Die Chronicen von Draconia1 von Silmarille (ungewollter Ruhm) ================================================================================ Kapitel 6: Drachenberge ----------------------- Eine Truppe von 26 Draconiarn und einem Fewalli machte sich auf den Weg zum Meer der 1000 Tode. Viele von ihnen machten den Anschein als wären sie mordlüsterne Bestien. Nur Kai schien all dies nicht zu stören. Er beachtete den wilden, wahnsinnigen Blick der anderen Nicht. seine Gedanken waren nicht bei den Verbündeten, die sie vielleicht gewinnen konnten. Vielmehr sorgte er sich, um das, was vor und hinter ihnen lag. Wir werden verfolgt. dachte er nicht zum ersten Mal. Ich spüre es in jeder Faser meines Körpers. Ich vermute jedoch, dass sie uns nicht durch die Drachenberge folgen. Wer auch immer uns folgt, ist wahrscheinlich zu klug, um uns in den Tod zu folgen. Plötzlich spürte der junge Krieger eine sanfte Hand auf seiner Schulter. „Du solltest wirklich nicht soviel nachdenken, Kai.“ Sagte Barun, der neben dem Waldwolf ritt. „Ich denke nicht nach, Barun.“ erklärte Kai. „Ich mache mir Sorgen.“ „Sorgen?“ Baruns Blick verfinsterte sich. „Worüber machst du dir Sorgen? Über die Drachen?“ „Nicht nur über die Drachen.“ Kai schüttelte den Kopf. „Vielmehr sorge ich mich eines Gefühls wegen.“ „Wegen einem Gefühl?“ „Ja. Ich glaube, dass man uns verfolgt.“ „Bist du dir sicher?“ „Eben nicht. Ich sagte doch, dass es nur ein Gefühl ist.“ „Dann behalte es besser für dich. Wir sind nur noch einen Tagesritt von den Drachenbergen entfernt und ich glaube, dass Saro nicht grade erfreut über einen Aufruhr wegen deines Gefühls wäre.“ „Noch ein Tagesritt…“ Kai sah nachdenklich nach Osten, wo sich schwach die Umrisse der Drachenberge abzeichneten. Seine Augen bebten durch die Furcht vor dem, was sie erwartete. Die Nacht kam schnell und die Rebellen sammelten sich an mehreren Feuern, aßen etwas Fleisch oder wässrige Suppe und tranken Bier oder Wein. Wie so oft hatte sich Kai mit Yakim in den Schatten der Nacht zurückgezogen, um zu trainieren. „Hast du es auch gespürt?“ fragte Yakim nachdem sich die Schwerter zum dritten Mal gekreuzt hatten. „Was meinst du?“ erwiderte Kai. „Das uns jemand gefolgt hat.“ „Ach das.“ Kai nickte ernst. „Ich habe es gespürt, aber da wir schon morgen die Drachenberge erreichen habe ich mir keine weiteren Gedanken darüber gemacht. Ich meine: Wer reitet schon freiwillig zu dieser Zeit durch dieses Gebirge?“ „Da hast du allerdings Recht.“ Kai stieß Yakim mit einem kräftigen Ruck zurück. Das Schwert des fewallischen Generals flog durch die Luft und rammte sich neben seinem Kopf in den Boden. Als Yakim die Klinge ergreifen wollte, spürte er Drachenzahns scharfe Klinge an seiner Kehle. „Erneut hast du mich geschlagen, Kai.“ sagte Kai mit einem anerkennenden Nicken. „Aber du wirst immer besser, mein Freund.“ erwiderte Kai. Er zog den Fewalli wieder auf die Füße. Der Mond stand bereits hoch am Himmel, als Kai und Yakim ins Lager zurückkehrten. Sie setzten sich zu Barun, Saro, Kiddi und Luk ans Feuer. „Und wie ist euer Kampf heute ausgegangen?“ wollte Saro wissen. „Wie er immer ausgeht.“ Erwiderte Yakim knapp und setzte sich ans Feuer. Kaum waren die beiden Kämpfer zurückgekehrt, als auch schon Luk aufsprang. „Ich werde mich dann mal um Shiva kümmern.