ Taichi lässt mich los und sieht abschätzig zu mir herab. „Ich muss dich töten, um meine Freiheit wiederzuerlangen?“ „Ja“, stimme ich umgehend zu. „Aber was willst du mit deiner Freiheit, wenn ich dafür sterben muss? Oder bin ich dir inzwischen so egal geworden, dass du mich nicht mehr in deinem Leben brauchst?“ „Wenn ich deine Frage bestätige, was würdest du tun? Dich selbst umbringen?“ „Nein, nicht bei deinem momentanen Zustand. Dein Alkoholmissbrauch hat dich in einer Art verändert, die mir nicht gefällt. Ohne mich wirst du deine Sucht nie in den Griff bekommen.“ Tais lautes, spöttisches Lachen erfüllt den Raum. „Deine Arroganz ist beeindruckend, wenn man bedenkt, wessen Schuld die derzeitige Situation ist.“ „Es ist deine Schuld, Taichi“, begegne ich seinem Vorwurf kühl. „Du allein hast diesen Weg gewählt. Ich habe dich nie dazu aufgefordert, dich zu betrinken, geschweige denn gezwungen. Aber ich zwinge dich damit aufzuhören. Ich weiß, dass meine Maßnahmen wenig Aussicht auf Erfolg haben, weil du nichts ändern willst, trotzdem gebe ich dich nicht auf.“ Nun lächelt Tai mich sanft, aber mit einer unbeschreiblichen Traurigkeit in seinen Augen an. „Du kannst ja doch kämpfen, Yamato. Aber ich hasse es, dass du diese Kraft nur aufbringst, wenn es fast zu spät ist. Und dann ausschließlich für andere, nicht einmal für dich selbst. Den Hass gegen dich wirst du nie überwinden können, oder?“ Ich antworte nicht, sondern wende mich wieder zu meinem Schreibtisch und notiere einige Gedanken. „Kommt dieser Kinderficker heute wieder?“ „Nein. Er macht lediglich Besorgungen für uns, damit ich dich nicht allein in der Wohnung lassen muss. Ansonsten wirst du ihn nicht in deiner Gegenwart ertragen müssen.“ „Stimmt, gestern hat er es dir ordentlich auf dem Küchentisch besorgt“, wirft mein Freund beiläufig, aber hörbar feindselig, ein. Der Stift in meiner Hand hält mitten im Wort inne und ich starre regungslos auf das Blatt Papier. „Du dachtest, ich würde schlafen, nicht wahr?“ Tai streichelt sinnlich über meinen Nacken. „Warum lässt du dich immer wieder von diesem Typen vögeln? Ist der Sex mit ihm wirklich so gut, dass du nicht darauf verzichten willst.“ „Ich brauche ihn und die Art, wie er mich nimmt.“ „Auch auf die Gefahr hin, dass du mich verlierst?“ Von einem unangenehmen Gefühl beherrscht wende ich mich meinem Freund zu. „Nein.“ „Dann…“ „Deine Hand ist eiskalt“, unterbreche ich Tai absichtlich. „Und du siehst nicht gut aus.“ Besorgt stehe ich auf und fahre mit meinen Fingern durch seine feuchten Haare. Der fiebrige Blick meines Gegenübers verfinstert sich, lieblos stößt er mich gegen den Schreibtisch und drängt sich dicht an meinen Körper. Ich gleite mit meinen Händen haltlos über die Arbeitsfläche, zerknittere dabei das Papier, der Stift fällt zu Boden. „Was soll ich machen, damit du nur mir gehörst? Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, wie viele alte Säcke und perverse Schweine schon in dir waren. Sei ehrlich, hat der Sportlehrer dich wirklich vergewaltigt? Ich denke eher, dass er tatsächlich einer deiner Kunden war, du nach dem Job allerdings Angst vor möglichen Konsequenzen bekommen hast. Letztlich bist du eben nichts weiter als ein dreckiger, relativ anspruchsloser Stricher, der nahezu jeden ranlässt.“ Erschüttert weiten sich meine Augen, bevor meine Mimik ausdruckslos wird. „Du hast recht. Es war nur ein Job. Sonst nichts“, stimme ich meinem Freund teilnahmslos zu. „Wirst du deine Aussage vor Gericht revidieren? Der Termin ist doch bald, wenn ich mich nicht irre. Oder hältst du an deiner Lüge fest und belastest einen Unschuldigen?“ „Er ist nicht unschuldig. Und falls die anderen Betroffenen aussagen, ist seine Verurteilung ziemlich sicher. Deshalb hat meine Aussage ohnehin kaum Bedeutung.“ „Du bist immerhin für seine Verhaftung verantwortlich.“ Genervt versuche ich mich von Taichi zu befreien. „Was willst du eigentlich? Dir ist doch völlig egal, was mit diesem Mann passiert oder ob er ein Vergewaltiger ist.“ Leichte Panik steigt in mir auf, die ich erfolglos versuche zu unterdrücken. Ich will nicht mehr daran denken müssen. Meine Haut brennt an den von ihm berührten Stellen, Schmerz breitet sich in meinem Unterleib aus, Ekel überkommt mich und Übelkeit kriecht meine Kehle empor. „Geh. Fass mich nicht an“, murmle ich kaum hörbar. „Was?“ Mit seinen Fingern hebt Tai mein Kinn und zwingt mich ihn anzusehen. Ich bringe ihm ein liebloses Lächeln entgegen. „Geh duschen, das wird dir gut tun. Vielleicht bekommst du davon auch wieder einen klaren Kopf.“ Mein Freund mustert mich mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht zu deuten vermag. Ich spüre, dass sein Zittern sich noch verstärkt. Langsam nimmt er ein paar Schritte Abstand von mir. Stumm blicken wir einander an, suchen bei dem anderen hilflos nach Halt. Allerdings schweben zugleich unausgesprochene Vorwürfe im Raum sowie lähmende Angst und Traurigkeit. Zwischen uns bleiben so viele zahllose Worte, doch nach einem kurzen Augenblick dreht Taichi mir den Rücken zu und verlässt schweigend das Zimmer. Angespannt sitze ich am Küchentisch, eine Tasse heißen Kaffees mit meinen Händen umschließend, als es an der Wohnungstür klingelt. Erleichtert öffne ich und presse mich sofort an den Körper meines Freiers, bevor er überhaupt eintreten kann. Der legt seine Arme um mich, drängt mich behutsam zurück in den Flur und lässt die Tür leise ins Schloss fallen. Mit sanfter Gewalt drückt er mich mit dem Rücken gegen die Wand. Der Kuss ist innig, schmeckt aber salzig von meinen Tränen. „Du bist blass, mein Süßer“, haucht mein Freier auf meine Lippen und fährt mit seinem Daumen über meine deutlich sichtbaren Augenringe. „Was ist passiert? Wo ist Taichi?“, will er schließlich besorgt wissen. „In meinem Bett. Er fiebert etwas. Ich weiß nicht, ob es sich um eine Entzugserscheinung handelt oder ob sein Immunsystem zu geschwächt ist. Möchten Sie Kaffee?“ „Ja, danke“, antwortet mein Freier und setzt sich auf einen der Stühle. „Hast du seine Körpertemperatur gemessen?“ „Stündlich. Sie bleibt relativ konstant zwischen 39,3°C und 39,7°C. Vor etwa drei Stunden, als er die Temperatur von 39°C überschritt, verabreichte ich ihm ein Fiebermittel, welches jedoch kaum Wirkung zeigte.“ Ich stelle die Tasse vor meinen Freier auf den Tisch und nehme ihm gegenüber auf dem anderen Stuhl Platz. Schweigend trinken wir einen Schluck des inzwischen nur noch warmen, koffeinhaltigen Getränks. „Sollte das Fieber bis morgen nicht unter 39°C sinken, wäre es besser, einen Arzt zu konsultieren.“ Mit einem leichten Kopfnicken stimme ich ihm zu. „Wie verläuft der Entzug ansonsten?“ „Tai war wach und bekam mit, wie Sie mich vorgestern in der Küche nahmen. Die darauffolgende Auseinandersetzung verlief allerdings rein verbal, war ziemlich unterkühlt und schnell beendet. Später am Abend verlor er jedoch mehrfach wegen Kleinigkeiten die Beherrschung, wurde aggressiver und zunehmend gewalttätiger. Bisher gelang es mir, seine Tätlichkeiten abzuwehren und ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Trotzdem ist mir bewusst, dass Tai mir körperlich weit überlegen ist, auch wenn der Alkohol ihn mehr und mehr zerstört. Im Ernstfall hätte ich also kaum eine Chance.“ „Hast du Angst, dass es dazu kommt?“ „Natürlich.“ Betrübt trinke ich einen weiteren Schluck Kaffee. „Ich liebe ihn und möchte ihn nicht verlieren.“ „Denkst du, du kannst die Situation auch bei Eskalationen richtig einschätzen und entsprechend handeln? Ich meine, lässt du ihn im Notfall wirklich in die Psychiatrie einweisen? Bist du tatsächlich in der Lage, ihm etwas anzutun, wofür du ihn an seiner Stelle hassen würdest?“ „Ja“, antworte ich ohne zu zögern. „Aus eben genannten Gründen. Genau deshalb darf ich auch nicht nachsichtig sein und muss schon jetzt…“ Mitten im Satz verstumme ich und schaue verkrampft in meine Tasse. „Sprich weiter, Yamato“, fordert mein Gegenüber mich umgehend auf. Ich reagiere nicht darauf, bleibe reglos. „Soll ich dir einen Schuss setzen?“ Sofort hebe ich meinen Kopf und blicke meinem Freier in die Augen. „Was?“, frage ich vorsichtig, in der Hoffnung, mich nicht verhört zu haben. „Dein Verlangen nach Heroin ist unerträglich stark, oder?“ Nervös stehe ich auf und stelle meine Tasse in die Spüle. „Ich muss nach Taichi sehen.“ „Warte, Yamato!“, ruft mein Freier mir nach, doch ich ignoriere es. Im Flur holt er mich ein, hält mich am Handgelenk fest und zieht mich dicht an sich. „Du läufst weg und du belügst dich, mein kleiner Liebling“, flüstert er in mein Ohr. „Und ich bin mir sicher, dass du gleich zusammenbrechen wirst, da ich dich mit dir selbst konfrontiere.“ Resolut versuche ich mich von meinem Freier zu lösen, muss jedoch bestürzt feststellen, dass mir die Kraft fehlt, um gegen ihn anzukommen. „Da du keine Drogen hast, musst du exzessiver auf andere selbstschädigende Maßnahmen zurückgreifen, um die verschiedenen Probleme und Situationen bewältigen zu können, hab ich recht?“ „Nein, das stimmt nicht“, entgegne ich eher halbherzig. „Wann hast du die letzte Nahrung zu dir genommen? Als wir uns vor zwei Tagen sahen, hast du bereits das Essen verweigert und ich befürchte, daran hat sich nichts geändert.“ „Ich bin einfach nicht hungrig.“ „Die Problematik bezüglich deines Hungers war früher schon einmal Thema. Aber wie willst du deinem Freund helfen, wenn du dich selbst kaum auf den Beinen halten kannst? Zieh bitte dein Hemd aus.“ Seufzend löse ich die Knöpfe aus ihren Löchern und streife den Stoff von meinen Schultern. Mein Freier sieht sich aufgrund etlicher, überwiegend frischer Wunden, die meinen Oberkörper und den linken Arm zieren, bestätigt. „Erkennst du selbst nicht, was gerade passiert? Du bist mit Taichis Entzug völlig überfordert, zumal auch du noch psychisch von Drogen abhängig bist. Eure Schwierigkeiten sind dir zwar durchaus bewusst, du weißt, wann und auf welche Weise du handeln müsstest, verkraftest es aber nicht. Aus diesem Grund versuchst du kalt und gleichgültig zu werden beziehungsweise mechanisch zu handeln, um im Ernstfall nicht zu versagen.“ Starr blicke ich zu Boden. „Ich befolge Ihren Rat, streng und unnachgiebig zu sein“, sage ich beinahe trotzig. „Im Grunde ist das auch richtig, Yamato, aber du darfst dabei nicht deine Gefühle abtöten, sonst verlierst du jegliches Gespür für die Situation und verhältst dich unter Umständen unangemessen oder sogar kontraproduktiv.“ „Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll“, gebe ich verzweifelt zu. „Du schaffst es nicht, Süßer. Zumindest nicht ohne dich selbst zu zerstören und ich bezweifle, dass Taichi damit einverstanden wäre. Es wird Zeit, dir einzugestehen, dass du deinem Freund auf diesem Weg nicht helfen kannst.“ „Warum sagen Sie das?“, schreie ich meinen Gegenüber mit Tränen in den Augen an. „Er braucht mich, nicht irgendwelche fremden Menschen, die ihn überhaupt nicht kennen. Wissen Sie eigentlich, wie es sich anfühlt, in die Psychiatrie abgeschoben zu werden, und was dort mit einem gemacht wird?“ „Ja, das weiß ich. Meinen Drogenkonsum hatte ich nicht immer unter Kontrolle.“ Nachdenklich betrachte ich meinen Freier. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich fast nichts über diesen Menschen, der mittlerweile eine große Rolle in meinem Leben einnimmt, weiß. „Erzählen Sie mir davon?“, frage ich sehr zurückhaltend. „Ursprünglich war es eine unüberlegte Rebellion gegen mein Elternhaus, welche ich letztlich bis heute teuer bezahlen muss. Meine Familie gehört der oberen Mittelschicht an, somit gab es nie finanzielle Probleme. Ihre Erwartungen jedoch waren hoch, ich fühlte mich eingeengt, bevormundet und ständig kontrolliert. Dabei ging es immer nur um Prestige. Alles war nach außen eher Schein als Sein, die perfekte Familie. Doch eigentlich kümmerte sich jeder nur um sich. Ich wollte aus dieser verhassten Lügenwelt ausbrechen. Schon als Kind war ich sehr provokativ, machte immer das Gegenteil von dem, was ich tun sollte. In der Jugend setzte sich dieses Verhalten fort. Mit meinem Drogenkonsum, den ich absichtlich nicht verheimlichte, wollte ich meinen Eltern schaden, indem ich ihren Ruf in der Öffentlichkeit zerstörte. Ich war damals zu dumm, zu uneinsichtig und zu starrköpfig, um zu erkenne, dass ich als Einziger wirklich Schaden nahm. Der unbedachte Umgang mit verschiedenen Drogen zerstörte viel und lehrte mich, was echte Probleme sind. Der Absturz war klassisch, Drogenbesitz, Drogenhandel, Diebstahl, Einbruch, Sachbeschädigung, Körperverletzung. Wenn ich nicht drauf war, was selten vorkam, war ich sehr aggressiv und skrupellos in meinem Vorgehen. Ich kannte kein schlechtes Gewissen und keine Reue. Häufig sah ich Menschen, mit denen ich Zeit verbrachte, an den Drogen zugrunde gehen. Zwei sind vor meinen Augen gestorben, doch ich fühlte nichts. Der ständige Rausch, den ich nur noch durch immer höhere Dosierungen erreichte, stumpfte mich ab. Mehrfach wurde ich wegen einer Drogenpsychose in die Klinik eingewiesen, machte einen Entzug, Therapien, brach ab. Heute weiß ich, dass ich großes Glück hatte, nie auf einer Droge hängengeblieben zu sein. Die Psychosen sind nicht irreversibel, können jedoch durch einmaligen Konsum erneut ausbrechen. Du siehst, ich kenne das Risiko, kann aber dennoch nicht auf die Substanzen verzichten. Es besteht nach wie vor eine Abhängigkeit, auch wenn ich glaube, diese unter Kontrolle zu haben.“ Ohne ein Wort zu sagen, mustere ich meinen Freier und versuche meine Gedanken zu ordnen. Zum ersten Mal sprach er über seine Vergangenheit. Dass Drogen eine Rolle spielten, dachte ich mir bereits, aber nicht in diesem Ausmaß. „Verstehst du nun, warum ich dich ständig bitte, mit Bedacht zu konsumieren? Bei deiner psychischen Verfassung ist es ohnehin unverantwortlich von mir, dich mit Drogen zu versorgen. Allerdings habe ich auf diese Weise Einfluss auf die Art und Qualität der Substanzen, die du zu dir nimmst. Psychedelika könnten beispielsweise fatale Folgen haben, da ein Horrortrip fast garantiert und die Gefahr einer Psychose extrem hoch ist.“ „Wie gelang es Ihnen, sich zu ändern und ein relativ normales Leben aufzubauen?“ Mein Gegenüber lächelt. „So klassisch wie mein Absturz war, so klassisch bin ich ins Leben zurückgekehrt. Ich lernte meine Frau kennen. Zwar liebte ich sie nie, wie ich dich oder meinen Sohn liebe, dafür fehlt das körperliche Verlangen, aber ich liebe sie auf eine andere Art, die sie unendlich wichtig für mich werden lässt.“ „Weiß Ihre Frau, dass Sie noch immer Drogen konsumieren?“ „Nein.“ Für einen Moment herrscht Stille. „Ich habe doch Tai. Warum schaffe ich es trotzdem nicht, mich zu ändern? Ist meine Liebe nicht stark genug?“, frage ich resigniert. „Problematisch ist vielmehr, dass ihr beide zu stark liebt. Diese tiefgehenden, intensiven Emotionen, sowohl positiv als auch negativ, beherrschen euer gesamtes Verhalten und verhindern jegliche Objektivität, welche in der gegenwärtigen Situation jedoch sehr wichtig wäre.“ „Aber ist meine Gefühle abzutöten dann nicht der richtige Weg?“ Zitternd verschränke ich meine Arme vor meinem Körper. Mir ist nicht kalt, aber ich fühle mich schutzlos, angreifbar und verletzlich. Offenbar versteht mein Gegenüber die Geste. Traurig blickt er mich an, macht einen Schritt auf mich zu und nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände. Mit einem leidenschaftlichen Kuss gibt er mir etwas Halt zurück. „Es existiert noch etwas zwischen den Extremen, Yamato.“ Liebevoll drückt er mich an sich. Ich schließe meine Augen und erwidere voller Zuneigung die Umarmung. „Du solltest nach deinem Freund schauen und seine Körpertemperatur kontrollieren. Ich muss nur kurz zur Toilette, dann komme ich nach und wir entscheiden je nach Taichis Verfassung über seinen weiteren Verbleib.“ Noch einmal küsst mein Freier mich auf eine Weise, die mir die Luft zum Atmen raubt und ein leichtes Schwindelgefühl auslöst. Er drängt mich dabei ein wenig zurück, bis ich mit meinem Rücken gegen die Wand stoße. Seine Berührungen sind verlangend, voller Begehren öffnet er meine Hose, liebkost die Haut meines entblößten Oberkörpers und gleitet mit seiner Hand zwischen meine Beine. „Ich würde es dir jetzt gern ordentlich besorgen und einige andere Dinge mit dir tun, aber in Anbetracht der Situation verschiebe ich das auf später“, flüstert er lustvoll in mein Ohr, lässt von mir ab und geht ins Bad. Einen Augenblick bleibe ich an die Wand gelehnt stehen, versuche meine Atmung zu beruhigen, die heftigen Körperreaktionen zu dämpfen und meinen Verstand wieder einzuschalten. Unsicher laufe ich langsam Schritt für Schritt in mein Zimmer. Taichi scheint noch immer zu schlafen. Seine Haut ist von kaltem Schweiß überzogen, er zittert. Ich messe seine Temperatur, streichle, während ich warte, sanft über seinen Arm. Mein Freund fühlt sich viel zu warm an und ein Blick auf das Thermometer bestätigt meine Befürchtung. Angstvoll betrachte ich sein, von der letzten Zeit gezeichnetes, Gesicht. „Was soll ich tun, Taichi?“, hauche ich kraftlos und völlig überfordert. „Bleibt mir wirklich keine Wahl, als dich in die Obhut Fremder zu geben, wenn ich dir helfen will? Warum kann ich dich nicht glücklich machen, verdammt!“ Weinend schlage ich mit der Faust auf die Matratze. Kein physischer Schmerz. Hektisch schaue ich mich um und fixiere die Wand. „Denk nicht einmal daran, Yamato. Damit hilfst du Taichi momentan am wenigsten.“ Von hinten legt er seine Arme um mich. „Halte deine Gefühle aus. Halte den Schmerz sowie das Verlangen nach Schmerz aus und konzentriere dich auf das Wesentliche. Zeig mir das Thermometer. Wie hoch ist das Fieber deines Freundes?“ „Es ist gestiegen. 39,9°C.“ „Zwar ist es normal, das Fieber zum Abend hin steigt, dennoch sollten wir mit ihm ins Krankenhaus fahren und wenigstens abklären, worauf der Körper mit dem hohen Fieber reagiert, damit Taichi die richtigen Medikamente verschrieben bekommt.“ „Und wenn sie ihn dortbehalten wollen?“ Entnervt wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht, mache aber keine Anstalten, mich von meinem Freier zu lösen. „Dann ist es notwendig und du solltest dich dem fügen.“ „Wahrscheinlich haben Sie recht“, lenke ich einsichtig ein. „Ich wecke ihn, damit ich ihn etwas frisch machen und umziehen kann.“ Sachte berühre ich Tais Wange. „Taichi. Hey, wach auf“, flüstere ich in fürsorglichem Tonfall. Mein Freund reagiert nicht. Ich setze ihn behutsam ein wenig auf. „Taichi, hörst du mich? Wach auf. Bitte.“ Er blinzelt und schaut mich dann mit fiebrigen Augen an. Tai wirkt desorientiert, ich bin mir nicht einmal sicher, ob er mich erkennt. „Ihn in diesem Zustand ins Krankenhaus zu bringen, wird schwierig. Ich rufe den Notarzt, bleib du bei ihm, Yamato.“ „Ja“, antworte ich knapp, ohne mich auch nur eine Sekunde von meinem Freund abzuwenden. „Ich kann es nicht, Taichi. Ich schaffe es nicht, dich glücklich zu machen. Bitte verzeih mir und töte mich.“ Kapitel 31: ------------ Mit einer Zigarette in der Hand sitze ich an meinem Fenster und schaue abwesend in die Dunkelheit der Nacht. Ein leichtes Frösteln durchfährt meinen Körper, obwohl angenehm warme Frühlingstemperaturen herrschen. Der Notarzt sprach klare Worte, als er mir vorwarf, dumm, unreif und unverantwortlich gehandelt zu haben, indem ich Taichi auf kalten Entzug setzte. Sein Immunsystem sei durch den massiven Alkoholkonsum und seine inzwischen allgemein ungesunde Lebensweise ohnehin schon sehr geschwächt. Er verschrieb ihm ein stärkeres Fiebermittel, als ich meinem Freund zuvor verabreichte, und gab mir genaue Weisungen bezüglich der Anwendung. Zu der Zeit sah der Arzt noch keine Notwendigkeit für eine Einweisung, sollte das Medikament jedoch nicht anschlagen und das Fieber bis morgen nicht sinken, wäre es ratsam, Tai doch ins Krankenhaus zu bringen. Bevor mein Freier nach Hause zu seiner Familie fuhr, besorgte er noch das Medikament und für mich einige Schachteln Zigaretten, damit ich bei Taichi bleiben konnte. Ich nehme einen tiefen Zug von der fast heruntergebrannten Zigarette und werfe den Filter aus dem Fenster. Sofort zünde ich mir eine weitere Zigarette an. Ich sehne mich nach der Wirkung von GHB oder Heroin, denn Nikotin ist kein besonders guter Ersatz. Egal, wie viel ich rauche, ich werde nicht ruhiger, ich fühle mich nicht besser, ich nehme die Realität noch immer wahr. Aber von meinem Freier werde ich, bei allem Verständnis, nichts bekommen. Dafür ist es noch zu früh. Zwar weiß ich, wie ich auch so an Stoff herankomme, dann allerdings würde ich mein Versprechen brechen und ihn hintergehen. Es wäre charakterschwach, meinem Freier auf diese Weise für seine Hilfe zu danken. Zum wiederholten Mal ziehe ich an meiner Zigarette. Mein Blick schweift ziellos durch den Raum und bleibt an meinem Freund haften. Das Fieber scheint zu sinken, da er relativ ruhig schläft. Ich stehe auf, werfe die Zigarette in die Finsternis und schließe das Fenster. Leise durchquere ich mein Zimmer, setze mich zu Taichi auf das Bett und streiche ihm leicht durch die Haare. Er fühlt sich nicht mehr ganz so warm an. Ich nehme das Thermometer von meinem Nachtschrank und messe seine Körpertemperatur. Erleichtert stelle ich fest, dass sein Fieber tatsächlich gesunken ist. Müde lege ich mich neben ihn und starre zur Decke. „Endlich habe ich begriffen, dass ich nicht die richtige Person bin. Ich kann dir nicht helfen, Taichi. Ich kann dich nicht auffangen, wenn du fällst, und nun bin ich froh, dass ich nie den Mut aufbrachte, dir das Lied vorzuspielen, welches ich vor einiger Zeit für dich schrieb.“ Gedankenversunken setze ich Wasser auf, um Tee für meinen Freund zuzubereiten. Es ist wichtig, dass er viel Flüssigkeit zu sich nimmt, aber er trinkt eindeutig zu wenig. Vielleicht hat er genug von Wasser und ich hoffe, ihm mit Tee etwas Abwechslung geben zu können. Seit der Notarzt vorgestern hier war, ging das Fieber durch das Medikament tatsächlich kontinuierlich zurück, doch seit gestern Abend hält es sich konstant bei 38,1°C. Um die Zeit des Wartens zu überbrücken, zünde ich mir eine Zigarette an und nehme am Küchentisch Platz. Gähnend reibe ich über meine brennenden Augen. Ich überlege, zusätzlich noch eine Kanne Kaffee zu kochen, um der Müdigkeit entgegenzuwirken. Seit Tagen schmerzt mein Kopf, ein starkes Stechen vorwiegend auf der linken Seite. Tai versteckte meine Tabletten, zwar suchte ich danach, fand sie aber nicht. Es würde mich nicht wundern, wenn er sie entsorgt hat. Meinen Freier traue ich mich nicht zu fragen, ob er mir Schmerzmittel mitbringt. Ich schätze, er stuft diese derzeit auch als Droge ein und würde mir somit keine zugestehen. Lediglich die Zigaretten lässt er mir und sagt auch nichts zu meinem deutlich ansteigenden Konsum. Er scheint zu wissen, dass ich ansonsten wahrscheinlich durchdrehen würde. Unterschwellig nehme ich wahr, dass ein Schlüssel im Schloss gedreht wird, kurz darauf steht mein Vater im Flur vor der Küche und schaut mich an. „Yamato, wieso rauchst du in der Küche?“ Sofort drücke ich die Zigarette im Aschenbecher aus. „Entschuldige“, sage ich beinahe unterwürfig. Ruhigen Schrittes kommt mein Vater auf mich zu und zieht mich in eine Umarmung. „Du siehst sehr schlecht aus. Ich halte ja nur noch Haut und Knochen im Arm.“ Ich schiebe meinen Vater bestimmt von mir, gehe zu dem von mir aufgesetzten Wasser, welches inzwischen längst gekocht hat, und bereite den Tee für Taichi zu. „Schon gut. Mach dir keine Sorgen. Es geht mir gut“, versuche ich meinen Vater zu beruhigen. „Wie konntest du deinen Aufenthalt hier so schnell mit deiner Arbeit abklären?“ „Es war kein Problem, meinen Urlaub in die nächsten drei Wochen zu verlegen.“ Ich rief meinen Vater an, nachdem der Notarzt und mein Freier gegangen waren, und bat ihn, für Taichi zurückzukommen. Vielleicht ist mein Vater die richtige Person. Vielleicht kann er Tai helfen, wenn ich schon nicht dazu in der Lage bin. Immerhin ist er für Tai mehr als eine Vertrauensperson und für mich die einzige Option, die bleibt, um meinen Freund nicht in die Obhut der Klinik geben zu müssen. „Er ist in meinem Zimmer und müsste auch wach sein. Geh zu ihm. Mit Sicherheit freut er sich dich zu sehen.“ Ich schaffe es nicht, Emotionen in meine Worte zu legen. „Yamato…“ „Bitte, er braucht dich wirklich!“ Meine Stimme zittert hörbar, obwohl ich versuche es zu unterdrücken. Schweigend verlässt mein Vater die Küche. Tränen tropfen auf meine Hand, mit der ich mich auf der Arbeitsfläche abstütze. Genervt stehe ich in der völlig überfüllten U-Bahn und konzentriere mich darauf, mein Ekelgefühl zu unterdrücken, indem ich mich der Musik hingebe, die mich über meine Kopfhörer beschallt. Dadurch, dass mein Vater seit gestern wieder zu Hause ist, habe ich die Möglichkeit, endlich zur Uni zu gehen. Ich werde viel nachholen müssen, da ich bereits die ersten fünf Wochen wegen der begonnenen und abgebrochenen stationären Therapie sowie Taichis Entzug verpasst habe. Zudem fällt es mir schwer, nach längerer Zeit wieder in der Öffentlichkeit und unter Menschen zu sein. Sogleich werde ich auch daran erinnert, warum ich diese so sehr hasse. Unfreiwillig muss ich mit ansehen, wie ein Mann mittleren Alters, der neben mir steht, mit seiner Hand bei einem Mädchen unter den Rock gleitet. Voller Abscheu wende ich mich um und greife ihm schmerzhaft zwischen die Beine. Der Mann, welcher einen Anzug samt Krawatte trägt und somit wie ein Geschäftsmann aussieht, keucht und starrt mich entsetzt an. Ich nehme meine Kopfhörer ab. „Gefällt Ihnen das?“, frage ich trocken. „Wenn nicht, dann nehmen Sie Ihre dreckigen Finger von dem Mädchen. Oder soll ich Ihnen Ihren kleinen, widerlichen Schwanz abschneiden und Sie so lange in den Arsch ficken, bis Sie sich wünschen, tot zu sein beziehungsweise Sex zur unerträglichen Qual wird? Alpträume werden Sie für den Rest Ihres Lebens verfolgen. Nacht für Nacht müssen Sie die Vergewaltigung erneut über sich ergehen lassen.“ Der Mann steht reglos vor mir, er zittert und der Angstschweiß steht ihm auf der Stirn. Obwohl einige Fahrgäste auf den Vorfall aufmerksam geworden sind, nimmt niemand wahr, dass ich mein Klappmesser aus der Jackentasche holte und dem Mann nun an sein Geschlechtsteil presse, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen. Ich stehe so dicht vor ihm, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüre. Übelkeit schnürt meine Kehle zu, aber ich muss mich zusammenreißen und darf mir nichts anmerken lassen. „Ich rate dir, dich so schnell wie möglich zu verpissen, sonst kann ich für nichts garantieren, perverser Wichser!“ Als die U-Bahn an der nächsten Station hält und die Türen sich öffnen, drängelt sich der Mann panisch durch die Menge, steigt aus und verschwindet in der Masse von Menschen aus meinem Blickfeld. Behutsam klappe ich das Messer wieder zusammen und verstaue es ungesehen in meiner Jackentasche. „Vielen Dank“, spricht mich das Mädchen plötzlich an. Ich erschrecke leicht und schaue sie irritiert an. Seltsamerweise habe ich sie total vergessen, obwohl sie der Auslöser für mein Verhalten war. Die Situation ließ mich handeln ohne zu denken, verzerrte die Realität und löste eine unterschwellige, unbestimmte Panik in mir aus. „Schon gut“, entgegne ich knapp und setze meine Kopfhörer wieder auf, um ein mögliches Gespräch von Anfang an zu verhindern. Einige Stationen später muss ich aussteigen und noch ein Stück zu Fuß gehen. Warum suchte ich mir ausgerechnet eine Uni am anderen Ende der Stadt aus? Treppenstufe um Treppenstufe schleppe ich mich nach oben. Das Pulsieren in meinem Kopf wird fast unerträglich. Dann laufe ich durch eine Allee von Kirschbäumen, welche jedoch längst verblüht sind. Zum Kirschblütenfest ist dies einer der beliebtesten Orte in Tokyo, an denen das obligatorische Picknick stattfindet. Der Anblick der rosafarbenen und weißen Blüten ist tatsächlich wunderschön, aber leider nur von sehr kurzer Dauer. Heute ist es recht warm, die Sonne scheint zwischen einigen Wolken hindurch. Laut Wetterbericht soll es am Nachmittag regnen. Bevor ich das Unigelände betrete, weise ich mich zunächst beim Pförtner als Student dieser Universität aus. Dann blicke ich mich kurz um und versuche mich zu orientieren. Ich schätze, es wäre von Vorteil gewesen, wenigstens zur Einführungsveranstaltung anwesend zu sein. „Yamato?“ Verwundert darüber, meinen Namen zu hören, drehe ich mich in die Richtung, aus der die Stimme kam. „Sora?“ Unsicher laufe ich durch die Flure der Schule auf der Suche nach dem Lehrerzimmer. Ich hätte doch am Tor warten sollen. Ohne Uniform falle ich auf und wie ein Mittelschüler sehe ich auch nicht unbedingt aus. Da die Schulen oft jedoch einen ähnlichen Aufbau haben, gehe ich zuerst den Weg, der in meiner damaligen Schule zum Lehrerzimmer führt. Die Gänge sind weitestgehend leer, da der Unterricht offenbar inzwischen beendet ist und die AGs bereits begonnen haben. Beim Vorbeigehen schaue ich in einen der Klassenräume, da die Tür offen steht. Überrascht verharre ich in meiner Bewegung und vergewissere mich, dass ich nicht nur einer Täuschung meiner Augen zum Opfer fiel. Mein Freier steht mit dem Rücken an das Lehrerpult gelehnt und unterhält sich angeregt mit einem Jungen, der einer seiner Schüler zu sein scheint. Die beiden gehen sehr vertraut miteinander um, es werden oft flüchtige, scheinbar zufällige Berührungen ausgetauscht und der Blickkontakt ist nie länger als ein paar Sekunden unterbrochen. Ich beobachte die Situation eine Weile aus der Ferne, doch bevor ich mich bemerkbar machen kann, sieht mein Freier plötzlich in meine Richtung. Kurz stutzt er, doch dann legt sich ein Lächeln auf seine Lippen. „Yamato“, spricht er mich liebevoll an. „Warte bitte einen Moment.“ Er wendet sich wieder dem Jungen zu, der mich argwöhnisch mustert. „Geh jetzt in deine AG, dort wirst du sicher schon erwartet. Wir sehen uns morgen.“ Der Kleine nickt und während er an mir vorbeigeht, um den Raum zu verlassen, fixiert er mich mit seinen Augen. „Schließ bitte die Tür, Yamato, und komm her.“ Ich handle gemäß seiner Aufforderung und bleibe dicht vor meinem Freier stehen. „Haben Sie Sex mit dem Jungen?“, frage ich unvermittelt und direkt. „Nein, natürlich nicht.“ „Aber Sie wollen ihn vögeln und haben es in Ihrer Fantasie auch getan, nicht wahr?“ „Was soll das?“, fragt mein Freier eher belustigt. „Bist du eifersüchtig?“ „Ich fand Ihr Verhältnis zueinander nur sehr innig, das ist alles.“ Mein Gegenüber streichelt flüchtig über meine Wange. „Du bist so süß, mein kleiner Liebling. Gehen wir an einen Ort, der weniger öffentlich ist, einverstanden?“ „Aus diesem Grund wollte ich ursprünglich zu Ihnen. Mein Vater ist wieder zu Hause. Ich bat ihn, zurückzukommen, in der Hoffnung, dass er Taichi mehr helfen kann als ich. Es wäre also besser, wenn wir uns in den nächsten drei Wochen nicht bei mir treffen.“ „In Ordnung, dann gehen wir ins Hotel. Oder willst du nicht?“ „Doch.“ Schüchtern berühre ich seine Hand und schaue zu Boden. „Bitte besorgen Sie es mir richtig hart. Ich will Sie danach zu Hause noch spüren können“, flüstere ich verlegen. Traurig küsst mein Freier meine Stirn. „Ich liebe dich, mein süßer Schatz, und ich wünschte, ich könnte dir deine Einsamkeit nehmen und die Leere in deinem Inneren füllen. Zwar kann ich dir den Schmerz geben, den du brauchst, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass die Dinge, die ich mit dir mache, eher kontraproduktiv sind.“ „Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil, der Schmerz ist das Einzige, was mich momentan noch am Leben hält.“ „Das ist nicht wahr, Yamato. Und das weißt du eigentlich auch“, erwidert mein Freier in verständnisvollem Ton. „Gehst du schon zum Ausgang? Ich muss noch einmal ins Lehrerzimmer.“ Mit einem Nicken bestätige ich seine Aussage. Leicht drücke ich seine Hand, bevor ich sie loslasse. „Bis gleich.“ Wie fremdgesteuert mache ich mich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt. Obwohl die Sonne von dichten Wolken verdeckt wird, ist es nicht sehr viel kälter als heute Vormittag. Der vom Wetterbericht prophezeite Regen fiel noch nicht. Ich hole eine Schachtel Zigaretten aus meiner Jackentasche, stecke sie jedoch sofort wieder weg, als mir bewusst wird, dass ich mich noch immer auf dem Gelände einer Mittelschule befinde. Seufzend schaue ich auf den Asphalt vor mir. Ob Taichi und mein Vater meine Abwesenheit nutzen, um miteinander zu schlafen? Merkwürdigerweise empfinde ich selbst bei diesem Gedanken nichts, nicht einmal Eifersucht oder Verlustangst. Unerwartet eine Hand auf meiner Schulter zu spüren lässt mich leicht zusammenzucken. „Was hältst du davon, wenn wir vorher noch irgendwo etwas essen?“, schlägt mein Freier vor, während wir zu seinem Auto laufen. „Sicher hast du heute noch nichts zu dir genommen, oder?“ Ich schweige, doch das ist für ihn Antwort genug. „Glaub mir, du wirst die Energie anschließend brauchen.“ Mit einem Lächeln, auf welches er mit seiner Bemerkung zu hoffen schien, öffne ich die Fahrzeugtür und steige ein. „Yamato.“ Ich schaue hinaus zu meinem Freier, doch der beugt sich zu mir und küsst mich. Zurückhaltend erwidere ich das kurze Zungenspiel. Er löst sich ungewöhnlich schnell von mir, vermutlich weil wir uns noch in der Nähe seiner Schule befinden, und steigt ebenfalls, auf der Fahrerseite, ein. Ich lehne meinen Kopf gegen die Scheibe und richte meinen Blick nach draußen, ohne die Umgebung wirklich zu registrieren. „Ich will nicht nach Hause“, sage ich abwesend. Besorgt legt mein Freier seine Hand auf meinen Oberschenkel und streichelt sanft darüber. Dann startet er den Wagen. Erschöpft und mit dröhnenden Kopfschmerzen schließe ich die Wohnungstür auf. Mein Freier hielt Wort, ich spüre seine Berührungen noch immer intensiv auf meiner Haut. Er ging grob mit mir um, genau wie ich es wollte und wofür ich ihm sehr dankbar bin. Es ist spät geworden. Im Flur stelle ich meine Tasche an die Seite und ziehe meine Schuhe aus. Als ich mich meiner Jacke entledige, erblicke ich meinen Vater, der im Türrahmen des Wohnzimmers lehnt. „Wo warst du so lange?“, fragt er weniger vorwurfsvoll als besorgt. „Unterwegs“, antworte ich knapp und gehe in die Küche, um Kaffee zu kochen. Nach wie vor habe ich die Hoffnung, die Kopfschmerzen durch das Koffein etwas eindämmen zu können. Zwar besorgte ich mir auf dem Weg von der Uni zur Schule meines Freiers Schmerz-und Schlafmittel, möchte sie jedoch nicht vor den Augen meines Vaters einnehmen. Dieser folgte mir in die Küche. Behutsam legt er seine Hand auf meine Schulter, welche ich allerdings sofort wegschlage. „Nicht anfassen!“, weise ich meinen Vater mit Nachdruck zurecht, während ich Kaffeepulver in die Filtertüte fülle. Argwöhnisch nimmt er Abstand von mir und setzt sich auf einen der Stühle. „Warum bist du so verschlossen und abweisend?“ „Bin ich nicht“, versichere ich kühl und schalte die Kaffeemaschine ein. Anschließend gehe ich an meinem Vater vorbei, um die Küche zu verlassen, werde von diesem jedoch am Handgelenk zurückgehalten. „Ich fand auf deinem Schreibtisch einen Brief vom Gericht, in dem du als Zeuge vorgeladen bist. Was ist passiert und warum hast du mir davon nichts erzählt?“ „Und warum liest du einfach meine Post?“, entgegne ich missbilligend. „Wenn ich auf deinem Schreibtisch einen Brief vom Gericht liegen sehe, schaue ich natürlich nach, worum es geht. Schließlich bin ich dein Vater und noch immer erziehungsberechtigt.“ „Es ist nichts passiert. Lass mich los!“ Wider Erwarten gibt mein Vater mich tatsächlich frei. „Taichi geht es schon etwas besser. Seine Temperatur ist nur noch leicht erhöht“, ruft mein Vater mir nach. Für einen Augenblick bleibe ich stehen, dann verlasse ich die Küche, ohne auf die Worte meines Vaters zu reagieren. Im Flur nehme ich meine Tasche und gehe in mein Zimmer. Der Fernseher läuft, aber mein Freund scheint eingeschlafen zu sein. Als ich das Gerät ausschalte, wacht er auf und blinzelt mich müde an. „Du kommst spät“, bemerkt er. Seine Stimme klingt rau, ein wenig kratzig. „Ja“, bestätige ich nur und knöpfe mein Hemd auf. Schweigend beobachtet mich Taichi dabei. Spuren von dem schonungslosen Sex mit meinem Freier dürften noch nicht sichtbar sein. „Du bist schrecklich dünn geworden. Wenn ich dich anfasse, muss ich Angst haben, dich zu zerbrechen.“ „Dann fass mich nicht an“, werfe ich ihm gleichgültig an den Kopf. Eine Bemerkung bezüglich seiner körperlichen Beziehung zu meinem Vater schlucke ich hinunter. „Außerdem siehst du nicht besser aus, also lass mich in Ruhe.“ Mein Freund betrachtet mich sorgenvoll. „Hast du schon mit deinem Vater gesprochen?“ „Kurz.“ „Also hast du es ihm nicht gesagt“, stellt er bekümmert fest. Ich gehe zu meinem Schreibtisch und verstaue den Brief in einem der Schubfächer. „Was?“, frage ich mit leicht genervtem Unterton, nehme von meinem Tisch eine Zigarettenschachtel samt Feuerzeug und zünde mir am Fenster eine Zigarette an. Tai richtet sich auf und fixiert mich mit seinem Blick. „Dass du von dem Sportlehrer vergewaltigt wurdest.“ „Warum sollte ich meinem Vater davon erzählen? Es war keine Vergewaltigung, sondern nur ein beschissener Job. Immerhin wollte ich unbedingt in der Turnhalle für 1000 Yen von diesem Wichser gevögelt werden.“ Der Rauch entweicht meinen Lippen und ich ziehe erneut an der Zigarette. „Yamato, was ich damals sagte…“ „Vergiss es einfach, okay?“, unterbreche ich meinen Freund unwirsch. „Mir ist egal, ob du deine Bemerkung zu dem Vorfall ernst meintest oder nicht. All das ist ohnehin nicht wichtig.“ „Doch, Yamato. Deshalb habe ich deinem Vater gesagt, was passiert ist.“ Ich schaue weiterhin nach draußen in die Dunkelheit der Nacht. Tief inhaliere ich den Rauch, bis meine Lungen schmerzen. „Mit welchem Recht mischst du dich in meine Angelegenheiten ein, Taichi Yagami?“, frage ich ruhig. „Dein Vater fand den Brief und stellte diesbezüglich Fragen. Sollte ich ihn anlügen?“ „Nein. Schon gut. Ich stelle es richtig.“ Den Filter werfe ich aus dem Fenster, bevor ich durch den Raum zur Tür laufe. „Hör auf damit. Es gibt nichts richtigzustellen.“ Taichi klingt aufgebracht. „Mein Vater meinte, dir ginge es besser. Das freut mich“, bringe ich ihm lieblos entgegen und schließe die Tür hinter mir. In der Küche fülle ich Kaffee in eine Tasse, mit welcher ich dann ins Wohnzimmer gehe. Wie erwartet sitzt mein Vater auf dem Sofa, seinen Kopf mit der Stirn auf die Hände gestützt, zwischen den Fingern eine Zigarette. „Wieso rauchst du hier?“, gebe ich seine Frage von vorhin zurück. Mein Vater sieht auf. „Yamato.“ Ich nehme neben ihm auf dem Sofa Platz, trinke einen Schluck Kaffee und stelle die Tasse auf den Tisch. „Was Taichi dir erzählte, entspricht nicht der Wahrheit. Es stimmt, dass dieses Arschloch Schüler vergewaltigte, mich jedoch bezahlte er für meine Dienste.“ Traurig schließt mein Vater die Augen und atmet tief durch. „Du hast dich sehr verändert. Dein Verhalten gibt Grund zur Besorgnis. Warum hast du die Therapie abgebrochen?“ Ein paar Mal zieht mein Vater intensiv an seiner Zigarette, dann drückt er sie im Aschenbecher aus. „Weil ich es nicht mehr aushielt. Außerdem bildete ich mir zu diesem Zeitpunkt noch ein, dass Taichi mich braucht“, sage ich voller Bitterkeit. „Er braucht dich, Yamato!“ „Nein. Er braucht dich. Seit du da bist, geht es ihm besser.“ „Du allein hast dich die ganze Zeit um ihn gekümmert und nicht aufgegeben.“ „Allein hätte ich gar nichts tun können.“ „Wie meinst du das?“ Mein Vater ist sichtlich irritiert. „Der Mann, den du verurteilst, weil er mit mir ins Bett geht, hat mir sehr geholfen. Dank ihm bin ich seit fast zwei Monaten drogenfrei. Egal worum es geht, er ist immer für mich da.“ Am Gesichtsausdruck meines Vaters erkenne ich, dass meine Aussage ihn schmerzlich getroffen hat. „Du fühlst dich alleingelassen, hab ich recht?“ Ich antworte nicht und zünde mir stattdessen eine Zigarette an. Für eine Weile herrscht unangenehmes Schweigen im Raum. „Papa“, unterbreche ich schließlich die Stille. „Vielleicht sollte ich für die Zeit, die du hier bist, bei Mama schlafen.“ Bestürzt sieht mein Vater mich an. „Mit welcher Begründung?“ „Ich ertrage die Nähe von dir und Taichi momentan nicht“, antworte ich schonungslos ehrlich. „Aber warum?“, will mein Vater verzweifelt wissen und streckt seine Hand nach mir aus. „Nicht anfassen, sagte ich!“ Meine unmissverständliche Zurechtweisung scheint meinen Vater nicht zu interessieren, denn er zieht mich trotzdem an sich. Instinktiv halte ich die Zigarette weg von unseren Körpern. „Fass mich nicht an!“, schreie ich und versuche mich zu befreien. Ungeachtet dessen legt mein Vater seine Arme um mich und nimmt mir jegliche Bewegungsfreiheit. „Ich möchte jetzt wissen, warum du dich so sehr zurückziehst und weder Taichi noch mich an dich heranlässt.“ „Es gibt keinen Grund. Und jetzt lass mich los, verdammt!“ „Nein!“ „Meine Zigarette ist fast heruntergebrannt“, argumentiere ich nahezu panisch. „Streck deinen Arm aus. Bis zum Aschenbecher kommst du. Lass die Zigarette einfach fallen, sie geht irgendwann von allein aus.“ „Du widerst mich an!“, beschimpfe ich ihn hasserfüllt. Erschüttert gibt mein Vater auf und starrt mich wie gelähmt an. Ich nutze die Gelegenheit, um meine Zigarette auszudrücken. Ohne weiter auf meinen Vater zu achten, gehe ich aus dem Zimmer. Im Flur knöpfe ich mein Hemd zu, welches ich ursprünglich ausziehen wollte, um ins Bett zu gehen, ziehe hastig meine Schuhe und meine Jacke an, nehme den Schlüssel von der Kommode und verschwinde fluchtartig aus der Wohnung, in der ich mich so schutzlos wie nie zuvor fühle. Reglos sitze ich in einer Gasse des Stadtteils Shibuya an eine Hauswand gelehnt und starre auf meine Schuhe. Es ist merkwürdig, aber immer, wenn ich nicht weiß, wohin ich gehen soll, zieht es mich in das Viertel der Lovehotels. Was hoffe ich, hier zu finden? Ablenkung in Form von schnellem Sex, nach dem ich mich noch beschissener fühle? Oder will ich mich damit bestrafen? Zu meiner Mutter konnte ich nicht gehen, da mein Vater mich dort vermutlich zuerst sucht. Die Adresse meines Freiers kennt er nicht, weshalb hier sein nächster Anlaufpunkt sein wird. Es wäre also besser, nicht allzu lange in Shibuya zu verweilen. Allerdings brauche ich Geld. In meiner Hosentasche hatte ich nur ein paar Yen, welche ich für die U-Bahn-Fahrkarte benötigte. Zum Glück dürfte es in dieser Gegend kein Problem sein, jemanden zu finden, der für Sex bezahlt. Ich zittere leicht und verfluche mich, nicht daran gedacht zu haben, wenigstens Zigaretten mitzunehmen. Zu kopflos verließ ich die Wohnung, um vor Taichis und meines Vaters Nähe zu fliehen. Seufzend ziehe ich meine Knie dichter an meinen Körper und lege meine Arme darum. „Hey, Kleiner. Du siehst so traurig aus. Ich habe etwas, womit es dir garantiert gleich besser geht.“ Ein junger Mann, vermutlich etwas älter als ich, steht vor mir und schaut mich erwartungsvoll an. Ich senke meinen Blick und betrachte wieder meine Chucks. „Nein, danke“, antworte ich, obwohl alles in mir nach bewusstseinsverändernden Substanzen verlangt. Der Fremde hockt sich vor mich. Ich schaue ihn an. Er ist gutaussehend und scheint vor allem sehr selbstbewusst zu sein. „Wow, ich glaube, du bist der erste Stricher, den ich kennen lerne, der keine Drogen konsumiert. Du bist doch ein Stricher, oder?“ „Ja“, gebe ich offen zu. Mein Gegenüber lächelt. „Treibst du es mit jedem?“ Ich begegne ihm ebenfalls mit einem Lächeln, freudlos, kühl. „Wieso, hast du Interesse?“ „Naja, du bist süß und wirkst ziemlich verloren. Das weckt Beschützerinstinkte. Ich wette, du lässt es dir überwiegend von älteren Männern besorgen.“ „Stimmt. Allerdings…“ Unerwartet beugt der Fremde sich vor und schiebt mir seine Zunge in den Mund. Irritiert erwidere ich den fordernden Kuss. Als der junge Mann sich nach einer Weile von mir löst, kramt er in seiner Hosentasche. „Ja, du gefällst mir sehr.“ Mit einer Hand greift er in meinen Nacken und stopft mir etwas in den Mund. „Lutsch meinen Schwanz. Wenn du deine Arbeit gut machst, lade ich dich danach auf einen Drink ein.“ Ungläubig starre ich auf den 10000-Yen-Schein, den ich gerade ausgespuckt habe. „Heute Nacht gehörst du mir. Sei schön lieb und du bekommst noch mehr.“ „Du dealst nicht, weil du Geld brauchst, oder?“, bemerke ich nüchtern. „Genau, du hast es erfasst, mein Hübscher. Mit den Drogen mache ich süße Strichjungen wie dich gefügig und von mir abhängig. Um Geld geht es mir nicht, davon habe ich genug.“ An seinem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass der Fremde nicht scherzt. „Heißt das, ich sollte mich vor dir in Acht nehmen?“ „Vielleicht solltest du das. Falls es dafür nicht schon zu spät ist. Aber jetzt wirst du mir erst einmal einen blasen.“ Er setzt sich neben mich, lehnt sich entspannt mit dem Rücken gegen die Wand und öffnet seine Hose. „Und du wirst schlucken, verstanden?“ „Ja.“ Gewohnheitsmäßig und teilnahmslos beuge ich mich hinab, streiche meine Haare hinter die Ohren und befolge seinen Befehl. Die Atmung des Dealers wird schwerfälliger, dann vernehme ich lauter werdendes Stöhnen. Bevor er abspritzt, hält er meinen Kopf fest und stößt sich schmerzhaft tief in mich. Sein Sperma läuft direkt meine Kehle hinab. Ich kann kaum schlucken, da mein Mund bis zu meinem Rachen mit seinem Schwanz ausgefüllt wird. Als er sich endlich aus mir zurückzieht, muss ich würgen und stark husten. Es tut weh. „Nicht schlecht, Kleiner. Man merkt, dass du Erfahrung hast. Nur das Schlucken fällt dir schwer, nicht wahr?“ „Kann sein“, entgegne ich monoton. Ich brauche eine Zigarette. Mir kommt das zugesteckte Geld in den Sinn und ich stehe langsam auf. Der Fremde erhebt sich ebenfalls und schließt seine Hose. „Wohin…“ „Zigaretten.“ „Also doch nicht ganz drogenfrei“, grinst er. „Willst du wirklich nichts anderes ausprobieren?“ „Und mich von dir abhängig machen? Du selbst hast mich vor dir gewarnt. Es bleibt bei dem Nein.“ Völlig unangebracht lacht mein Begleiter. „Hier entlang. Ein Freund von mir besitzt dort vorn eine Bar.“ „Ich bin noch nicht volljährig“, wende ich ein. „So siehst du auch nicht aus. Wie alt bist du? Sechzehn? Siebzehn?“ „Neunzehn.“ „Du wirkst jünger.“ „Ich weiß“, murmle ich und ziehe eine Schachtel Zigaretten aus einem Automaten, der neben einer Reihe Getränkeautomaten steht. „Woher hast du den TASPO?“ „Von meinem Vater. Hast du Feuer?“ „Nein, aber wir sind auch schon beim Club meines Freundes. Da gibt es zumindest Streichhölzer.“ Ich betrete zuerst die Räumlichkeit. Offenbar hat mein Begleiter Angst, dass ich es mir anders überlege und weglaufe. Das Licht ist abgedunkelt, als Sitzgelegenheiten dienen gemütlich aussehende Sofas. Der Club ist gut gefüllt und meine Vermutung bezüglich des Etablissements bestätigt sich, denn es sind ausschließlich Männer zugegen. Wir nehmen am Tresen Platz und ich zünde mir die lang ersehnte Zigarette an. „Na, wer besucht mich denn hier?“ Freundschaftlich begrüßen sich die beiden Männer. „Und schon wieder hast du dir einen Strichjungen zu eigen gemacht.“ „Noch nicht ganz“, lacht mein Begleiter und wirft mir einen merkwürdigen Blick zu, den ich nicht deuten kann. Der Freund von ihm betrachtet mich genauer, wobei er näher kommt. „Stimmt, du hast ihn nicht unter Drogen gesetzt“, stellt er verblüfft fest. „Er wollte nicht“, klärt der Dealer ihn auf. „Ein Stricher, der sich nicht zudröhnt?“ Der Barkeeper wirkt überrascht. „Das ist selten.“ Er mustert mich interessiert. „Bist du so wählerisch oder wie hältst du es ohne Drogen aus, die dreckigen Schwänze von alten Säcken zu lutschen, geschweige denn dich von ihnen vögeln zu lassen?“ Statt mich zu der Aussage zu äußern, ziehe ich an meiner Zigarette. „Gesprächig ist der Kleine nicht gerade.