Schatten von Mestala von Silmarille (Die Geschichte Draconias geht weiter) ================================================================================ Kapitel 4: Ritter ohne Furcht und Reue - Sturms Auftrag ------------------------------------------------------- Sturm ritt allein an der Küste entlang und beobachtete die Zweihundertachtzig mestalischen Kriegsschiffe, die sich langsam dem Strand näherten. Seine Hand ruhte auf Jeros Heft. „Dieser Drache ist zu mindest kein guter Zähler.“ knurrte er und zügelte seinen Rappen. „Dreihundert! Dass ich nicht lache. Das sind zweihundertachtzig und nicht mehr.“ Ein Pfeil flog durch die Luft und verfehlte Sturms Helm nur um zwei Finger. Der Rappe stellte sich auf die Hinterläufe und wieherte. „Was sollte as, du Ausgeburt des Bandas?“ schrie eine wütende Männerstimme vom vordersten Schiff. Sturm erkannte wie sich ein Mann mittleren Alters mit kahl rasiertem Schädel zu ihm umdrehte und den draconischen General anfunkelte. „Wer seid Ihr?“ fragte er laut. Sturm zog das Schwert seines Vaters und hielt es über seinen Kopf. „Sturm Schattenklinge!“ rief er so laut wie er konnte. „Und wer seid Ihr?“ Der Mestalai zog eine Augenbraue hoch. Ein nervöses Raunen ging durch die Reihen der Männer. „Schattenklinge, was?“ Der Krieger spuckte aus. „Ihr seid eine lebende Legende, Bastard des Wolfskönigs! Mein Name tut nichts zur Sache.“ „Da wir uns jetzt vorgestellt haben, schlage ich vor, Ihr kommt her und stellt Euch mir zum Kampfe!“ brüllte Sturm. „Oder seid Ihr zu feige, um gegen einen einzelnen Mann anzutreten?“ Der Mestalai fletschte die Zähne. Er schien Sturm mit seinem Blick zu durchbohren. „Ich zeige Euch, wie feige ich bin!“ schrie er wutentbrannt. Er sprang über die Reling ins seichte Wasser. „Anlegen! Sammeln! Marsch!“ Darauf hatte Sturm gewartet. Der Mestalai war blind vor Wut. Er sah nur noch den Ritter, der sich über ihn amüsierte, nicht aber den drohenden Hinterhalt, der doch so offensichtlich war wie ein Drache auf einem Kornfeld. Er hatte sein Todesurteil bereitwillig unterzeichnet. Aufmerksam sah der draconische Ritter zu, wie Pferde von den Schiffen gebracht wurden. Kisten mit Waffen, Rüstungen und anderen Dingen wurden abgeladen und schließlich folgten die Soldaten. Achtundzwanzigtausend mestalische Krieger – berittene wie auch Fußsoldaten. Als alle Mestalai an Land gegangen waren, rief Sturm heiter: „Und nun? Braucht ihr feigen Hunde eine ganze Armee, um einen einzigen Krieger zu besiegen?“ Das brachte das Blut des mestalischen Befehlshabers zum kochen. Hasserfüllt starrte er Sturm an. „Packt ihn!“ brüllte er. „Er soll seinen Hochmut teuer bezahlen.“ Der General selbst stieg auf einen großen Falben und galoppierte an die Spitze. Sturm zog an den Zügeln seines Rappen und das alte Jagdpferd galoppierte zum Wald. „Und wer ist jetzt feige, Schattenklinge?“ hörte Sturm den Mestalai hinter ihm herschreien. Dann noch einige anspornende Befehle, dass die Krieger den dreisten Draconiar doch endlich ergreifen sollten. Sturm selbst, grinste unter seinem dunkelblauen Helm und trieb Fremder weiter an. Die Hufe des Rappen trommelten auf den trockenen Boden der fewallischen Ebene. Schaumiger Speichel tropfte aus dem Maul des Hengstes und verzierte seine Brust mit weißen Flecken. Auf einem Hügelkamm hielt Sturm an und sah nach hinten. die Mestalai folgten ihm tatsächlich. Etwas langsamer zwar, aber sie folgten. Gut. dachte der draconische General. Hoffen wir, dass Hauptmann Acsa sich wenigstens dieses eine Mal genau an den Plan hält und nicht wieder irgendwelche komischen Sachen vorhat. Sturm wartete auf dem Hügelkamm ab. Er ließ die Mestalai bis auf ein paar hundert Meter herankommen und trieb sein Pferd dann erneut an. „Bleibt stehen, Schattenklinge!