“ erklärte der Drachenritter. „Außerdem bin ich müde und morgen wird ein anstrengender Tag.“ Nach diesen Worten verschwand er in der Dunkelheit. „Luk warte ich komme mit.“ Rief Kiddi, sprang auf und rannte hinter dem Ritter her. Kai warf Yakim einen bedeutenden Blick zu. Der Fewalli lächelte. Natürlich! dachte er. Sie liebt ihn. Doch erwidert er ihre Gefühle? Als Kai Yakims nachdenklichen Blick bemerkte beugte er sich zu ihm hinüber und flüsterte: „Er liebt wie sosehr, wie keiner von uns nachzuvollziehen vermag.“ „Woher weißt du das?“ fragte Yakim ebenso leise. „Ganz einfach.“ Kai seufzte bei der Erinnerung. „Auch ich habe geliebt und ich glaube, ich tu es immer noch.“ Sein Blick wanderte zu den Sternen. „Ihr Name war Saja. Sie war wunderschön, ihr goldblondes Haar, ihre grasgrünen Augen.“ „War sie eine Draconiar?“ „Nein. Sie war eine Heigani. Vielleicht war es nur die Spinnerei eines zehnjährigen Jungen, aber ich liebte sie. ihr Anblick geht mir nicht mehr aus dem Kopf.“ Spike beobachtete den Trupp aus der Nähe. „Hier seid Ihr also, Saro.“ flüsterte er. „Wie es aussieht wird es schwerer als wir dachten, immerhin haben sich Euch ja nun der Schwertmeister, der Drachenritter mit seinem Drachen und der fewallische General angeschlossen. Doch wenn Ihr glaubt, dass uns dieser Stand aufhält, irrt Ihr.“ Leise schlich Spike vom Rebellenlager davon. Er ging zu seinem Pferd. Doch als er aufsitzen und nach Taog zureiten wollte, um seinem König Bericht zu erstatten, brach er über den Pferderücken gebeugt zusammen. Unsanft landete er quer über dem Rücken des weißen Hengstes. Das Tier erschrak. Ein lautes Wiehern drang aus der Kehle des Pferdes. Dann preschte der Hengst mit dem General auf seinem Rücken davon. „Was zum Teufel war das?“ rief Barun als er das verängstigte Wiehern eines Pferdes hörte. Kai deutete auf einen sich schnell entfernenden weißen Fleck. „Dort drüben.“ Sagte er ruhig. „Ich hatte also doch Recht. Man ist uns gefolgt.“ „Vielleicht ist es nur ein Reisender, der sich mit den Drachen angelegt hat.“ sinnierte Saro. „Vielleicht…“ – Kai furchte die Stirn – „aber ich bezweifele es. Niemand, der noch halbwegs bei Verstand ist, würde zu dieser Jahreszeit durch die Drachenberge reisen.“ „Wir zumindest reisen hindurch.“ „Bei uns ist das etwas Anderes.“ Nachdenklich saß Kai mit verschränkten Armen da. „Wir haben eine mächtige Waffe auf unserer Seite und ich rede nicht von Drachenzahn.“ Er sah auf und in seinen Augen spiegelte sich nicht nur der schein des Feuers, sondern auch Mut und Entschlossenheit. „Wir haben Shiva auf unserer Seite.“ „Sicher wir haben den Drachen, aber was nützt er uns, wenn uns ein weit mächtigerer Gegner attakiert?“ Barun senkte den Blick. „Ich meine: Was nützt uns ein Drache, wenn wir auf Zauberkundige treffen?“ „Für diesen Fall haben wir immer noch Kiddi.“ „Kiddi?“ Saro sah Kai fragend an. „Was soll uns dieses Mädchen denn in einem solchen Fall für einen Vorteil bringen?“ „Nun…ähm…“ – Kai räusperte sich – „ich weiß nicht, ob ich euch dies anvertrauen kann. Immerhin ist es Kiddis Geschichte und nicht mein – obschon sie mit meiner verwoben ist. Nicht einmal Yakim weiß darüber Bescheid und er ist einer unserer engsten Freunde.“ „Wovon soll ich nichts wissen, Kai?“ fragte der Fewalli streng. „Von Kiddis Erbe.