“ „Dabei ist er mit dem Mund eigentlich ganz gut.“ Mein Begleiter grinst mich süffisant an. „Schon verstanden.“ Schmunzelnd wendet sich der junge Mann hinter der Bar von mir ab. „Ich mache euch etwas zu trinken. Das Übliche?“ Die Frage richtet sich an seinen Freund. „Natürlich“, bestätigt der. „Warum machst du andere von Drogen und somit von dir abhängig?“, möchte ich wissen, ohne eine Wertung in meine Stimme zu legen. „Wenn mir ein Junge gefällt, will ich Macht über ihn besitzen. Er soll mir hörig sein.“ Ein kaltes Lächeln huscht über meine Lippen. „Das ist schon ein wenig krank, findest du nicht?“ Als Antwort packt er mich unsanft am Hinterkopf, nimmt mir die Zigarette aus der Hand und hält sie dicht an meine Wange, sodass ich die Hitze spüren kann. „Krank wäre, wenn ich die jetzt in deinem hübschen Gesicht ausdrücken würde.“ Ich blicke ihm fest in die Augen. „Du bist wirklich ungewöhnlich. Entweder hast du aus irgendeinem Grund keine Angst oder du kannst verdammt gut bluffen.“ Mich beobachtend drückt er die Zigarette im Aschenbecher aus. „Warum sollte ich Angst haben?“, fordere ich ihn unbeeindruckt heraus. Der Barkeeper stellt uns zwei Gläser auf den Tresen. „Mein Spezialdrink nur für euch. Lasst es euch schmecken.“ Ich bekomme mit, dass er seinem Freund zuzwinkert, und lächle. „Spezialdrink heißt in meinem Fall mit GHB versehen, nehme ich an.“ Die beiden Jungs tauschen kurz einen vielsagenden Blick. „Du gefällst mir wirklich immer mehr. Ich will dich und ich werde dich bekommen.“ „Warum versuchst du mich mit Hilfe von Drogen willenlos zu machen? Ich lasse dich auch so ran. Oder fickst du gern wehrlose Jungs, die ohne Bewusstsein sind?“ „Vielleicht. Und jetzt sei brav und trink, mein Süßer.“ „Ich mag keinen Alkohol.“ Diesen Satz spreche ich mit Nachdruck. Kurz muss ich an Taichi denken. „Das ist mir egal.“ Bevor ich reagieren kann, hält mein Gegenüber mich fest und setzt das Glas an meine Lippen. „Schluck, wie du es vorhin getan hast.“ Verzweifelt weigere ich mich meinen Mund zu öffnen, was sich als wenig erfolgreich herausstellt. „Ich finde es mutig von dir, so aufmüpfig zu sein und mir Widerstand zu leisten. Umso mehr will ich dich.“ Rücksichtslos drückt er meine Wangen auseinander und flößt mir etwas von dem Getränk ein. Die Flüssigkeit brennt auf meiner Zunge, auch läuft sie mein Kinn hinab und tropft auf meine Kleidung. Grob werden mir der Mund sowie meine Nase zugehalten, sodass ich nach kurzer Zeit gezwungen bin, den Alkohol hinunterzuschlucken. Diese Prozedur wiederholt mein Begleiter, bis das Glas vollständig leer ist. „So ist es gut. War doch gar nicht so schlimm, oder, mein Schatz?“ Erneut zwingt er mich zu einem intensiven Zungenkuss. Mir wird schwindelig und ich spüre allmählich die wohlbekannte, angenehme Wirkung des GHB. Allerdings scheint die Dosierung ziemlich hoch zu sein, da ich bereits langsam in die Bewusstlosigkeit abgleite. „Elender Bastard“, flüstere ich kraftlos und falle dabei nach vorn in die Arme meines Begleiters. „Bringen wir ihn nach oben“, höre ich diesen noch sagen, dann wird alles schwarz. Ich öffne meine Augen und erblicke eine fremde Umgebung. Zwar fühle ich mich ausgeruht, aber ich habe keine Erinnerung an die letzte Nacht. Weder weiß ich, was passiert ist, noch, wo ich mich befinde oder wie ich hierher gekommen bin. Da ich allerdings starke Schmerzen im unteren Bereich meines Körpers verspüre, ließ ich mich wahrscheinlich von irgendeinem Freier vögeln. Behutsam richte ich mich ein wenig auf. „Na, mein Süßer? Zurück aus dem Land der Träume?“ Ich schaue Richtung Tür, aus der ich die Stimme vernahm. Am Holzrahmen lehnt ein junger Mann, dessen Anblick Erinnerungen in mir hervorruft. Ich traf ihn auf der Straße, wir gingen in einen Club und… da war noch ein anderer Mann. „Hast du mich gefickt?“, frage ich, obwohl ich die Antwort bereits zu kennen glaube. Der Fremde grinst und setzt sich zu mir auf das Bett. „Mein Freund und ich hatten viel Spaß mit dir.“ „Gleichzeitig?“, hake ich nach, dabei bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt wissen möchte, was diese Männer alles mit mir machten. „Unter anderem. Wir hatten jedoch Bedenken, dass du zwei Schwänze in dir nicht aushalten würdest, weil du so zierlich bist. Aber du scheinst viel passiven Sex zu haben, denn wir glitten beide relativ leicht in dich, im Gegensatz zu meiner Faust.“ „Du hast mich gefistet?“ „Ja. Spürst du es nicht? Hast du keine Schmerzen in deinem Unterleib?“ „Doch.“ „Eigentlich warst du noch nicht so weit, also benötigte ich etwas Gewalt, um bis zum Beginn meines Unterarms in dich einzudringen.“ Der fremde Mann berührt meine Wange und streichelt sanft darüber. Sein Lächeln ist sehr selbstsicher. „Ich entjungferte dich, denn du hast geblutet.“ Begierig küsst er meine Lippen, drückt meinen Körper dabei zurück auf das Laken und kommt über mich. Interessiert betrachtet er mein Gesicht, streicht über die Stirn meine Haare zurück. „Warum weinst du eigentlich nicht und wirfst mir vor, dich vergewaltigt zu haben?“ „Wozu? Ich erinnere mich nicht, was in der Nacht geschehen ist. Egal, was ihr mit mir gemacht habt und wie pervers es war, ich bekam davon nichts mit. Ohne Bewusstsein empfand ich weder Ekel noch Angst. Was die Schmerzen anbelangt…“ „Die Verletzungen fügst du dir selbst zu, nicht wahr?“ Ich nicke. „Und warum hast du mir nicht gesagt, dass du ein kleiner Fixer bist?“ „Wie kommst du darauf, dass ich Heroin spritze?“ Sinnlich gleiten die Finger des jungen Mannes, der noch immer auf mir verweilt, über meine Schulter, meinen Arm entlang, hinab zur Armbeuge. „Hier sind kaum sichtbare Vernarbungen von Einstichstellen. Jeder, der sich mit der Thematik ein wenig auskennt, würde sehen, dass du ein Heroinjunkie bist. Mit GHB hast du ebenfalls Erfahrung, richtig?“ Schweigend drehe ich meinen Kopf zur Seite, um seinem stechenden Blick auszuweichen. „Verstehe, du bist momentan clean.“ Mit seiner Zunge leckt er über einige Narben auf meinem Oberkörper, tastet sich dann langsam hinab zwischen meine Beine. Tief ziehe ich die Luft ein, bäume mich etwas auf und lege meinen Kopf in den Nacken. Je weiter der Fremde sein Spiel treibt, desto höher wird die Anspannung meines Körpers. Verkrampft kralle ich meine Finger in das Bettlaken. Dann hört er abrupt auf. „Warte kurz.“ Er verlässt das Zimmer. Schwer atmend versuche ich meine Erregung niederzukämpfen, doch es gelingt mir nicht. Der junge Mann kommt lächelnd zurück. „Dieses Mal habe ich dich ganz für mich allein, mein Süßer.“ Ich leiste keine Gegenwehr, als er mich mit Handschellen an das Bettgestell kettet. Zu spät registriere ich die aufgezogene Spritze, die er ebenfalls aus dem Nebenraum mitbrachte. „Nein!“ Meine Stimme klingt panischer, als ich es beabsichtigte. „Kleiner, ich sehe dir an, dass du dich nach dem Gefühl, welches nur Heroin dir geben kann, sehnst. Wurdest du schon einmal auf H gevögelt?“ „Ja, mehrfach. Also hör auf, verdammt!“ Der Dealer verschließt meinen Mund mit seinen Lippen und seiner Zunge. „Nachher wirst du mir für den Flash dankbar sein. Entspann dich, Schatz. Lass dich fallen und genieße es.“ Er legt das Fixierband an und zieht es fest. „Dein Körper gehört nur mir.“ „Wozu die Drogen?“ Tränen laufen meine Wangen hinab. „Du darfst auch so mit mir tun, was du willst. Ich gebe mich dir bedingungslos hin, aber bitte…“ Der junge Mann löst das Band und spritzt das Heroin in eine Oberarmvene, dann küsst er mich wieder. Mit Einsetzen der Wirkung zieht mich die Droge in eine wundervolle Welt, aus der ich nicht zurückkehren möchte. Mit langsamen, bedachten Bewegungen kleide ich mich an. „Es hat Spaß gemacht, mit dir zu spielen“, grinst der Fremde mich an. „Du bist ein sehr außergewöhnliches Sextoy.“ „Freut mich“, entgegne ich knapp, ohne ihn anzusehen. „Eigentlich will ich dich noch nicht gehen lassen, aber vielleicht können wir irgendwann da weitermachen, wo wir jetzt aufhören.“ „Ja, vielleicht.“ Umständlich binde ich meine Schuhe zu. „Es scheint, als hättest du noch immer Schmerzen. Keine Angst, deine Verletzungen sind nicht innerlich. Du warst einfach noch zu eng, weshalb ich dir einige Fissuren zufügte, die bluteten.“ „Du musst nicht versuchen mich zu beruhigen. Ich kenne meinen Körper. Ihm wurden schon wesentlich schlimmere Verletzungen zugefügt, die ich auch überlebt habe.“ „Freiwillig oder unfreiwillig?“, fragt mein Gesprächspartner neugierig. Schweigend erhebe ich mich und ziehe mein Jacke über. „Wahrscheinlich eher freiwillig“, antworte ich weniger ihm als mir selbst. Der junge Mann beginnt zu lachen. „Ich kann dich wirklich nicht einschätzen, du bist kaum greifbar, aber das gefällt mir sehr.“ Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, kommt er auf mich zu, legt seine Hand in meinen Nacken und küsst mich leidenschaftlich. Mir wird leicht schwindelig, sodass ich mich Halt suchend an ihm festkralle. „Du bist viel undurchsichtiger“, flüstere ich etwas benommen. „Warum dealst du mit Drogen, wenn du das Geld offensichtlich nicht brauchst?“ „Sagte ich doch, um süße Strichjungen von mir abhängig zu machen. Zum einen betäube ich sie mit den Drogen, spiele mit ihnen und ficke ihre wehrlosen Körper, zum anderen brauchen sie den Stoff und kommen immer wieder zu mir zurück.“ „Wäre es nicht schöner, wenn sie deinetwegen zurückkommen würden? Dein Vorgehen ist doch eher armselig, findest du nicht?“ Mein Gegenüber gleitet mit seiner Hand unter meine Jacke samt Hemd, über meine nackte Haut. „Mag sein. Ich suche jedoch keine Freunde, sondern lediglich Spielzeug, das mich erregt und welches ich nach Belieben benutzen kann. So intensiv wie mit dir habe ich mich mit noch keinem der Jungs unterhalten.“ „Willst du mich schon wieder ficken?“ Vergeblich versuche ich mich aus seinen Armen zu befreien. „Ja. Wahrscheinlich liegt es daran, weil du mir das Gefühl gibst, nie die komplette Kontrolle über dich zu haben. Das reizt mich und ich will dich erst recht unterwerfen.“ „Vergiss es, du wirst mich nie unterwerfen können. Du hast es nicht einmal geschafft, mich mit den Drogen von dir abhängig zu machen.“ „Scheint so. Liegt es daran, dass du bis gestern noch clean warst? Was geschieht jetzt, nach dem Rückfall? Du hast Blut geleckt. Ich kann dich gern weiterhin mit Stoff versorgen.“ Knopf für Knopf öffnet er mein Hemd. „Vielen Dank für dein Angebot, aber ich verzichte.“ „Also gut“, seufzt der Fremde, zieht aus seiner Hosentasche sein Portemonnaie und wirft einige Geldscheine auf das Bett. „350000 Yen. Reicht das?“ Sprachlos starre ich das Geld an, dann betrachte ich meinen Gegenüber. „Ich will es nicht“, antworte ich schließlich. „Was? Warum nicht?“ Seine Augen mustern mich erstaunt, irritiert. „Du hast es dir verdient. Wenn du für deine Dienste nicht bezahlt werden willst, sieh es als Schmerzensgeld.“ „Es ist zu viel“, wende ich ein. „Da bin ich anderer Meinung. Du musstest einiges über dich ergehen lassen. Mein Freund und ich haben dich regelrecht geschändet.“ „Verstehe, du denkst, du kannst mit Geld dein schlechtes Gewissen beruhigen.“ „Nimm es einfach, okay?“ Er sammelt die Scheine zusammen und stopft sie in meine Hosentasche. „Die bleiben da!“, befiehlt er und verschließt meinen Mund mit seinen Lippen, bevor ich widersprechen kann. „Jetzt verstehe ich zumindest teilweise, weshalb ich dich nicht von mir abhängig machen kann, mein Süßer. Du lässt dich nicht des Geldes wegen ficken.“ „Ich werde jetzt gehen. Lässt du mich bitte los?“ „Ungern.“ „Okay, fick mich. Und dann gib mich frei.“ „Ein solches Angebot hat mir auch noch niemand gemacht, Kleiner.“ Der Fremde lacht. „Allerdings möchte ich bei Bewusstsein bleiben. Im Übrigen wäre es mir auch lieber gewesen, ich hätte die anderen Male spüren dürfen.“ „Tatsächlich?“ Verblüfft schaut er mich an. „Verstehe, du stehst auf Schmerzen, kann das sein?“ „Kann sein. Nimmst du eigentlich auch selbst Drogen?“ „Nein. Nur zur Qualitätsprüfung.“ „Woher hast du überhaupt so viel Geld, wenn du auf das Dealen nicht angewiesen bist?“ „Ich bin der verzogene Sohn reicher Eltern. Sie besitzen eine Firma, in die ich vor kurzem eingestiegen bin.“ „Du gehst einer seriösen Arbeit nach?“, hake ich überrascht nach. Mein Gegenüber öffnet meine Hose und zieht sie ein Stück nach unten. „Momentan befinde ich mich noch in der Einführungsphase, da ich gerade erst mein Studium abgeschlossen habe, was bedeutet, dass ich überwiegend an nervigen und langweiligen Geschäftsessen teilnehmen muss.“ „Wissen deine Eltern von deinem freizeitlichen Treiben, deinen Vorlieben und illegalen Machenschaften?“ „Natürlich nicht. Aber es interessiert sie zum Glück auch nicht.“ Ich drehe mich um und stütze mich am Bettgestell ab. Als der fremde Mann in mich eindringt, muss ich zum ersten Mal seit Stunden an Taichi und meinen Vater denken. Tränen füllen meine Augen und ich beginne leise zu weinen. „Sind die Schmerzen sehr schlimm?“, höre ich den Mann, der mich mit festen Stößen penetriert, fragen. „Es geht schon. Nimm mich härter“, presse ich gequält hervor. Ich schließe meine Augen und konzentriere mich darauf, ihn intensiv in mir zu spüren und somit alle anderen Gedanken zu vertreiben. Unsere verschwitzten Körper bewegen sich im gleichen Rhythmus, der Raum ist erfüllt von unserem lustvollen Stöhnen. Nach einer Weile sinken wir erschöpft und schwer atmend auf die Matratze. „Würdest du den Weg zu dieser Bar auch allein finden?“ Der Fremde dreht sich zu mir und legt seine Hand auf meinen Brustkorb. „Ja.“ „Komm her, wenn du Probleme hast. Die Nacht auf der Straße verbringen zu müssen ist sicher nicht sehr angenehm. Du kannst jederzeit hier schlafen. Auch wenn du Drogen oder Geld benötigst, kannst du dich an mich wenden. Als Gegenleistung will ich lediglich deinen Körper, ihn nach meinem Belieben benutzen.“ „Wem gehört diese Wohnung? Es sieht nicht so aus, als würde hier jemand tagtäglich leben.“ „Meinem Freund aus der Bar unten. Wir verwenden diese Räumlichkeiten für unsere Sexspiele mit zugedröhnten Strichjungen sowie den Drogenhandel.“ „Es ist faszinierend, wie harmlos du deine kriminellen Handlungen klingen lassen kannst, wie beiläufig du davon sprichst. Ich denke über dein Angebot nach und komme unter Umständen darauf zurück. Aber jetzt lass mich gehen.“ „Hast du ein bestimmtes Ziel? Soll ich dich fahren? Vermutlich war der Sex gerade eher weniger schmerzlindernd, oder?“ Ich setze mich auf und muss mir eingestehen, dass er recht hat. „Würdest du mich zur Takamatsu Mittelschule bringen?“ „Yamato, es ist schön, dich zu sehen“, begrüßt mein Freier mich herzlich, als er das Schulgelände verlässt und mich an der Schulmauer lehnend erblickt. „Allerdings muss ich dich bitten, die Zigarette auszumachen. Wir befinden uns vor einer Schule, nicht an einem Raucherpunkt.“ Ohne Widerworte lasse ich die Zigarette fallen und trete sie aus. Dann schaue ich mich nach einem Papierkorb um, sehe jedoch lediglich die für Flaschen und Dosen bereitgestellten Behältnisse an den Automaten unweit von uns. „Wo ist der nächste Raucherpunkt?“, frage ich, während ich den zertretenen Filter aufhebe. „Ich glaube, ein Stück weiter in diese Richtung.“ Ich folge mit meinen Augen dem Handzeig meines Freiers. „Würden Sie einen Moment auf mich warten? Ich…“ „Nein, ich komme mit. Und auf dem Weg erzählst du mir, was los ist. Du wirkst unruhig und ein wenig neben dir stehend.“ Beschämt senke ich meinen Kopf. Lügen hätte vermutlich keinen Sinn und in meiner momentanen Verfassung könnte ich keine überzeugende Geschichte erfinden, geschweige denn sie glaubhaft rüberbringen. „Ich brauche Heroin“, sage ich kaum hörbar, aber laut genug, um von meinem Freier gehört zu werden. Dieser seufzt. „Willst du dein bisher Erreichtes so einfach zunichte machen? Bitte denk noch einmal darüber nach, anstatt einem plötzlichen Impuls zu folgen.“ Verständnisvoll spüre ich die Hand meines Freiers auf meiner Schulter, weise sie allerdings sofort zurück. „Ich habe letzte Nacht sowohl GHB als auch Heroin konsumiert.“ Mein Freier bleibt stehen und hält mich am Handgelenk fest. „Gab es einen Grund? Sieh mich an, Yamato!“ Schuldbewusst weiche ich seinem Blick aus. „Hattest du Streit mit Taichi oder deinem Vater?“ „Nein… es ist alles meine Schuld!“ Meine Beine tragen mich nicht mehr und ich breche vor meinem Freier auf dem Gehweg zusammen. Tränen laufen unaufhörlich meine Wangen hinab. „Ich hätte mich niemals in meinen Vater verlieben dürfen! Nie hätte ich Gefühle für Akito entwickeln dürfen! Vielleicht würde er dann sogar noch leben. Vielleicht wäre Taichi dann nie in den Alkoholismus gerutscht. Warum passiert das alles?“, frage ich schluchzend, während ich kraftlos immer weiter in mich zusammensinke. Mein Freier versucht mir Halt zu geben, indem er mich schützend in den Arm nimmt. Die seltsamen Blicke der Passanten blenden wir beide aus. „Warum kann ich alle in meiner Nähe immer nur verletzen? Warum tue ich ihnen immer nur schlimme Dinge an? Ich will Taichi glücklich machen. Einfach nur glücklich machen. Warum geht es nicht? Warum kann ich das nicht, verdammt!“ Verzweifelt presse ich mich an den Körper meines Freiers, kralle meine Finger fest in dessen Anzug. „Ich liebe Taichi! Es tut so weh! Es tut so sehr weh, ihn zu lieben!“ Nach wie vor laufen Tränen unablässig über mein Gesicht. Mein Hals schmerzt bereits und ich kann kaum schlucken, trotzdem höre ich nicht auf zu weinen. Allmählich wird auch meine Atmung unregelmäßiger, hektischer und doch schwerfälliger. Ich muss mich beruhigen, sonst endet dieser ohnehin unnötige Nervenzusammenbruch in einer Hyperventilation. Erst jetzt spüre ich die Hand meines Freiers, mit der er beruhigend durch mein Haar streicht. „Ich kann nicht! Ich kann nicht nach Hause zurück!“ Heftige Bauchkrämpfe zwingen mich, endgültig aufzugeben. „Bitte! Helfen Sie mir!“ Ich krümme mich in den Armen meines Freiers vor Schmerzen zusammen. Eine junge Frau beugt sich ein wenig zu uns hinab. „Was ist passiert? Braucht der Junge einen Arzt?“, fragt sie besorgt. „Nein, vielen Dank. Es wird ihm gleich wieder besser gehen.“ „Danach sieht es aber nicht aus“, erwidert die junge Frau misstrauisch. „Sind Sie sein Vater?“ „Ich bitte Sie, weiterzugehen.“ Mein Freier klingt sehr freundlich, spricht seine Worte jedoch mit Nachdruck. Er hält meinen zitternden Körper noch immer fest in seinen Armen. Tief nehme ich seinen Duft in mich auf, schließe meine Augen und versuche kontrolliert ein- und auszuatmen. „Er wird ruhiger. Glauben Sie mir nun?“, richtet mein Freier seine Frage an die junge Frau, die noch immer neben uns steht. Schwerfällig versuche ich mich aufzurichten, mein Freier stützt mich dabei. Lächelnd schaue ich die junge Frau an. „Er hat recht. Sie müssen sich keine Sorgen machen. Mir geht es gut.“ Die Frau betrachtet mich eingehend. „Bist du sicher? Du siehst sehr blass aus.“ „Ja, vielen Dank.“ Ich verbeuge mich und gehe, mich an meinem Freier festhaltend, an ihr vorbei. Schweigend laufen wir ein Stück. „Yamato, ich werde dich dann nach Hause fahren.“ Abrupt bleibe ich stehen und starre ihn fassungslos an. „Warum? Ich dachte, Sie würden mir helfen!“, sage ich vorwurfsvoll, löse mich von meinem Freier und gehe auf Abstand. „Genau damit helfe ich dir am meisten. Und ich führe auf offener Straße auch keine Diskussionen, hast du verstanden, Yamato?“, äußert sich mein Gegenüber bestimmt. „Ich habe den zertretenen Zigarettenfilter verloren.“ Meine Stimme ist leise und monoton. „Das ist nun auch egal. Gehen wir zum Auto.“ Langsam laufen wir den Weg zurück, vorbei an dem verlorenen Zigarettenfilter, der auffällig und doch unbeachtet auf dem Asphalt liegt. Erst als die Fahrzeugtüren zugezogen sind, bricht mein Freier die unangenehme Stille zwischen uns. „Was ist vorgefallen, dass du solche Angst davor hast, nach Hause zu gehen, mein Süßer?“ Sanft legt er seine Hand auf meinen Oberschenkel. „Ich liebe meinen Vater.“ Lasziv spreize ich meine Beine ein wenig, woraufhin seine Hand an der Innenseite nach oben gleitet. „Darf ich Sie etwas fragen? Wie schaffen Sie es, die Nähe ihres Sohnes zu ertragen, ohne ihn anzufassen, ohne mit ihm zu schlafen?“ „Eigentlich sollte ich dir nicht ehrlich antworten, aber ich möchte dich auch nicht belügen. Oft ist es alles andere als einfach. Zwar versuche ich durch den Sex mit dir unter anderem mein Verlangen nach meinem Sohn zu stillen, doch du weißt selbst, dass es nicht dasselbe ist. Ich kann deinen Vater ebenso wenig ersetzen. Außerdem bist du nicht immer im richtigen Moment verfügbar. Wenn es möglich ist, verlasse ich die Wohnung, nehme mir ein Hotelzimmer und entfliehe der Realität, indem ich mir einen Schuss setze oder andere Drogen konsumiere. Je nach Grundstimmung. Falls ich allerdings mit meinem Sohn allein zu Hause bin und er mit mir spielen will, muss ich mir immer wieder sagen, dass ich ihn vergewaltige, wenn ich Hand an ihn lege.“ „Und das funktioniert?“ „Naja, schon. Irgendwie. Eine Erektion bekomme ich trotzdem manchmal. In dem Fall hole ich mir im Bad einen runter.“ „Das kommt mir bekannt vor“, erinnere ich mich bitter. „Welche Gedanken gehen dir durch den Kopf, wenn du deinen Vater siehst?“ Kurz überlege ich. „Ich liebe ihn, will ihn berühren, seinen Körper spüren, ihn in mich aufnehmen.“ „Versuche deine Gedanken zu beeinflussen, umzulenken. Vielleicht solltest du stattdessen an Taichi denken.“ Ich lächle traurig. „Taichi ist mein Ein und Alles. Ohne ihn kann ich nicht leben. Aber man kann einen Menschen nicht gegen einen anderen austauschen. Auch Sie sind unersetzlich für mich.“ An seiner Krawatte ziehe ich meinen Freier zu mir und küsse ihn. „Fahren Sie mich bitte nach Hause.“ Erleichtert wuschelt er durch meine Haare und startet den Wagen. „Dass ich weggelaufen bin, war eine Panikreaktion. Ich war von der Gegenwart meines Vaters überfordert. Hinzu kamen meine Unfähigkeit, Taichi zu helfen, sowie die Beziehung der beiden zueinander. Ich dröhnte mich mit Drogen zu, verbrachte die Nacht mit fremden Männern und kann mich an kaum etwas erinnern.“ „Wurdest du von den Typen unter Drogen gesetzt oder war die Einnahme freiwillig?“ Ich schaue aus dem Fenster und folge mit meinen Augen den vorbeiziehenden Häusern. „Keine Ahnung. Das ist auch nicht wichtig. Allerdings…“ „Du willst wieder fixen?“, führt mein Freier meinen Satz weiter. „Ja“, antworte ich entschieden. Kapitel 32: ------------ Ein unbestimmtes Angstgefühl überkommt mich, als ich den Schlüssel im Schloss drehe und die Tür zur Wohnung öffne. Sofort steigt mir der Geruch von Zigaretten in die Nase. Offenbar hält auch mein Vater sich nicht an seine eigene Regel, nur am Fenster zu rauchen. Umständlich ziehe ich meine Schuhe aus, da die Folgen der letzten Nacht noch deutlich spürbar sind. Mein Vater schaut aus der Küche. Er sieht müde und erschöpft aus. Ohne ein Wort zu sagen, kommt er auf mich zu und schlägt mir so hart ins Gesicht, dass ich Blut in meinem Mund schmecke. Mein Gleichgewicht verlierend stürze ich unsanft zu Boden. „Wo warst du, verdammt!?“, schreit mein Vater mich wütend an. „Wo, Yamato?“ Beschämt senke ich meinen Blick. Von der Ohrfeige dröhnt mein Kopf noch mehr als zuvor, mit meinen Fingern streiche ich behutsam über meine schmerzende Wange. Eine Antwort gebe ich ihm nicht. „Hast du die Nacht mit diesem perversen Lehrer verbracht? Ich zeige ihn wegen Kindesmissbrauchs an!“, droht mein Vater hasserfüllt. „Nein!“, entgegne ich aufgebracht. „Hör endlich auf ihn abzuwerten und zu beleidigen! Du kennst ihn überhaupt nicht!“ „Es reicht, dass ich weiß, was er meinem Sohn antut!“ „Das Einzige, was er mir antut, ist für mich da zu sein, wenn ich allein nicht mehr klarkomme. Im Gegensatz zu dir!“ Noch einmal schlägt mir mein Vater rücksichtslos ins Gesicht. Ein Lächeln zeichnet sich auf meinen Lippen ab. Ich muss ihn dazu bringen, die Kontrolle über sich zu verlieren, denn nur so wird er dem Menschen wehtun, der ihn kaputt macht. Nur so werde ich seinen ganzen Hass und seine aufgestaute Wut zu spüren bekommen. Danach geht es uns beiden vielleicht etwas besser. „Ich war in Shibuya.“ Provokatorisch schaue ich meinen Gegenüber an. „Geld verdienen.“ Fahrig krame ich in meiner Hosentasche und werfe meinem Vater das Geld vor die Füße. „Siehst du? Dein Sohn war fleißig.“ Bestürzt, mit geweiteten Augen, starrt er auf die Scheine. „Du… nein… das…“ Mein Vater hat sichtlich Mühe, seine Fassung wiederzuerlangen. „Wieso? Du solltest froh darüber sein. Wenn andere ihre Schwänze oft genug in mich stecken, musst du das nicht mehr tun. Ich lasse dich in Ruhe, okay?“ Meine Hoffnung war, ihn mit dieser Aussage in Rage bringen zu können, doch mein Gegenüber wird wider Erwarten ruhiger. Mit einem seltsamen Gesichtsausdruck betrachtet er mich. „Steh auf“, befiehlt er streng. Verwirrt über die unerwartete Reaktion meines Vaters gehorche ich nahezu ergeben. „Du wirst jetzt bei der Polizei anrufen und denen erklären, wo du warst und was du die ganze Nacht gemacht hast.“ „Was?“, frage ich völlig aus dem Konzept gebracht und mit wachsendem unguten Gefühl. „Nachdem du gestern Abend weggelaufen bist, gab ich eine Suchmeldung bei der Polizei auf. Seit ich wieder zu Hause bin, komme ich nicht an dich heran. Was sollte ich also tun? Anders wusste ich mir nicht mehr zu helfen.“ Panisch und doch starr vor Schreck stehe ich im Flur und schaue meinen Vater hilflos an. „Du hast die Polizei…“ „Yamato, ich hatte wahnsinnige Angst, dass du dir etwas antust!“ Die Stimme meines Vaters zittert leicht. „Warst du wirklich in Shibuya? Eigentlich hätte die Polizei dich dann finden müssen, denn dort suchten sie verstärkt in den Bars und Stundenhotels nach dir.“ „Ja, war ich. Die ganze Nacht, soweit ich weiß. Falls die Polizei auch in dem Club nach mir suchte, in welchem ich mich aufhielt, log das Personal vermutlich. Wahrscheinlich auf Anweisung ihres Chefs, da er sich ungestört mit mir vergnügen wollte.“ „Du erzählst das alles so ungerührt. Macht es dir gar nichts mehr aus? Bist du mittlerweile so abgestumpft?“, fragt mein Gegenüber voller Verzweiflung. „Von wie vielen hast du dich vögeln lassen und vor allem, was musstest du machen, um einen solchen Geldbetrag zu erlangen?“ Ich richte meinen Blick auf den Boden, da ich meinem Vater nicht mehr in die Augen sehen kann. „An die letzte Nacht erinnere ich mich nur sehr lückenhaft. Mich sprach auf der Straße ein junger Mann an, der mich mit zur Bar seines Freundes nahm. Dann…“ „Hast du Drogen genommen?“, unterbricht mein Vater meine Ausführungen. Er klingt weniger verärgert als besorgt. Ich beschließe die Wahrheit zu sagen, um ihn zusätzlich zu provozieren. „Ja, habe ich.“ „Freiwillig?“ „Was spielt das für eine Rolle? Ich war so drauf, dass ich nichts mehr mitbekam.“ „Du weißt nicht einmal, was die mit dir gemacht haben?“ Lächelnd zucke ich mit den Schultern. „Es war schmerzhaft. Ich schätze, sie praktizierten irgendwelche abartigen Spielchen. Die 350000 Yen dienen quasi als Entschädigung“, mutmaße ich in gleichgültigem Tonfall. Tränen laufen meinem Vater über die Wangen. „Verdammt, Yamato! Bist du dir denn gar nichts mehr wert? Dich scheint überhaupt nicht zu interessieren, was mit dir passiert.“ „Richtig, es ist mir egal. Solange die Bezahlung stimmt…“ Erneut schlägt mein Vater mir hart ins Gesicht. „Denkst du überhaupt noch an Taichi? Er sucht nach dir! Noch immer!“ „Wieso hast du ihn gehen lassen? Er ist auf Entzug, verdammt! Glaubst du tatsächlich, dass er nach mir sucht? Er wird sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken… in irgendeiner Seitenstraße, unter einer Brücke…“ Schluchzend wische ich mit meinem Ärmel die Tränen von meiner Haut. „Allein, halbtot… und ich…“ Mein Vater kommt einen Schritt auf mich zu. „Du scheinst ja doch noch etwas zu fühlen.“ „Natürlich fühle ich etwas!“, schreie ich ihn ungehalten an. „Ich liebe Taichi… und ich… liebe dich! Aber du vögelst ihn… und er braucht dich. Das ist in Ordnung. Vielleicht werdet ihr so endlich glücklich.“ Verzerrt lächle ich meinen Vater an. „Schlag mich!“, bitte ich ihn ruhig. Beinahe verstört mustert er meinen Körper. Dann schaut er in meine Augen, als suche er nach etwas. Ich halte seinem Blick stand. „Yamato, was…“ „Schlag mich so lange, bis ich nicht mehr aufstehe!“, fordere ich nun mit lauter Stimme. „Schlag mich, Papa! Du musst es tun! Du musst! Für dich, für mich…“ Weinend nimmt mein Vater mich in den Arm. „Nein! Was tust du denn?“ Panisch versuche ich mich von ihm zu lösen, doch je heftiger ich mich wehre, desto fester umschließt er meinen Körper. „Lass mich los! Fass mich nicht an!“ „Shh… ruhig, Yamato“, flüstert mein Vater sanft. Kraftlos breche ich in seinen Armen zusammen. Er hat Mühe, mich auf den Beinen zu halten, nach kurzer Zeit sinken wir beide zu Boden. „Hasse mich, Papa! Du musst mich hassen… mir wehtun… dir helfen…“ Allmählich werde ich hysterisch. „Ich liebe dich, mein Sohn“, entgegnet mein Vater voller Zuneigung und zieht mich mit sich in eine aufrechte Haltung. „Nein! Verdammt nochmal, das darfst du nicht! Du musst…“ Aufgebracht und rücksichtslos stoße ich ihn von mir. Mein Vater taumelt, erlangt aber sofort sein Gleichgewicht und bewegt sich wieder auf mich zu. „Yamato, egal, was zwischen uns…“, beginnt er auf mich einzureden. „Halt deinen Mund!“ Im Affekt schlage ich meinen Vater ungehemmt mit der Faust ins Gesicht. Dann ist alles still. Über mich selbst erschrocken stehe ich schuldbewusst vor ihm. Blut läuft aus seiner Nase, welches er mit seinem Handrücken abwischt. Langsam gehe ich ein paar Schritte rückwärts, bis ich mit meinem Rücken gegen die Wohnungstür stoße. Ich zittere, in meinem Kopf herrscht Chaos und Leere zugleich. „Töte mich“, hauche ich leblos. „Wenn du mich nicht hassen kannst, dann töte mich.“ „Yamato, hör auf damit, solche Aussagen zu tätigen.“ Mein Vater setzt sich in Bewegung, doch ich gebiete ihm Einhalt, indem ich mein Messer aus der Jackentasche hole und an meine Kehle presse. „Bleib stehen. Keinen Schritt weiter oder ich ziehe die Klinge durch.“ Kurz betrachtet mich mein Gegenüber abschätzend, dann geht er das Wagnis ein, näher zu kommen. Mit leichtem Druck zerteile ich die Haut an meinem Hals. Sofort spüre ich warmes Blut darüber laufen und schließe die Augen. Es ist die gleiche Wunde, die ich Taichi zufügte. Nicht lebensgefährlich. An derselben Stelle. Mein Vater nutzt den Moment meiner Unachtsamkeit, um zu mir zu gelangen und das Messer meiner Hand zu entwinden. Er wirft es über den Flur in Richtung des Wohnzimmers, weit weg von uns. Mich presst er mit seinem Körper gegen die Wohnungstür und macht mich auf diese Weise nahezu bewegungsunfähig. „Ich liebe dich, Yamato“, flüstert er immer wieder in mein Ohr. „Ich liebe dich, ich liebe dich…“ „Sei still! Bitte, sei still.“ Meine Stimme versagt und ich klammere mich laut weinend wie ein Kind an meinen Vater. „Du musst mich hassen. Nur so kann ich meine Liebe für dich töten. Und du kannst glücklich werden.“ „In welch unsinnige Idee hast du dich nur wieder verrannt?“, seufzt mein Vater, drückt mich fester an sich und streichelt über meinen Hinterkopf. „Bitte, töte mich“, entgegne ich teilnahmslos. „Nicht nur für dich. Auch für Taichi. Für mich. Ich bin müde. Tag für Tag, immer weiter, immer leben, existieren. Etwas tun, sich einfügen, irgendwie da sein. Wozu? Jeder lebt doch eigentlich für sich, in erster Linie. Andere sollten egal sein. Jedes Leben geht auch ohne ein anderes weiter. Jedoch nicht ohne sich selbst. Und wenn das Selbst keinen Wert hat? Nicht für sich? Für andere? Sollte man dann gegen sich selbst, aber für andere leben? Wird man so jemals glücklich sein? Du wirst glücklich sein, ohne mich. Taichi wird glücklich sein, ohne mich. Ich werde glücklich sein, ohne mich. Töte mich. Befreie dich, befreie Taichi, damit ihr beide wieder atmen könnt. Ich kann nicht mehr. Nicht mehr atmen. Ich will nicht mehr. Nicht mehr wollen müssen. So zu tun, als würde ich leben, ergibt keinen Sinn mehr. Ist es feige, einfach zu gehen? Vielleicht, doch es ist mir egal. Im Tod spielt nichts eine Rolle. Außer Stille. Endlich Ruhe.“ Tränen laufen unablässig über meine Wangen. Schweigend und reglos hält mein Vater mich fest an sich gepresst. „Weißt du, Papa, ich wollte kein drogenabhängiger Stricher mehr sein. Für Taichi. Für dich. Diesmal wollte ich es schaffen. Diesmal wollte ich durchhalten. Doch ich habe erneut versagt. Es tut mir leid, Papa. Taichi fing meinetwegen zu trinken an, hin und wieder, wenn etwas vorgefallen war, dann immer mehr, dann immer. Du hast mit mir geschlafen. Mehrfach. Nicht, weil du es wolltest, sondern weil du hofftest, mir damit zu helfen. Aber ich wollte keine Hilfe. Ich wollte dich. Spüren. In mir. Ich liebe dich. So wie Taichi. Und doch anders. Es gibt keinen Ersatz. Für niemanden. Egal, von wie vielen Männern ich mich ficken lasse und mir dabei vorstelle, mit dir zu schlafen… es geht nicht. Die sind nicht du. Sie fühlen sich nicht an wie du. Sie riechen anders als du. Bei ihnen wird mir schlecht. Bei dir nicht. Ich gebe mich dir freiwillig hin, nicht zwanghaft. Innerer Zwang, das Verlangen nach Selbstverletzung. Selbstzerstörung. Selbstvernichtung. Den Kampf gegen mich selbst werde ich immer wieder verlieren. Töte mich. Setze dieser Farce ein Ende. Du wirst sehen, ich werde dich lächelnd verabschieden.“ „Warum tust du es nicht selbst, wenn du unbedingt sterben willst?“, fragt mein Vater mit belegter Stimme. „Ich weiß es nicht“, antworte ich ruhig. „Wahrscheinlich, weil ich inzwischen aus Gewohnheit lebe.“ Ich öffne meine Augen. Es ist dunkel, aber ich erkenne die Konturen meines Zimmers. Was ist geschehen? Wie kam ich in mein Bett? Müde setze ich mich auf und fahre mit meinen Händen über mein Gesicht. Nein, eigentlich will ich mich nicht erinnern. An nichts. Meine schmerzende Wange und mein als Spielzeug benutzter Körper lassen mich jedoch nicht vergessen. Mein Hals ist trocken und erschwert mir das Schlucken. Ich greife nach der Flasche neben meinem Bett. Sie ist fast leer, das Wasser abgestanden. Angewidert stelle ich die Flasche zurück auf den Boden. Ich will frisches Wasser. Kaltes Wasser, welches meine Kehle hinab läuft und den Schmerz lindert. Klares Wasser, welches meinen schmutzigen Körper reinigt, den an mir haftenden Geruch anderer Menschen abwäscht. Heißes Wasser, welches die Berührungen Fremder von meiner Haut brennt. Nein, ich muss mich erinnern. An jede Erniedrigung, die mir meine eigene Wertlosigkeit aufzeigt und die ich herbeisehne, um dieselben Qualen ertragen zu müssen, die ich anderen antat. An den Ekel, der mir vor Augen führt, wie abstoßend Berührungen sein können. An die Angst, die mich lähmt und somit handlungsunfähig und wehrlos macht. Wofür sonst sollte ich am Leben bleiben? Ich zittere und ein leichter Schweißfilm bildet sich auf meiner Haut. Erneut Entzugserscheinungen. Mein Vater gab mir eine geringe Dosis des, für den Ausnahmefall verschriebenen, Schlafmittels, da mein Körper allmählich mit eindeutigen Reaktionen nach dem nächsten Schuss verlangte. Für einen kurzen Moment wäre ich fast so weit gewesen, meinem Vater von meinem Heroinkonsum zu erzählen. Glücklicherweise setzte mein Verstand rechtzeitig ein, sodass ich letztlich schwieg. Beim Umziehen musste ich auf meinen Arm wegen der leicht vernarbten Einstichstellen achten, da mein Vater sich weigerte das Zimmer zu verlassen. Er blieb, bis die Wirkung des Medikaments einsetzte, ich ruhiger wurde und schließlich einschlief. Mit Bedacht, um ein mögliches Absacken meines Kreislaufes zu verhindern, stehe ich auf und gehe zu meinem Tisch. Aus der darauf befindlichen Schachtel nehme ich eine Zigarette und zünde sie an. Es ist ein sinnloser Versuch, das Verlangen nach Heroin durch den Konsum von Nikotin zu verringern, aber momentan bleibt mir keine Alternative. Am geöffneten Fenster stehend schaue ich in die Nacht hinaus. Ich spüre die warme Frühlingsluft, hin und wieder streift eine kühle Brise sanft meine Haut. Ich lebe. Weiterhin. Und seltsamerweise ist es in Ordnung. Mir ist bewusst, dass mein Tod für alle das Beste wäre. Aber wenn ich wirklich sterben wollte, hätte ich mich dann nicht schon längst getötet? Waren die bisherigen Selbstmordversuche nicht eher halbherzig? Verzweifelte Kurzschlussreaktionen? Ich wollte etwas in mir töten. Gefühle, Gedanken… ein Ich, das es nicht geben darf. Ein Ich, welches ich inzwischen auf Raten versuche zu zerstören. Wie erwartet hat das Nikotin keinerlei Einfluss auf mein Verlangen nach Heroin. Vielleicht sollte ich erst einmal duschen. Seit diese Typen… es fühlt sich so an, als würde noch Blut, Sperma und Speichel an und in mir kleben. Die Zigarette gleitet aus meinen Fingern und ich beobachte, wie sie in die Tiefe fällt. Dann verlasse ich mein Zimmer. Im Flur höre ich Geräusche aus dem Wohnzimmer. Die Tür steht einen Spalt weit offen. Langsamen Schrittes bewege ich mich darauf zu und werfe einen Blick in den Raum. Der Fernseher läuft. Auf dem Sofa sitzt mein Vater, seinen Arm um Taichi gelegt, der an ihn gelehnt dicht neben ihm sitzt. „Denkst du, Yamato hat die Drogen freiwillig genommen? Auf mich machte es den Eindruck, als versuchte er diesmal ernsthaft von dem GHB loszukommen. Und nach deiner Schilderung bezüglich Yamatos Aussage zweifle ich ein wenig an seinem indirekten Schuldeingeständnis. Allerdings ist Yamato dahingehend schwer einzuschätzen. Er weiß, dass er nicht lügen kann, und ich glaube, er will es auch gar nicht. Stattdessen dementiert er einfach nichts und schweigt. Dabei vergisst er nur, wie schlimm es ist, im Ungewissen gelassen zu werden.“ „Vielleicht sagt er nichts, um sich selbst zu schützen und das Erlebte auf diese Weise ungeschehen zu machen.“ „So einfach funktioniert das leider nicht. Dessen müsste er sich eigentlich bewusst sein.“ „Wahrscheinlich ist er sich dessen auch bewusst.“ „Warum sagt er dann nichts? Lediglich wenn er die Kontrolle verliert, wirft Yamato seinem Gegenüber unüberlegt Details an den Kopf. Soll ich ihn jedes Mal provozieren, wenn ich das Gefühl habe, dass etwas vorgefallen ist? Auf diese Weise helfe ich ihm letztlich auch nicht, oder?“ „Taichi, ich verstehe deine Sorge meinen Sohn betreffend, aber du vergisst darüber deine eigenen Probleme. Momentan hilfst du allen am meisten, wenn du deine Alkoholabhängigkeit in den Griff bekommst. Yamatos Verfassung hängt auch sehr stark von deinem Befinden ab. Sobald ich auf dich zu sprechen komme, bröckelt seine Fassade und er bricht nervlich zusammen, weil seine Angst um dich überhandnimmt.“ „Ich bemühe mich, aber…“ „Nein, Taichi. Kein Aber. Ich bin froh, dass du es geschafft hast, allein unterwegs zu sein, ohne rückfällig zu werden. Das ist ein Erfolg und ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.“ Taichi richtet sich etwas auf und sieht meinen Vater an. „Hiroaki, ich…“, beginnt mein Freund seinen Satz, den er jedoch nicht beendet. Stattdessen beugt er sich zu meinem Vater und küsst ihn. Der erwidert den Kuss nur zögerlich, lässt sich dann jedoch auf meinen Freund ein. Ihr Zungenspiel ist fordernd und sehr leidenschaftlich. Taichi wird von meinem Vater behutsam zurückgedrängt und kommt unter ihm auf dem Sofa zum Liegen. Ich wende mich ab und gehe ins Bad. Hinter mir verschließe ich die Tür. Ohne darüber nachzudenken, stelle ich mich unter die Dusche und schalte das heiße Wasser an. Eine Weile bleibe ich mit dem Kopf gegen die Wand gelehnt stehen, dann sinke ich kraftlos zu Boden. Meine Kleidung hängt, völlig durchnässt, schwer an mir herab. Die Hitze brennt auf meiner Haut. Während ich meine Schlafsachen ausziehe, um den Schmutz abwaschen zu können, singe ich leise vor mich hin. Die letzten Sonnenstrahlen gehen Sie verlassen dich Du stehst hier oben bis die Nacht anbricht Und du merkst in dir erwacht Langsam die Erinnerung Du hüllst dich in Gedanken ein Willst in deiner Traumwelt sein Lässt nichts mehr an dich ran Und du machst die Augen zu Wirst langsam unsichtbar Und du fliegst Immer höher immer weiter Wenn du willst Bis ans Ende dieser Welt Deine Reise führt zu dem Versteck Das nur du alleine kennst Weit, weit weg... Vor aller Welt schließt du die Tür Niemand kommt herein Sich auszublenden kann so einfach sein Und du fühlst in dir regiert Nur die Erinnerung Es ist so einfach wie im Flug Alles schwerelos und leicht Den geheimen Ort hast du bald erreicht Und du merkst Du wirst langsam unsichtbar Es dauert eine Weile, bis ich den Schmerz, der durch das heiße Wasser auf meiner Haut entsteht, nicht mehr aushalten kann. Verkrampft ziehe ich mich an dem Wasserhahn nach oben, wobei ich ihn gleichzeitig ausschalte. Zitternd krieche ich aus der Dusche und bleibe erschöpft auf den kalten Fliesen liegen. Heroin. GHB. Ich brauche irgendetwas, um der Realität entfliehen zu können. Vielleicht funktioniert es mit einer Überdosierung des verschriebenen Neuroleptikums. Ich stehe auf und bewege mich unsicher auf den Schrank zu, in dem ich meine Psychopharmaka aufbewahre. Eigentlich vermied ich bisher einen Missbrauch dieser Medikamente. Die Vorstellung verursachte immer ein unangenehmes Gefühl. Ich drücke einige Tabletten aus der Blisterpackung, etwa die Wirkstoffmenge, die zur Behandlung von Schizophrenie verabreicht wird, um Wahnvorstellungen und psychotische Schübe einzudämmen, und schlucke sie mit etwas Wasser hinunter. Anschließend lege ich mich wieder auf die Fliesen und warte auf das Einsetzen der Wirkung. Unbemerkt fallen mir langsam die Augen zu. Als ich sie kurz darauf öffne, ist meine Umgebung völlig verzerrt. Für einen Moment scheine ich eingeschlafen zu sein. Ich bekomme kaum Luft, da meine Nase zu trocken ist. Umständlich drehe ich mich auf die Seite. Ich falle, alles dreht sich, mir fehlt jegliche Orientierung. Trinken. Da ich keine Kontrolle über meinen Körper habe, gestaltet es sich schwierig, zum Waschbecken zu gelangen. Nur unter großer Anstrengung und stark taumelnd gelingt es mir. Gierig nehme ich die kühle Flüssigkeit in mich auf, obwohl ich mich kaum auf den Beinen halten kann. Dann versuche ich wankend zur Tür zu gelangen, breche aber auf dem Weg zusammen. Ich bleibe keuchend liegen und drehe mich auf den Rücken. In meinem gesamten Körper spüre ich überdeutlich mein Blut pulsieren. Meine Adern werden zu alten, rostigen Rohren, die zu zerbersten drohen. Aus dem Rauschen in meinen Ohren geht ein unbestimmtes Flüstern hervor. Die Stimmen schwirren in meinem Kopf umher, doch ich verstehe nicht, was sie sagen. Angsterfüllt schrecke ich zusammen, jedes Mal, wenn ich berührt werde. Ich versuche mir vor Augen zu führen, dass es sich lediglich um Halluzinationen handelt, trotzdem nimmt diese irrationale Panik überhand. Ich lege meine Hand auf die Stelle, an der sich mein Herz befindet. Dieses schlägt, entgegnen meiner Bemühung, mich zu beruhigen, immer schneller. Das Pulsieren in meinem Körper wird deutlich stärker, die Stimmen lauter und die Berührungen intensiver. Auf jede kleine Bewegung folgen heftige Reaktionen und ich fühle mich ausgelaugt, als würde ich gerade Hochleistungssport betreiben. Dabei liege ich relativ starr auf dem Boden. Mein Herz pumpt schmerzhaft das Blut durch meine Adern. Noch immer kann ich nicht atmen, da meine Nase wie ausgetrocknet ist. Ich entwickle Todesangst. Das Gefühl, zu sterben, raubt mir jegliche Fähigkeit, zu denken. Außerdem selektiert mein Gehirn nicht mehr, Halluzinationen und Realität verschwimmen zunehmend. Die Rohre in meinem Inneren brechen und ich werde überschwemmt von meinem eigenen Blut. Weil ich tief in der Erde begraben bin und mein Brustkorb der Last nicht mehr standhält, ertrinke ich in mir selbst. Die rostigen Metallstäbe, die einmal meine Adern waren, bohren sich durch meine Haut, stoßen aus mir heraus. Ich schreie lautlos, liege still, bewegungslos auf den Fliesen, als würde ich mich in einer toten Hülle befinden. Offenbar bin ich in mir selbst begraben. Doch irgendetwas in mir weiß nach wie vor, dass all diese Halluzinationen medikamenteninduziert sind. Gefangen in Wahnvorstellungen schwöre ich mir nie wieder mit derartigen Psychopharmaka zu experimentieren. Falls ich diesen Horrortrip überlebe und nicht darauf hängenbleibe. Durch eine kalte Hand, die über meine Stirn, die Schläfe hinab zu meiner Wange streichelt, werde ich aus der Bewusstlosigkeit zurück in die Realität geholt. Vorsichtig öffne ich meine Augen und erblicke die von der Sonne beschienene Decke meines Zimmers. Es ist hell, sodass ich meine Augen kurz wieder schließe. „Soll ich die Vorhänge zuziehen oder das Rollo ein Stück herunterlassen?“ Ich erkenne Taichis Stimme. Sie klingt liebevoll, fast fürsorglich. „Wie bin ich in mein Bett gekommen?“, frage ich mit kratziger Stimme, da mein Hals zu trocken ist. „Irgendwann in der Nacht kamst du unbekleidet aus dem Bad und bist im Flur zusammengebrochen. Deine Worte ergaben keinen Sinn, du warst nicht ansprechbar. Wir wussten nicht, ob die Halluzinationen lediglich drogeninduziert waren oder ob wir besser den Notarzt rufen sollten. Schließlich brachten wir dich erst einmal in dein Bett. Glücklicherweise wurdest du nach einiger Zeit ruhiger und bist dann eingeschlafen.“ „Ich erinnere mich kaum“, murmele ich, wobei ich angespannt über meine Augen reibe. „Schläfst du mittlerweile regelmäßig mit meinem Vater?“ „Was?“, fragt mein Freund überrascht. „Nein, will ich auch nicht.“ „So?“, ist das Einzige, was ich ihm entgegenbringe. Die Halluzinationen sind zwar verschwunden, starke, unterschwellige und nicht benennbare Angstgefühle jedoch geblieben. Ich drehe mich zu meinem Freund und schaue ihn an. „Bleib bitte bei mir. Lass mich nicht allein. Nicht jetzt. Und auch sonst nicht. Versprich es.“ „Versprochen“, entgegnet Taichi ernst. „Wo ist Hiroaki?“, frage ich ganz bewusst. An seinem Blick erkenne ich, dass mein Freund die Anspielung verstanden hat. „Einkaufen“, antwortet er knapp und sieht mich unverwandt an. „Mein Vater lässt uns beide unbeaufsichtigt?“, spotte ich. „Der Kühlschrank ist leer. Mich ließ er nicht gehen und dich alleinzulassen stand ohnehin nicht als Option zur Verfügung. Ihm blieb also keine andere Wahl, als selbst zu gehen.“ „Halt mich fest, Taichi.“ Bevor er reagieren kann, umarme ich ihn sehnsüchtig, aber voller Angst. Irritiert drückt er mich an sich. „Yamato.“ „Ich liebe dich“, hauche ich stimmlos. „Ich liebe dich so sehr. Es tut weh, Tai. Doch es soll nicht aufhören. Ich will das alles nicht verlieren. Ich will dich nicht verlieren.“ Zitternd klammere ich mich an meinen Freund. Der wirkt ratlos. „Ist etwas passiert? Du bist völlig verängstigt. Was hast du im Bad gemacht?“ Ich löse mich von ihm, schaue ihn jedoch nicht an. „Es tut mir leid. Ich bemerkte nicht, dass du meine Nähe als unangenehm empfindest.“ Mit diesen Worten entferne ich mich von Taichi, indem ich aufstehe und zum Fenster gehe, obwohl die Distanz zu ihm momentan unerträglich schmerzhaft für mich ist. Fahrig halte ich das Ende einer Zigarette in die Flamme des Feuerzeugs. Ich ziehe einige Male am Filter, atme den Rauch tief ein und nehme das Nikotin verlangend in mich auf. Sichtlich beunruhigt kommt mein Freund auf mich zu, streichelt leicht über meine Wange und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Dann gleitet er mit seinen Fingern durch meine Haare. „Sie werden immer länger“, bemerkt er feststellend. „Würdest du sie schneiden lassen, wenn ich dich dazu auffordere?“ „Ja“, antworte ich ohne zu zögern. „Befiehlst du es?“ „Nein, die Frage war rein hypothetisch.“ „Kein Appell? Wozu dann…? Ich meine…“ Traurig senke ich meinen Kopf. „Bitte gib mich nicht auf. Das ist viel verlangt, oder?“ Offensichtlich besorgt nimmt Tai mein Gesicht zwischen seine Hände und zwingt mich damit, ihn anzusehen. „Was ist los, Yamato? Du wirkst verschreckt und unterwürfig.“ „Ich habe Angst.