“ brüllte der Mestalai auf seinem vor Schweiß dampfenden Falben. Er klang als sei er etwas außer Atem vom vielen Rumgebrülle und der verruchten Sommerhitze des Kontinents des Feuers. „Ihr entkommt uns ohnehin nicht!“ Sturm ließ Fremder abermals anhalten. Stellte ihn senkrecht zu den herannahenden Mestalai und rief mit einem schalkhaften Unterton: „Der Javin in diesen Gefilden scheint weder Euch noch Eurem Pferde wirklich zugute zukommen, Herr! Wollt Ihr Euch nicht wieder in Euer kühles Mestala verkriechen, wie die Sandratten in ihre unterirdischen Bauten?“ Ein weiterer Ruck an den Zügeln und das schwarze Pferd setzte sich wieder in Bewegung. Den Hang hinab und dann durch einen Pass von mehreren hohen Hügeln. Hier lag die erste Einheit unter Führung von Acsa dem Grausamen auf der Lauer und wartete auf die Nachhut. Unbehelligt ritt Sturm hindurch. Die berittenen Mestalai, die etwa zwanzigtausend Krieger ausmachten, folgten ihm so, dass Sturm nur Knapp außerhalb der Schussweite ihrer Bogen und Armbrustschützen war. Nach einiger Zeit war weit hinter ihnen zu hören, wie Horn auf Stahl traf. Acsa und seine Getreuen ritten die Fußsoldaten nieder. Es dauerte nur wenige Lidschläge und der Lärm war verstummt. Nun würden sich die draconischen Krieger hinter den Mestalai in Stellung bringen und ihnen folgen. Zu Sturms Erstaunen störte sich der Befehlshaber der feindlichen Truppen nicht daran, dass seine Nachhut scheinbar niedergemäht worden war. Es stachelte seine Wut zwar noch mehr an, aber er drehte nicht um, sondern trieb seinen Falben nur noch verbissener an. Eine weitere Senke. Ein weiterer Hinterhalt. Sturm ließ seinen Rappen in der Mitte der Senke anhalten und wendete ihn schnell auf der Hinterhand. Er schaute zu einer Hügelkuppe hinauf und sah die durchsichtige Gestalt auf dem Nachtmahr erwartungsvoll an. Das mythische Tier hob den Kopf und schaute Sturm direkt an. Auch der tote Krieger wandte den Kopf in Sturms Richtung. Er hob sein Schwert – die legendäre Klinge mit dem Namen Drachenzahn – über seinen Kopf. Der Nachtmahr stellte sich auf die Hinterläufe. All dies waren Zeichen dafür, dass der junge Draconiar den Segen seines Vaters hatte. Schade, dass er nicht mitkämpfen will. dachte Sturm. Vater wäre garantiert ein großer Vorteil gegenüber den Mestalai, aber er muss ja den Aufpasser für meinen Vetter spielen. „Ah! Stellt Ihr Euch doch endlich Eurem unausweichlichen Schicksal, Schattenklinge?“ fragte der mestalische General, der nun Sturm genau gegenüberstand. „Bevor ich auf diese Frage antworte, will ich Euren Namen wissen, Herr.“ erwiderte Sturm trocken. „Den Gefallen will ich Euch gern tun. Ihr sollt doch wissen, wer Eurem schäbigen Dasein ein Ende bereitete.“ Der Mestalai machte eine großartige Geste und verbeugte sich im Sattel. „Firion Galador nennt man mich.“ „Gut, dann weiß ich ja jetzt, wessen Namen ich auf den Grabstein gravieren lassen muss.“ Sturm hob Jero mit der rechten Hand über seinen Kopf. Gleichzeitig packte er mit der Linken sein Amulett, das daraufhin ein gleißendes Licht ausstrahlte. „Was habt Ihr vor, Schattenklinge?“ „Ihr werdet es erleben, Firion Galador. Ihr werdet es erleben und es wird nahezu das Letzte sein, das Ihr erlebt.“ „Das wollen wir doch erst einmal sehen, Ritter!“ Das Licht wurde schwächer. Sturm hatte die Hand von dem Amulett gelöst. Sein Schwert war auf den mestalischen General gerichtet. Ein Abgrund des Schweigens tat sich zwischen den beiden Generälen auf. Und dann kam der Drache und mit ihm die draconischen Reiter, angeführt von Mandos dem Tier – den Beinamen hatte er seiner rücksichtslosen Art zu kämpfen zu verdanken. Er war ein stattlicher Mann von 30 Jahren mit grünen Augen und rotblondem Haar. „General Schattenklinge?