“ Kai bemerkte den Fragenden Blick der anderen nicht. „Dem Erbe der Magie. Was ich sagen will ist: Kiddi beherrscht die Kunst – wie alle Zauberkundigen ihre Macht nennen.“ Entsetztes Schweigen breitete sich über die Gefährten. Keiner sagte etwas. „Soll das heißen, sie ist eine Hexe?“ brach Yakim die Stille. „Wie…wie ist das möglich. Ich meine: wir sind doch Freunde. Ich hätte es bemerkt.“ „Wir Unwissenden nennen es >Hexe<, aber sie selbst bevorzugt den Begriff >Zauberin<.“ Kai sah Yakim scharf an. „Du hättest es erst bemerkt, wenn sie in deiner Gegenwart einen Zauber geworfen oder dich in einen Frosch verwandelt hätte.“ „Genug!“ gellte Saro. „Ob nun Hexe oder meinetwegen auch Eiswächter – wir haben wichtigeres zu tun.“ Stumm pflichteten ihm die anderen bei. Es würde ein harter Tag werden und sie mussten sich ausruhen. Jester und Laylayo hielten auf einem der vielen Hügel des draconischen Graslandes Ausschau nach Spike del Sorones. „Wo seid Ihr nur, General?“ fragte Jester mehr zu sich selbst als zu Spike. „Leutnant Jester, seht dort drüben!“ rief Laylayo und deutete auf ein schnell über die weiten, draconischen Grasebenen hastendes Pferd. „Ist das dort nicht der Hengst des Generals?“ „Wo?“ Jesters Blick folgte dem Finger des Soldaten. „Ihr habt Recht. doch was ist das auf seinem Rücken?“ „Vielleicht ist das der General.“ „Ich hoffe, Ihr irrt, Soldat.“ Jester ließ seine braune Stute angaloppieren und ritt den Hügel hinab. Laylayo seufzte. „Wieder kein Wort des Dankes oder der Annerkennung.“ sagte er leise. „Nur wegen meiner ehrlosen Herkunft.“ Kopfschüttelnd gab er seinem Pferd die Sporen und ritt hinter dem Leutnant her. Dieser versuchte während dessen die Zügel des völlig verängstigten Hengstes zu ergreifen. Nach mehreren missglückten Versuchten schaffte er es endlich die Zügel zu ergreifen und das Pferd zu beruhigen. Laylayo langte seinen Wallach an den Hengst heran stieg ab und zog den leblosen Körper des Generals von dem Hengst hinunter. Behutsam ließ er den Mann zu Boden gleiten. „Er lebt, Leutnant.“ erklärte er erleichtert. „Es ist General del Sorones.“ „Wir verbringen die Nacht hier.“ sagte Jester gebieterisch. „Morgen reiten wir zurück nach Taog.“ Und immer noch kein Wort der Ehrerbietung. dachte Laylayo seufzend. Der Morgen war kühl und nebelig. Niemand hatte an diesem Morgen große Lust auf einen Ritt gehabt, aber nun saßen doch alle Rebellen in den Sätteln. Über ihnen zogen der Drachenritter und sein Drache ihre Kreise. Barun ritt nun neben Kai. „War sie wirklich so schön wie du gesagt hast?“ fragte er. „Ja.“ bestätigte Kai nickend. „Doch es ist nicht mein Wille jetzt darüber zu reden.“ Von seinen eigenen Worten überrascht brach Kai in Gelächter aus. „Bei meinen Ahnen, ich rede schon wie Nogi!“ „Nogi?“ „Das ist eine zu lange Geschichte. Las mich nur soviel sagen: Er ist ein alter – sehr alter – Freund.“ „Wie dein Nachtwolf vielleicht?“ „Was hat Schadow denn jetzt damit zu tun?“ Er sah Barun verwirrt an. „Schadow ist ein treuer Gefährte, aber Nogi ist wieder etwas Anderes.“ „Dann stimmen die Gerüchte also doch.“ Nachdenklich starrte Barun auf den Hals seines Pferdes. „Du besitzt also tatsächlich einen Nachtwolf.“ Nun blickte er Kai direkt an. „Meinst du, dass du ihn hierher holen könntest?“ „Ich kann es versuchen, aber wenn er meinen Ruf nicht hört, wird er auch nicht kommen.