“ „Wovor?“ „Ich weiß es nicht. Aber dieses Gefühl frisst mich auf. Es lähmt mich und tötet alles andere in mir.“ Ein paar Mal ziehe ich noch an der Zigarette, dann lasse ich sie aus dem Fenster fallen. „Wenn dein Vater vom Eink…“ „Nenn ihn beim Vornamen, so wie letzte Nacht. Du musst mir nichts mehr vorspielen. Ich weiß, dass du wieder die Beine für ihn breit gemacht hast.“ Meine Stimme bleibt tonlos und frei von Vorwürfen. Akzeptiere ich etwa, meinen Freund an meinen Vater zu verlieren? Und meinen Vater an Taichi? „Wir hatten keinen Sex, Yamato. Aber ich gebe zu, dass ich ihn küsste und er letztlich darauf einging, vermutlich weil er merkte, dass ich auf diese Weise bei ihm nach Halt suchte.“ „… den ich dir nicht geben kann“, bringe ich bitter hervor. „Wie auch, wenn du selbst nicht sicher stehen kannst.“ Verzweifelt nehme ich meinen Freund fest in die Arme. „Sag mir, was ich tun soll. Um dich glücklich zu machen, würde ich alles andere aufgeben. Ich konsumiere keine Drogen mehr, ich schlafe mit niemandem außer dir, ich verletze mich nicht mehr selbst, ich esse…“ „Hör auf, Yamato. Es reicht. Nichts davon könntest du ab sofort einhalten. Das verlange ich auch nicht. Die Angst, die gerade aus dir spricht, bereitet mir allerdings Sorgen. Vielleicht schaffst du es, dich ein wenig abzulenken. Singst du für mich?“ Ich spüre, wie mein Gesicht errötet. Beschämt löse ich mich von meinem Freund, ohne ihn anzusehen. „Warum verlangst du gerade das?“ „Ich verlange nichts, es ist lediglich eine Bitte, die du ablehnen kannst.“ Tai lächelt, ich gebe nach. „Meine Stimme wird zittern“, wende ich noch einmal ein, nehme aber bereits die Gitarre in die Hand und setze mich auf das Bett. Taichi nimmt auf dem Sofa Platz und zu meiner Erleichterung schließt er die Augen. Ein tiefes Gefühl der Zuneigung überdeckt für einen kurzen Moment meine Angst. Etwas zuversichtlicher schlage ich die ersten Saiten an. Das Flüstern, das sich in der lebhaften Menschenmenge verliert, verwischt die Erinnerungen, welche zu meinen Füßen verstreut sind. Ziellos streife ich durch die Gegend, das Funkeln der Straße dröhnt einseitig und wirft Licht auf meinen Körper, der bald erfriert. Die kaltherzige Zeit lässt meine Träume herunterfallen, sie schlängeln sich durch meine Hand. Ich zähle Wünsche und als ich erwache, sehe ich dein Spiegelbild in einer schimmernden Illusion. Eine undeutliche Silhouette, die mir meinen Weg zeigte. Ich will wieder die Anmut haben, zu gestehen, dass die Angst mich mitreißt. Noch will ich keine auf ewig glückliche Zukunft. Die Worte, die ich dir zukommen lassen will, verbleiben ein Selbstgespräch. Spurlos verfalle ich in dem Alltag. Mit zitternden Fingern stapele ich meine Träume auf, ohne Atem, doch sie stürzen ein. Meine Sicherheiten sind zu unsicher. Woran soll ich denn glauben, um dich zu treffen? Silhouette von jenem Tag, du verschwindest im weißen Licht. Ich bewundere diese Jahreszeiten, die uns weich färben: Das Leben, den Winter, den Traum. Ich bleibe stehen und sie entführen mich. Die Sehnsucht in meiner Brust ist starr vor Kälte. Auch sie kann im Wind erlöschen. Auch sie kann zurückgelassen werden. Die kaltherzige Zeit bleibt in den Träumen hängen, nimm sie in die Hand. Ich zähle Wünsche und als ich erwache, sehe ich dein Spiegelbild in einer schimmernden Illusion. Eine undeutliche Silhouette, die mich führt. Die letzten Töne verklingen und weichen einer unangenehmen Stille. Ich stelle das Instrument beiseite und betrachte verunsichert meine Füße. Die Angst ist nach wie vor präsent, schlimmstenfalls schwindet sie erst, wenn der Wirkstoff des Neuroleptikums von meinem Körper vollständig abgebaut wurde. Oder gar nicht mehr. Im Flur höre ich die Wohnungstür ins Schloss fallen. „Das Lied, ich kenne es. Aber ich kann es nicht einordnen“, bemerkt Taichi plötzlich. „Garantiert hast du von der Band schon des Öfteren etwas gehört. Drei Jungs, die vielversprechendsten Newcomer derzeit. Vor einigen Jahren, als sie allerdings noch zu zweit waren, lernte ich sie bei einem Contest kennen. Damals waren sie genauso unbekannt wie die Teen-Age Wolves, aber sie hatten bereits eine gewisse Anziehungskraft.“ Ich lächle leicht. „Gewonnen hatten letztlich weder sie noch wir.“ Das Lächeln schwindet. Betrübt suche ich Blickkontakt zu meinem Freund. „Sie haben nicht aufgegeben. Ich frage mich, ob die Teen-Age Wolves es auch so weit geschafft hätten, wenn…“ „Vermisst du die Band, die Auftritte, die Musik allgemein?“ „Manchmal schon“, gebe ich zu. „Ruf sie an. Du hast doch die Telefonnummern der Jungs. Vielleicht haben auch sie Lust, weiterzumachen.“ Die Zuversicht in Tais Stimme ist nicht zu überhören, sodass ich ihn nicht enttäuschen möchte, indem ich widerspreche. „Ich denke darüber nach. Mein Vater ist zurück, oder?“ „Ja.“ Taichi steht auf und kommt auf mich zu. Sanft küsst er mich auf die Stirn. „Kommst du mit frühstücken?“ Obwohl ich keinen Hunger habe, nicke ich. Um diese schreckliche Angst loszuwerden und Tai nicht zu verlieren, tue ich alles. Wenn ich bin, wie er es verlangt, wird bestimmt alles gut. Ruhig sitze ich auf einer Parkbank, die Augen halte ich geschlossen. Mein Gesicht wird von der Sonne beschienen und die Wärme kitzelt sanft meine Haut. Dennoch ist es für August zu kühl. Ich bin froh über die angenehmen Temperaturen, da ich wegen meiner langen Ärmel weniger abschätzig gemustert werde. Zwar verblassen die Narben allmählich und neue Verletzungen kamen in letzter Zeit nicht hinzu, aber sichtbar sind sie trotzdem. Und sie werden es auch immer bleiben. Ich öffne meine Augen und schaue gedankenversunken in den blauen, fast wolkenfreien Himmel. Es ist seltsam, aber mein Leben verläuft momentan ungewohnt harmonisch. Nachdem ich das Neuroleptikum überdosiert hatte und die daraus resultierende, undefinierbare Angst allmählich nachließ, schwor ich mir, alles zu tun, um nie wieder so empfinden zu müssen. Die Psychopharmaka nehme ich wie verordnet, das GHB schaffte ich zu entziehen und konsumierte es zuletzt vor knapp drei Monaten. Nur Heroin spritze ich nach wie vor. Regelmäßig. Aller zwei Tage. Mein Freier wies mich jedoch darauf hin, dass er die Dosis definitiv nicht weiter erhöht. Zu meinem eigenen Schutz. Gleichzeitig drohte er, meinen Vater oder Taichi über meinen Heroinkonsum aufzuklären, sollte ich versuchen mir anderweitig Stoff zu besorgen. Ausnahmsweise bin ich dankbar für die erzieherische Kontrolle und somit ein Stück weit Verantwortung abgeben zu können. Andererseits ist gerade Kontrolle momentan eher ein Problem. Noch nie habe ich meinen Freier so verzweifelt erlebt wie in letzter Zeit. Er meinte, er habe Angst davor, die Beherrschung zu verlieren und seinen Sohn zu vergewaltigen, da sein Verlangen, mit dem Kleinen zu schlafen, immer stärker werde. Aus diesem Grund bin ich oft, wenn seine Frau nicht da ist, bei ihm zu Hause, um ihn mit seinem Sohn nicht allein zu lassen. Meist erledige ich Aufgaben für die Uni, während er sich um den Jungen kümmert. Gelegentlich beobachte ich die beiden und muss zugeben, dass ihre Beziehung zueinander wirklich ungewöhnlich intensiv ist. Der Kleine liebt seinen Vater sehr, aber ich sehe auch eine gefährliche Berechtigung in der Angst meines Freiers. Mittlerweile kenne ich ihn und weiß, wie quälend die vorherrschende Situation für ihn ist. Nur leider habe ich kaum Möglichkeiten, ihm zu helfen. Ich versuche für ihn da zu sein und so gut es geht aufzupassen, damit nichts passiert, zudem mache ich, wann immer er es verlangt, die Beine für ihn breit, doch ich fürchte, auf die Dauer reicht das nicht. Tränen füllen meine Augen. Warum bin ich so unglaublich nutzlos? Immer bereite ich allen Probleme, aber helfen kann ich niemandem. Inzwischen denkt mein Freier schon über eine Scheidung nach, um seinen Sohn zu schützen. Ich versuche ihn davon abzubringen, denn meiner Meinung nach tauscht er nur ein schlimmes Ereignis gegen ein anderes aus. Zudem scheint der Junge eher vaterorientiert zu sein und würde im Falle einer Scheidung wahrscheinlich bei diesem wohnen wollen. Wie würde der Kleine eine Ablehnung seines Vaters wohl verkraften? Deprimiert hole ich aus meiner Jackentasche eine Zigarette, entzünde sie und atme den Rauch tief in meine Lungen. Ich muss an meinen eigenen Vater denken. Meine Gefühle für ihn, meine Sehnsucht und mein Verlangen. Als er zuletzt wegen Taichis Entzug nach Hause kam, ging ich ihm so gut ich konnte aus dem Weg, war kalt und abweisend. Es tat weh. Jedes Mal, wenn er versuchte sich mir zu nähern, mich verstehen wollte oder ich seine Traurigkeit sah. Dann musste er zurück nach Berlin. Ich verabschiedete ihn nicht. Jetzt bereue ich es. Ich bereue mein gesamtes Verhalten ihm gegenüber. Aber ich weiß, dass ich mit ihm über unsere Beziehung nicht hätte sprechen können, da ich meine Emotionen sowie mein Handeln kaum im Griff habe. Vermutlich hätte ich am Ende meinen Vater wieder irgendwie dazu gebracht, mit mir zu schlafen, ohne Klarheit über unser Verhältnis zueinander zu schaffen. Eine Klarheit, die ich nicht brauche, da ich mir meiner Zuneigung bewusst bin. Ich liebe meinen Vater, möchte ihn küssen, von ihm berührt und genommen werden. Mir fällt auf, dass ich nie darüber nachdachte oder ihn fragte, warum er letztlich auf mich eingeht und mit mir schläft, obwohl es gegen seine Moral verstößt. Ich ziehe an meiner Zigarette. Hofft er tatsächlich, dadurch verhindern zu können, dass ich mich fremden Männern hingebe? Waren seine Bemerkungen dahingehend doch ernst gemeint? Vielleicht ist es besser, die Antwort nicht zu kennen. Es würde ohnehin nichts an den vergangenen Geschehnissen ändern. Den derzeitigen Zustand unserer Beziehung ertrage ich allerdings nicht auf Dauer. Ich fühle mich schuldig wegen meines Verhaltens und meinem Vater schrecklich entfremdet. Hinzu kommt, dass ich sein Verhältnis zu Taichi noch immer nicht einschätzen kann. Beide gaben zu Sex miteinander gehabt zu haben. Einmal. Später sah ich, wie sie sich auf unserem Sofa im Wohnzimmer innig küssten und mit ihren Händen unter die Kleidung des Anderen glitten. Sind meine Zweifel in diesem Fall wirklich noch eine Frage des Vertrauens? Dabei weiß ich nicht einmal, wem meine Eifersucht eigentlich gilt. Trotzdem ist es mir lieber, die zwei Menschen, die ich liebe, gehen miteinander ins Bett, statt es mit Fremden zu treiben. Besonders die Tatsache, dass mein Freund Frauen vögelt, widert mich an. Deshalb erzählte ich Taichi nicht, dass Sora Studentin an meiner Uni ist und ich versuche sie mit allen Mitteln von ihm fernzuhalten. Hinzu kommt die gemeinsame Vergangenheit der beiden. Ich habe ohnehin Angst, Tai an eine Frau zu verlieren. Aber ihn ausgerechnet an diese Frau zu verlieren wäre unerträglich für mich. Taichi gehört mir. Bis zum Tod. Beiläufig lasse ich den Rauch zwischen meinen Lippen entweichen. Ich lehne mich vor, stütze meine Ellenbogen auf meine Oberschenkel und lasse meinen Blick über die Grünanlagen schweifen. Noch ist Tai nirgends zu sehen. Warum nur ließ ich mich von ihm überreden, an einem Freitag um diese Uhrzeit nach Akihabara zu fahren? Seufzend schaue ich zu Boden, auf meine Schuhe. Wegen der Veröffentlichung eines Videospiels. Durch endlose Menschenmassen. Trotzdem muss ich zugeben, dass ich diese arglose Seite an ihm unglaublich süß finde. Er wirkt so unschuldig. Generell scheint es Taichi besser zu gehen. Seit ich ihn vor einigen Monaten zu dem Entzug zwang, hat er nach meiner Beobachtung keinen Alkohol mehr getrunken. Er konzentriert sich jetzt komplett auf sein Studium, weshalb wir uns seltener sehen können. So kann ich allerdings mehr Zeit bei meinem Freier verbringen, ich würde es mir nie verzeihen, wenn aufgrund meiner Abwesenheit etwas passiert. Ansonsten verläuft die Beziehung zu Taichi beinahe beunruhigend konfliktfrei. Man könnte sagen, dass wirklich alles gut geworden ist. Fühlt es sich so an, glücklich zu sein? Wie mit Beruhigungsmitteln zugedröhnt, dumpf und fremdgesteuert? Ich habe mich vorerst mit dem Leben abgefunden. Aber ich werde gelebt. Ist das der Zustand, der von der Gesellschaft als normal bezeichnet wird? Ich lasse die Zigarette zu Boden fallen und betrachte einige der mir unbekannten Individuen. Sind sie überhaupt einzigartig? Am Ende geht es lediglich um Anpassung, Gleichheit und Gemeinschaft, da nur so ein Zusammenleben funktionieren kann. Der Preis jedoch ist hoch, wenn man mit der Intensität seiner Gefühle zahlen muss. Den meisten Menschen scheint das egal zu sein. Oder sind sie eher klug, weil ihnen bewusst ist, dass gedämpfte Emotionen weniger Schmerz bedeuten? Schmerz. Möglicherweise kann ich mit Hilfe der Rasierklinge meine innere Paralyse zerschneiden und mein Leben endlich spüren. Allerdings bedeutet das, einen Schritt zurück zu machen, und die Gefahr eines gänzlichen Rückfalls ist groß. Vollkommen überfordert von mir selbst vergrabe ich mein Gesicht in meinen Händen. Was soll ich tun? Ist ein geordnetes Leben nicht einfacher? Bin ich damit glücklich? Nein. Diese Frage ist überflüssig. Ich darf Taichi und meinem Vater mein altes Ich nicht erneut antun. Seufzend zünde ich mir eine weitere Zigarette an. Auch wenn ich das Leben nicht spüre und ich mir selbst fremd bin, weiß ich, dass es mir gut geht. Es gibt keine Probleme. Alles ist gut. Mir geht es gut. Ich bin vermutlich glücklich. Es herrscht Stille im Raum. Nur ein stetes Rascheln, gelegentliche Funksprüche oder Alarmsirenen mit einhergehendem Schusswaffenlärm sind zu hören. Ich liege auf meinem Sofa und beobachte Taichi beim Spielen, der mit mir zugewandtem Rücken vor mir auf dem Boden sitzt. Wenn er so nah ist, möchte ich ihn berühren, seine Haut auf meiner spüren und von seinem Duft umhüllt werden. Ich versuche den Gedanken zu verdrängen, drehe mich auf den Rücken und starre zur Decke. Eine Melodie kommt mir in den Sinn, ich schließe die Augen, um mich ganz darauf einlassen zu können. „Dein Verhalten beunruhigt mich, Yamato“, meint Tai plötzlich, während er seine Deckung aufgibt und sich den Weg freischießt. „Warum?“ Ich öffne meine Augen wieder, schaue zur Seite und verfolge das Geschehen auf dem Bildschirm. „Was fühlst du?“ Irritiert betrachte ich meinen Freund, dessen Aufmerksamkeit noch immer auf das Spiel gerichtet ist. „Wie meinst du das?“, frage ich nach, als wüsste ich nicht, worauf Tai anspricht. „Mir kommt es so vor, als würdest du lediglich existieren.“ Hektisch lädt er seine Waffe nach. „Hab ich nicht recht, Yamato?“ „Es ist also offensichtlich“, stelle ich unterkühlt fest. „Nein. Wer dich nicht kennt, wird vermutlich denken, dass es dir gut geht. Aber ich kenne dich. Du versuchst, möglicherweise unbewusst, deine Gefühle und Empfindungen abzutöten, um auf deine Umwelt ausgeglichen zu wirken. Bis zu einem gewissen Punkt funktioniert das auch, zumindest bei Fremden, aber was passiert, wenn dieser Punkt überschritten wird? Davor habe ich Angst. Natürlich finde ich es bemerkenswert, was du in den letzten Monaten geschafft hast. Du fügst dir keine Schnittwunden mehr zu, isst für deine Verhältnisse halbwegs normal und bist, abgesehen vom Nikotin, drogenfrei. Doch ehrlich gesagt ist mir der Preis dafür zu hoch. Ich möchte meinen Yamato und keine leblose Puppe haben.“ Taichi bleibt nach wie vor von mir abgewandt, erschießt reihenweise feindliche Soldaten. „Entschuldige“, ist das Einzige, was ich meinem Freund entgegne. Ich drehe mich wieder auf den Rücken und starre erneut die Decke an. Tai schweigt. „Wie soll ich mich verhalten?“ „Verdammt, genau das meine ich. Du bist momentan wie eine Maschine, die nur stumpfsinnig agiert, Befehle ausführt. Warum verfällst du immer gleich in Extreme? Entweder empfindest du zu stark oder du empfindest nichts. Das muss doch auch für dich anstrengend sein, oder?“ Mein Freund drückt die Pause-Taste, bleibt aber unbewegt sitzen. Es ist still im Raum. Viel zu still. „Dazwischen“, unterbreche ich das Schweigen. „Ein Dazwischen bedeutet doch weder Minimum noch Maximum, also Unvollkommenheit. Demnach ist es besser, etwas anzufangen, ohne es zu beenden? Oder es zwar zu beenden, aber nur die Hälfte gemacht zu haben? Meine Gefühle für dich dürfen somit keine Gleichgültigkeit sein, ebenfalls keine Liebe oder Hass.“ Ich überlege einen Moment. „Willst du mir auf umständliche Weise zu verstehen geben, dass du statt unserer Beziehung lieber eine Freundschaft hättest?“ „Du verstehst anscheinend überhaupt nichts.“ Tai klingt genervt und drückt die Play-Taste. Ich betrachte eine Weile die Rückansicht meines Freundes. „Ist die Unterhaltung für dich beendet?“ „Mit dir kann man im Augenblick nicht reden.“ „Wie meinst du das?“, frage ich verdutzt. „In diesem Zustand eine vernünftige Diskussion mit dir führen zu wollen ist sinnlos. Man erreicht dich ohnehin nicht.“ „Wir unterhalten uns gerade vollkommen normal und ruhig“, erwidere ich gelassen. „Darum geht es nicht… beziehungsweise doch, denn genau dieses Auftreten von dir ist das Problem. Nichts scheint dich in irgendeiner Weise ernsthaft zu tangieren.“ Ich seufze. „Manchmal denke ich, die Beziehung mit Akito war leichter.“ Erschreckt setze ich mich auf, als Tai den Kontroller auf den Boden wirft und dann zu mir schaut. An seinem Blick erkenne ich, dass ich ihn mit meiner Bemerkung unglaublich verletzt habe. Ohne ein Wort zu sagen, verlässt mein Freund das Zimmer. Normalerweise betäubte er sich in solchen Situationen mit Alkohol, weshalb ich rasch aufstehe und ihm folge. Er sitzt in der Küche, mir zugewandt am Tisch, seine Arme auf die Platte gestützt, das Gesicht von seinen Händen verdeckt. Die Geräusche der eingeschalteten Kaffeemaschine wirken unnatürlich laut. „Tai…“ „Ich hasse es, wenn du mich mit diesem Schwanzlutscher vergleichst. Zudem ist er tot, verdammt!“ Abschätzig betrachte ich meinen Freund, der weiterhin in seiner Haltung verharrt. „Ja, er ist tot. Und du bist ebenso ein Schwanzlutscher“, bemerke ich tonlos. „Denn du lutschst meinen Schwanz.“ „Nein, Yamato. Nicht mehr.“ Taichi schaut mich an. Traurigkeit zeichnet sich in seinen Augen ab, zugleich lächelt er mich an. „Wir haben doch schon lange keinen Sex mehr. Seit meinem Entzug fasst du mich nicht mehr an. Soll ich wieder trinken, damit du mit mir schläfst? Oder wirst du von perversen, alten Säcken so sehr durchgevögelt, dass du auf mich keine Lust mehr hast?“ „Ich gebe mich nur noch einem Freier hin“, korrigiere ich meinen Freund. „Ja, einem Kinderficker.“ Seine Worte sind voller Abscheu. „Er ist kein Kinderficker“, entgegne ich ruhig. „Und wenn du keine Ahnung hast, Taichi, solltest du besser deinen Mund halten. Außerdem dachte ich, wir sprechen über uns und nicht über meinen Freier.“ „Warum nimmst du so ein widerliches Arschloch in Schutz? Bist du wirklich so verblendet? Merkst du nicht, wie hörig du ihm mittlerweile bist? Wach endlich auf, Yamato! Er macht dich von sich abhängig. Das andere betreffend gebe ich dir recht. Wir sprechen über uns. Leider ist dieser Wichser zwangsläufig ein Bestandteil, immerhin fickt er meinen Freund.“ Schweigend nehme ich zwei Tassen aus dem Schrank und fülle sie mit Kaffee. Ich stelle sie auf den Tisch und nehme Tai gegenüber Platz. „Ich liebe dich“, sage ich. „Lass es, Yamato. Wenn deine Worte derart emotionslos klingen, dann sag lieber nichts.“ Nachdenklich nehme ich einen Schluck der heißen Flüssigkeit. „So wie es jetzt ist, muss es auch bleiben, Taichi. Gefällt es dir nicht, bring es zu einem Ende. Und werde glücklich.“ Mit starrem Blick steht mein Freund auf, kommt auf mich zu und schlägt mir schmerzhaft ins Gesicht. Dann sackt er kraftlos, mit gesenktem Kopf, in sich zusammen. Anscheinend gibt er auf. „Was muss ich tun, um meinen Yama wiederzubekommen? Ich vermisse ihn so sehr.“ Reglos schaue ich auf Tai herab. Offenbar habe ich es geschafft. Ich fühle nichts. Trotzdem oder gerade deshalb beuge ich mich zu Tai und nehme ihn in den Arm. Er weint. „Es tut mir leid“, flüstere ich. Vermutlich sind derartige Phrasen im Augenblick angebracht, selbst wenn ich eigentlich nichts bereue. Ohnehin ist das Einzige, woran ich momentan denke, Heroin. Ich ertrage die Realität einfach nicht. Egal wie oft ich es versuche oder wie sehr ich es mir wünsche. Für meinen Vater. Für Taichi. Rötlich-goldenes Licht scheint durch das Fenster in mein Zimmer. Es umhüllt mich mit einer angenehmen, sanften Wärme, die jedoch mit Einsetzen der Dunkelheit durch kühle, von mir ersehnte Nachtluft verdrängt wird. Ich sitze mit dem Rücken an mein Bett gelehnt auf dem Boden, in der Hand eine Rasierklinge. Allein dieses kleine Metall zwischen meinen Fingern zu spüren ist unbeschreiblich und erleichternd vertraut. Seit langem fühle ich wieder eine Art Stimulation, Erregtheit, sogar Glück, welches nicht heroininduziert ist. Allerdings erscheint diese Empfindung beinahe nichtig, wenn man es mit einem, durch Heroin herbeigeführten, Glücksgefühl vergleicht. Ich betrachte die Klinge liebevoll, dann schiebe ich meinen Ärmel nach oben und gleite mit der Schneide leicht über die Unebenheiten der vernarbten Haut. Vor ein paar Tagen meinte Taichi zu mir, er wolle seinen Yama zurück. Seither hatten wir keinen Kontakt mehr. Ich verstehe weder, was er mit dieser Forderung meinte, noch weiß ich, wie ich mich jetzt verhalten soll. Aber ich weiß, dass ich ihn sehen will, ihn bei mir haben und berühren will. Ich weiß, dass ich ihn liebe, auch wenn ich es momentan nicht fühlen kann. Für Tais Unverständnis habe ich jedoch Verständnis. Es fällt schwer, etwas zu glauben, das man nicht kennt, von dem man dachte, es wäre nicht möglich, nicht existent oder was sich, logisch betrachtet, als Gegensätzlichkeit an sich eigentlich ausschließt. Der Gedanke an meinen Freund erregt mich und verstärkt die Sehnsucht, mit ihm schlafen zu wollen, zusätzlich. Ich lege die Rasierklinge neben mich auf den Boden, öffne stattdessen meine Hose, lege meinen Kopf in den Nacken, wobei er auf der Matratze zum Liegen kommt und schließe die Augen. Mit der Imagination, meine Hand wäre die Taichis, hole ich mir einen runter. Meine stockende Atmung und mein unterdrücktes Stöhnen sind die einzigen Geräusche im Raum. Als ich die provozierte Feuchtigkeit in meiner Hand spüre, verharre ich noch einen Augenblick. Dann öffne ich die Augen. In meinem Zimmer ist niemand. Ich bin mit mir allein. Voller Abscheu betrachte ich meine Hand, an der mein eigenes Sperma klebt. Ich bin wirklich das Letzte. Ekelhaft und pervers. Als Stricher fühlte ich mich besser. Weil ich mich schlechter fühlte. In den meisten Fällen ging es nicht um Sex. Wurde ich von alten Männern entsprechend ihrer widerlichen Fantasien gefickt, war ich das, was ich bin, und bekam, was ich verdiente. Für mich stellt das keinen Betrug an meinem Freund dar, es ist eher eine Art Selbsterziehung, Maßregelung. Tai jedoch sieht das anders, weshalb ich mit der Prostitution nicht wieder anfangen werde. Ausschließlich mein Freier besorgt es mir noch. Ausschließlich er. Zwar weiß dieser mittlerweile sehr genau, wie er mit mir umgehen, mich anfassen muss und nimmt mich oft sehr hart, aber er ist nicht Taichi. Nur bei ihm habe ich das Gefühl, allein durch sein Berühren meines Körpers zu kommen. Nur er ruft schmerzhaft intensive Lust in mir hervor. Nur ihn umgibt dieser beängstigende und zugleich aufregende Hauch von Wahnsinn. Erneut bin ich allein durch meine Gedanken erregt. Ich will ihn so sehr! Mit aller Kraft beiße ich auf meine Lippen, sodass ich aufgrund einer kleinen Wunde Blut schmecke. Verzweifelt schaue ich auf die Rasierklinge, die noch immer neben mir auf dem Boden liegt. Ich lächle bedauernd. Diese Lösung wäre zu einfach. Tai anzurufen ist allerdings erst recht keine Option. In meiner jetzigen Verfassung könnte ich mich mit Sicherheit nicht mehr beherrschen. Dabei darf es nicht noch einmal passieren. Um jeden Preis muss ich Taichi vor mir beschützen, denn alles, was geschah, ist meine Schuld. Die erste Vergewaltigung und alle, die folgten, trieben ihn zu Gewalt, Selbstverletzungen, vermutlich sogar Selbstmordversuchen und letztlich in die Alkoholabhängigkeit. Er darf in diese Welt, die nicht mehr seine ist und auch nie wieder sein sollte, nicht zurückfallen, nur weil ich erneut Hand an ihn lege. Ich niese und werde dadurch unerwartet aus meinen Gedanken gerissen. Träge stehe ich auf, hole aus meinem Schrank eine Hose sowie Shorts und gehe ins Bad, um meine Hände zu waschen, mich zu säubern und umzuziehen. Die beschmutzte Kleidung werfe ich auf einen angehäuften Wäscheberg. Allgemein ist die Wohnung in einem desolaten Zustand. Nur das Zimmer meines Vaters und das Wohnzimmer sind unangetastet. In der Luft ist noch immer ein Hauch seines Duftes. Ich vermisse meinen Vater sehr. Das Betreten einer der beiden Räume würde meine Sehnsucht nur verschlimmern, weshalb ich diesen Teil der Wohnung lieber meide. Ich gehe zurück in mein Zimmer, hebe die unbenutzte Rasierklinge auf und lege sie auf den Tisch. Am geöffneten Fenster atme ich tief ein. Die Luft vom Tag ist noch etwas stickig, aber es weht ein leichter Wind, ein Vorbote, der eine kühlere Nacht verspricht. Vielleicht sollte ich ein wenig nach draußen gehen, um den Kopf freizubekommen. Ein wunderbar funktionierender Skill, der aber so abwegig intelligent, beinahe genial ist, dass er mir erst in der Klinik beigebracht werden musste. Mit einem bitteren Lachen zünde ich mir eine Zigarette an. Das Nikotin beruhigt ein wenig, doch es reicht nicht. Meinen Freier möchte ich derzeit nicht um Hilfe bitten. Er hat genug eigene Probleme, die zudem wesentlich schwerwiegender sind. Kurz überlege ich, während ich den Rauch der Zigarette leicht schmerzend in meinen Lungen spüre. Viele Möglichkeiten habe ich nicht mehr. Meine Mutter und Takeru kommen ohnehin nicht in Frage. Ich möchte die Beiden nicht auch noch mit mir belasten. Nach einigen weiteren Zügen werfe ich den übriggebliebenen Filter aus dem Fenster. Erneut legt sich ein Lächeln auf meine Lippen, eine Mischung aus Freude, Traurigkeit und Resignation. Wem versuche ich eigentlich die ganze Zeit etwas vorzumachen? Muss ich mich selbst belügen? Brauche ich eine Rechtfertigung vor meinem eigenen Ich? Wozu denke ich über Lösungen nach, die von vorn herein nie Lösungen waren? Nie sein konnten, weil ich ihnen keine Chance gab. Weil ich sie nicht als Lösungen wollte. Weil ich weiß, dass nur Heroin mir geben kann, wonach ich suche, was ich mir wünsche und ersehne. Doch auch dieses Gefühl des vollkommenen Glücks ist bei Weitem nicht mehr so stark und befriedigend wie am Anfang. Eigentlich müsste ich die Dosis erhöhen, was nur möglich wäre, wenn ich meinen Freier hintergehen würde. Allerdings ist der wachsam geworden. Er weiß, wie gefährlich der Abgrund ist, an dem ich mich befinde. Und ihm ist bewusst, dass er selbst mich dorthin geführt hat. Ich möchte nicht in die endlose Tiefe abstürzen. Ich möchte bei meinem Freier bleiben, der mit aller Kraft versucht mich festzuhalten. Routiniert bereite ich den sehnsüchtig erwarteten Schuss vor. Dann setze ich mich wieder an mein Bett auf den Boden, lege das Fixierband um meinen Arm und ziehe es fest. Ich betrachte meine Armbeuge, die mir einen weiteren Grund aufzeigt, weshalb ich nicht mit Taichi schlafen kann. Die Vernarbungen der Einstichstellen sind mittlerweile auch für Laien deutlich sichtbar und entsprechende Rückschlüsse leicht zu ziehen. Doch eigentlich ist es egal. Keiner der eben gedachten Gedanken hat eine Bedeutung. Mein Leben halte ich in meiner Hand. Und gleich durchströmt es meinen Körper. Befreit mich von mir und der Welt. Dann ist alles gut. Kapitel 33: ------------ Ich betätige die Klingel der Wohnung, neben deren Tür die Schriftzeichen für Acht und Gott angebracht sind. „Yamato!“ Scheinbar freudig überrascht lächelt Tais Mutter mich an, als sie mir nach kurzer Zeit öffnet. „Ich freue mich, dich zu sehen. Dein letzter Besuch ist lange her. Aber du siehst besser aus. Zwar bist du nach wie vor sehr dünn, aber nicht mehr so schrecklich dürr wie damals.“ Verlegen senke ich meinen Blick, mustere schweigend meine Schuhe. „Taichi ist noch nicht aus der Uni zurück, er sollte allerdings bald da sein. Komm rein, du musst nicht draußen auf ihn warten.“ „Vielen Dank. Ich möchte jedoch keine Umstände bereiten oder stören.“ „Mach dir darüber keine Gedanken“, begegnet sie mir herzlich. Ich verbeuge mich tief und betrete dann die Wohnung. Im Flur ziehe ich meine Schuhe aus. „Möchtest du ein Stück Kuchen? Er ist gerade erst fertiggeworden und noch warm.“ „Ja, gerne. Danke.“ Sogleich geht Tais Mutter in die Küche. „Setz dich, Yamato“, ruft sie mir ermunternd zu. „Kaffee?“ Sie schaut fragend zu mir. Ich nicke und nehme am Esstisch Platz. „Taichi erzählte mir, dass du in Ueno an der Musik- und Kunstakademie studierst.“ Sie stellt den Teller sowie die Tasse vor mir ab und leistet mir Gesellschaft, indem sie sich zu mir setzt. Mit zugeschnürter Kehle starre ich das Stück Kuchen an. „Magst du keinen Schokoladenkuchen?“, höre ich Tais Mutter fragen. „Doch… es ist… Taichis Lieblingskuchen.“ „Stimmt. Deshalb habe ich ihn gebacken. Er wirkt in letzter Zeit so bedrückt. Vielleicht kann ich ihn damit ein wenig aufmuntern.“ Sie lächelt. „Jetzt denke ich allerdings, dass deine Anwesenheit viel mehr bewirken wird.“ Schuldbewusst schiebe ich mir etwas von dem Kuchen in den Mund und kaue darauf herum. Trotz der Süße bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Der Kaffee ist für mein Empfinden etwas schwach, aber dahingehend bin ich kein Maßstab. „Kommst du mit dem Studium gut zurecht? Du hattest am Anfang recht viel versäumt, oder?“ Den Grund kennt sie genauso gut wie ich, dennoch spricht niemand ihn aus. „Ja. Den Stoff habe ich nachholen können. Ich denke, es läuft an sich ganz gut.“ „Das freut mich wirklich. Ist dein Vater noch immer im Ausland tätig?“ Plötzlich überkommt mich das Gefühl, an dem Essen zu ersticken. Bewusst meide ich den Blickkontakt zu der Mutter meines Freundes. Ich weiß, dass sie es unverantwortlich findet, mich allein wohnen zu lassen. Dafür verurteilt sie meinen Vater. Wie würde sie wohl reagieren, wenn sie wüsste, was er ihrem Sohn bedeutet? Besonders die Tatsache, dass Tai für meinen Vater die Beine breit machte, sich von ihm hingebungsvoll vögeln ließ, dürfte sie ziemlich schockieren. „Ja“, antworte ich knapp. Der Gedanke an meinen Vater löst ungewollt starkes Verlangen in mir aus, welches ich seit längerem nahezu erfolglos zu unterdrücken versuche. Ich vermisse ihn, seine Nähe, die mir Halt gibt, seine Berührungen, die mir Geborgenheit vermitteln, seine vertraute Stimme, die mich beim Sex unglaublich erregt. Wenn ich verhindern möchte, ins Bad gehen zu müssen, sollte ich mich emotional abkühlen und meine Körperkontrolle wiedererlangen. „Der Kuchen schmeckt wirklich sehr gut, Frau Yagami.“ Ich lächle. „Das freut mich. Ich hoffe, Taichi schmeckt er auch.“ Verwundert schaut sie zur Uhr. „Eigentlich müsste er längst hier sein.“ Ihre Worte erzeugen die Angst in mir, dass etwas passiert ist. Unruhig rutsche ich auf dem Stuhl herum, die Wohnungstür im Blick behaltend. Jedes kleine Geräusch zieht sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. „Vielleicht muss er noch etwas Wichtiges erledigen oder er ist wieder mit seinen Kommilitonen unterwegs. Training hat er heute jedenfalls nicht“, überlegt Tais Mutter laut. Das Leben meines Freundes geht weiter. Auch ohne mich. Wahrscheinlich sogar besser. Es war egoistisch, herzukommen. Ich stehe auf und verbeuge mich. „Bitte entschuldigen Sie meinen unangekündigten Besuch. Vielen Dank für Ihre herzliche Gastfreundschaft.“ „Du willst gehen? Tai…“ „Auf Taichi zu warten, ohne zu wissen, wann er zurück sein wird, erscheint mir wenig sinnvoll.“ Im Flur ziehe ich meine Schuhe an. „Yamato…“ Die Mutter meines Freundes klingt traurig und besorgt. „Es ist alles gut.“ Wieder lächle ich. Dann verlasse ich die Wohnung und laufe langsam die Treppen nach unten. Heftig balle ich meine Hand zur Faust, sodass sich meine Fingernägel schmerzhaft in die Haut meiner Handinnenfläche bohren. Taichi gehört mir. Und ich hasse es, wenn er Zeit mit Fremden verbringt. Ich hasse es, wenn er nicht bei mir ist. Abrupt bleibe ich stehen und starre auf meinen Freund, der mir entgegenkommt und ebenfalls innehält. Schweigend bewege ich mich auf ihn zu, dränge ihn mit meinem Körper gegen das Geländer und presse meine Lippen auf seine, wobei ich meine Zunge tief in seinen Mund schiebe. Erschreckt zieht Tai an meinem Hemd, um mir Einhalt zu gebieten, doch seine Gegenwehr ebbt schnell ab und er lässt den Übergriff unbewegt geschehen. „Taichi“, hauche ich mit zitternder Stimme. „Warum hast du eine Woche gebraucht, um zu mir zu kommen?“ Als hätte ich Angst, er würde verschwinden, drücke ich den Körper meines Freundes fest an mich. „Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Die Angst, alles falsch zu machen, lähmte mich.“ Dass ich die letzte Woche depressiv vor mich hinvegetierte, die Wohnung kaum verließ, nicht einmal zur Uni ging und Sekunde um Sekunde den nächsten Herointrip herbeisehnte, erwähne ich nicht. Letztlich verdanke ich es meinem Freier, dass ich die Kraft fand, mich wieder aufzuraffen, da er mich daran erinnerte, was ich im Begriff war aufzugeben. Zudem zog er die Konsequenz, meine Drogendosis weiter zu reduzieren, was ich für den Augenblick unkommentiert hinnahm, aber mit Sicherheit nicht akzeptiere. „Yamato, lass mich los. Gehen wir nach oben und in mein Zimmer.“ Ich gebe meinen Freund frei und folge ihm zurück in die Wohnung, in der ich bis eben noch auf ihn wartete. „Ah, Tai. Wenn du dich beeilst, holst du Yama…“ Sie unterbricht sich, als sie von der Küche in den Flur schaut und mich hinter meinem Freund stehend erblickt. „Yamato…“ „Wir sind in meinem Zimmer, Mama“, sagt Tai mit Nachdruck, vermutlich um zu verdeutlichen, nicht gestört werden zu wollen. Nachdem wir die Räumlichkeit betreten haben, dreht mein Freund den Schlüssel im Schloss und presst mich grob gegen die Tür. „Taichi, was…?“ „Am liebsten würde ich dir eine reinhauen, du scheinheiliger Mistkerl! Du hattest keine Angst, herzukommen, du warst einfach nur zu zugedröhnt!“ „Nein, wie…“ „Dein Vater rief an, weil er sehr besorgt um dich ist. Bei eurem letzten Telefonat hatte er das Gefühl, als würdest du extrem unter Drogen stehen. Warum, Yamato?“ Ich betrachte meinen Freund eingehend. So wütend, wie er momentan ist, sollte ich mir gut überlegen, wie ich mich ihm gegenüber verhalte und was ich für Äußerungen mache. Problematisch ist allerdings, dass ich mich an kein Gespräch mit meinem Vater erinnern kann. Ich muss tatsächlich auf Heroin gewesen sein. Wie konnte das passieren? Wie konnte mir die Kontrolle derart entgleiten? „Ich war einfach nur sehr müde. Das ist alles. Kein Grund zur Sorge.“ Um meine beruhigenden Worte zu unterstreichen, lächle ich Tai an. Der legt seine Finger um meinen Hals und drückt erbarmungslos zu. „Du bist ein verdammter Lügner! Hiroaki gegenüber hast du deinen Drogenkonsum zugegeben. Offenbar weißt du davon nichts mehr. Vielleicht, weil du drauf warst, mein Süßer?“ Verkrampft umfasse ich das Handgelenk meines Freundes. Das Gefühl, zu ersticken, wird übermächtig. „Hast du Angst?“, flüstert er überlegen in mein Ohr. Egal, wie ich auf ihn reagiere, in seiner momentanen Verfassung werde ich Taichi nicht erreichen. Mit all der Kraft, die ich aufbringen kann, ramme ich ihm meine Faust in den Magen. Mein Gegenüber stöhnt schmerzverzerrt auf und lässt von mir ab. „Es stimmt. Ich habe Drogen konsumiert. Dieses eine Mal. Aber ich habe nicht gelogen. Ich wusste wirklich nicht, wie ich mich verhalten sollte. Trotz allem war es falsch, erneut zu Drogen zu greifen…“ „Sei still! Soll ich dir den Schwachsinn, den du gerade von dir gibst, ernsthaft glauben? Du bereust nicht, Yamato.“ Mit seiner Hand streichelt er sanft über meine Wange, während er mich mit seinem Körper rückwärts gegen die Tür drängt. „Kannst du überhaupt Reue empfinden?“ Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Ich glaube, du bist der Letzte, der diese Frage stellen darf. Immerhin bist du der Meinung, dass alles, was du tust, seine Berechtigung hat. Und der Zweck heiligt die Mittel. Dir ist egal, ob du mich mit einem Gegenstand vergewaltigst oder ob du mich so oft und hart fickst, mir dabei innere Blutungen zufügst, sodass ein Krankenhausaufenthalt notwendig ist.“ Taichi schaut mich ernst an. „Du weißt genau, warum ich so weit gehen musste. Und ich werde auch in Zukunft entsprechend handeln, wenn du mir Anlass dazu gibst.“ Herausfordernd schiebt er sein Knie zwischen meine Beine. Das frivole Verhalten meines Freundes erregt mich. Darauf konzentriert, ruhig zu atmen, schließe ich meine Augen. Ich habe es mittlerweile wirklich verdammt nötig. Die kleinste Berührung von Tai wirkt auf mich wie ein Aphrodisiakum. Seinen gesamten Körper dicht an meinem zu spüren ist unerträglich. „Deine Skrupellosigkeit ist manchmal beängstigend“, bemerke ich stockend. „Allerdings muss ich zugeben, dass ich zwar Schuldgefühle bezüglich meiner Übergriffe habe und dass ich mir nicht verzeihen kann, was ich dir antue, dennoch würde ich nichts ungeschehen machen wollen. Hätte ich dich damals nicht mit Gewalt genommen, hättest du dich womöglich nie auf mich eingelassen und wärst vielleicht sogar noch mit Sora zusammen.“ Plötzlich ändert sich der Gesichtsausdruck meines Freundes. Er lässt von mir ab und setzt sich auf sein Bett. „Ich habe sie heute getroffen.“ Tai beobachtet meine Reaktion genau. Missmutig wende ich meinen Blick ab und drehe meinen Kopf zur Seite. „Was ist los, Yamato? Hast du vergessen, mir zu sagen, dass sie an deiner Uni studiert?“ „Nein, ich habe es nicht vergessen“, entgegne ich trotzig. „Kamst du deshalb so spät nach Hause?“ „Ja, wir waren noch einen Kaffee trinken. Immerhin hatten wir seit Jahren keinen Kontakt mehr.“ „Na und? Du musst keine Zeit mit ihr verbringen!“ Meine Stimme klingt panischer als beabsichtigt. „Bist du eifersüchtig?“ „Berechtigterweise, oder nicht? Immerhin war zwischen euch damals nicht nur Freundschaft.“ Taichi lässt sich nach hinten auf die Matratze fallen, verschränkt seine Arme hinter seinem Kopf und betrachtet die Zimmerdecke. „Ich muss zugeben, ich war überrascht, als ich sie sah. Sie ist wirklich süß.“ „Das ist nicht dein Ernst, Taichi.“ Wie gelähmt lehne ich noch immer an der Tür. Mein Blick geht ins Leere. „Bitte, Taichi. Bitte.“ Angst ergreift Besitz von mir und ich schlinge meine Arme schützend um meinen zitternden Körper. „Du weißt, dass du mir gehörst, oder?“ „Ist das so? Dann lass es mich spüren“, fordert mein Freund ruhig. Ich schaue ihn an. Dann laufe ich langsam auf ihn zu, beuge mich über ihn und berühre mit meinen Lippen seine Stirn. „Ich werde nicht verlieren! Und gegen dieses Mädchen schon gar nicht!“ Es klingelt. Sofort erhebe ich mich von meinem Bett, drehe die Musikanlage etwas leiser und laufe zur Tür. Mein Freier sieht ernst aus, als ich ihm öffne. Vermutlich kann er sich denken, weshalb ich ihn hergebeten habe und was ich mit ihm besprechen möchte. Noch bevor er seine Schuhe im Flur auszieht, drückt er mich sanft gegen die Wand, vergräbt seine Hände in meinen Haaren und küsst mich innig. Ich spüre seine Zunge tief in meinem Mund, lasse mich zunächst aber nur zaghaft auf das stürmische Spiel ein. Sein Verlangen erzeugt Schwindelgefühle in mir und bringt mich fast um den Verstand. „Nicht“, keuche ich und drehe meinen Kopf zur Seite, als mein Gegenüber mit seiner Hand zwischen meine Beine gleitet. „Du bist erregt“, flüstert er beinahe sachlich in mein Ohr. „Ich weiß.“ Verlegen meide ich den Blickkontakt. Hitze steigt in mir auf und ich spüre, dass ich rot werde. „Soll ich dir jetzt Abhilfe verschaffen oder nachdem wir das Problem besprochen haben?“ Bevor ich antworten kann, öffnet er meine Hose und geht vor mir auf die Knie. Lauter werdendes Stöhnen entweicht meiner Kehle, als mein Freier mir sehr intensiv einen bläst. „Ich…“ Meine Stimme versagt und meine Finger verkrampfen sich schmerzhaft an der Wand, gegen welche ich meine Hände voller Anspannung presse. „Nicht… mehr…“ Ohne auf mein Flehen einzugehen, treibt er sein Spiel bis zum Ende. Als er wieder aufsteht, wischt er mit dem Handrücken über seinen Mund. „Wie geht es dir jetzt, mein Süßer?“ Liebevoll streicht er mir eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich glaube, meine Beine geben gleich nach. Bitte halten Sie mich fest.“ Behutsam nimmt mein Freier mich in den Arm. „Du bist heute ungewöhnlich empfindsam“, bemerkt er mit zärtlicher Zuneigung. „Glaubst du noch immer, nicht mehr mit Taichi schlafen zu dürfen? Verletzt du dich jetzt auf diese Weise selbst, weil du nicht mehr zur Klinge greifst? Ich weiß, dass du nicht verkraftest, was du deinem Freund in der Vergangenheit angetan hast, und dass du ihn nur schützen willst, indem du ihn auf Abstand hältst, aber das ist der falsche Weg, Yamato. Irgendwann wird dein Verlangen übermächtig und du wirst, auf welche Art auch immer, Dummheiten begehen.“ „Sie können Ihr Verlangen, Ihren Sohn zu ficken, doch auch nicht ausleben.“ Gleich nach Aussprechen des Satzes bereue ich meine Wortwahl. „Es tut mir leid“, sage ich kleinlaut. „Schon gut, mein Süßer. Du hast recht. Aber denke bitte auch an Taichi. Wenn er dich liebt, wird er dich spüren wollen. Warum verwehrst du ihm das?“ Traurig schaue ich meinem Freier in die Augen. „Gehen wir in mein Zimmer, es gibt noch ein anderes Problem zu klären.“ Ich schließe meine Hose und gehe voran. Wir nehmen beide auf meinem Bett Platz. „Ich möchte nicht, dass Sie meine Heroindosis reduzieren“, beginne ich direkt. „Das dachte ich mir. Aber es ist notwendig. Deine Abhängigkeit gerät zu sehr außer Kontrolle. Wenn ich jetzt nicht reagiere, wirst du richtig abstürzen. Das garantiere ich dir.“ „Ich habe meinen Konsum im Griff.“ „Nein, Yamato, hast du nicht, wie deine naive Aussage beweist.“ „Wie können Sie über etwas urteilen, wovon Sie keine Ahnung haben?“ Meine Stimme wird lauter, ungehaltener. „Du irrst dich. Ich habe genug eigene Erfahrung und auch zu viele Abstürze von anderen gesehen, um deine Situation einschätzen zu können.“ „Ich bin aber nicht wie du oder die! Hör auf meinen Vater spielen zu wollen! Du musst mich nicht erziehen! Ich bin alt genug, kann auf mich selbst aufpassen und meine eigenen Entscheidungen treffen!“ „Wenn ich dich so reden höre, bezweifle ich das. Du bist unsachlich und wirkst wie ein bockiges Kind, das seinen Willen nicht bekommt.“ Wütend schaue ich meinen Freier an. „Deswegen vögelst du mich auch. Weil ich wie ein Kind bin, nicht wahr?“ „Es reicht, Yamato!“ Unerwartet drückt mein Gegenüber mich nach hinten auf das Laken, meinen Kopf mit seiner Hand unter meinem Kinn festhaltend. Er wirkt aufgebracht. „Mit deinen Provokationen bringst du mich nicht aus der Fassung. Ich weiß nicht, was du damit bezwecken willst, aber ich werde dich weder schlagen noch meine Meinung ändern.“ „Taichi hat recht. Sie wollten mich mit den Drogen nur von sich abhängig machen, damit ich Ihnen hörig bin und zu jeder Zeit die Beine breit mache.“ Verlegen und voller Selbsthass schließe ich meine Augen. Es fällt mir schwer, ihn anzusehen. Ebenso will ich nicht, dass er in dieser Situation meine Tränen sieht, welche jedoch bereits meine Haut benetzen. „Du weißt, dass das nicht wahr ist, Yamato“, flüstert mein Freier liebevoll und streichelt sanft über meine Wange. „Zwar gabst du dich damals fremden Männern freiwillig hin, suchtest den körperlichen Kontakt sogar, aber du empfandest lediglich Ekel, nicht wahr? Lustempfinden kanntest du nicht. Um den Sex für dich angenehmer erscheinen zu lassen, verabreichte ich dir BDO.“ Er beugt sich zu mir hinab und küsst flüchtig meine Lippen. „Natürlich möchte ich dich bei mir haben, aber nicht um den Preis, dich mit Drogen zu zerstören. Ich liebe dich, Yamato. Für mich geht es schon lange nicht mehr nur um Sex.“ Verzweifelt schlage ich meine Hände vor das Gesicht und weine hemmungslos. „Bitte nehmen Sie mir das Heroin nicht weg. Ohne vor der Realität fliehen zu können, überlebe ich in dieser Gesellschaft nicht. Ich würde an ihr zerbrechen, genau wie Akito.“ „Shh… ruhig. Ich nehme dir das Heroin nicht weg. Aber deine Gedanken sind mittlerweile viel zu fixiert auf den Konsum von Drogen und die Ansicht, Probleme damit lösen zu können. Das ist sehr gefährlich. Ich erreichte diesen Punkt mehrfach, überschritt ihn und endete jedes Mal in der Psychiatrie. Das alles würde ich dir gern ersparen.“ „Ich sagte vorhin bereits, dass ich nicht wie Sie bin.“ „Stimmt, du bist labiler.“ Vorsichtig, aber dennoch bestimmt, umfasst mein Freier meine Handgelenke, nimmt meine Hände von meinem Gesicht und drückt sie links und rechts von meinem Kopf auf die Matratze. „Lassen Sie mich bitte los. Ich bin es nicht wert, von Ihnen berührt zu werden.“ „Wie kommst du darauf? Sieh mich an, Yamato!“ „Ich kann nicht.“ Noch immer halte ich meinen Kopf zur Seite gedreht. Tränen laufen unablässig über mein Gesicht und tropfen auf das Laken. „Wenn Sie wirklich nicht nachgeben, muss ich andere Kontakte nutzen, um an Heroin zu gelangen.“ „Du weißt, dass ich dann nicht mehr schweigen werde.“ „Meinetwegen erzählen Sie es meinem Vater oder Taichi. Das interessiert mich nicht mehr. In einem dreiviertel Jahr bin ich volljährig, dann kann mir niemand mehr etwas anhaben.“ „Falsch. Dein Vater könnte eine Entmündigung erwirken, weil du eine Gefahr für dich selbst bist. Ich denke, damit würde er sogar durchkommen. Yamato, merkst du gar nicht, wie sehr die Droge dich bereits im Griff hat? Bitte geh nicht noch leichtfertiger mit deinem Leben um, als du es ohnehin schon tust.“ Ich beginne hysterisch zu lachen. „Aber genau darum geht es doch“, sage ich bitter. „Ich will dieses Leben nicht, wenn ich mich selbst ertragen muss, es kein Entkommen abgesehen vom Tod gibt.“ Seufzend dreht mein Freier meinen Kopf wieder in seine Richtung und wischt mit seinem Daumen meine Tränen von der Haut. „Öffne deine Augen, mein Süßer“, bittet er auffordernd. Meine Sicht ist verschwommen, als ich ihn anblicke. Ich lege meine Arme in seinen Nacken, ziehe ihn zu mir hinab und küsse ihn innig, sehnsüchtig, leidenschaftlich. Mit seiner Hand gleitet mein Freier verlangend über meinen Körper und öffnet anschließend meine Hose. Ich gebiete ihm Einhalt. „Nicht“, hauche ich beinahe schüchtern. „Willst du nicht?“, hakt mein Freier nach. Ich schüttele kaum merklich meinen Kopf. „Es tut mir leid.“ „Nein, Yamato. Du musst dich für nichts entschuldigen. Im Gegenteil, ich bin froh, dass du mir deinen Willen mitteilst und es nicht einfach über dich ergehen lässt.“ „Ich befriedige Sie wenigstens oral, okay?“, biete ich unter Tränen an. „Du bist süß, mein kleiner Schatz. Aber für mich ist es so in Ordnung. Wir müssen nicht jedes Mal Sex haben, wenn wir uns sehen. Und schon gar nicht, wenn es dir, wie jetzt, nicht gut geht. Für mich hast du längst nicht mehr den Wert eines Strichjungen. Das solltest du inzwischen wissen.“ „Trotzdem fühle ich mich schuldig.“ „Das darfst du nicht, hörst du, Yamato? Nicht deswegen. Lade nicht noch mehr Schuld auf dich, um daran zu zerbrechen. Deine, zugegebenermaßen berechtigten, Schuldgefühle bezüglich der sexuellen Übergriffe an Taichi und deinem Vater richten schon mehr als genug Schaden an.“ „Selbst wenn ich könnte, würde ich nichts rückgängig machen wollen“, sage ich monoton. „Das glaube ich dir, da du dir so einen weiteren Grund lieferst, dich zu hassen, dich seelisch zu verletzen. Denn die Konsequenzen werden dich dein Leben lang verfolgen und Stück für Stück innerlich zerreißen.