Kein einfacher Anfang von GotoAyumu (Yamato Ishida x Taichi Yagami) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ich sitze mit dem Kopf in meine Hand gestützt auf meinem Platz und beobachte den Jungen mit den braunen, zerzausten Haaren, der schräg vor mir sitzt. Während er nach vorn zur Tafel schaut, spielt er mit einem Stift, den er zwischen seinen Fingern hält. Seit einigen Wochen hat die Schule wieder begonnen, doch seitdem haben Taichi und ich kaum ein Wort miteinander gewechselt. Ich gehe absichtlich auf Abstand, obwohl ich eigentlich in seiner Nähe sein möchte. Die Ferien verbrachten wir weitestgehend zusammen, in einem dieser nervigen Sommercamps, allerdings waren wir selten allein, da sowohl Hikari als auch Takeru ebenfalls anwesend waren. Es ist nicht so, dass ich unbedingt mit meinem besten Freund allein sein will, meist streiten wir uns ohnehin, sobald wir aufeinandertreffen, aber vielleicht ist es genau das, worauf ich aus bin. Ich sehne mich nach den körperlichen Auseinandersetzungen mit ihm, danach, meinen besten Freund und den Schmerz zu spüren. Zudem träume ich seit Beginn des Camps von einer merkwürdig fremden Welt, die lediglich aus Daten besteht. Ich verfolge mit Tai, meinem Bruder und vier weiteren Kindern sowie unterschiedlichen digitalen Wesen ein bestimmtes Ziel, im Traum von letzter Nacht ist sogar noch Taichis Schwester zu unserer Gruppe gestoßen. Inzwischen bereitet es mir in manchen Situationen Schwierigkeiten, die Fiktion von der Realität zu unterscheiden, zumindest was die Aussagen und bestimmte Handlungen einzelner Personen betrifft. Die Schulklingel ertönt und beendet den Unterricht für heute. Gelangweilt stehe ich auf und packe meine Arbeitsmaterialien zusammen. Ich habe es nicht sehr eilig, mein Vater ist ohnehin nicht zu Hause und mit Takeru treffe ich mich erst in zwei Stunden. Mein Blick fällt erneut auf Taichi, der sich gerade mit einem anderen Jungen aus unserer Klasse unterhält, wobei durch ihre lockere Umgangsart immer wieder Körperkontakt entsteht. Schlecht gelaunt nehme ich meine Tasche und gehe an ihnen vorbei aus dem Klassenzimmer. „Hey, Yamato. Warte mal.“ Mit einem ernsten Gesichtsausdruck hält mein bester Freund mich am Arm zurück. „Was passt dir denn nun schon wieder nicht? Sag nicht, du bist tatsächlich noch sauer, weil ich mich im Camp mit deinem Bruder gut verstanden habe.“ „Lass mich los“, zische ich verärgert und schüttle seine Hand von mir. „Ich weiß selbst nicht, warum ich damals auf dich losgegangen bin, obwohl du Takeru nur helfen wolltest“, gebe ich schließlich zu. „Was ist es dann?“ Mit seinen Augen scheint Taichi fast in mich einzudringen, schnell drehe ich mich weg, bevor ich mich ganz darin verliere. Immer wenn ich in seiner Nähe bin, verspüre ich das unbändige Verlangen, meinem besten Freund Gewalt anzutun und zwar nicht in Form von kindlichen Raufereien. Mein Puls rast, als ich Taichi betrachte, meine Hand nach ihm ausstrecke und ihm leicht über den Hals streiche. Ich lächle. „Yamato?“ Verunsichert blickt mein Gegenüber mich an. „Würdest du dich auf mehr einlassen?“, frage ich ganz direkt. „Ich verstehe nicht, was du meinst?“ Mein Lächeln wird zu einem Grinsen. Tai weiß ganz genau, worauf ich hinauswill. „Tatsächlich nicht?“ Ich gehe näher an ihn heran, umfange ihn mit meinen Armen und drücke ihn fest an mich. Dabei sind meine Lippen dicht an seinem Ohr. „Ich will dich besitzen und nur für mich allein haben.“ Mit meinem Bruder treffe ich mich meist vor seiner Schule. Sie ist in der Nähe seines Zuhauses, sodass er allein dorthin gelangen kann und ich ein Antreffen meiner Mutter vermeide. Es ist nicht so, dass ich sie hassen würde, aber ich weiß auch nicht, wie ich mit ihr umgehen soll. Ihre Nähe fühlt sich momentan einfach nur unangenehm an. Und ich glaube, meinem Vater geht es genauso. „Yamato!“, winkt mein Bruder, als er auf mich zugelaufen kommt. Ich schließe ihn liebevoll in meine Arme und hebe ihn hoch. „Nicht, lass das. Ich bin doch kein Baby mehr“, schimpft Takeru und windet sich. Ich setze ihn wieder ab und hocke mich vor ihn, um ihm in die Augen sehen zu können. „Tut mir leid, aber ich werde dich immer beschützen. Du bist doch schließlich mein kleiner Bruder.“ „Ich bin doch gar nicht in Gefahr. Außerdem kann ich schon auf mich selbst aufpassen. Tai hat auch gesagt…“ „Es ist mir egal, was Taichi gesagt hat. Jemand wie er hat keine Ahnung.“ Ich spreche die Worte lauter und energischer als beabsichtigt, sodass mein Bruder leicht erschreckt. „Du bist in letzter Zeit oft gereizt, wenn es um Tai geht. Warum? Habt ihr euch gestritten?“ „Nein. Lass uns jetzt gehen, sonst fängt der Film ohne uns an.“ Nachdenklich rühre ich mit der Kelle im Topf herum. Taichi hatte mich nur von sich geschoben und gelacht. Er nahm meine Aussage nicht ernst. Am liebsten hätte ich ihm sofort bewiesen, dass ich nicht scherzte, allerdings befanden wir uns auf dem Schulflur und die Umstehenden schauten uns ohnehin schon wegen der Umarmung seltsam an. Mein Verlangen, ihn gewaltsam zu spüren und spüren zu lassen, bleibt also weiterhin ungestillt. Ich frage mich, wie es sich anfühlt, wenn er seine Finger um meinen Hals legt und meine Hauptschlagader abdrückt. Oder wenn ich die Gewalt über ihn habe. Würde Taichi sich meinem Schmerz öffnen, so wie ich seinen in mich aufnehmen möchte? Meine Gedanken verwirren mich etwas. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich schon immer gern mit Tai geprügelt habe, ihn oft sogar absichtlich provozierte. Es reicht aber nicht. Inzwischen will ich mehr. Ein bloßer Schlagabtausch ist zu primitiv, der Schmerz zu einseitig, zu gering. „Yamato, ich glaube du lässt gerade unser Abendessen anbrennen“, bemerkt mein Vater, der sich gerade im Flur seiner Schuhe entledigt. Hektisch ziehe ich den Topf vom Herd. Jetzt vernehme auch ich den verbrannten Geruch. Ich war so sehr in meinen Gedanken versunken, dass ich nicht einmal die Anwesenheit meines Vaters mitbekam. „Ich konnte heute etwas früher Feierabend machen. Denkst du, das ist noch genießbar?“ Er deutet auf den Topf. „Ich denke schon. Tut mir leid“, antworte ich noch immer etwas abwesend und stelle zwei Schüsseln auf den Tisch. „Am besten, wir rühren den Eintopf nicht mehr um, dann bleibt das Verbrannte unten.“ Mein Vater lacht und setzt sich auf seinen Platz. Eine Weile nehmen wir schweigend unser Abendessen zu uns. Meine Gedanken kreisen noch immer um meinen besten Freund. „Wie war es heute in der Schule?“, will mein Gegenüber schließlich wissen. „Es gab nichts Besonderes. Jeder Tag ist gleich. Immer dasselbe“, antworte ich monoton, während ich gelangweilt meinen Eintopf löffle. „Und dein Treffen mit Takeru? Das war doch heute, oder?“ „Ja, wir waren im Kino. Er vermisst dich und würde dich auch gerne einmal wiedersehen, deshalb kommt er das nächste Mal zu uns. Ich werde ihn abholen, für ihn allein ist der Weg zu weit.“ Der Blick meines Vaters wird ernst. „Keine Angst, ich werde vor der Eingangstür warten, dann sehe ich sie nicht.“ Er lässt seinen Löffel sinken, steht auf, macht ein paar Schritte in meine Richtung und beugt sich auf Augenhöhe zu mir hinab. Besorgt streichelt er über meine Wange. „Yamato, nur weil deine Mutter und ich uns nicht mehr verstehen und getrennt leben, heißt das nicht, dass du ebenfalls keinen Kontakt mehr zu ihr haben darfst.“ „Ich weiß, Papa.“ Mit einem Lächeln versuche ich ihn zu beruhigen. „Geht es dir ansonsten gut? Du wirkst in letzter Zeit, als würde dich etwas beschäftigen und bist oft mit deinen Gedanken woanders.“ Liebevoll fährt er mit seinen Fingern durch meine Haare. „Ja, es ist alles okay.“ Ich kann nicht einmal sagen, ob diese Antwort der Wahrheit oder einer Lüge entspricht. Schweißgebadet wache ich auf. Es ist dunkel in meinem Zimmer, somit also nach wie vor Nacht. Meine Atmung ist schwerfällig, wieder habe ich von dieser Welt geträumt. Diesmal wurde die Gruppe voneinander getrennt. Ich landete in einer Gegend, die von Schnee und Eis bedeckt war. Bei meiner Suche nach Takeru traf ich auf Taichi. Sofort gerieten wir wieder aneinander, schlugen aufeinander ein. Noch immer habe ich das Gefühl, den Körper meines besten Freundes spüren zu können, den Schmerz seiner Schläge, seine Haut, die meine berührt. Warum fühlen sich diese Träume so real an? Beschämt lasse ich meine Hand unter die Decke gleiten. In letzter Zeit reagiert mein Körper oft auf diese Weise, aber wie ich feststellen muss ausschließlich in Verbindung mit Gewalt beziehungsweise Schmerz. Um jenem Zustand Abhilfe zu verschaffen, fasse ich mich an, empfinde jedoch nichts dabei, abgesehen davon, dass es mir unsagbar peinlich ist. Müde stehe ich auf, um meine Hände waschen zu gehen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es halb fünf ist, zumindest soweit ich die Stellung der Zeiger in der Dunkelheit richtig erkennen kann. Leise, um meinen Vater nicht zu wecken, schleiche ich ins Bad. Nachdem ich meine Hände gereinigt und mit einem Handtuch getrocknet habe, schaue ich in den Spiegel. Der Junge mit den blonden Haaren, der mir skeptisch entgegenblickt, widert mich an. Ihm ist seine Abartigkeit förmlich anzusehen. Voller Ekel wende ich mich ab und gehe zurück in mein Zimmer. In meinem Bett liegend versuche ich krampfhaft einzuschlafen. Unruhig wälze ich mich hin und her, schaffe es nicht, meine Gedanken abzuschütteln. Dafür hasse ich mich. Allgemein verspüre ich immer mehr den Wunsch, diesem stärker werdenden Selbsthass Ausdruck zu verleihen. Nervös kratze ich über meinen Arm, übe sogleich mehr Druck aus, um die Haut von meinem Fleisch zu lösen. Dummerweise sind meine Fingernägel zu kurz, um ernsthaften Schaden anzurichten. Vermutlich bleiben lediglich einige rote Striemen zurück. Unzufrieden ziehe ich die Decke über meinen Kopf. Ich fühle mich merkwürdig haltlos und einsam. Ist mein derzeitiger Zustand das, was man im Allgemeinen Pubertät nennt? Werde ich mich demnächst wegen irgendwelcher Mädchen wie ein Vollidiot verhalten? Bisher interessieren sie mich in keiner Weise. Die meisten Jungs aus meiner Klasse finden Mädchen sogar überwiegend doof und können es nicht lassen, sie zu ärgern. Generell erscheinen mir meine Mitschüler oft ziemlich zurückgeblieben. Ihr Verhalten ist kindisch, albern und oft extrem hirnlos. Gähnend schließe ich meine Augen und schlafe kurz darauf ein. „Hey.“ Ich schaue meinen besten Freund fragend an, als er vor meinem Tisch stehen bleibt und mich hoffnungsvoll ansieht. „Hey“, antworte ich nur knapp, um ihn weitersprechen zu lassen. „Wartest du heute nach dem Unterricht auf mich? Ich habe noch Klassendienst.“ „Aus welchem Grund sollte ich warten? Nur damit wir zusammen nach Hause gehen können? Ich dachte, du bist schon alt genug, um keine Angst mehr zu haben und den Weg allein zu finden“, ziehe ich ihn auf. „Sehr witzig. Ich wollte eigentlich mit zu dir kommen. In letzter Zeit gehst du mir offenbar aus dem Weg und ich möchte wissen, warum.“ „Dafür musst du aber nicht extra zu mir kommen. Außerdem schenkst du meinen Worten ohnehin keinen Glauben.“ Ich schaue ihn durchdringend an. „Wie kommst du darauf?“ An seinen Augen erkenne ich, dass er tatsächlich nicht weiß, worauf ich anspreche. Genervt erhebe ich mich und lasse ihn ohne weiteren Kommentar stehen. „Wohin willst du, es klingelt gleich wieder zum Unterricht“, ruft Tai mir nach. „Zur Toilette. Willst du etwa mitkommen?“ Ich warte keine Antwort ab, sondern verlasse mit finsterer Miene den Raum. „Was ist los mit dir? Und jetzt behaupte nicht, es sei alles in Ordnung. Du bist permanent gereizt, ziehst dich zurück und lässt mich überhaupt nicht mehr an dich ran.“ Auf meinem Sofa sitzend redet Taichi auf mich ein, während ich an meinem Schreibtisch versuche die Schularbeiten zu erledigen. Angespannt lasse ich meinen Stift sinken. „Was empfindest du, wenn du mich schlägst oder von mir geschlagen wirst?“, will ich schließlich wissen. Kurz stutzt mein bester Freund. „Ich bin wütend auf dich, verzweifelt wegen deiner Sturheit und Dickköpfigkeit. Warum fragst du? Was empfindest du denn?“ Entschlossen lege ich meinen Stift beiseite, erhebe mich und gehe auf Tai zu. Vor ihm bleibe ich stehen und beuge mich zu ihm hinab, wobei ich meine Finger um seinen Hals lege. „Ich sagte dir bereits, dass ich dich besitzen will.“ Langsam übe ich Druck auf die Hauptschlagader meines Gegenübers aus. Mit stechendem Blick mustert Taichi mein ausdrucksloses Gesicht und umschließt mit festem Griff meine Handgelenke. Ein Lächeln legt sich auf seine Lippen, welches ich noch nie zuvor bei ihm gesehen habe. Mit einem merkwürdigen, für mich nicht zuordenbaren Gefühl lasse ich von Tai ab. „Du meintest deine Aussage neulich in der Schule also wirklich ernst“, stellt er nüchtern fest. „Wie genau äußert sich dein Besitzanspruch?“ Ich nehme neben meinem besten Freund auf dem Sofa Platz. Die Richtung, in die sich das Ganze bewegt, gefällt mir nicht, denn es kommt mir so vor, als würde ich die Kontrolle verlieren. „Vergiss meine Worte. Es war eine Lüge“, versuche ich Tai einzureden. „Ach wirklich?“ Das Lächeln verschwindet nicht aus seinem Gesicht. Wut über Taichis Verhalten steigt in mir auf, doch eigentlich ist es eher die Wut auf mich selbst, die meinen Körper zum Beben bringt. Ich balle meine Hand zur Faust und drücke sie derart fest zu, dass ich den Schmerz, den meine sich in mein Fleisch bohrenden Fingernägel verursachen, deutlich spüren kann. Allmählich werde ich ruhiger, es ist erstaunlich, was Schmerz bewirken kann. Ich schließe meine Augen und atme tief durch. „Nein“, revidiere ich meine Aussage erneut. „Aber ich denke, es ist besser, wenn du jetzt gehst.“ „Wieso?“ Tais Gesichtsausdruck zeigt, dass er irritiert ist. „Geh einfach.“ Gelangweilt sitze ich auf einer Bank am Spielfeldrand und schaue Taichi bei seinem Training zu. Warum er diesen Sport so leidenschaftlich ausübt, habe ich nie verstanden. „Hey, Yamato“, höre ich eine mir bekannte Stimme meinen Namen rufen. Sora, Tais beste Freundin, kommt mit einem Lächeln auf mich zu und nimmt ungefragt neben mir Platz. „Du schaust Tai oft beim Fußballspielen zu“, stellt sie fest, während ihre Augen unentwegt an meinem besten Freund haften. „Ich habe nichts Besseres zu tun.“ „Bist du in keiner AG?“ Sora blickt erstaunt zu mir. „Nein“, antworte ich knapp. Ich habe keine Lust, mich zu unterhalten. Schon gar nicht mit ihr. Es ist nicht so, dass ich sie nicht leiden kann, im Grunde ist sie mir ziemlich egal, aber Tai mag sie und das nervt mich. Jedes Mal, wenn ich mit ihr rede, frage ich mich erst recht, was er an ihr findet. Sie ist so extrem empathisch und aufopferungsvoll, dass mir schlecht wird. Ich frage mich, ob Taichi auch so philanthropisch veranlagt ist. Nach außen wirkt es auf jeden Fall so, aber ich bin mir inzwischen nicht mehr ganz sicher, ob das nicht täuscht. In den vergangenen Wochen habe ich meinen besten Freund ein wenig beobachtet, denn sein Lächeln, welches er mir entgegenbrachte, als ich meine Finger um seinen Hals legte und leicht zudrückte, geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Noch jetzt verspüre ich eine merkwürdige Aufregung, wenn ich an die Situation von damals denke. Seitdem ist zwischen uns allerdings nichts weiter vorgefallen. Ich versuche meine Gefühle zu unterdrücken, dieses Gewaltverlangen, welches sich immer stärker herausbildet und mich in seiner Nähe hält. Ihm aus dem Weg zu gehen, funktioniert nicht mehr. „Sieh nur, Tai hat ein Tor geschossen“, holt mich die Stimme seiner besten Freundin aus meinen Gedanken. Ich schaue auf das Spielfeld und muss feststellen, dass Taichi gerade in unsere Richtung sieht. Seine Augen fixieren mich. Er lächelt. Plötzlich spüre ich Soras Hand auf meinem Oberschenkel. Erschreckt drehe ich meinen Kopf und blicke sie mit Missfallen an. „Yamato…“, beginnt sie einfühlsam. „Hast du Probleme? Du bist ständig in Gedanken, wirkst traurig oder teilnahmslos. So wie jetzt.