“ Kai stieß einen langezogenen Pfiff aus. Worauf hin sich alle Augen auf ihn richteten. Aus den Bergen erschall das einsame Lied eines nahen Wolfes. Kai antwortete auf den Ruf des Tieres mit einem weiteren Pfiff. Plötzlich brach ein großer, schwarzer Wolf aus dem Unterholz des Bergwaldes, durch den die Rebellen ritten. Unwillkürlich griff Saro nach seiner Axt. Kai hingegen stieg von Fremders Rücken und ging seelenruhig auf den Wolf zu. „Was hast du vor Kai?“ wollte der Rebellenführer wissen. „Steck deine Axt weg.“ riet Kai ruhig. „Sonst versteht Schadow das noch falsch und denkt, dass du ihn oder mich angreifen willst.“ „Schadow?“ Saro sah den jungen Krieger fragend an. „Wie darf ich das verstehen?“ „Na ja, wie soll ich sagen… Schadow ist… äh… so etwas wie… ein sehr guter Freund.“ „Du hast schon merkwürdige >Freunde<, Schwertmeister.“ Saro sah zu Shivas riesigem, schwarzem Schatten des Drachen empor. „du ziehst umher mit einem fewallischen General, einem Drachenritter mit seinem Drachen, einer Zauberin und nun auch noch mit einem Wolf. Zusätzlich hast du dein Herz an eine Heigani verloren. Was habe ich mir da bloß für Verbündete angeheuert?“ „Sei froh, dass wir auf deiner und nicht auf des Feindes Seite stehen, Saro.“ Saro lief vor Scham rot an. mit zitternder Hand ließ er seine Axt wieder in seinen Gürtel gleiten. Grinsend schlenderte Kai – gefolgt von seinem Wolf – zu seinem Pferd zurück und schwang sich in den Sattel. Mit einem weiteren, gefährlichen Verbündeten ritt der Trupp weiter seinem Ziel – der Hafenstadt Waterville – entgegen. Zwei Tage waren seither vergangen. Noch kein Drache hatte den Weg der Rebellen durch die Drachenberge gekreuzt, aber das sollte sich schon bald ändern. Gegen Ende der Nacht begann Schadow, die Dunkelheit anzuknurren. „Was ist, Schadow?“ Fragte Kai, während er Drachenzahn und Jero hervorzog. „Was ist dort, mein Guter?“ Kai weckte die anderen Rebellen, die sich – in drohender Abwehrhaltung – hinter ihm aufbauten. Shiva drängte sich zwischen die Krieger und starrte mit ihren roten Augen in die undurchdringliche Finsternis der Nacht. Alle sahen mit gezogenen Schwertern – in Erwartung eines menschlichen Feindes – in die Dunkelheit. „Was ist dort?“ fragte Saro leise. „Ich fürchte, das werden wir bald erfahren.“ erwiderte Kai ernst. Dann sahen sie im Licht der aufgehenden Sonne, was den Wolf so nervös machte. Zwei rote Drachenaugen funkelten sie wie glühende Kohlen an. später wurden nach und nach die Umrisse der Kreatur in der Finsternis schärfer und schließlich wich die Dunkelheit und gab den Blick auf einen riesigen, grünen Drachen frei. Shiva war nun nicht mehr zu halten. Sie stürzte sich auf ihren Artgenossen und schlug ihre mächtigen Zähne so in den Nacken des größeren Drachen, dass dieser selbst nicht mehr zubeißen konnte. Schwarzes Blut rann wie ein nicht enden wollender Strom aus Shivas Mal und versengte den Boden. Einer der Armbrustschützen legte an und schoss, doch der Bolzen prallte an der dicken Schuppenhaut des Drachen ab und wurde in Kiddis Richtung abgelenkt. Kurz bevor das Geschoss die Hexe erreichte schmiss sich Kai dazwischen. Der Bolzen durchschlug die rechte Schulter des Schwertmeisters, der daraufhin blutend in den Staub fiel. Schadow, der seinen Herrn in Gefahr glaubte, rannte wütend auf den Drachen zu. „Sch-Schadow teire!