“ Sanft streicht mein Freier über meinen Oberschenkel, weiter zwischen meine Beine. Es ist egoistisch von mir, mich ihm zu verweigern. Ich sollte ihn ranlassen. Ich muss ihn ranlassen, denn etwas anderes habe ich ihm als Gegenleistung nicht zu bieten. „Bitte schlafen Sie mit mir“, äußere ich mich zurückhaltend. „Ich will Sie in mir spüren.“ Beinahe vorwurfsvoll betrachtet mich mein Freier, während er meine Hose schließt. Dann lässt er von mir ab, indem er von mir heruntergeht und sich neben mich auf das Bett legt. „Hör auf damit. Du bist nicht einmal erregt und dein verkrampft liebevoller Gesichtsausdruck straft deine Worte Lügen. Ich will nicht mit dir schlafen, wenn ich dabei das Gefühl habe, dich zu vergewaltigen.“ „Es tut mir so leid“, flüstere ich mit zitternder Stimme und drehe mich auf die Seite, sodass ich von ihm abgewandt liege. Als ich merke, wie er mich von hinten in seine Arme nimmt, krümme ich mich stumm weinend zusammen. „Du bist in letzter Zeit unglaublich verletzlich und schrecklich labil. Ich mache mir ziemliche Sorgen um dich. Kann ich wirklich nichts tun, damit es dir besser geht?“ Die Frage meines Freiers klingt verzweifelt. Eine Weile herrscht Stille im Raum, nur die CD im Player läuft leise und unbeachtet im Wiederholungsmodus. „Ich habe mich den Menschen, die ich liebe, noch nie so fern und fremd gefühlt. Taichi. Mein Vater. Sie scheinen unerreichbar.“ Kurz schweige ich. Beruhigend streichelt mein Freier durch meine Haare und küsst immer wieder voller Zuneigung meinen Hinterkopf. „Ehrlich gesagt will ich nicht, dass es mir besser geht, wenn es sich so anfühlt. Lieber fühle ich zu viel als gar nichts. Verstehen Sie das?“ „Nicht so ganz. Ich versuche mich in deine Extreme einzufühlen, doch es fällt mir schwer. Viele deiner Reaktionen und Handlungen kann ich nicht nachvollziehen, weil du dir dadurch einige deiner Probleme selbst schaffst. Aber vermutlich ist das die Kompromisslosigkeit deiner Selbstzerstörung. Allerdings muss ich auch zugeben, dass mich die momentane Situation, in der du nach außen stabiler wirkst, nicht minder beunruhigt als die Phasen, in denen es dir offensichtlich nicht gut geht. Meine Angst um dich ist sogar größer. Du bist wesentlich verschlossener, schwerer greifbar und dadurch vielleicht unberechenbarer. Denkst du in diesem Zustand an Selbstmord?“ Ich antworte nicht. „Yamato!“, hakt mein Freier eindringlich nach. „Ja. Aber es fühlt sich anders an als sonst. Irgendwie irreal und nicht mich betreffend. Und doch selbstverständlich, logisch, unausweichlich. Ich denke nicht an ein Wie, Wo oder Wann. Es wird sich von allein ergeben, dessen bin ich mir gewiss.“ „Hast du mit Taichi oder deinem Vater schon einmal darüber gesprochen?“, fragt mein Freier hörbar beunruhigt. „Nein. Und das werde ich auch nicht.“ „So, wie es jetzt ist, kann es nicht ewig weitergehen, mein Süßer.“ Mein Freier drückt mich fester an sich. „Ich weiß“, entgegne ich ruhig. Mental erschöpft schließe ich meine Augen, lasse mich bedingungslos fallen. „Ich habe Sie wahnsinnig lieb“, murmle ich und schlafe kurz darauf in seinen Armen ein. Starker Regen prasselt auf den Asphalt, fließt in Rinnsalen die Straßen Shibuyas entlang und bildet großflächige Pfützen. Meine Kleidung sowie meine Haare kleben schwer und nass an meinem Körper. Obwohl die Nachtluft warm ist, zittere ich durch die auskühlende Feuchtigkeit auf meiner Haut. Langsam laufe ich an den Lovehotels vorbei, die wenigen Menschen, die bei diesem Wetter unterwegs sind, nehme ich kaum wahr. Ich sollte nicht hier sein, doch ich handle gegen mich selbst, ohne zu denken. Fremdgesteuert. Nach einiger Zeit bleibe ich vor einem der Clubs stehen und starre mit einem unangenehmen Gefühl die Tür an. Es kostet mich Überwindung, das Gebäude erneut zu betreten. Letztlich gewinnt jedoch mein Verlangen gegen die Abscheu und ich gehe, ohne auf die anderen Gäste zu achten, direkt zur Bar. „Hey, Kleiner“, begrüßt mich der Mann hinter dem Tresen. Ich weiß, dass er damals das perverse Spiel mitspielte, aber meine Erinnerung an ihn ist mehr als verschwommen. „Schön, dich zu sehen, dabei war ich mir sicher dich nach dem Vergnügen neulich nie wieder zu sehen, zumal es meinem Freund erstaunlicherweise nicht gelang, dich von ihm abhängig zu machen.“ Er lächelt vielsagend. „Oder etwa doch?“ „Ist er da?“, frage ich vorgeblich kalt. „Nein. Zu seinem Leidwesen muss er einen dieser hochformellen Geschäftstermine über sich ergehen lassen. Vermutlich suchst du ihn nicht auf, weil du dich seiner Perversion und den Schmerzen noch einmal hingeben willst. Es geht um Drogen, hab ich recht?“ Er zwinkert mir zu. „Auch ich kann dir beides geben, falls du dich erinnerst. Andererseits warst du vermutlich viel zu zugedröhnt…“ „Ich brauche Heroin“, unterbreche ich ihn schroff. „Klar. Die Bezahlung hat mein Freund dir sicher in Form von Naturalien angeboten, nur ist der leider nicht anwesend. Ich nehme an, du hast kein Geld dabei.“ Ich schüttle meinen Kopf. Seit ich mich nicht mehr verkaufe, habe ich finanziell kaum Freiraum, da, abgesehen von den laufenden Kosten, das meiste Geld für Schlaf- und Schmerzmittel sowie Zigaretten draufgeht. Die 350000 Yen nahm mein Vater an sich, ich wollte dieses widerliche Geld nicht, und deckt damit einen Teil meiner Unikosten. „Was machen wir denn da?“, säuselt er in fragendem Ton, während er vorgibt nachzudenken. „Fick du mich doch einfach“, schlage ich wie selbstverständlich vor. Mein Gegenüber seufzt künstlich. „Wie gern würde ich meinen Schwanz noch einmal in deinen kleinen, süßen Arsch rammen. Bedauerlicherweise muss ich mich um den Laden kümmern.“ Ich bin mir sicher, dass er lügt, denn beim letzten Mal stellte das kein Hindernis dar. „Aber du kannst dich anders erkenntlich zeigen.“ Er deutet an das Ende des Tresens. „Siehst du den Typen dort vorn? Er ist ein guter Freund von mir, dem es gerade ziemlich dreckig geht. Beziehungsstress und so, du weißt schon. Sei doch ein bisschen nett zu ihm und lenke ihn von seinen Problemen ab.“ Das Grinsen, das mir der Barkeeper entgegenbringt, zeigt mir, dass er erneut mit mir spielt. Sieht er sich gern in der Zuhälterrolle? Erregt es ihn? Ich schaue zu dem Mann, mit dem ich schlafen soll. Auf den ersten Blick wirkt er unscheinbar, nachdenklich und sehr ernsthaft. „Was ist, Kleiner. Kommen wir ins Geschäft? Als Stricher dürfte es für dich doch kein Problem sein.“ Ein süffisantes Lächeln ziert seine Lippen. Mir ist schlecht und ich würde am liebsten weglaufen. „In Ordnung.“ Mit leichter Nervosität gehe ich auf den fremden Mann zu, der vermutlich wie die beiden Anderen nur wenig älter ist als ich. „Hallo“, spreche ich ihn unvermittelt an. Er dreht sich zu mir und schaut mich fragend an. Seine Augen sind unglaublich ausdrucksstark und deuten auf ein großes Selbstbewusstsein hin. Auf mich macht er nicht den Eindruck, als würde er getröstet werden wollen. Dummerweise schüchtert mich diese Erkenntnis, wider Erwarten, ziemlich ein. Ihn zu verführen schaffe ich auf keinen Fall. „Ich komme gleich zur Sache. Dein Freund an der Bar meinte, dir würde etwas Ablenkung guttun und ich brauche Heroin.“ Krampfhaft versuche ich das Zittern meines Körpers, insbesondere meiner Hände, zu unterbinden. „Bist du ein Strichjunge? Ich fasse es nicht!“ Er wirft seinem Freund einen vorwurfsvollen und zugleich mahnenden Blick zu, dann mustert er mich sehr genau. „Tut mir leid, Kleiner. Aber ich stehe nicht auf dürre, blasse Jungs, die obendrein eher wie ein Mädchen aussehen. Und jetzt lass mich in Ruhe.“ Voller Selbstverachtung balle ich meine Hand zur Faust. Diese Situation ist unglaublich erniedrigend und ich finde mich ekelhaft erbärmlich. „Bitte, ich mache alles.“ „Verschwinde.“ In meiner Verzweiflung greife ich nach seinem Ärmel und kralle mein Finger darin fest. „Wirklich alles.“ Mein Blick ist starr zu Boden gerichtet. „Bitte.“ „Also gut“, entgegnet er schließlich genervt, fast wütend. „Du hast es so gewollt. Komm mit.“ Als wir am Clubbesitzer vorbeigehen, lächelt der zufrieden. „Ich brauche den Raum oben für eine Weile“, richtet sich mein Begleiter an ihn. „Hast du zufällig gerade eine leere Flasche da?“ Entsetzt schaue ich zwischen den beiden Männern hin und her. Kennen diese Typen überhaupt keine Grenzen? Ich muss an Akito denken. Zum Teil war er diesen Männern sehr ähnlich. Auch er kannte keine Hemmungen. Auch er fickte mich kompromisslos. Tränen füllen meine Augen. Ich atme tief ein und versuche jegliches Gefühl in mir, jede Empfindung abzutöten, um die offensichtlich bevorstehende Tortur irgendwie ertragen zu können. Bewegungslos liege ich in einer kleinen Seitengasse, völlig durchnässt, den Blick starr ins dunkle Nichts gerichtet. Ich weiß nicht einmal, ob es Tränen oder Regentropfen sind, die über mein Gesicht laufen. War es das wirklich wert? „Yamato?“ Die Stimme meines Freiers ist von Angst erfüllt, als er schnellen Schrittes auf mich zukommt. „Was ist passiert? Du warst am Telefon total aufgelöst.“ „Es tut mir leid“, hauche ich reumütig, ohne ihn anzusehen. Obwohl es mitten in der Nacht ist, rief ich ihn an und bat ihn, zu einem von uns häufig genutzten Lovehotel in Shibuya zu kommen. Ich weiß, dass ich viel von ihm verlange, aber ich brauche seine Hilfe. Mehr denn je. „Warum liegst du hier draußen im strömenden Regen?“ Sehr behutsam nimmt er mich in seine Arme. „Gab es Probleme mit einem Freier? Bist du verletzt?“ Krampfhaft versuche ich meine Emotionen unter Kontrolle zu halten, breche schließlich jedoch hemmungslos weinend zusammen. „Es tat so weh!“ „Shh… beruhige dich, mein Süßer. Wir gehen jetzt erst einmal rein ins Trockene und dann erzählst du mir alles. Kannst du aufstehen und allein laufen?“ „Ja.“ Vorsichtig hilft mein Freier mir auf die Beine. Er legt seinen Arm an meine Taille, um mir Halt zu geben, während wir das Hotel betreten. Im Zimmer steuert er direkt auf das Bad zu. Ohne ein Wort zu sagen, entkleidet er mich und begutachtet meinen Körper eingehend. „Du hast einige starke Fissuren. Wie sieht es mit inneren Verletzungen aus?“ „Nein“, sage ich kopfschüttelnd. „Ich glaube nicht.“ Seufzend erhebt mein Freier sich wieder und streicht mir sanft durch die Haare. „Sie sind schmutzig. Geh erst einmal unter die Dusche. Schaffst du es allein?“ Ich nicke. „Würden Sie trotzdem mitkommen?“, frage ich zurückhaltend. Mein Freier lächelt mich liebevoll an und entkleidet sich ebenfalls. Das warme Wasser umhüllt schützend unsere eng umschlungenen Körper. Mit seinen Händen gleitet mein Freier sachte über meine Haut und schließlich sehr sanft zwischen meine Beine. „Ist noch etwas von ihm in dir?“, flüstert er leise in mein Ohr. „Nein. Er selbst ist nicht in mich eingedrungen. Er benutzte eine leere Alkoholflasche.“ Mein Freier drückt mich stärker an sich, schweigt aber bezüglich meiner Aussage. Stattdessen drängt er mich gegen die Wand und schiebt seine Zunge tief in meinen Mund. Die Heftigkeit des Kusses sowie die Hitze des Wassers verursachen ein leichtes Schwindelgefühl in meinem Kopf, sodass ich mich an meinem Freier festkralle. Abrupt beendet dieser das Zungenspiel. „Ist alles okay?“, fragt er fürsorglich. „Ja“, entgegne ich keuchend. „Es geht mir gut.“ Skeptisch betrachtet er mich, dann beginnt er damit, mich gründlich einzuseifen. Anschließend wäscht er den Schaum mit sanften Berührungen wieder ab und umhüllt mich mit einem der zur Verfügung gestellten Bademäntel. „Ich schlage vor, wir gehen ins Bett“, meint mein Freier, während er den anderen Bademantel überzieht. „Sitzen dürfte für dich eher unangenehm sein.“ Mit einem beschämten und zugleich traurigen Lächeln gehorche ich anstandslos. Beschützend zieht er mich unter der Decke in seine Arme. „Erzählst du mir, was vorgefallen ist? Hast du das freiwillig mit dir machen lassen?“ „Ja“, antworte ich knapp und mit belegter Stimme. „Warum? Hasst du dich so sehr, dass du derartige Erniedrigungen und Verletzungen in Kauf nimmst? Nur, um dich selbst zu zerstören?“ „Meine Hose. Vordere Tasche. Links.“ Von Unbehagen erfüllt presse ich mich eng an den Körper meines Freiers. Im Augenblick fürchte ich nichts mehr als seine Verachtung. Dieser langt umständlich nach dem Kleidungsstück. „Heroin? Du gehst für dieses Zeug mittlerweile so weit? Yamato, du hättest an inneren Blutungen sterben können, wenn die Flasche zerbrochen wäre!“ „Über mögliche Folgen dachte ich in dem Moment nicht nach beziehungsweise war mir egal, ob ich verrecke. Ich wollte nur die Droge in meinen Venen spüren und glücklich sein. Der Gedanke an Sie ließ mich jedoch zusammenbrechen. Nie wollte ich Sie hintergehen, geschweige denn so sehr enttäuschen. Wenden Sie sich als Konsequenz nun von mir ab? Ich könnte es nicht ertragen, Sie zu verlieren.“ Mein Hals schmerzt, aber es gelingt mir, meine Tränen zurückzuhalten. Unerwartet liebevoll küsst mich mein Freier auf die Stirn. „Mein süßer Schatz, du weißt, dass ich dich liebe. Solch ein Vorfall gibt mir mit Sicherheit keinen Anlass, dich zu verlassen. Im Gegenteil, dein Verhalten zeigt, dass du Hilfe brauchst, jemanden, der auf dich aufpasst. Zwar bin ich nicht erfreut, dass du dich nicht an unsere Abmachung gehalten hast, letztlich warst du jedoch ehrlich und vor allem bereust du dein Handeln. Ich sehe es als Rückschritt und Fortschritt zugleich. Hast du von dem Heroin bereits etwas konsumiert?“ „Nein. Es bot sich die Möglichkeit, mir gleich bei diesem Typen einen Schuss zu setzen, aber ich konnte es nicht. Durch das Spritzen hätte ich unsere Vereinbarung vollends missachtet.“ Mit meiner Hand gleite ich unter den Bademantel meines Freiers, um die Haut seines Brustkorbes berühren und seinen Herzschlag spüren zu können. Dieser langsame, gleichmäßige Rhythmus beruhigt mich. Trotzdem laufen stumm einige Tränen über meine Wangen, da diese Art von Nähe mich an Taichi erinnert. Nur war ich ihm schon lange nicht mehr so nah. Weder körperlich noch mental. Ohnehin wird seine Gegenwart für mich immer unerträglicher. Ich liebe ihn so sehr… „Yamato, ich mache dir einen Vorschlag.“ Die Worte meines Freiers holen mich aus meinen Gedanken. „Deine Heroindosis werde ich zwar nicht wieder erhöhen, aber ich bin bereit dir die Differenz in Form von GHB zu geben. Dafür wirst du dich zukünftig an unsere Abmachung halten, einverstanden?“ Er atmet hörbar aus. „Ich sehe ein, dass es ein Fehler war, die Droge ersatzlos zu reduzieren. Bei dem Abhängigkeitspotential war es nur eine Frage der Zeit, bis du dir deinen Stoff anderweitig beschaffst.“ „Danke“, hauche ich und richte mich etwas auf, um ihn zu küssen. „Ich werde Sie nicht noch einmal hintergehen. Das verspreche ich.“ Ein verlegenes Lächeln legt sich auf meine Lippen. „In Ordnung. Ich vertraue dir, mein Süßer. Enttäusche mich nicht.“ „Das werde ich nicht.“ Mit einer Hand löse ich den Gürtel des Bademantels und liebkose sinnlich seine nackte Haut, hinab zu seinen Beckenknochen, wobei ich allmählich unter der Bettdecke verschwinde. Als ich damit beginne, ihm einen zu blasen, entlocke ich meinem Freier zunehmend Laute der Erregung. „Yamato, ich…“, keucht er und vergräbt seine Finger in meinen Haaren. „Ist okay“, nuschle ich. „Ich schlucke.“ Eigentlich hasse ich es, Sperma schlucken zu müssen. Der Geschmack und das Gefühl im Mund sind in den meisten Fällen absolut widerlich, aber da ich meinen Freier schon länger nicht mehr rangelassen habe, bin ich ihm wenigstens das schuldig. Ich kämpfe gegen die Übelkeit an, als ich spüre, wie die warme Körperflüssigkeit meinen Rachen hinab läuft. „Komm hoch und spreize deine Beine ein wenig.“ Ohne gänzlich von ihm abzulassen, komme ich seiner Aufforderung nach. Voller Verlangen streicht er mit seiner Hand meinen Rücken hinab. Als er mit seinen Fingern vorsichtig meine Verletzungen berührt, zucke ich vor Schmerz zusammen. Wider Erwarten verzichtet er darauf, in mich einzudringen. „Hör auf, Männern, die du kaum kennst, solche heftigen und gefährlichen Praktiken zu erlauben. Du weißt nie, wie weit die gehen und ob sie aufhören, wenn du an deine Grenzen stößt. Zumal du sie nicht hindern würdest, weiterzumachen, hab ich recht?“ Mein Freier richtet sich auf und rollt unsere Körper so herum, dass nun ich unten liege und er über mir ist. „Ich liebe dich, mein kleiner Schatz.“ Er beugt sich zu mir hinab und küsst mich leidenschaftlich. Dann schaut er zum Nachtschrank, der neben dem Bett steht. „Das Heroin kannst du behalten, schließlich musstest du dafür einiges ertragen. Die Qualität scheint in Ordnung zu sein.“ Liebevoll, aber ebenso ernst sieht er mich an und streichelt durch meine Haare. „Allerdings werde ich zum Ausgleich die nächste Zuteilung streichen und dir nur GHB aushändigen. Ich hoffe, du verstehst, dass ich dir das Heroin nicht zusätzlich überlassen kann, zumal du von dem Typen, vermutlich als eine Art Entschädigung, eine sehr großzügige Menge bekommen hast.“ „Ja“, sage ich etwas missmutig und weiche seinem Blick aus, indem ich zur Seite schaue. Mein Freier seufzt nachsichtig. Diese Zwiespältigkeit scheint ihm ziemlich zu schaffen zu machen. Einerseits versteht er mein Verlangen nach Drogen, da er selbst welche konsumiert, und andererseits fühlt er sich für meine Sucht verantwortlich. Doch es ist nicht seine Schuld. Damals wurde ich von etlichen Freiern zum Ficken unter Drogen gesetzt, denen egal war, ob ich abhängig werde und daran verrecke. „Hast du dich inzwischen eigentlich mit Taichi ausgesprochen?“, fragt mein Freier plötzlich. „Was?“ Ich richte meine Augen abermals auf ihn. „Du weißt, wovon ich spreche, mein Süßer. Schläfst du wieder mit ihm?“ „Nein. Allmählich führen wir nicht einmal mehr eine Beziehung.“ Ungeduldig ziehe ich die Spritze auf, lege das Fixierband um meinen rechten Oberarm und zurre es fest. Momentan sehne ich mich nach nichts mehr als diesem Schuss, dem Entfliehen vor der Realität, vor mir selbst. Gerade als die Kanüle meine Haut durchdringt, höre ich, dass die Wohnungstür aufgeschlossen wird. Panisch ziehe ich die Nadel aus meiner Vene, löse das Fixerband und verstaue alles, was auf einen Drogenkonsum hinweist, in dem Schubfach meines Nachtschrankes. Ich schiebe meinen Ärmel nach unten, als Taichi die Tür zu meinem Zimmer öffnet. Mein Herzschlag ist durch den Schreck stark beschleunigt und meine Hände zittern leicht. Hätte ich Musik eingeschaltet, wie ich es ursprünglich wollte, wäre ich von meinem Freund beim Fixen überrascht worden, da ich sein unangemeldetes Erscheinen nicht bemerkt hätte. „Was ist? Komme ich ungelegen?“, fragt er aufgrund meiner erschreckten Reaktion ein wenig irritiert. Ich muss mich beruhigen, um Tai nicht noch misstrauischer zu machen, als er es ohnehin schon zu sein scheint. „Nein, nur unerwartet“, entgegne ich mit einem verzerrten Lächeln. Der Gesichtsausdruck meines Freundes bleibt skeptisch, als er sich auf mein Bett setzt. Ich nehme neben ihm Platz. Unangenehme Stille breitet sich zwischen uns aus. „Fühlst du eigentlich noch irgendetwas?“, fragt Taichi plötzlich. Betroffen schaue ich zu ihm, doch er reagiert nicht, sondern starrt unbewegt ins Nichts. „Fühlst du noch etwas für mich?“ „Ich liebe dich“, gebe ich zur Antwort. „Wirklich? Warum spüre ich deine Liebe dann nicht? Ist es nicht vielmehr so, dass du innerlich schon längst tot bist?“ Tränen laufen die Wangen meines Freundes hinab und tropfen von seinem Kinn auf seine Hose. „Nein. Du irrst dich, Taichi. Ich empfinde so schmerzhaft viel für dich…“ „Dann zeig es mir, verdammt, anstatt dich immer weiter von mir zu entfernen! Wenn du mich tatsächlich liebst, warum gehst du mir dann immer mehr aus dem Weg? Warum lässt du mich kaum noch an dich heran?“ Ich antworte nicht und schaue traurig zu Boden. „Sora erzählte mir, dass du wahrscheinlich nicht zur Uni gehst. Zumindest sah sie dich in der letzten Woche kein einziges Mal.“ Meine Miene verfinstert sich. „Wieso achtet sie so sehr auf mein Handeln? Wieso lässt sie mich nicht einfach in Ruhe? Und wieso hast du Kontakt zu ihr?“ Aufgebracht dreht sich Tai zu mir. „Wieso nicht? Sie ist eine Freundin und ich mag sie sehr. Was willst du überhaupt? Ansprüche stellen?“ Er lacht bitter. „Ich glaube nicht, dass du bei deinem Verhalten das Recht dazu hast.“ „Fickst du sie?“, frage ich tonlos. Ohne Vorwarnung schlägt mein Freund mir hart ins Gesicht. „Du bist so ein Idiot!“ Verletzt wendet er seine Augen von mir ab. „Schließe nicht immer von dir auf andere. Was hast du denn die Woche über gemacht? Dir das Hirn von irgendwelchen perversen Wichsern rausvögeln lassen?“ „Nein.“ Meine Stimme ist brüchig und kaum hörbar. „Aber es stimmt. Ich war nicht in der Uni. Ich war zu Hause.“ „Warum?“ Ich zögere mit meiner Antwort. „Mir ging es nicht gut.“ Tränen brennen in meinen Augen, mein Hals schmerzt und ich kann kaum schlucken. „Am Dritten vor einem Jahr nahm sich Akito das Leben.“ Mir entgeht nicht, dass Tais Hände sich krampfhaft in den Stoff seiner Hose krallen. „Wann wirst du diesen Typen endlich loslassen? Wie lange muss ich noch gegen einen Toten ankämpfen? Wie lange, Yamato?“ Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich will nicht weiter über dieses Thema sprechen. Die vergangenen Tage überstand ich auch nur, weil ich so oft wie möglich mit Heroin oder GHB zugedröhnt war beziehungsweise in den nüchternen Stunden mithilfe von Schlaftabletten der Realität entfloh. „Er war damals für mich da, als du unsere Beziehung beendet hattest, obwohl er wusste, dass ich mich immer für dich und gegen ihn entscheiden würde. Ohne ihn hätte ich die Trennung von dir nicht überlebt.“ „Dafür durfte er seinen Schwanz so oft er wollte in dich stecken. Verdammt, mir wird schlecht, wenn ich daran denke, was er alles mit dir gemacht haben könnte.“ Mein Freund dreht sich zu mir, seine Augen fixieren mich, sein Gesichtsausdruck zeigt Entschlossenheit. Zaghaft berührt er mit seinen Fingern meine Wange, beugt sich vor und küsst mich. Als er merkt, dass ich mich auf ihn einlasse, setzt er sich mit gespreizten Beinen auf meinen Schoß, ohne den Kuss zu unterbrechen, und drückt mich sanft, aber bestimmt nach hinten auf die Matratze. Es fühlt sich unendlich schön an, Taichi wieder auf diese Weise spüren zu dürfen. Ich lege meine Hände in seinen Nacken und intensiviere unser Zungenspiel. Sinnlich gleitet Tai mit seinen Fingern unter mein Hemd, streichelt sanft über meine Haut. Mein Herzschlag beschleunigt sich mit zunehmender Erregung. Getrieben von Ungeduld und Begierde öffne ich die Hose meines Freundes. Dieser löst sich von meinen Lippen. Ich bin irritiert, da ich seine Mimik nicht deuten kann. „Was hast du?“, flüstere ich. Angst schwingt in meiner Frage mit. „Lässt du mich ran?“ „Ja.“ Liebevoll streiche ich einige Strähnen aus Tais Gesicht, während er meine Hose öffnet. Dann beginnt er mein Hemd aufzuknöpfen. Panisch ergreife ich sein Handgelenk und hindere ihn am Weitermachen. „Nein. Ich kann nicht.“ Voller Selbsthass drehe ich meinen Kopf zur Seite, um meinen Freund nicht ansehen zu müssen. Es wäre ein Fehler, mit ihm zu schlafen, egoistisch und unverantwortlich. Ich darf ihn nicht mehr auf diese Weise spüren. Ich will ihm nicht mehr wehtun. Deshalb muss ich es endlich schaffen, mein quälendes Verlangen nach ihm, nach seinem Körper abzutöten. Hinzu kommen die Vernarbungen und frischen Einstichstellen vom Fixen, die er nie zu sehen bekommen darf. „Warum, Yamato? Warum stößt du mich schon wieder von dir?“ Von einem Moment auf den anderen ändert sich plötzlich sein Ausdruck, wird teilnahmslos. „Du entziehst dich mir nicht mehr.“ Gewaltsam versucht Tai mich meines Hemdes zu entledigen, wobei er von mir heruntergeht, um mich auf den Bauch zu drehen. Er scheint darauf abzuzielen, mit dem Kleidungsstück meine Hände zu fesseln, um eine Gegenwehr meinerseits zu unterbinden. „Hör auf, Taichi“, bitte ich ruhig, aber mit Nachdruck. Ich habe Schwierigkeiten, meinen Freund an seinem Vorhaben zu hindern, der enorme Drogenkonsum und die kaum vorhandene Nahrungsaufnahme haben meinen Körper deutlich geschwächt. Es gelingt mir jedoch, mich wieder zu drehen. Unerwartet lässt Tais Versuch, mich zu entblößen, nach, bis er schließlich über mir zusammenbricht. Mit seiner Stirn berührt er meinen Brustkorb, seine Nägel bohren sich schmerzhaft in meine Schultern. „Hilf mir, Yamato!“ Ich ertrage die Verzweiflung meines Freundes nicht. Es tut weh, seine Tränen auf meiner Haut zu spüren. Dennoch bleibe ich unbewegt liegen. Ich schaffe es nicht, meine Arme tröstend um ihn zu legen. „Was soll ich tun? Ich vermisse meinen Yamato so sehr. Warum hast du ihn mir weggenommen? Warum hast du ihn getötet? Übrig geblieben ist nur eine leblose Sexpuppe, die brav für jeden die Beine breitmacht.“ Ich verzichte darauf, Tais Aussage zu dementieren, obwohl ich schon seit längerer Zeit mit niemandem mehr geschlafen habe. Selbst meinen Freier lasse ich derzeit nicht ran. Zwar befriedige ich ihn hin und wieder oral, aber das bin ich ihm schuldig. Es ist nur fair, ihm eine Gegenleistung für seine uneingeschränkte Hilfe zu geben. Außerdem muss ich seinen Sohn schützen, indem ich das Verlangen meines Freiers auf mich umlenke. Tai jedoch würde das nicht verstehen, weshalb ich mir eine Erklärung sparen kann. Vermutlich würde es ihn sogar wütend machen. „Sag etwas, verdammt nochmal!“, schreit Taichi mich wütend an und krallt seine Finger fester in meine Haut. „Du hast recht“, antworte ich monoton. „Ich bin nichts weiter als eine leblose Sexpuppe. Du willst es mir doch auch gerade besorgen, oder? Also schön, nimm dir, wonach du verlangst. Ich halte still.“ „Ich möchte dich spüren, Yamato. Dir nahe sein. Und wenn Sex die einzige Möglichkeit…“ „Dann fick mich doch einfach. Komm schon.“ Mein Freund bedenkt mich mit verächtlichen Blicken, während er aufsteht. „Zieh dich aus“, befiehlt er lieblos. Schweigend komme ich seiner Aufforderung nach und ziehe meine Hose samt Unterhose aus. „Vollständig. Das Hemd auch.“ Seine Stimme ist kalt, emotionslos. Ich rühre mich nicht, sondern starre ihn nur mit einem unguten Gefühl an. „Was ist los? Seit wann zierst du dich wie ein Mädchen? Ich kenne deinen Körper. Oder willst du vor mir verbergen, dass du wieder angefangen hast dir die Arme aufzuschneiden? Sei ehrlich.“ „Ja“, antworte ich leise. Ich gebe Tai eine Wahrheit, die er hören möchte, indem ich lüge. Diese Ironie ist fast schon zum Lachen. Wortlos schauen wir uns an. Erneut laufen Tränen über die Wangen meines Freundes. Die Situation überfordert mich, da ich nicht weiß, wie ich mich verhalten soll. Warum tue ich ihm immer wieder weh? „Taichi, ich…“ Meinen Worten ist meine Unsicherheit deutlich anzuhören, weshalb ich den Satz sofort abbreche. „Was passiert hier mit uns, Yamato?“ Ich wende meinen Blick ab und schaue aus dem Fenster. „Du hast deine Emotionalität verloren. Situationen, in denen du normalerweise ausrastest oder weinend zusammenbrichst, begegnest du mit Gleichmut oder vielmehr Gleichgültigkeit. Ich komme damit nicht klar.“ Verwirrt schaue ich Tai an. Kommt mein Verhalten bei ihm so an? Übelkeit kriecht meine Kehle empor. Plötzlich scheine ich den Boden unter meinen Füßen zu verlieren. Wie fremdgesteuert stehe ich auf und gehe langsam ein paar Schritte auf meinen Freund zu. Meine Sicht verschwimmt, die Umgebung verzerrt sich. Dann breche ich vor Taichi zusammen. Noch leicht benommen öffne ich meine Augen. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen, doch es dauert eine Weile, bis ich mein Zimmer erkenne. Schwerfällig setze ich mich auf, dabei bemerke ich Taichi, der neben mir liegt und zu schlafen scheint. Verliebt betrachte ich meinen Freund. Er ist schön, doch man sieht ihm seine Alkoholabhängigkeit und den damit verbundenen Absturz noch ein wenig an. Seine Gesichtszüge sind sehr markant und auch seine Statur ist nicht so durchtrainiert wie früher. Zärtlich streichle ich über Tais Wange, dann lege ich mich wieder hin und schmiege mich eng an ihn. Sein vertrauter Geruch vermittelt mir Geborgenheit. Müde schließe ich meine Augen. Ich liebe ihn so sehr. Um ihn nicht zu verlieren, würde ich alles tun. Und trotzdem schaffe ich es nicht, Taichi glücklich zu machen. Warum funktioniert unsere Beziehung einfach nicht, obwohl wir uns beide anstrengen unsere Probleme in den Griff zu bekommen? Tai seine Alkoholabhängigkeit und ich, zugegeben durchzogen von Rückfällen, die Prostitution, die Selbstverletzungen sowie die Essproblematik. Und doch reicht es nicht. Früher war unsere Beziehung zwar turbulenter, allerdings auch intensiver. Was hat sich verändert? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nur daran liegt, dass wir älter sind und somit die normale zeitliche Veränderung verantwortlich ist. Sicher ist das auch ein Aspekt, aber… „Yama?“, werde ich von der Stimme meines Freundes in meinem Gedankengang unterbrochen. „Wie geht es dir?“ Obwohl er sehr verschlafen klingt, ist seine Sorge deutlich heraushörbar. „Mir geht es wieder gut“, versuche ich ihn zu beruhigen. „Ich hatte Angst um dich. Da ich aber unsicher war, ob ein Arzt notwendig ist, legte ich dich erst einmal ins Bett und beobachtete dich. Es gab keine Auffälligkeiten. Du hast ruhig geschlafen, irgendwann muss ich selbst eingeschlafen sein. Bist du sicher, dass…“ „Ja, es ist alles in Ordnung. Vermutlich war es nur ein Kreislaufzusammenbruch.“ Anscheinend schwächte mich die letzte Woche doch mehr, als ich dachte. „Du siehst auch ziemlich schlecht aus. Allmählich stürzt du wieder ab, merkst du das?“ Verblüfft setze ich mich auf und schaue zu Taichi. „Nein. Ich fühle mich nicht anders als sonst.“ „Deine Selbstwahrnehmung ist nach wie vor extrem verzerrt. Ich wünschte, du könntest dich einmal so sehen, wie du wirklich bist.“ Interessiert stütze ich mich auf meinen Ellenbogen und blicke fragend zu meinem Freund. „Wie bin ich denn?“ „Anstrengend, aber sehr süß.“ Er legt seine Hand in meinen Nacken und zieht mich zu sich herunter. Sehnsüchtig berühren sich unsere Lippen und wir versinken in einem innigen Kuss. Ich glaube, im Moment bin ich wirklich glücklich, denn es fühlt sich so viel besser an als auf GHB oder Heroin zu sein. Ohne den Kuss zu unterbrechen, zieht Tai mich auf sich und gleitet mit seinen Händen unter mein Hemd. Ich lasse es geschehen. Meine Haut kribbelt an den Stellen, an denen er mich berührt. Die Nähe zu meinem Freund erregt mich. Ich will mehr. Ich will ihn. Widerwillig löse ich mich von Taichi und betrachte sein Gesicht. An seinem Ausdruck erkenne ich, dass auch er schmerzhaftes Verlangen verspürt. „Ich liebe dich“, hauche ich ihm ins Ohr. Traurig lächelt Tai mich an. „Dann verschließe dich nicht vor mir. Stoß mich nicht mehr von dir, okay?“ Liebevoll streichelt er durch meine Haare. „Das werde ich nicht. Ich verspreche es“, höre ich mich sagen. „Yamato, ich will nicht, dass du Versprechungen machst, die du mit großer Wahrscheinlichkeit nicht halten kannst. Und dieses Versprechen kannst du nicht halten, das weißt du.“ Schuldbewusst schaue ich Taichi an. Als ich mich von ihm lösen möchte, nimmt er mich fester in seine Arme. „Lass uns noch eine Weile so liegenbleiben, okay?“ „Aber ich bin zu schwer, um…“, beginne ich einzuwenden, werde jedoch von Tai unterbrochen. „Zum einen halte ich einiges aus und zum anderen bist du eigentlich viel zu leicht. Du hast wieder etwas abgenommen, nicht wahr?“ „Kann sein. Zugegebenermaßen habe ich in letzter Zeit wenig Nahrung zu mir genommen. Aber ich bemühe mich, das zu ändern, ich verspr… versuche es zumindest.“ Mein Freund bringt mir ein mildes Lächeln entgegen und verwickelt mich erneut in einen leidenschaftlichen Kuss. Dabei dreht er unsere Körper, sodass ich unter ihm zum Liegen komme. Ich will ihn spüren. Tief in mir. „Es wird eng in der Hose, hab ich recht?“, fragt Taichi mit einem Grinsen, welches allerdings sofort wieder verschwindet. „Warum willst du nicht mit mir schlafen? Können deine Freier oder dieser Kinderficker es dir besser besorgen, dich mehr befriedigen als ich?“ „Nenn ihn nicht immer so. Er ist wirklich nett. Du musst ihm nur eine Chance geben.“ „Yamato, der Typ vögelt meinen Freund. Wie stellst du dir das vor? Ich will ihn gar nicht mögen.“ Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Du bist so süß, wenn du eifersüchtig bist.“ Ich hatte erwartet, dass Tai mit Schmollen oder einer bissigen Entgegnung reagiert, aber er blickt mir nur ernst in die Augen. „Ich habe Angst, dich zu verlieren. An fremde Männer, Drogen und letztlich an den Tod. Du…“ „Shh.“ Mit Auflegen zweier meiner Finger versiegele ich Taichis Mund und hindere ihn somit am Weitersprechen. „Nicht jetzt. Nicht in diesem Augenblick.“ Kapitel 34: ------------ Lethargisch gehe ich durch die Allee von längst verblühten Kirschbäumen, die auf dem Weg von meiner Universität zur U-Bahn-Station Ueno liegt. Es ist spätsommerlich warm, sodass ich von an mir vorbeilaufenden Passanten wegen meiner langen Ärmel seltsam angesehen werde. Da ich derartige Reaktionen bereits seit Jahren gewohnt bin, fällt es mir nicht schwer, sie zu ignorieren. Zudem schotte ich mich mithilfe meiner Kopfhörer und durch die darüber gehörte Musik von der Realität ab, registriere meine Umgebung, insbesondere die Menschen, kaum. Stumm bewege ich meine Lippen, forme den Text und singe das Lied, welches gerade abgespielt wird, in Gedanken mit. Die Luft färbt sich Auf nassen blutroten Fingerspitzen Liegt ein verstümmelter Schmetterling Und seine Tränen verwandeln sich in Sand Einen Glanz welcher dich weinen lässt Kurz schließe ich meine Augen, um die Musik auf mich wirken zu lassen, bleibe jedoch nicht stehen. Als ich sie wieder öffne, blendet mich die Helligkeit der Sonne. Schützend hebe ich die rechte Hand vor mein Gesicht und blinzele. Weine bitte nicht Die Einsamkeit nimmt Form an Und die damit verwickelte Reue Schneidet durch die Luft Meine Schritte verlangsamen sich, als ich mich den Treppenstufen nähere. Bedächtig steige ich sie hinab. Trotzdem wird das Pulsieren in meinem Kopf um ein Vielfaches stärker, weshalb ich versuche mich wieder auf das Lied zu konzentrieren. Die Splitter deiner Seele verstreuen sich Auf deiner endenden Hoffnung Die Band ist schon seit langem eine meiner Lieblingsbands. Leider löste sie sich vor drei Jahren auf, da der Sänger in Amerika eine Solokarriere starten wollte. Vor kurzem gaben die drei Musiker, zwei Männer und eine Frau, allerdings ihr Comeback als Band bekannt. Es bleibt abzuwarten, ob sie es wieder bis ganz nach oben schaffen werden. Mit der Newcomer-Band, die derzeit dabei ist, die Charts zu erobern und die ich damals auf dem Contest kennenlernen durfte, haben sie starke Konkurrenz bekommen. Einmal mehr frage ich mich, ob die Teen-Age Wolves es je so weit geschafft hätten, mit Bands wie diesen auf Augenhöhe zu spielen. Seufzend überquere ich die Straße. Ich werde es nie erfahren. Aber vermutlich ist es auch gut so. Im Showbusiness würde ich nicht lange überleben. Zu viel Öffentlichkeit, zu viel Kontakt mit Menschen und zu wenig Privatsphäre. Nur das Texten und Singen werde ich nie aufgeben können. Dafür brauche kein Publikum, keine Bestätigung. Es reichen ein Blatt Papier, ein Stift und eine Gitarre. Plötzlich spüre ich, dass mich jemand mit seiner Hand an meiner Schulter berührt. Erschreckt drehe ich mich um, hebe meine Faust, um der Person aus einem Reflex heraus einen abwehrenden Schlag zu verpassen. Noch rechtzeitig halte ich inne, als ich Sora erkenne. „Bist du bescheuert?“, werfe ich ihr wütend an den Kopf. „Fass mich nie wieder an, hast du verstanden?“ „Es tut mir leid, ich wusste nicht, dass du so schreckhaft bist“, rechtfertigt sie sich sofort. „Was willst du?“, frage ich entnervt. „Du warst die letzte Zeit nicht in der Uni, oder? Ich…“ „Was geht es dich an?“, unterbreche ich Sora unwirsch. „Vor allem, hör auf mir nachzulaufen!“ „Deine Arroganz von früher scheinst du nicht verloren zu haben.“ Von einem Moment zum anderen verhält sie sich mir gegenüber ungewohnt feindselig. „Zunächst fand ich diese unnahbare Art, deine vermeintliche Schüchternheit und Zurückhaltung noch interessant. Ich wollte mehr über dich wissen, dich kennenlernen. Doch dein hübsches Gesicht täuscht deine Unschuld nur vor, denn eigentlich bist du ein rücksichtsloses Arschloch und kein bisschen liebenswert. Deinetwegen hat Taichi damals die Beziehung zu mir beendet. Dir war das vollkommen egal. Du hast dich einfach zwischen uns gedrängt und dir genommen, wonach dir verlangte. Hast du überhaupt einen Gedanken daran verschwendet, wie sehr du mir damit wehgetan hast?“ „Nein“, gebe ich ehrlich und sehr unterkühlt zur Antwort. „Wie kann man nur so gleichgültig sein? Außer für dich selbst interessierst du dich für nichts und niemanden. Du bist so armselig, Yamato. Wie konnte Taichi sich nur für dich entscheiden? Du hast ihn überhaupt nicht verdient! Zudem hat eure Beziehung ohnehin keine Zukunft, denn normalerweise steht Taichi nicht auf Männer. Vermutlich ist er nur aus Mitleid mit dir zusammen, da du ohne ihn völlig allein wärst. Noch ist er zu nett, um dich fallenzulassen, aber die Erkenntnis, dass eure Beziehung ein Fehler ist, wird kommen. Ich werde ihm die Augen öffnen und dann nehme ich ihn dir weg, füge dir den gleichen Schmerz zu, den du mir zugefügt hast.“ „Bist du jetzt fertig?“, frage ich gelassen, wobei ich versuche meine Unsicherheit und Angst zu überspielen. Mit Unverständnis betrachtet Sora mein Gesicht, als könne sie darin eine Antwort finden. „Viel kann dir Taichi nicht bedeuten, wenn du selbst jetzt noch mit Gleichgültigkeit reagierst“, wirft sie mir fälschlicherweise vor. Allmählich bereue ich, vorhin nicht zugeschlagen zu haben. Panik beginnt sich in mir auszubreiten. Soras Worte verfehlen ihre Wirkung nicht. Aber sie darf mir Tai nicht wegnehmen. Sie darf es nicht! Ich muss mich beruhigen, atme ganz bewusst. „Du gehst mir auf die Nerven“, entgegne ich unfreundlich, setze meine Kopfhörer auf und wende mich zum Gehen. Bestimmt hält Sora mich am Handgelenk fest. Angewidert stoße ich sie unsanft von mir, sodass sie beinahe rückwärts zu Boden fällt. Gereizt schiebe ich meine Kopfhörer wieder in den Nacken. „Ich sagte, du sollst mich nicht anfassen!“, gifte ich sie hasserfüllt an. Entsetzt fixiert sie mich mit ihren Augen. „Du kennst keine Skrupel, oder?“ „Wieso? Weil du ein Mädchen bist?“ Ich lache. „Das ist mir ziemlich egal, wenn du mir zu nahe kommst. Lass deine widerlichen Finger von mir und dir passiert nichts, ansonsten kann ich für nichts garantieren.“ „Du bist wirklich krank. Schon in der Mittelschule kamen mir Zweifel bezüglich deiner Zurechnungsfähigkeit, dein Verhalten war immer kaum nachvollziehbar. Kein Wunder, dass du mehrfach weggesperrt wurdest. Nur war es ein Fehler, dich wieder freizulassen.“ Bestürzt starre ich sie an. „Woher…?“ Sofort bringe ich mich selbst zum Schweigen, da ich die Antwort kenne. Sie kann es nur von Taichi wissen. Verdammt, warum tut er das? Ich habe das Gefühl, meine Eingeweide würden brutal zerquetscht. Krampfhaft versuche ich meine Tränen zu unterdrücken. Die Blöße, vor diesem Mädchen zu weinen, möchte ich mir nicht geben. Ich drehe mich zur Seite, damit sie mir nicht mehr ins Gesicht blicken kann. „Da ich, wie du sagtest, krank bin, solltest du dir gut überlegen, ob du mir Taichi wegnehmen willst, ob du mit den Konsequenzen leben könntest.“ Es gelingt mir, Festigkeit in meine Stimme zu bringen und meiner Aussage Nachdruck zu verleihen. „Drohst du mir?“, fragt Sora erschüttert. „Nenn es, wie du willst, aber ich an deiner Stelle wäre sehr vorsichtig in meinem Handeln.“ „Yamato, du bist nicht gut für Taichi. Sieh es endlich ein!“ Ohne weiter auf sie zu achten, schiebe ich die Kopfhörer erneut auf meine Ohren und gehe weiter in Richtung U-Bahn-Station. Mein Herz rast und meine Kehle ist wie zugeschnürt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Taichi sich dieses Mal für dieses Mädchen und gegen mich entscheidet, ist hoch. Immerhin spricht er mit ihr bereits über sehr persönliche Angelegenheiten. Und in einem Punkt muss ich Sora recht geben. Tai steht eher auf Frauen. Übelkeit steigt in mir auf. Zügig überquere ich eine Straße, doch zur U-Bahn-Station schaffe ich es nicht mehr. Am Rand der Treppe, die hinab zum Eingang führt, übergebe ich mich, spucke vielmehr ein Gemisch aus Galle und Speichel auf den Asphalt, da ich heute noch nichts gegessen habe. Die neugierigen Blicke der Menschen in meiner Nähe bekomme ich kaum mit. Sollte Taichi mich verlassen, verliere ich mit ihm meinen letzten Halt. Unentschlossen und von einer diffusen Angst erfüllt stehe ich vor der Wohnungstür der Yagamis, meinen Finger leicht zitternd auf dem Klingelknopf ruhend. Ich möchte Taichi sehen, brauche seine Nähe, Sicherheit. Das Gespräch mit Sora macht mir wider Erwarten schwer zu schaffen. Noch immer schwirren mir ihre Worte mit Unbehagen durch den Kopf, beherrschen meine Gedanken ausnahmslos. Ihr ist es gelungen, mich extrem zu verunsichern. Wie soll ich Tai gegenübertreten? Ich kann nicht so tun, als hätte die Unterredung mit seiner Exfreundin nie stattgefunden. Zudem entspricht Soras Vorwurf, ich wäre nicht gut für Taichi, der Wahrheit. Diese Tatsache ist mir schon lange schmerzlich bewusst, weshalb ich in den letzten Jahren immer wieder versuchte ihn von mir zu stoßen. Bisher war ich allerdings zu egoistisch, um meinen Freund endgültig freizugeben. Ich liebe ihn viel zu sehr, ich kann ihn nicht gehen lassen. Nicht, solange ich noch atme, fühle und ein Funken Leben in mir ist. Aber was soll ich tun, wenn Tai nicht bei mir bleiben möchte? Wenn er tatsächlich denkt, dass unsere Beziehung ein Fehler ist? Ihn zwingen, wie so oft? Einmal mehr gegen seinen Willen handeln, ihn gewaltsam an mich binden und in Kauf nehmen, dass er weiter an mir zerbricht? Resigniert lasse ich meine Hand sinken. Ich sollte nach Hause gehen. Leblos liege ich auf meinem Bett und starre zur Decke. Mein Zeitgefühl habe ich längst verloren, aber inzwischen bin ich von Dunkelheit umgeben. Am Rande meiner Wahrnehmung registriere ich, dass das Telefon klingelt. Eigentlich kann es nur mein Vater oder Taichi sein, doch ich möchte im Augenblick mit niemandem reden, auch wenn ich mich schrecklich einsam fühle. Lieber ertränke ich mich absichtlich im Selbstmitleid. Bedauerlicherweise kann man dadurch nicht wirklich sterben. Das Telefon verstummt und in der Wohnung herrscht wieder unangenehme, erdrückende Stille. Trotzdem ändere ich nichts an dem Zustand, indem ich Musik oder den Fernseher einschalte. Unbewegt bleibe ich auf dem Rücken liegen, spüre mich kaum noch. Ich weiß, dass Schneiden an meiner Verfassung nichts ändern würde und auch Drogen könnten zwar eine kurzfristige Verbesserung erzielen, die Depressionen danach würden dafür vermutlich um ein Vielfaches schlimmer sein. Andererseits, wie soll ich die Realität sonst ertragen? Eine Realität, die mir immer wieder vor Augen führt, dass ich Taichi jederzeit und ganz leicht verlieren kann. Wenn er irgendwelche fremden Frauen vögelt, habe ich zwar genau davor Angst, versuche mir jedoch einzureden, dass er die Wahrheit sagt, wenn er behauptet, nur mit ihnen ins Bett zu gehen, um mir wehzutun. Bei Sora verhält es sich allerdings anders. Mit ihr ging er schon einmal eine Beziehung ein, weshalb ich denke, dass er mehr als Zuneigung für sie empfindet, sollte er mit ihr schlafen. Oder geht seine Skrupellosigkeit sogar so weit, dass er selbst sie für seine Zwecke benutzen würde? Ich traue es ihm definitiv zu. Aber vielleicht ist das auch nur eine naive und verzweifelte Hoffnung von mir, an die ich versuche mich zu klammern. Einmal mehr werden die Stimmen in meinem Kopf lauter, schreien mich an, ich solle mich endlich töten. War es bei dir ähnlich, kurz bevor du die Klinge durch deine Haut zogst, um alles Leben aus deinem Körper herausströmen zu lassen, Akito? Hast du noch etwas gefühlt? Leichtigkeit? Schmerz? Erlösung? Traurigkeit? Oder einfach nur Leere? Ich weiß, dass dein Hass auf die Welt und die Menschen noch größer war als mein eigener, was man dir nach außen jedoch nie anmerkte. Wahrscheinlich unterschätzte ich deshalb deine Labilität. Bis zuletzt konntest du dich mir nie ganz öffnen, geschweige denn hingeben. Deine Angst, die Kontrolle zu verlieren, beherrschte dich. Nicht wahr, Akito? Aber ich denke, du hattest ebenso Angst, verletzt zu werden, denn es gab Situationen, in denen du dich fast hättest fallenlassen. In denen du es wolltest, aber nie konntest. Du wusstest, dass du verlierst. Gegen Taichi. Dass du immer wieder gegen ihn verlieren würdest. War es somit Selbstschutz? Konntest du dich deshalb nicht fallenlassen? Nein, du konntest es auch so nicht. Hab ich recht, Akito? Und es machte dir Angst, wie weit wir gegangen sind, wie viel du zugelassen hast, unsere Gefühle, die Beziehung. Du konntest damit nicht umgehen. Ebenso wenig wie mit den Empfindungen für deine Mutter, die du gleichermaßen liebtest wie hasstest. Mir fällt auf, dass ich zum ersten Mal seit deinem Selbstmord über deine Beweggründe nachdenke. Vermutlich realisiere ich deinen Tod seit dem Schulabschluss etwas mehr. Ständig den leeren Platz schräg vor mir vor Augen zu haben war kaum zu ertragen. Tag für Tag starrte ich auf deinen unbesetzten Stuhl und wartete darauf, aufzuwachen. Ausnahmsweise wollte ich in die Realität zurückkehren. Eine Realität, die es nicht gibt. Manchmal frage ich mich, ob die offensichtlich anstehenden Probleme zu deiner Entscheidung beitrugen. Du wusstest, dass Taichi zurückkommen würde. Du wusstest, dass ich mich wieder auf ihn einlassen würde. Aber du wusstest auch, dass ich dich nicht einfach aufgeben würde. Letztlich wären wir wahrscheinlich alle an der Situation zerbrochen. Du und Tai, ihr seid euch sehr ähnlich. Kalt und skrupellos. Allerdings kann Taichi auch unglaublich zärtlich zu mir sein, du hattest damit immer Schwierigkeiten. Weißt du eigentlich, dass deine Angst vor Nähe dich unbeholfen und verletzlich erscheinen ließ? Natürlich immer überspielt von Selbstsicherheit und, anderen gegenüber, aufgesetzter Freundlichkeit. Mein Herz schlägt schneller, als ich daran denke, wie es sich anfühlte, mit dir zu schlafen. Mein Körper erinnert sich noch immer an deine Berührungen. Es ist fast so, als könnte ich sie spüren. Ich schließe meine Augen. Erst jetzt bemerke ich die Tränen, die seitlich mein Gesicht hinab laufen. Unerwartet taucht Taichis Bild vor meinem inneren Auge auf. Ich bin wieder in der Situation von damals, als Tai dieses Mädchen in meinem Bett gevögelt hat, nur dass sie diesmal aussieht wie Sora. Erschreckt und von Angst erfüllt, reiße ich meine Augen wieder auf. Bin ich kurz eingeschlafen? War das ein Traum? Ich setze mich schwer atmend auf. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Der Gedanke, dass dieses Szenario Realität sein könnte, lässt Übelkeit in mir aufkommen. Ich stehe auf und laufe schnell ins Bad, wo ich mich heftig würgend über die Toilette beuge. Meine Beine geben nach und ich schlage hart mit den Knien auf den Fliesen auf. Wiederholt erbreche ich bittere Galle und Speichel. Meine Speiseröhre brennt, als wäre sie verätzt worden. Krampfhaft zieht sich mein Oberkörper aufgrund der Anstrengung zusammen. Der Drang, mir selbst Schaden zuzufügen, wird stärker. Ich schaue zum Medizinschrank. Doch bevor ich eine Entscheidung bezüglich des Schneidens treffen kann, klingelt es an der Tür. Erschreckt zucke ich zusammen. Kurz ziehe ich in Erwägung nicht zu öffnen, entschließe mich jedoch die Gelegenheit zu nutzen, um mit Taichi zu reden. Ich sollte nicht länger weglaufen. Nur mit Mühe gelingt es mir, aufzustehen und mich auf den Beinen zu halten. Ich betätige die Spülung und putze flüchtig meine Zähne, um den bitteren Geschmack loszuwerden. Dann verlasse ich mit bedächtigen Schritten das Bad. Durch das Würgen ist das Pulsieren in meinem Kopf nahezu unerträglich geworden. Zum wiederholten Mal wird der Klingelknopf betätigt. Ich öffne die Tür. „Was…“ Überrascht schaue ich meinen Gegenüber an. Es ist nicht Taichi, der vor mir steht, sondern mein Freier. Er sieht furchtbar aus. Bestimmt ziehe ich ihn am Arm in die Wohnung und schließe hinter uns die Tür. „Sie sind völlig zugedröhnt und stinken nach Alkohol“, stelle ich verwundert fest. „Was ist passiert?