“ rief er. „Ihr habt nach uns verlangt. Hier sind wir.“ „Gut.“ erwiderte Sturm. „Ich dachte schon, ich müsste mich allein mit diesen Herrschaften vergnügen.“ „Das könnte Euch so passen, General!“ erklang die tiefe Stimme von Hauptmann Acsa – einem großen, kräftigen Mann mit blaugrauen Augen, kurzgeschorenen, schwarzen Haaren und einem dünnen Dreitagebart. „Wir wollen doch auch unseren Spaß.“ Sturm blickte zu einer der Hügelkuppen hinauf. Hauptmann Acsa saß in seine typische, graue Rüstung gekleidet, ohne Helm und Standarten auf einem mächtigen Apfelschimmel. In beiden Händen hielt er jeweils ein Breitschwert. Die Zügel des Schlachtrosses hingen lose um den Hals des Tieres. Acsa war ein Mann, der in allem einen Grund zum scherzen fand, aber im Kampfe ein Gegner war, den man tunlichst nicht unterschätzen sollte. „Ihr kommt spät, Acsa!“ rief Sturm. „Solange noch ein oder auch zwei Feinde übrig sind, bin ich nicht zu spät.“ griente der Helmlose Hauptmann. „Hörn wir jetzt endlich auf Maulaffenfeil zu halten und gehen zum lustigen Teil dieses Tages über?“ fragte Sturm. Jero lag locker in seiner rechten Hand, die Linke hielt die Zügel des tänzelnden Rappen straff. „Ich brenne vor Ungeduld.“ „Und das ausgerechnet von Euch, der Ihr doch immer sagt, Geduld sei das Wichtigste, um einen Kampf zu gewinnen.“ Sturm schaute sich um, überflog kurz die Reihen der Mestalai, danach die seinen. „Nun Firion, es scheint, als wäret Ihr in der Minderzahl.“ erklärte Sturm. „Findet Ihr nicht, es wäre klüger aufzugeben?“ „Ich sehe bei Euch aber lediglich sechsundzwanzigtausend Mann. Ich hingegen verfüge mit meinen Fußtruppen über achtundzwan-zigtausend. Demnach sind wir in der Überzahl.“ erwiderte Firion Galador. Acsa brach in Gelächter aus. „Eure Fußsoldaten sehen sich bereits die fewallische Erde von der Hölle aus an. Ihre stinkenden Leichen sind nur noch Asche.“ höhnte er. „Ach ja? Und woher wollt Ihr das wissen?“ „Ganz einfach, Herr General. Ein kleiner Hinterhalt, erdacht von meinem General Sturm Schattenklinge. Wir haben gewartet bis die Hauptstreitmacht an uns vorbei war und sind dann über die Fußtruppen hergefallen, haben sie niedergemäht, ihre Leichen aufgestapelt und angezündet.“ „Ihr feigen, draconischen Hunde!“ Er warf Sturm einen hasserfüllten Blick zu. „Ihr seid ein verdammter Bastard. Ihr seid der Sohn einer draconischen Dirne und eines feigen Säufers!“ „Ein Bastard bin ich wohl, aber meine Mutter war keine Dirne und mein Vater war kein Säufer.“ Sturm ließ Fremder etwas auf den mestalischen General zutrotten. „Meine Mutter war die überall gefürchtete Drachenfürstin und mein Vater war der Halbsterbliche, der Herr der Finsternis, der Krieger der Mächte, der Wolfskönig.“ Bei jedem Schritt den der Rappe vorwärts machte, wich der Falbe einen zurück. Plötzlich machte das schwarze Tier einen Satz zur Seite. Hinter ihm kam der geöffnete Rachen Palants zum Vorschein. Orangeglühend zuckte die gespaltene Zunge kurz an den Gaumen. Sturm war immer wieder fasziniert von dem Schauspiel, das sich ihm nun bieten sollte. Feuer schoss aus dem Schlund des Drachen. Dieser bewegte seinen Kopf seitwärts und so entstand vor den Draconiarn eine Feuerwand, die Sturms Truppe von den Mestalai trennte. „Steig auf!