“ keuchte Kai und versuchte sich aufzurichten. Der Wolf gehorchte nicht. Er steckte seine Schnauze zwischen zwei Brustschuppen des großen Drachen und biss zu. das Blut verbrannte die Haare auf seiner Schnauze, aber in seiner Raserei spürte der Wolf den Schmerz nicht und kämpfte wutentbrannt weiter. Kiddi half Kai auf die Füße. „Wieso hast du das getan, Kai?“ fragte sie leise. „Weil ich nicht will, dass Luk dich verliert antwortete Kai sanft. „Bist du in Ordnung?“ „Ja.“ Seine Miene verfinsterte sich, als er seinen Schwertarm betrachtete. „Verdammt!“ „Was ist?“ Kiddi musterte ihn besorgt. „Was hast du.“ „Ich kann meinen Arm nicht bewegen.“ Drachenzahn rutschte aus seiner Hand und fiel klappernd zu Boden. Schnell ließ Kai Jero in die Scheide gleiten und hob das Schwert aus Drachenzähnen wieder auf. Doch noch bevor sich Kai in den Kampf der beiden Drachen einmischen konnte, sah er wie Rauch aus dem Maul des großen Drachen drang. Das riesige Tier öffnete sein Maul und war im Begriff einen letzten, verheerenden Angriff zu unternehmen. Wieder flog ein Bolzen durch die Luft. Diesmal traf das Geschoss sein Ziel und bohrte sich in den Gaumen des Drachen. Das Biest heulte auf vor Schmerz. Er versuchte das Maul zu schließen, doch dabei trieb er den Bolzen immer tiefer in seinen Schädel. Schließlich ließ der alte Drache den Kopf hängen. Shiva öffnete ihre tödlichen Kiefer und der Grüne fiel tot zu Boden. An diesem Tag lief eine Fremde durch die Korridore des taogischen Schlosses. Diese Fremde hatte rehbraune Haare und tannengrüne Augen. Sie trug einen roten Brustpanzer und gleichfarbige Beinschienen. Ansonsten trug sie eine grüne Hose, einen kurzärmligen, grünen Wams und gleichfarbige Handschuhe. Um ihre Hüfte hingen zwei Gürtel: ihr Schwertgurt und ein weiterer, lockerer Gürtel an dem sie einen kleinen, reichverzierten Dolch trug. Die Wachen versuchten sich der Frau in den Weg zu stellen, aber sie wurden von einer seltsamen, schaurigen Macht zur Seite gestoßne. Schließlich erreichte die Fremde ihr Ziel. Sie stieß die Flügeltüren des Thronsaales auf und stürmte hinein. Sandro von Taog sprang auf. „Was hat das zu bedeuten?“ fragte er wütend. „Ihr seid ein Tor, König!“ rief die Frau und deutete auf den Mann. „Was soll diese Beleidigung? Wollt Ihr mich in meiner Ehre verletzen?“ „Ehre?“ erklang eine ruhige, geisterhafte Stimme. „Was für Ehre? Es war ir nicht bewusst, dass Feiglinge etwas wie Ehre besitzen.“ „Was zur Hölle ist das?“ stotterte Sandro. „Lord Vortem, bitte redet nicht aus dem Schatten.“ unterbrach die Frau sarkastisch. „Wir wollen doch nicht, dass der König meint, er sei des Wahnsinns.“ Aus dem Schatten der Wand trat die blaue, durchscheinende Gestalt eines toten Ritters, dessen Augen noch immer die Umstände seines Todes preisgaben, denn sie schienen aus zwei fingergroßen Flamme, die in der Luft standen. Zusätzlich war die Rüstung des Ritters so verkohlt, dass man sein Wappen nicht mehr erkennen konnte. Sandros Augen gingen erst zu Vortem und schließlich zu der Frau. „Wer seid Ihr?“ fragte er ruhig. „Mein Name lautet Kaine Severanz.“ antwortete die Fremde. Sandros Augen weiteten sich bei dieser Erkenntnis. „Ihr seid tatsächlich die Kaine Severanz – die Drachenfürstin deren Name allein weinende Kinder zum Schweigen bringt?