“ Noch nie habe ich meinen Freier in einem derart schrecklichen Zustand gesehen. Er antwortet nicht und drängt mich stattdessen grob gegen die Wand. Begierig öffnet er mein Hemd und streift es von meinen Schultern. „Nein… nicht… jetzt…“, bringe ich stockend hervor. Die Situation überfordert mich, auch, weil der Alkoholgeruch mich an Taichi erinnert. Unbeirrt macht er weiter, öffnet meine Hose und zieht sie ein Stück herunter. „Ich sagte, ich möchte das nicht! Nicht in Ihrem Zustand“, weise ich ihn etwas energischer zurecht. Mein Freier sieht mich an. Sein Blick ist durch die Drogen völlig verklärt. Mit ihm zu reden ist sinnlos, meine Worte erreichen ihn nicht. „Warum stellst du dich so an? Du selbst hast mir deinen Körper angeboten. Jetzt will ich von ihm Gebrauch machen.“ Ein süffisantes Lächeln legt sich auf seine Lippen. „Sei brav, dreh dich zur Wand und beuge dich etwas nach vorn.“ Ich bleibe unbewegt und schaue ihn verzweifelt an. Es muss etwas Schlimmes passiert sein, wenn er dermaßen die Kontrolle über sich verliert. Ich hoffe, meine Befürchtungen bewahrheiten sich nicht. Derb zieht mein Gegenüber mich am Arm in die gewünschte Position, drückt meinen Kopf schmerzhaft gegen die Wand. „Sie tun mir weh… hören Sie auf... verdammt…“ Mein Freier lacht laut auf. „Darauf stehst du doch, mein Kleiner. Und wenn du ehrlich bist, willst du es auch. Also sei ein lieber Junge und halt still. Dann werde ich auch ganz sanft zu dir sein und es wird nicht wehtun“, säuselt er in mein Ohr, wobei ich seinen warmen, alkoholverseuchten Atem spüren kann. „Oder soll ich es dir lieber härter besorgen?“ Ich schweige und beginne heftig mich zu wehren, indem ich nach hinten trete. Vergeblich. Je mehr ich versuche mich aus seiner Gewalt zu befreien, desto brutaler wird sein Umgang mit mir. Es gelingt ihm, meine Arme auf den Rücken zu drehen und meine Handgelenke mit seiner Krawatte aneinanderzufesseln. Anschließend bringt mein Freier mich zu Fall. Ich höre, dass er seine Hose öffnet. Panisch versuche ich mich aufzurichten, doch er ist schneller, presst meinen Kopf schmerzhaft auf den Boden. Unvermittelt dringt er in mich ein, stößt sich immer wieder rücksichtslos und tief in mich. Meine Gegenwehr schwindet und ich beginne hemmungslos zu weinen. Es ist dieselbe Stellung, in der ich Taichi das erste Mal vergewaltigte. Die Penetration meines Freiers beginnt allmählich zu schmerzen, aber ich muss es ertragen. So wie Tai es damals ertragen musste. Mit tränenverschwommenem, starrem Blick fixiere ich die Wand. Einmal mehr versuche ich mich innerlich zu töten, scheitere aber, da sich plötzlich die Realitäten vermischen. Ich bin wieder in der Turnhalle und glaube, den Sportlehrer in mir zu spüren. Angst erfasst jede Faser meines Körpers, ich zittere. Um mich selbst am Schreien zu hindern, beiße ich mir stark auf die Lippen. Noch immer laufen unablässig Tränen über mein Gesicht. Der Rhythmus der Stöße brennt sich in mich ein, meine Haut scheint zu verglühen und die Übelkeit hat mich fest im Griff. Ich versuche mich darauf zu konzentrieren, meinem Brechreiz nicht nachzugeben. Vielleicht schaffe ich es auf diese Weise, auszublenden, was gerade geschieht. Bis es irgendwann vorbei ist. Ich öffne meine Augen. Benommen lasse ich meinen Blick durch den Raum schweifen und registriere, dass ich mich in meinem Zimmer befinde. Mein gesamter Körper schmerzt, zum Schlafen ist mein Sofa eher ungeeignet. Mit Bedacht richte ich mich auf und schaue zu meinem Bett. Nachdenklich betrachte ich meinen Freier, der noch immer zu schlafen scheint. Was gestern Abend passierte, ist für mich kaum greifbar. Aber es war kein Traum, dessen bin ich mir sicher. Mein Körper lässt mich noch immer seinen groben Umgang mit mir spüren. Jedoch ist es nicht die Brutalität, die mich so sehr irritiert. Mein Freier hat mich schon oft mit Gewalt genommen, aber noch nie gegen meinen Willen. Ich stehe auf, setze mich zu ihm ans Bett und streiche fürsorglich durch seine Haare. Verschlafen blinzelt er mich an. „Entschuldigung, ich wollte Sie nicht wecken“, sage ich leise. „Yamato? Was…“ Sich unterbrechend fährt er mit der Hand über sein Gesicht. „Ich habe dich vergewaltigt“, flüstert er voller Selbstverachtung. Er erinnert sich also. „Nein, das haben Sie nicht.“ Ich beuge mich zu ihm hinab und hauche einen Kuss auf seine Lippen. „Sie hatten einen Horrortrip oder halluzinierten. Es ist nichts dergleichen geschehen. Machen Sie sich keine Sorgen.“ Sanft berühre ich seine Wange. „Warum haben Sie sich so zugedröhnt? Es war nicht nur Alkohol, hab ich recht?“ „Kokain“, bestätigt mein Freier meine Vermutung knapp. „Und warum?“, wiederhole ich meine Frage vorsichtig, obwohl ich Angst vor der Antwort habe. Tränen laufen über sein Gesicht und er wendet seinen Kopf von mir ab. Offenbar kann er mir nicht in die Augen sehen. „Ich habe ihn angefasst“, gesteht mein Freier mit brüchiger Stimme. Ich lag also richtig mit meiner Befürchtung. Wie konnte ich nur so egoistisch sein? Hätte ich ihn rangelassen, wäre es nie so weit gekommen. Dabei wollte ich den Kleinen beschützen, indem ich meinen Körper zur Verfügung stelle. Warum hat mein Freier nicht schon eher so wie gestern Abend gehandelt? Aus falscher Rücksicht zu mir? Tränen des Selbsthasses füllen meine Augen und ich balle meine Hände schmerzhaft stark zu Fäusten. „Haben Sie mit Ihrem Sohn geschlafen?“ Ich kann mein Zittern nicht verbergen. Hass, nicht auf ihn, sondern auf meine sinnlose Existenz, lässt meinen Körper beben und mich einmal mehr verzweifeln. „Nein“, kommt nach einem Moment des Schweigens eine kaum hörbare Antwort. „Ich habe meine Zunge in seinen Mund geschoben, seinen Körper entblößt und liebkost, ihm einen geblasen. Als ich meinen Finger… er fing an zu weinen. Entsetzt wich ich zurück, denn erst in diesem Augenblick realisierte ich, was ich tat.“ Unerwartet steht er auf und verlässt eilig das Zimmer. Kurz darauf höre ich, wie er sich im Bad heftig übergibt. Es könnte eine Nachwirkung der Drogen sein, aber ebenso eine psychosomatische Reaktion bezüglich seiner sexuellen Handlungen an seinem Sohn. Dabei ist es nicht seine Schuld, schließlich hat er sich seine Neigung nicht ausgesucht. Ich weiß, wie sehr er deswegen leidet, umso mehr verachte ich mich, dass ich ihm nicht helfen kann. Voller Sorge folge ich meinem Freier ins Bad. Er sitzt an die Wanne gelehnt auf den kalten Fliesen, apathisch ins Nichts starrend. Hilflos bleibe ich wie versteinert im Türrahmen stehen. „Meine Frau war zu dem Zeitpunkt zu Hause“, murmelt er, weshalb ich Schwierigkeiten habe, ihn zu verstehen. „Sie bekam mit, dass der Kleine zu weinen begann, und fragte mich, was passiert sei. Ich war zu feige, ihr die Wahrheit zu sagen, stattdessen erfand ich eine Ausrede, um vor der Situation flüchten zu können.“ Die Worte meines Freiers sind tonlos, klingen resigniert und für mich ungewohnt fremd. „Ich werde zur Polizei gehen und eine Selbstanzeige mach...“ „Nein!“, schreie ich lauter als beabsichtigt. „Sie dürfen sich Ihrem Sohn nicht wegnehmen! Er braucht Sie!“ Tränen lassen meine Sicht verschwimmen. „Und ich auch“, füge ich verzweifelt hinzu. „Yamato, ich habe schon zum zweiten Mal Hand an meinen Sohn gelegt und hätte ihn beinahe vergewaltigt! Wenn ich jetzt nichts unternehme, wird es mit Sicherheit ein nächstes Mal geben und dann… werde ich vielleicht…“ Er schaut mich an. Unendlicher Schmerz liegt in seiner Mimik. Langsam mache ich ein paar Schritte auf ihn zu, gehe vor ihm auf die Knie und umfange ihn mit meinen Armen. Nun bricht mein Freier endgültig weinend zusammen. Schweigend und in der Hoffnung, ihn beruhigen zu können, streichle ich immer wieder über seinen Kopf. Auch mir laufen unablässig Tränen über die Wangen. „Was Sie mit dem Kleinen gemacht haben, war falsch. Das wissen wir beide und ich will es auch nicht verharmlosen. Mir ist auch bewusst, dass Sie für Ihren Sohn eine gewisse Gefahr darstellen. Aber wenn Sie sich anzeigen, werden Sie mit Sicherheit aufgrund Ihrer bisherigen Vergehen noch keine Gefängnisstrafe zu erwarten haben. Bitte begreifen Sie endlich, dass Sie Ihren Sohn auf diese Weise nicht schützen können. Im Gegenteil, Ihre Familie wird daran zerbrechen. Mit aller Wahrscheinlichkeit wird Ihre Frau ihn zu sich nehmen und den Kontakt zu Ihnen unterbinden. Denken Sie wirklich, der Kleine verkraftet das so einfach? Und was glauben Sie, muss er ertragen, wenn an die Öffentlichkeit sickert, dass sein Vater wegen pädophiler Handlungen verurteilt wurde? Kinder können grausam sein und auch die Eltern werden ihm keine Freundlichkeit entgegenbringen.“ Schluchzend löse ich mich etwas von ihm und nehme behutsam seinen Kopf zwischen meine Hände. „Ich bin für Sie da. In Zukunft werde ich Sie nicht mehr von mir stoßen. Mein Körper steht Ihnen zur freien Verfügung. Tun Sie mit mir, was immer Sie wollen… aber… bleiben Sie bei mir.“ Sanft wischt mein Freier mit seinem Daumen meine Tränen von der Haut und lächelt. „Wer tröstet jetzt eigentlich wen?“ Er nimmt mich in den Arm und streicht beruhigend über meinen Rücken. Ich fühle mich wie ein Kind, welches bei seinem Vater nach Halt und Geborgenheit sucht. „Yamato…“, beginnt mein Freier erneut zu sprechen. „Du weißt, wie sehr ich meinen Sohn liebe und ich möchte ihm nicht irgendwann das antun, was ich dir gestern Abend antat.“ Entsetzt und mit starrem Blick verharre ich reglos in der Umarmung. „Sie haben… mich nicht…“, hauche ich stockend, werde aber von meinem Freier unterbrochen. „Ich erinnere mich an alles, ich war mir auch meiner Handlungen bewusst… ich habe dich vergewaltigt. Absichtlich.“ „Nein!“, schreie ich ihn an und stoße ihn von mir. Erschreckt über meine unverständlich heftige Reaktion weiche ich zurück, bis ich mit meinem Rücken gegen die Wand stoße. „Sie waren zugedröhnt mit Kokain und Alkohol. Vielleicht waren noch andere Substanzen im Spiel, von denen Sie jed…“ „Hör auf, Yamato!“, weist mich mein Freier zurecht. „Warum nimmst du mich in Schutz? Deine Reaktion ist absolut widersinnig.“ Langsam kommt er auf mich zu. „Ist es dein Selbsthass, der dich bei jeder sich bietenden Gelegenheit seelisch foltert? Geht es dir wirklich nur dann einigermaßen gut, wenn es dir schlecht geht?“ Vor mir bleibt er stehen. „Du bist nicht schuld, Yamato. Weder an dem, was ich mit meinem Sohn mache, noch was mit dir gemacht wird. Verstehst du das?“ Heftig weinend lehne ich meinen Kopf gegen seinen Brustkorb und kralle meine Finger verbissen in den Stoff seines Hemdes. „Sie sind kein Vergewaltiger! Sie sind nicht so wie dieses abartige Arschloch! Sein Atem auf meiner Haut… wie er meinen Körper berührte… sein überhebliches, ekelhaftes Grinsen… das Gefühl, wie er sich in mir…“ „Shhh, lass das. Steigere dich nicht in die Situation hinein. Du bist ihm nicht mehr ausgeliefert. Sieh mich an.“ „Übelkeit… es war so…“ „Yamato, sieh mich an!“ Energisch hebt er meinen Kopf. Ich blicke direkt in seine Augen. „Sie sind nicht er“, hauche ich abwesend. „Nein.“ Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Dann werden Sie Ihrem Sohn auch nichts tun.“ Mit aufgestütztem Kopf sitze ich am Küchentisch und starre abwesend aus dem Fenster. In der Hand halte ich eine Zigarette, die unbeachtet langsam abbrennt. Vor mir steht eine Tasse mit Kaffee. Unangetastet. Inzwischen dürfte er jedoch abgekühlt sein. Ich wünschte, mein Freier hätte sich nicht erinnern können, auf welche Art und Weise er mich genommen hat, denn genau dadurch sieht er sich erst recht in dem Vorhaben einer Selbstanzeige bestärkt. Immer wieder sagte ich ihm, dass es ein Fehler wäre, aber ob ich ihn erreichen konnte, weiß ich nicht. Natürlich habe ich auch Angst um seinen Sohn, zumal die Wahrscheinlichkeit, dass mein Freier erneut die Beherrschung verliert und ihn dann tatsächlich vergewaltigt, nicht gerade gering ist. Andererseits… nein. Es ist Unsinn, sich dahingehend zu belügen. Ich kenne meinen Freier. Er ist ein Sadist und letztlich auch nach wie vor ein Junkie. Wozu er fähig ist, habe ich mehr als einmal zu spüren bekommen. Irgendwann wird er mit seinem Sohn schlafen. Und trotz dieser Gewissheit versuche ich die Wahrheit zu verdrängen. Zwar will ich den Kleinen schützen, ihm eine derartige Erfahrung ersparen, aber noch mehr will ich seinen Vater nicht verlieren. Mir wird schlecht von meinem Egoismus und ich widere mich selbst an. Mein Blick fällt auf die fast abgebrannt Zigarette zwischen meinen Fingern. Ohne nachzudenken drücke ich sie auf meiner linken Handinnenfläche aus. Der Schmerz intensiviert sich, je stärker ich die Glut auf meine Haut presse. Scharf ziehe ich die Luft zwischen meinen Zähnen ein. Ich schließe meine Augen und lasse dieses süße, beruhigende Gefühl auf mich wirken. Es bringt nichts, mir den Kopf über den möglichen Verlust meines Freiers zu zerbrechen. Momentan kann ich nur abwarten, da ich nicht weiß, wie viel seine Frau von der Sache tatsächlich mitbekam oder was der Kleine ihr erzählt. Im schlimmsten Fall wird eine Selbstanzeige nicht mehr nötig sein. Einmal mehr hasse ich mich abgrundtief, weil ich hoffe, dass der Sohn meines Freiers bezüglich dessen Übergriffs schweigt. Ich schiebe die Kaffetasse und den Aschenbecher ein Stück beiseite und lasse meinen Kopf auf die Tischplatte sinken. „Taichi“, flüstere ich. „Du sagtest doch, du würdest alles, was andere mit mir machen, um ein Vielfaches mit deinem Schmerz überdecken. Warum bist du dann jetzt nicht hier? Ich wurde von meinem Freier ziemlich hart und rücksichtslos gefickt. Lässt du dir das gefallen? Dein Eigentum wurde beschmutzt.“ Ein bitteres Lachen kommt über meine Lippen. „Aber das bist du gewohnt. In deinen Augen bin ich generell dreckig, nicht wahr?“ Seufzend zünde ich mir eine weitere Zigarette an. Der Schmerz der Brandwunde wird schwächer und ich überlege, ob ich die eben entzündete Zigarette an derselben Stelle ausdrücken soll, um die Wunde zu vertiefen. Ich nehme einen kräftigen Zug und betrachte dabei meine verletzte Hand. Vielleicht sollte ich Sora mit ähnlichen Methoden klarmachen, dass sie ihre Finger von Taichi zu lassen hat. Eigentlich ist mir dieses Mädchen egal. Ich kenne sie zu wenig, um Hass, Zuneigung oder sonstige Gefühle für sie zu empfinden. Aber sie will mir wegnehmen, was mir gehört, und das hätte sie sich besser überlegen sollen. Stark balle ich meine Hand zur Faust, vergrabe meine Nägel in der verbrannten Haut. Zwar will ich ihr nicht unbedingt wehtun, aber wenn es keine andere Möglichkeit gibt, wenn sie mir keine Wahl lässt, werde ich nicht davor zurückschrecken, Gewalt anzuwenden. Ich schaue aus dem Fenster. Allmählich färbt sich das Laub bunt, die Äste werden kahler. Hier zu sitzen bringt mich nicht weiter. Vor allem sollte ich mit Taichi reden, aber die Angst lähmt mich. Die Angst, ihn zu verlieren. Nur am Rande bemerke ich, dass mir die noch glühende Zigarette aus den Fingern gleitet und zu Boden fällt. Unschlüssig stehe ich vor dem Telefon. Er meinte, ich könne ihn jederzeit anrufen. Bisher vermied ich es bewusst, reagierte lediglich auf seine Kontaktversuche, um ihn nicht zu beunruhigen. Meine Gefühle für ihn werden dennoch nicht schwächer. Egal, wie sehr ich auf Abstand gehe, egal, wie brutal ich ihn von mir stoße und egal, wie zwingend ich mir einrede, dass meine Empfindungen für ihn falsch sind, ich liebe ihn, begehre ihn als Mann, möchte von ihm berührt werden, ihn spüren, mit ihm schlafen. Wenn ich ihn jetzt anrufe und seine Stimme höre, wird meine Sehnsucht mich überwältigen. Unter Tränen würde ich ihn bitten, zurückzukommen und vielleicht würde er es sogar tun, wenn er merkt, dass es mir nicht gut geht. Wieder einmal hätte mein Egoismus gesiegt. Erfüllt von Selbsthass löse ich den Verband und balle meine Hände zu Fäusten, meine Nägel erneut in die Wunde pressend, während ich noch immer reglos auf das Telefon starre. Tränen der Wut und Verzweiflung laufen über meine Wangen, tropfen von meinem Kinn auf den Stoff meines Hemdes. Weinend hocke ich mich vor den Flurschrank, lehne meine Stirn gegen das leicht kühlende Holz. Ich fühle mich einsam, allein, haltlos. Niemals hätte ich ihn gehenlassen dürfen. Warum hielt ich ihn nicht auf, als ich noch die Möglichkeit dazu hatte? Warum schwieg ich über meine wahren Gefühle? Hart schlage ich mit meiner Faust gegen das Möbelstück, dann sacke ich weiter in mich zusammen. Es war richtig, damals so gehandelt zu haben. Ich war dabei, ihn kaputtzumachen. Er musste gehen, um sich zu schützen. Um endlich leben zu können. Um glücklich zu werden. Mir die Tränen vom Gesicht wischend ziehe ich mich am Schrank empor in eine aufrechte Haltung, doch sie hören einfach nicht auf. Unablässig läuft die salzige Flüssigkeit über meine Wangen. Ich wende mich vom Telefon ab und gehe langsam auf das Zimmer meines Vaters zu. Mit der Hand auf der Klinke bleibe ich vor der Tür stehen. Kurz zögere ich. Mein Herz schlägt schneller, als ich es schließlich betrete. Der Anblick des verlassenen Raumes schmerzt. Ich kann meinen Vater nicht mehr spüren. Sein Geruch ist restlos verschwunden. Zu lange ist es her, dass er hier war. Bei mir. Abgesehen vom Inventar zeugt nichts mehr von der einstigen Anwesenheit meines Vaters. Ich setze mich auf den Rand des Bettes, nehme das Kissen und drücke es fest an mich. Schluchzend presse ich mein Gesicht in den Stoff. „Ich vermisse dich so sehr, Papa… Hiroaki.“ Entfernt dringt das Läuten der Türklingel an mein Ohr. Ich öffne meine Augen und schaue mich desorientiert um. Mein Blick fällt auf das kleine Fläschchen, welches neben dem Bett auf dem Boden liegt. Langsam kehrt meine Erinnerung zurück. Ich war überfordert, von mir und meinen Gefühlen, weshalb ich mich mithilfe von GHB außer Gefecht setzte. Noch immer befinde ich mich im Zimmer meines Vaters und meine Brust schnürt sich schmerzhaft zusammen, als mich die Sehnsucht erneut gefangen zu nehmen droht. Ich reibe mir über meine brennenden, salzverklebten Augen und stehe dabei langsam auf. Das Fläschchen in meiner Hosentaschen verstauend verlasse ich den Raum und laufe über den Flur zur Wohnungstür. Kurz überlege ich, ob ich im Bad noch schnell mein Gesicht waschen sollte, entscheide mich jedoch dagegen. Mir ist egal, wie ich aussehe, ganz gleich, wer vor der Tür steht. Eigentlich kann es nur Taichi oder mein Freier sein. Als ich öffne, schaue ich direkt in die braunen Augen meines Freundes, in denen ich mich sofort wieder verliere. Bewegungslos starre ich ihn an, unfähig etwas zu sagen. Ohne es zu wollen, laufen Tränen über meine Wangen. „Was ist los, Yama?“ Behutsam werde ich von Tai in die Wohnung gedrängt. Hinter uns schließt er die Tür. „Du siehst furchtbar aus“, bemerkt er und streicht einige Strähnen hinter mein Ohr, wobei er sie bis hinab zu den Spitzen zwischen seinen Fingern hält. „So lang.“ Er schaut mir wieder in die Augen, dann zieht er mich in eine Umarmung. Sämtliche Kraft scheint aus meinem Körper zu weichen. Verkrampft klammere ich mich an meinen Freund, um meinen Halt nicht zu verlieren. Tai drückt mich enger an sich. Sein Geruch umhüllt mich sachte und ich spüre, dass ich allmählich ruhiger werde. „Dein Vater rief mich vorhin an. Er ist besorgt, weil er dich seit Längerem nicht erreicht.“ Sofort löse ich mich von Taichi und gehe einen Schritt zurück. „Dann bist du nur hier, weil mein Vater dich schickt?“ „Nein, ich bin hier, weil ich dich vermisse. Seit Tagen erhalte ich kein Lebenszeichen von dir.“ „Warum hast du geklingelt? Du besitzt einen Schlüssel für diese Wohnung.“ Fragend mustere ich ihn, doch eigentlich bin ich froh, dass er davon keinen Gebrauch machte. Ansonsten hätte er mit Sicherheit das GHB gefunden. Zwar weiß er aufgrund meiner eigenen Dummheit, dass ich wieder Drogen konsumiere, aber es ist mir lieber, wenn er so wenig wie möglich davon mitbekommt. „Ich hatte Angst.“ Die Stimme meines Freundes holt mich aus meinen Gedanken. „Wovor?“, frage ich verwundert. „Dich tot aufzufinden. Ich redete mir ein, dass du auf jeden Fall öffnen würdest, wenn ich klingle.“ Betreten schaut Taichi zu Boden. Ich gehe wieder einen Schritt auf meinen Freund zu, hebe seinen Kopf mit meinen Fingern etwas an und hauche einen Kuss auf seine Lippen. „So schnell wirst du mich nicht los“, flüstere ich mit einem Lächeln. „Was hast du die ganze Zeit gemacht?“ Der Blick meines Freundes ist ernst. „In der Uni warst du jedenfalls nicht.“ „Woher…“ Ich unterbreche mich selbst, da ich die Antwort bereits kenne. Zerfressen von Eifersucht beiße ich mir auf die Unterlippe. „Wie intensiv ist euer Kontakt eigentlich?“ „Gegenfrage. Wie viele Schwänze hast du in den letzten Tagen gelutscht? Und wie viele hattest du in dir?“ „Ich… habe mich niemandem hingegeben.“ In gewisser Weise ist es nicht einmal eine Lüge, da der Übergriff meines Freiers nicht ganz einvernehmlich stattfand. „Wahrscheinlich bekamst du nur nichts mit, weil du permanent zugedröhnt warst, kann das sein?“ Mit meiner rechten Hand verpasse ich Tai eine Ohrfeige, für die ich allerdings nur wenig Kraft aufwende. „Ja, ich nehme Drogen. Und ich wünschte, ich könnte deinen Vorwürfen entsprechend handeln und mich permanent zudröhnen. Dann müsste ich diese beschissene Welt und vor allem mich selbst nicht mehr ertragen. Aber leider muss ich dir widersprechen. Es gibt viel zu viele Momente, in denen ich bei klarem Verstand bin. Somit kannst du dir deine dämlichen Kommentare dahingehend sparen. Zudem sie ohnehin nur Ablenkungsversuche sind, um selbst nicht antworten zu müssen. Um nicht zugeben zu müssen, dass du im Gegenzug noch immer Frauen vögelst. Ich frage mich nur, ob du es wirklich tust, um mir wehzutun, oder ob du nicht doch Spaß dabei hast. Wie oft hast du es bisher mit Sora getrieben?“ Wütend schreie ich ihm die Worte entgegen, gehe erneut auf Abstand. „Du bist wirklich krank, Yamato. Nur weil du keine zwischenmenschlichen Beziehungen ohne sexuelle Kontakte führen kannst, trifft das nicht auf andere zu. Freundschaften implizieren normalerweise keinen Sex. Außerdem, ist dir nie aufgefallen, dass Sora eigentlich in dich verliebt war? Und dass sie auch jetzt noch Gefühle für dich hat?“ „Was?“ Entgeistert starre ich meinen Freund an. „Sie wollte eine Beziehung mit dir. Sie will eine Beziehung mit dir. Sie will dich mir wegnehmen!“ Sofort ist die Angst, Taichi zu verlieren, wieder da. Mein Körper zittert und ich habe Schwierigkeiten, zu atmen. „Sie war gestern bei mir und versuchte sich mir zu erklären. Dabei erwähnte sie auch die Unterredung mit dir. Schon damals fand sie dich interessant, wollte dich näher kennenlernen. Aber du hast ihr nie eine Chance gegeben, warst kühl, nahezu abweisend. Deshalb hat sie dich schnell aufgegeben und entwickelte Gefühle für mich. Diese gestand sie mir gestern, gab allerdings ebenso zu, für dich eine Art Hassliebe zu empfinden.“ Ungläubig versuche ich das Gesagte zu verarbeiten. „Sie war bei dir?“, sage ich mehr zu mir als zu meinem Gegenüber. „Yamato, ich…“ „Nein, schon gut. Gehen wir in mein Zimmer. Ich hole uns nur noch etwas zu trinken.“ Skeptisch schaut Taichi mir nach. Als er mich dabei beobachtet, wie ich den Kühlschrank öffne, meint er: „Ich gehe schon vor, okay?“ Ich nicke. Darauf hatte ich gehofft. Stoisch nehme ich zwei Gläser aus dem Schrank und fülle sie mit Orangensaft. Anschließend hole ich aus meiner Hosentasche das kleine braune Fläschchen, tropfe etwas von dem GHB in eines der Getränke und verstaue die Droge wieder in meiner Tasche. Als ich die Tür zu meinem Zimmer öffne, sehe ich meinen Freund auf meinem Bett sitzen. „Ist Orangensaft okay? Oder willst du lieber Kaffee?“ Meine Stimme klingt monoton, fremd. „Ja, danke.“ Tai nimmt das Glas entgegen und trinkt einen Schluck. Ich setze mich neben ihn und leere mein Glas in einem Zug. Dann stelle ich es auf meinen Nachtschrank. „Yamato, bitte…“ „Bist du jetzt mit ihr zusammen? Ich verstehe, du bist hier, um die Beziehung zu mir zu beenden.“ „Nein, du verstehst überhaupt nichts!“ Mein Freund klingt verzweifelt. Er trinkt den Rest seines Orangensaftes und stellt sein Glas neben meines. „Sieh mich an und hör mir zu, Yamato“, fordert er. Ich komme dem nach und schaue ihm direkt in die Augen. „Du wirst mich nicht verlassen. Nicht, solange ich leben“, äußere ich mich tonlos. „Yama…“ Fahrig reibt Taichi über seine Augen. „Ich… was…“ Teilnahmslos beobachte ich, wie er auf die Matratze sinkt und langsam das Bewusstsein verliert. Ich beuge mich zu ihm hinab und hauche mit kalter Stimme in sein Ohr: „Sagte ich nicht, dass du mir gehörst?“ Ich sitze auf meinem Sofa und beobachte meinen Freund, der auf meinem Bett liegt und das Bewusstsein noch immer nicht zurückerlangt hat. Die Anziehung, die er auf mich ausübt, bringt mich fast um den Verstand. Ich will ihn besitzen, ihm Schmerz zufügen, ihn lieben. Ich will alles für ihn sein und um ihn nicht zu verlieren, würde ich alles tun. Ausnahmslos. Langsam scheint er zu sich zu kommen, denn er wird unruhig. Benommen öffnet er die Augen. „Yamato, was…“ Heftig zieht er an seinen Fesseln, die ich ihm vorsichtshalber anlegte, indem ich seine Handgelenke mit einer Krawatte an das Bettgestell band. „Shh, bleib ganz ruhig“, begegne ich meinem Freund gelassen. „Es ist notwendig und das weißt du. Ich habe deine Eltern informiert, dass du vorerst bei mir bleibst.“ „Darauf haben sie sich nicht eingelassen“, meint er nüchtern, während er noch immer versucht sich zu befreien. „Stimmt. Sie waren dagegen, weil sie nach wie vor Angst haben, dass du wieder zu trinken anfängst. Und weil sie mir die Schuld dafür geben. Zudem machte deine Mutter die Tatsache stutzig, dass ich anrufe und nicht du selbst. Ich bat sie herzukommen und ein paar Sachen für dich mitzubringen, da du schlafen würdest und ich dich nicht wecken wollte.“ Beiläufig nehme ich aus der Zigarettenschachtel auf meinem Tisch eine Zigarette und entzünde diese am geöffneten Fenster. Taichi folgt mir mit seinem Blick. „Als sie hier war und sich vergewisserte, dass du wirklich nüchtern bist, beruhigte sie sich etwas. Ich machte uns Tee und erzählte ihr dann unter Tränen von meiner Angst, dich zu verlieren.“ Die Zigarette ist fast abgebrannt, da ich in kurzen Abständen begierig daran zog. Meine Lunge schmerzt vom intensiven Einatmen des Rauchs. Achtlos gleitet mir der Filter aus der Hand. Ich schaue ihm nach, dann wende ich mich Tai zu. „Es funktionierte. Sie hatte Verständnis für meine Bitte, mehr Zeit mit dir verbringen zu dürfen, einzige Bedingung ist ein täglicher Anruf deinerseits.“ Ich gehe ein paar Schritte auf ihn zu. „Letztlich war es leichter, als ich dachte. Zwar ist es etwas erniedrigend, vor deiner Mutter in Tränen auszubrechen, um ihr Mitleid zu erregen, aber für dich würde ich noch wesentlich schlimmere Dinge über mich ergehen lassen.“ Meine Worte kommen völlig emotionslos über meine Lippen. Ich setze mich auf die Bettkante und betrachte Taichi eingehend. „Du bist doch krank!“, giftet dieser mich an. „Nein, ich möchte dich nur nicht verlieren.“ „Und du denkst, mich unter Drogen zu setzen und einzusperren ist dem zuträglich?“ „Zumindest bist du bei mir und kannst somit weder Sora noch andere Frauen ficken.“ „Du bist so armselig, Yamato. Wer von uns beiden vögelt sich denn durch die halbe Stadt?“ Tais Blick ist herausfordernd. Grob greife ich in seine Haare und beuge mich zu ihm hinunter. Ich spüre seinen Atem auf meiner Haut, wodurch meine aufkommende Erregung noch verstärkt wird. Sinnlich lecke ich über seine Lippen. „Wenn ich deine Aussage dementiere, glaubst du mir ohnehin nicht. Hab ich recht, mein Liebling?“ Tai lacht verächtlich. „Willst du etwa abstreiten, dass du eine billige, kleine Hure bist?“ „Nein“, entgegne ich kühl. „Ich weiß, dass ich dreckig bin. Aber ich liebe dich und aufgrund meines grenzenlosen Egoismus nehme ich in Kauf dich mit meiner Verderbtheit zu beschmutzen, wenn ich nur bei dir sein darf.“ Meine Stimme zittert. „Lass mich frei“, bittet Tai nun in ruhigem Tonfall. „Ich kann nicht.“ Traurig lege ich meinen Kopf auf seinen Brustkorb. Meine Tränen befeuchten sein Shirt. „Du würdest gehen.“ „Yamato, spürst du dich? Bist du dir deines Handelns bewusst?“ Verwundert schaue ich meinen Freund an. „Was soll die Frage?“ „Du stehst neben dir. Was ist passiert? Wodurch wurde dein Verhalten ausgelöst?“ „Versuchst du mir gerade einzureden, unzurechnungsfähig zu sein?“, schreie ich ihn wütend an und verpasse ihm eine Ohrfeige. Ich stehe auf und gehe zur Tür. „Finde dich damit ab, mein Schatz. Ich gebe dich nicht frei.“ Mit diesen Worten wende ich mich ab und verlasse den Raum. Wie in Trance lehne ich mich im Flur gegen die Wand, rutsche kraftlos an ihr hinab. Verzweifelt halte ich mir die Ohren zu, um Taichis Rufe nicht zu hören. Ich liege auf dem Boden im Zimmer meines Vaters und starre zur Decke. Als ich vorhin nach Taichi schaute, schlief er, weshalb ich die Gelegenheit nutzte, um mein Spritzbesteck und das Heroin aus meinem Schubfach zu holen. Aufgrund der vorherrschenden Situation bin ich extrem angespannt. Ein kurzer Trip würde mir zumindest für den Augenblick zu etwas Ruhe verhelfen. Sehnsüchtig betrachte ich die Utensilien, welche greifbar neben mir liegen. Momentan ist mein Freund nicht in der Lage, sich zu befreien, dessen bin ich mir sicher. Somit dürfte er nichts mitbekommen. Ohne weiter eventuelle Risiken abzuwägen, richte ich mich auf, treffe die nötigen Vorbereitungen und setze mir einen Schuss. Leise öffne ich die Tür zu meinem Zimmer und schaue hinein. „Du bist wach?“, stelle ich erfreut fest. Tai begegnet mir mit einem finsteren Blick. „Warum reagierst du nicht auf mein Rufen? Was hast du in den letzten Stunden gemacht?“ „Entschuldige, es war nicht meine Absicht, dich so lange dir selbst zu überlassen. Ich war im Zimmer meines Vaters und bin dort offenbar eingeschlafen.“ Mit ernster Miene setze ich mich zu meinem Freund ans Bett. „Sei mir bitte nicht böse. Du hast dich gelangweilt, oder? Soll ich dir Musik oder den Fernseher einschalten? Das wird dir die Zeit etwas vertreiben, während ich dich noch einmal kurz allein lassen muss, um in der Küche dein Essen zuzubereiten. Du hast sicher Hunger, somit würdest du etwas Warmes vorziehen, oder? Hast du einen bestimmten Wunsch?“ „Ja, binde mich los.“ „Tut mir leid. Meine Frage bezog sich nur auf das Essen“, entgegne ich sachlich. „Zudem kann ich es nicht verantworten, dich freizulassen. Das musst du verstehen. Ich liebe dich und ich will dich, verdammt nochmal, nicht verlieren. Warum begreifst du das einfach nicht?“ Meine Worte klingen emotionaler als erwartet. „Yamato“, flüstert Taichi zärtlich, jedoch ohne zu lächeln. „Du verlierst mich nicht. Aber ich habe gerade große Angst um dich. Dein Verhalten… vielleicht bist du psychotisch. Ich bitte dich, lass dir helfen.“ Meinen Freund ignorierend stehe ich auf. „Für Omelett dürften wir noch alle Zutaten im Haus haben“, bemerke ich nüchtern und drücke die Klinke nach unten. „Geh jetzt nicht. Lauf nicht wieder vor deinen Problemen davon“, fleht Taichi. „Yamato, bleib hier!“ Sein Tonfall wird drohender, doch ich verhalte mich, als hätte ich die Aufforderungen meines Freundes nicht gehört. Der Schmerz, der sich immer weiter in mir ausbreitet, bringt mich fast um den Verstand. Stark beiße ich mir auf die Unterlippe und verlasse schweigend den Raum. „Ich hoffe, das Omelett schmeckt dir. Es ist schon eine Weile her, seit ich zuletzt gekocht habe“, sage ich, während ich die Tür hinter mir mit dem Fuß schließe. „Von einem Löffel zu essen, stört dich doch nicht, oder? Stäbchen sind, meines Erachtens, zum Füttern eher ungeeignet.“ Ungläubig folgt mir Taichi mit seinem Blick, als ich neben ihm Platz nehme. „Das ist nicht dein Ernst. Nicht einmal jetzt nimmst du mir die Fesseln ab? Allmählich müsste ich auch ins Bad. Willst du ihn mir dann halten?“, wirft er mir verständnislos an den Kopf. Ich seufze. „Also schön, hör mir gut zu, mein Süßer, denn ich sage es dir nur einmal. Du wirst dich mir fügen und brav tun, was ich von dir verlange. Das gilt besonders, wenn ich dich kurz losbinde oder du mit deiner Mutter telefonierst. Solltest du in irgendeiner Weise gegen mich agieren, bleibt mir nichts anderes übrig, als deine Eltern über deinen Rückfall zu informieren. Ungern flöße ich dir Alkohol ein, um meine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen. Ihre Reaktion kannst du dir selbst ausmalen. Letztlich tauschst du mich gegen die Klinik, aber frei wärst du dann auch nicht.“ „Du elender Bastard! Das würdest du nicht tun!“ Anhand meines Gesichtsausdrucks erkennt Tai, dass er falsch liegt. Er sieht mich hasserfüllt an, bringt mir dann jedoch ein überlegenes Lächeln entgegen. „Deine Strategie hat einen Haken, Liebling. Wie du bereits sagtest, würden meine Eltern dir die Schuld an meinem Rückfall zuschreiben und als Konsequenz jeden weiteren Kontakt unterbinden. Ich bezweifle, dass wir unsere Beziehung unter derartigen Bedingungen aufrecht halten können.“ „Daran dachte ich bereits. Aber du scheinst meinen letzten Ausweg zu vergessen. Ich töte uns beide. Sollte ich dich verlieren, bleibt mir ohnehin nichts mehr. Und dich bekommt kein anderer.“ Mit einer merkwürdigen Mischung aus Wut und Zuneigung betrachtet mein Freund mein Gesicht, als hoffe er, irgendetwas darin zu finden. „Dein Essen wird kalt“, wechsle ich das Thema, wobei ich seinem Blick ausweiche, da er ein unangenehmes Gefühl in mir auslöst. „Isst du nichts?“, will Taichi aufrichtig besorgt wissen. Ich schüttle meinen Kopf und halte ihm den Löffel an den Mund. „Wann hast du zuletzt etwas zu dir genommen? Yamato…“ „Okay, wenn du aufgegessen hast“, lenke ich knapp ein. „Nein, ich möchte es sehen. Wir teilen.“ Er deutet mit einem leichten Nicken auf den Teller in meiner Hand. „Mach den Mund auf.“ „Gestatte mir wenigstens mich aufzusetzen.“ „Vergiss nicht, was ich gerade zu dir sagte“, warne ich Tai und löse die Krawatte. In sitzender Position lege ich ihm die Fesseln wieder an. Ich rechnete mit Gegenwehr, doch die blieb unerwartet aus. Abwechselnd nehmen wir Löffel für Löffel die inzwischen leicht abgekühlte Mahlzeit zu uns. Mein Freund bleibt stumm, weshalb auch ich schweige. Die gesamte Situation zerfrisst mich innerlich. „Taichi?“, durchbreche ich die Stille im Raum. „Ziehst du die Klinik vor?“ „Nein. Ich tue, was du sagst.“ Er bringt mir ein schwaches, trauriges Lächeln entgegen. Ich beuge mich vor und küsse leicht seine Lippen. „Unter anderen Umständen wäre es ein interessantes Spiel“, meine ich bitter und stehe auf. „Ich wasche schnell ab, dann begleite ich dich zur Toilette, in Ordnung?“ „Ja“, entgegnet Tai nur und starrt ins Nichts. Ich wende mich ab und gehe in die Küche. Aufkommende Übelkeit zwingt mich den Teller nur abzustellen und schnellen Schrittes ins Bad zu laufen. Krampfartig übergebe ich mich in die Toilette und sinke anschließend keuchend und geschwächt zu Boden. Taubheit legt sich über meinen Körper. Ich spüre mich nicht. Auch Taichi kann ich nicht mehr spüren. Trotz der momentanen Nähe entfernt er sich immer weiter von mir. Ich ertrage es nicht. Er soll mir gehören. Bedingungslos. Warum gelingt mir das nicht? Ich lege mich auf die kalten Fliesen und schaue zur Decke. Wieder bahnen sich Tränen ungewollt ihren Weg über mein Gesicht. Wie so oft in letzter Zeit. Vertraut ruht mein Arm auf dem Körper meines Freundes. Ich schmiege mich an ihn, sauge seinen Duft tief in mich ein. „Yamato, meine Arme werden langsam taub. Kannst du die Fesseln wenigstens für einen kurzen Augenblick lösen?“ „Nein, dafür ist es noch zu früh. Du bist zwar bisher lieb gewesen, aber ich habe nach wie vor Angst, dass du, wenn ich dir zu viel Freiraum gewähre, die Gelegenheit nutzt, um dich von mir abzuwenden.“ „Du kannst nicht ewig so weitermachen. Irgendwann musst du mich gehenlassen.“ Ich weiß, dass er recht hat, sage aber nichts. Stattdessen richte ich mich ein wenig auf und schiebe meine Hand unter sein Shirt. „Dein Körper ist so warm“, murmle ich. „Deine gleichmäßige Atmung beruhigt mich. Ich möchte dich spüren. So intensiv wie möglich.“ Mit meinen Fingern öffne ich Tais Hose, bevor ich seinen Unterleib vollständig entkleide. Wortlos lässt mein Freund es geschehen. Ich blase ihm einen und es gelingt mir, ihm Laute der Erregung zu entlocken. Anschließend ziehe ich auch meine Hose samt Shorts aus. Tief stoße ich mich in ihn und finde schnell meinen Rhythmus. Doch trotz seiner Erregung merke ich, dass Taichi den Sex nur über sich ergehen lässt. Dampfend heiß läuft das Duschwasser über meinen dreckigen Körper. Obwohl ich mich von keinem Fremden habe ficken lassen, fühle ich mich schmutzig. Inzwischen waren so viele Schwänze in mir, so viel Sperma klebte an und in mir, dass das Gefühl überhaupt nicht mehr verschwindet. Meine Haut schmerzt bereits und ist gerötet, aber es ist noch nicht genug. Seit acht Tagen wohnt Tai mittlerweile wieder bei mir. Seine Fesseln löse ich ausschließlich für den Toilettengang oder zum Duschen, bleibe aber im Raum. Zwar tut mein Freund widerstandslos, was ich ihm sage, und auch am Telefon verhält er sich entsprechend meinen Anweisungen, aber er wirkt leblos. Wie eine leere Hülle. Ist das der Preis, den ich für mein Handeln zahlen muss? Halt suchend lehne ich mich gegen die Wand, rutsche jedoch haltlos an ihr hinab. Laut fange ich an zu lachen. Ich verliere Taichi. So oder so. Meine Hysterie wandelt sich in hemmungsloses Schluchzen. Kapitel 35: ------------ „Taichi“, spreche ich meinen Freund bestimmt an. „Ja“, entgegnet er abwesend. „Sieh mich an.“ Ich stehe vor meinem Bett und schaue auf ihn hinab. Er gehorcht. „Sag etwas.“ „Was soll ich sagen?“ Tais Stimme ist monoton und kalt. Ich setze mich auf seine Oberschenkel und schlage ihm derb mit der Faust ins Gesicht. „Fällt dir jetzt etwas ein?“, schreie ich ihn an. Er schweigt und betrachtet mich nur unberührt. Ich schlage erneut zu. Diesmal so fest, dass seine Nase zu bluten beginnt. „Reagiere meinetwegen mit Verachtung, aber reagiere auf mich, verdammt!“, bringe ich ihm weinend entgegen. Mit meiner Stirn berühre ich seinen Brustkorb. Tai bleibt ohne Gefühlsregung. Allmählich wandelt sich meine Verzweiflung in Wut. „Soll ich deinem Verhalten entnehmen, dass du uns aufgibst?“, frage ich aufgebracht. Bevor mein Freund antworten kann, schlage ich zu. Immer und immer wieder. Ich handle wie fremdgesteuert. Erst als ich die Verletzungen in Tais Gesicht bewusst wahrnehme, höre ich auf. Sein Blick ist leer, seine Augen sind ins Nichts gerichtet. Diese Ausdruckslosigkeit hatte er auch jedes Mal, wenn ich in den letzten Tagen mit ihm schlief. Ich ertrage es nicht, ihn so zu sehen. Generell erwartete ich seinerseits wesentlich mehr Gegenwehr und verbale Beschimpfungen. Stattdessen fügte er sich erstaunlich schnell meinen Anweisungen. Dabei kann ich mir nicht vorstellen, dass meine Drohung bezüglich des Alkohols ihn so extrem eingeschüchtert hat. Behutsam streiche ich über eine Platzwunde an seinem linken Auge. Taichi zuckt leicht zusammen. „Es tut weh, oder?“ Die Frage ist rhetorisch, trotzdem antwortet er: „Etwas.“ „Du weißt, dass ich dich nicht gehenlassen kann. Du weißt es, nicht wahr?“ Zurückhaltend küsse ich seine Lippen. „Salzig.“ „Was?“ Irritiert blicke ich meinen Freund an. „Deine Lippen. Du weinst viel in letzter Zeit. Warum? Müsstest du nicht glücklich sein? Ich gehöre dir und außer dir habe ich nichts mehr.“ „Aber nicht so! Nicht so!“, werfe ich ihm verzweifelt an den Kopf. „Du bist nicht bei mir. Ich kann dich nicht mehr spüren.“ „Merkst du nicht, dass du mit deinem Verhalten am meisten dich selbst zugrunderichtest? Ist das dein Ziel? Benutzt du mich wieder einmal nur für deinen Selbsthass?“ „Nein!“ Tränen laufen weiterhin unablässig über meine Haut. „Dann beweise es, indem du mich losbindest.“ „Nein.“ Ich sollte ihn freigeben, wenn ich ihm nicht noch mehr Schaden zufügen möchte, aber meine Verlustangst und die schmerzhaft intensiven Gefühle, vielleicht auch Besessenheit, zwingen mich mit diesem Wahnsinn nicht aufzuhören. „Taichi?“ „Hm.“ „Hasst du mich für das, was ich dir antue?“ „Nein. Aber es ist krank, Yamato“, bemerkt mein Freund ruhig. Ich schweige, bleibe mit meinem Kopf auf seinem Brustkorb liegen und schließe die Augen. „Warum wehrst du dich nicht?“ „Willst du denn, dass ich mich wehre?“ „Antwortest du mit einer Gegenfrage, weil du mir den Grund nicht nennen willst?“ „Es kommen verschiedene Faktoren zusammen. Ich kann dich momentan überhaupt nicht einschätzen. Du bist so labil. Deine Stimmung wechselt nahezu minütlich. In dem einen Augenblick bist du, so wie jetzt, fast schon handzahm und im nächsten Augenblick bist du aufgebracht, gleichgültig oder völlig aufgelöst. Du wirkst psychotisch, wie in einem Wahn gefangen.“ Ich hebe meinen Kopf ein wenig und schaue Tai an. „Empfindest du das so?“ „Es beängstigt mich immer wieder, wie verzerrt dein Selbstbild ist.“ „Ich finde nicht, dass mein Selbstbild verzerrt ist.“ „Eben.“ Ich sage nichts und schmiege mich enger an Taichi. „Was würdest du tun, wenn ich dich jetzt freiließe?“, möchte ich wissen, obwohl ich Angst vor der Antwort habe. „Warum fragst du? Hast du etwa vor, mich freizulassen?“ „Nein“, gebe ich ehrlich zu. „Dann muss ich mir darüber auch keine Gedanken machen.“ „Bitte, ich brauche eine Antwort.“ „Wozu? Wenn du mich ohnehin nicht freilässt.“ Ich schweige erneut. „Also gut. Wahrscheinlich würde ich Fußball spielen oder zumindest irgendetwas tun, wobei man sich bewegen kann.“ Ein leichtes Lächeln legt sich auf meine Lippen, welches mein Freund allerdings nicht sehen kann, weil ich mit dem Gesicht von ihm abgewandt liege. Mit einer solchen Aussage hatte ich zwar nicht gerechnet, aber sie ist typisch für ihn. „Und im Bezug auf unsere Beziehung?“ Mein Lächeln weicht einer von Angst dominierten Anspannung. „Nichts. Was sollte ich auch tun?“, fragt Taichi mit Verwunderung in der Stimme. „Würdest du mich in den Arm nehmen?“ „Yamato…“ Selten hörte ich Tai meinen Namen mit so viel Traurigkeit sagen. „Ich bin froh, dass du momentan nicht so leblos wirkst“, wechsle ich das Thema. „Warum bist du so lieb zu mir? Ich verstehe dich einfach nicht.“ „Ich verstehe dich noch viel weniger.“ „Wieso? Ich liebe dich. So einfach ist das.“ „So einfach“, wiederholt mein Freund gedankenverloren. Ich rutsche ein wenig an ihm hoch und hauche einen Kuss auf seine Lippen. „So einfach“, flüstere ich. „Wir bekommen das wieder hin, oder?“, frage ich mit kindlicher Unschuld. Für einen kurzen Augenblick verspüre ich den Drang, Tai alles zu erzählen. Von meinem Freier und seinem Kontrollverlust, meinen Gefühlen, als er den Sex mit mir auf für mich traumatische Weise erzwang, was ich mir jedoch selbst nicht eingestehen möchte. Von den Übergriffen meines Freiers an seinem Sohn, meinen Schuldgefühlen dahingehend sowie meinem Versuch, den Kleinen zu schützen, indem ich seinem Vater meinen Körper uneingeschränkt zur Verfügung stelle. Von diesen Typen, die ich in Shibuya kennenlernte, der Art und Brutalität ihrer sexuellen Handlungen an mir. Von meinem aufrichtigen Versuch, clean zu bleiben, welcher endete, als ich von jenen Fremden unfreiwillig unter Drogen gesetzt wurde. Und vor allem von meinem Heroinkonsum. Mir kommt ein Lied in den Sinn, welches ich vor einiger Zeit geschrieben habe. Ich versuche mir den kompletten Text und die Melodie ins Gedächtnis zu rufen. Einem Impuls folgend beginne ich leise zu singen, dicht an meinen Freund gekuschelt. Du hörst mir zu Doch ich glaube du verstehst kein Wort Denn in Gedanken bist du ganz weit fort Es ist so schwer dich zu verstehen wenn du nicht bei mir bist Du schaust mich an Doch ich weiß du siehst nicht worum es geht Ich möchte dir alles sagen was mich bewegt Du drehst dich weg und sagst mir nur du willst alleine sein Wie können wir gewinnen Wenn du nicht an mich glaubst Und niemals bei mir bist Wenn ich deine Hilfe brauche Ich werde dich vermissen Doch du musst jetzt gehen Es wird besser sein Wenn wir uns nicht wiedersehen Du rufst mich an Und sagst du willst mir alles gestehen Es fällt dir schwer mir in die Augen zu sehen Du hast mir viel zu oft gesagt dass alles anders wird Du lachst mich an Doch ich sehe dass mit dir was nicht stimmt Ich kann nicht warten denn die Zeit verrinnt Ich weiß genau es wird nie mehr so wie es früher war Wie können wir gewinnen Wenn du nicht an mich glaubst Und niemals bei mir bist Wenn ich deine Hilfe brauche Ich werde dich vermissen Doch du musst jetzt gehen Es wird besser sein Wenn wir uns nicht wiedersehen Du versprichst mir die Welt Sagst mir alles wird gut Uns kann gar nichts passieren Ich soll verstehen Unser Stern wird nie untergehen Uns kann nichts geschehen Wie können wir gewinnen Wenn du nicht an mich glaubst Und niemals bei mir bist Wenn ich deine Hilfe brauche Ich werde dich vermissen Doch du musst jetzt gehen Es wird besser sein Wenn wir uns nicht wiedersehen Es herrscht Stille im Raum. Ich setze mich auf und betrachte Taichis Gesicht. Mit seinen schönen braunen Augen erwidert er abwartend meinen Blick. „Wir bekommen das nicht wieder hin, oder?“, frage ich leise und lächle bitter. „Vielleicht leitete ich mit diesem Wahnsinn einfach nur den Anfang vom Ende ein. Einen anderen Weg scheint es für uns nicht mehr zu geben.“ Das Rauschen von Meereswellen dringt an mein Ohr. Ich liege mit geschlossenen Augen auf dem Rücken, meine Arme dicht an meinem Körper. In meinen Händen spüre ich Sand, kalten Sand. Dabei scheint die Luft um mich herum weder kalt noch warm zu sein. Eigentlich spüre ich überhaupt nichts auf meiner Haut. Ich öffne meine Augen und blicke in einen farblosen Himmel, woraufhin ich mich aufsetze und feststelle, dass auch die Umgebung nur aus Schwarz und Weiß besteht. Das Meer, welches sich vor mir ausbreitet, wirkt bedrohlich und anziehend zugleich. Es kommt mir so vor, als müsste ich mich nur von dem Wasser umhüllen lassen und alles würde gut werden. Ich höre Stimmen, doch ich weiß weder, zu wem sie gehören, noch verstehe ich, was sie sagen. Langsam erhebe ich mich und schaue mich noch einmal um. Ich bin allein. Vorsichtig bewege ich mich über den Sand in Richtung Meer. Meine Füße berühren das Wasser, doch genau wie die Luft spüre ich es nicht. Unbemerkt werde ich weiter hineingezogen. Erst als ich mich umdrehe, fällt mir auf, wie weit entfernt der Strand inzwischen ist. Ich frage mich, ob ich in diesem Meer auch ertrinken kann. Doch je weiter ich gehe, desto größer wird die Leere in mir, desto gleichgültiger werde ich und desto mehr verliere ich mich in mir selbst. Die Stimmen werden leiser, bis beängstigende Stille herrscht. Mittlerweile werde ich vollständig von Wasser umhüllt. Schwerelos. Und doch fühlt es sich so an, als würde ich niedergedrückt werden. Ich sinke tiefer, es wird dunkler und dann umgibt mich nur noch Schwärze. Blind taste ich mich voran, ohne dabei etwas zu berühren. „Yamato“, höre ich eine einzelne, mir bekannte Stimme meinen Namen sagen. „Yamato, du darfst dich nicht noch weiter verirren. Du bist schon viel zu tief gesunken.“ Ich drehe mich um. „Gabumon?“, frage ich verwundert. „Ja. Es ist lange her, Yamato. Ich freue mich, dich wiederzusehen, aber hier dürftest du nicht sein.“ Das lediglich aus Daten bestehende Wesen greift nach meiner Hand und zieht mich bestimmt hinter sich her. „Warte, Gabumon.