“ Versucht höflich umgreife ich Soras Handgelenk und entferne ihre Hand von meinem Bein, wobei ich sie scheinbar etwas zu hart anfasse, da sie leicht zusammenzuckt. „Ich habe keine Probleme“, sage ich schließlich freundlich, aber bestimmt, wodurch ich verdeutlichen will, dass ich an keiner weiteren Unterhaltung interessiert bin. Obwohl ich mit Taichis bester Freundin bisher kaum etwas zu tun hatte, kommt es mir so vor, als würde ich viel Zeit mit ihr verbringen. Sie ist ebenfalls in dieser digitalen Welt, eines der aktuell acht Kinder. Aber warum? Sind es wirklich nur Träume? Eigentlich fühlt es sich dafür zu real an. Ich spüre sogar beim Aufwachen noch den Schmerz, der mir in Kämpfen mit bösartigen, digitalen Wesen zugefügt wird. Oft brauche ich dann eine Weile, um mich zu orientieren, die Realität zu erkennen. „Das Training ist vorbei“, bemerkt Sora. „Ich gehe mal kurz zu Tai.“ Wozu sie mich darüber informiert, verstehe ich nicht, doch meine Stimmung sinkt merklich, als ich den vertrauten Umgang der beiden Freunde miteinander beobachten muss. Vermutlich werden sie gemeinsam nach Hause gehen, da sie in derselben Richtung wohnen. Mein Blick verfinstert sich. Entschlossen stehe ich auf und mache mich auf den Weg zu den Umkleidekabinen. An die Mauer der Jungenumkleidekabine gelehnt warte ich darauf, dass mein bester Freund diese verlässt. Ich muss mit ihm reden, doch eigentlich habe ich keine Ahnung, was ich sagen will, geschweige denn, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll. Eine normal freundschaftliche Ebene ist in Anbetracht meiner Gedanken kaum möglich, die Aufregung in meinem Inneren irritiert mich zusätzlich. Woher kommen die ganzen widersprüchlichen Empfindungen? Ich will Taichi verletzen, ihn von allem fernhalten, isolieren, spüren, an mich binden und zugleich von mir stoßen. Allmählich treiben mich diese Gefühle in den Wahnsinn, sie zermürben mich. Ich ertrage sie nicht, sie sind zu intensiv, zu schmerzvoll und doch klammere ich mich aus genau diesem Grund an ihnen fest. „Hier bist du“, höre ich Soras Stimme sagen. Ich schaue auf und ihr direkt ins Gesicht. Sie lächelt. Wie immer. „Du warst auf einmal verschwunden. Ich habe mir ein wenig Sorgen gemacht, weil du heute so einen abwesenden Eindruck auf mich machst“, gibt sie leicht verlegen zu. Ohne darauf einzugehen, schaue ich wieder zu Boden. Ich verstehe selbst nicht, warum mir Soras Gegenwart momentan derart unangenehm ist. Vielleicht liegt es daran, dass Taichi nicht dabei ist, denn eigentlich habe ich mich noch nie viel mit ihr unterhalten und immer ging die Initiative, so wie jetzt, von ihr aus. Ich reagiere lediglich. „Wartest du auch auf Tai?“ Ich nicke. „Also gehst du mit uns zusammen nach Hause?“, versucht sie das Gespräch aufrecht zu erhalten. „Nein, ich denke nicht. Ich will nur kurz mit ihm reden“, antworte ich gleichmütig. „Ach so.“ Sie klingt enttäuscht, weshalb ich verwundert aufblicke. Das Lächeln ist für einen Augenblick aus Soras Gesicht verschwunden. Was will dieses Mädchen überhaupt von mir? Gerade als ich ihr diese Frage stellen möchte, sehe ich meinen besten Freund die Umkleide verlassen und auf uns zukommen. „Yamato, du hast auch auf mich gewartet?“, fragt er überrascht und bleibt direkt vor mir stehen. „Ja, können wir reden?“, trage ich Taichi mein Anliegen direkt vor, Sora dabei anschauend. „Klar, worüber denn?“ Unverwandt ruht mein Blick auf seiner besten Freundin. Während Tai zwischen uns hin- und hersieht, scheint diese meine subtile Andeutung zu begreifen. „Ich warte am Schultor“, bemerkt sie knapp und lässt mich mit Taichi allein. „Was gibt es denn so Geheimnisvolles, dass…“ Er stockt, als ich ihn unsanft gegen die Wand des Gebäudes der Jungenumkleide in seinem Rücken drücke, eine Hand um seinen Hals gelegt. Überrascht blickt mein bester Freund mich an. Ich verstärke den Druck auf seine Kehle langsam, presse meinen Körper gegen seinen und berühre mit meinen Lippen beinahe sein Ohr. „Ich will das Lächeln vom letzten Mal sehen“, raune ich und gehe einen Schritt zurück, um sein Gesicht sehen zu können, jedoch ohne gänzlich von ihm abzulassen. Taichi hat die Augen geschlossen. „Magst du es, wenn ich das mit dir mache?“, möchte ich flüsternd wissen. Mein bester Freund schaut mich an, erneut mit diesem von mir ersehnten, vielsagenden Lächeln, welches ich nicht zu deuten vermag. Trotzdem oder gerade deswegen übt es eine unglaubliche Anziehung auf mich aus. Hitze und ein nervöses Kribbeln durchfluten meinen gesamten Körper. „Drück fester zu. Das ist es doch, was du willst, oder?“, fordert Tai mich mit erstickter Stimme auf. Ohne zu zögern, leiste ich seinen Worten Folge, bis seine Beine zu zittern beginnen und schließlich nachgeben. Kraftlos sackt mein bester Freund in sich zusammen, sodass ich meinen Griff um seinen Hals löse. Nur mit Mühe gelingt es mir, ihm Halt zu geben. Er beginnt krampfhaft zu husten. Behutsam, ihn fest mit meinen Armen umschließend, sinken wir zu Boden. Genervt registriere ich, dass zwei von Tais Teammitgliedern, beide gehen in unsere Parallelklasse, aus der Umkleidekabine auf uns zugelaufen kommen. Offenbar haben sie das Husten meines besten Freundes gehört. „Tai, was ist passiert? Ist alles okay?“, fragt einer der beiden besorgt und beugt sich zu uns hinab, während der andere mich skeptisch mustert. Ich erwidere seinen Blick herausfordernd, wobei ich Taichi stärker an mich presse. Dieser beruhigt sich allmählich, der Hustenkrampf lässt nach. „Es ist alles in Ordnung. Ich habe mich nur verschluckt.“ Er lacht verlegen. Genau jenes Lachen, welches ich bei ihm abgrundtief hasse. Es wirkt auf mich so ekelerregend falsch, dass ich mich beinahe übergeben muss. Sein Umfeld allerdings reagiert positiv darauf, ein Beweis für ihre Dummheit und Oberflächlichkeit. Oder lassen die Menschen sich freiwillig blenden, weil sie sowieso nur sehen, was sie sehen wollen? Ich löse mich von Tai, stehe auf und wende mich zum Gehen, ohne ihn noch einmal anzusehen. „Yamato, das reicht dir noch nicht, hab ich recht?“, ruft dieser mir mit kratziger Stimme nach. Ich drehe mich zu ihm um. „Nein, noch lange nicht.“ Mit einem Gefühlschaos verlasse ich das Schulgelände und gehe allein nach Hause. Kapitel 2: ----------- Angespannt liege ich in meinem Zimmer auf dem Sofa und starre abwesend zur Decke. In letzter Zeit habe ich häufig starke Kopfschmerzen, die mich in meinem Denken und Handeln ziemlich einschränken. Vielleicht sollte ich es mit einer Tablette versuchen, anstatt dieses unangenehme Pulsieren und dumpfe Stechen zu ertragen. Ich weiß, dass eine Packung Schmerzmittel im Medizinschrank im Badezimmer liegt. Mit bedachten Bewegungen erhebe ich mich und verlasse langsam, Schritt für Schritt, den Raum, gehe über den Flur ins Bad. Dort entnehme ich der Schachtel eine kleine weiße Tablette und schlucke sie mit etwas Wasser aus dem Wasserhahn hinunter. Anschließend wage ich einen Blick in den Spiegel. Darin sehe ich noch immer einen Jungen mit blonden Haaren und blauen Augen. Er sieht verstört aus, irgendwie haltlos und verloren, doch sein Anblick erregt kein Mitleid, sondern nur Ekel. Nach wie vor. Seufzend wende ich mich ab und gehe in die Küche. Aus dem Kühlschrank nehme ich eine Flasche Calpis, fülle ein Glas mit der weißen Flüssigkeit und setze mich an den Tisch. Nachdenklich schaue ich aus dem Fenster, während ich unbewusst immer wieder an meinem Getränk nippe. Warum bin ich nur so fixiert auf meinen besten Freund? Taichi geht mir nicht mehr aus dem Kopf, ich will ihn besitzen und an mich binden. Er soll meinen Schmerz spüren, so wie ich seinen Schmerz spüren möchte. Wieder überkommt mich diese Aufgeregtheit, wenn ich daran denke, was ich mit Tai alles anstellen möchte. Mein Puls beschleunigt sich, mein Herz schlägt schneller und Hitze steigt in mir auf. Ich versuche mich zu beruhigen. Diese heftigen Reaktionen meines Körpers verwirren mich, ich weiß nicht, ob ich sie mag oder hasse. Kurzerhand beschließe ich, mich auf meine Empfindungen ganz einzulassen und Taichi zu einem Teil meiner Perversion zu machen. Ich stehe auf und gehe zum Telefon, welches im Flur steht. Etwas nervös wähle ich die Nummer meines besten Freundes. „Hey. Hier Yamato. Gut, dass du gleich dran bist.“ „Mhm. Ach so.“ „Das passt gut. Kann ich zu dir kommen?“ „Ja, jetzt.“ „Das vorhin kann man wohl kaum als Unterhaltung bezeichnen.“ „Warum weichst du aus? Es scheint, als hättest du Angst, mit mir allein zu sein? Gefiel es dir doch nicht, was ich mit dir gemacht habe?“ „Taichi, bist du noch dran?“ „Weil du nichts sagst.“ „Du überlegst aber ziemlich lange. Oder ist das Teil deines perfiden Spiels?“ „Dein Lächeln. Ich lasse mich nicht von deinem hübschen Gesicht mit dem herzlichen Lächeln täuschen.“ „Es ist einfach nur ekelhaft falsch.“ „Tai, bitte. Ich habe keine Lust, mit dir über die Entfernung, ohne dass ich dich ansehen kann, zu reden. Du weißt, wie sehr ich Telefonieren hasse. Kann ich nun also zu dir kommen?“ „Gut, dann bin ich gleich bei dir.“ Leicht genervt lege ich auf. Er hat mich hingehalten, dabei wusste er genau, wie dieses Gespräch ausgehen wird. Er hatte von Anfang an vor mir zuzusagen. Wenn ich ihn nicht brutal unterwerfe, wird er nach seinen eigenen Regeln spielen und mir auf verächtliche Art zeigen, dass er mir weit überlegen ist. Schnell schreibe ich meinem Vater einen Zettel, ziehe meine Schuhe an und nehme meinen Schlüssel von der Kommode. Zufrieden bemerke ich, dass die Tablette wirkt. Meine Kopfschmerzen sind verschwunden. Ich verlasse eilig die Wohnung, um zu Tai zu gelangen. „Worüber willst du denn nun mit mir reden?“, fragt Taichi lächelnd, fast schon amüsiert. Er sitzt vor mir auf dem Boden, während ich auf seinem Bett Platz genommen habe. „Wann kommen deine Eltern zurück?“ „Spät am Abend, wir haben also Zeit.“ „Und deine Schwester?“ „Die ist bei einer Freundin zum Geburtstag. Und übernachtet auch dort. Morgen ist schließlich Samstag.“ Das Lächeln verschwindet noch immer nicht von Tais Lippen. Kurz starre ich diese unbewusst an. „Mal sehen, wie lange du diesen Gesichtsausdruck noch beibehältst.“ Ich stehe auf und knie mich zu meinem besten Freund hinab, meine Hände um seinen Hals legend. Leicht drücke ich auf die Hauptschlagader. „Lass dich zurückfallen, sodass du auf dem Rücken liegst“, befehle ich. Statt meiner Aufforderung zu folgen, umgreift er jedoch ungewohnt derb meine Handgelenke. „Wie kommst du darauf, dass ich dir einfach so gefügig bin?“ Mit unerwartet schnellen Bewegungen bringt er mich auf dem Bauch liegend zu Boden, die Arme schmerzhaft nach hinten verdreht. Er sitzt auf meinen Oberschenkeln und beugt sich zu mir hinab. „Du wirst niemals gegen mich ankommen. Finde dich damit ab, Yama“, flüstert er demütigend in mein Ohr. Ich wehre mich heftig, um mich von ihm zu befreien. Nach einer Weile gelingt es mir, eine kurze Unaufmerksamkeit seinerseits zu nutzen, und stoße ihn von mir. Sofort stürze ich mich auf Tai, schlage unbeherrscht, beinahe hysterisch auf ihn ein. Ich bin wie im Rausch, als ich die aufgeplatzte Lippe und die blutende Nase meines besten Freundes registriere. Dabei fällt mir nicht auf, dass er erst jetzt beginnt seine Fäuste gegen mich einzusetzen. Zuvor ließ er meine Gewalt einfach über sich ergehen. Es scheint, als richte Tai seine Schläge eher auf die Magenregion und weniger auf das Gesicht. Eine Beobachtung, die mich ziemlich aus der Fassung bringt, was mein bester Freund bemerkt und sogleich ausnutzt, um mich endgültig außer Gefecht zu setzen. Er schlägt ganz bewusst und gezielt zu, sodass ich vor Schmerzen gekrümmt auf dem Boden liegenbleibe. Seltsamerweise verspüre ich weder Wut noch Hass, sondern lediglich Befriedigung und innere Ruhe. Taichi lässt sich neben mich sinken, legt seine Hand liebevoll auf meine, verhakt unsere Finger und drückt sanft zu. „Geht es dir jetzt besser? Hin und wieder brauchst du das, hab ich recht? Was genau ist es?“, fragt Tai außer Atem. Auch mein Brustkorb hebt und senkt sich schnell und ich brauche einen Moment, um wieder sprechen zu können. „Schmerz. Soweit ich es zuordnen kann. Aber ich weiß es selbst nicht so richtig“, gebe ich ehrlich zu. „Die Tatsache, dass es mir danach wirklich besser geht, erhärtet meine Vermutung, oder?“ „Ja, irgendwie schon.“ Nachdenklich sieht mein bester Freund mich an. Ich halte seinem Blick stand, drohe jedoch wie immer mich in seinen braunen Augen zu verlieren. „Provozierst du mich deshalb immer? Damit ich dir dein Verlangen nach Schmerz erfülle?“ Es schwingt keinerlei Vorwurf in seiner Stimme mit, nur aufrichtiges Interesse. „Kann sein. Doch warum begegnest du mir jedes Mal mit diesem Lächeln?“ „Was meinst du?“ Tai schaut mich fragend an, was mich leicht durcheinanderbringt. „Ich kann es selbst nicht einordnen. Es ist irgendwie kalt, arrogant, strahlt Überlegenheit aus, als würdest du alles durchschauen, dich amüsieren und ein wenig Wahnsinn in dir tragen.“ Die letzten Worte sage ich so leise, dass Taichi sie kaum gehört haben kann. Er geht auch nicht weiter darauf ein, aber ich sehe an seinem Gesichtsausdruck, dass er keine Ahnung hat, wovon ich spreche. „Tut es noch sehr weh?“, fragt er stattdessen, meine Hand noch immer fest in seiner haltend. „Nein. Und was ist mit dir? Dein Gesicht sieht ziemlich lädiert aus.“ Ich strecke meinen anderen Arm nach meinem besten Freund aus und berühre zaghaft die Verletzung an seiner Lippe. „Ich denke, das Schlimmste wird wie jedes Mal der Aufstand meiner Mutter sein.“ Tai lacht und auch ich kann ein verlegenes Lächeln nicht unterdrücken. „Hast du aus diesem Grund mein Gesicht verschont?“ Mein bester Freund schaut mich ernst an. „Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich unbewusst.“ Ein merkwürdiges Gefühl beschleicht mich. Ich setze mich auf und betrachte Taichi, der noch immer auf dem Boden liegt und mich ebenfalls aufmerksam mustert. „Yama? Geht das auch mit anderen? Findest du auch bei anderen Befriedigung?“ Die Frage erstaunt mich, sodass ich für einen Augenblick überlegen muss. „Ich habe nie daran gedacht, es mit jemand anderem zu tun. In meinen Gedanken bist es immer nur du. Also nein. Was ich von dir bekomme, kann mir kein anderer geben. Ich will auch nur dich spüren“, antworte ich aufrichtig. Taichi lächelt. „Das will ich hoffen.“ Als ich die Wohnungstür aufschließe und im Flur meine Schuhe ausziehe, sehe ich meinen Vater in der Küche herumhantieren. Mit einem begrüßenden Lächeln blickt er zu mir. „Du kommst genau richtig zum Abendessen, Yamato. Setz dich.“ Ich stelle meine Tasche zur Seite und nehme auf meinem Stuhl Platz. Neugierig schnuppere ich in die Luft und schaue zum Herd. „Das riecht lecker. Was gibt es denn?“ „Naja, ich habe mich an Omuraisu versucht, weil das Rezept einfach klingt, aber irgendwie…“ Er betrachtet sein Ergebnis skeptisch. „Die Zubereitung ist doch schwieriger, als ich gedacht habe.“ Mit einem entschuldigenden Lächeln stellt er einen der beiden Teller vor mich. „Das sieht aus wie ein Unfall. Ich dachte immer, dieses Gericht sei ein Omelette gefüllt mit Reis und Gemüse beziehungsweise Fleisch. Aber das…“ Ich lache. „Mach es das nächste Mal besser“, schmollt mein Vater und stellt eine Flasche Ketchup auf den Tisch, bevor er sich mir gegenüber setzt. „Nein, das ist perfekt. Jetzt muss ich es wenigstens nicht mehr vermengen.“ „Lieb von dir, denn wahrscheinlich hättest du es auch nie vermengt, sondern so gegessen. Wie war es bei Taichi?“ Beim Hören dieses Namens wird mein Gesichtsausdruck ernster, krampfhaft versuche ich nicht aufzusehen und stochere in meinem Essen herum. „Was ist los, Yamato?