Schatten von Mestala von Silmarille (Die Geschichte Draconias geht weiter) ================================================================================ Kapitel 1: Die Prophezeiung --------------------------- Sturm Schattenklinge war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Er hatte die gleichen schwarzbraunen Haare, trug jedoch einen kurzen Schnurrbart und hatte die dunklen Augen seiner Mutter. Um seinen Hals trug er das Amulett, das man gemeinhin nur als den Drachenstein kannte – ein in Silber gegossener Anhänger in Form zweier Drachen, die einen in allen Farben leuchtenden Stein hielten, an einem schwarzen Lederband. Er hatte auch das Pferd des toten Königs, das auf den Namen Fremder hörte, und das Langschwert aus Drachenstahl, das man Jero nannte, geerbt. Mit seinen 23 Jahren hatte er bereits eine beeindruckende Stellung im draconischen Heer inne. Er war nicht nur der Leibwächter seines Halbbruders – dem Prinzen Frederick vom Nadelwald – sondern auch noch General der Armee. „Was denkst du?“ fragte der blonde Junge, der neben dem General durch die Grassteppen Fewalls ritt. „Hatte der alte Mönch Recht?“ Der Junge war fünf Jahre Jünger als Sturm, hatte tiefblaue Augen, wurde stets von einem grauen Wolf begleitet und ritt eine große Fuchsstute, die er Aria nannte. „Perin Frutal ist ein kluger Mann, mein Prinz.“ erwiderte Sturm und trommelte nervös auf seinem blauen, goldbesetzten Helm herum. „Das beantwortet meine Frage nicht, Sturm!“ fuhr Frederick auf. „Er hat gesagt, sie würden den Kontinent von Nordwesten her angreifen.“ Sturm dachte kurz nach. „Es ist schwierig dort oben in Fewall einen geeigneten Landeplatz zu finden – das sagt zu mindest mein Schwiegervater.“ Er schaute zum Himmel. „Natürlich können die Mestalai auch andere Wege finden hier einzumarschieren, Herr.“ „Sagtest du nicht, dass du Palant losgeschickt hast, um nach ihnen Ausschau zu halten?“ „Natürlich hab ich das getan, Herr.“ Der Leibwächter begann wieder ungeduldig auf seinem Helm herumzutrommeln. „Ihr wisst ja, wie Drachen sind. Wenn Palant etwas Interessantes gefunden hat, lässt er sich schnell davon ablenken. Es könnte demnach durchaus sein, dass wir noch eine ganze Zeit lang auf ihn warten müssen.“ „Verstehe ich dich richtig, Sturm?“ Der Jüngere schaute seinen Halbbruder fragend an. „Du erwartest von mir, dass ich mich in Geduld übe, während die Mestalai weiter vorrücken?“ „Geduld, Herr, ist das wichtigste in einer Schlacht.“ Sturms Blick verfinsterte sich. „Das ist eine Sache, die meine Mutter nie kapiert hat.“ „Das mit Kaine tut mir leid, Bruder.“ Frederick blickte zu Boden. „Sie war eine gute Frau.“ „Sie war eine Närrin.“ Sturm spuckte aus. „Sie hat gesehen, dass ihr Gegner zu stark war und hat doch gegen ihn gekämpft. Stell dir das vor: Meine Mutter allein mit einem Messer gegen sieben der berüchtigten Berglöwen!“ „Sturm, ich…“ „Lasst gut sein, mein Prinz.“ unterbrach der General den Jüngeren. „Meine Mutter hat ihren Fehler teuer bezahlt und damit ist das Kapitel für mich abgeschlossen.“ Der Leibwächter ließ Fremder angaloppieren. „Wir sollten uns beeilen, Herr.“ rief er über die Schulter. „Fewall ist nicht mehr weit und mein Schwiegervater wartet mit Sicherheit schon mit Juscha und dem Kleinen auf uns.“ „Ich freue mich schon darauf, meinen Neffen kennen zu lernen.“ rief Rick erfreut und trieb seine Stute an. Die Stadt Fewall hatte in den letzten Jahren stark an Wohlstand gewonnen und als Sturm, Rick und etwa zwanzigtausend draconische Soldaten dort einmarschierten, versammelte sich der gesamte Hochadel auf dem Marktplatz. Sturm hörte wie sie tuschelten. „Das ist Sturm Schattenklinge.“ flüsterte eine ältere Frau. „Der Bastard des draconischen Königs? Der Grabschänder?