“ fragte er. „Eben diese.“ erwiderte Kaine knapp. Aus dem Gesicht des Königs war plötzlich jegliche Farbe gewichen. Er sank auf seinen Thron zurück und schien wie ein alter Greis. „Sagt mir, Fürstin: Weshalb bin ich in Euren Augen ein Tor?“ wollte er wissen. „Sagt es ihm, Vortem!“ befahl Kaine dem toten Ritter. „Den Rebellen haben sich vier weitere Personen angeschlossen.“ erklärte Vortem. „Vier Personen, von denen Euch zumindest eine wohlbekannt ist.“ „Ich weiß darüber bescheid, dass sich der fewallische General, dieser Schwertmeister, eine Frau und der Drachenritter sich den Rebellen angeschlossen haben.“ knurrte Sandro. „Ihr unterschätzt meinen Bruder König.“ warf Kaine ein. „Euren Bruder?“ Sandro sah sie verständnislos an. „Ich fürchte, ich verstehe nicht.“ „Der Drachenritter ist der Bruder der Fürstin.“ erklärte Vortem. „Außerdem ist diese draconische Frau keine normale Frau. Sie ist eine Zauberin.“ „Was soll das denn jetzt schon wieder heißen?“ Sandro sprang erneut auf. „Eine Hexe? Bei den Rebellen?“ „Was ich sagte: Es befindet sich eine Hexe bei den Rebellen. Natürlich keine würdige Gegnerin für mich, aber ich und meine Fürstin haben uns entschlossen, uns nicht einzumischen.“ „Und warum bitte nicht?“ „Wieso sollte ich dem Mann helfen, der meine einstige Heimat verwüstet halt?“ fragte Kaine verächtlich. „Wenn Ihr so denkt, wieso seid Ihr dann hierher gekommen, Fürstin?“ wollte König Sandro wissen. „Ich wollte Euch nur davor warnen, meinen Bruder und seine Gefährten zu unterschätzen, was Ihr ja offensichtlich tut.“ „Ich unterschätze meine Gegner nie!“ Kaine brach in Gelächter aus. „Mich habt Ihr unterschätzt.“ lachte sie. „Ihr dachtet, ich sei eine ganz normale Frau, nicht wahr?“ „Na ja, was sollte ich denn sonst schon denken?“ Er grinste. „Aber ich muss zugeben, dass schon Mut dazugehört, um einfach so hier hereinzustürmen.“ Sie lächelte. Es war ein schalkhaftes Lächeln, das jeden normalen Mann zum Schmelzen gebracht hätte. Bei Sandro war es nicht anders. „Nicht ich bin es, die ihren Mut beweisen muss – Ihr nämlich müsst den Euren beweisen.“ Ihr Lächeln war verschwunden. „Ich gebe Euch einen Tipp: Gewinnt Euren Krieg.“ „Das weiß ich selbst!“ knurrte Sandro. „Nur wie soll ich das anstellen? Um zu gewinnen, muss ich diesen Drachenritter loswerden und ich habe keine Ahnung, wie ich das machen soll.“ „Ganz einfach: Um meinen Bruder zu vernichten, müsst Ihr seinen Drachen töten.“ „Wie?“ Er wandte seinen Blick von der Fürstin ab. „Der Drache Eures Bruders ist kein Steppendrache aus dem Draconischen Grasland – wie der Eure –, er ist auch kein Feuer- oder Eisdrache. ER ist ein Schwarzwasserdrache aus den Drachenbergen.“ „Sagt Euch der Name Dravo Drachentod etwas?“ „Ein Drachentöter?“ Der König sank in seinen Thron zurück. „Ihr wollt, dass ich einen Drachentöter einsetze?“ „Genau.“ „Doch wie soll ich Kontakt mit ihm aufnehmen?“ „Wenn Ihr es wünscht, werde ich ihm den Auftrag persönlich überbringen.“ „Tut dies, Fürstin Severanz.