“ „Nichts. Wir hatten unseren Spaß, also mach dir keine Sorgen.“ Ich grinse meinen Gegenüber an und lange zu der Flasche Ketchup, welches ich großzügig über meiner Mahlzeit verteile. „Du sahst eben sehr nachdenklich aus. Mach nicht immer alles mit dir aus, mein Sohn.“ Bestimmt legt mein Vater sein Besteck ab, steht auf und hockt sich vor mich. Zärtlich streicht er mit seiner Hand über meine Wange. „Bitte vergiss nicht, dass ich immer für dich da bin. Egal, was passiert. Ich liebe dich wahnsinnig und werde dich immer beschützen.“ Irritiert darüber, dass ich verlegen werde, drehe ich meinen Kopf zur Seite. Die Worte meines Vaters lösen ein Gefühl in mir aus, welches mich sanft umhüllt und angenehm berührt. Ich muss etwas erzählen, womit ich ihn beruhigen kann. „Kennst du Sora? Sie ist Tais beste Freundin.“ „Nur vom Sehen.“ „In letzter Zeit ist sie ständig da, wo ich bin, und will sich mit mir unterhalten, obwohl ich ihr nichts zu sagen habe. Ihr Verhalten verwirrt mich und das fiel mir vorhin nur wieder ein.“ Sichtlich erleichtert lacht mein Vater, steht auf, wuschelt durch mein Haar und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Dann setzt er sich zurück auf seinen Platz, stützt den Kopf mit seiner Hand und schaut mich mit einem breiten Grinsen an. „Ich glaube, sie mag dich.“ Still esse ich mein Omuraisu. „Warum? Sie kennt mich doch gar nicht“, bemerke ich schließlich. „Bei solchen Dingen darfst du nicht mit Logik rangehen. Gibt es denn jemanden, den du magst, obwohl du nicht sagen kannst, warum das so ist?“ „Tai“, sage ich, ohne zu überlegen. „Ja, er ist dein bester Freund. Solche Menschen nehmen ebenfalls Sonderstellungen in unserem Leben ein. Und außer Taichi?“ „Dich.“ Sanftmütig sieht mein Vater mich an. „Vielleicht bist du doch noch zu jung.“ „Zu jung wofür?“ „Um die Liebe zu verstehen. Falls das überhaupt möglich ist.“ „Meinst du das, was irgendwann einfach so verschwindet und alles dadurch kaputt macht? Weshalb Menschen sich hassen und trennen, so wie du und Mama? Wodurch man am meisten leidet und was die schlimmsten Schmerzen zufügt?“, frage ich beiläufig, während ich die letzten Reste meines Abendessens zu mir nehme. „Yamato…“, seufzt mein Vater. Erschüttert über meine Worte zeichnen sich deutlich Schuldgefühle in seinem Gesicht ab. „Es hat wirklich gut geschmeckt, auch wenn es nicht so aussah. Ich mache den Abwasch.“ Etwas zu überschwänglich, um glaubhaft zu sein, stehe ich auf und stelle mein Geschirr in die Spüle. Ich zucke leicht zusammen, als mein Vater plötzlich von hinten seine Hände auf meine Schultern legt. Er kniet sich zu mir hinab und umfängt meinen Körper mit seinen Armen. „Es tut mir so unglaublich leid, mein kleiner Yamato“, flüstert er leise in mein Ohr, wobei er mich fester an sich drückt. Tränen brennen in meinen Augen. „Das muss es nicht, Papa“, entgegne ich voller Zuneigung und Angst. „Solange du mich nie verlässt.“ Unaufhörlich meißelt sich das Geräusch von abgefeuerten Schusswaffen in meinen Kopf. Ich setze mich in meinem Bett auf und schaue genervt zu meinem besten Freund, der wie verrückt auf den Kontroller einhämmert. Mein Blick wandert zum Bildschirm. Darauf sind merkwürdige Alienwesen zu sehen, deren Gliedmaßen nach ausreichendem Beschuss quer durch den Raum fliegen, wobei die Location eher ein Raumschiff zu sein scheint. In bemerkenswerter Geschwindigkeit liquidiert Tai unzählige Gegner auf brutale Weise. „Sie zu töten reicht dir nicht, was? Du musst sie auch noch bis ins Kleinste zerstückeln.“ „Sonst wäre es langweilig.“ Er drückt die Starttaste, um sein Gemetzel kurz zu unterbrechen, und grinst mich an. „Du bist krank“, grinse ich zurück. „Wie bist du überhaupt an das Spiel gekommen? Wenn ich mich nicht irre, wurde es von der CERO mit einer Z-Einstufung versehen. Du bist erst elf und siehst definitiv nicht aus wie achtzehn.“ „Das stimmt. Ich bin in dem Laden einfach zu einem Typen gegangen, der wie ein Student aussah, drückte ihm mein Geld in die Hand und bat ihn, mir dieses Spiel zu kaufen. Er fand es lustig und kam meiner Bitte nach. Ganz einfach also. Diese Methode hat bisher immer geklappt.“ Sichtlich stolz auf seine Cleverness richtet sich Taichi im Sitzen gerade auf. Ich schüttle amüsiert den Kopf, stehe auf und setze mich zu meinem besten Freund auf das Sofa. Der hat inzwischen die Starttaste erneut gedrückt und führt eifrig seine Metzelei fort. „Warum hast du mir eigentlich nicht erzählt, dass du Kampfsport machst?“, fragt Tai beiläufig, ohne seine Augen vom Bildschirm abzuwenden. „Woher weißt du das?“ Irritiert blicke ich zu ihm. „Von Sora. Hast du es ihr nicht erzählt?“ „Nein, warum sollte ich?“ Mein bester Freund zuckt mit den Schultern. „Dann kann ich dir auch nicht sagen, woher sie es weiß. Vielleicht hat sie dich gesehen, als du zum Training gegangen bist. Wie lange machst du es schon?“ „Erst seit ein paar Wochen.“ „Und warum?“ „Naja, damit ich nachmittags etwas Sinnvolles tue. Auf Dauer wirkt es doch seltsam, wenn ich dich ständig beim Fußballtraining beobachte. “ In Wahrheit habe ich mit Goshin-Jitsu angefangen, nachdem ich bei unserem letzten Kampf gemerkt habe, dass ich Taichi unterlegen bin. Er ist stärker als ich, deshalb will ich Techniken erlernen, mit denen ich ihn unterwerfen und gefügig machen kann. „Das finde ich nicht.“ „Was?“ Die Worte meines besten Freundes holen mich in die Gegenwart zurück. „Ich mag es, wenn du mir beim Spielen zuschaust.“ „Warum?“ „Ich weiß es selbst nicht. Aber das Gefühl, zu wissen, dass du da bist, ist einfach schön. Vielleicht beruhigt es mich sogar.“ Wieder betätigt Tai die Starttaste. Er dreht sich zu mir und schaut mit seinem unergründlichen Blick direkt in meine Augen. Nervös erhebe ich mich. „Möchtest du auch etwas trinken?“ „Ja, Orangensaft. Danke.“ Ich verlasse mein Zimmer und gehe in die Küche. Nachdenklich öffne ich den Kühlschrank, entnehme die Saftpackung sowie zwei Gläser aus dem Schrank. Dieser Blick von Taichi treibt mich in den Wahnsinn. Wie soll ich ihn deuten? Was will er mir damit vermitteln? Merkwürdig ist auch, dass er nicht zu wissen scheint, was ich meine. Ist er sich seiner Wirkung auf mich manchmal nicht bewusst? „Verdammt!“, fluche ich. Meine Gedanken haben mich zu sehr vereinnahmt, sodass ich auf meine Handlungen nicht achtete. Der Saft läuft bereits über den Rand des Glases, auf den Tisch, tropft zu Boden und bildet eine gelbe Lache. Nervlich angeschlagen lehne ich mich gegen den Küchenschrank und schließe die Augen. Langsam rutsche ich hinab und bleibe kraftlos sitze. Warum fühle ich mich gerade so haltlos und überfordert, obwohl ich nur etwas Saft verschüttet habe? Wütend auf mich selbst schlage ich meine Faust auf die Bodenfliesen. Der Schmerz, den ich verspüre, ist angenehm. Ich wiederhole die Prozedur mehrfach, jedes Mal mit mehr Krafteinsatz. Erst als die Knöchel blutig sind, beruhige ich mich allmählich. Zufrieden betrachte ich meine lädierte Hand. „Was tust du da?“ Erschreckt schaue ich zur Tür. Taichis Mimik lässt keine Wertung erkennen, nur Neugierde. Schweigend stehe ich auf und beseitige die Folge meiner Unachtsamkeit. „Yamato, ich rede mit dir!“, versucht er es energischer. Ich reagiere nicht. Mein bester Freund kommt auf mich zu und greift nach meiner Hand. „Das hast du dir gerade freiwillig zugefügt, oder?“ „Ich weiß es nicht“, antworte ich leise. „Es fühlte sich gut und vor allem richtig an. Ich konnte einfach nicht mehr aufhören.“ Tränen brennen in meinen Augen, als ich Tai direkt ansehe. „Bitte halt mich fest!“, flüstere ich, ohne darüber nachzudenken. „Ich habe das Gefühl, ich verliere den Boden unter den Füßen.“ Behutsam zieht mein bester Freund mich dicht an seinen Körper, umfängt mich mit seinen Armen. Für sein Schweigen bin ich ihm sehr dankbar, denn mir wäre kein einziges Wort eingefallen, um irgendwas erklären zu können. Kapitel 3: ----------- „Was machst du denn hier?“ Völlig verschwitzt und außer Atem laufe ich auf meinen besten Freund zu. „Rollentausch. Jetzt schaue ich dir beim Training zu. Ich habe zwar keine Ahnung von Goshin-Jitsu, aber deine Bewegungen sehen gut aus. Wahrscheinlich kann ich dich im Kampf bald nicht mehr besiegen.“ Unpassenderweise spricht er die Worte mit einem Lächeln auf seinen Lippen. „Das klingt, als würde ich immer gegen dich verlieren. Dabei war ich beim letzten Mal nur unaufmerksam, sonst hättest du mich nicht außer Gefecht setzen können.“ „Tatsächlich? Wovon warst du denn so sehr abgelenkt?“ Tais Lächeln wandelt sich in ein Grinsen. Ausweichend wende ich mich ab. „Ich gehe duschen“, sage ich verkrampft und lasse meinen besten Freund allein zurück. Warum reagiere ich in letzter Zeit auf Taichis Gegenwart so unbeholfen? Er nervt mich, verunsichert mich, nimmt mir die Luft zum Atmen, aber gleichzeitig hat er eine beruhigende Wirkung auf mich. Ich will ihn von mir stoßen, weil ich seine Nähe nicht ertrage. Sie schmerzt. Doch gleichzeitig will ich ihn an mich ziehen, ihn spüren und nie wieder loslassen. Im Umkleideraum lege ich meine Tasche auf eine der Bänke und entkleide mich. Mit einem Handtuch um die Hüfte gebunden gehe ich in den Duschbereich, hänge es dort an einen der dafür vorgesehenen Haken und stelle das Wasser an. Es tut gut, diese Abkühlung auf meiner erhitzten Haut zu spüren und den Schweiß davon abzuwaschen. Mit dem Kampfsport habe ich eigentlich nicht aus Interesse daran begonnen, sondern weil ich Taichi gegenüber im Vorteil sein will. Ich muss zugeben, dass er mir körperlich leicht überlegen ist, allein schon aufgrund seines Fußballtrainings und wegen meiner sportlichen Abstinenz. Doch hirnlosen Muskelaufbau erspare ich mir lieber und versuche stattdessen mit Technik einen Ausgleich zu schaffen. Allerdings frage ich mich in letzer Zeit häufiger, ob es sich wirklich nur um einen Wettkampf, kindliche Spielerei, ein Kräftemessen zwischen uns handelt. Ich habe das Gefühl, es ist inzwischen weit mehr als das. Dieser undurchdringliche Blick, den mein bester Freund mir manchmal entgegenbringt, beweist mir, dass ich richtig mit meiner Annahme liege. In solchen Momenten wirkt Tai, als wäre er nicht er selbst. Ich bin dann nicht in der Lage, ihn zu durchschauen, er wirkt unberechenbar. Und offenbar ist er sich dieses Zustandes noch nicht einmal bewusst. Es ist interessant, die plötzliche Veränderung zu beobachten, einen Auslöser konnte ich bisher jedoch nicht erkennen. Dabei möchte ich ihn gern öfter in diesen Zustand bringen, sehen, was passiert, wenn ich das Spiel weitertreibe. Zu weit. Bei diesen Gedanken breitet sich ein Kribbeln in meinem Körper aus. Ich will Tais Grenzen austesten. Ein wenig erschrecke ich, als plötzlich ein Junge neben mir auftaucht. Er lächelt mich an und beginnt ebenfalls sich abzuduschen. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich ihn vorhin beim Training gesehen. Ich stelle das Wasser ab und greife nach meinem Handtuch. Als ich den Umkleideraum betrete, sehe ich Taichi auf der Bank neben meiner Tasche sitzen. Sobald er mich erblickt, legt sich ein Grinsen auf seine Lippen. „Du bist aber blass“, bemerkt er beinahe liebevoll. „Etwas Sonne würde dir gut tun.“ „Was willst du?“, frage ich unwirsch, ohne auf seine Aussage zu reagieren. „Ich warte auf dich“, entgegnet mein bester Freund, als wäre es selbstverständlich. Statt zu antworten, beginne ich damit, mich abzutrocknen. Verlegen drehe ich mich zur Seite, als ich bemerke, dass Taichi mich aufmerksam mustert. „Warum betrachtest du mich so gründlich?“ „Tue ich das?“ Der Tonfall meines besten Freundes ist unschuldig, als wüsste er nicht, wovon ich spreche. „Bist du etwa verklemmt geworden? Im Sommercamp warst du doch auch nicht so eine Zimperliese und da waren wir zusammen nackt baden.“ Bilder tauchen vor meinem inneren Auge auf, die ich nicht einordnen kann. Ein großes Haus, welches nur Einbildung war. Wieder einer dieser Träume? Oder eine vergessene und verzerrte Realität? Zittrig berühre ich mit den Fingern meine Schläfe. „Yamato? Ist alles in Ordnung?“, fragt Tai besorgt. „Ja, mir ist nur etwas schwindelig.“ Wankend nehme ich neben meinem besten Freund Platz. Dieser legt beruhigend eine Hand auf meine Schulter. Der Junge aus der Dusche kommt in den Umkleideraum und wirft uns einen fragenden Blick zu. „Es ist alles okay“, erklärt Taichi knapp und winkt ab. Flüchtig fährt der Junge mit dem Handtuch über seine Haut und zieht sich dann hastig an. Er wirkt etwas verschüchtert, dabei fand ich Tai nicht unfreundlich. Mit einer flüchtigen Verbeugung verlässt der Junge eilig das Gebäude. Seinem Aussehen und Verhalten nach zu urteilen, ist er in der zweiten, höchstens dritten Klasse. „Geht es wieder?“, spricht mein bester Freund mich fürsorglich an. „Ja, ich denke schon.“ Mit bedächtigen Bewegungen trockne ich mich weiter ab. Ich verstehe nicht, warum mein Körper gerade so heftig reagiert hat, obwohl eigentlich nichts geschehen ist. Jedes Mal, wenn es um diese vermeintlichen Träume geht sowie im Zusammenhang mit dem Sommercamp. „Ich bringe dich besser nach Hause“, durchdringt Tais Stimme meine Gedanken. Abwesend schaue ich ihn an. „Du stehst irgendwie neben dir. Das bereitet mir Sorgen. Soll ich dich ins Krankenzimmer bringen und deinen Vater informieren, damit er dich abholt?“ „Nein. Du übertreibst, Taichi.“ Dieser beugt sich zu mir hinüber und schaut mir direkt in die Augen, dabei ist er meinem Gesicht so nahe, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren kann. Hitze steigt in mir auf. Wie von selbst umschließt meine Hand den Hals meines besten Freundes. Die andere drückt ihn an der Schulter der Länge nach auf die Bank, in eine liegende Position. Ich setze mich mit gespreizten Beinen auf Tais Oberschenkel und drücke seine Hauptschlagader ab. Reflexartig umfasst er mein Handgelenk, wehrt sich aber nicht gegen den Übergriff. Stattdessen schließt er die Augen. Es sieht beinahe so aus, als würde er die Gewalt genießen. Ich verstärke den Druck und fühle den schwächer werdenden Atem meines besten Freundes, wodurch sich meine Erregung noch weiter steigert. „Das gefällt dir, Yamato, hab ich recht?“, haucht Taichi mit kratziger Stimme. Noch ehe ich antworten kann, schlägt er mir kraftvoll seine Faust in den Magen, sodass ich von ihm ablasse. Hustend, aber mit geschickten Bewegungen bringt er mich zu Boden und dreht unsere Positionen um. Nun hat er seine Finger an meiner Kehle und schneidet meine Luftzufuhr ab. „Magst du es auch auf diese Weise?“ Er lächelt. Wieder dieses Lächeln. Ob er sich dessen gerade bewusst ist? Ich versuche zu atmen, doch es gelingt mir kaum. Mein bester Freund drückt jedoch nicht nur auf die Hauptschlagader, sondern auch auf den Kehlkopf, was äußerst schmerzhaft ist und einen starken Hustenreiz auslöst. Meine Wahrnehmung beginnt bereits zu schwinden, als Tai seine Gewalteinwirkung plötzlich einstellt. Kurz darauf betritt eine Gruppe von Jungen die Umkleide. Er muss sie gehört und deshalb sein Tun eingestellt haben. „Er hat sich nur verschluckt“, erklärt Taichi mein starkes Husten, als einige von ihnen mich irritiert mustern. Schweigend entkleiden sie sich und verschwinden im Duschraum. Allmählich gelingt es mir, den Anfall unter Kontrolle zu bekommen. Etwas benommen ziehe ich mich an. Das Gefühl der Gewalt, egal ob aktiv oder passiv, ist unbeschreiblich. Es irritiert mich, derartige Empfindungen zu haben. Ich schaue Taichi an, betrachte sein Gesicht. Seine Augen sind unergründlich und wunderschön. „Was siehst du?“, flüstere ich. „Meinen besten Freund.“ „Und was noch?“ „Nichts weiter.“ Aus unerklärlichen Gründen fahre ich mit meinem Daumen über Taichis Lippen. „Nur mich? Wieso?“ „Was sollte ich noch sehen?“ Ich antworte nicht, stattdessen beuge ich mich leicht zu ihm, sodass mein Mund seinen fast berührt. „Du gehörst mir! Niemand außer mir darf dir etwas bedeuten, hast du verstanden?