“ befahl Sturm dem Drachen, als die Flammenwand bis zu vier Meter hoch loderte. Wie du wünschst, Herr. erwiderte Palant, spreizte die Flügel, stieß sich ab und erhob sich in die heiße Luft. Der Plan, den Sturm erdacht hatte, sah vor, dass Palant die Mestalai auf die Flammen zutrieb – in der Hoffnung, dass die Pferde scheuten und ihre Reiter abwarfen. Um die, die danach noch standen oder im Sattel saßen, kümmerten sich dann die draconischen Reiter. Acsa sollte seine Leute im wilden Galopp durch die Flammen führen und jeden Feind niederschlagen, den sie im Vorbeireiten erwischen konnten. Sturm hingegen würde warten, bis entweder Acsa und seine Männer zu ihm gestoßen oder die mestalischen Krieger durch die Flammenwand gebrochen waren. Erwartungsvoll starrte der General auf die Flammen, hinter denen das Geklapper von Pferdehufen, lautes, verängstigtes Wiehern und das Scheppern von Metall ertönte. Dann: Stille. Ein einzelner junger Mestalai stolperte durch die Feuerwand. mit leeren, blinden Augen wankte er auf Sturm zu. Kurz vor dem schwarzen Pferd brach er auf die Knie. Sturm ritt ungerührt ein Stück auf ihn zu, stieg ab und stellte sich mit gesenktem Schwert vor den Mestalai. „Wer bist du?“ fragte der General streng. Die blinden Augen des Jüngeren richteten sich auf Sturm. Eine seltsame Hoffnung lag in ihnen. „General, seid Ihr das?“ fragte er fast sehnsüchtig. ein diabolisches Grinsen Zeichnete sich unter Sturms Helm auf seinem Gesicht ab. Er würde nicht lügen, wenn er sagte, dass er der General sei. „Ja. Was ist passiert?“ „Sie sind alle tot, Herr. Alle Zwanzigtausend.“ Der Junge griff nach Sturms Beinen, verfehlte sie aber. „Die Feuerwand. Wir… wir wurden darauf zugetrieben. Die Pferde scheuten. Männer fielen in die Flammen. Verbrannten unter schaurigen Schreien. Dann die Reiter. Ich… ich sah Köpfe über den Boden rollen, Blut spritzen. Ich rannte ins Feuer. Dann sah ich nichts mehr.“ „Alle tot? Wirklich alle?“ Sturm war bemüht nicht zu erfreut zu klingen. „Ja, Herr, alle. Nicht einer lebt noch.“ Die Augen des Mestalai klärten sich wieder. Plötzlich erkannte er, dass er nicht mit dem mestalischen General sprach und begann zu winseln: „Ihr Götter. Bitte, Herr Ritter, lasst mich leben. Ich flehe Euch an tut mir nichts.“ In Sturm kam das Erbe seiner Mutter wieder hoch. Er empfand kein Mitleid mit dem winselnden Mestalai. Empfand keine Reue, wenn er daran dachte, was er nun vorhatte. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. gleichgültig hob er Jero empor und ließ das Schwert niedersausen. Ohne Probleme durchdrang die Klinge Haut, Muskeln und Knochen. Mit gespaltenem Schädel fiel der Mestalai nach vorne in die heiße Erde. Sturm hob den Toten am Kragen hoch und warf ihn gleichmütig in die langsam erlischenden Flammen. Danach stieg er wieder auf Fremders Rücken und trieb den Rappen auf die Flammen zu. Anstandslos sprang das mächtige, schwarze Ross durch das Feuer hindurch und landete dahinter auf einem blutigen Schlachtfeld. Die draconischen Reiter hatten bereits angefangen, die Toten ins Feuer zu werfen. Überall lagen tote oder verwundete Mestalai und Pferde. Einige Reittiere irrten Herrenlos umher. Acsa ging zwischen den Toten und Verletzten herum und schnitt jedem, der sich noch rührte – egal ob Mestalai oder Tier –, die Kehle durch. Sturm ritt zu ihm. „Verluste?“ fragte er, als er bei dem Hauptmann angekommen war. „Eins meiner Schwerter.“ knurrte Acsa. „Ist mit einem dieser Hunde ins Feuer gefallen. Wer ist überhaupt auf diesen idiotischen Plan gekommen?“ „Ich wenn es recht ist.“ Sturm grinste. Dann wurde sein Gesicht wieder ernster. „Also keine menschlichen Verluste. Wie sieht es mit Verletzten aus?“ „Vorläufig ein zertrümmerter Arm und fünfunddreißig Hieb- und Stichwunden.“ Acsa beugte sich kurz über einen Mestalai, um zu kontrollieren ob dieser tatsächlich noch lebt. Sein Schwert wurde in einem kurzen Bogen geschwungen und zerschnitt die Kehle des sterbenden Kriegers. „Also nichts Weltbewegendes.