“ Mich von ihm lösend bleibe ich stehen und hocke mich zu meinem kleinen Freund hinab. Leicht streife ich mit meinen Fingern sein weiches Fell. Erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr ich ihn eigentlich vermisst habe. Wie konnte ich seine Existenz über die Jahre nur vergessen? Dabei liegt unsere letzte Begegnung noch gar nicht so lange zurück, oder? „Gehört das hier auch zur digitalen Welt?“ „Ja und nein. Aber jetzt komm. Ich erkläre es dir später.“ „Warum bist du so panisch? Zudem habe ich nicht das Bedürfnis, an einen anderen Ort zu gehen.“ „Siehst du? Genau aus diesem Grund müssen wir hier so schnell wie möglich weg. Wenn du hier bleibst, verliere ich dich. Das möchte ich nicht, denn du bist mein Freund, du egoistischer Sturkopf.“ Gabumon klingt verärgert, aber seine Stimme zittert. Weint er? Irgendwie habe ich das Gefühl, mich schon einmal in einer ähnlichen Situation befunden zu haben. Vor langer Zeit? „Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht wehtun. Aber es fühlt sich richtig an, hier zu sein, verstehst du?“ „Ist das wirklich so? Yamato, das würde bedeuten, du entscheidest dich gegen alles, was du bisher hattest. Mich eingeschlossen. Deine Entscheidung muss ich zwar akzeptieren, aber sieh dich um. Ist es das wert?“ „Ich sehe nichts. Es ist dunkel.“ „Und das bleibt wahrscheinlich so.“ Nachdenklich lasse ich meinen kleinen Freund los und erhebe mich. „Nein, Yamato! Bitte verschwinde nicht!“, ruft Gabumon ängstlich in meine Richtung. „Ich verschwinde nicht“, entgegne ich sanft. „Allerdings verstehe ich allmählich. Dieser Weg ist wie eine Einbahnstraße, die in einer Sackgasse mündet, oder? Ich kann mich jederzeit entscheiden, diesen Weg einzuschlagen, allerdings ist es eine endgültige Entscheidung. Ein Zurück gibt es nicht, hab ich recht?“ Ich spüre, wie sich Gabumon an meinem Hosenbein festkrallt. „In den meisten Fällen nicht“, flüstert er traurig. Liebevoll umarme ich ihn, wobei sein weiches Fell meine Haut angenehm kitzelt. „In Ordnung, ich begleite dich. Vorerst.“ Tief durchatmend schließe ich meine Augen. Als ich sie wieder öffne, steht Taichi einige Meter von mir entfernt an einer Klippe und schaut durch sein Fernrohr. Kühler Wind lässt meinen Körper leicht zittern. „Hat der Herr sich entschieden, doch bei der Gruppe zu bleiben und meinen Vorschlag zu akzeptieren? Oder hältst du noch an deinem Alleingang fest? Warum bist du dann zurückgekommen?“ Tai blickt mich ernst an. „Und warum müssen sich immer alle nach dir richten?“, gebe ich bissig zurück und frage mich gleichzeitig, weshalb ich so reagiere. „Wo sind die anderen überhaupt?“ Mein Freund zeigt zu dem kleinen Wald, der sich unweit von uns befindet. „Sie schlafen.“ „Und du?“ „Ich wollte ein wenig die Gegend auskundschaften, um einen sinnvollen Weg für uns zu finden. Außerdem…“ Tai wendet sich ab und schaut wieder durch sein Fernrohr. Langsam laufe ich auf ihn zu, bleibe neben ihm stehen und nehme ihm den Gegenstand aus der Hand. „Außerdem?“ „Ich konnte nicht schlafen, weil ich mir Sorgen um dich machte.“ Mein Freund senkt seinen Blick und sieht zu Boden. „Weißt du, ich bin froh, dass du zurückgekommen bist. Ich habe dich vermisst.“ Den letzten Satz spricht er so leise, dass ich ihn kaum verstehe. Verlegen und schweigend betrachte ich die Umgebung. Erst jetzt fallen mir die vielen Farben auf. Der Himmel und das Meer sind tiefblau, die Bäume erscheinen in einem satten Grün. „Deine Entscheidung war richtig, Yamato.“ Taichi lächelt und küsst mich flüchtig auf die Wange. „Du kannst ohnehin nicht vor mir fliehen, selbst wenn du mich fesselst und gefangen hältst.“ „Was?“ Verwirrt betrachte ich meinen Gegenüber. An seinen Handgelenken fallen mir violett verfärbte Male auf. „Tai…“, beginne ich, unterbreche mich jedoch, als dieser behutsam über die Länge meines Unterarmes streicht. Ich spüre nichts, dennoch klafft eine tiefe, nicht blutende Wunde an der Stelle, die mein Freund gerade berührte. „Du kannst nicht sterben, mein Liebling. Nicht, wenn ich es nicht möchte.“ „Deshalb bin ich nicht ertrunken, deshalb verblute ich nicht“, murmle ich mehr zu mir selbst. „Hätte ich mich anders entschieden…“ „… hättest du dich mir entzogen“, beendet Tai meinen Satz. Mein Körper wird von einer Erschütterung erfasst und ich öffne die Augen. Es ist hell. Ich ziehe die Decke enger um meinen Körper. „Bist du wach, Yamato?“, fragt mein Freund vorsichtig. „Ja“, antworte ich müde, aber mit schnell klopfendem Herz. „Dein Schlaf war ziemlich unruhig und du zitterst heftig. Hattest du einen Albtraum?“ „Nein.“ Kurz schweige ich. „Taichi? Vor acht Jahren im Sommercamp… ist damals etwas Seltsames vorgefallen? Erinnerst du dich?“ „Hm… ungewöhnlich war auf jeden Fall, dass es im August schneite. Hast du das tatsächlich vergessen?“ „Ja, es scheint so. Für mich ist diese Zeit nur sehr verschwommen… als ob… schon gut. Es ist alles in Ordnung.“ „Was ist los? Du wirkst durcheinander. Und warum sprichst du gerade jetzt auf das Sommercamp an?“ Schutz und Nähe suchend rutsche ich dicht an meinen Freund heran, lege meinen Kopf auf seine nackten Oberkörper und schließe erschöpft die Augen. „Yamato, du glühst. Du hast Fieber“, meint Taichi besorgt. „Mir ist nur kalt“, nuschle ich schwerfällig. „Binde mich los, damit ich mich um dich kümmern kann.“ „Nein“, sage ich ruhig, aber bestimmt. „Du verdammter Sturkopf!“, schreit Tai mich nun an. „Ich werde nicht weglaufen. Aber ich habe Angst um dich, begreife das bitte!“ „Du musst keine Angst haben. Mir geht es gut.“ „Miss deine Temperatur und zeige mir das Ergebnis. Erst dann glaube ich dir und lasse dich in Ruhe.“ Ohne ein Wort zu entgegnen, erhebe ich mich schwerfällig. Ein leichtes Schwindelgefühl bringt mich für einen Augenblick ins Wanken. Unerträglich hämmert der Schmerz in meinem Kopf. Aus dem Bad hole ich das Thermometer, setze mich auf die Kante meines Bettes und messe meine Körpertemperatur. Mein Freund beobachtet mich misstrauisch. Als das Signal ertönt, werfe ich einen Blick auf das Display. „Zeig es mir“, verlangt Taichi streng. Missmutig halte ich ihm das Ergebnis entgegen. „39,3°C“, liest er ab. „Yamato…“ „Nein.“ „Sieh in den Spiegel, dein Körper zittert unkontrolliert und du kannst dich offenbar kaum auf den Beinen halten. Zudem scheinst du zu vergessen, dass ich, solange ich mich nicht frei bewegen kann, auf dich angewiesen bin. Bitte sei vernünftig, hörst du?“ Völlig reglos sitze ich da. Mein Denken ist zäh, meine Konzentration auf dem Tiefpunkt. Das Gefühl, welches der Traum hinterließ, ist noch immer präsent, aber ich bin nicht in der Lage, es zu deuten. „Yama…“ Das Läuten der Türklingel holt mich aus meinen Gedanken. Ich schaue meinen Freund kurz an, dann gehe ich aus dem Zimmer, froh der Situation entfliehen zu können. Ohne darüber nachzudenken, wer der Besucher sein könnte, öffne ich. „Yamato, du siehst schrecklich aus. Ist etwas passiert?“ Ich schüttle kaum merklich meinen Kopf. Mein Freier betritt die Wohnung, schließt die Tür hinter sich und nimmt mich behutsam in den Arm. Dann mustert er mich durchdringend und sorgenvoll zugleich. Er legt seine Lippen auf meine Stirn und gleitet mit seiner Hand über die mit einem feuchten Film überzogene Haut meines Oberkörpers. „Fieber, kalter Schweiß, Schüttelfrost… ich bringe dich erst einmal ins Bett.“ Geschwächt lehne ich mich bei ihm an. „Nein. Gehen Sie bitte. Es ist…“ Ich unterbreche mich selbst. Wenn ich ihn abweise, kann ich seinen Sohn nicht schützen. Fahrig öffne ich meine Hose. „Nehmen Sie sich, wonach ihnen verlangt. Nur nicht in meinem Zimmer, einverstanden?“, frage ich nahezu unterwürfig. Mein Freier nimmt mein Gesicht fest zwischen seine Hände. „Sieh mich an, mein Süßer. Ich werde dich in diesem Zustand nicht ficken. Du bist krank und derartige Anstrengungen sind das Letzte, was du brauchst.“ Unerwartet hebt er mich hoch und trägt mich über den Flur zu meinem Zimmer. „Nein, bitte. Taichi ist da.“ Überrascht hält mein Freier inne. „Ist er auch krank oder warum ließ er dich die Tür öffnen? „Lassen Sie mich runter.“ „Nein. Keine Sorge, ich werde nicht länger bleiben als nötig. Mir ist bewusst, dass dein Freund mich hasst, aber…“ Nun setzt er mich doch ab, hält mich aber weiterhin fest und öffnet meine Zimmertür. Ich senke resigniert meinen Blick, als er mich sanft hineinschiebt. „Habe ich euch gerade gestört?“, fragt mein Freier erstaunt, als er Taichi mit gefesselten Händen auf meinem Bett liegen sieht. Dieser schweigt. Es scheint, als warte er auf eine Reaktion meinerseits. „Nein“, flüstere ich schließlich, wobei ich das Gefühl habe, jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren. „Er darf mich nicht verlassen“, spreche ich abwesend weiter. „Du hältst Taichi hier fest?“ Ich nicke verhalten. „Das ist Freiheitsberaubung, Yamato! Wie lange…“ „Heute ist der fünfzehnte Tag“, antwortet Tai ohne Betonung in der Stimme. Hinter mir stehend gibt mein Freier mir Halt, indem er meinen Oberarm nicht loslässt, nun verstärkt er den Druck. „Binde ihn los“, fordert er mich im Befehlston auf. „Nein.“ „Yamato. Glaubst du wirklich, dass es eurer Beziehung zuträglich ist, wenn du deinen Freund über zwei Wochen Gefangenschaft antust?“ Liebevoll streichelt er über meinen Arm. „Taichi, ich hoffe, du verstehst, dass ich dich nicht befreien werde. Meiner Meinung nach ergibt es nur Sinn, wenn Yamato es selbst und von sich aus tut. Es sei denn…“ „Nein, schon gut“, unterbricht Tai ihn, als wüsste er, wie der Satz enden sollte. Ich spüre, dass es für mich keinen Ausweg mehr gibt. Es ist vorbei. Wie fremdgesteuert gehe ich auf meinen Freund zu und löse seine Fesseln. Zum letzten Mal. Verkrampft streicht sich Taichi über seine Handgelenke, steht auf und streckt sich. Anschließend schlägt er mir ohne Zurückhaltung mit der Faust ins Gesicht. Aufgrund meiner schwachen körperlichen Verfassung stürze ich hart zu Boden und bleibe widerstandlos liegen. Meine Wange schmerzt stark, zufrieden schmecke ich Blut in meinem Mund. Stöhnend krümme ich mich zusammen, als Tai mich mit einem gezielten Tritt in den Bauch endgültig außer Gefecht setzt. Verschwommen sehe ich meinen Freier, der an der Tür lehnend das Geschehen unparteiisch beobachtet. Seine Mimik drückt jedoch Anteilnahme und Traurigkeit aus. „Das musste sein, Yamato. Das weißt du.“ Vorsichtig nimmt Taichi mich in seine Arme. „Du bist so ein dämlicher Idiot! Was geht nur immer in deinem hübschen Köpfchen vor?“ Mit Tränen in den Augen schließe ich diese erleichtert. Es ist wirklich vorbei. Sein Duft umhüllt mich sanft. Wie sehr habe ich es vermisst in seinen Armen zu liegen. Ich spüre eine kalte Hand auf meiner Stirn. Mein Körper scheint zu verglühen, weshalb ich diese zärtliche Berührung als angenehm empfinde. Zudem lindert die Kälte den pulsierenden Schmerz in meinem Kopf ein wenig. Ich fühle mich schwach und bekomme mein Zittern nicht unter Kontrolle. „Taichi“, flüstere ich kaum hörbar. „Nein“, entgegnet die besorgt klingende Stimme meines Freiers. Meine Augen brennen unangenehm und es fällt mir schwer, sie zu öffnen. Fiebrig blicke ich zu ihm. „Wo ist Tai?“, frage ich müde, doch meine Panik ist deutlich herauszuhören. „Bei seinen Eltern.“ „Nein…“, ist das einzige, von Verzweiflung gezeichnete Wort, welches über meine Lippen kommt. Tränen bahnen sich ihren Weg über mein Gesicht, ich versuche mich aufzusetzen, werde jedoch von meinem Freier sachte zurück auf das Laken gedrückt. „Bleib ganz ruhig, mein Kleiner. Er kommt zurück, sobald er seine Eltern überzeugen konnte, dass alles in Ordnung ist. Zudem wollte er ein paar frische Sachen holen.“ Mein Hals ist trocken und ich kann kaum schlucken. „Steht meine Flasche neben dem Bett?“ Fürsorglich reicht mir mein Freier den gewünschten Gegenstand, aus welchem ich gierig in großen Schlucken von dem Wasser trinke. „Wie geht es dir?“, will mein Freier wissen, während er mit seinen Fingern über meine von kaltem Fieberschweiß bedeckte Haut streicht. Dann hält er mir das Thermometer entgegen. Ohne Widerrede nehme ich es und messe meine Temperatur. „Ich fühle mich erschöpft und kraftlos, mir ist schwindelig. Sämtliche Gliedmaßen und mein Kopf schmerzen. Die Kälte und der Schüttelfrost hören einfach nicht auf.“ „Du bist krank. Vielleicht wäre es besser, einen Arzt zu konsultieren.“ „Nein, bitte. Es muss so gehen.“ „Warum, Yamato?“ „Ich befürchte, dass Entzugserscheinungen bei meiner momentanen Verfassung eine Rolle spielen. Durch die Gefangenschaft von Tai habe ich kaum Drogen konsumiert. Wenn Sie mir Heroin…“ „Nein“, unterbricht mich mein Freier mit ernstem Gesichtsausdruck. „Ich spritze dir jetzt bestimmt kein Heroin, selbst wenn du mit deiner Vermutung Recht haben solltest. Außerdem wäre dein Freund zurück, bevor du von deinem Trip runter bist. Willst du ihm auf diese Weise zeigen, dass du ein Fixer bist?“ „Das nicht, aber er kommt ohnehin nicht zurück. Nie hätte er mich mit Ihnen allein gelassen, wenn er noch etwas für mich empfinden würde.“ Erneut brennen Tränen in meinen Augen. Zu meiner Verwunderung lächelt mein Freier. „Du irrst dich, mein Süßer. Taichi wollte nicht, dass ich mit dir allein bleibe, allerdings war die Alternative, dich gänzlich allein zu lassen, für ihn erst recht keine Option. Glaube mir, er liebt dich sehr, denn er ging nicht, ohne mir alle möglichen Drohungen an den Kopf zu werfen.“ Jetzt legt sich auch ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. „Dein Freund ist wirklich sehr süß, vor allem, wenn er seine Besitzansprüche an dir geltend macht.“ Der Signalton des Thermometers weist uns auf die abgeschlossene Messung hin. Ich schaue auf das Display. „Das Fieber sinkt nicht. 39,4°C“, seufze ich und schließe meine Augen. „Ich bringe dich jetzt zum Arzt.“ „Nein, bitte…“, hauche ich und werfe meinem Freier einen flehenden Blick zu. „Sei vernünftig, Yamato. Dein Körper ist ohnehin schon sehr geschwächt.“ Mit spürbar starker Zuneigung streicht er mir durch das feuchte Haar und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Die Tür zu meinem Zimmer wird geöffnet und Taichi betrachtet die sich ihm bietende Szene mit finsterer Miene. Er stellt die Tasche in seiner Hand auf dem Boden ab und richtet sich feindselig an meinen Freier: „Nehmen Sie Ihre dreckigen Finger von meinem Freund. Meine Warnungen waren anscheinend nicht eindeutig genug. Sie gehen jetzt besser, sonst kann ich für nichts garantieren.“ In Tais Augen erkenne ich eine gefährliche Eifersucht, die ihn, wie so oft, unberechenbar werden lässt. Mit einem forschen Lächeln steht mein Freier auf, macht ein paar Schritte auf meinen Freund zu und zieht ihn eng an sich, wobei er mit seinem Arm dessen Taille umfängt. „Keine Angst, mein Süßer“, raunt er Taichi lüstern und gerade so laut in sein Ohr, dass ich ihn noch verstehe. „Ich nehme dir Yamato nicht weg. Das würde ich ohnehin nicht schaffen.“ Voller Abscheu stößt mein Freund seinen Gegenüber von sich. „Sagte ich nicht schon einmal, Sie sollen mich nicht anfassen?“, weist er ihn wütend und mit drohendem Unterton zurecht. Ein leichtes Lächeln legt sich auf meine Lippen. Erstaunlicherweise verspüre ich, trotz des anzüglichen Verhaltens meines Freiers, keine Eifersucht. Wahrscheinlich, weil ich weiß, dass er Tai gern aufzieht und Spaß daran hat, ihn ein wenig zu provozieren. Zudem vertraue ich ihm. Nie würde er mir so sehr wehtun und sich ernsthaft an meinen Freund heranmachen. „Und ich sagte dir schon einmal, dass ich mich nicht an dir vergehen werde. Obwohl du wirklich einen verdammt süßen Arsch hast.“ Langsam gleitet mein Freier mit seiner Hand nach unten. „Sie sind nichts weiter als ein perverser Kinderficker. Verpissen Sie sich! Und wagen Sie es nicht noch einmal, meinen Freund zu vögeln, sonst werde ich Sie tatsächlich kastrieren“, zischt Tai hasserfüllt. „Hör auf“, mische ich mich nun ein. „Taichi, ich…“ „Du hältst dich da raus!“, fordert der mich gereizt auf, ohne seine Augen von meinem Freier abzuwenden. „Schon gut, Yamato. Ich muss ohnehin los.“ Zärtlich streicht mir mein Freier über meine vom Fieber gerötete, erhitzte Wange. „Ruh dich aus, damit du bald wieder gesund wirst, mein kleiner Liebling.“ Mein Blick fällt auf Tai, dessen Hände zu Fäusten geballt sind. Doch bevor die Situation eskaliert, verlässt mein Freier den Raum und kurz darauf die Wohnung. Ich versuche mich aufzusetzen. Nur mit Mühe gelingt es mir. Mein Körper fühlt sich sehr schwach und demzufolge schwer an. „Ich verbiete dir, mit diesem Mann weiter zu verkehren, Yamato“, sagt Taichi unerwartet ruhig. Eigentlich will ich protestieren, aber ich fühle mich momentan völlig überfordert. Erschöpft sinke ich zurück auf die Matratze und schließe meine Augen. „Vor einiger Zeit meintest du, du wolltest mich gern einmal so richtig rannehmen, wenn ich verschwitzt und im Fieberwahn bin.“ Meine Stimme ist leiser und unbeständiger als erwartet. Ich spüre Tais Lippen auf meinen und seine kühlen Hände, die über meine mit kaltem Schweiß benetzte Haut gleiten. Jede Berührung von ihm fühlt sich irreal an, fremd und vertraut zugleich. Mein Kopf ist vollkommen leer. Lediglich das Schwindelgefühl ist greifbar. Der Signalton des Thermometers ertönt, welchen ich jedoch nur am Rande meines Bewusstseins wahrnehme. Er klingt für mich irreal und weit entfernt, ebenso wie die Stimme meines Freundes. Vielleicht fantasiere ich. „Das Fieber ist auf 39,6°C gestiegen. In deiner momentanen Verfassung Sex zu haben, war keine gute Idee. Dein Körper scheint die Anstrengung nicht zu verkraften.“ Leicht gleiten kalte Fingerspitzen über meinen Brustkorb. „Sollte das Fiebermittel in der nächsten halben Stunde nicht anschlagen und deine Körpertemperatur sinken, bringe ich dich zum Arzt. Auch wenn ich weiß, dass ich damit gegen deinen Willen agiere. Yamato…“ Ich spüre Taichis Hand, die sanft durch meine feuchten Haare streicht. Es fällt mir schwer, meine Augen offen zu halten, mein Blick geht durch meinen Freund hindurch. Verhalten küsst er meine Lippen. „… du bist so leblos, kaum ansprechbar. Deine Atmung ist schwerfällig und du scheinst beinahe zu verglühen. Ich ertrage es nicht, dich so abwesend zu sehen.“ Tais Stimme vibriert, Tränen tropfen auf meine Haut und obwohl ich sie deutlich fühlen kann, zweifle ich nach wie vor an meiner Wahrnehmung. Mit einem Mal steigt Übelkeit in mir auf und mein Körper verkrampft schmerzhaft. Stöhnend krümme ich mich zusammen, erbreche mich auf das Laken. „Yamato…“ Geistesgegenwärtig löst er den Zopfgummi, den ich aufgrund meiner langen Haare immer um mein Handgelenk trage, und bindet diese notdürftig im Nacken zusammen. Dann verlässt er mein Zimmer. Mit einer Schüssel Wasser und einem Lappen kehrt er zurück. Trotz meiner Benommenheit und des starken Schwindelgefühls beobachte ich meinen Freund, falle jedoch schnell in einen unruhigen, von wirren Träumen geplagten Schlaf. Dumpf und unverständlich dringt eine Stimme an mein Ohr. Ich öffne meine Augen und erblicke eine steril weiß gestrichene Zimmerdecke. Als ich vorsichtig meinen Kopf drehe, wobei mir ein feuchter, lauwarmer Lappen von der Stirn rutscht, stelle ich erleichtert fest, dass Taichi mich nicht ins Krankenhaus brachte und ich somit nach wie vor in meinem eigenen Bett liege. „Wann?“ „Wirklich?“ Ich schaue in die Richtung, aus der ich Tais Stimme vernehme. Die Tür steht einen Spalt offen. Mein Freund befindet sich im Flur und scheint zu telefonieren. „Ich bin froh, dass du so zeitnah herkommen wirst.“ „Yamato schläft momentan. Er hat ziemlich hohes Fieber und musste sich mehrfach übergeben.“ „Nein, ich wollte einen Arzt konsultieren, weil seine Körpertemperatur trotz Medikamente kaum sinkt, aber…“ „Ja, genau.“ „Nein.“ „Hiroaki…“ Durch die Art, wie er den Namen meines Vaters ausspricht, wirkt Taichi haltlos, nahezu kindlich. Ich frage mich, ob er weint, denn seine Stimme zittert leicht. „Ich habe Angst um Yamato.“ „Nicht nur deshalb. Er konsumiert wahrscheinlich schon seit längerer Zeit Heroin.“ Zwar vernehme ich die Worte meines Freundes, begreife deren Bedeutung im Moment jedoch nicht. „Er war nicht bei Bewusstsein, aber völlig durchgeschwitzt. Ich wollte ihm ein frisches Hemd anziehen, als ich ihn entkleidete, sah ich Vernarbungen in seiner Armbeuge.“ „Naja, soweit ich weiß, kann man auch andere Drogen injizieren, allerdings…“ „Ja.“ „Nein, ich habe ihn bisher nicht darauf angesprochen. Er ist seitdem noch nicht wach gewesen.“ „In Ordnung.“ Eine kurze Pause entsteht. „Wirst du ihn wieder in eine psychiatrische Klinik einweisen?“ „Verstehe.“ Aus Taichis Reaktion kann ich nicht erschließen, was mein Vater auf dessen Frage antwortete. „Die Vermutung hatte ich auch schon. Wenn er tatsächlich auf Entzug ist, würde das die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes erklären. Seine Symptomatik könnte auch passen.“ „Hiroaki… bitte. Es ist nicht deine Schuld.“ „Sich Vorwürfe zu machen, ändert nichts an der Situation. Auch ich frage mich, wie lange er sich schon mit diesem Zeug kaputt macht und wie ich so blind sein konnte, davon nichts zu bemerken.“ „Ich weiß es nicht, aber ich würde es diesem perversen Kinderficker durchaus zutrauen. Er kann seine dreckigen Finger ohnehin nicht von Yamato lassen, wäre es da verwunderlich, wenn er ihn mit Drogen von sich abhängig macht?“ Traurig schließe ich meine Augen. Ich wünschte, Taichi hätte eine andere Meinung von meinem Freier, zumal er ihn nicht einmal richtig kennt. „Allein schaffe ich das nicht. Ich brauche dich, Hiroaki“, höre ich meinen Freund voller Sehnsucht sagen. „Ja.“ „Ich weiß.“ „Du auf dich auch. Bis dann.“ Tai legt auf. Kurz herrscht bedrückende Stille in der Wohnung, dann setzt mein Freund sich in Bewegung. Ich halte meine Augen geschlossen, als er mein Zimmer betritt und sich auf der Bettkante niederlässt. Fürsorglich nimmt er den Lappen von meiner Stirn, wäscht ihn in der Schüssel aus und tupft mir anschließend damit den Schweiß von der Haut. Ich realisiere noch immer nicht ganz, welche Folgen das eben vernommene Telefonat für mich haben wird, auch verstehe ich nicht, warum ich vorgebe, weiterhin zu schlafen. Nur mein Herz schlägt schmerzhaft stark gegen meinen Brustkorb und versucht meinem aus Angst verdrängenden Verstand die wahrscheinlich unausweichlichen Veränderungen begreiflich zu machen. „Mir geht es schon etwas besser“, lüge ich meinen Freund an, wobei ich versuche die Schmerzen durch den Entzug vor ihm zu verbergen. Ich brauche Heroin, an etwas anderes kann ich kaum noch denken. Allerdings kommt mir immer wieder das Telefongespräch zwischen Taichi und meinem Vater in den Sinn. Fand es tatsächlich statt oder unterlag ich im Fieberwahn einer Halluzination? „Du bist sehr blass.“ Sanft berührt Tai meine Wange und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. „Und dein Fieber ist nur unwesentlich gesunken. Das Mittel schlägt nicht an. Yamato…“ „Nein. Bitte, ein Arzt ist wirklich nicht nötig!“ „Ich verstehe dich nicht. Warum hast du solch eine panische Angst vor einer ärztlichen Untersuchung?“ „Keine Ahnung, vielleicht liegt es einfach an meiner allgemeinen Abneigung gegen Ärzte. Die können einem ohnehin nicht helfen. Zumindest musste ich die Erfahrung mehrfach machen.“ „Aber im Augenblick geht es nicht um deine Psyche. Dein Körper wehrt sich gegen irgendetwas, scheint es allein jedoch nicht zu schaffen. Du…“ „Taichi, hör auf dir unnötige Sorgen zu machen. Ich kenne meinen Körper, immerhin muss ich ihn tagtäglich ertragen. Es ist nichts Ernstes, also…“ „Fast 40°C Fieber nennst du nichts Ernstes? Du lagst bisher die meiste Zeit im Delirium. Momente wie jetzt, in denen du bei klarem Verstand bist, sodass ich mit dir reden kann, sind selten. Findest du das nicht besorgniserregend?“ „Tai…“, setze ich an, werde aber von meinem Freund unterbrochen. „Bist du auf Entzug?“, fragt er ruhig, mit ernster Miene. „Willst du dich aus diesem Grund nicht untersuchen lassen? Weil du weißt, dass die Symptome Entzugserscheinungen sind?“ Nervös weiche ich Tais prüfenden Blick aus. War das Telefonat doch keine Einbildung? Hat er die Vernarbungen gesehen, die auf meinen Heroinkonsum hinweisen? „Wie kommst du darauf?“, frage ich vorsichtig, ohne meinen Freund anzusehen. „Du hast Schmerzen, nicht wahr? Hinzu kommen unkontrollierbares Zittern, Krämpfe… dein Körper verkrampft immer wieder. Auch wenn du versuchst es zu verbergen, ich kenne dich, Yamato.“ „Ich… ja, vielleicht“, lenke ich schuldbewusst ein. Offensichtliches zu leugnen, wäre mehr als dämlich. Sinnvoller erscheint es mir, Schadensbegrenzung zu betreiben und eine andere Erklärung für die Vernarbungen zu finden, um vom Heroin abzulenken. Allerdings muss ich mich mit meinen Äußerungen vorsehen, da ich mir noch immer nicht sicher bin, wie viel Taichi und mein Vater tatsächlich wissen. „Wenn du meinen Zustand kennst, müsste dir klar sein, dass es mit der Zeit besser wird und ein Arzt nicht notwendig ist. Der Entzug von GHB bedarf keiner medizinischen Betreuung.“ Mein Freund sagt nichts, betrachtet mich lediglich mit Skepsis. „Sieh mich nicht so an. Vertrau mir wenigstens einmal“, bringe ich ihm vorwurfsvoll entgegen und setze mich dabei leicht auf. Tai langt nach dem Thermometer, welches auf meinem Nachtschrank liegt, und hält es mir entgegen. „Miss“, fordert er mich einsilbig und relativ tonlos auf. Schweigend nehme ich es ihm aus der Hand und leiste ohne Widerworte Folge. Während ich auf das Ergebnis warte, schließe ich meine Augen und konzentriere mich auf das beständige Pulsieren in meinem Kopf. Der Rhythmus ist unangenehm, durchzogen von starken, stechenden Schmerzen. Durch den Entzug treffen diese Symptome auch auf den Rest des Körpers zu. Ich spüre überdeutlich das Blut durch meine Adern fließen, es tut weh. Am Leben zu sein tut so verdammt weh. Dennoch muss ich mich zusammenreißen und darf mir nichts anmerken lassen, um nicht noch mehr Grund zur Besorgnis zu geben. Der Signalton des Thermometers holt mich aus meinen Gedanken. Ich werfe einen Blick auf das Display. „38,9°C“, informiere ich meinen Freund, der meine Aussage jedoch überprüft, indem er selbst auf das Display schaut. „Du vertraust mir wirklich nicht“, stelle ich enttäuscht fest. „Bei all deinen Lügen, die du Hiroaki und mir erzählt hast, beziehungsweise handelt es sich eher um Halbwahrheiten, wundert es dich, dass dir kein Vertrauen entgegengebracht wird?“ Taichi sieht mich ungläubig an. „Bist du so naiv?“ Mit trauriger Miene streicht er ein paar Strähnen hinter mein Ohr. Seine braunen Augen fixieren mich, nehmen mich gefangen. „Manchmal würde ich gern in deine Welt eintauchen, vielleicht könnte ich dich dann besser verstehen.“ Ich spüre Tais warmen Atem auf meiner Haut, seine Lippen zaghaft auf meinen. Behutsam drücke ich seinen Körper etwas von mir und drehe meinen Kopf zur Seite. „Nicht“, flüstere ich, erfüllt von Selbsthass. Ich möchte meinen Freund nicht abweisen, ich sehne mich sogar nach ihm, aber im Moment kann ich nicht anders handeln. Einmal mehr agiere ich ohne ersichtlichen Grund. Einfach nur gegen mich. „Was ist los?“, fragt Tai verwirrt. „Erträgst du gerade keine Berührungen, keine Zuneigung?“ „Es tut mir leid“, hauche ich unsicher. Schwindel überkommt mich und Schüttelfrost ergreift Besitz von meinem Körper. „Dein Befinden verschlechtert sich wieder, hab ich recht?“ „Es fühlt sich so an“, gebe ich ehrlich zu, während ich in eine liegende Position rutsche. „Vielleicht ist es nur ein kurzer Schub, den ich gleich überstanden habe.“ Müde schließe ich meine Augen. Der feuchte Lappen, der von Taichi fürsorglich auf meine Stirn gelegt wird, ist angenehm kühl. Abgesehen von den körperlichen Entzugserscheinungen bin ich innerlich extrem unruhig, da mein Verlangen nach Heroin allmählich unerträglich wird. Irgendwie muss ich an einen Schuss kommen. Aushalten ist für mich keine Option mehr. Zwar stehe ich normalerweise auf Schmerzen, brauche sie sogar, aber im Fall eines Heroinentzuges gleichen sie eher einem Todeskampf, der nicht einmal mit dem Tod belohnt wird. Und wenn ich an das letzte Mal denke, befinde ich mich erst am Anfang. Damals waren die Krämpfe dermaßen schmerzhaft, dass ich schrie, mich krümmte und einfach nur sterben wollte. Bevor dieser Zustand eintritt, muss ich einen Weg finden, mir die Droge unbemerkt in die Venen zu spritzen. „Du wirst an ihnen zugrunde gehen“, höre ich die Stimme meines Freundes traurig sagen. „Was?“ Ich öffne meine Augen und schaue ihn irritiert an. „Drogen. Sei ehrlich, du kommst von diesem Scheißzeug nicht los, weil du es überhaupt nicht möchtest.“ „Taichi, ich…“ Ein Klingeln an der Tür beendet das für mich eher unangenehme Gespräch. Zumindest vorerst. Ohne ein Wort zu sagen, steht mein Freund auf und verlässt das Zimmer, wobei die Tür ein Stück weit offen bleibt. Ich schließe meine Augen erneut und konzentriere mich auf das Atmen. „Sagte ich Ihnen nicht, Sie sollen sich von Yamato fernhalten?“, höre ich meinen Freund unfreundlich, beinahe gereizt fragen. „Ich werde mich von ihm fernhalten, wenn er es von mir verlangt. Und momentan mache ich mir große Sorgen um Yamato. Lass mich bitte zu ihm, Taichi.“ Der Tonfall meines Freiers ist nachsichtig und fordernd zugleich. Schwerfällig richte ich mich auf. „Nein. Und wenn Sie nicht sofort…“ „Was dann?“, will mein Freier amüsiert wissen. „Verdammt, lassen Sie mich los!“, entgegnet Tai wütend, aber auch Panik meine ich herauszuhören. Auf wackeligen Beinen schleppe ich mich zur Tür, stütze mich kraftlos am Rahmen ab, lehne mich Halt suchend dagegen. Mein Blick fällt auf Taichi, der mit dem Rücken zur Wand steht, und meinen Freier, der sich mit einer Hand an der Wand abstützt und mit der anderen die Taille meines Freundes umfängt und ihn dicht an sich zieht. „Weißt du, Taichi, besonders in Momenten, in denen du dich bedroht fühlst, und vor allem, wenn du deinen Besitzanspruch an Yamato geltend machst, finde ich dich unglaublich süß.“ Er küsst Tai auf die Wange, dann wendet er sich von ihm ab. Als er mich erblickt, kommt mein Freier mit sorgenvoller Miene auf mich zu. „Berühre Yamato und du bist tot, perverses Arschloch!“, ruft mein Freund ihm drohend nach und wischt sich mit dem Handrücken angeekelt über die Wange. „Hör auf, Tai“, mische ich mich nun in das Geschehen ein, doch meine Stimme ist schwächer als beabsichtigt, weshalb meine eigentliche Forderung deutlich an Ausdruck verliert. „Bist du auf der Seite dieses Pädophilen?“, entgegnet er verständnislos. „Ich bin auf keiner Seite, aber du verhältst dich kindisch.“ Laut lacht mein Freund auf. „Ausgerechnet von dir muss ich mir eine solche Bemerkung anhören?“, spottet er. Doch sofort wird sein Gesichtsausdruck wieder ernst. „Yamato, er trägt die Hauptschuld an deiner schlechten Verfassung. Warum willst du das nicht begreifen?“ Ich schaue meinem Freier, der vor mir steht, in die Augen. Der streicht mir liebevoll durch die Haare und zieht mich eng an seinen Körper. „Du hast noch immer hohes Fieber“, mutmaßt er. Ich spüre seine Lippen dicht an meinem Ohr. „Und du brauchst Heroin, nicht wahr? Die Symptome, welche, wie du bereits vermutetest, überwiegend Entzugserscheinungen sind, werden durch deine selbstzerstörerischen und somit schwächenden Handlungen noch zusätzlich verstärkt“, flüstert er selbst für mich kaum hörbar, um sicher zu gehen, dass Taichi seine Worte nicht versteht. Ich nicke leicht und kralle mich Halt suchend im Stoff seines Hemdes fest. Alles dreht sich. Mein Blick fällt auf Taichi. Seine Eifersucht ist ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, dennoch bleibt er unbewegt, aber mit geballten Fäusten an der noch immer geöffneten Wohnungstür stehen. „Tai…“, hauche ich. Tränen füllen meine Augen. Er ist nicht nur wütend, sondern auch ziemlich verletzt. Dabei schätzt er die Situation falsch ein. Zwar befinde ich mich im Augenblick in den Armen meines Freiers, weil er Angst um mich hat und für mich da sein will, zudem kennt er das eigentliche Problem, dennoch gilt meine Sehnsucht Taichi, seiner Nähe, seinen Berührungen und seiner Zuwendung. „…ich liebe dich so sehr.“ Seufzend schließt mein Freund die Tür. „Manchmal frage ich mich, warum ich nicht einfach gehen kann.“ Seine Aussage schmerzt, doch auch ich stellte mir diese Frage schon oft, vor allem, wenn man bedenkt, was ich ihm bisher alles antat. Ich verkrampfe meine Finger stärker im Stoff des Hemdes meines Freiers, da ich drohe mein Gleichgewicht zu verlieren. Mein Körper zittert und die aufkommende Übelkeit bereitet mir Schwierigkeiten. „Taichi“, richtet sich mein Freier plötzlich an meinen Freund. „Ich denke, du solltest meine Position einnehmen.“ Schweigend kommt der auf uns zu und zieht mich besitzergreifend an sich. Ich schließe meine Augen, ziehe seinen Duft tief in mich ein. Tai zu spüren, ist beruhigend und unglaublich schön. „Gehen Sie endlich. Wir brauchen Sie nicht“, höre ich ihn mit feindseligem Unterton sagen. „Doch, ich brauche ihn“, widerspreche ich leise. „Weil du von diesem Wichser deine Scheißdrogen bekommst?“ Aufgebracht drängt Taichi mich gegen den Türrahmen zu meinem Zimmer, presst seinen Unterarm gegen meinen Hals. „Aber ich lasse nicht zu, dass du auf diese Weise verreckst. Ich werde nicht gegen GHB, Heroin und was du noch alles konsumierst, verlieren! Hörst du? Du darfst nicht sterben, verdammt!“ Weinend lehnt sich mein Freund an mich. Er wirkt so schutzlos, zerbrechlich. Unsicher umfange ich ihn mit meinen Armen und blicke ratlos zu meinem Freier. „Du solltest zurück ins Bett“, meint Tai unerwartet, löst sich von mir und begleitet mich stützend in mein Zimmer. Während ich mich hinlege, geht er zu meinem Schreibtisch und entnimmt einem der Schubfächer einen Gegenstand, den ich nicht sofort erkenne. Erst als mein Freund das Zimmer wieder verlässt, begreife ich sein Vorhaben. Aus Panik stehe ich zu schnell auf und werde von einem heftigen Schwindelgefühl wieder auf die Matratze gezwungen. „Wie konnten Sie nur so unverantwortlich handeln, ihn von Drogen abhängig zu machen? Sie behaupten, Yamato zu lieben, zerstören ihn aber systematisch. Letztlich wollen Sie an meinem Freund nur Ihre abartige, pädophile Lust befriedigen.“ Noch einmal versuche ich aufzustehen. Es gelingt mir. So schnell ich kann, stolpere ich in den Flur. „Ich habe Sie mehrfach gewarnt, nun müssen Sie mit den Konsequenzen leben.“ Wie ich befürchtete, handelt es sich bei dem Gegenstand um mein Klappmesser, welches Tai meinem Freier gerade an die Kehle hält. Seine Worte sprach er erwartet kalt und emotionslos. Ich schaue zu meinem Freier, der zwar in die Enge getrieben mit dem Rücken zur Wohnungstür steht, allerdings sehr gefasst wirkt. Er kennt meinen Freund zu wenig, um zu wissen, wie skrupellos der sein kann und wozu er in bestimmten Situationen fähig ist. In seiner augenblicklichen psychischen Verfassung würde Taichi ihn ohne zu zögern töten. „Bitte hör auf“, flehe ich mit belegter Stimme, während ich unsicheren Schrittes langsam auf die Beiden zugehe. „Yamato, bleib im Bett. Du siehst wirklich nicht gut aus“, sagt mein Freier sanft. „Das hier…“ „Verschwinde, Yamato! Und du hältst deinen Mund oder ich ziehe die Klinge sofort durch!“ Seine Aufforderungen spricht Tai nach wie vor ohne jede Gefühlsregung aus. Allmählich habe ich Angst, dass er die Kontrolle verliert und die Situation eskaliert. Das Fieber sowie die Kopfschmerzen verhindern jedoch jeden klaren Gedanken, auch meine Beine tragen das Gewicht meines Körpers nicht mehr lange. Erschöpft lehne ich mich gegen die Wand. „Dein Freund braucht dich, Taichi.“ Bestimmt ergreift mein Freier dessen Handgelenk, verharrt jedoch in der vorherrschenden Position, sodass sich die Klinge des Messers noch immer gefährlich nah an seinem Hals befindet. „Wenn du ihn liebst, wie du sagst, sollte Yamato wichtiger sein. Deinen Hass kannst du später an mir auslassen.“ Anstatt zu antworten, verstärkt Tai den Druck auf das Messer. „Verstehe, er ist dir gerade ziemlich egal. Du…“ „Sei endlich still, verdammt!“, schreit mein Freund seinen Gegenüber ungehalten an. „Wenn ich dich töte, kannst du Yamato nicht mehr für deine Perversion missbrauchen! Deinetwegen ist er überhaupt erst drogenabhängig geworden, du widerlicher Scheißkerl!“ „Nein, Taichi. Du irrst dich“, widerspreche ich. Durch die Schmerzen und Krämpfe, welche ich so gut es geht und vor allem unbemerkt zu kompensieren versuche, fällt es mir schwer, zu atmen, geschweige denn zu sprechen. „Ohne ihn wäre ich schon längst völlig abgestürzt. Vor ihm wurde ich bereits von anderen Freiern unter Drogen gesetzt und mit Sicherheit war die Qualität des Stoffes ziemlich minderwertig, somit…“ „Warum nimmst du dieses Arschloch immer wieder in Schutz? Liebst du ihn? Ist er inzwischen an die Stelle deines Vaters getreten? Ist er ein Ersatz für ihn? Ebenso wie Akito ein Ersatz für mich war?“ „Du weißt, dass du Unsinn von dir gibst, oder?“ Ich hasse meinen Körper. Wäre er nicht so schwach, könnte ich auf die Situation besser reagieren beziehungsweise überhaupt erst einmal agieren. Die anhaltende Übelkeit wird stärker. Wenn ich mich nicht im Flur erbrechen möchte, muss ich es irgendwie schaffen, ins Badezimmer zu gelangen. Unsicheren Schrittes taumele ich zur Toilette, in welche ich mich schmerzhaft würgend übergebe. Dann sinke ich kraftlos zu Boden. Ich brauche Heroin. Ich muss es in meinen Venen spüren, sonst wird sich mein Zustand nicht verbessern. Die Entzugserscheinungen verschwinden zwar irgendwann, aber ohne diese Leichtigkeit, das Glücksgefühl, welches die Droge mir schenkt, kann ich nicht mehr leben. Ertrage ich das Leben nicht mehr. Weinend krümme ich mich zusammen. „Tai… hilf mir…“, flehe ich stimmlos. Ich sollte aufgeben und hoffen, dass mich die Bewusstlosigkeit von der Realität befreit. Stattdessen bemühe ich mich und schaffe es unter Anstrengung, aufzustehen. Fast schon mechanisch schleppe ich mich zur Tür. Ich richte meinen Blick auf die beiden Männer am Ende des Flurs, dann auf das Messer, welches noch immer in der Hand meines Freundes verweilt. Zwar ließ er es sinken, scheint aber weiterhin fest entschlossen zu sein, meinen Freier anzugreifen. Entsetzt bemerke ich die klaffende Wunde an Tais linkem, blutüberströmtem Unterarm. Offenbar versuchte mein Freier ihm das Messer zu entwinden. An seinem Hals sehe ich ebenfalls einen leicht blutenden Schnitt. Wollte Taichi ihn wirklich töten, woraufhin mein Freier sich wehrte? Ich muss etwas unternehmen, allein wird mein Freund in diesem Zustand nicht zur Vernunft kommen. „Taichi, deine Wunde muss versorgt werden. Der Schnitt ist wirklich tief und blutet sehr stark“, redet mein Freier ruhig auf ihn ein. Sein Gegenüber reagiert nicht. „Du liebst Yamato mehr als alles andere, hab ich recht?“ „Ja“, antwortet Tai tonlos. „Und du hast Angst um ihn, willst ihn beschützen und ihm Halt geben.“ „Ja.“ „Dann dreh dich um und sieh ihn dir an.“ Wieder keine Reaktion. Der Blick meines Freiers verfinstert sich. Er hält sich nicht zurück, als er Tai mit der Rückhand eine kräftige Ohrfeige verpasst. Für einen Moment herrscht bedrohliche Stille in der Wohnung. „Es reicht, Taichi. Gib mir das Messer“, befiehlt mein Freier in autoritärem Tonfall. Unerwartet gehorcht mein Freund, wendet sich um und läuft wie fremdgesteuert auf mich zu. Seine Augen sind leer, seine Miene vollkommen ausdruckslos. Vor mir bleibt er stehen. Leblos. „Taichi?“ Behutsam streiche ich über seine noch immer stark gerötete, geschwollene Wange. Mein Freier hat wirklich hart zugeschlagen. Angsterfüllt und sehr unsicher, beinahe zurückhaltend umfange ich meinen Freund mit meinen Armen. Wie erwartet reagiert er auch auf mich nicht, selbst als ich seinen Körper fest an mich ziehe, bleibt er regungslos. „Taichi“, versuche ich es erneut, dabei weiß ich nicht einmal, ob er mich hört. „Was ist passiert?“, richte ich mich nun an meinen Freier. „Ich wollte ihm das Messer entwinden und ihn dazu bringen, zu dir zu gehen. Die Situation eskalierte etwas. Auch unterschätzte ich seine Kraft ein wenig. Es tut mir leid, es lag nicht in meiner Absicht, Taichi zu verletzen.“ „Ich weiß. Aber warum entschuldigen Sie sich? Immerhin ist er auf Sie losgegangen und hat Sie sogar verletzt.“ „Das ist nur ein Kratzer.“ Ein sanftes Lächeln legt sich auf die Lippen meines Freiers. „Zudem verstehe ich ihn. Er will dich beschützen. Yamato…“ Plötzlich löst Tai sich aus meiner Umarmung und sieht mich durchdringend an. „Ich liebe dich. Du sollst glücklich sein, deshalb…“ Entschlossen legt er seine Hände um meinen Hals und drückt zu. „Lächle, Yamato. Ich erfülle dir endlich deinen sehnlichsten Wunsch. Lächle ein letztes Mal für mich, mein Liebling.“ Voller Zärtlichkeit küsst er die Tränen von meinen Wangen. „Nicht, Taichi…“, will mein Freier ihn aufhalten. Schnell kommt er auf uns zu. „Bitte lassen Sie ihn“, entgegne ich stockend. „Vielleicht gibt er sich mir auf diese Weise wieder zurück. Es wäre nicht das erste Mal.“ Tai verstärkt seinen Druck, mir wird schwarz vor Augen. Kraftlos sinke ich mit meinem Freund zu Boden. „Selbst im Sterben finde ich dich noch wunderschön“, flüstert er liebevoll. „Öffne deine Augen und schau mich an. Ich möchte sehen, wie das Leben allmählich aus ihnen entweicht.“ Auch ich will mich ein letztes Mal in seinen unergründlichen, braunen Augen verlieren. Ich liebe ihn so sehr. Mit einem Lächeln verabschiede ich mich von Taichi. „Danke.“ Kapitel 36: ------------ Das Pulsieren in meinem Kopf, der unangenehme Druck auf meiner Kehle, der mir das Schlucken ziemlich erschwert, Schmerzen, zeitweise starke Krämpfe, mein Körper, der weiterhin nach Heroin verlangt… einmal mehr wache ich auf. Einmal mehr werde ich meine Augen öffnen. Einmal mehr ließ Taichi mich am Leben. Oder hielt letztlich doch mein Freier, welchen ich bat nicht einzuschreiten, meinen Freund auf? Was passierte, erscheint mir so absurd, so irreal und doch weiß ich, dass ich weder einer Wahnvorstellung unterliege noch träume. Tai verlor die Kontrolle. Ob er sich dessen bewusst war? Vor einiger Zeit antwortete er mir auf diese Frage, dass seine Handlungen berechnet sind. Seiner Meinung nach verliert er somit nicht die Kontrolle. Wenn ich darüber nachdenke, hat er immer eine Begründung für seine Taten. Ich lasse ihm keine Wahl. Vermutlich wegen meines Verhaltens, meiner Worte, meiner Person an sich. Ich treibe ihn in den Wahnsinn. Immer und immer wieder. Auch an dem Geschehen vorhin trage ich die alleinige Schuld. Taichi hasst meinen Freier, weil er mir Drogen zukommen lässt und mich zur Belohnung auch noch uneingeschränkt ficken darf. Zwar entspricht das in gewisser Weise den Tatsachen, die Wahrheit allerdings würde den Hass meines Freundes zusätzlich anfachen, wodurch er noch unberechenbarer und somit gefährlicher werden würde. Durch ein Geständnis meines Freiers weiß er, dass dieser innigere Gefühle für mich hat, mir kam es jedoch nie so vor, als würde Tai dieses Liebesgeständnis ernst nehmen. In seinen Augen will mein Freier mich lediglich ficken, seine perverse Lust befriedigen. Aber er liegt falsch. Mein Freier ist für mich da. Uneingeschränkt. Er passt auf mich auf, versucht, soweit es ihm möglich ist, mich vor mir selbst zu schützen, gibt mir Halt… lenkt mich ein wenig von meinem Vater… Hiroaki ab. Nur ein einziges Mal verlor er bisher die Beherrschung. Nur ein einziges Mal nahm er mich gegen meinen ausdrücklichen Willen. Und dafür hatte er einen guten Grund. Ich half ihm nicht, seinen Sohn zu schützen. Ich ließ ihn im Stich, da ich ihm meinen Körper verwehrte. Er nahm sich lediglich, was ihm ohnehin zusteht. Und er bereute es. Ein Gefühl, welches Taichi nicht kennt. Tai würde auch nicht verstehen, dass ich mich meinem Freier hingebe, damit der sich nicht an seinem Sohn vergreift. Wahrscheinlich würde Tai ihn nur noch mehr verachten. In unserer Gesellschaft stellt schon allein seine Neigung ein Verbrechen dar. Selbst wenn er Kinder nicht einmal anrührt, wird er trotzdem verurteilt. Ich weiß, wie schlimm es für ihn ist, seinen eigenen Sohn zu lieben, täglich Angst davor zu haben, die Beherrschung zu verlieren. Er legte bereits zwei Mal Hand an den Kleinen, wollte sich selbst anzeigen, doch offenbar konnte ich ihn zur Vernunft bringen. Ein Vater darf sich seinem Sohn nicht wegnehmen. Und er ist ein wirklich lieber Papi, wie ich bei meinen Besuchen oft beobachten durfte. Wenn ich meinen Freier ausreichend befriedigen kann, wird er keinem Kind etwas antun, trotz seiner pädophilen Veranlagung. Ich muss nur gut genug in unserem Rollenspiel sein und ihn ranlassen, wenn er danach verlangt. Tränen brennen in meinen Augen. Ich bin mir sicher, dass er sich tötet, sollte er jemals seinen Sohn oder generell ein Kind vergewaltigen. Sanft tupft jemand mit einem kalten Lappen den Schweiß von meiner Stirn. Ich blinzle diese Person an. „Yamato.“ Mein Freier lächelt. „Wie geht es Ihnen?“, frage ich mit kratziger Stimme. Besorgt fällt mein Blick auf das große Pflaster an seinem Hals. „Es ist meine Schuld. Ich…“ „Nein, ist es nicht. Bei mir ist alles in Ordnung. Viel mehr habe ich Angst um dich, weil dein Fieber nicht unter 39,0°C sinkt. Bitte lass dich von einem Arzt untersuchen. Ich fahre dich.“ „Nein“, antworte ich ruhig, aber bestimmt. Langsam drehe ich meinen Kopf zur anderen Seite und betrachte meinen Freund, der scheinbar schlafend neben mir liegt. „Setzen Sie mir einen Schuss. Sie wissen genau, dass ich Heroin brauche und keinen Arzt.“ Mit meiner Hand, deren leichtes Zittern ich nicht unter Kontrolle bekomme, streiche ich sachte über Tais verbundenen Arm. „Danke, dass Sie sich um ihn gekümmert haben, obwohl er Ihnen…“ „Yamato“, werde ich in ernstem Tonfall von meinem Freier unterbrochen. „Ich weiß, wie schwer und vor allem schmerzhaft ein Heroinentzug ist, aber vielleicht solltest du die Gelegenheit nutzen, um von dem Zeug loszukommen.“ Er seufzt. „Wie ich dich kenne, möchtest du das gar nicht, hab ich recht?“ „Nein. Ich will allerdings auch kein abgewrackter Junkie werden.“ Halt suchend ergreife ich die Hand meines Freundes, ohne meine Augen von ihm abzuwenden. „Helfen Sie mir dabei? Helfen Sie mir die Kontrolle über meinen Konsum zu behalten?“ Für einen Moment schweigt mein Freier. „Ehrlich gesagt kann ich deine Bitte verstehen. Und ich fürchte, mit einer Verweigerung meinerseits kann ich deinen Drogenkonsum nicht verhindern. Du wirst dir anderweitig Stoff beschaffen, der höchstwahrscheinlich eine schlechtere Qualität besitzt und, um diesen zu finanzieren, in die Beschaffungskriminalität abrutschen. Niemand würde mehr Kontrolle auf dich ausüben. Somit unterschreibe ich dein Todesurteil.“ „Sie haben recht und es tut mir wirklich leid, dass ich Sie dermaßen unter Druck setze, Ihnen letztlich die Verantwortung aufbürde.“ „Sieh mich an“, bittet mein Freier liebevoll. Ich wende meinen Blick von Tai ab und betrachte nun den Mann, der mich mit trauriger Miene mustert. „Ich liebe dich, mein Süßer, und habe furchtbare Angst, dich zu verlieren. Eigentlich widerstrebt es mir, gegen deinen Vater oder Taichi zu agieren, aber ich denke, in diesem Fall kann ich die Situation besser einschätzen.“ „Heißt das, Sie nehmen mir die Drogen nicht weg?“, frage ich hoffnungsvoll. „Vorausgesetzt, du hältst dich an deine Versprechen.“ „Ich werde Sie nie wieder hintergehen. Meine Aktion damals war unüberlegt und dumm.“ Erinnerungen an diesen Typen, der mich gefühlte Stunden extrem hart und schmerzhaft mit einer Alkoholflasche penetrierte und dabei kein einziges Wort sagte, lösen Übelkeit in mir aus. „Schon gut. Der Preis dafür war verdammt hoch, zudem hast du das Heroin letztlich nicht konsumiert, sondern Hilfe bei mir gesucht und deinen Vertrauensmissbrauch gestanden. Allerdings werde ich in Zukunft bei einem Fehltritt oder wenn ich das Gefühl habe, deine Sucht gerät außer Kontrolle, Konsequenzen bei der Zuteilung ziehen, verstanden?“ Ich nicke und lächle ihn voller Zuneigung an. „Danke.