“ Mit einem Blick, als würde er die Bedeutung und das Ausmaß meiner Worte jetzt erst begreifen, schaut er mich an. Erschreckt über meine eigenen Gefühle nehme ich meine Tasche und verlasse fluchtartig die Jungenumkleide. Nachdenklich liege ich auf meinem Bett. Im Hintergrund läuft eine CD, die ich mir auf dem Weg nach Hause gekauft habe. Wobei es sich eher um einen Umweg handelte, weil ich dafür extra von Odaiba nach Shibuya zu Tower Records gefahren bin. Ich versuchte auf diesem Weg den Kopf frei zu bekommen. Der Vorfall mit Taichi hat mich seltsamerweise ziemlich aufgewühlt, mein gesamter Körper kribbelt, ich kann meine Gefühle nicht einordnen, aber ich weiß, wenn ich nicht gegangen wäre, hätte ich Taichi in irgendeiner Form Gewalt angetan. Das laufende Lied endet gerade und ein neues beginnt. Ich schließe meine Augen und versuche mich vollkommen darauf einzulassen. Der Krampf in deinem Hals Die Wut in deinem Blick Das Lot hängt schräg in der Luft, die du zum Atmen brauchst Die Trägheit fest im Griff Die Apathie besiegt Du flüsterst nicht, du schreist, wenn du gehört werden willst Willst du ein letztes Mal Verständnis haben? Jede Wahrheit ändert sich Die Mitte interessiert dich nicht Die Unterschiede leicht verblasst Es fehlt die Dimension Jede Wahrheit ändert sich Die Richtung interessiert dich nicht Die Unterschiedlichkeit verblasst Es fehlt die Dimension Und bricht dir das Genick Erklärst du es für neu Gefahrlos wolltest du noch nie zugrunde gehen Die Masken sind durchschaut Funktionen einstudiert Kann keiner es verstehen, dass du daran gar nicht teilhaben willst Willst Du ein letztes Mal Verständnis haben? Trotz der Musik gelingt es mir nicht, meine Gedanken von meinem besten Freund abzulenken. Die Ereignisse in der Umkleide waren zu… erregend. Noch immer spüre ich seine Hände an meinem Hals und ich muss zugeben, dass mir diese Rollenverteilung sehr gefallen hat. Die Gewalt, mit der Tai auf mich einwirkte, fühlte sich seltsam richtig und vor allem gut an. Seufzend erhebe ich mich und schalte den CD-Player aus. Für einen kurzen Moment ziehe ich in Erwägung, meinem aufkommenden Drang nachzugeben und zu meinem besten Freund zu gehen. Allerdings habe ich keinen besseren Grund für einen Besuch als ihn sehen zu wollen. Doch dieses Bedürfnis zuzugeben, ist mir peinlich. Möglicherweise wirkt es so, als wäre ich in Taichi verliebt. Mich selbst belächelnd verwerfe ich jegliche Gedanken in dieser Richtung und beschließe stattdessen etwas für meine Kondition zu tun. Rasch ziehe ich mich um, verlasse mein Zimmer und gehe in die Küche. Aus dem Kühlschrank nehme ich ein kleine Flasche Wasser, dann ziehe ich im Flur meine eigens zum Lauftraining gekauften Turnschuhe an. Normalerweise hasse ich jegliche Art sportlicher Betätigung, aber wenn ich die Sache mit dem Goshin-Jitsu durchziehen will, muss ich zwangsläufig eine gute Kondition haben. Da ich nicht weiß, wann mein Vater heute nach Hause kommt, gehe ich noch einmal zurück in die Küche und schreibe ihm einen Zettel, damit er sich keine Sorgen macht, falls er vor mir da sein sollte. Ich erschrecke leicht, als das Telefon klingelt. Wie erstarrt bleibe ich stehen, bin unentschlossen, ob ich rangehen soll oder nicht. Normalerweise ignoriere ich das Telefon, worüber sich mein Vater schon oft aufgeregt hat. Erleichtert atme ich aus, als in der Wohnung wieder Stille herrscht. Wenn es etwas Wichtiges war, ruft derjenige noch einmal an und vielleicht ist bis dahin mein Vater zu Hause. Ich kümmere mich nicht weiter darum, nehme die kleine Wasserflasche in die Hand und verlasse eilig die Wohnung. Verschwitzt und völlig außer Atem überwinde ich die letzten Stufen bis zur Wohnung. Ich drehe den Schlüssel im Schloss und öffne die Tür. „Yamato“, begrüßt mich mein Vater, als er mir aus dem Wohnzimmer entgegenkommt. „Takeru hat angerufen. Er würde uns am Wochenende gern besuchen. Ich habe zugesagt und hole ihn ab, da ich mir für die zwei Tage freinehmen kann. Wir könnten alle zusammen etwas unternehmen. So einen Männertag hatten wir schon lange nicht mehr. Was hältst du davon?“ Er zwinkert mir zu. „Ja, klar“, antworte ich. Also war es mein Bruder, der vorhin versucht hatte, einen von uns beiden zu erreichen. „Aber ich gehe jetzt erst einmal unter die Dusche. Was gibt es denn zum Abendessen? Ich habe ziemlichen Hunger.“ „Hast du auf etwas Bestimmtes Appetit?“ „Yakisoba fände ich gut.“ „Mit Fleisch. Fisch müsste ich erst einkaufen. Ist das okay?“ „Ja“, stimme ich zu, während ich bereits auf dem Weg zum Bad bin. „Ach, Yamato“, ruft mein Vater mir nach. „Taichi ist da. Er wartet in deinem Zimmer. Ich hoffe, das ist in Ordnung.“ „Was? Warum sagst du das erst jetzt?“ Sofort wende ich mich um und laufe zu meinem Zimmer. Als ich die Tür öffne, halte ich inne. Mein bester Freund liegt auf dem Sofa und scheint zu schlafen. Leise gehe ich auf ihn zu, hocke mich neben ihn. Seine Gesichtszüge sind entspannt, er sieht friedlich, nahezu unschuldig aus. Ohne nachzudenken beuge ich mich etwas vor und küsse seine Lippen. „Was tust du?“, fragt Tai, als ich mich wieder von ihm löse. Anhand seiner Mimik und seines Tonfalls kann ich keinerlei Wertung erkennen. „Ich küsse dich. Und bevor du weiterfragst, mir war einfach danach.“ Merkwürdigerweise erwarte ich ein Lächeln meines besten Freundes zu sehen, doch seine Gesichtszüge bleiben starr und seine Augen undurchdringlich. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Ich fahre mit meinen Fingern Taichis Hals entlang, über seinen Kehlkopf und verweile auf seiner Hauptschlagader. Das deutliche Pulsieren beruhigt und erregt mich gleichermaßen. „Was ist los mit dir, Yamato? Du verhältst dich in letzter Zeit so anders.“ Bestimmt umgreift er mein Handgelenk, gibt mir zu verstehen, dass ich ihn nicht weiter berühren soll. „Ich weiß es nicht. Aber du weckst Gelüste in mir, die ich nicht mehr aus meinem Kopf bekomme und die ich immer weniger kontrollieren kann“, gebe ich ehrlich zu, weiche seinem Blick dabei allerdings aus. „Lass mich bitte los, damit ich unter die Dusche gehen kann. Ich bin vom Laufen ziemlich verschwitzt.“ Mein bester Freund reagiert nicht. „Kann ich dir irgendwie helfen? Vielleicht bist du schlicht von mir genervt und deshalb so aggressiv. Ich gehe dir einfach eine Weile aus dem Weg, damit du in Ruhe und vor allem distanziert nachdenken kannst, dann fühlst du dich sicher wieder besser.“ Er lächelt zuversichtlich, doch glücklich sieht er nicht aus. Schmerzlich betrachte ich Tai. „Was?“, flüstere ich bestürzt. Ich bekomme kaum Luft bei dem Gedanken und mein Körper verkrampft sich. „Du hast recht“, lenke ich dennoch monoton ein. Zögernd lässt Taichi mein Handgelenk los und richtet sich auf. „Du wolltest doch duschen. Ich werde jetzt besser nach Hause gehen.“ Scheinbar fest entschlossen steht er auf und geht zur Tür. „Wir sehen uns in der Schule.“ Kurz legt sich ein Lächeln auf seine Lippen, dann verlässt er eilig mein Zimmer. Wie versteinert sitze ich auf dem Boden neben meinem Sofa und starre zu der Stelle, an der mein bester Freund gerade noch stand. Warum Tränen über meine Wangen laufen, kann ich mir selbst nicht erklären. Unruhig wälze ich mich in meinem Bett hin und her. Ich versuche einzuschlafen, doch die stechenden Kopfschmerzen bringen mich fast um den Verstand. Mehrfach bin ich in dieser Nacht bereits aufgewacht, jedes Mal durch Träume von dieser digitalen Welt. Inzwischen verschieben sich die Schauplätze immer mehr in die reale Welt, Monster kämpfen in den Städten gegeneinander, zerstören Gebäude, bringen Menschen in Gefahr. Die Existenz der Wesen bleibt nicht mehr unentdeckt. Tai sehe ich kaum noch, da jeder versucht, seine Familie zu schützen. Aber auch in der Wirklichkeit habe ich mit ihm derzeit nicht viel Kontakt. Er hält sich an seine Worte, geht mir eher aus dem Weg. In der Schule sehen wir uns zwar, aber mir bleibt kaum etwas anderes, als ihn von Weitem zu betrachten. Dabei fällt mir auf, dass ich diesen Umstand unerträglich finde. Mit jedem Tag mehr. Seit über drei Wochen. Ich kann nicht behaupten, dass es mir ohne Tai besser geht. Im Gegenteil. Meine Laune sinkt von Tag zu Tag und das Verlangen nach meinem besten Freund frisst sich schmerzhaft tief in mich hinein. Mehrfach habe ich versucht mit ihm zu reden, doch er weist mich immer mit dem gleichen seltsamen Lächeln zurück. Ich drehe mich erneut und schiebe die Bettdecke von mir. Kalter Schweiß benetzt meine Haut und lässt mich unangenehm frösteln. Verzweifelt presse ich meine Handballen gegen meine Schläfen, um einen Gegendruck zu dem Schmerz zu erzeugen. Hass steigt in mir auf. Hass auf mich selbst. Hass auf die Situation. Hass auf Taichi. Schwerfällig richte ich mich auf und beginne einem Impuls folgend meinen Kopf gegen die Wand zu schlagen. „Yamato, was ist hier los?“ Verschlafen schaltet mein Vater das Licht an, wodurch ich allerdings heftig zusammenzucke. Sofort kommt er zu mir und hält meinen Körper fest in seinen Armen, um mich am Weitermachen zu hindern. Ich wehre mich, versuche mich von ihm zu befreien. „Yamato! Hörst du mich? Was hast du?“ Spürbar von Angst erfüllt wendet er sanfte Gewalt an und macht mich bewegungsunfähig, indem er meinen Körper dichter an sich drückt. Ich zittere stark. „Papa, es tut so weh!“, schluchze ich und kralle mich an ihn. „Was tut dir weh, mein Sohn?“ Seine Besorgnis ist deutlich hörbar. „Mein Kopf.“ Fahrig zerre ich an meinen Haaren. „Shh, ruhig.“ Liebevoll, aber bestimmt umfasst er mein Handgelenk und hindert mich somit an meinem selbstverletzenden Verhalten. „Ich hole dir eine Tablette, dann wird es besser werden. Kann ich dich einen Augenblick allein lassen?“ Mein Nicken ist kaum auszumachen, doch mein Vater bemerkt es, legt mich fürsorglich mit dem Kopf auf mein Kissen und verlässt mein Zimmer. Dabei schaltet er das Licht wieder aus. Offenbar hat er bemerkt, dass ich die Helligkeit unangenehm finde. Ich krümme mich weinend zusammen. Mit einem Glas Wasser und einer Medikamentenpackung kommt er zurück und setzt sich zu mir. „Hier, schluck eine davon mit viel Flüssigkeit hinunter.“ Er hält mir eine kleine weiße Tablette entgegen, die ich dankbar annehme. „Es dauert etwas, bis die Wirkung eintritt.“ Beruhigend streichelt er über meine Wange, anschließend über meine Stirn. Der Schmerz, der durch die Schläge gegen die Wand entstanden ist, fühlt sich merkwürdig wohltuend und beruhigend an, im Gegensatz zu den inneren Kopfschmerzen. Das verwirrt mich ein wenig. „Ich kann nicht atmen, Papa. Es fühlt sich so an, als würden meine Eingeweide zerquetscht werden. Kann das von den Kopfschmerzen sein?“ Meine Stimme klingt leicht verzerrt. „Eigentlich nicht. Wie lange hast du das schon?“ „In den letzten Wochen ist es immer schlimmer geworden.“ Tränen rinnen über mein Gesicht und tropfen auf das Laken. Angestrengt versuche ich Luft zu bekommen. Behutsam legt mein Vater seine Hand auf meinen Brustkorb, dann hält er seine Finger an mein Handgelenk. „Dein Herz sowie dein Puls rasen und du bist total verkrampft. Hast du schlecht geträumt? Angst? Oder ist etwas passiert, mit dem du allein nicht fertig wirst?“ „Bleibst du heute Nacht bei mir? Deine Nähe tut gut, entspannt mich. Bitte.“ Ich gehe nicht auf die Fragen meines Vaters ein, weil ich selbst keine Antwort darauf habe. Er seufzt, stellt das Glas mit der Medikamentenschachtel auf den Nachttisch und legt sich zu mir. Schützend zieht er mich an sich, legt die Bettdecke über unsere Körper und nimmt mich in die Arme. Mit klopfendem Herz schmiege ich mich an ihn. Ich fühle mich sicher, geborgen. Die Kopfschmerzen lassen allmählich nach und ich schlafe ungewohnt schnell ein. Kapitel 4: ----------- Es klingelt zum Unterrichtsende. Ich weiß, dass Tai heute Putzdienst hat, also bleibe ich sitzen. Desinteressiert schaue ich aus dem Fenster und warte, bis der letzte Schüler den Raum verlässt. Es dauert einen Moment, dann kommt mein bester Freund mit Wassereimer und Wischmopp zurück. Als er mich sieht, stellt er verdutzt seine Utensilien ab. „Yama, was…“ Eindringlich erwidere ich seinen Blick. Ich stehe auf und bleibe dicht vor ihm stehen. „Hör auf mich zu ignorieren!“, sage ich leicht verärgert. „Warum gehst du mir so vehement aus dem Weg? Du meintest, du tust es für mich, aber du weißt doch gar nicht, ob es mir mit dieser Situation besser geht. Was ist wirklich los?“ Taichi senkt seinen Kopf. „Du hast mich geküsst. Generell verhältst du dich seltsam. Yamato, ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll“, gibt mein Gegenüber ehrlich zu. Betroffen mustere ich seine Erscheinung. Er wirkt hilflos, fast verzweifelt. „Tai…“ Ich atme tief durch. Etwas grob packe ich ihn an den Oberarmen. „Keine Ahnung, was mit mir los ist. Ich verstehe es selbst nicht. Aber in den letzten Wochen habe ich begriffen, dass du mir sehr viel bedeutest. Ich will dich besitzen, deinen Körper, deine Gefühle, egal ob positiv oder negativ, einfach alles.“ Schweigend sucht er den Augenkontakt. Mein Herz klopft schnell und schmerzhaft gegen meinen Brustkorb. „Warum, Yamato?“ Statt zu antworten, ziehe ich ihn an mich und lecke herausfordernd über seine Lippen. Dann küsse ich ihn. Diesmal sehr intensiv, indem ich ihm meine Zunge in den Mund schiebe. Ein nervöses, aber angenehmes Kribbeln breitet sich in meinem gesamten Körper aus. Unsanft stößt mein bester Freund mich von sich. „Lass das! Was tust du denn?“ Er ist sichtlich verwirrt. Über mich selbst erschreckt, trete ich einen Schritt zurück. Noch immer habe ich Taichis Geschmack auf meinen Lippen. Es fühlte sich schön an, ihn auf diese Weise zu spüren, ihm derart nah zu sein. „Gefällt es dir besser, wenn ich dir Gewalt antue?“ Ich strecke meine Hände nach ihm aus, umschließe seinen Hals mit meinen Fingern. Plötzlich lächelt Tai. Dieses unergründliche Lächeln, welches mir manchmal sogar ein wenig Angst macht, da ich meinen besten Freund nicht mehr erkenne. Er umgreift meine Handgelenke, zieht sie nach unten und drängt mich zurück, bis ich gegen einen der Tische in meinem Rücken stoße. Bevor ich reagieren kann, drückt er mir schmerzhaft die Luft ab. „Und was ist mit dir? Stehst du auf Gewalt?“ Taichi verstärkt den Druck weiter, sodass ich zu husten beginne. Dennoch lässt er nicht von mir ab. Allmählich geben meine Beine nach und ich sinke zu Boden. Taichi folgt mir, ohne sich von meinem Hals zu lösen. Ich versuche mich von ihm zu befreien, da ich merke, wie meine Kraft schwindet, mir schwarz vor Augen wird und ich langsam das Bewusstsein verliere. „Willst du mich töten?“, frage ich beinahe stimmlos. Rücksichtslos kralle ich meine Fingernägel in Tais Haut am Handrücken und versuche ihm blutige Kratzer zuzufügen, um ihn zum Aufhören zu bewegen. Es kommt mir so vor, als würde mein bester Freund mich nicht mehr erkennen, als wäre er nicht mehr er selbst und als wüsste er nicht, was er tut. Panisch trete ich nach ihm mit dem letzten Rest an Kraft, den ich aufbringen kann. Diesmal lässt Taichi von mir ab, um meine Beine abwehren zu können. Ich breche krampfhaft hustend zusammen, krümme mich auf dem Boden. „Yamato“, höre ich die Stimme meines besten Freundes. „Ist alles in Ordnung?“ Bei diesen unschuldig gesprochenen Worten muss ich lachen. Besorgt beugt sich Tai über mich. Ohne Vorwarnung schlage ich ihm mit meiner Faust kräftig ins Gesicht. Blut läuft aus seiner Nase, als er mich fragend ansieht und mit seiner Hand vorsichtig über seine Wange streicht. Ich erwidere seinen Blick. Dann fangen wir beide an zu lachen. Mein bester Freund erhebt sich und reicht mir freundschaftlich die Hand, um mir aufzuhelfen. Ich lächle ihn dankend an und lasse mich von Taichi wieder auf die Beine ziehen. Aus meiner Schultasche krame ich ein Taschentuch und tupfe Tai fürsorglich das Blut von der Nase. Der streicht sorgenvoll mit seinen Fingern über meinen Hals. „Es kann sein, dass später noch etwas zu sehen ist.