“ Sturm nickte zufrieden. „Morgen reiten wir zurück nach Fewall.“ Er wendete sein Pferd, ritt wieder auf die nun nur noch gut einen Meter hohe Feuerwand zu und ließ Hauptmann Acsa mit seinem blutigen Handwerk allein. Wieder errege das Eintreffen der draconischen Armee großes Aufsehen unter den Einwohnern der Stadt – nicht zu letzt weil sie mehr Pferde als nötig bei sich hatten und einige Soldaten an verschiedenen Stellen von kleineren und größeren Wunden geziert wurden. Vielleicht lag es aber auch an den taogischen Sturmreitern, dem Nachtmahr und der Tatsache, dass der Prinz der Taogi sie begleitete. Sturm fielen ein Fuchs und ein Hirsch auf, die neben der Villa seines Schwiegervaters auf einer Wiese standen. Sieht so aus, als habe Nogi den Kleinen hierher gebracht. dachte er. Er stieg ab. „Sucht euch eine Übernachtungsgelegenheit.“ befahl er seinen Männern. „Wir werden vorerst hier bleiben.“ Danach brachte er seinen Rappen auf die Wiese zu dem Hirsch und der Fuchsstute. Nun ging er zur Eingangstür und klopfte an – sein berühmtes Klopfen, das so schien als wollte er die Türe einschlagen. Ein goldhäutiger, kleiner Mann mit rotgelben Augen, Erdbraunen Haaren, weißer Lederweste und gleichfarbiger Lederhose öffnete die Tür. „Is urf nur, Jeranus.“ sagte der Fremde. „Vo on cina nur er piran.“ Sturm, der das Freder nicht sonderlich gut beherrschte, brauchte einige Zeit, um die Worte des Baumspringers zu begreifen. „Seid auch Ihr gegrüßt, Nogi Tsi-reveon.“ erwiderte er. Nogi grinste. „Tritt ein, junger Freund.“ Der Freder trat ein Stück zur Seite. „Der draconische Thronfolger, deine Gemahlin, dein Sohn und Yakim von Fewall warten bereits.“ Er blickte an Sturm vorbei. Ein freudiges Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „On urf, in rai!“ rief er und winkte. „Komm auch du herein und bring den Prinzen Taogs gleich mit.“ „Tal, Nogi!“ erwiderte Kais hohle Stimme. Er stieg von seinem Nachtmahr, bedeutete dem jungen Prinzen ihm zu folgen und kam zum Haus. „Du bezeichnest mich immer noch als Freund, obschon ich tot bin?“ „Mein Volk nimmt das mit der Freundschaft sehr ernst, Kai.“ Der Freder sah den Toten gekränkt an. „Du bist tot, na und? du bist immer noch mein Freund. Doch jetzt kommt rein, hier draußen lässt es sich schlecht reden.“ Sturm war der erste, der eintrat. Ihm folgten Kai und Nogi. Gerik kam etwas später. Der junge Prinz schloss abwesend die Tür und lief den anderen hinterher. Nogi führte sie in den Speisesaal – ein großer Raum in dessen Mitte ein langer Tisch mit etwa 20 Stühlen stand. Am hinteren Ende saßen drei Personen. An drei weiteren Plätzen stand ein Glas mit Wein. Ein Dreijähriger spielte in der hintersten Ecke. Als Sturm eintrat, stand die Frau auf der linken Seite auf, rannte auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Vollkommen verdutzt stand der General da. „Juscha?“ fragte er unsicher. „Was ist denn?“ „Ich hatte solche Angst um dich, du alter Esel.“ schluchzte sie. „Frederick hat mir von den Mestalai erzählt und auch, dass sie in der Überzahl waren. Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen.“ „Lass den Jungen doch erst einmal ankommen, Tochter.“ rief Yakim vom anderen Ende des Raumes. „Lasst ihnen diese Freude, alter Mann.“ sagte Nogi und nahm auf einem der freien Stühle platz. „Ihnen wird nicht viel Zeit für Wiedersehensfreude bleiben.“ „Wie meinst du das?“ Sturm löste sich aus der Umarmung seiner Frau. „Ich habe doch wirklich noch mehr als genug Zeit!“ „Setz dich, Jeranus.“ Der Freder deutete auf den Stuhl ihm gegenüber. „Ich muss dir und deiner Familie etwas mitteilen.