“ Kaine verbeugte sich, drehte sich um und verließ den Raum. Schnell lief sie durch die Flure hinaus auf den Burghof, wo Riku – ein großer, nachtblauer Steppendrache – auf seine Herrin wartete. Als er Kaine kommen sah, breitet Riku einen seiner Flügel aus und ließ ihn auf den Boden sinken damit seine Herrin aufsteigen konnte. Schnell kletterte die Drachenfürstin auf den Rücken ihres Drachen. Neben ihr ließ sich der tote Ritter nieder. Nur wenige Sekunden Später erhob sich der Steppendrachen in die Lüfte und verschwand in den Wolken. Bereits einen Tag später landete Riku vor den weißen Kalksteinmauern von White Castle – der einzige Ort in Iceworld, der von Menschen bewohnt wurde. Kaine ließ sich von Rikus Rücken gleiten und eilte auf die Tore zu. „Öffnet mir!“ befahl sie lautstark. Am oberen Rand erschien das runde Gesicht eines etwa 40-jährigen Mannes mit graubraunen Haarstoppeln und schwarzen Haifischaugen – Augen, die alle wahren Schneewandler besaßen. „Wer ist dort?“ fragte der Schneewandler. „Drachenfürstin Kaine Severanz.“ erwiderte die Fürstin. „Und mit wem habe ich das Vergnügen?“ „Man nennt mich Cadrach. Was ist Euer begehr?“ „Ich muss mit Dravo Drachentod reden.“ Der Schneewandler schnitt eine merkwürdige Grimasse und verschwand wieder hinter der Mauer. Wenig später öffnete sich das aus weißem Holz gefertigte Drachenbaumtor. Cadrach wartete dahinter. Als sich seine schwarzen Augen auf Vortem richteten, erstarrte er einen Augenblick. „Nun?“ Kaine sah sich im Hof um. „Wo ist der Drachentöter?“ „Was?“ Cadrach zuckte zusammen. „Oh ja, Dravo…äh… folgt mir bitte.“ Der Schneewandler führte Kaine durch die verschlungenen Korridore der Burg zu einer schäbigen Tür aus Eschenholz. „Hier ist es.“ erklärte Cadrach untergeben. „Vergebt mir, wenn ich mich hier von Euch trenne, aber uns Schneewandlern ist es verboten, diesen Raum zu betreten.“ Kaine sagte nichts, sondern nickte bloß. Als Cadrach gegangen war, öffnete sie die Tür. Der Drachentöter saß mit verschränkten Beinen auf dem Boden, seine Hände ruhten auf den Knien, seine Augen waren geschlossen, seinen Kopf hielt er gesenkt und seine schwarzbraunen Haare hingen ihm ins Gesicht. Um seine Schultern hing ein grauer Kaninchenfellumhang. Zusätzlich trug er ein Wams aus graugefärbtem Hirschleder, eine gleichfarbige Bärenfellhose und schwarze Rindslederstiefel deren Saum mit weißem Wolfspelz besetzt war. „Was wünscht Ihr von mir, Fürstin Severanz?“ fragte er ohne aufzublicken. „Ich habe einen Auftrag für Euch, Drachentöter.“ erwiderte Kaine ruhig. „Einen Auftrag?“ Dravo sah interessiert auf. „Was für einen Auftrag?“ Seine tiefblauen Augen musterten die Fürstin interessiert. „Sprecht, Fürstin!“ „Es geht um einen Schwarzwasserdrachen.“ Kaine fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Dieser Drache gehört einem Drachenritter namens…“ „…Ser Luk Severanz.“ unterbrach Dravo. „Er ist mir bereits bekannt.“ „Woher?“ „Glaubt Ihr etwa, nur weil ich hier draußen lebe, ginge alles an mir einfach so vorbei?“ Dravo lachte laut auf. „Das ist nun wirklich nicht der Fall.“ „Ich will nicht mit Euch über Eure Informationsquellen reden, Drachentöter. Ich bin nur hier, um Euch den Auftrag zu überbringen.“ „Ich nehme an.“ Dravo stand auf. „Wo finde ich den Drachen?“ „Lord Vortem wird Euch hinführen.“ „Lord Vortem? Wer ist das?“ „Ich bin Lord Vortem.“ Der tote Ritter trat aus dem Schatten der Tür neben seine Herrin. „Ihr seid dann wohl dieser Drachenritter.