“ Ich frage mich, ob mein bester Freund eben die Kontrolle über sich verloren hat oder ob er absichtlich so weit gegangen ist. Er wirkte teilweise abwesend, wie fremdgesteuert. Dennoch beschließe ich ihn vorerst nicht darauf anzusprechen. „Ich helfe dir beim Putzdienst, dann bist du schneller fertig.“ „Danke.“ Tai lächelt. Erneut beginnt mein Herz unglaublich schnell zu schlagen. Verlegen schaue ich zur Seite. „Kommst du danach noch mit zu mir?“, frage ich beinahe schüchtern. „Klar. Wollen wir dann zocken? Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht.“ „Warum nicht? Sag mal, ab nächster Woche sind Winterferien. Hast du schon etwas vor?“ Ich nehme den Schwamm, mache ihn nass und wische die Tafel. Taichi hat bereits begonnen, den Boden zu wischen. „Nein, bisher nicht. Willst du zu mir kommen? Du könntest ein paar Tage bei mir übernachten.“ Ich nicke. Es irritiert mich, dass mein bester Freund auf einmal wieder völlig normal ist. Er zeigt keine Anzeichen von Gewaltbereitschaft und geht mir auch nicht mehr aus dem Weg. Aus ihm werde ich genauso wenig schlau wie aus mir selbst. Schweigend und mit einem merkwürdigen Gefühl reinige ich die Fensterbretter. Ich sitze mit Tai in seinem Zimmer auf dem Boden. Es sind Winterferien und der zweite Tag, den ich bei den Yagamis verbringe. Auch heute werde ich noch einmal bei Taichi übernachten. Wir schauen einen dieser Horrorfilme, in denen gruselige, langhaarige Mädchen vorkommen und Rache üben wollen. Neben uns steht eine große Schüssel Popcorn, die bereits zur Hälfte geleert ist. Mein bester Freund hat die Vorhänge zugezogen, aber ich denke, inzwischen ist die Sonne untergegangen, denn es dämmerte schon, als der Film anfing. „Also wirklich Angst habe ich nicht“, bemerke ich beiläufig. „Ja, ich auch nicht. Am unheimlichsten ist noch immer dieses Geistermädchen.“ „Mädchen sind auch in der Realität furchteinflößend.“ Taichi lacht. „Wie kommst du zu dieser Ansicht?“ „Ich finde ihre Gesellschaft einfach unangenehm. Die Nähe zu ihnen fühlt sich nicht gut an. Sie reden zu viel, wollen zu viel wissen und lächeln so komisch, wenn sie einen anschauen. Ich mag dieses kindliche Gehabe und das ständige Gekicher nicht. Mädchen denken, sie wirken dadurch süß, aber es ist einfach nur albern.“ „Wow, deine Meinung von Mädchen ist ziemlich negativ. Warum?“ „Keine Ahnung. Sie nerven mich einfach. Was ist mit dir? Magst du sie etwa?“ Mein bester Freund überlegt und steckt sich eine Hand voll Popcorn in den Mund. „Darüber habe ich noch nie so genau nachgedacht“, nuschelt er. „Aber eigentlich schon. Ich verstehe Mädchen manchmal auch nicht, aber sie können ebenso gute Freunde sein wie Jungs, denke ich. Sora, zum Beispiel. Sie ist meine beste Freundin, mit ihr kann ich sogar Fußball spielen, was mit dir undenkbar wäre.“ Wieder lacht er. Ernst schaue ich ihn an. „Was findest du nur an ihr?“, frage ich verständnislos. „Ich verstehe dich nicht, Yamato. Es klingt so, als hättest du etwas dagegen, dass ich sie mag.“ „Nein.“ Hilflos senke ich meinen Blick. „Taichi, weißt du noch, was ich neulich im Klassenraum zu dir gesagt habe?“ „Ich bin mir nicht sicher“, antwortet er vorsichtig. „Seit diesem Tag habe ich oft über meine Worte und deren Bedeutung nachdenken müssen. Die Beschreibung meiner Gefühle für dich… das ist die Definition von Liebe, oder?“ Ich vermeide es, meinen besten Freund anzusehen, und fixiere einen Punkt auf dem Teppich. Für einen Moment herrscht Stille zwischen uns. „Jetzt läuft der Abspann und wir haben das Ende des Films nicht mitbekommen.“ Er grinst mich an. „Ich spule noch einmal zurück, okay?“ Hatte ich wirklich erwartet, dass Tai auf meine Aussage eingeht? Völlig ratlos nicke ich nur stumm, verfolge seine Bewegungen und sehe doch durch ihn hindurch. In meinem Kopf herrscht Chaos. „Soll ich hier anhalten? Ich glaube, ab dieser Stelle habe ich nicht mehr viel mitbek…“ Wütend schlage ich ihm die Fernbedienung aus der Hand, drücke ihn unsanft zu Boden und setze mich auf seine Oberschenkel, wobei ich seine Hände links und rechts neben seinem Kopf festhalte. „Lass mich los, Yama!“ Der Tonfall meines besten Freundes ist eher irritiert als drohend. Ich ignoriere seine Aufforderung, beuge mich vor und zwinge ihm einen Kuss auf. Tai versucht sich zu wehren, doch ich habe ihn fest im Griff. Beinahe panisch öffnet er den Mund, um etwas zu sagen, doch ich nutze die Gelegenheit, ihn mit meiner Zunge zum Schweigen zu bringen. Das Gefühl, meinen besten Freund auf diese Weise und derart intensiv zu spüren, ist unbeschreiblich. Ich will mehr. Ich will ihn ganz, dessen bin ich mir jetzt sicher. Mit einem Mal fühle ich schmerzhaft Tais Knie und lasse keuchend von ihm ab. Dieser stößt mich sofort grob von sich. „Ich will das nicht!“, sagt er verärgert. Mit seinem Ärmel wischt er über seinen Mund. „Also hör endlich auf damit!“ Allmählich bekomme ich wieder Luft. Mit seinem Tritt hat mein bester Freund sich nicht zurückgehalten. Ohne etwas zu sagen, aber mit finsterer Miene, setze ich mich wieder an meinen Platz. „Lass uns den Film weiterschauen.“ „Okay“, stimmt Taichi zögernd zu und nimmt neben mir Platz. Noch immer schlägt mein Herz unnatürlich schnell und mein Puls rast. Für den Moment gebe ich nach, aber ich werde Tai besitzen. Ihn und seinen Körper. Wenn es sein muss, mit Gewalt. „Yama?“, fragt Tai in die Dunkelheit und durchbricht damit die Stille, die bis eben herrschte. „Hm?“ Ich drehe mich zu ihm um, obwohl ich weiß, dass ich lediglich seine Silhouette werde sehen können. „Denkst du, wir sind in der Mittelschule auch noch zusammen?“ Irritiert setze ich mich in Tais Bett etwas auf. „Wie meinst du das?“ „In drei Monaten beenden wir die Grundschule. Du gehst doch auch auf die angeschlossene Mittelschule, oder?“ „Ja. Dann haben wir auch Uniformpflicht.“ „Erinnere mich nicht daran“, stöhnt Taichi und beginnt zu lachen. „Stell dir vor, ich im Anzug. Das passt überhaupt nicht zu mir.“ „Ich denke, daran gewöhnen wir uns schnell. Ob wir noch in der gleiche Klasse sein werden?“ Nun setzt mein bester Freund sich ebenfalls auf. „Ich hoffe es.“ Diese Antwort überrascht mich. Nach dem, was heute am Abend zwischen uns geschehen ist, hatte ich damit gerechnet, dass er mir wieder aus dem Weg geht. Tai aber tut so, als wäre nichts gewesen. Dennoch bin ich sicher, dass er genau verstanden hat, worum es mir geht. Ich verstehe allerdings nicht, warum er plötzlich auf diese Weise reagiert. Seine Augen zeigten mir immer deutlich, dass er mochte, was wir taten. Oft ging er sogar darauf ein. Warum ist es jetzt nicht mehr in Ordnung? Was hat sich verändert? „Tai?“ „Hm?“ „Willst du meine Worte und Taten ungeschehen machen, indem du sie ignorierst und nicht weiter darauf eingehst?“ Das Bettzeug raschelt, als mein bester Freund sich mit dem Rücken auf die Matratze legt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Er seufzt. „Ich möchte vor allem, dass du begreifst, dass ich solche Dinge nicht mit dir machen möchte.“ „Welche Dinge meinst du? Dich küssen oder dir Gewalt antun?“ „Hauptsächlich meine ich das Küssen.“ „Magst du es allgemein nicht oder liegt es an mir? Was ist zum Beispiel mit Sora? Wäre es bei ihr okay?“ Kurz schweigt Tai. „Ich weiß es nicht“, gibt er schließlich ehrlich zu. Nachdenklich lege ich mich ebenfalls wieder hin. Erneut herrscht eine unangenehme Stille im Raum. Taichi ist mein bester Freund, aber er will nicht das Gleiche wie ich. Diese Art von Nähe ist ihm aus irgendeinem Grund zuwider. Gewalt andererseits scheint er zu akzeptieren. Das verwirrt mich, da beide Dinge untrennbar miteinander verbunden sind. Schmerz ist beruhigend, wenn man ihn sich selbst zufügt. Der Schmerz, der im Zusammenhang mit geliebten Menschen steht, bedeutet jedoch alles. Er ist Leben und Tod zugleich. Schmerz ist die intensivste und innigste Form, einen Menschen zu spüren. Ich schließe meine Augen. Warum lassen mich diese Gedanken in letzter Zeit nicht mehr los? „Yama?“, spricht Tai mich plötzlich erneut an. „Wir sind doch noch beste Freunde, oder?“ „Klar“, antworte ich sofort und bin froh, dass er mein Gesicht nicht sehen kann, in welchem sich Unzufriedenheit, aber auch Erleichterung widerspiegeln. Offenbar beruhigt atmet Taichi auf. „Lass uns morgen ins Kino gehen.“ „Okay.“ Ich stimme zu, obwohl ich Kinos eigentlich hasse. Ich liege auf meinem Bett und starre zur Decke. Taichis Verhalten macht mich wahnsinnig. In den letzten Wochen startete ich zwei weitere Übergriffe, in denen ich etwas mehr Gewalt anwendete, verzichtete jedoch auf Techniken aus dem Kampfsportunterricht, weshalb ich letztlich nicht gegen Tai ankam, da er sich mit ebenso viel Gewalt wehrte. Nach solch einem Vorfall scheint er einen Schalter umzulegen und die Geschehnisse zu vergessen, zumindest verhält er sich mir gegenüber dann völlig normal. Ich hasse das, denn ich verstehe es nicht. Ein Klopfen durchbricht meinen Gedankengang und bevor ich reagieren kann, schaut mein Vater zur Tür herein. Überrascht sieht er mich an. „Wolltest du heute nicht zu Taichi?“ „Eigentlich schon. Aber ich bleibe doch lieber zu Hause, wenn du schon einmal so zeitig von der Arbeit kommst.“ Ich versuche ihn anzulächeln, doch am Blick meines Vaters erkenne ich, dass es nicht glaubwürdig ist. „Hast du dich mit deinem Freund gestritten?“ Ohne mich aus den Augen zu lassen, setzt er sich zu mir ans Bett. „Nein“, antworte ich knapp. Mein Vater atmet hörbar aus und legt sachte seine Hand auf meinen Arm. „Was ist in letzter Zeit mit dir los, Yamato?“ „Nichts“, sage ich spontan und emotionslos. „Du konntest noch nie gut lügen, mein Sohn. Ich mache mir wirklich Sorgen. Seit einigen Wochen ziehst du dich zurück, bist sehr nachdenklich und isst kaum noch. Also sag mir bitte nicht, es wäre nichts.“ „Es tut mir leid, Papa. Du hast recht, aber ich weiß selbst nicht, was los ist.“ Zumindest sage ich die Halbwahrheit. Dass die Angelegenheit mit Taichi mir zu schaffen macht, steht außer Frage, nur kann ich meinem Vater davon nichts erzählen. Zudem überwältigen mich Gefühle, die ich nicht einordnen kann. Sie lähmen meinen Körper und zwingen mich dazu, alles in Frage zu stellen. Vielleicht sollte ich einfach aufgeben. „Du stehst jetzt auf, Yamato.“ „Nein. Ich bin müde. Es gibt auch keinen Grund, aufzustehen.“ „Keine Widerrede. Ich habe schon lange genug zugeschaut, du verlierst dich immer mehr in dir selbst. Das ist nicht gut. Ich weiß zwar nicht, was passiert ist, aber aufzugeben und sich zu verkriechen, ist keine Lösung. Auf diese Weise kann nichts besser werden.“ „Mag sein.“ Ich drehe mich auf die Seite und meinem Vater den Rücken zu. „Los, komm hoch, Yamato. Wir fahren jetzt einkaufen, dann koche ich etwas Leckeres für uns und wir schauen danach einen Film, okay?“ „Nein, ich will nicht. Ich habe sowieso keinen Hunger.“ „Also gut, dann fahren wir jetzt zum Arzt.“ Verständnislos wende ich mich um und suche den Blickkontakt zu meinem Vater. „Wozu?“ „Weil dein Verhalten zur Zeit bedenklich ist. Möglicherweise bist du krank, das wäre eventuell eine Erklärung.“ „Meinst du das ernst?“ Ich richte mich leicht auf. „Was soll ich deiner Meinung nach sonst tun? Dich in Ruhe lassen? Das habe ich die letzten Wochen getan, in der Hoffnung, dass du dich von allein wieder fängst. Das ist nicht geschehen. Ich muss allmählich eingreifen. Was du machst, ist nicht gesund, Yamato.“ Liebevoll streichelt er durch meine Haare. Ich lasse es geschehen. Tränen füllen meine Augen. Zögerlich lehne ich meinen Kopf an die Schulter meines Vaters. Der legt seine Arme um mich und zieht mich dicht an sich. „Ich sagte dir schon einmal, du sollst nicht alles mit dir selbst ausmachen. Vertraust du mir nicht?“ Meine Kehle ist trocken und schmerzt. Das Sprechen fällt mir schwer, da meine Stimme vom Weinen bebt. „Doch. Aber ich kann dir nichts erzählen, was ich selbst nicht verstehe. Ich finde keine Worte, es ist noch nicht einmal greifbar.“ „Versuche es, mein Sohn.“ „Es herrscht totales Chaos in meinem Inneren. Da sind Gefühle, die alle durcheinanderschreien. Und dann ist alles leer. Nichts. Kein einziges Gefühl. Ergibt das einen Sinn für dich?“ „Ich bin mir nicht sicher, da es recht früh wäre, aber möglicherweise beginnt bei dir bereits die Pubertät. Dann wären die Hormone Schuld an deinem seelischen Durcheinander.“ Ich schweige, da ich mir sicher bin, dass mein Vater sich irrt. Vorsichtig löse ich mich von ihm und trockne mein Gesicht. „Geht es wieder?“ Kaum merklich nicke ich. Das Pulsieren in meinem Kopf, welches sich den Tag über hartnäckig gehalten hat, wird stärker und geht zu einem unangenehmen Stechen über. „Kann ich bitte eine Kopfschmerztablette bekommen? Und dann lass uns einkaufen fahren, okay?“ Kapitel 5: ----------- „Mama würde sich freuen, wenn du uns auch mal wieder besuchst. Sie hat dich schon lange nicht mehr gesehen“, richtet Takeru die Worte meiner Mutter aus, während er genüsslich sein Eis löffelt. Es ist selten, dass ein Treffen, bei dem auch mein Vater zugegen sein kann, an einem Nachmittag in der Woche stattfindet. Hilflos schaue ich zu ihm, beobachte seine Mimik genau. Doch darin kann ich keinerlei Abneigung erkennen. „Du musst mich nicht um Erlaubnis fragen. Ich weiß, dass du auch deine Mutter brauchst.“ Er lächelt mich an. Ich hasse es. Seine Augen strahlen bei diesem Thema oft viel Traurigkeit und Schuldbewusstsein aus. Er wirft sich noch immer vor, seinen Kindern so etwas wie eine Scheidung angetan zu haben. Wir leben in einem Land, in dem es nicht üblich ist, dass sich die Eltern trennen, solange die Kinder noch zu Hause wohnen. Es gehört sich gesellschaftlich einfach nicht. „Ja“, antworte ich gedankenversunken. Mein Vater irrt sich. Takeru braucht seine Mutter, nicht ich. Aus diesem Grund entschied ich mich damals, bei meinem Vater zu wohnen, damit mein kleiner Bruder bei seiner Mutter aufwachsen kann. Außerdem wollte ich nicht, dass mein Vater allein zurückbleibt. Ich spüre ein unangenehmes Gefühl in meiner Kehle, einen stärker werdenden Druck, der mir das Schlucken zunehmend erschwert. Leicht fahre ich mit meiner rechten Hand über meinen linken Unterarm. Deutlich fühle ich den Verband, der vom Stoff meines Pullovers verdeckt wird. Die Wunde, die ich mir vorhin mit einem der Küchenmesser zugefügt habe, pulsiert angenehm schmerzhaft. Sie ist nicht tief, da unsere Klingen nicht scharf sind, aber darauf kam es mir nicht an. Ich war neugierig, wollte wissen, ob diese Art von Schmerz mich ebenso beruhigt wie die Gewalt, die ich mit Taichi gelegentlich austausche. Wie ich feststellen musste, liegt es nicht unbedingt an meinem besten Freund, ich brauche dieses Gefühl allgemein. Besonders in letzter Zeit drängt sich mir das Verlangen danach unentrinnbar auf. „Dein Eis schmilzt“, werde ich von meinem Vater aus meinen Gedanken gerissen. Ich blicke auf die Schale, die vor mir auf dem Tisch steht. Es scheint inzwischen tatsächlich eher flüssig als fest zu sein, obwohl es aufgrund der Jahreszeit nicht sehr warm in der Wohnung ist. Ohnehin esse ich normalerweise im Winter nicht unbedingt Eis, Takeru wollte allerdings welches, weshalb mein Vater eine Packung kaufte. Für seinen kleinen Sohn würde er generell alles tun, auch da er ihn in der Regel nicht häufiger als einmal im Monat sieht. Ich weiß, dass er ihn schmerzlich vermisst und ihn am liebsten immer bei sich hätte. Sehr oft sieht er sich das Foto an, welches er in seinem Portemonnaie mit sich trägt. Darauf sehen wir vier noch wie eine glückliche Familie aus. Mein Bruder freut sich ebenfalls, wenn er Zeit mit seinem Vater verbringen darf. Insgeheim hofft er noch immer, dass unsere Eltern sich wieder vertragen. Ich möchte diese vergebliche, kindlich naive Hoffnung nicht zerstören. Er ist einfach noch zu jung, um die Situation zu verstehen. Vermutlich viel zu früh wird er mit der harten Realität konfrontiert werden. Eine Realität, die auch ich nicht sehen will, vor der ich davonlaufe, weil sie zu absurd und kaum zu ertragen ist. Taichi ist derzeit die schmerzhafteste Wirklichkeit für mich. Momentan gehe ich ihm wieder verstärkt aus dem Weg. Der Drang, meinen besten Freund spüren zu wollen, wird allmählich zu stark. Was genau das bedeutet, dessen bin ich mir selbst nicht ganz bewusst. Ich weiß lediglich, dass der Schmerz, den er mir zufügt, nicht mehr reicht. Doch gibt es etwas Innigeres als Schmerz? „Brüderchen, spielst du uns bitte etwas auf deiner Mundharmonika vor?