“ Mit einem verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht setzte sich der General gegenüber von Nogi. Seine Frau nahm zu seiner Linken Platz. Gerik setzte sich auf die rechte Seite Nogis und Kai lehnte sich einfach gegen eine der Wände. Nogi beugte sich zu Sturm vor. „Sag mir, Junger Sterblicher, hast du schon einmal etwas von dem Buch der Prophezeiungen gehört?“ „Um ehrlich zu sein, nein.“ erwiderte Sturm. „Worum handelt es sich dabei?“ Nogi lehnte sich wieder zurück. „Vor einhundertzweitausend Jahren herrschten auf der Erde zwei Völker: Die Klirak – Dämonen wie ihr sie nennt – und die Erwig – ihr bezeichnet sie als Engel. Die Welt war gespalten in zwei Reiche: Das Reich der Schatten, wo die Dämonen herrschten und Drachen, Nachtwölfe, Nosins, Gräbber, Berglöwen, Kun-Ris und andere Geschöpfe von Finsternis und Nacht lebten, und das Reich des Lichts, wo die Engel herrschten, wo Menschen, Freder, Hirsche, Waldgeister und allerhand andere Wesen – von denen einige längst nicht mehr existieren – lebten und wo die Natur blühte und gedieh. Es gab damals keinen Tag und keine Nacht nur ewige Finsternis oder immer währendes Licht. Es gab anfangs auch keine Kriege. Doch dann wollten die Dämonen mehr. Die ganze Welt sollte ihnen gehören. Einige der Drachen waren dagegen und schlugen sich ebenso wie sämtliche Nachtwölfe, die zu jener Zeit ihre Partnerschaft mit den Menschen eingingen, auf die Seite der Erwig. Über dreihundert Jahre wurden Kriege zwischen beiden Welten ausgetragen. Am Ende des dritten Jahrhunderts gelang es den sieben verbliebenen Engeln die Dämonen für ewig in das Innere des Planeten zu sperren und die Welt in ewigen Tag zu hüllen. Doch das Licht zerstörte die Wesen der Dunkelheit. Mitleidig schufen die Sieben eine Zeit der Dunkelheit und eine Zeit des Lichts. Diese beiden wechselten sich fortan ab. Aber diese Tat hatte die Engel den letzten Rest ihrer Kräfte gekostet und die Dämonen versuchten die Barriere zwischen ihrer Welt und der Oberwelt zu sprengen. So schufen die Erwig das Buch der Prophezeiungen – in weiser Vorrausicht, dass die Zeit der Rückkehr für die Klirak kommen würde – und verbargen es in einer Schatulle neben dem Portal zur Unterwelt.“ „Und was hat das alles mit mir zu tun?“ Sturm sah den Freder streng an. „Was willst du von mir?“ „Kannst du dir das nicht denken, Junge?“ Kai stellte sich hinter Nogi. „Die Zeit der Wiederkehr für die Dämonen ist nahe. Es ist überliefert, dass nur ein Mann, der zwei Völker in sich vereint, der zwar der älteste Sohn eines Königs ist, aber nie ein Reich regieren wird, ein Mann von – vergib mir diese Wortwahl – ehrloser Geburt, das Buch zurückzuholen vermag.“ Sturm sah seinen toten Vater erschüttert an. „Du wusstest davon? Warum hast du mir nichts gesagt?“ „Weil ich nicht konnte… Ich wollte dich nicht von dem Kampf ablenken.“ Sturm sah zu Juscha. Sie aber blickte den toten König nur flehend an. Der General schluckte. „Wann soll ich dem Heer Bescheid geben?“ „Gar nicht. Du musst alleine gehen, mein Sohn. Und zwar schon diese Nacht.“ „Und wie soll ich die Pforte finden?“ „Jero wird dich führen. Bevor es deinem Großvater in die Hände fiel, gehörte dieses Schwert einem der sieben letzten Engel. Es weiß, wo es langgeht. Sobald du eine Küste erreichst, schicke Palant los. Sein Erscheinen wird Turamarth den Schwarzen zu dir führen. Er wird dich dahin bringen, wohin dein Schwert dich führt.“ „Und wer passt auf Frederick auf, solange ich weg bin?“ „Selev.“ sagte der junge Prinz bestimmt. Kai stieß ein angewidertes Schnauben aus, sagte jedoch nicht Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)