“ Erschöpft schließe ich kurz meine Augen. Das Fieber schwächt meinen Körper zunehmend. Er schreit förmlich nach Heroin. „Was geschah, nachdem ich das Bewusstsein verlor?“, wechsle ich das Thema und hoffe, mich von dem Gedanken an einen Schuss ablenken zu können. „Ich war kurz davor, entgegen deiner Anweisung, dazwischenzugehen, als Taichi registrierte, dass du dich nicht mehr bewegst, und heftig weinend zusammenbrach. Glücklicherweise passierte nichts Schlimmeres. Ich wollte dich ins Bett bringen, doch er klammerte sich verzweifelt an deinen leblosen Körper. Mit sanfter Gewalt gelang es mir, deinen Freund in den Arm zu nehmen, um ihn zu beruhigen. Wie erwartet wehrte er sich zunächst, nach einer Weile ließ er es aber geschehen. Selten sah ich einen Menschen so aufgelöst, so haltlos und so zerbrechlich. Taichi ist labiler, als es nach außen den Anschein hat. In gewisser Weise seid ihr euch sehr ähnlich, nur dass dein Freund ein überzeugenderer Schauspieler ist oder effektiver verdrängt.“ „Nicht auf Dauer“, flüstere ich, öffne meine Augen wieder und betrachte meinen Freund liebevoll. „Sie haben seine Wunde versorgt, oder?“ „Der Schnitt war tief und blutete stark. Ich wollte Taichi wirklich nicht verletzen, Yamato.“ Mein Freier klingt aufgewühlt. „Hören Sie auf, sich Vorwürfe zu machen. Es war Notwehr. Aber darf ich Sie etwas fragen?“ „Natürlich.“ Ich richte meinen Blick erneut auf ihn. „Sie mögen Tai sehr. Warum?“ Eifersucht schwingt unbeabsichtigt in meiner Frage mit. „Weil er dich liebt.“ Mit seinen Fingern streicht mein Freier sanft über meine Wange, meinen Hals hinab, über das Schlüsselbein, unter mein Oberteil. „Dein Körper ist so warm und du zitterst leicht.“ Er senkt seinen Kopf, seine Lippen sind dicht an meinem Ohr. „In deinem momentanen Zustand wirkst du sehr schutzlos, beinahe wehrlos und kindlich“, raunt er voller Begehren. „Wenn du jetzt allein wärst, würde ich dich ficken.“ „Ficken Sie mich. Im Gegenzug injizieren Sie mir Heroin. Etwas Stoff habe ich noch im Zimmer meines Vaters.“ Lächelnd gibt mir mein Freier einen Kuss auf die Stirn. „Du bist wirklich unglaublich. Eine solche Äußerung von dir zu geben, obwohl dein Freund neben dir liegt und du sogar seine Hand fest in in deiner hältst…“ „Er weiß, dass ich fixe. Jetzt ist ohnehin alles egal.“ Ich lasse Taichis Hand los. Allmählich erlange ich mein Bewusstsein wieder. Ich fühle mich schwach, doch das Fieber scheint zu sinken. Erinnerungen an einen vergessenen Traum lassen ein unangenehmes Gefühl entstehen. Meine Zimmertür wird geöffnet und kurz darauf wieder geschlossen. „Hier, Ihr Kaffee“, höre ich Taichi distanziert sagen. „Danke“, entgegnet mein Freier freundlich. „Setz dich bitte. Ich möchte mit dir ein paar Dinge bezüglich Yamato besprechen.“ „Vielleicht sollten wir ins Wohnzimmer gehen, falls er aufwacht. Ich habe Ihre Unterhaltung mit ihm nämlich mitbekommen und würde dazu gern etwas sagen.“ Tai versucht sachlich zu klingen, unterschwellig glaube ich allerdings nach wie vor Feindseligkeit herauszuhören. Dass er vorhin wach war, überrascht mich nicht. „Meinetwegen können wir hier bleiben.“ Für einen Moment schweigen beide, dann klingt es so, als würde sich mein Freund zu meinem Freier auf das Sofa setzen. „Ich werde Ihnen zuhören, aber erwarten Sie nicht, dass ich meine Meinung über Sie ändere. Sie wollen Yamato in seinem geschwächten Zustand ficken, hätten Sie ihm auch den geforderten Schuss gesetzt, wenn ich nicht anwesend gewesen wäre?“ „Vermutlich ja.“ „Wie können Sie jemandem, den Sie vorgeblich lieben, so etwas antun? Selbst wenn Yamato Sie darum bittet...“ „Taichi, genau da liegt das Problem. Yamato will nicht aufhören. Er will nicht, verstehst du? Unter diesen Umständen bringt es überhaupt nichts, wenn ich ihn zu einem Entzug zwinge. Die bisherigen Bemühungen dahingehend waren schließlich auch erfolglos. Zudem würde ich ihn aufgrund seiner inzwischen fortgeschrittenen Abhängigkeit ohnehin nur unter Aufsicht und medizinischer Betreuung entziehen lassen. Es allein zu versuchen wäre unter Umständen zu gefährlich. Aus den genannten Gründen möchte ich seine Sucht wenigstens so gut es geht unter Kontrolle halten, indem ich weiß, was und wie viel er konsumiert.“ „Soll ich Ihnen dafür dankbar sein?“, giftet Tai meinen Freier an. „Außerdem vergessen Sie einen wichtigen Faktor. Yamato kann man nicht vertrauen. Wenn ihm Ihre Zuteilung nicht reicht, wird er sich ohne zu zögern anderweitig Stoff besorgen.“ „Möglicherweise hast du recht, allerdings halte ich es mittlerweile für eher unwahrscheinlich, nachdem er ziemlich brutal zu spüren bekam, wie erbarmungslos dieses Milieu ist.“ „Was ist vorgefallen?“, will Taichi fordernd wissen. Mein Freier zögert. Vermutlich möchte er mich nicht übergehen, indem er ohne mein Einverständnis antwortet. Ich hoffe, er setzt meinen Freund nicht darüber in Kenntnis, was damals passierte, auch wenn ich befürchte, dass diese Hoffnung vergeblich sein wird. „Yamato erzählte mir von Typen, die er in Shibuya kennenlernte. Um ihn zu ficken, setzten sie ihn unfreiwillig unter Drogen. Deshalb wurde er rückfällig. Es war nicht direkt seine Schuld. Yamato meinte, er kann sich an nichts erinnern, aber es waren offenbar zwei, deren Praktiken ziemlich heftig gewesen sein müssen. Später wandte er sich an einen der Typen, um an Heroin zu gelangen. Die Schuld daran trage ich, da ich seine Dosis reduzierte. Für mein Empfinden konsumierte Yamato zu viel. Als Bezahlung stellte er wie so oft seinen Körper zur Verfügung. Was folgte, muss äußerst schmerzhaft gewesen sein.“ „Dann profitierte er sogar doppelt. Für Drogen und Schmerzen musste er nur einmal die Beine breit machen, womit er sicher kein Problem hatte“, sagt Tai voller Hohn. „Gab Yamato dir gegenüber jemals zu, dass ihm eine Handlung bezüglich seines Körpers wehtat? Ich meine nicht, während etwas mit ihm gemacht wird, sondern danach, mit etwas Abstand zu dem Geschehen.“ Mein Freund scheint zu überlegen. „Ich denke eher nicht.“ „Yamato rief mich an und bat mich um Hilfe. Ich fand ihn mitten in der Nacht, im strömenden Regen, auf der Straße liegend, weinend. Seine Verletzungen, zurückzuführen auf eine starke, anhaltende Penetration mit einer Flasche, waren zwar nur äußerlich, aber nicht unerheblich. Letzlich spritzte Yamato sich das Heroin nicht einmal, sondern händigte es mir freiwillig aus.“ „Woher wollen Sie wissen, dass er Sie nicht wieder hintergeht?“ „Weil er diese Vorfälle ungeschehen machen würde, wenn es möglich wäre. Untypisch für ihn, findest du nicht?“ Taichi sagt nichts. Für einen Moment entsteht eine unangenehme Stille. „Ich verstehe Ihre Argumente“, gibt mein Freund schließlich zu. „Aber ich bin dennoch nicht Ihrer Meinung. Bei dieser Problematik darf es nicht darum gehen, was Yamato will. Und letztlich entscheidet sein Vater, wie es weitergeht, denn er ist immerhin der Erziehungsberechtigte für ihn.“ „In einem halben Jahr ist Yamato allerdings volljährig. Würde sein Vater wirklich so weit gehen und ihn entmündigen lassen?“ „Ja“, antwortet Tai sofort. Er scheint sich diesbezüglich sehr sicher zu sein. Als wir vor einiger Zeit über dieses Thema sprachen, war mein Freier derselben Meinung. Doch sie schätzen meinen Vater falsch ein. Derartige Maßnahmen würde er mir nicht antun. Vor allem dann nicht, wenn ich voller Verzweiflung vor ihm in Tränen ausbreche. Allerdings darf ich Taichis Einfluss auf meinen Vater nicht unterschätzen. „Vielleicht sollte ich einmal mit Yamatos Vater sprechen, möglicherweise…“ „Davon würde ich Ihnen abraten“, unterbricht mein Freund meinen Freier schroff. „Sie können froh sein, wenn er Sie nicht anzeigt. Vielleicht erreicht sein Vater nichts bei dem Vorwurf einer Sexualstraftat, aber wegen Drogenbesitzes und Drogenhandels können Sie auf jeden Fall verurteilt werden. Und jetzt bitte ich Sie, zu gehen, bevor meine Hassgefühle für Sie wieder überhandnehmen und ich Sie doch noch töte, weil Sie, abgesehen von dem Gefügigmachen durch Rauschmittel, ohne Gewissen oder Reue Ihren Schwanz in meinen Freund stecken.“ Gedankenversunken starre ich zur Decke. Erst als meine Zimmertür geöffnet wird, finde ich in die Realität zurück. Taichi setzt sich auf die Bettkante und hält mir eine Schüssel sowie einen Löffel entgegen. „Ich habe dir Reisbrei gekocht, in der Hoffnung, dass du ihn nicht wieder erbrichst. Denn irgendetwas musst du essen, um zu Kräften zu kommen.“ „Deine Aussage klingt, als wärst du der Meinung, ich kotze willentlich.“ „Ist es denn so?“, hinterfragt mein Freund unbedarft, doch an seinem Blick erkenne ich, dass ein Abstreiten meinerseits sinnlos wäre. Denkt er tatsächlich, ich habe eine Essstörung? Anstatt seine ohnehin rhetorisch gemeinte Frage zu beantworten, schiebe ich mir einen Löffel Reisbrei in den Mund und kaue überflüssigerweise einige Male auf der Masse herum, bevor ich sie herunterschlucke und die Prozedur schweigend, ohne Tai anzusehen, wiederhole. „Wie fühlst du dich? Das Fieber scheint langsam zu sinken.“ „Ja. Vorhin zeigte das Thermometer nur noch 38,2°C an. Den schlimmsten Teil des Entzuges habe ich vermutlich überstanden. Ich hoffe, dass mein Körper sich nun auch von den Krankheitssymptomen erholt.“ „Wirst du versuchen clean zu bleiben? Vergiss nicht, wie schlecht es dir ging. Lass deine Qualen nicht umsonst gewesen sein.“ Er hat recht, der unfreiwillige Entzug war alles andere als angenehm. Dennoch kann ich nicht auf Drogen verzichten. Mein Freier schätzt mich dahingehend richtig ein, ich will nicht aufhören. Ich brauche diese Möglichkeit der Realitätsflucht, da sie am effektivsten ist. Und wieder einmal muss ich Taichi und meinen Vater anlügen. Wie oft war ich schon an diesem Punkt? „Ich versuche es. Für dich. Für meinen Vater. Nicht für mich.“ Meine Worte spreche ich bewusst mit Nachdruck, um sie glaubhafter erscheinen zu lassen. Anhand seines Gesichtsausdrucks erkenne ich allerdings, dass Tai meine Ehrlichkeit bezweifelt. Dennoch nimmt er die Lüge unkommentiert hin. „Du wirst den Kontakt zu ihm abbrechen“, verlangt mein Freund bestimmt. „Was?“ Irritiert wegen dieser plötzlichen Forderung lasse ich die Hand, in der ich den Löffel halte, sinken. „Ich verbiete dir, weiterhin mit diesem abartigen Lehrer zu verkehren.“ „Es tut mir leid, aber das geht nicht. Ich darf ihn nicht alleinlassen. Er...“ Ohne etwas dagegen tun zu können, laufen Tränen über meine Wangen. „Taichi...“ „Was bindet dich an diesen Mann? Sind deine Gefühle für ihn so stark?“ In den Augen meines Freundes sehe ich Unverständnis, aber auch Angst und Schmerz. „Liebst du ihn?“ „Was?“, hauche ich. „Nein. Wie...“ „Er fickt dich. Bei Aktito war es doch nicht anders, oder?“ „Du irrst dich. Sex ist wichtig für mich, aber er bestimmt nicht über meine Gefühle. In Akito verliebte ich mich, weil...“ Traurig senke ich meinen Kopf und betrachte die bereits zur Hälfte geleerte Schüssel in meiner Hand. „Weil?“, hakt Tai nach. „Weil er mein Denken und Handeln versteht“, beende ich leise den angefangenen Satz. „Dieser Lehrer versteht dich demnach nicht? Warum...“ „Doch, aber andere Problematiken betreffend. Ich kann dir nicht erklären, warum sich meine Gefühle für ihn nicht zu Liebe entwickeln. Trotzdem ist er mir sehr wichtig und ich möchte ihn nicht verlieren.“ „Würdest du weiterhin an ihm festhalten, wenn du mich dadurch verlierst?“ Voller Entsetzen mustere ich das Gesicht meines Freundes. Der sieht mich ernst an. „Stellst du mich vor die Entscheidung?“, frage ich ungläubig. „Du lässt mir leider keine Wahl, Yamato“, entgegnet Taichi ohne Bedauern in der Stimme. Ich seufze und versuche mir meine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. „Was ist? Fällt es dir so schwer…“ „Verdammt, Taichi! So einfach ist das nicht! Ich habe ihn sehr lieb, ich brauche ihn. Und ich will ihm helfen.“ Den letzten Satz laut auszusprechen war ein dummer Fehler und ich verachte mich dafür. Mein Freund darf nicht erfahren, dass er mit dem Vorwurf der Pädophilie tatsächlich recht hat. Für den Drang meines Freiers, mit seinen Schülern, aber vor allem mit seinem Sohn zu schlafen, hätte Tai mit Sicherheit kein Verständnis. Diese Intoleranz seinerseits kann ich mir nur erklären, weil er selbst noch ein Kind war, als er das erste Mal gefickt wurde. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, dass sein Vergewaltiger ebenfalls minderjährig und nicht erwachsen war. „Helfen seinen Druck abzubauen, indem du ihm hörig bist, seinen Schwanz lutscht und er dich uneingschränkt vögeln darf?“, bemerkt Taichi verächtlich. Ich schweige. Zum Teil stimmen seine Aussagen. In den meisten Fällen schlafe ich wirklich gern mit meinem Freier, aber ich brauche ihn auch, um mich von meinem Vater abzulenken, ebenso wie er sich von seinem Sohn ablenken muss. „Verstehe, dieser Kinderficker ist dir mittlerweile wichtiger als ich“, fügt er unzufrieden an. „Nenn ihn nicht immer so! Er… scheiße!“ Genervt wische ich mir die leidigen Tränen von der Haut. „Du vertraust ihm mehr als mir. Er weiß von Vorfällen, die du mir verschweigst. Dadurch gibst du ihm die Möglichkeit, für dich da zu sein, welche du mir verwehrst.“ „Bei jenen Vorfällen, auf die du ansprichst, ging es um Heroin. Das Wissen um meinen Konsum hätte dich sofort veranlasst meinen Vater zu informieren, hab ich nicht recht?“ „Weil ich Angst um dich habe! Ich will nicht, dass du an diesem Scheißzeug verreckst! Ich will dich nicht irgendwann mit einer Nadel im Arm und einer Überdosis in deinen Venen finden.“ Nun schimmern auch in den Augen meines Freundes Tränen. „Und weil du alles für Hiroaki tun würdest“, ergänze ich seine Aussage ungerührt. „Was? Das ist nicht dein Ernst!“ Taichi sieht mich ungläubig an. „Ihr habt regelmäßig Kontakt, oder? Täglich?“, mutmaße ich weiter, den Einwand übergehend. „Ja, aber in den Gesprächen geht es überwiegend um dich, Idiot! Hiroaki macht sich wahnsinnige Sorgen. Er hasst sich dafür, dich allein lassen zu müssen und dir nicht helfen zu können.“ „Überwiegend?“ Ich lächle verzerrt. „Mein Vater wird sich an seine Machtlosigkeit gewöhnen müssen. In einem halben Jahr bin ich volljährig.“ Wütend schlägt Tai mir derb mit der flachen Hand ins Gesicht. „Du arroganter Scheißkerl! Nie denkst du an Andere, für dich ist nur wichtig, dass du bekommst, was du willst. Sonst interessiert dich nichts und niemand. Ich dachte, du liebst deinen Vater, wie kannst du dann so gleichgültig sein? Oder haben die Drogen deine Gefühle schon so weit abgetötet, dass dir inzwischen alles egal ist? Zählt für dich nur noch der nächste Schuss, um dich von der verhassten Realität zu erlösen? Verdammt, Yamato, ich gehöre ebenfalls zu dieser Realität! Willst du auch vor mir fliehen?“ Stumm weinend esse ich den Rest des Reisbreis. Ich möchte Taichi antworten, ihn beruhigen, in den Arm nehmen und all seine Annahmen dementieren, doch ich bringe kein Wort hervor. Mit Tränen in den Augen wendet mein Freund sich resigniert von mir ab und verlässt das Zimmer. Kurz darauf höre ich die Wohnungstür ins Schloss fallen. Der Signalton des Thermometers ertönt. Ich werfe einen Blick auf das Display und stelle teilnahmslos fest, dass mein Fieber weiter auf 38°C gesunken ist. Müde lasse ich meinen Arm sinken, atme tief ein. Taichi ist nicht zurückgekommen. Naiverweise hoffte ich, er würde nur etwas frische Luft brauchen, um sich zu beruhigen, doch seit er die Wohnung verließ, sind über vier Stunden vergangen. Niemals hätte das Gespräch so verlaufen dürfen. Tai war viel zu aufgelöst, als er ging. Warum war ich nicht in der Lage, ihm meine Gefühle mitzuteilen? Warum brachte ich kein einziges Wort hervor? Auf jeden Fall werde ich auf die Forderung meines Freundes eingehen müssen, wenn ich ihn nicht verlieren will. Zumindest vorgeblich. Ich muss nur mit genügend Umsicht und Bedacht vorgehen, dann kann alles gut werden. Ich darf nur keinen Fehler machen. Mein Körper verkrampft aufgrund meiner inneren Anspannung, Übelkeit kriecht meine Kehle empor, Panik hat mich fest im Griff. Die gesamte Situation macht mich wahnsinnig. Taichis Abwesenheit macht mich wahnsinnig. Unsicher stehe ich auf und gehe auf wackeligen Beinen in das Zimmer meines Vaters. Noch immer fühle ich mich sehr schwach. Gleich allerdings wird es mir besser gehen. Gleich werde ich sanft von Leichtigkeit umhüllt sein. Gleich. Endlich. Ich öffne meine Augen. Verwirrt schweift mein Blick durch den Raum und ich versuche mich zu erinnern, was geschah, nachdem ich mir das Heroin in die Vene spritzte. Legte ich mich im Rausch in das Bett meines Vaters? Verstört suche ich mit meinen Augen den Boden ab. Mein Spritzbesteck ist nirgends zu sehen. Angst erfasst mich bei dem Gedanken, Taichi könnte zurückgekommen sein und mich zugedröhnt vorgefunden haben. Es war dumm von mir, derart unvorsichtig vorzugehen. In keiner Sekunde dachte ich an mögliche Konsequenzen, einzig das Verlangen nach einem Schuss bestimmte mein Handeln. Verlor ich tatsächlich meine Kontrolle an die Droge? Erschreckt zucke ich zusammen, als unerwartet die Zimmertür geöffnet wird. „Papa?“ Meinen Vater zu sehen, hatte ich nicht erwartet. Der Zeitpunkt könnte schlechter nicht sein, vor allem da er mich offenbar beim Fixen erwischte. Seine Miene ist ernst, als er mir derb mit der Rückhand ins Gesicht schlägt. „Was willst du noch alles tun, um deinen frühzeitigen Tod herbeizuführen? Es reicht, Yamato! Diesmal trägst du die Konsequenzen.“ „Wie meinst du das?“, frage ich mit Unbehagen, während ich leicht über meine Wange streiche. „Ich weise dich in die Klinik ein.“ „Nein, Papa“, hauche ich und bin wie paralysiert. „Bitte tu mir das nicht an!“ „Du musst vor dir selbst geschützt werden. Und es ist keine leere Drohung. Von Deutschland aus klärte ich bereits die Formalitäten. Übermorgen bringe ich dich in die Klinik, in der du einen professionellen Entzug mit anschließender Langzeittherapie machen wirst. Bei der Nennung deiner Problematiken wies ich deutlich auf dein gestörtes Essverhalten hin. Dies trat aufgrund anderer Symptome immer wieder in den Hintergrund, obwohl es auf Dauer eine große Gefahr für dein Leben darstellt. Vermutlich bist du bereits bedenklich stark untergewichtig, weshalb ich endlich konsequent reagieren muss.“ „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich keine Essstörung habe?“ „Diesbezüglich diskutiere ich nicht mehr mit dir. Im Übrigen gab ich die Anordnung, dass dich niemand außer deiner Mutter, Takeru, Taichi und mir besuchen darf. Ab sofort unterbinde ich jeden Kontakt zu diesem Lehrer, du siehst ihn nicht wieder. Hast du verstanden, Yamato?“ Fassungslos starre ich meinen Vater an. „Das ist nicht dein Ernst!“, schreie ich aufgebracht. „Du hast keine Ahnung, was du damit anrichtest!“ Heftig beginne ich zu weinen, zittere am ganzen Körper. „Mit deinen manipulativen Tränen stimmst du mich nicht um. Also spar dir dein Schauspiel.“ Der Tonfall meines Vaters ist ungewohnt autoritär und emotionslos. „Fick dich!“, zische ich ungehalten, während ich viel zu schnell vom Bett aufstehe. Sofort sackt mein Kreislauf ab, mir wird schwarz vor Augen und ich taumle zurück auf die Matratze. Sorgenvoll berührt mein Gegenüber meine Wange. „Du hast noch Fieber, oder?“ „Was geht es dich an? Und nimm deine Finger von mir!“, entgegne ich feindselig. „Nicht in diesem Ton, Yamato!“, weist mein Vater mich streng zurecht. „Wieso nicht? Immerhin willst du mich loswerden, indem du mich wegsperrst.“ „Das ist nicht wahr. Ich liebe dich und habe einfach nur Angst…“ „Ach ja? Dann beweise es. Nimm mich. Jetzt.“ Bestürzung bezüglich dieser Forderung zeichnet das Gesicht meines Vaters. „Lügner.“ Ohne ihn weiter zu beachten, gehe ich an ihm vorbei und verlasse sein Zimmer. Grob werde ich im Flur von ihm am Oberarm zurückgehalten. „Wohin willst du?“, fragt mein Vater mit Nachdruck. „Weg“, antworte ich genervt und versuche mich aus seinem Griff zu befreien. „Du bleibst hier!“ Bestimmt zieht er meinen noch etwas kraftlosen Körper in eine Umarmung und hält ihn fest, um meine Gegenwehr zu unterbinden. „Lass mich los, du tust mir weh!“, brülle ich wütend. „Nein. Und bis zu deinem Therapiebeginn bleibst du unter meiner Aufsicht. Das bedeutet, du verlässt diese Wohnung nur in meiner Begleitung.“ „Verdammt… du machst alles kaputt!“, schluchze ich verzweifelt. „Es ist deine Schuld, wenn etwas passiert!“ „Yamato, was…“, beginnt mein Vater seine Frage hörbar irritiert, doch ich unterbreche ihn unwirsch. „Ich hasse dich, Hiroaki! Ich hasse dich!“ Als Reaktion auf meine Worte drückt er mich stärker an sich. „Bitte verzeih mir. Ich liebe dich, mein Sohn“, flüstert er mit vibrierender Stimme in mein Ohr. Er weint. „Papa…“ Alles tut weh, mein Körper verkrampft und ich sacke in mich zusammen. Mit Mühe gelingt es meinem Vater, mich halbwegs aufrecht zu halten. Schmerzhaft dringt die ganze unterdrückte Zuneigung für ihn an die Oberfläche. Nun bestimmen meine Gefühle mein Handeln. Solange ich diese nicht verliere, bin ich in der Lage, den Drogen entgegenzuwirken, meine Sucht zu kontrollieren. Ich möchte die Zärtlichkeit meines Vaters erwidern, aber wie schon zuvor bei Taichi schaffe ich es nicht, meine Blockade zu überwinden. Stattdessen verharre ich reglos in seiner Umarmung. „Ich gehorche“, lenke ich schließlich mit belegter Stimme und kaum hörbar ein. Meinen Freier allerdings lasse ich nicht allein. Irgendwie muss ich Kontakt zu ihm aufnehmen, ihm die plötzlich veränderte Situation erklären, damit er nicht hierherkommt und meinem Vater begegnet. Eine solche Auseinandersetzung möchte ich meinem Freier ersparen. Die Freundschaft zu diesem Mann ist mir jedoch wichtig, weshalb ich sie entgegen der Forderungen nicht aufgeben werde. Warum scheinen immer nur Lügen der einzige Weg zu sein, die Menschen, die ich liebe, glücklich zu machen? „Du wusstest es, hab ich recht?“, frage ich unterkühlt, während ich mit einer Zigarette am Fenster stehe und von meinem Freund abgewandt nach draußen schaue. „Ja“, antwortet dieser ehrlich. Sein Tonfall lässt keinerlei Reue erkennen. „Du wusstest auch, dass er mich einweist, sobald er zurück ist“, mutmaße ich nüchtern weiter. „Ja.“ „Hast du ihm den sofortigen Kontaktabbruch zu meinem Freier eingeredet? Ebenso seine Unnachbiebigkeit und Kälte mir gegenüber?“ „Ja“, begegnet mir Taichi wiederholt einsilbig. „Kannst du auch noch etwas anderes sagen?“, reagiere ich genervt und nehme einen tiefen Zug von meiner Zigarette. „Was willst du von mir hören? Eine Entschuldigung? Die wirst du nicht bekommen. Ich habe richtig gehandelt.“ „Mit diesem Argument rechtfertigst du alles“, werfe ich Tai bissig vor. Noch immer schaue ich ihn nicht an. Mein Blick ist starr aus dem Fenster ins Nichts gerichtet. Ich bin nicht wütend, nicht enttäuscht. Nicht mehr. Meine Gefühle sind taub. Wahrscheinlich, weil ich mich mit meiner erzwungenen Zukunft abgefunden habe. „Dabei gingst du einige Male deutlich zu weit.“ „Wann?“, fragt mein Freund hörbar überrascht. Mit einem Lächeln auf den Lippen schüttle ich ungläubig meinen Kopf. „Beantworte mir eine Frage. Warum musste es damals ausgerechnet meine Kleiderstange sein? Mit jedem Öffnen meines Schrankes werde ich an diese erniedrigende Pein erinnert.“ „Genau das wollte ich erreichen. Du wirst nicht vergessen. Dafür sorge ich, selbst wenn ich noch weiter gehen muss. In dem Zusammenhang fällt mir ein, dass ich einen deiner Fehltritte noch ungeahntet ließ. Was machten diese Typen in Shibuya mit dir? Dein Freier meinte, du wurdest unter Anderem mit einer Flasche penetriert. Mit welcher Seite und wie tief wurde sie in deinen süßen Arsch gerammt?“ „Du bist krank, Taichi“, bemerke ich beiläufig, während ich den Zigarettenfilter aus meiner Hand gleiten lasse und seinen Sturz in die Tiefe beobachte. „Darauf stehst du doch.“ Mein Freund lacht abfällig. Ich schweige und zünde mir erneut eine Zigarette an. Als mein Vater mich zugedröhnt in seinem Zimmer entdeckte, konfiszierte er mein letztes Heroin, dann durchsuchte er so gründlich wie möglich die Wohnung und beschlagnahmte zudem das GHB sowie sämtliche Schmerz- und Schlafmittel, die er fand. Nur die Droge Nikotin gesteht er mir seltsamerweise immer wieder zu, obwohl sie nicht minder gefährlich ist. „Bist du froh, dass ich schon morgen in die Klinik muss?“, wechsle ich bewusst das Thema. „Immerhin hat mein Vater noch fast drei Wochen Urlaub, die ihr ungestört zusammen verbringen könnt.“ „Du hast recht. Wir werden die Zeit nutzen, um ausgiebig zu ficken. Hiroaki wird es mir so ausdauernd und hart besorgen…“ „Sei still!“, unterbreche ich Tai ungehalten. Ich ertrage seine Worte und die dadurch entstehenden Bilder in meinem Kopf nicht. „Aber genau das willst du doch hören. Eine Bestätigung deiner absurden Ängste.“ Fahrig ziehe ich an meiner Zigarette. „Dann hast du während meines letzten Klinikaufenthalts nicht die Beine für meinen Vater breit gemacht?“, frage ich so ruhig wie möglich, aber mit Sarkasmus in der Stimme. Wider Erwarten entgegnet mein Freund nichts. Stattdessen erhebt er sich von meinem Bett, kommt auf mich zu und nimmt mir die Zigarette, die ich abermalig zu meinem Mund führen möchte, aus der Hand. Noch bevor ich protestieren kann, wirft er sie aus dem Fenster und versiegelt meine Lippen mit einem fordernden Kuss. Ich wehre mich nicht, lasse mich jedoch ebenso wenig auf ihn ein. „Küss mich, Yamato“, befiehlt Tai sanft. Bereitwillig gebe ich mich nun diesem an Leidenschaft intensiver werdenen Zungenspiel hin, drücke meinen Gegenüber dabei bestimmt nach hinten, sodass er unter mir auf dem Boden zum Liegen kommt. „Ich habe Angst, Taichi“, flüstere ich zurückhaltend in sein Ohr. „Vor dem Klinikaufenthalt?“ „Nein.“ Mit ernster Miene betrachte ich das schöne Gesicht meines Freundes, seine braunen Augen, die mich ebenfalls fixieren, scheinen tief in mich einzudringen. „Ich habe um dich Angst. Dass du wieder abstürzt, zum Alkohol greifst und…“ „Shh. Die Ausgangssituation ist anders als damals. Inzwischen bin ich seit über einem halben Jahr trocken. Und was Frauen anbelangt…“ Zärtlich streicht Taichi über meine Wange. „Ich will etwas völlig anderes.“ Er richtet sich etwas auf und haucht mir einen Kuss auf die Lippen, wobei er mich immer weiter zurückdrängt, bis ich mit angewinkelten Beinen auf seinem Schoß sitze. Halt suchend schlinge ich meine Arme um ihn, werde mit meiner Zunge fordernder. Knopf für Knopf öffnet Tai, ohne sich von mir zu lösen, mein Hemd und streift es von meinen Schultern. Ich schließe meine Augen, lege meinen Kopf in den Nacken und gebe mich den Berührungen meines Freundes bedingungslos hin. Vergeblich versuche ich meine Atmung ruhig zu halten. Durch leichten Druck auf meinen Oberkörper bedeutet Taichi mir, mich nach hinten sinken zu lassen, sodass ich mit gespreizten Beinen unter ihm liege. Mein Herz schlägt schnell und ich bin ungewohnt nervös. „Ich liebe es, in dein erregtes Gesicht zu sehen.“ Er streckt meinen rechten Arm und gleitet leicht mit den Fingerspitzen darüber. An der Beuge hält er inne und streicht vorsichtig über die Vernarbungen. Wider Erwarten sagt er nichts, sondern schenkt mir nur ein trauriges Lächeln. „Schlaf mit mir“, flüstere ich voller Sehnsucht. „Ohne Gewalt.“ Als Antwort entledigt mich Tai meiner Hose, dann zieht auch er sich aus. Sachte drückt er meine Beine weiter auseinander, beugt sich über meinen vor Aufregung bebenden Körper und küsst mich erneut. Sehr behutsam dringt er in mich ein und findet schnell seinen Rhythmus. Ohne Probleme passe ich mich den Bewegungen meines Freundes an. „Taichi“, stöhne ich lustvoll. Beschämt über den Klang meiner Stimme drehe ich meinen Kopf zur Seite. „Sieh mich an“, keucht mein Freund. Trotz meiner Verlegenheit schaue ich ihm in die Augen. Darin erkenne ich Zuneigung, aber auch kompromissloses Begehren. Seine Stöße werden härter. Ich bäume mich leicht auf, beiße mir verkrampft auf die Lippen. „Nicht, Yamato. Ich möchte dich hören.“ „Taichi, bitte…“ Die Bewegungen meines Freundes werden intensiver, sodass meine Worte in lauter werdendes Stöhnen übergehen. Schweiß bedeckt unsere Körper. Liebevoll streichelt er mir durch das feuchte Haar und verhakt anschließend unsere Finger. „Darf ich…“ „Ja. Bleib in mir, wenn du kommst.“ Ich schließe meine Augen und lasse mich von der anhaltenden Penetration in die Ekstase treiben. Erschöpft sinkt Taichi mit der Stirn auf meinen sich schnell hebenden und senkenden Brustkorb, verharrt einen Moment atemlos und legt sich dann neben mich auf den Boden, ohne meine Hand loszulassen. Eine Weile schweigen wir. Noch immer bebt mein gesamter Körper durch die freigesetzten Endorphine. Erneut stelle ich fest, dass Tai mich glücklicher macht, als Drogen es jemals könnten. Ich liebe ihn so sehr. Tränen laufen über meine Wangen. Schnell drehe ich mich zur Seite, um sie vor meinem Freund zu verbergen. „Yama…“, beginnt der irritiert. „Er… hielt… sie am Flaschenhals fest. Wie tief er sie in mich schob, weiß ich nicht. Aber es fühlte sich an, als wäre sie vollständig…“ Meine Stimme zittert hörbar. „Ich war nicht einmal drauf, bekam also die ganze Brutalität zu spüren, mit der er entgegen des Widerstandes die Flasche immer tiefer in mich…“ Schützend zieht mich Taichi in seine Arme. „Tai…“ Ich beginne heftig zu weinen. „Überdecke diesen Schmerz mit deinem. Damit ich das endlich vergessen kann. Ich flehe dich an!“ „Du weißt, dass ich dir diesen Wunsch ohnehin erfüllen werde“, raunt mein Freund. Lächelnd schmiege ich mich an ihn. Schweigend stehe ich im Türrahmen zum Wohnzimmer und betrachte meinen Vater, der mit dem Rücken zu mir gewandt auf dem Sofa sitzt und seine Aufmerksamkeit scheinbar dem Fernsehprogramm schenkt. Schmerzliche Zuneigung überkommt mich und beschleunigt meinen Herzschlag. „Papa“, flüstere ich. Offenbar zu laut, denn dieser dreht sich zu mir um. „Yamato.“ Sein Blick ist fragend. „Kannst du nicht schlafen?“ „Nein.“ „Setz dich zu mir“, fordert er mich mit einer entsprechenden Geste auf. Unsicher nehme ich neben meinem Vater Platz. Auf dem Tisch stehen eine angefangene Flasche Whiskey sowie ein fast geleertes Glas, daneben ein überquellender Aschenbecher. Das Verbot, in der Wohnung zu rauchen, ist damit wahrscheinlich hinfällig. „Du trinkst und rauchst zu viel“, bemerke ich aufrichtig besorgt. „Yamato.“ Mein Vater schaut starr auf den Bildschirm. „Es ist meine Schuld, dass du von Heroin abhängig bist, nicht wahr? Ich hätte dich niemals allein lassen dürfen. Bitte verzeih mir.“ Die Resignation in seiner Stimme erschreckt mich. Er beugt sich vor, füllt sein Glas auf, nur, um es sofort wieder zu leeren. Ich muss an Taichi denken. Das Bild, welches sich mir gerade bietet, macht mir Angst. Noch einmal einen geliebten Menschen an den Alkohol zu verlieren, würde ich nicht verkraften. Noch einmal hilflos zuschauen zu müssen, wie diese von der Gesellschaft verharmloste und akzeptierte Droge alles zerstört, weil ich ihrer Macht nichts entgegenzusetzen habe. Tränen füllen meine Augen. „Papa“, hauche ich nahezu stimmlos. „Ich bitte dich nichts mehr zu trinken. Es ist nicht deine Schuld, denn du hast mir das Heroin nicht in die Venen gespritzt.“ Meine Bitte ignorierend leert er ein weiteres Glas Whiskey. „Seit wann konsumierst du es schon?“ Ich überlege kurz. „Damals passierte so viel, womit ich nicht umgehen konnte. Taichi hatte die Beziehung zu mir beendet, machte einen Entzug in der Klinik. Akito… beging… Selbstmord.“ Noch immer fällt es mir schwer, diese Tatsache laut auszusprechen. „Meine Gefühle für dich verwirrten mich zusätzlich. Doch mein Verlangen wurde zu groß. Ich setzte dich unter Drogen. Wir hatten das erste Mal Sex. In dieser Zeit bekam ich die Möglichkeit, Heroin zu probieren, und war sehr dankbar dafür“, antworte ich ehrlich. Schweigend gießt mein Vater etwas von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit aus der mittlerweile nur noch zur Hälfte gefüllten Flasche in sein Glas. „Hat dir dieser Lehrer den ersten Schuss gesetzt?“ Den Blick unverändert auf den flimmernden Bildschirm gerichtet, trinkt er einen Schluck. Ich lege meine Hand mit leichtem Druck auf seinen Unterarm, als er das Glas erneut an seine Lippen führen möchte. „Sieh mich bitte an“, flehe ich mit brüchiger Stimme. Anhand seiner Augen erkenne ich bereits den erhöhten Alkoholkonsum. „Nein, von ihm bekam ich kein Heroin“, lüge ich, um meinen Freier zu schützen. „Allgemein ist meine Drogensucht nicht seine Schuld. Bevor ich ihn kennenlernte, setzten mich die Freier oft, auch ohne mein Wissen oder gegen meinen Willen, unter Drogen. Meist wusste ich nicht einmal, womit sie mich zudröhnten. Er jedoch will nur, dass es mir gut geht. Er passt auf mich auf, hilft mir, ist einfach für mich d…“ „Hör auf, Yamato!“, fällt mein Vater mir gereizt ins Wort. „Dieser Mann nutzt lediglich deine Naivität aus, damit du die Beine für ihn breit machst.“ „Er liebt mich.“ „Und du glaubst ihm?“ „Ja, denn so fühlt es sich auch an. Zudem vertraue ich ihm. Bedingungslos.“ Mein Vater schiebt meine Hand von seinem Unterarm und trinkt den Rest des Alkohols. Es ist unerträglich, ihm dabei zusehen zu müssen. Resigniert richte ich meinen Blick auf den Fernseher, meine Sicht ist jedoch verschwommen, sodass ich nichts erkenne. „Taichi meinte, du würdest ihn unter Umständen anzeigen. Ich liebe dich, aber in dem Fall dementiere ich vor Gericht jede deiner Aussagen, die ihm schaden könnte.“ „Was macht dieser Mann mit dir, damit du ihm derart hörig bist?“ „Er ist für mich da. Immer. Ausnahmslos.“ „Yamato…“ „Nein, schon gut. Das sollte kein Vorwurf sein.“ Eine Weile sitzen wir schweigend nebeneinander. Inzwischen ist der Inhalt der Whiskeyflasche auf ein Drittel geschrumpft. „Eine zeitlang versuchte ich meine Gefühle für dich abzutöten, indem ich den Kontakt zu dir mied und mich mit der Vorstellung an dich von ihm, aber auch anderen Freiern vögeln ließ. Vergeblich. Ich liebe dich noch immer. Und nach wie vor verspüre ich das Verlangen, mit dir zu schlafen.“ Mit leicht zitternder Hand lange ich nach der Zigarettenschachtel und dem Feuerzeug, welche auf dem Tisch liegen, und entzünde eine Zigarette. Tief ziehe ich den Rauch in meine Lungen. „Aber ich werde dich durch mein Verhalten nicht mehr indirekt dazu zwingen, meinem Begehren nachzugeben. Verzeih, dass ich bisher so egoistisch war. Du wirst meine Gefühle nie erwidern, schon allein, weil ich dein Sohn bin. Eher verliebst du dich in Taichi, falls es nicht schon geschehen ist.“ „Yamato…“ „Nein, bitte“, gebiete ich meinem Vater Einhalt. „Sag nichts.“ Ich seufze. „Weißt du, einige Ereignisse der letzten Zeit ließen mich nachdenklich werden. So wie bisher kann es nicht weitergehen, das habe ich nun endlich begriffen. Ich werde die Möglichkeit des erneuten Klinikaufenthalts nutzen, um ernsthaft von den Drogen runterzukommen. Auch akzeptiere ich die Therapiemaßnahmen bezüglich meines gestörten Essverhaltens und lasse mich gefügig darauf ein. Dieses Mal halte ich bis zum Ende durch und breche nicht vorzeitig ab, versprochen.“ „Es wäre schön, wenn diese Ansichten und dein Wille zu kämpfen von Dauer wären“, wendet mein Vater skeptisch ein. „Erfahrungsgemäß wirst du allerdings bald in den zerstörerischen Kreislauf zurückfallen. Trotzdem wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass du es schaffst, ihn zu durchbrechen. Damit du nicht nur überlebst, sondern leben kannst.“ Aus glasigen Augen sieht er mich traurig an. „Die Hoffnung diesbezüglich gebe ich jedoch allmählich auf.“ „Das heißt, du gibst mich ebenfalls auf“, stelle ich bitter fest. Mein Vater sagt nichts, aber für mich ist das Antwort genug. „Ich verstehe.“ Seine Aussage nimmt mir den Halt, welchen ich bisher immer bei ihm fand. Es tut weh und doch verstehe ich seine Empfindungen. Letztlich war es ohnehin nur eine Frage der Zeit, bis etwas Derartiges passiert. Ich werde beweisen müssen, dass es keine leeren Worte sind. Ein letztes Mal ziehe ich an meiner Zigarette, dann drücke ich sie im Aschenbecher aus. „Fährst du mich nachher zur Klinik?“, frage ich mit einem Lächeln, um meine aufkommende Nervosität zu überspielen. „Natürlich.“ „Dann solltest du jetzt aufhören zu trinken. Ich mache uns Kaffee, okay?“ „Wäre es nicht besser, wenn du versuchst noch etwas zu schlafen?“ „Vielleicht, aber ich muss ohnehin noch ein paar Sachen zusammenpacken. Außerdem…“ Ich verstumme. „Außerdem?“, hakt mein Vater nach. Meinen Blick senkend kralle ich meine Finger in das Sitzpolster des Sofas. „Du warst so lange weg. Nun bist du hier… bei mir… und ich…“, versuche ich mich stockend und mit leiser, brüchiger Stimme zu erklären. „Mir bleiben lediglich wenige Stunden, um in deiner Nähe sein zu können.“ Tränen tropfen auf meine Oberschenkel. „Ich vermisse dich so.“ Unerwartet zieht mein Vater meinen bebenden Körper in eine innige Umarmung. Voller Sehnsucht presse ich mich dicht an ihn, nehme seinen starken Alkoholgeruch noch deutlicher wahr. Taichi und mein Vater sind sich in vielen Belangen unglaublich ähnlich. Womöglich stimmt es doch, dass ich aufgrund der Trennung von Tai damals Gefühle für meinen Vater entwickelte, welche sich dann allerdings verselbstständigten und in Liebe wandelten. „Bezüglich der Klinik verlierst du keine Zeit, weil dir bewusst ist, dass ich bald volljährig bin und du dann nicht mehr berechtigt bist, Entscheidungen für mich zu treffen. Es würde schwieriger werden, mich einzusperren, nicht wahr? Und eine Entmündigung lässt sich nicht sofort erwirken.“ „Mir ist am wichtigsten, dass du schnell Hilfe bekommst. Der Umgang mit einem Drogenabhängigen übersteigt meine Kompetenzen bei Weitem, vor allem, da es sich mittlerweile sogar um Heroin handelt.“ Behutsam drückt mein Vater mich etwas von sich, nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und drückt sanft einen Kuss auf meine Stirn. „Ich liebe dich, mein Sohn. Für dich mag es egoistisch sein, aber ich werde alles tun, um dich am Leben zu halten. Dich zu verlieren, würde ich nicht ertragen.“ Ich betrachte meinen Vater mit schmerzlichem Verlangen. Ihn nie wieder spüren zu dürfen, ist für mich unvorstellbar und doch grausame Realität. Meine leicht zitternde Hand berührt sinnlich seine Lippen. „Ich liebe dich auch. So sehr“, hauche ich schwermütig. „Ehrlich gesagt erleichtert es mich inzwischen, dass mein Heroinkonsum kein Geheimnis mehr ist. Ich hasse es, zu lügen, und bin auch nicht besonders gut darin. Zudem war es schrecklich, dich und Taichi immer wieder auf Abstand halten zu müssen, damit ihr keinen Verdacht schöpft. Endlich ist das vorbei.“ Mein Gegenüber mustert mich traurig. Scheinbar wirkt mein Lächeln verkrampft, obwohl meine Gefühle aufrichtig sind. Ich beuge mich ein wenig vor und küsse, entgegen meines selbst auferlegten Verbotes, seine Lippen. Der vertraute Geschmack von Alkohol lässt mich erneut an Taichi denken. Begierig schiebe ich meine Zunge in den Mund meines Vaters. Dieser gebietet mir sachte Einhalt, indem er mich leicht von sich drückt. Mein Herz schlägt schnell und stark gegen meinen Brustkorb, ein angenehmes Kribbeln durchströmt meinen Körper. Beschämt senke ich meinen Kopf. „Entschuldige. Ich schaffe es einfach nicht, meine Gefühle für dich zu unterbinden. Wenn ich den Entzug und die Therapie hoffentlich erfolgreich abschließe und aus der Klinik entlassen werde, ziehe ich, mit Erreichen meiner Volljährigkeit, in eine eigene Wohnung. Ich denke, das ist die beste Lösung für uns beide.“ Wider Erwarten reagiert mein Gegenüber mit Bestürzung. „Allein?“ „Ja. Aber das dürfte kein Problem sein. Während du dich in Deutschland aufhältst, bin ich quasi auch allein.“ „Und wie willst du dich finanzieren?“, fragt mein Vater skeptisch. Offenbar glaubt er die Antwort bereits zu kennen. „Ich werde jobben.“ „Im Strichermilieu, indem du deinen Körper verkaufst?“ „Auf diese Weise wäre es am einfachsten. Allerdings lasse ich mich schon seit Längerem nicht mehr von fremden Männern vögeln.“ Bewusst verschweige ich die Ausnahmen, welche auch ich gern vergessen würde. Einzelheiten bezüglich dieser Vorfälle möchte ich ihm und mir ersparen, wobei es mich nicht verwundern würde, wenn Taichi ihm dahingehend schon alles erzählt hätte. „Yamato, bitte überlege es dir noch einmal. Meiner Meinung nach solltest du dich erst einmal auf dein Studium konzentrieren. Hier ist genug Platz. Sollte ich nach Berlin zurückgehen, stünde die Wohnung leer. Miete müsste ich dennoch zahlen.“ Erfüllt von Sorge, aber ebenso Zuneigung legt er seine Hand auf meine Wange und streicht mit seinem Daumen ruhig darüber. „Papa, ich muss allmählich selbstständig werden und lernen Verantwortung zu tragen. Zudem wird es Zeit, mich von dir zu lösen, damit du endlich leben und glücklich werden kannst.“ „Ich bin glücklich, wenn es dir gut geht und ich keine Angst um dich haben muss.“ Fahrig zündet mein Vater sich eine Zigarette an. „Was sagt Taichi zu deinem Vorhaben?“ Ein missbilligendes Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Was soll diese Frage? Wüsste Tai von meinem Entschluss, hätte er dich längst darüber in Kenntnis gesetzt. Merkst du nicht, wie viel er mittlerweile für dich empfindet?“ Tadelnd sieht mein Vater mich an, zieht beiläufig an seiner Zigarette. „Schon gut. Zwar bin ich nach wie vor sehr eifersüchtig, mische mich aber in eure Beziehung nicht mehr ein.“ Der ausgeatmete Rauch verliert sich immer wieder im Raum, dessen Luft bereits bei meinem Betreten stickig war und inzwischen in meinen Augen brennt. Genervt reibe ich darüber. „Ich weiß gerade nicht, wie ich auf dich eingehen soll. Dein Verhalten, deine Aussagen…“, beginnt mein Vater irritiert. „Meine Worte vorhin waren ernst gemeint. Ich ändere mich, damit ich für dich und Taichi keine Last mehr…“ „Verstehe. Du verrennst dich einmal mehr in deinen Annahmen und Theorien.“ Flüchtig drückt mein Vater seine Zigarette im Aschenbecher aus, doch eigentlich streckt er sie nur in einen Berg abgebrannter Zigarettenleichen. Dann wendet er sich mir zu, streicht durch meine Haare und hält sie als Zopf im Nacken zusammen. „Du musst für dich leben wollen, Yamato. Nur so kannst du unter Umständen Einfluss auf deine Probleme nehmen.“ Ich schweige betreten. Warum verunsichert mich mein Vater, obwohl ich auf seine Forderungen einzugehen versuche? Und warum berührt er mich so sinnlich? Er müsste wissen, was diese Art von Körperkontakt in mir auslöst. „Bitte fass mich nicht an… Hiroaki“, flüstere ich in einem Tonfall, der den Inhalt meiner Worte Lügen straft. Der Wunsch, ihn in mir zu spüren, wird übermächtig. Mein Vater lässt meine Haare los, wobei er, vermutlich unbeabsichtigt, meinen Hals leicht streift. Ich schließe meine Augen, atme tief durch und hoffe, meine Erregung unter Kontrolle bringen zu können. „Bei meiner Entlassung wirst du nicht hier sein, oder?“, frage ich zur Ablenkung. „Ich versuche meinen Urlaub auf diese Zeit zu legen. Allerdings wissen wir jetzt noch nicht, wie lange die Therapie tatsächlich dauern wird oder ob du sie wirklich bis zum Schluss durchziehst.“ „Mein Versprechen an dich, durchzuhalten, werde ich nicht brechen“, schmolle ich. „Aber ich rufe dich an, sobald der Entlassungstermin feststeht, okay?“ „Bisher hast du Telefonate eher vermieden. Ich weiß, dass du allgemein nicht gern telefonierst, aber in diesem Fall lag es an mir, oder?“ „Ja“, gebe ich zu. „Anders komme ich nicht von dir los. Doch obwohl ich dir aus dem Weg gehe, werden meine Empfindungen für dich nicht schwächer. Es tut mir leid.“ Ohne eine mögliche Antwort abzuwarten, erhebe ich mich vom Sofa. „Gehst du zurück in dein Bett, Yamato? Vielleicht kannst du noch ein wenig schlafen. Ich wecke dich nachher rechzeitig.“ „Nein. Zumindest diese Nacht möchte ich in deiner Nähe verbringen. Bitte schick mich nicht weg.“ Verzweifelt drehe ich meinen Kopf zur Seite, um meinen Vater nicht ansehen zu müssen, dabei fällt mein Blick auf das Ziffernblatt und die Zeiger der Uhr. Die Zeit schreitet erbarmungslos voran. Und trotzdem werden mir die Monate in Gefangenschaft unter ständiger, absoluter Beobachtung und Kontrolle wie eine Ewigkeit vorkommen. Angst kriecht meine Kehle empor. Ich hasse die Klinik abgrundtief, dennoch muss ich alles richtig machen, darf mir keine Fehler erlauben. Eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, wie ich ein Leben ohne Drogen ertragen soll. Eigentlich will ich nach wie vor ein Leben ohne Drogen nicht ertragen müssen. Weil Taichi und mein Vater mir allerdings wichtiger sind, verzichte ich in Zukunft freiwillig auf die glückbringenden Substanzen. Nur bezüglich meines Freiers konnte ich noch keine endgültige Entscheidung treffen. Obwohl ich von ihm das Heroin sowie das GHB bezog, glaube ich, dass er mir am meisten helfen kann, clean zu bleiben. Die Absurdität dieses Gedankens lässt mich leicht lächeln und doch entspricht es vermutlich der Wahrheit. „Ich wollte uns Kaffee machen. In der Hoffnung deinen Alkoholkonsum dadurch etwas unterbinden zu können.“ Mein Vater steht nun ebenfalls auf. Mit seiner Hand berührt er meinen Oberarm. „Yamato. Deine Gefühle betreffend…“ „Sprich nicht weiter, sonst kann ich für nichts garantieren. Es sein denn, du willst mit mir schlafen. Aus eigenem Antrieb, um deine Lust an mir zu stillen.“ Wie erwartet und wie so oft bezieht mein Gegenüber Stellung, indem er schweigt. Traurig lächle ich ihn an. „Kaffee“, hauche ich einsilbig. Mein Vater lässt seine Hand sinken und setzt sich wieder auf das Sofa. Er wirkt verloren. Ich wende mich ab. An der Tür zum Flur halte ich inne und schaue noch einmal zurück. Hilflos beobachte ich meinen Vater, wie er sein Glas erneut mit Whiskey füllt und einen großen Schluck daraus trinkt. Kapitel 37: ------------ „Herr Ishida, Sie werden während der gesamten Zeit Ihres Aufenthaltes genau protokollieren, welche Nahrungsmittel Sie in welcher Menge am Tag zu sich nehmen. Angedacht sind drei Hauptmahlzeiten, früh, mittags und am Abend, die Sie vollständig aufessen werden, sowie zwei kleine Zwischenmahlzeiten Ihrer Wahl, beispielsweise ein Apfel oder ein Joghurt. Die Protokolle sind bis spätestens einundzwanzig Uhr selbstständig, ohne Aufforderung des Personals bei der diensthabenden Schwester abzugeben. Bei Nichteinhaltung der Auflagen werden Sie mit den vorhin von uns gemeinsam erarbeiteten und besprochenen Sanktionen rechnen müssen. Haben Sie das verstanden, Herr Ishida?“ „Ja“, bestätige ich mürrisch. „Das Wiegen findet jeden Morgen vor dem Frühstück statt. Unbekleidet. Selbstverständlich übernimmt bei den männlichen Patienten ein Pfleger diese Aufgabe, der auch die Körperinspektion bezüglich möglicher Selbstverletzungen durchführen wird. Für die Dauer dieser Maßnahmen werden die Schwestern den Raum verlassen.“ Finster schaue ich meine Bezugstherapeutin an. Würde ich derartige Erniedrigungen nicht schon von anderen Klinikaufenthalten kennen, fiele es mir mit Sicherheit schwer, ruhig zu bleiben. Dennoch gehen mir die Regeln und Verbote bereits jetzt auf die Nerven und fast bereue ich, mich gegen die Einweisung nicht richtig gewehrt zu haben. Einzig für meinen Vater leistete ich keinen Widerstand. Ich will ihn nicht noch weiter in die Verzweiflung treiben und erst recht nicht, wie Taichi, in den Alkoholismus. „… shida! Herr Ishida!“ Eindringlich versucht eine Stimme mein Bewusstsein zu erreichen. „Hören Sie mir zu?“ „Nein“, antworte ich wahrheitsgemäß, noch immer leicht abwesend. Der Blick meiner Therapeutin ist vorwurfsvoll. „Wir können das hier auch abbrechen und Sie gehen nach Hause. Meine Zeit kann ich besser nutzen, denn es gibt Patienten, die ernsthaft ihre Probleme in den Griff bekommen wollen.“ Ich schweige und schaue betreten auf meine Finger, die ich verkrampft ineinander verhake, um das Zittern zu unterbinden. „Welche Gedanken gehen Ihnen gerade durch den Kopf? Was ist momentan von so großer Wichtigkeit, dass Sie es nicht schaffen, mir Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken?“, will sie seufzend wissen. Ich beschließe aufrichtig zu sein. „Mein Vater. Sein Konsumverhalten im Bezug auf Alkohol verändert sich allmählich. Ich weiß, dass ich die alleinige Schuld daran trage, weil er auf diese Weise seine Angst um mich zu kompensieren versucht. Bei meinem Freund begann es genauso und ich musste hilflos zusehen, wie er immer weiter in die Alkoholabhängigkeit rutschte. Ich muss etwas tun, damit sich die Geschichte nicht mit meinem Vater wiederholt.“ Es gelingt mir nicht, das Zittern meiner Stimme zu verbergen. Verstohlen wische ich mir eine Träne von der Wange, halte meinen Kopf weiterhin gesenkt. „Ich verstehe die Sorge um Ihren Vater, aber Sie sollten zunächst an sich und Ihre eigenen Probleme denken. Es klingt hart, doch in erster Linie sind Sie deshalb hier. Sicher gehört das Umfeld als einflussreicher Faktor dazu, momentan sollten die akuten Probleme, spich jene, die Ihr Leben bedrohen, allerdings Vorrang haben. Verstehen Sie das, Herr Ishida?“ „Ja“, gebe ich mechanisch zur Antwort, obwohl es nicht der Wahrheit entspricht. Mein Vater und Taichi bedeuten alles für mich. Wie kann diese Frau von mir erwarten, deren selbstschädigendes Verhalten, auch noch meinetwegen, zu ignorieren, obwohl ich mir egal bin? Ich verstehe es tatsächlich nicht. „Gut, dann machen wir weiter.“ Noch mehr Regeln und Verbote. Mein Wille, etwas zu verändern, schwindet und im Augenblick bin ich mir nicht sicher, ob ich die nächsten Monate durchhalte, die Therapie beende, geschweige denn Verbesserungen erziele. Bekäme ich jetzt die Möglichkeit, mir einen Schuss zu setzen, würde ich es dankbar und ohne zu zögern tun, um dieser ganzen Scheiße zu entfliehen. Das uneingeschränkte Glücksgefühl, die Leichtigkeit, ich sehne mich danach. So sehr. Über Kopfhörer dringt schwermütige Musik an meine Ohren, während ich auf dem Bett liegend gedankenversunken zur steril weiß gestrichenen Decke starre. Erst seit zwei Wochen bin ich in dieser psychiatrischen Anstalt eingesperrt, vom Gefühl her dauert meine Gefangenschaft jedoch bereits Monate. Mein Vater und Taichi besuchen mich täglich und wie erwartet meist zusammen. Ich versuche mir meine Eifersucht nicht anmerken zu lassen, obwohl ich ziemlich sicher bin, dass die beiden meine Abwesenheit nutzen, um intim zu werden. Unerwartet war auch meine Mutter mit Takeru zu Besuch. Durch die Anwesenheit meines Bruders verlief das Treffen relativ entspannt, generell hat sich mein Verhältnis zu ihr inzwischen gebessert, auch wenn der Umgang miteinander noch sehr unbeholfen wirkt. Ich drehe mich auf die Seite. Auf dem benachbarten Bett liegt ein Mann mittleren Alters. Er ist in ein Buch vertieft und scheint nicht zu bemerken, dass ich ihn beobachte. Als ich das Zimmer bezog, war er schon seit einigen Wochen hier, trotzdem weiß ich kaum etwas über ihn, da wir in verschiedenen Therapiegruppen sind. In den ersten Tagen erzählte er mir, dass er von Beruf Polizist ist, wegen Drogenmissbrauchs jedoch suspendiert wurde und die Klinik seine einzige Chance ist, sein Leben wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen. Hauptsächlich konsumierte er Kokain, um leistungsfähiger sein zu können. Erst nur bei der Arbeit, dann auch zu Hause. Irgendwann verlor er die Kontrolle, rutschte tief in den Strudel aus Abhängigkeit, Lügen und Gedanken, die ihn allmählich in den Tod trieben. Selbst seine Familie verlor durch die Sucht an Wichtigkeit. Verantwortung für seine Ehefrau und seine Kinder, ein Junge und ein Mädchen, konnte er kurz vor der Einweisung gar nicht mehr übernehmen. Umso erstaunlicher finde ich die Fortschritte, welche er innerhalb weniger Wochen schaffte. Offenbar erlangte er seinen Lebenswillen und die Kraft zu kämpfen zurück. Die größte Motivation für ihn ist vermutlich seine Familie. Sie bleiben bei ihm, unterstützen ihn, sind jeden Tag zu Besuch. Auch ich habe Menschen, die mich nicht so weit aufgeben, dass sie mich mir selbst überlassen, dennoch sind die bisher erzielten Veränderungen eher überschaubar. Mein Verlangen nach Heroin ist unverändert stark, trotz Methadon. Zwar hält dieser Ersatzstoff die Entzugsymptome in einem erträglichen Maß, der Kick, weshalb ich eigentlich fixe, bleibt jedoch aus. Auch mit dem Essensplan habe ich ziemliche Schwierigkeiten. Mein Körper ist die für mich enorme Nahrungszufuhr nicht gewöhnt und reagiert mit heftigen, anhaltenden Bauchkrämpfen. Ein paar Mal übergab ich mich unfreiwillig nach dem Essen, da ich den Brechreiz nicht mehr unterdrücken konnte, woraufhin ich mir Vorwürfe von meiner Bezugstherapeutin anhören durfte. Sie meinte, ich würde meine Magersucht, die nun offiziell als Diagnose in meiner Akte dokumentiert ist, aufgrund des Essenszwangs in eine Bulimie umwandeln. Zugegebenermaßen half ich in Ausnahmefällen tatsächlich nach, da die Bauchkrämpfe unerträglich wurden, aber derartige Vorwürfe sind absolut unsinnig. Die Auflage, mich nicht selbst zu verletzen, konnte ich bisher ebenfalls nicht erfüllen. Zwei Mal fügte ich mir Schnittwunden zu, was schließlich mit einer Ausgangssperre für unbestimmte Zeit quittiert wurde, ganz zu schweigen von den unzähligen Sanktionen, die ich ableisten musste. Diese Einrichtung nicht verlassen zu dürfen ist dabei weniger schlimm, als meinem Freier nicht helfen zu können. Seit meiner Einweisung war nur ein einziges Treffen möglich. Wir nutzten, wie früher, eines der Love Hotels in Shibuya. Drogen bekam ich von ihm natürlich nicht, aber er fickte mich ausgiebig und hart, weil ich ihn darum bat. Ich hatte es verdammt nötig. Sich in der Klinik einen runterzuholen, ist nicht gerade einfach, wenn die Türen nicht abschließbar sind. Und die Besuchertoiletten sind wegen der Öffentlichkeit keine Option. Mir bleiben nur die Momente, in denen ich allein im Zimmer bin und weiß, dass mein Mitpatient so schnell nicht zurückkehren wird. Von Taichi erhalte ich überhaupt keine körperliche Zuwendung mehr, selbst als ich noch Ausgang hatte und sich die eine oder andere Gelegenheit bot. Vielleicht reicht ihm der Sex mit meinem Vater, immerhin ist er gut im Bett. Befriedigt er Taichi besser als ich? Ich weiß, dass ich auf diesem Gebiet ebenfalls sehr versiert bin, aktiv wie passiv. Hiroakis Statur jedoch kann ich meinem Freund nicht bieten. Möglicherweise findet Tai, wie ich, eher an älteren Männern gefallen, wenn er sich hin und wieder auf das gleiche Geschlecht einlässt. Andererseits verhalten sich die beiden bei ihren Besuchen völlig normal. Haben sie mir gegenüber kein schlechtes Gewissen? Können sie mich inzwischen eiskalt hintergehen? Oder besteht eine solche Beziehung doch nicht mehr zwischen ihnen, sondern nur in meiner Fantasie? Aber warum schläft er dann nicht mit mir? Mein Mitpatient schaut plötzlich zur Tür, weshalb ich mich umdrehe, meine Aufmerksamkeit ebenfalls in diese Richtung lenke. Eine der Schwestern schaut mich an und bedeutet mir, die Kopfhörer abzusetzen. Ich schiebe sie in den Nacken und werfe ihr einen fragenden Blick zu. „Sie haben Besuch, Herr Ishida“, meint sie mit einem Lächeln. Etwas verwundert schalte ich meinen Player aus und erhebe mich. „Danke“, entgegne ich knapp, als ich an ihr vorbei in den Besucherraum gehe. Beim Betreten bleibe ich sofort erstarrt stehen. „Sora?“ Irritiert mustere ich die junge Frau, die auf dem Sofa Platz genommen hat und dort wartet. „Hallo Yamato“, begrüßt sie mich unerwartet freundlich. Ich setze mich auf den Sessel ihr gegenüber. „Warum bist du hier, ich meine… also… mein Vater…“ „Taichi erzählte mir, dass außer ihm und deiner Familie niemand zu dir gelassen wird. Deshalb sprach ich mit deinem Vater, erklärte ihm mein Anliegen. Er zeigte Verständnis und informierte das Personal über die Ausnahme meines Besuches.“ „Verstehe“, murmle ich nachdenklich mehr zu mir als zu ihr. „Und was willst du? Aus Freundschaft oder Sorge besuchst du mich sicher nicht…“ Soras Gesichtsausdruck ist ernst. „Ich möchte mit dir reden. Unser letztes Gespräch verlief nicht sehr angenehm und vor allem nicht sachlich. Ich warf dir gemeine Dinge an den Kopf, die mir im Nachhinein leid tun.“ Eine Entschuldigung ihrerseits war das Letzte, womit ich rechnete. Seufzend senke ich meinen Blick. „Schon gut. Mein Verhalten dir gegenüber war auch nicht gerade nett. Vergessen wir unseren kleinen Disput einfach, okay?“, schlage ich vor, wobei mein Tonfall desinteressierter als beabsichtigt klingt. Allerdings habe ich keine Lust, mich noch länger mit dieser Nichtigkeit auseinanderzusetzen. „Einverstanden.“ Sie lächelt verhalten. Unangenehme Stille breitet sich zwischen uns aus, weshalb ich noch einmal das Wort ergreife: „Gibt es sonst noch etwas, worüber du mit mir sprechen möchtest?“ „Warum bist du immer so kalt und abweisend zu mir? Auch früher schon. Hasst du mich so sehr?“, fragt Sora, ohne vorwurfsvoll zu klingen. „Ich hasse dich nicht. Dafür kenne ich dich zu wenig. Das Problem sind deine Gefühle für meinen Freund.“ Meine Betonung liegt auf den letzten beiden Worten und ich blicke ihr fest in die Augen. „Versteh mich bitte nicht falsch, Yamato, aber eure Beziehung… du solltest sie beenden.“ „Was bitte soll ich an dieser Forderung nicht falsch verstehen? Du versu…“ „Es ist keine Forderung, sondern ein gut gemeinter Rat. Wenn du ihn annimmst und dich jetzt von Taichi trennst, wirst du vermutlich am wenigsten verletzt.“ Ich bin irritiert. „Wie meinst du das?“, hake ich vorsichtig nach. „Hattest du wirklich noch nie etwas mit einer Frau?“, ignoriert sie meine Frage und verwirrt mich mit diesem offensichtlichen Ausweichmanöver noch mehr. „Nein, Frauen interessieren mich einfach nicht.“ Warum antworte ich Sora überhaupt? Meine Sexualität geht sie rein gar nichts an, ebenso wie mein restliches Leben, wozu auch Tai gehört. Plötzlich steht Sora auf und kommt auf mich zu. Bevor ich reagieren kann, küsst sie mich. Ich bin wie erstarrt, spüre ihre Lippen auf meinen und ihre Zunge in meinem Mund, da ich diesen vor Schreck nicht schloss. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, in Wirklichkeit sind es vermutlich nur wenige Sekunden, bis ich diese Frau, aufgrund meines durch die Lähmung kurz aussetzenden Reflexes des Selbstschutzes, von mir stoße. Verstört und komplett überfordert starre ich sie an, wische mir dabei abwesend und doch angeekelt mit dem Ärmel über den Mund. „Deine Lippen sind rau und du schmeckst ganz leicht nach Zigarette. Völlig anders als bei Taichi.“ „Was?“, hauche ich stimmlos, beinahe abwesend. Mein Hals ist trocken und schmerzt. Zudem kämpfe ich gegen die aufkommende Übelkeit an. „Sind die Berührungen einer Frau tatsächlich so schlimm für dich?“ Argwöhnisch lasse ich Sora nicht aus den Augen. Sie zuckt mit den Schultern und nimmt erneut auf dem Sofa Platz. „Einen Versuch war es wert. Ich habe nun verstanden, dass du ausschließlich auf Männer stehst.“ „Was willst du eigentlich von mir?“ „Zwar ist der Umgang mit dir nicht einfach, aber da du, wie Taichi meinte, weder schüchtern noch anspruchsvoll in der Wahl deiner Sexualpartner bist, wirst du mit Sicherheit einen anderen Mann finden, der dich erträgt und hoffentlich nicht an dir zugrunde geht. Abgesehen davon brauchst du jemanden, der dir Halt geben kann.“ „Wie kannst du dich erdreisten, dir ein Urteil über unsere Beziehung zu bilden, obwohl du uns überhaupt nicht kennst?“ „Glaub mir, Yamato, ich kann mir ein Urteil bilden. Dein Freund ist nicht wie du. Er hat durchaus Interesse an Frauen.“ Ich senke meinen Blick, meine Finger verkrampfen im Stoff meiner Hose. „Yamato. Ich will dir nicht wehtun, aber vielleicht hilft es dir beim Loslassen. Taichi hat mit mir geschlafen. Freiwillig.“ Obwohl ich nicht überrascht bin, laufen Tränen über meine Wangen. Sora steht auf und kommt erneut auf mich zu. Als sie ihre Hand nach mir ausstreckt, schlage ich sie sofort weg. „Wie oft muss ich dir noch sagen, du sollst mich nicht anfassen“, weise ich sie mit zitternder Stimme zurecht. Eigentlich wollte ich sie hasserfüllt anschreien, aber mir fehlt die Kraft. „Yamato“, beginnt sie ruhig. „Du weißt, dass auch ich Taichi liebe und möchte, dass es ihm gut geht. Ich verspreche dir, alles dafür zu tun, damit er glücklich ist, okay?“ Schweigend starre ich ins Nichts. „Bitte denke über meine Worte nach. Ich hoffe, du triffst die richtige Entscheidung.“ Sora nimmt ihre Tasche vom Sofa und geht zur Tür. Bevor sie den Raum verlässt, wendet sie sich noch einmal an mich. „Du wirst auch ohne ihn glücklich. Die Therapie ist ein guter Anfang.“ Ich höre die Tür ins Schloss fallen. Einen Moment bleibe ich noch regungslos sitzen, dann begebe ich mich langsamen Schrittes in mein Zimmer, lege mich auf mein Bett und schließe die Augen. Ich fühle mich leer. Unendlich leer. „Ist deine Ausgangssperre inzischen eigentlich aufgehoben worden?“, will mein Vater, der neben meinem Freund auf dem Sofa sitzt, wissen. Behutsam schüttele ich lediglich meinen Kopf, weiche den Blicken der beiden aus. Mir ist schlecht und der stechende Kopfschmerz löst bereits ein leichtes Schwindelgefühl aus. Ich vernehme ein Seufzen meines Vaters. „Was ist los, Yamato?“, fragt er deutlich besorgt. „Warum sprichst du kein einziges Wort mit uns? Ist etwas vorgefallen? Geht es dir nicht gut? Du bist schrecklich blass.“ Nachdenklich schaue ich meinen Vater an, dann richte ich meine Aufmerksamkeit auf Taichi. „Ich möchte, dass du aus meinem Leben verschwindest“, höre ich mich sagen. Eigentlich wollte ich Entschlossenheit in meine Stimme legen, was mir jedoch nicht gelang. Stattdessen klang meine Aufforderung eher jämmerlich. Fassungslos starrt mein Vater mich an, während ich bei Tai keinerlei Gefühlsregung erkenne. Schon die ganze Zeit fixiert er mich mit seinen braunen Augen und deren unergründlichem Ausdruck. „Yamato, was soll das?“ Ich ignoriere die Frage meines Vaters. Warum reagiert Taichi nicht? Hält er das Ganze für einen Scherz meinerseits? Oder ist er froh über diese Forderung, weil er ohnehin genug von mir hat? Ich versuche den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken. „Es ist besser, wenn du jetzt gehst“, sage ich so ruhig wie möglich. Mein Freund nickt wortlos und erhebt sich vom Sofa, wird jedoch von meinem Vater am Handgelenk zurückgehalten. „Kannst du mir bitte einmal erklären, was hier gerade passiert? Yamato, sieh mich an! Was soll dieser Unsinn?“ „Schon gut, Hiroaki.“ Tais Lächeln wirkt fast entschuldigend, als er sich mit sanfter Gewalt aus der Umklammerung löst und auf mich zukommt. „Dein Sohn hat recht. Ich sollte besser gehen.“ Vor mir bleibt er stehen und küsst mich ein letztes Mal. Ich lasse es unbeteiligt geschehen. Schließlich verlässt mein Freun… Taichi den Raum. „Warum?“, fragt mein Vater voller Bestürzung. Bewegungslos sitze ich auf dem Sessel, noch immer mit vor Entsetzen geweiteten Augen die geschlossene Tür anstarrend. „Er ist weg“, nuschle ich abwesend. Ohne ein Wort zu sagen, steht mein Vater auf und drückt mich ratlos an sich, legt seine Arme schützend um meinen leblosen Körper. Ich nehme weder seine Berührung noch seine Besorgnis wahr. „Jetzt kann ich endlich sterben“, flüstere ich müde. „Bitte gib dich und uns nicht so einfach auf!“, höre ich eine Stimme sagen. Ich drehe mich um, doch es ist niemand zu sehen. Als ich wieder nach vorn schaue, blicke ich direkt in Akitos Augen. „Was ist, Yamato? Warum starrst du mich so an?“ „Ich… weiß es nicht“, gebe ich stockend zu. „Für einen kurzen Moment überkam mich ein merkwürdiges Gefühl.“ Wir sitzen in meinem Zimmer auf meinem Bett. Müde lasse ich mich zur Seite fallen, bette meinen Kopf auf seinem Schoß. „Versprich mir, mich nicht allein zu lassen“, hauche ich mit brüchiger Stimme. Eine diffuse Angst ergreift Besitz von mir, sodass ich meine Finger Halt suchend im Stoff seiner Hose festkralle. „Was ist denn nur los mit dir? Du bist heute so liebebedürftig.“ Leicht spielt er mit einigen meiner Haarsträhnen. „Es kommt mir so vor, als hättest du etwas Ähnliches schon einmal zu mir gesagt.“ Akito entzieht sich mir, lässt aber meinen Kopf behutsam auf die Matratze sinken. Entschlossen setzt er sich auf meine Oberschenkel und beugt sich so weit zu mir hinab, dass sich unsere Lippen fast berühren. „Ich liebe dich“, sagt er mit durchdringendem Blick. Tränen füllen meine Augen. „Ich liebe dich auch. So sehr.“ Ungewohnt zärtlich wischt Akito die salzige Flüssigkeit von meinem Gesicht. „Du weinst“, flüstert er irritiert. „Ja.“ Ich streichle behutsam über seine Arme, an den Handgelenken befinden sich tiefe, längs verlaufende Einschnitte. „Deshalb?“ Seine Miene verfinstert sich und er betrachtet mich vorwurfsvoll. „Hör auf dich selbst zu beweinen. Du bist nicht wie diese jämmerlichen Kreaturen, die unsere Gesellschaft bilden. Anteilnahme, Mitleid… sinnlose Empfindungen, die angeblich Menschlichkeit ausdrücken, letztlich jedoch reine Selbstdarstellung sind.“ Ein trauriges Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Ich weiß. Aber ich vermisse dich so sehr.“ Akito erwidert das Lächeln, dann küsst er mich auf sehr fordernde Weise. Als wir uns schwer atmend voneinander lösen, blicke ich in wunderschöne braune Augen. „Taichi“, hauche ich. „So einfach ist es nicht, Yamato. Du musst weiterleben. Meinetwegen. Für mich. Das ist mir egal. Aber ich will dich nicht verlieren, hörst du?“ Verwirrt schaue ich mich um. Ich bin allein. Dennoch spüre ich, wie jemand meine Hand ergreift. Zögernd öffne ich meine Augen, sehe eine fremde Zimmerdecke. Ich drehe meinen Kopf ein wenig zur Seite. Taichi sitzt an meinem Bett und hält meine Hand fest in seiner. „Yamato?“, fragt er vorsichtig. „Was…“, setze ich an, doch aufgrund des Schlauches, der durch meine Nase über den Hals bis in den Magen geführt wurde und wodurch ich mit einer Nährstofflösung künstlich ernährt werde, wird mir das Sprechen erheblich erschwert. „Warum weinst du?“, bringe ich mühsam hervor. Tai drückt meine Hand fester. „Weil ich eine verdammte Angst hatte, dich zu verlieren, du dämlicher Trottel!“ Ich sage nichts, schaue ihn nur fragend an. „Nachdem ich gegangen war, meintest du gegenüber deinem Vater, dass du sterben möchtest, woraufhin er dich auf die geschlossene Station einweisen ließ. Da du jegliche Nahrungsaufnahme verweigert hast, wurde eine Zwangsernährung angeordnet. Schließlich lagst du nur noch apathisch im Bett und warst überhaupt nicht mehr ansprechbar. Hiroaki rief mich völlig aufgelöst an. Er erzählte mir, was passiert war und in welchem Zustand du dich befindest. Wahrscheinlich hoffte er, meine Anwesenheit könnte etwas bewirken, doch selbst auf mich hast du nicht reagiert. Nur anhand der Tränen, die manchmal über dein Gesicht liefen, wussten wir, dass du noch nicht tot bist.“ „Wie lange…“ Nach wie vor fühlt sich für mich alles irreal und nicht greifbar an, als wäre ich noch immer nicht aus einem Traum erwacht. „Etwas über eine Woche. Dich so leblos im Bett liegen zu sehen, zeitweise sogar mit geöffneten Augen und teilnahmslosem Blick, war beängstigend. Ich sprach mit dir, aber meine Worte erreichten dich einfach nicht.“ Taichis Stimme zittert leicht. „Ich hörte dich“, widerspreche ich verkrampft. „Nur verwob sich das Gesagte jedes Mal mit meinen Träumen. Es…“ Die Tür zum Zimmer öffnet sich, weshalb ich mich im Satz unterbreche. „Taichi, ich habe dir Kaffee mitg…“ Mein Vater, der zwei Becher in der Hand trägt, verharrt in der Bewegung, als sein Blick auf mich fällt. „Yamato.“ Er stellt die Getränke auf den kleinen Nachttisch und setzt sich zu mir, auf die Bettkante. Sanft streichelt er durch mein Haar, wobei er besorgt mein Gesicht betrachtet. Die Probleme, die ich ihm ständig bereite, hinterlassen mittlerweile deutliche Spuren. Er ist sehr blass, hat dunkle Augenringe, wirkt müde und älter. Angestrengt versuche ich mich etwas aufzusetzen, muss allerdings feststellen, dass mein Körper geschwächter ist, als ich erwartete. „Bleib liegen, Yamato. Die Magensonde ist sicher unangenehm. Am besten ich informiere gleich das Personal über deine Loslösung aus der Apathie und der damit verbundenen Ansprechbarkeit.“ Behutsam drückt mein Vater meine Hand, an dessen Zeigefinger sich das Pulsoximeter befindet, dann verlässt er das Zimmer. Schmerzlich schaue ich zu meinem Freund. „Taichi, ich erinnere mich. Bitte geh nicht weg, auch wenn ich dich dazu aufforderte.“ „Ich ging nicht, weil ich dich verlassen wollte. Allerdings hielt ich es in dem Moment für angebracht, dir etwas Zeit zu geben. Sora erzählte dir, dass ich mit ihr geschlafen habe, nicht wahr?“ Ich nicke lediglich und kämpfe gegen die aufkommende Übelkeit an. „Vielleicht war es ein Fehler, da sie sich nun Hoffnung auf eine Beziehung macht, aber das nahm ich bereitwillig in Kauf. Mir ging es einzig darum, dich zu verletzen, und ich wusste, dass ich dir auf diese Weise am meisten wehtue. Doch eigentlich solltest du es nicht von ihr erfahren.“ In Tais Tonfall ist, wie immer, keine Reue erkennbar, trotzdem, und zu meiner Verwunderung, klingt er nicht so kalt wie sonst in solchen Situationen. „Du bist so ein gemeiner Idiot“, entgegne ich mit Tränen in den Augen. Taichi nimmt mich vorsichtig, wegen der medizinischen Kontroll- sowie Lebenserhaltungsmaßnahmen, und sehr liebevoll in den Arm. „Ich weiß. Vermutlich habe ich mich auch nur aufgrund meiner Idiotie in dich verliebt. Anders wäre dieser Wahnsinn nicht zu erklären.“ Gespielt beleidigt drücke ich meinen Freund etwas von mir. „Du wirst ja immer gemeiner“, schmolle ich. Ein unschuldiges Lächeln legt sich auf Tais Lippen. „Bezüglich deiner Aussage…“, flüstere ich ernst, muss jedoch husten, was durch die Sonde unangenehm und schmerzhaft ist. „…Es stimmt. Du bist ein Teil dieser Realität. Deshalb werde ich sie auch ohne Drogen ertragen können.“ Vom Wahrheitsgehalt meiner Worte versuche ich nicht nur Tai zu überzeugen. Abwartend, dass mein Vater die Tür zur Wohnung aufschließt, stehe ich dicht neben meinem Freund, der mich ermutigend anlächelt, meine Hand ergreift und unsere Finger verhakt. Wir folgen in den Flur, wo mein Vater meine Tasche im Eingangsbereich an der Wand abstellt. „Deine Entlassung zögerte sich lange hinaus, umso erleichterter bin ich, dich endlich wieder bei mir zu haben.“ Er dreht sich zu mir und berührt mich am Oberarm. „Du hast die stationäre Therapie bis zum Ende durchgezogen.“ Seine Augen bekommen einen traurigen Ausdruck. „Auch wenn du es nicht für dich getan hast.“ Ich schweige, weil ich nicht weiß, wie ich auf seine Worte reagieren soll. Oft war ich kurz davor, abzubrechen. Und mit Sicherheit ist mein Vater nicht so naiv etwas anderes zu denken. Doch immer wieder gelang es ihm und Taichi, mir Halt zu geben. Auch wenn ich mit ihnen nicht über meine weiter bestehenden selbstzerstörerischen Gedanken oder mein kaum abgeklungenes Drogenverlangen sprach, um sie zu schützen, sondern mich während der letzten sieben Monate ausschließlich meinem Freier anvertraute. Erfahrungsgemäß wird sich daran auch nach meiner Entlassung nichts ändern. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich die Fortschritte, die ich in der Klinik machte, auf Dauer im Alltag beibehalten und weiter ausbauen kann. Zudem weiß ich, dass ich von meinem Freier unter bestimmten Umständen jederzeit wieder Drogen ausgehändigt bekommen würde. Da er selbst ein Junkie ist, hat er zu meinem Glück viel zu viel Verständnis für den Konsum solcher Substanzen. „…to! Yamato!“ Ein Rucken an meinem Arm holt mich aus meinen Gedanken. Ich schaue zu Taichi, der mich besorgt ansieht. Dann blicke ich zu meinem Vater, dessen Miene nicht weniger Besorgnis ausdrückt. „Ist alles in Ordnung?“, will der schließlich wissen. „Du bist schon wieder so abwesend.“ „Nein, ich… ja.“ Mir fällt keine beruhigende Antwort ein, deshalb sollte ich besser schweigen. Die Wahrheit zu sagen, dass ich oft an meinen Freier denke und ihn sehr vermisse, ist keine Option. Allein die Erwähnung meines Freiers bringt sowohl meinen Vater als auch Taichi in Rage. Die beiden hassen ihn, weshalb sie nie von den nach wie vor stattfindenden Treffen und der weiterhin bestehenden sexuellen Beziehung erfahren dürfen. „Geht erst einmal in dein Zimmer, während ich uns etwas zu Essen mache. Yamato, wenn du deine Tasche auspackst, leg die Schmutzwäsche einfach ins Bad, ich…“ „Nein, Papa. Ich wasche selbst. So wie früher.“ Eine unangenehme Stille entsteht. Schließlich zupft Tai an meinem Ärmel. „Komm.“ „Ich rufe euch dann, okay?“, schlägt mein Vater noch vor, woraufhin mein Freund nur nickt und mich hinter sich her zieht. In meinem Zimmer stößt er mich bestimmt auf das Bett, beugt sich über mich und zwingt mir einen fordernden Kuss auf, den ich sofort verlangend erwidere. Mit seinen Fingern gleitet er unter mein Hemd, streicht begierig über meine Haut. „Wie sehr habe ich das vermisst“, nuschelt er in den Kuss, während er hastig mein Oberteil aufknöpft und von meinen Schultern streift. In der letzten Zeit blieben uns nur die Wochenenden, an denen ich nach Hause durfte, um intimer zu werden. Taichi besuchte mich zwar auch in der Woche, mit mir geschlafen hat er dann aber nie. Bisher fragte ich ihn nicht nach den Gründen. Mit meinem Freier hingegen hatte ich wesentlich häufiger Sex. Das Besuchsverbot, welches mein Vater veranlasste, ließ sich leicht umgehen. Nachmittags hatten wir meist keine Therapien und das Personal war froh, wenn die Patienten in ihrer Freizeit sozialen Aktivitäten nachgingen. Ich nutzte die Gelegenheit, um mich mit meinem Freier in Shibuya in einem der Lovehotels zu treffen. „Zieh dich vollständig aus“, weist Taichi mich mit musternden Blicken an. Ich komme dem wortlos nach und beobachte meinen Freund dabei, wie er es mir gleichtut. Da er seit einiger Zeit wieder Fußball spielt, ist seine Muskulatur ähnlich trainiert wie früher und sein Körper wirkt noch anziehender auf mich. Ich stehe auf, beginne ihn zu berühren und Küsse auf seiner leicht gebräunten Haut zu verteilen. Langsam wandere ich tiefer. Ein Stöhnen entweicht Tais Kehle, als ich ihm ausgiebig einen blase. Er legt seine Hände auf meinen Hinterkopf, ohne jedoch meine Handlungen zu dirigieren. Kurz bevor er in meinem Mund abspritzt, gebietet er mir sanft, aber bestimmt Einhalt. Fragend blicke ich zu meinem Freund auf. „Dieses Mal nicht.“ Er kniet sich ebenfalls auf den Boden, vor mich, und streicht liebevoll meine Haare zurück. „Ich sollte sie zu einem Zopf zusammenbinden, oder? Sie nerven.“ „Nein. Lass sie offen.“ Die Frage, ob es dadurch für ihn einfacher ist, mit mir zu schlafen, schlucke ich hinunter. Ich weiß, dass meine Angst, ihn an eine Frau zu verlieren, nicht unbegründet ist, aber vielleicht ist es tatsächlich meine Eifersucht, die ihn am meisten in diese Richtung treibt. Voller Zuneigung lege ich meine Arme um meinen Freund und presse mich dicht an ihn. „Bitte nimm mich. Ich möchte dich in mir spüren. Fülle mich ganz aus. Meinen Körper. Meine Gedanken. Nur du sollst noch in mir existieren.“ Taichi grinst mich an. „Das würde aber bedeuten, ich schlafe mit mir selbst. Dabei erregst du mich jetzt, da du nicht mehr nur aus Haut und Knochen bestehst, noch mehr als ohnehin schon. Sei mir nicht böse, aber ich ziehe es vor, dich zu vögeln.“ Spielerisch boxe ich ihm gegen die Schulter. „Du Spinner“, lache ich, doch mein Freund sieht mich ernst an, drückt mich nach hinten und spreizt meine Beine. Ich lasse mich vollkommen fallen, als er unerwartet hart in mich eindringt. Seine Penetration ist gewohnt ausdauernd und wird mit jedem Stoß schmerzvoller. Verkrampft kralle ich meine Finger in den Teppich, suche nach Halt. Unsere Atmung wandelt sich in lauter werdendes Stöhnen. Zwar befindet sich mein Vater ebenfalls in der Wohnung, doch bereits seit meiner Beziehung mit Akito ist mir egal, ob er hört, dass ich Sex habe. Ich schließe meine Augen, um Taichi noch intensiver spüren zu können. „Nicht, Yamato. Du weißt, dass du mich ansehen sollst, wenn ich in dir bin“, keucht er beinahe atemlos. Ehe ich Tais Worten Folge leisten kann, bäume ich mich auf vor Schmerz und Verlangen. „Taichi“, stöhne ich lustvoll. Schweiß perlt auf seiner Haut, wodurch er noch verführerischer auf mich wirkt. Für die letzten, kraftvollen Stöße legt er meine Beine auf seine Schultern, damit er so tief wie möglich in mir sein kann. Bevor er sich aus mir zurückzieht, spritzt er ab. Dann lässt er sich erschöpft neben mich fallen. Ich zittere am gesamten Körper. „Ist alles in Ordnung?“, will mein Freund besorgt wissen. „Ja.“ Ich lächle etwas verzerrt. Tai setzt sich auf und dreht mich ein wenig auf die Seite. „Offenbar war ich doch etwas zu grob. Hast du starke Schmerzen?“ Statt zu antworten, wende ich mich wieder um und hauche ihm einen Kuss auf die Lippen. „Ich liebe dich.“ Verschlafen betrete ich die Küche. Mein Vater sitzt am Tisch und scheint in seine Zeitung vertieft zu sein. „Morgen“, nuschle ich. Aus dem Schrank hole ich eine Tasse, fülle Kaffee hinein und lasse mich auf meinen Stuhl fallen. Mit meiner Hand streiche ich mir müde über das Gesicht. „Yamato.“ Mein Gegenüber legt seine Zeitung beiseite und mustert mich. „Du bist ungewohnt früh wach. Musst du heute zeitiger zur Uni?“ „Das nicht. Ich konnte nur einfach nicht mehr schlafen.“ Vorsichtig nippe ich an meiner Tasse, damit ich mir die Lippen nicht verbrenne, falls der Kaffee nicht genug abgekühlt ist. „Möglicherweise hat sich dein Körper bereits an die Medikamente gewöhnt, sodass sie nicht mehr die gleiche Wirkung wie früher erziehlen“, überlegt mein Vater. „Sprich bitte bei deinem nächsten Termin mit dem Arzt über das Problem.“ Ich nicke. „Wie kommst du ansonsten im Alltag zurecht?“, fragt er weiter. „Ganz gut“, antworte ich mit einer Halbwahrheit, weiche dem Blick meines Gegenübers aus. Vor ein paar Tagen bekam ich die ärztliche Erlaubnis, wieder zur Universität zu gehen. Doch obwohl ich meinen Vater in dem Glauben lasse, bin ich nicht ein Mal dort gewesen. Zeitnah werde ich ihn allerdings davon in Kenntnis setzen müssen, dass ich beschlossen habe mein Studium abzubrechen. Ich denke, es ist sinnvoller, wenn ich mir einen Job suche, um meinen Vater zu entlasten. Vor allem solange ich bei ihm wohne. „Soll ich uns Frühstück machen?“ Er sieht mich erwartungsvoll an. „Ja, danke“, entgegne ich, obwohl ich eigentlich keinen Hunger verspüre. Nach wie vor fällt es mir schwer, regelmäßig Nahrung zu mir zu nehmen. Ich lange über den Tisch nach der Zigarettenschachtel und zünde mir eine Zigarette daraus an. Tief inhaliere ich den Rauch und beobachte meinen Vater dabei, wie er Eier in eine Pfanne aufschlägt. Schmerzliche Zuneigung überkommt mich, als ich ihn dabei betrachte. Ich möchte aufstehen, ihn umarmen und küssen, von ihm berührt werden, ihn in mir… heftig schüttele ich meinen Kopf. Warum schaffe ich es einfach nicht, meine Gefühle für ihn zu töten? Ich zucke leicht zusammen, als mein Vater nach einiger Zeit einen Teller vor mir auf dem Tisch abstellt. Dann setzt er sich zurück auf seinen Platz und beginnt zu essen. Ich drücke die Reste der Zigarette im Aschenbecher aus und starre das Rührei an. „Hast du doch keinen Hunger?“, will mein Vater besorgt wissen. Ich schaue ihn an. „Papa? Hasst du mich?“ Bestürzt lässt er seine Stäbchen sinken. „Wie kommst du darauf?“ „Weil du meinetwegen so viel aufgeben musstest.“ „Nein, Yamato. Es war meine eigene und freie Entscheidung, nicht wieder nach Deutschland zu fliegen, sondern für meinen Sohn dazusein. Denkst du wirklich, ich hätte so einfach gehen können, während du apathisch in der Klinik liegst und künstlich am Leben gehalten wirst? Niemand wusste, ob du in die Realität zurückfindest.“ „Genau deshalb solltest du eher an dich und dein Leben denken.“ „Ich denke an mein Leben, indem ich auf dich aufpasse. Sagte ich dir nicht schon einmal, dass es mir gut geht, wenn es dir gut geht? Yamato, ich liebe dich mehr als alles andere auf dieser Welt. Auch wenn du es nicht verstehen kannst, weil du dir selbst nichts bedeutest.“ In den Worten meines Vaters schwingt Verzweiflung mit. „Meinetwegen wurdest du zwangsversetzt“, bemerke ich bitter. „Darüber musst du dir deinen Kopf nicht zerbrechen. Es ist alles in Ordnung. Und es hat Vorteile. Ich bin eher zu Hause als früher.“ Ein trauriges Lächeln legt sich auf meine Lippen. Davon, dass er in seiner neuen Position weniger verdient, sagt er nichts. Schweigend nehmen wir unsere Mahlzeit ein. „Darf ich dich etwas fragen?“, durchbricht mein Vater schließlich die erdrückende Stille. „Klar.“ Ich leere meine Tasse, in der sich noch ein kleiner Schluck Kaffee befindet. „Hast du noch immer vor, auszuziehen?“ Kurz höre ich auf zu atmen. Allein der Gedanke lässt meinen Körper verkrampfen und mein Herz schmerzhaft gegen meinen Brustkorb schlagen. Vor allem, da ich meinen Vater nun wieder dauerhaft in meiner Nähe haben kann, möchte ich bei ihm bleiben. „Ja“, antworte ich knapp und einmal mehr entgegen meinem Willen. „Warum, Yamato?“ Ohne ein Wort zu sagen, stehe ich auf, gehe zu meinem Vater und beuge mich zu ihm hinab. Fordernd zwinge ich ihm einen Kuss auf, streiche dabei verlangend durch sein kurzes Haar. Als ich merke, dass er sich nicht auf mich einlässt, hauche ich in sein Ohr: „Damit du mich und meine Gefühle für dich nicht mehr ertragen musst, Hiroaki.“ Seufzend berührt mein Vater meine Wange. „Mir ist bewusst, dass du inzwischen erwachsen bist und eigenverantwortlich handeln solltest. Trotzdem habe ich Angst. Meiner Meinung nach ist es für dich noch zu früh, du wirst allein nicht zurechtkommen. Bitte versteh mich nicht falsch…“ „Nein, schon gut. Ich weiß, wie du das meinst, und vermutlich hast du sogar recht. Allerdings gibt es die Überlegung, mit Tai zusammenzuziehen.“ „Ehrlich gesagt finde ich diese Option nicht unbedingt beruhigend. Immerhin ist Taichi auch eher labil, hinzu kommt seine Alkoholabhängigkeit.“ „Er ist seit etwa einem Jahr trocken“, wende ich verteidigend ein. „Worüber ich sehr froh bin. Aber, Yamato, letztlich seid ihr beide stark rückfallgefährdet.“ Ich setze mich auf den Schoß meines Vaters und sinke mit meinem Kopf auf seine Schulter. „Bitte nimm mich in den Arm“, flüstere ich sehnsüchtig. Unerwartet zieht er mich tatsächlich dicht an sich. Sein Duft umhüllt mich sanft und gibt mir ein Gefühl von Geborgenheit. „Ich liebe dich so sehr, Hiroaki. Und an meinem Wunsch, mit dir zu schlafen, hat sich nichts geändert.“ „Yamato…“ „Shh.“ Flüchtig hauche ich einen Kuss auf die Lippen meines Vaters. „Keine Sorge. Vor einiger Zeit versprach ich dir, dich nicht mehr zum Sex zu zwingen. Daran halte ich mich.“ Ich löse mich von ihm, stehe auf und fülle meine Tasse erneut mit Kaffee. Wieder an meinem Platz sitzend, zünde ich mir eine weitere Zigarette an, ebenso wie mein Gegenüber. „Ich komme heute später nach Hause“, wechsle ich das Thema. „Taichi wird erst am Abend hier sein. Ich hoffe, ich schaffe es bis dahin, zurück zu sein. Aber ihr werdet euch sicher auch ohne mich nicht langweilen.“ Meine Bemerkung klingt eifersüchtiger als beabsichtigt. Ich ziehe an meiner Zigarette und lasse den Rauch zwischen meinen Lippen entweichen. „Darf ich dich diesbezüglich etwas fragen?“ Mein Vater nickt und nimmt ebenfalls einen kräftigen Zug von seiner Zigarette. „Wie fühlt es sich für dich an, wenn du mit meinem Freund schläfst? Immerhin ist auch er ein Mann. Beim Sex mit mir empfindest du keine Lust. Allerdings bin ich dein Sohn, mit Tai begehst du jedoch keinen Inzest.“ „Das stimmt zwar, aber der Altersunterschied bleibt. Zudem ist er dein Freund und, wie du bereits anmerktest, ein Mann. Mein sexuelles Interesse gilt trotz allem nach wie vor eher Frauen.“ „Ich weiß, dass du lediglich aus Mitleid mit mir geschlafen ha…“ „Nein, Yamato“ unterbricht mich mein Vater bestimmt. „Nicht ein Mal empfand ich Mitleid, wenn ich deinem Begehren nachgab. Einzig meine Liebe für dich ließ mich derart handeln. Ich hoffte, dir mit dem Sex helfen zu können, deine offensichtliche Einsamkeit zu überwinden. Die Trennung von Taichi, der Verlust von Akito…“ „Und du gingst mit mir ins Bett, weil du wolltest, dass ich im Gegenzug aufhöre, meinen Körper an fremde Männer zu verkaufen“, unterbreche ich meinen Vater und trinke einen Schluck Kaffee. „Ja.“ „Ich hätte das ausnutzen können, dich erpressen und somit indirekt zum Sex zwingen können.“ „Warum hast du die Gelegenheit nicht genutzt?“ Erstaunt mustere ich meinen Gegenüber. „Das solltest du wissen. Ich gebe mich dir jederzeit bedingungslos hin, aber wenn du in mir bist, möchte ich dich spüren. Ansonsten bestünde der einzige Unterschied zwischen dir und den Freiern in der Brutalität und Rücksichtslosigkeit.“ Ich nehme einen letzten Zug von der Zigarette und drücke sie anschließend im Aschenbecher aus. „Mit Taichi hast du freiwillig geschlafen, oder?“ „Was willst du eigentlich von mir hören? Einen detaillierten Vergleich? Dafür seid ihr zu verschieden. Du bist wesentlich hingebungsvoller als Taichi, er hingegen ist fordernder.“ Mein Vater seufzt. „Yamato, aus welchem Grund kommst du heute später?“ Mit durchdringendem Blick sieht mein Vater mich an. Einerseits will er mir auf diese Weise bedeuten, dass ich den Themenwechsel kommentarlos akzeptieren soll, andererseits schwingt Misstrauen in seiner Stimme mit. „Triffst du dich mit jemandem?“ „Nein“, lüge ich. „Wegen meiner langen Abwesenheit von der Uni muss ich vieles nachholen.“ Bewegungslos sitze ich auf dem Bett und starre auf meine verkrampft ineinander verhakten Finger. Da ich mittlerweile volljährig bin, ist es nun ganz legal möglich, im Zimmer des Lovehotels auf meinen Freier zu warten. Ich schließe meine Augen. Das Gespräch mit meinem Vater heute Morgen lässt mich noch immer nicht los. Zwar sind meine Gefühle für ihn unverändert stark, dennoch habe ich beschlossen, mich in Zukunft zurückzuhalten, solange er nicht freiwillig Befriedigung bei mir sucht. Für meinen Vater würde ich jederzeit die Beine breit machen, aber eine derartige Forderung seinerseits wird mit großer Wahrscheinlichkeit auf ewig Wunschdenken bleiben. Seufzend öffne ich meine Augen wieder und fixiere einen unbestimmten Punkt vor mir auf dem Boden. Ich frage mich, ob mein Vater sowie auch Taichi meine Lügen bezüglich der Uni wirklich glauben. Sind sie tatsächlich so naiv zu denken, dass ich meinen Freier so einfach aufgeben konnte, dass ich keinen Kontakt mehr zu ihm habe? „Einfach…“, flüstere ich mit einem verächtlichen Lächeln auf den Lippen und lasse mich nach hinten auf die Matratze fallen. Nichts, das Leben betreffend, ist einfach. Schon gar nicht, wenn es um den Verlust eines Menschen geht, der mir ausnahmsweise nicht egal ist. Erst jetzt bemerke ich die Tränen, die meine Haut benetzen. Warum muss immer alles so verdammt wehtun? Die Tür zum Zimmer wird geöffnet. Verstohlen wische ich mir über das Gesicht und setze mich auf. „Es tut mir leid, wartest du schon la…“ Mein Freier sieht mich besorgt an. „Yamato, was ist passiert?“ Er nimmt neben mir auf dem Bett Platz und streicht mit seinem Daumen über meine Wange. Anstatt zu antworten, küsse ich ihn hingebungsvoll. Nur zögernd geht er auf mein Verlangen ein. Hastig öffne ich seine Hose, dann setze ich mich auf seinen Schoß und knöpfe sein Hemd auf, während mein Freier Küsse auf meinen Hals haucht. Leises Stöhnen entweicht meiner Kehle und ich lege meinen Kopf genießerisch in den Nacken. „Yamato“, haucht mein Freier auf meinen mittlerweile entblößten Oberkörper. „Willst du mir nicht erst sagen, was los ist? Warum hast du geweint?“ Ich schaue ihn schmerzlich betrübt an, bevor ich meinen Blick mutlos senke. Mein Freier hebt mit seinem Finger meinen Kopf am Kinn wieder an. „Süßer, sieh mich an.“ Erneut füllen Tränen meine Augen. „Verdammt“, fluche ich und möchte mich abwenden, doch mein Gegenüber hält mich fest und zieht mich dicht an sich, wodurch ich den letzten Rest Selbstbeherrschung verliere und hemmungslos zu schluchzen beginne. Vorsichtig dreht mein Freier unsere Körper, sodass ich unter ihm zum Liegen komme. Liebevoll küsst er die salzige Flüssigkeit von meiner Haut. „Bitte hassen Sie mich.“ „Nein, Yamato“, widerspricht mein Freier sehr bestimmt. „Herr Takano…“ Ich atme tief durch. „Shinya… bisher konnte ich mich nicht überwinden das Angebot anzunehmen und die Höflichkeitsform dir gegenüber abzulegen. Dadurch schaffte ich allerdings eine Distanz, die zwischen uns schon lange nicht mehr existiert.“ Meine Stimme bebt. Ich drehe meinen Kopf zur Seite, damit Shinya mein verheultes Gesicht nicht mehr sieht und es mir leichter fällt, weiterzusprechen. „Ich habe dich wahnsinnig lieb. Glaubst du mir das?“ „Natürlich.“ „Warum? Wie du weißt, bin ich ein egoistischer Lügner.“ „Yamato, spricht gerade dein Selbsthass aus dir?“ Ich lächle leicht. „Du bist der Mensch, der mich am besten kennt, ein unersetzbarer Freund und ein wichtiger Halt in meinem Leben. Ich brauche dich so sehr!“ Meine Stimme versagt. „Shh. Es ist doch alles in Ordnung. Ich liebe dich und bin für dich da. Nichts wird sich daran ändern.“ Er zwingt mich ihn anzusehen. „Süßer, hast du das verstanden?“, fragt er eindringlich. Ich nicke, ziehe ihn zu mir hinab und küsse ihn fordernd. Shinya gleitet voller Begehren mit seinen Händen über meinen Körper, zieht mir die restlichen Kleidungsstücke aus. Dann entkleidet auch er sich. Sehnsuchtsvoll spreize ich meine Beine und lasse ihn über mich kommen. Erneut versinken wir in einem leidenschaftlichen Kuss, wobei mein Freier derb in mich eindringt. Seine Penetration ist hart und mit jedem Stoß scheint er tiefer in mich einzudringen. Meine Gefühle werden zu stark, sodass ich psychisch zusammenbreche. „Hör auf, Shinya! Bitte!“, flehe ich völlig aufgelöst. Sofort zieht er sich aus mir zurück und drückt mich deutlich verwirrt an sich. „Nein… nicht anfassen“, hauche ich kraftlos, verharre dabei jedoch ohne Gegenwehr in seinen Armen. Shinya sagt nichts, sondern streichelt nur beruhigend über meinen Kopf. „Ich… will dich nicht verlieren. Aber der heutige Abschied ist… endgültig.“ Mit jedem Wort werde ich unsicherer und meine Stimme leiser. Wider Erwarten schweigt Shinya weiterhin und betrachtet mein Gesicht eingehend. Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn, dann setzt er sich auf. Nachdenklich starrt er auf irgendeinen Punkt im Zimmer. „Shinya… bitte. Ich…“ „Schon gut, Yamato. Diese Entscheidung uns betreffend war nur eine Frage der Zeit, weshalb ich nicht besonders überrascht bin.“ „Du akzeptierst es einfach so?“ „Das muss ich. Nicht zuletzt, weil ich Taichi sagte, ich würde dich gehen lassen, wenn du es wollen würdest.“ Mein Freier klingt zwar sachlich, trotzdem spüre ich seine Haltlosigkeit. Schützend lege ich von hinten meine Arme um ihn, presse meinen Körper eng an seinen Rücken. „Jetzt hasst du mich mit Sicherheit. Ich zumindest hasse mich abgrundtief, weil ich dich einmal mehr aufgrund meines Egoismus im Stich lasse.“ „Tust du es nicht für Taichi?“ „Nein. Ich tue es wegen meiner Angst, ihn zu verlieren. Und dafür nehme ich sogar in Kauf, dass du deinen Sohn…“ Vorsichtig löst sich Shinya aus meiner Umklammerung, dreht sich zu mir und nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände. „Yamato, es ist nicht deine Aufgabe, mit mir zu schlafen, um meinen Sohn zu schützen. Ich allein bin für meine Taten verantwortlich, versteh das endlich. Seit ich das letzte Mal Hand an Shota legte, ist er mir gegenüber vorsichtiger, seiner Mutter jedoch sagte er wider Erwarten nichts. Dass ich das Vertrauen meines Sohnes vollständig zurückgewinnen kann, wage ich zu bezweifeln. Ich habe durch meinen Kontrollverlust und der damit verbundenen Auslebung meiner Gefühle viel kaputt gemacht.“ „Um derartige Übergriffe zu vermeiden, hast du dir Ersatz gesucht. Deshalb darf ich mich dir nicht einfach entziehen.“ „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich dich liebe und deshalb mit dir schlafen will? Begreife das endlich und gib dir nicht immer die Schuld an allem!“ Bevor ich etwas erwidern kann, küsst er mich. „Es tut weh, dich zu verlieren, Yamato. Dich… nicht nur deinen Körper.“ Alles in mir zieht sich schmerzhaft zusammen und ich kann kaum atmen. „Shinya? Können wir dieses Treffen nicht wie die anderen ablaufen lassen und dann wie immer einfach nach Hause gehen?“ Shinya drückt mich nach hinten auf die Matratze und lächelt mich voller Zuneigung an. Dennoch ist die Verzweiflung im Raum deutlich spürbar. Unter Tränen gebe ich mich meinem Freier ein letztes Mal hin. „Was ist los, Yamato? Du wirkst so bedrückt, starrst die ganze Zeit nur abwesend aus dem Fenster und rauchst eine Zigarette nach der anderen.“ Taichi hockt sich vor mich und betrachtet mich eindringlich. Ich lasse den Rauch zwischen meinen Lippen sanft entweichen, dann schaue ich meinem Freund direkt in die schönen braunen Augen. „Ich liebe dich, Taichi Yagami. So sehr.“ Achtlos werfe ich den verbliebenen Filter aus dem Fenster, stehe auf und lasse mich auf mein Bett fallen. Der Verlust von Shinya ist schmerzhafter als erwartet. Ich fühle mich leer, zudem fehlt mir mit ihm nun ein wichtiger Halt in meinem Leben. „Taichi“, flüstere ich. „Halt mich fest.“ Schweigend kommt mein Freund zu mir, legt sich hinter mich auf die Matratze und umfängt mich schützend mit seinen Armen. Ich spüre seinen beruhigenden Herzschlag, sein warmer Atem kribbelt auf der Haut in meinem Nacken. „Ich liebe dich auch, Yamato Ishida“, raunt er in mein Ohr. Mit seiner Hand gleitet er in erregender Weise über meinen Körper, unter mein Hemd, zwischen meine Beine. Unerwartet richtet Taichi sich auf. Er dreht mich auf den Rücken, setzt sich auf meine Oberschenkel und grinst mich an. Irritiert mustere ich ihn, doch bevor ich etwas sagen kann, stürzt Tai sich auf mich und beginnt damit, mich durchzukitzeln. In einem Versuch der Befreiung winde mich unter ihm, bis ich mich vor Lachen und beginnenden Bauchschmerzen nur noch krümme. „Nicht… mehr…“, flehe ich nach Luft ringend. „Ich kann… nicht…“ „Was kannst du nicht?“, säuselt mein Freund, hört aber auf und beugt sich zu mir hinab. Sanft küsst er die Tränen von meinem Gesicht, bei denen ich nicht sicher bin, ob sie wirklich durch das Lachen verursacht wurden. Dann spielt er mit einigen meiner Haarsträhnen, lässt sie immer wieder durch seine Finger gleiten. „Nun muss ich mich wieder umgewöhnen. Du hast deine Haare ziemlich lang werden lassen.“ „Stimmt, aber sagte ich letztens nicht, dass sie beim Sex nerven“, erkläre ich mit einem unschuldigen Lächeln. „Verstehe. Mit den halblangen Haaren wirkst du… jünger.“ Der Gesichtsausdruck meines Freundes wird ernst. Ich weiß, dass er auf meinen Freier anspielt, lenke jedoch ab, indem ich Tai zu mir hinabziehe und seine Lippen mit meinen versiegele. Die Trennung von Shinya würde er mir ohnehin nicht glauben, also kann ich darüber genauso gut schweigen. Hastig öffnet Taichi meine Hose. Ich bäume mich leicht auf, um ihm das Ausziehen zu erleichtern. Mein gesamter Körper bebt vor Erregung und scheint an den Stellen, die er berührt, zu verbrennen. „Du gehörst mir, Yamato. Also vergiss nicht, dass ich jeden Schmerz, der dir zugefügt wird, freiwillig und unfreiwillig, um ein Vielfaches überdecken werde.“ Tai fixiert mich mit seinem stechenden Blick und einmal mehr verliere ich mich in seinen schönen braunen Augen. Ich liebe dich. Ich sehne mich nach dir. Was soll ich tun? Ich weiß es nicht mehr. Liebe und Wahnsinn… Ich weine und weiß nicht einmal, warum. Was kümmert mich das Ende der Welt… soll dieser Kampf doch auf ewig weitergehen. Du bringst mir unfassbares Glück und unfassbares Leid. Liebe… Wahnsinn… Kummer und Leid… Schmerz und Hass… Ich liebe dich. Sonst nichts. Es genügt mir. Ich liebe dich. Sonst nichts. Das ist alles, doch… …wenn das alles ist… warum ist es dann so schwer? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)