“ „Was… ja.“ Zwangsläufig tauchen Erinnerungen an das Sommercamp in mir auf. Abends saß die gesamte Gruppe meist am Lagerfeuer. Sie unterhielten sich, ließen den Tag Revue passieren, lachten und besprachen den Ablauf des nächsten Tages. Es kam nicht selten vor, dass ich mich ein wenig entfernte, um ungestört nachdenken und Mundharmonika spielen zu können. Hin und wieder gesellte sich jemand zu mir, der schweigend zuhörte. Meist waren es Takeru oder Taichi. Vor allen hätte ich jedoch niemals gespielt. Ich wollte kein Alleinunterhalter sein und sämtliche Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Irritiert halte ich in meinen Gedanken inne. Sind meine Erinnerungen wirklich geschehene Ereignisse des Sommercamps oder vermischen sich meine Träume einmal mehr mit der Realität? Waren am Lagerfeuer digitale Monster? Die Bilder in meinem Kopf verschwimmen. Gewaltsam hole ich mich zurück in die Gegenwart, schaue zuerst meinen Bruder an, dann meinen Vater. „Geht schon ins Wohnzimmer, ich räume noch schnell den Tisch ab“, sagt dieser mit einem Lächeln. „Du warst den Tag über sehr abwesend. Auch Takeru ist das aufgefallen. Er macht sich Sorgen deinetwegen.“ Mein Vater sieht zu mir, doch ich halte meinen Blick starr auf den Fernseher gerichtet. Das Programm ist nicht sonderlich interessant, was mir allerdings ziemlich egal ist, da ich mit meinen Gedanken ohnehin meist abschweife. Seit Takeru heute Nachmittag von unserer Mutter sprach, bekomme ich sie nicht mehr aus meinem Kopf. Der erwähnte mögliche Besuch bei ihr löst in mir unangenehme Gefühle aus. Ich hasse sie nicht, aber ich weiß nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten soll. Meine Mutter ist mir fremd geworden, seit sie mit meinem Bruder von uns getrennt lebt. In den vergangenen vier Jahren habe ich sie acht Mal gesehen, nämlich zu Takerus sowie meinen Geburtstagen. Ansonsten kam immer irgendwie etwas dazwischen. Mittlerweile bin ich darüber sogar froh. Mein Vater sagt zwar, dass es für ihn in Ordnung ist, wenn ich meine Mutter besuche, für mich fühlt es sich jedoch wie Verrat an. Ich denke, ich liebe sie, wie man eine Mutter eben liebt, aber ich habe mich unter anderem für Takeru damals gegen sie und für meinen Vater entschieden. Dabei sollte ich bleiben. „Yamato“, spricht mein Vater mich erneut an und fuchtelt mit seiner Hand in meinem Blickfeld herum, um nachdrücklich auf sich aufmerksam zu machen. „Woran merkt man, dass man jemanden liebt und nicht nur Freundschaft für ihn empfindet?“, frage ich unerwartet, einem plötzlichen Gedanken folgend. „Was?“ Mein Vater hält in seiner Bewegung inne, lässt seine Hand sinken und grinst mich an. „Jetzt verstehe ich, was mit dir los ist. Du hast dich verliebt. In dieses Mädchen? Diese Freundin von Taichi, die du vor einiger Zeit einmal erwähntest?“ „Nein.“ Eher unbemerkt verziehe ich leicht das Gesicht. „Nicht in sie und auch in kein anderes Mädchen. Die Frage war rein… also… nur so…“ „Ich nehme an, du suchst nach dem Wort hypothetisch. Jaja, ich verstehe schon.“ Sein Grinsen wird breiter. „Ein Indiz könnte das Verlangen sein, den anderen immer in seiner Nähe haben zu wollen. Auch die Tatsache, jene Person berühren und spüren zu wollen, deutet auf Liebe hin. Verstehst du, was ich meine?“ „Ja, Sex“, antworte ich nüchtern. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich den verblüfften Gesichtsausdruck meines Vaters, mit dem er mich betrachtet. „Ähm… stimmt. Das gehört auch dazu. Yamato, wie soll ich anfangen…“ „Ist schon okay, Papa“, falle ich ihm ins Wort. „Wir müssen kein solches Vater-Sohn-Gespräch führen. Mich interessiert eine solche Beziehung nicht.“ Sichtlich erleichtert kratzt sich mein Vater aus Verlegenheit am Kopf. „Natürlich, du bist auch noch etwas zu jung dafür.“ Hat Sex tatsächlich etwas mit dem Alter zu tun? Wäre es unnatürlich, wenn ich bereits jetzt mit jemandem schlafen würde? Und ist es okay, dass es ein Junge und kein Mädchen wäre? Ich erschrecke selbst über meine Gedanken. Habe ich gerade in Erwägung gezogen, mit Taichi zu schlafen? Liebe ich ihn? Kann es überhaupt Liebe sein, wenn ich ihm ebenso Gewalt antun möchte? Hasse ich ihn? Aber kann es Hass sein, wenn ich seine Nähe suche und ihn besitzen will? „Vielleicht bin ich wirklich noch zu jung“, sage ich mehr zu mir selbst und daher so leise, dass mein Vater mich kaum versteht. „Yamato?“ Besorgt legt er eine Hand auf meine Schulter. „Wenn du Probleme hast, kommst du zu mir, okay?“ Auf meinem Platz sitzend schaue ich aus dem Fenster. Es hat vor einiger Zeit zur Mittagspause geklingelt und die meisten meiner Klassenkameraden sind trotz der Kälte nach draußen gegangen. Für mich ist es angenehm, da ich somit allein im Raum bin und meine Ruhe habe. Mein Blick ist auf Tai gerichtet, der sich schon seit Minuten mit Sora unterhält. Außer, dass ich meinem besten Freund aus dem Weg gehen kann, ist sie der zweite Grund, weshalb ich das Gebäude in den Pausen nur ungern verlasse. Ich finde ihre Anwesenheit irgendwie anstrengend und ich mag es nicht, wie sich Taichi in ihrer Gegenwart verhält. Er trägt diese Maske, dieses zweite Gesicht, bei dem niemand vermuten würde, wozu er eigentlich fähig ist. Das Faszinierende daran ist allerdings, dass er sich offenbar nicht verstellt, sondern beides tatsächlich er ist. Ich hoffe, er zeigt niemand anderem die Seite, die er mich sehen lässt. Bei dem Gedanken daran, dass ich für meinen besten Freund einer von vielen bin, verkrampft sich meine Brust qualvoll und meine Kehle schnürt sich schmerzhaft zu. Nennt man dieses Gefühl Eifersucht? Die beiden unterhalten sich noch immer. Am liebsten würde ich es unterbinden. Ich will Taichi für mich allein haben und nicht teilen müssen. Schon gar nicht mit einem Mädchen. Kurz überwältigt mich der Drang, nach draußen zu gehen, zu Tai, um ihn von Sora wegzureißen. Angestachelt von dieser Idee erhebe ich mich, bleibe aber reglos stehen. Ich atme tief durch und setze ich mich wieder auf meinen Stuhl. Unzufrieden wegen meiner Feigheit und der bestehenden Distanz betrachte ich meinen besten Freund weiterhin nur durch das Fenster. Seine braunen Haare werden vom Wind noch mehr zerzaust, als sie es ohnehin bereits sind. Aufgrund der Kälte zieht er seine Jacke enger um seinen Körper. Offenbar friert er, ob er zittert, kann ich allerdings nicht erkennen. Wegen irgendetwas beginnt er zu lachen, dabei dreht er seinen Kopf in meine Richtung. Unsere Blicke treffen sich. Ich schaue nicht weg, sondern fixiere seine schönen, alles durchdringenden Augen, die auch er nicht von mir abwendet. Ein seltsames Gefühl stellt sich ein und mir kommt das Gespräch mit meinem Vater wieder in den Sinn. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wäre, mit Taichi zu schlafen. Sogleich fühlt es sich so an, als würde ich rot werden, zumindest glüht mein Gesicht vor Hitze. Auch ein anderes Körperteil reagiert auf meine Gedanken. Beschämt wende ich den Blick von meinem besten Freund ab. Auf diese Weise würde er zwar ganz mir gehören, zumindest für den Moment, aber ich bin mir nicht sicher, ob Tai das überhaupt wollen würde. Und ihn mit Gewalt dazu zu zwingen, wäre wie eine Unterwerfung. Verwirrt vergrabe ich mein Gesicht in meinen Händen. Die gesamte Situation überfordert mich. Wie soll ich mich verhalten? Was will ich überhaupt? Was fühle ich? „Yamato?“, höre ich plötzlich die Stimme meines besten Freundes. Gleichzeitig fühle ich seine Hand auf meiner Schulter. Nervös schrecke ich hoch und schaue ihn entsetzt an. „Tai…“, entweicht es mir tonlos. „Was… also, ich muss… sorry.“ Kopflos laufe ich an ihm vorbei. „Nein, renn nicht schon wieder weg. Bitte weise mich nicht mehr zurück, Yama!“ Ich will nicht vor meinem besten Freund fliehen, aber seine Nähe ist derzeit unerträglich. Zudem habe ich im Augenblick noch ein zusätzliches Problem, weswegen ich dringend zur Toilette muss. „Tai, ich… es ist besser so.“ Mit diesen Worten lasse ich ihn allein zurück, nähre dafür mein Verlangen ebenso wie meinen Selbsthass. Wortlos schließe ich die Wohnungstür auf. Ich mache eine einladende Geste, Tai geht an mir vorbei und zieht im Flur sowohl Schuhe als auch Jacke aus. Diesmal konnte ich ihm nicht ausweichen, da er mich nach meinem Training abgefangen hat. Noch immer schweigend gehen wir in mein Zimmer, wo ich den CD-Player einschalte und auf meinem Bett Platz nehme. Der Blick meines Freundes ist intensiv, als er sich vor mich auf den Boden setzt. Könntest Du Dich sehen wie Dein Blick um Hilfe schreit Doch niemand sieht nach Dir Nichts, was Dich befreit „Was ist?“, frage ich ihn irritiert. „Hör auf mir aus dem Weg zu gehen. Hattest du mir damals nicht versichert, dass wir noch immer Freunde sind? So fühlt es sich aber nicht an. Du ziehst dich zurück und lässt mich überhaupt nicht mehr an dich heran. Warum, Yamato? Was…“ „Das weißt du genau!“, unterbreche ich ihn aufgebracht. „Die ganze Zeit tust du so, als wäre nichts. Ich habe es satt! Verdammt, akzeptiere endlich, dass ich nicht nur Freundschaft für dich empfinde!“ „Also gut, dann klären wir diese Sache jetzt ein für alle Mal. Was genau empfindest du für mich und welches Verhalten erwartest du von mir?“ Eine ungewohnte Ernsthaftigkeit zeichnet sich im Gesicht meines besten Freundes ab. Ernüchtert senke ich den Kopf. „Ich weiß es selbst nicht“, gebe ich widerwillig zu. „Dann ist das Problem doch schon gelöst. Hab einfach keine merkwürdigen Gefühle für mich, die du ohnehin nicht definieren kannst. Sonst verrennst du dich noch in etwas, das eigentlich nicht da ist.“ Taichis Worte sind wie ein Schlag ins Gesicht. Fassungslos starre ich ihn an. Könntest Du besiegen Was Dir unbezwingbar scheint Doch Du verlierst Dich Bleibst gefangen in Dir selbst „Nein, lass es mich herausfinden. Lass mich herausfinden, was ich für dich empfinde.“ Gezielt greife ich nach den Handgelenken meines besten Freundes und halte sie fest. Ich beuge mich zu ihm hinab, zwinge ihm einen fordernden Zungenkuss auf. Schmerzhaft beißt er in meine Lippe, sodass ich sofort wieder von ihm ablasse. „Shit!“, fluche ich leise. „Bist du bescheuert?“, fährt Tai mich wütend an. „Wie oft muss ich es dir noch sagen? Ich will nicht von dir geküsst werden!“ Vorsichtig betaste ich die kleine, von ihm zugefügte Verletzung an meiner Lippe. „Mir ist gerade ziemlich egal, ob du das willst“, entgegne ich gleichgültig. Lass mich gehen Um Deinem Wahnsinn zu entfliehen Ich nutze mein Körpergewicht, um meinen besten Freund bestimmt an den Schultern nach hinten zu drücken. Auf dem Rücken liegend versucht er sich gegen mich zu wehren, doch ich nehme ihm einen großen Teil seiner Bewegungsfreiheit, indem ich auf seinen Oberschenkeln sitze und seine Arme über seinem Kopf auf den Boden presse. „Und jetzt? Was willst du jetzt tun, Yamato?“ Verärgert und mit stechendem Blick sieht Tai mir in die Augen. „Sei still!“, weise ich ihn im Befehlston zurecht. „Weißt du überhaupt selbst noch, warum du so handelst? Denkst du, aufgrund deines Verhaltens küsse ich dich freiwillig? Glaubst du tatsächlich, mit Gewalt bei mir weiterzukommen? Willst du mich einschüchtern?“ Ich bin es nicht Der die Sterne Dir vom Himmel holt Ich bin es nicht Der in Deinem Herzen wohnt „Jetzt halt endlich den Mund, verdammt!“, schreie ich meinen besten Freund unbeherrscht an. Ich ertrage es nicht, dass seine Vermutungen zum Teil der Wahrheit entsprechen, ebenso wie ich meinen Kontrollverlust in dieser vorherrschenden Situation nicht ertrage. Kopflos beuge ich mich hinab und küsse Taichi erneut, wodurch ich allerdings nicht mehr so viel Kraft aufwende, um ihn festzuhalten. Die Gelegenheit nutzend befreit Taichi sich aus seiner Zwangslage. Sofort schlägt er rücksichtslos mit der Faust in mein Gesicht. Ich falle zur Seite und bleibe kurz reglos auf dem Teppich liegen. „Ich hoffe, du kommst jetzt wieder zur Vernunft! Was ist nur los, Yamato? Du bist nicht mehr du selbst!“ Noch leicht benommen rapple ich mich auf. „Das weiß ich leider auch nicht!“ Freudlos lache ich auf. Mein Gefühl der Ausweglosigkeit bringt mich langsam um den Verstand. Nahezu reflexartig quittiere ich den Schlag meines besten Freundes mit einem Fausthieb in seinen Magen. Stöhnend bricht Tai zusammen. Bevor er reagieren kann, bin ich hinter ihm und drücke seinen Kopf brutal auf den Boden. Mit meiner anderen Hand öffne ich seine Hose. „Was soll das werden?“, fragt Taichi gequält. Die Verwirrung über meine abnorme Handlung ist ihm deutlich anzuhören. Du kannst nicht erleben Was Du nicht für möglich hältst Willst nicht mal sehen Was Du nicht schon kennst „Ich reagiere auf deine Ablehnung. Du wirst mich nicht mehr zurückweisen. Mehrfach sagte ich dir, du würdest mir gehören. Anscheinend muss ich dich erst unterwerfen, damit du mich endlich ernst nimmst.“ Ich ziehe die Hose und Unterhose meines besten Freundes ein Stück herunter. „Scheiße, Yamato! Du bist wahnsinnig! Merkst du nicht, dass deine Gefühle reine Besessenheit sind? Hör endlich auf mit dem Scheiß, sonst…“ „Sonst? Ich glaube, du bist kaum in der Position, Drohungen auszusprechen.“ Nun öffne ich meine eigene Hose, wodurch Tai panisch seine Gegenwehr noch einmal verstärkt. Fast gelingt es ihm, sich von mir zu befreien, doch ich schaffe es knapp, ihn mithilfe einiger erlernter Bewegungen und Griffe des Goshin-Jitsu bewegungsunfähig zu machen. Mein Kampfsporttraining macht sich also bezahlt. „Du verfluchter Bastard!“, schreit mein bester Freund feindselig. „Fass mich nicht an!“ Aufgrund seiner Angst entwickelt er unglaubliche Kräfte, was mir extrem erschwert ihn unter Kontrolle zu halten. „Wehre dich nicht, Taichi. Sonst tut es nur noch mehr weh“, presse ich angestrengt hervor. „Nein! Lass mich los, du widerliche Schwuchtel! Ich will das nicht!“ Tais Stimme zittert stark. „Was du willst oder nicht willst, interessiert mich nicht mehr.“ Um seinen Protesten Einhalt zu gebieten, dringe ich derb in ihn ein. Ich stöhne auf vor Schmerz, die qualvollen Schreie meines besten Freundes jedoch sind unerträglich. Doch obwohl es für uns beide derart schmerzhaft ist, mache ich weiter, bis ich ganz in ihm bin. Dabei lasse ich mit einer Hand von seinem Körper ab, um ihm den Mund zuhalten zu können. „Shh, nicht so laut. Du willst doch nicht, dass jemand mitbekommt, was wir hier tun“, flüstere ich. Taichis Tränen benetzen meine Haut. Würdest Du bemerken Was für Dich unerheblich ist Könntest Du lieben und leben und sein Verkrampft beginne ich mich in ihm zu bewegen, wodurch sein Weinen und seine durch mich unterdrückten Schreie noch heftiger werden. Als er ein wenig ruhiger wird, lasse ich meine Hand vorsichtig wieder sinken, damit ich ihn zusätzlich stimulieren kann. „Ich hasse dich für das, was du gerade tust!“, schluchzt Tai voller Verachtung. „Hörst du, Yamato? Ich hasse dich abgrundtief!