“ Dravo konnte nicht antworten. Mit offenem Mund stand er da und starrte den Ritter an. Als die Rebellen sechs Tage nach dem Zusammentreffen mit dem grünen Drachen die Drachenberge verließen, lag Dravo Drachentod bereits auf der Lauer. Er hatte seine Armbrust angelegt und zielte auf den schwarzen Drachen. Doch plötzlich ritt eine schwarzgekleidete Gestalt auf einem gleichfarbigen Pferd in die Schusslinie. Als eine Windbö der Gestalt die Kapuze vom Kopf blies, erstarrte Dravo. Der Drachentöter ließ seine Armbrust sinken stand auf und ging zu seiner weißbraunen Stute. Als er den stechenden Blick von Vortems Flammenaugen auf sich spürte, sagte er: „berichtet Eurer Fürstin, dass ich mich weigere einen Drachen zutöten, wenn ich dadurch meinen kleinen Bruder in Gefahr bringe.“ Er schwang sich auf den Rücken seiner Stute. „Ich werde zurück nach White Castle reiten.“ Er tätschelte den Hals des Pferdes. „Gehen wir, Mirua.“ Als es Dämmerte hatten sich Yakim und Kai bereits wieder für ihr Training zurückgezogen. Der Waldwolf trug seinen rechten Arm in einer Schlinge und hielt Jero in seiner linken Hand. „In zwei Tagen will Saro zum Kontinent der verlorenen Seelen übersetzen.“ bemerkte Yakim, als er Kai zurückgestoßen hatte. „Ich weiß, dass du dir deswegen Sorgen machst. Ist es wegen den Seeungeheuern oder weil du deinen Arm nicht richtig bewegen kannst?“ „Mein Arm ist sicherlich auch ein Grund, aber hauptsächlich sorge ich mich wegen den Meeresungeheuern.“ erwiderte Kai und startete seinerseits einen Angriff. Die Schwerter klirrten aufeinander, wieder und wieder. Kai stieß Yakim zurück. Die Wucht des Stoßes war so stark, dass sowohl dem fewallischen General als auch dem Schwertmeister die Griffe ihrer Schwerter aus den Händen rutschten. Die beiden Klingen flogen durch die Luft. Sofort rannt Kai los, sprang hoch und fing das Schwert seines Vaters. Yakim hingegen wartete ab bis das Schwert im Boden steckte. Als dies der Fall war, rannte auch er los. Doch noch bevor er sein Schwert erreichen konnte, schlug ihm Kai das Heft seines Schwertes auf den Rücken. Yakim strauchelte und stürzte in den Staub. Er rappelte sich auf Hände und Knie hoch und schlug mit der Faust auf den Boden. „Schon wieder!“ knurrte er. „Selbst mit einer solchen Wunde besiegst du mich noch.“ „Diesmal hättest du mich fast geschlagen.“ keuchte Kai. „hättest du vorhin schneller reagiert, wäre ich wahrscheinlich der Verlierer gewesen.“ Als Yakim wieder aufgestanden war, ging Kai zum Schwert des Fewalli, zog es aus der Erde und warf es dem General zu. „Fang es!“ rief Kai. „Vergesse alles, außer deinem Schwert und fang es!“ Yakim hob die Hand, konzentrierte sich auf das Schwert und griff nach ihm. Doch statt des Heftes bekam er die Klinge zu fassen. Er spürte wie sich das kalte Metall in seine Hand grub und warmes Blut über seine Haut lief und schließlich zu Boden tröpfelte. Er öffnete die Hand und sein Schwert fiel klappernd zu Boden. „Ich kann es nicht.“ meinte Yakim, als er die Wunde betrachtete. „Mach dir nichts daraus.“ Sagte Kai sanft. „Es braucht einiges an Übung. Ich zum Beispiel habe drei Jahre gebraucht um mein Schwert aus der Luft zu greifen. Es ist nicht einfach, den richtigen Moment zu erkennen, aber jeder schafft es irgendwann.“ Yakim riss ein Stück von seinem Hemd ab und verband seine Hand damit. Dann nickte er Kai zu und die Beiden gingen zusammen zum Lager zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)