“ Tränen steigen in meine Augen, meine Sicht verschwimmt. Als Reaktion auf die Worte meines besten Freundes verstärke ich sowohl die Stimulation als auch die Penetration. Immer wieder stoße ich mich brutal und erbarmungslos in ihn. Mit der Zeit werden meine Bewegungen rhythmischer, meine Atmung beschleunigt sich und Schweiß bildet sich durch die Anstrengung auf meiner Haut. Allmählich lässt Taichis Gegenwehr nach. Er scheint aufzugeben und meine Gewalt teilnahmslos hinzunehmen. Lediglich sein von Peinigung gezeichnetes Keuchen erfüllt den Raum. „Fühlst du mich tief in dir? Spürst du, wie sehr ich dich in Besitz genommen habe?“ Tai reagiert nicht. Demütigend ziehe ich seinen Kopf an den Haaren nach oben und schlage ihn unsanft auf den Boden. „Antworte!“ Lass mich gehen Um Deinem Wahnsinn zu entfliehen „Du bist einfach nur pervers…“ Die Stimme meines besten Freundes ist kaum hörbar und zwischen den einzelnen Worten sind schreckliche Laute des Schmerzes zu vernehmen. Unaufhörlich laufen Tränen über meine Wangen. „Taichi…“ Ich schaffe es nicht, weiterzusprechen. Völlig durcheinander lasse ich von ihm ab und lehne mich sitzend und ziemlich verstört gegen mein Bett. Schluchzend, zusammengekrümmt und zum Teil entblößt liegt mein bester Freund vor mir. Ihn so zu sehen, löst Gefühle in mir aus, die ich nicht benennen kann. Sie sind jedoch nicht ausschließlich negativ, was mich selbst ein wenig erschreckt. „Hast du deine Antwort wenigstens bekommen?“, fragt Tai plötzlich. Sein Tonfall ist voller Geringschätzung. Schwerfällig richtet er sich auf und zieht seine Hose wieder richtig an. Ich beobachte ihn dabei, unfähig ein Wort herauszubringen. Als er fertig ist, blickt er mit vom Weinen geröteten Augen zu mir. „Du bist krank, Yamato. Lass dir helfen.“ „Ich bin nicht krank“, entgegne ich ernst, beinahe emotionslos. „Nicht?“ Mein bester Freund lacht ein bitteres Lachen. „Es ist für dich also normal, jemanden zu vergewaltigen? Dann bist du erst recht krank. Oder viel eher gestört.“ „Ich habe dich nicht…“ „Sprich nicht weiter! Du bist gefährlich, Yamato. Fass mich nie wieder an, hast du verstanden?“ Drohend durchbohrt mich Tais Blick. „Ich gehe jetzt. Deine Nähe ist mir so zuwider, dass mir schlecht wird.“ Hilflos starre ich ihn an. Ich möchte meinen besten Freund festhalten, doch ich schaue ihm nur nach, als er mein Zimmer verlässt. Kurze Zeit später höre ich die Wohnungstür ins Schloss fallen. Ich bin es nicht Der die Sterne Dir vom Himmel holt Ich bin es nicht Der in Deinem Herzen wohnt Allein mit mir werde ich von Stille umhüllt. Unbemerkt versinke ich in Apathie. Die Abenddämmerung hat bereits eingesetzt, als ich in die Realität zurückfinde. Meine Tränen sind inzwischen getrocknet. Erneut zweifle ich an meiner Wahrnehmung. Hatte ich wirklich Sex mit Taichi? Oder war es nicht doch nur ein Traum? Kapitel 6: ----------- Gedankenversunken reinige ich den Klassenraum, da ich zum Putzdienst eingeteilt wurde. Meine Mitschüler sind längst gegangen. Für die Stille bin ich dankbar, aber ich fürchte sie auch. Immer wieder muss ich daran denken, was ich mit Taichi getan habe. War es falsch? In ihm zu sein war sehr schmerzhaft, allerdings fühlte es sich auch unerwartet schön an, ihn auf diese Weise zu spüren. Meine Empfindungen verwirren mich. Tai offenbar auch. Direkt nach dem Übergriff ging er auf Abstand, doch nur für ein paar Tage. Inzwischen ist sein Verhalten wie immer. Lediglich meine Berührungen, selbst wenn sie noch so harmlos sind, lässt er nicht zu, was für mich unerträglich ist. War ihm der Sex mit mir derart zuwider? „Yamato.“ Ich zucke heftig zusammen, als die Stille von der Stimme meines besten Freundes durchdrungen wird. „Es tut mir leid, habe ich dich erschreckt?“ Mit klopfendem Herzen drehe ich mich zu ihm, er lächelt. „Was machst du noch hier?“ Zum ersten Mal seit dem Vorfall sind wir allein. „Kommst du, wenn wir hier fertig sind, mit nach Shibuya? Es gibt da dieses neue Spiel…“ „Wir?“, werfe ich irritiert ein. „Klar, wenn ich dir helfe, geht es schneller.“ Ich stelle den Schrubber beiseite und wende mich meinem besten Freund zu. „Taichi.“ Ihn fest am Handgelenk packend ziehe ich seinen Körper nah zu mir heran. „Sagte ich dir nicht, du sollst mich nie wieder anfassen?“, zischt er plötzlich sehr feindselig und versucht sich aus meiner Gewalt zu befreien. „Verdammt, Tai! Was soll das? Ich verstehe dein Verhalten nicht. Hasst du mich? War es für dich wirklich so schlimm, mit mir zu schlafen?“ Als Antwort bekomme ich eine schmerzende Ohrfeige. „Ich habe das nicht freiwillig mit mir machen lassen! Bist du etwa tatsächlich der Meinung, nichts Falsches getan zu haben?“ Mein bester Freund schreit mir die Worte voller Abneigung und Unglauben entgegen. Liebevoll schließe ich ihn in meine Arme, um ihn nahezu bewegungsunfähig zu machen. „Taichi“, flüstere ich in sein Ohr. „Ich möchte dir gerade nicht wehtun, also wehre dich nicht.“ „Was willst du eigentlich von mir? Hast du dir nicht schon genommen, wonach dir verlangt?“ „Das reicht mir nicht“, entgegne ich kühl. Unerwartet rammt mir mein bester Freund sein Knie brutal zwischen die Beine. Sofort lasse ich von ihm ab und sacke keuchend vor Schmerz zusammen. Taichi hockt sich neben mich. „Ist das eine Ankündigung, dass du mich immer wieder vergewaltigen wirst, wenn ich dich nicht freiwillig ranlasse?“ „Taichi… ich…“ Noch immer schaffe ich es nicht, mich aufzurichten. Meine Stimme ist verzerrt. Unsanft packt mich mein bester Freund am Kinn und dreht meinen Kopf in seine Richtung. „Du bist eine perverse, kleine Drecksschwuchtel. Allerdings bist du auch mein bester Freund und ich will dich nicht verlieren.“ „Dann solltest du dich entscheiden. Ich halte diesen Schwebezustand, der momentan zwischen uns herrscht, nicht mehr aus.“ „Entscheiden? Wofür?“, fragt Tai irritiert. „Alles oder nichts.“ Der Schmerz zwischen meinen Beinen lässt langsam nach. „Es soll so sein wie vorher, so wie es immer zwischen uns war.“ „Kann es das denn werden? Wie immer? Als hätten wir nie Sex gehabt?“ Mein Tonfall wird energischer. Unter Schwierigkeiten stehe ich auf, muss mich dabei aber an einem der Tische festhalten. „Ich weiß es nicht“, gibt mein bester Freund leise zu. „Vermutlich nicht.“ Er seufzt. „Yamato, ich kann mit dieser Situation nicht umgehen.“ Langsam gehe ich ein paar Schritte auf Tai zu. „Gib dich mir hin. Mit der Zeit gefällt es dir vielleicht sogar und du empfindest auch etwas für mich.“ „Ich empfinde etwas für dich. Freundschaft. Andere Gefühle werden sich jedoch nie daraus entwickeln, denn im Gegensatz zu dir stehe ich nicht auf Männer.“ Schweigend betrachte ich meinen besten Freund. „Wir sollten hier weitermachen, sonst werden wir nie fertig. Du wolltest doch nach Shibuya, oder?“ Taichis Blick wirkt traurig, verzweifelt. Ohne ein weiteres Wort miteinander zu wechseln, fahren wir mit der Reinigung des Klassenzimmers fort. In meinem Kopf kreisen quälend die Gedanken. Lustlos liege ich auf meinem Bett und starre zur Decke. Ich bin durcheinander, verzweifelt und am Ende meiner Kräfte. Allmählich wird mir alles zu viel, meine Handlungen, Gedanken und Gefühle entgleiten mir. Seit ich Taichi das erste Mal gegen seinen Willen genommen habe, sind fast fünf Monate vergangen. Inzwischen haben wir die Grundschule abgeschlossen und wechselten auf die anschließende Mittelschule, sind allerdings nicht mehr in derselben Klasse. Unsere Freundschaft besteht weiterhin, obwohl ich meinen besten Freund in der Zeit noch weitere Male zum Sex gezwungen habe. Es geschieht nicht nur aus Willkür, meist entgleitet mir auch die Kontrolle. Ich bereue nicht, mit ihm zu schlafen, obwohl ich mir nicht sicher bin, was ich eigentlich für ihn empfinde. Aber Taichis schmerzvolle Schreie, wenn ich in ihn eindringe und mich in ihm bewege, sein Weinen und Flehen sowie die verzweifelten Versuche, sich aus meiner Gewalt zu befreien, tauchen immer wieder in meinem Kopf auf und bringen mich an den Rand des Wahnsinns. Dabei versetzt mich die Macht über meinen besten Freund gleichermaßen in eine Art Hochgefühl. Ich weiß nicht, welche Emotionen echt sind, sie sind so widersprüchlich, aber unglaublich intensiv. Ich drehe mich auf die Seite. Warum gibt Tai trotz allem unsere Freundschaft nicht auf? Und warum tut er nach meinen Übergriffen jedes Mal so, als wäre nichts geschehen? Dabei hat sich der Ausdruck seiner Augen seitdem verändert, sein Blick ist durchdringender geworden, wenn er mich ansieht. Vielleicht sollte ich einfach sterben, um Taichi von mir zu befreien. Er würde mir dabei vermutlich sogar mit einem Lächeln helfen. Ich streiche leicht über das Pulsieren meines Armes. Der Tod ist ohnehin die bessere Alternative zum Leben. Zudem ertrage ich mich mittlerweile selbst nicht mehr. Sind das nicht die besten Voraussetzungen, mich zu töten? Tränen laufen über meine Nase und tropfen auf das Kissen. Ich vergrabe mein Gesicht darin, in der Hoffnung, zu ersticken. Das plötzliche Klopfen an meiner Tür lässt mich erschreckt hochfahren. Panisch schaue ich meinen Vater an. „Yamato?“ Sofort zeichnet sich deutliche Besorgnis in seinem Gesicht ab, als er mich derart aufgelöst vorfindet. „Was ist passiert?“ Er setzt sich zu mir auf das Bett. Ich schweige und versuche mich unter Kontrolle zu bekommen. „Warum antwortest du nicht? Du schließt mich immer mehr aus deinem Leben aus. Vertraust du mir nicht?“ „Papa… ich…“ Meine Beherrschung schwindet und ich lehne mich weinend mit meiner Stirn an die Schulter meines Vaters. Mein Weinen wird heftiger, als er mich schützend in seine Arme zieht. Eine Weile sagt keiner von uns beiden etwas. Beruhigend streicht er über meinen Rücken. Nach Luft ringend löse ich mich von meinem Vater und will aufstehen, doch er hält mich am Handgelenk zurück. „Yamato?“, fragt er beinahe ängstlich. „Was hast du an deinem Arm?“ Alarmiert versuche ich mich aus dem festen Griff meines Vaters zu befreien. Vergeblich. „Setz dich“, fordert er mich ernst auf. Ich widerspreche nicht. Mein Magen zieht sich unangenehm zusammen und ein leichtes Schwindelgefühl überkommt mich, als er meinen Ärmel nach oben schiebt. „Warum trägst du diesen Verband?“ Ich schaue ihn nicht an. „Ich habe mich verletzt.“ „Wann und woran? Und warum sagst du mir das nicht?“ „Ich habe mich selbst verletzt, die ersten Male mit einem Messer, seit kurzem verwende ich eine Rasierklinge“, beichte ich tonlos. „Yama…“ Die Stimme meines Vaters versagt. Seine Bestürzung ist ihm deutlich anzumerken. „Ich möchte es sehen. Löse den Verband.“ „Nein… bitte!“ Allmählich verfalle ich in Panik, dabei weiß ich nicht einmal warum. „Gut, dann werde ich es tun.“ Er beginnt den weißen Stoff von meinem Arm zu wickeln. Beschämt schaue ich zur Seite. „Seit wann machst du das?“, will er mit zitternder Stimme wissen und starrt auf die zum Teil verheilten, zum Teil frischen Schnittverletzungen. Seit einiger Zeit ist das Verlangen nach Schmerz immer größer geworden, dem ich mich sogar freiwillig hingebe. „Verdammt, Yamato! Ich rede mit dir!“ „Papa…“ Erneut laufen mir Tränen über die Wangen, welche zärtlich von meinem Vater mit dem Daumen weggewischt werden. „Bitte beantworte die folgende Frage ganz ehrlich. Tust du dir das an, weil du sterben möchtest?“ „Ich weiß es nicht“, antworte ich kaum hörbar. Als ich meinen Vater schuldbewusst anblicke, sehe ich, dass auch er weint. Offenbar sind wir beide mit der Situation überfordert. „In der nächsten Kurve überhole ich dich“, kündigt Taichi großspurig an. „Davon träumst du“, entgegne ich mit einem Lachen. „Bis jetzt habe ich immer gegen dich gewonnen.“ „Weil ich dich habe gewinnen lassen.“ Empört sieht mein bester Freund mich an. „Das ist nicht wahr!“, protestiert er. Ich nutze mein Ablenkungsmanöver, um sein Auto von der Fahrbahn zu drängen und als Erster die Zielgerade zu erreichen. „Das war Absicht von dir, oder?“, schmollt Tai. Siegessicher grinse ich ihn an, während ich mein Auto ganz langsam über die Linie rollen lasse. „Gewonnen“, ärgere ich ihn weiter. „Du bist so ein arroganter Arsch!“ Mein bester Freund schaut mich gespielt böse an. „Dabei kannst du nur mit unfairen Mitteln gewinnen.“ „Komm schon, jetzt hör auf beleidigt zu sein.“ „Ich werde mich rächen, wenn du es am wenigsten erwartest.“ Er kneift seine Augen drohend zusammen. „Darauf bin ich gespannt. Und ich habe Hunger, lass uns etwas essen“, schlage ich vor. „Stimmt, ich auch.“ Wir legen die Kontroller beiseite und gehen durch den Flur in die Küche. Sofort öffnet Taichi den Kühlschrank. „Sehr übersichtlich“, kommentiert er den Inhalt. Ich werfe ebenfalls einen Blick in das Innere. „Wieso?“, frage ich verwundert. „So sieht es da drin immer aus. Es ist alles Wichtige da.“ „Hmm… vielleicht würde es bei uns auch nicht anders aussehen, wenn die Hälfte des Inhalts nicht aus Bier bestünde.“ Mein bester Freund seufzt. „Das denke ich auch. Selbst mir ist bereits aufgefallen, dass dein Vater sehr viel trinkt. Immer wenn ich bei euch bin und ihn sehe, riecht er nach Alkohol.“ Tai holt Wurst, Rettich und Mayonnaise aus dem Kühlschrank. Ich gebe ihm aus dem Schrank das Toastbrot und aus einem der Schubfächer ein Messer, dann setze ich mich auf den Stuhl, den mein Vater normalerweise benutzt. „Ja, meine Mutter hat sich auch schon darüber aufgeregt. Aber wenigsten ist er so immer lustig.“ Nachdenklich beobachte ich meinen Freund beim Zubereiten der Sandwiches. Wie kann er ernste Themen immer derart gelassen nehmen? Oder ist das nur eine Maske, die er fest auf seinem Gesicht trägt? Denn gelegentlich schimmert eine Seite an ihm durch, die mir unberechenbar erscheint. Er hat dann dieses Lächeln auf den Lippen und seine Augen wirken, als könnten sie alles durchschauen, sind jedoch komplett abwesend. Inzwischen glaube ich, dass ich nicht in meinen besten Freund verliebt bin. Es geht einzig um Macht und Unterwerfung. Ich will Taichi besitzen und für mich allein haben. Mein Verlangen, ihn zu berühren, wird stärker, nur, wenn ich dem nachgebe, wird er zurückschrecken und in Abwehrhaltung gehen. Momentan scheint es zwar so, als wäre unsere Freundschaft wieder normal, aber das ist nur oberflächlich. Ich werde von Tai genau beobachtet, er ist vorsichtig mir gegenüber geworden. „Hier, dein Sandwich“, holt mein bester Freund mich aus meinen Gedanken, indem er einen Teller vor mich auf den Tisch stellt. „Danke“, begegne ich ihm erstaunt. „Bist du sicher, dass ich nicht sterbe, wenn ich das esse?“ Skeptisch beäuge ich das belegte Brot. „Na gut, dann mach dir dein Essen eben selbst.“ Er zieht den Teller ein Stück von mir weg. „Nein, es tut mir leid.“ Langsam ziehe ich den Teller zu mir zurück. „Das will ich auch hoffen.“ Ein leichtes Lächeln huscht über seine Lippen, wobei er mir gegenüber Platz nimmt. „Yama, warum hast du eigentlich mit dem Kampfsport wieder aufgehört? Weil wir jetzt auf der Mittelschule sind? “ „Was? Also…“ Ich weiche dem Blick meines besten Freundes aus. Die Wahrheit kann ich ihm nicht sagen. Letztlich hatte ich nur damit angefangen, um ihn überwältigen zu können. Inzwischen konnte ich Taichi schon mehrfach in meine Gewalt bringen, außerdem weiß ich, wie ich mich gegen größere, stärkere Menschen wehren und sie bewegungsunfähig machen kann. Somit besteht für mich keine Notwendigkeit mehr das Training fortzusetzen. „Sport-AGs sind einfach nichts für mich.“ „Aha.“ Der Blick meines Gegenübers ist prüfend und es kommt mir so vor, als hätte er seine ganz eigene Theorie bezüglich dieses Sachverhaltes. Dennoch schweigt er und akzeptiert meine Begründung widerspruchslos. Ich stehe auf und nehme Tais leeren Teller, sowie meinen eigenen und wasche sie in der Spüle ab. „Morgen ist Freitag, willst du am Wochenende bei mir übernachten? Mein Vater hat sicher nichts dagegen.“ „Klar, aber ich muss auch erst meine Eltern fragen. Und dann ist eine Revanche fällig.“ Er grinst und beginnt damit, das Geschirr abzutrocknen. „Meinetwegen, wenn du schon wieder verlieren willst.“ „Das werden wir ja sehen.“ Wir lachen beide. „Freitags haben wir doch immer gleichzeitig Unterrichtsschluss. Ich möchte nach der Schule zu Tower Records. Eine Band, die ich mag, hat eine neue Platte rausgebracht. Begleitest du mich?“ „Würde ich gern, aber ich habe Sora versprochen mit ihr ins Kino zu gehen. Komm doch mit, dann schauen wir eben in Shibuya den Film und können danach noch deine CD kaufen.“ Ein seltsames Gefühl kommt in mir auf. Ich weiß nicht warum, aber es gefällt mir nicht, dass mein bester Freund mit diesem Mädchen Zeit verbringen will. „Nein. Beschränken wir uns auf das Wochenende. Aber da gehörst du dann mir allein.“ Tais Mimik verändert sich leicht. Erst jetzt begreife ich, was ich gesagt habe. Ich wende mich von ihm ab. „Gehen wir zurück in mein Zimmer.“ „Darf ich reinkommen?“, fragt mein Vater, während er an meiner Zimmertür wartet. Ich setze mich in meinem Bett auf und nicke. „Hast du geschlafen?“, will er wissen und nimmt auf der Matratze Platz. „Nein.“ „Ich muss mit dir reden, Yamato. Deine Worte letztens und der Anblick deines Armes haben mich sehr nachdenklich gemacht. Mir ist klar geworden, dass ich deinen Zustand nicht akzeptieren darf, sondern handeln muss. Ich habe mich erkundigt, es gibt Kinder- und Jugendpsychologen, die dir mit Sicherheit helfen können.“ „Das will ich nicht. Wie sollen die mir helfen können? Die kennen mich nicht einmal.“ „Yamato, irgendetwas muss ich unternehmen. Du erzählst mir von deinen Gedanken, dich umzubringen. Außerdem fügst du dir absichtlich Schnittverletzungen zu. Das macht mir Angst. Ich will dich nicht irgendwann tot in der Wohnung auffinden.“ „Papa.“ Seufzend schaue ich ihm tief in die Augen. „Keine Sorge, ich werde mich nicht töten. Lass mir bitte ein wenig Zeit. Wenn sich nichts bessert, kannst du mich noch immer zwingen mit fremden Menschen zu reden.“ Liebevoll, aber mit schwermütigem Blick betrachtet er mich. Dann streckt mein Vater den Arm nach mir aus und streicht mit seinen Fingern über meine Wange. „Kann ich dir vielleicht helfen?“ „Würde ich das Problem kennen, wäre ich sicher bereits zu dir gekommen, Papa“, sage ich die Halbwahrheit, denn ich kann meinem Vater weder erzählen, dass ich dachte, ich hätte mich in Taichi verliebt, noch dass ich ihn trotz allem zum Sex zwinge. Diese zwei Gegebenheiten lassen mich in letzter Zeit nicht mehr los, vereinnahmen meine Gedanken nahezu vollständig. „Wie geht es dir momentan?“, fragt mein Vater, nach wie vor besorgt. „Ich habe häufiger Kopfschmerzen. Das erschöpft mich ziemlich.“ „Hast du Schwierigkeiten mit deinen Augen?“ „Nein, eigentlich nicht.“ „Es müsste geklärt werden, ob die Kopfschmerzen physischen oder psychischen Ursprungs sind. Wir sollten wenigstens zum Allgemeinarzt gehen.“ „So schlimm ist es nun auch nicht.“ Ich lächle meinen Vater zuversichtlich an, um ihn zu beruhigen. „Yamato.“ Mit ernster Miene betrachtet er mein Gesicht. „Ich weiß, dass du seit Monaten schlecht schläfst, Albträume hast. Du schreist im Schlaf, sprichst von Monstern und Zerstörung. Oder du bist die halbe Nacht wach, ich sehe oft Licht bei dir im Zimmer brennen oder das Flimmern des Fernsehers.“ „Das bestreite ich nicht, aber ich bitte dich dennoch um ein wenig Geduld. Sicher gibt sich das alles von allein. Vertrau mir.“ Traurig zieht mein Vater mich an sich. „Mit Vertrauen hat das leider nicht sehr viel zu tun, Yamato. Ich liebe dich, dir soll es gut gehen. Bitte verstehe, dass ich dich nicht ärgern will, ich habe einfach große Angst um dich. Wenn ich jetzt warte und dir passiert etwas, werde auch ich nicht weiterleben. Deinen Tod würde ich nicht verkraften.“ Deutlich spüre ich unser beider Verzweiflung und Schmerz, auch da mein Vater mich noch dichter an sich drückt. Mit seiner Hand fährt er durch meine Haare, dann gibt er mir einen Kuss auf die Stirn. „Also gut, ich werde warten, aber nicht sehr lange. Vielleicht fällt es dir auch leichter, mit Taichi statt mit mir zu sprechen. Hauptsache du verschließt dich nicht.“ „Tai…“, hauche ich gedankenversunken. Wenn ich meinem Vater die Wahrheit sagen würde, hätte er vermutlich kein Verständnis mehr für mich. Ähnlich wie mein bester Freund würde auch er mich als perverse Schwuchtel bezeichnen und dann erst recht der Meinung sein, dass ich Hilfe brauche. Ein Gespräch mit einem Psychologen würde ich mit Sicherheit nicht mehr abwenden können. „Yamato?“ Mein Vater löst sich ein wenig von mir und sieht mich fragend an. „Ist alles in Ordnung? Habt ihr euch gestritten?“, deutet er mein Verhalten. Einen Moment zögere ich mit meiner Antwort. „Nein, das nicht. Tai unternimmt in letzter Zeit nur sehr viel mit seiner besten Freundin Sora. Wir sehen uns somit wesentlich seltener als früher.“ „Klingt, als wärst du eifersüchtig.“ „Bestimmt nicht. Sora interessiert mich überhaupt nicht. Ich kann mit ihr absolut nichts anfangen.“ „Ich meinte auch eher Taichi. Er war immer dein bester Freund und ihr habt sehr viel Zeit miteinander verbracht. Aber offenbar kommt ihr langsam in das Alter, in dem Mädchen eine immer wichtigere Rolle spielen. Irgendwann wirst auch du ein Mädchen kennenlernen, mit dem du am liebsten immer zusammen sein möchtest. Und dann tritt Taichi für dich auch eher in den Hintergrund.“ „Nein, bestimmt nicht. Ein Mädchen wird nie den Platz von Tai einnehmen können“, protestiere ich sofort. Ein mildes Lächeln legt sich auf die Lippen meines Gegenübers. „Manchmal wirkst du erschreckend erwachsen. Aber in Momenten wie diesem erkenne ich, dass du eben doch erst zwölf Jahre alt bist. Für derart enge mentale und körperliche Bindungen zu anderen Menschen, insbesondere weibliche, bist du einfach zu jung.“ „Wann ist man alt genug dafür?“ „Auf diese Frage gibt es eigentlich keine allgemeingültige Antwort. Jeder Mensch ist verschieden, so auch seine Entwicklung.“ „Ist es unnormal, wenn ein Junge in meinem Alter Sex hat?“ Mein Vater stutzt. „Warum willst du das wissen? Hast du etwa schon mit einem Mädchen geschlafen?“ Ich schüttle energisch meinen Kopf. „Nein, natürlich nicht.“ Die Vorstellung finde ich tatsächlich sehr befremdlich. „Unnormal klingt so negativ. Dennoch wäre es recht früh. Wenn du meinen Rat hören willst, dann warte lieber noch etwas.“ „Keine Sorge, Papa. Ich habe wirklich kein Interesse an Mädchen.“ Voller Zuneigung wuschelt mein Vater durch meine Haare. „Das musst du auch noch nicht. Glaube mir, es kommt irgendwann von ganz allein.“ Ich sage nichts, lächle ihn nur an. Nahezu atemlos renne ich über den Schulflur in Richtung Taichis Klassenzimmer. Der Unterricht ist schon seit einiger Zeit beendet, trotzdem hoffe ich ihn dort noch anzutreffen. In den letzten Wochen und Monaten sahen wir uns immer weniger, weil er ständig Zeit mit Sora verbrachte. Das werde ich nun unterbinden und ihm verdeutlichen müssen, dass er mir gehört. Notfalls mit Gewalt. Rasch biege ich um eine Ecke, mein Ziel erreichend bleibe ich wie erstarrt stehen. Mein bester Freund ist tatsächlich noch da, versunken in einem innigen Kuss mit Sora. Ich habe das Gefühl, zu sterben. Tai auf diese Weise mit einem Mädchen zu sehen ist unerträglich für mich. Als die beiden sich nach einer Weile endlich voneinander lösen, registriert Taichi meine Anwesenheit und blickt mich zunächst erschreckt, dann mit einem vielsagenden Lächeln an. Ich verstehe seine stumme Botschaft und balle wütend meine Hand zur Faust. Irritiert schaut Sora zwischen uns hin und her. „Es sieht so aus, als hättet ihr etwas zu klären. Tai, ich gehe schon vor, wir sehen uns bei mir, in Ordnung?“ Mein bester Freund nickt, ohne die Augen von mir abzuwenden. Sora haucht flüchtig einen Kuss auf seine Lippen, dann huscht sie mit einem schuldbewussten Gesichtsausdruck an mir vorbei und verlässt den Raum. Reglos warte ich einen Moment, um sicherzugehen, dass sie wirklich gegangen ist, dann bewege ich mich ein paar Schritte auf Tai zu. „Ich bin mit ihr zusammen. Schon seit den Sommerferien“, teilt er mir mit ernster Miene mit. Mein Körper verkrampft sich und ich habe das Gefühl, zu ersticken. Taichi weiß genau, wie sehr er mich damit verletzt. „Nein! Das darfst du nicht! Du gehörst mir!“, entgegne ich aufgebracht. „Yamato, bekomm endlich deine Besessenheit in den Griff. Ich gehöre dir nicht!“ „Bist du aufrichtig zu deiner Freundin? Hast du ihr davon erzählt, was wir miteinander machen?“ Tais Blick verfinstert sich. „Wir? Meinst du deine kranken Übergriffe? Die wiederholten Vergewaltigungen?“ „Behaupte nicht immer, ich würde dich…“, will ich meinen besten Freund zurechtweisen, werde jedoch unterbrochen. „Wie würdest du es dann nennen, wenn du gegen meinen Willen in mich…“ Die mir entgegen geschrienen Worte wandeln sich in ungehemmtes Schluchzen. Nie habe ich Taichi derart heftig weinen sehen. Ich ziehe ihn tröstend an mich, doch er wehrt sich sofort und stößt mich grob von sich. „Fass mich nicht an!“, droht er mir feindselig. Verstört betrachte ich ihn. Nun steigen auch mir Tränen in die Augen. „Wenn es wirklich so falsch ist, was ich mit dir mache, warum sagst du es nicht deinen Eltern oder der Polizei?“, frage ich vorsichtig. Tai antwortet nicht. „Letztlich weißt du selbst, dass du mich mit deinem Verhalten zwingst so zu handeln.“ Einmal mehr bringt mir mein bester Freund diesen durchdringenden Blick entgegen, der durch seine Tränen noch schöner ist. Ohne Vorwarnung schlägt Tai mir hart mit der Faust ins Gesicht, sodass ich zu Boden gehe und benommen liegenbleibe. Entschlossen löst er die Krawatte seiner Schuluniform und fesselt meine Hände, noch bevor ich wieder in der Lage bin, mich zu wehren. „Was soll das werden?“, frage ich mit Entsetzen in der Stimme. „Ich gebe dir eine Vorstellung davon, wie es sich anfühlt, vergewaltigt zu werden.“ „Bist du bescheuert?“ Unbeirrt von meinen Versuchen, mich zu befreien, dreht mein bester Freund mich auf den Bauch. Panisch beginne ich nach ihm zu treten, er schafft es jedoch mit Leichtigkeit, mir auszuweichen. „Hast du Angst, Yamato?“, säuselt er. „Ich warne dich, Taichi. Lass den Scheiß oder du wirst es bereuen“, bedrohe ich ihn, allerdings lässt er sich nicht beeindrucken, hebt mein Becken etwas an, öffnet meine Hose und zieht sie herunter. Dann öffnet er auch seine Hose. „Tai, ich bitte dich!“, flehe ich, aber es interessiert ihn nicht. „Was hast du? Eigentlich willst du es auch. Und da du das nicht zugeben kannst, muss ich dich zu deinem Glück zwingen.“ Ich winde mich verzweifelt, doch gegen meinen besten Freund komme ich nicht an. Mein Kopf ist vollkommen leer, sodass ich nicht einmal in der Lage bin, einfache Kampfsporttechniken anzuwenden. Die Panik hat mich fest im Griff. Bevor ich noch ein Wort sagen kann, dringt Tai grob in mich ein. Der Schmerz ist wesentlich stärker, als ich erwartet hatte, weshalb es mir kaum gelingt, meine Schreie zu unterdrücken. „Brav, Yamato“, flüstert Taichi mit ebenfalls schmerzverzerrter Stimme. „Du weißt, wir sind hier in der Schule. Niemand darf uns hören.“ Bittere Tränen laufen über meine Wangen und ich beiße mir stark auf die Lippen. Immer wieder stößt mein bester Freund sich hart in mich hinein. „Wie fühlt es sich an, gegen den eigenen Willen gefickt zu werden?“ Tai klingt, als wäre er dem Wahnsinn nahe. Außer einem schmerzerfüllten Keuchen bekomme ich keine Antwort heraus. Ich fühle mich ekelhaft und schuldig, vor allem, weil ich fürchte, erregt zu sein, dabei wollte ich zu keiner Zeit von Taichi genommen werden. Auf merkwürdige Art widert der Sex mich an, wie kann er sich dann gleichzeitig so richtig anfühlen? Ich verstehe mich selbst nicht. Wut steigt in mir auf. Wut, die sich eigentlich gegen mich richten sollte. „Du verfluchter Bastard!“, gifte ich meinen besten Freund an. Ich hasse ihn dafür, dass er mich auf diese Weise fickt, aber noch mehr hasse ich ihn, weil er mir meine Perversität und Abartigkeit verdeutlicht. Nachdem er seinen Rhythmus gefunden hat, beschleunigt Tai seine Bewegungen in mir. Verzweifelt versuche ich meine Arme zu befreien, aber die Fesseln sind zu straff um meine Handgelenke gebunden. Ich schnüre mir lediglich die Hände ab. Die Penetration meines besten Freundes ist mittlerweile so intensiv, dass ich glaube den Verstand zu verlieren. „Hör auf! Ich flehe dich an!“, wimmere ich und verachte mich zugleich für meine Erbärmlichkeit. Wider Erwarten zieht sich Taichi tatsächlich aus mir zurück. Sofort sacke ich stumm weinend in mich zusammen. „Nun weißt du, wie es sich anfühlt, vergewaltigt zu werden“, sagt er mit zitternder, aber ruhiger, trauriger Stimme. Ich versuche mein Schluchzen unter Kontrolle zu bekommen, dann drehe ich mich zu meinem besten Freund und schaue ihn trotzig an. „Das ändert nichts daran, dass du mir gehörst!“ „Yamato, was willst du eigentlich von mir? Du liebst mich nicht einmal, also warum…“ „Ich muss dich nicht lieben, um dich besitzen zu wollen. Aber wenn es dir leichter fällt, mit mir zu schlafen, wenn ich dir sage, dass ich dich liebe, dann werde ich das tun.“ Fassungslos steht Tai auf, zieht seine Hose hoch und verpasst mir einen Tritt in die Magengegend. Keuchend vor Schmerz krümme ich mich auf dem Boden. „Deine selbstgefällige Art kotzt mich an! Soll ich dich dann auch über meine Gefühle belügen und dir meine Liebe gestehen?“, schreit er mich unter Tränen an. „Warum nicht, machen wir ein Spiel daraus“, presse ich nach Luft ringend hervor. Ungläubig starrt mein bester Freund mich an. Dann packt er mich unsanft am Kragen und schlägt mir erneut brutal ins Gesicht. Einen Moment bleibe ich reglos liegen, bevor ich mich Tai wieder zuwende. „Findest du es fair, jemanden zu verprügeln, der sich nicht wehren kann?“ Hasserfüllt und ohne ein weiteres Wort zu sagen, beginnt Taichi unkontrolliert auf mich einzuschlagen, dabei weint er genauso heftig wie ich. Nach einer scheinbaren Ewigkeit lässt er schwer atmend von mir ab. „Hast du sie gefickt?“, frage ich gequält in die entstehende Stille hinein. Mein Gesicht fühlt sich geschwollen und blutig an, mein gesamter Körper ist nahezu taub vor Schmerz. Ich muss mir bezüglich der offensichtlichen Verletzungen etwas einfallen lassen, wenn ich Tai beschützen will. Eine Ausrede, die ihn nicht belastet. „Was?“ Verwirrt sieht er mich an. „Du bist mit Sora zusammen, oder nicht?“ „Ja, aber wir haben noch nicht miteinander geschlafen. Unsere Beziehung besteht erst seit etwa drei Monaten.“ „Das ist lange genug, findest du nicht? Liebst du sie überhaupt?“ Mein bester Freund senkt seinen Blick. „Ich mag sie sehr.“ „Aber du liebst sie nicht. Taichi, du bist mit ihr zusammen, um mir wehzutun, hab ich recht? Weil du mir beweisen willst, dass du auf Mädchen stehst und hoffst, ich würde dich dann in Ruhe lassen.“ „Nein, das stimmt nicht! Ich liebe sie“, sagt er wenig überzeugend, steht auf und tritt noch einmal kraftvoll zu. „Es wird Zeit, dass dir endlich jemand deine Arroganz austreibt!“ Nachdem meine Atmung durch die Gewalteinwirkung kurz aussetzt, beginne ich stark zu husten. „Deine Aggressionen zeigen mir, dass ich Recht habe“, entgegne ich mit schwacher Stimme. Allmählich verliere ich das Bewusstsein. Offenbar bemerkt auch mein bester Freund, wie sehr er mich zugerichtet hat, denn er hockt sich neben mich und löst meine Fesseln. Behutsam nimmt er meinen leblosen Körper in seine Arme und drückt ihn fest an sich. „Yamato, ich werde mich für das, was ich mit dir gemacht habe, nicht entschuldigen, obwohl ich zugeben muss, dass ich nicht derart die Kontrolle hätte verlieren dürfen.“ Mit schmerzverzogenem Gesicht lächle ich Taichi an. „Ich liebe dich“, sage ich angestrengt und im Flüsterton. „Ich liebe dich auch“, antwortet er monoton. Wir wissen beide, dass unsere Worte gelogen sind, aber wir lassen uns auf dieses Spiel ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)