“ fragte ein junger Herr. „Genau der.“ erwiderte die Alte. „Es heißt, er habe teuflische Kräfte.“ Sie warf Sturm einen Abwertenden Blick zu. „Er soll ein Mörder und Dieb sein.“ „Aber es ist doch der Leibwächter des Prinzen und der General der Draconiar.“ sinnierte ein anderer. „Ich glaube nicht, dass er ein Mörder oder Dieb ist.“ Ungeachtet des Getuschels über ihn stieg Sturm ab, gab die Zügel seines Hengstes einem seiner Offiziere, ging zu einer der vielen Villen und klopfte lautstark an die Tür. „Ja, einen Moment bitte.“ ertönte die Stimme eines älteren Mannes von drinnen. „Juscha, öffne doch bitte die Tür.“ Kurz darauf machte eine Junge Frau von gut 20 Jahren mit langen, schwarzen Haaren und rehbraunen Augen die Tür auf. Sie trug ein langes, dunkelrotes Kleid, das an Haut sehr viel frei ließ. Als sie den General sah, erstarrte sie. „PAPA!!!“ rief eine helle Kinderstimme von drinnen. Kurz darauf huschte ein etwa 3-jähriger Junge mit dunklen Augen und schwarzen Haaren an der Frau vorbei. Sturm grinste, hockte sich auf den Boden, fing den Jungen ein und stand mit ihm auf dem Arm wieder auf. „Na mein kleiner Freibeuter?“ lachte Sturm. „Hast du deinen Großvater wieder zum Wahnsinn getrieben?“ „Aber wo denkst du hin, Papa?“ Die Augen des Kindes strahlten vor Schalk. „Hast du mir ’was mitgebracht?“ „Heute nicht, Junge.“ Neben dem General tauchte plötzlich Rick auf. „Hast einen hübschen Sohn, Schattenklinge.“ sagte der Prinz anerkennend. „Er ist mein ganzer Stolz, Herr.“ erwiderte Sturm. „Wer ist da, Juscha?“ fragte die tiefe Stimme eines Mannes. „Warum ist mein Enkel so aufgeregt?“ „Sturm ist hier, Vater.“ rief die Frau. Der Alte kam zum Eingang der Villa. Er war fast 60 Jahre alt, hatte graues Haar und grasgrüne Augen. Trotz seines Alters ging er noch immer aufrecht und seine Haut hatte noch nicht viele Falten und Runzeln. „Guten Tag, Schwiegervater.“ grüßte Sturm in seiner gewohnt höflichen Art. „Ah Es ist gut dich wiederzusehen, Junge.“ Der Alte lächelte und sah zu Rick. „Und auch Euch zusehen, Junger Prinz, ist mir ein Vergnügen. Doch hier draußen redet es sich nicht sonderlich gut. Kommt herein. Juscha, hol doch bitte ein paar Krüge Bier für den Prinzen, Sturm und mich.“ „Vater“ – Juscha seufzte – „der Arzt hat dir verboten so viel Alkohol zu trinken.“ „Juscha, ich brauche keine Belehrung von dir.“ zischte der Alte. „Ich bin dein Vater, ich weiß, was ich tun darf.“ Sturm grinste und flüsterte seinem Sohn ins Ohr: „Schau dir mal deine Mutter an. Rot wie eine Tomate. Ich glaube für deinen Opa hat jetzt das letzte Stündchen geschlagen.“ Der Kleine quietschte vor lachen und drohte von Sturms Arm zu rutschen. Juscha warf ihrem Mann einen zornigen Blick zu, woraufhin Sturm in gespieltem Entsetzen zusammenzuckte. „Sturm Schattenklinge, hör auf dem Jungen irgendwelche Dummheiten in den Kopf zu setzen und komm rein!“ fauchte sie. Hinter ihm hörte er wie die Draconiar in Gelächter ausbrachen. Er drehte sich um und brüllte: „Hört auf Maulaffenfeil zu halten und versorgt die Pferde. Danach sucht ihr euch ein Lager für die Nacht. Wir brechen im Morgengrauen wieder auf!“ Über den scharfen Ton seines Vaters erschrocken fing das Kind auf Sturms Arm an zu weinen. „Da siehst du, was du angerichtet hast, du grober Klotz!“ rief Juscha und riss Sturm den Jungen weg. „Du solltest dich wirklich was schämen, deinen Armeeton vor einem Kleinkind anzuschlagen!“ Sie wandte sich um, ging ins haus und redete dabei beruhigend auf das Kind ein: „Ganz ruhig, Nudur. Dein Papa war nicht böse auf dich.“ „Na die ist ja herzallerliebst.“ scherzte Rick. „Und so was nennst du eine gute Frau?“ „Na ja, Juscha ist vielleicht manchmal etwas unwirsch“ – Sturm betrat gefolgt von Rick die Villa – „aber ich möchte sie um nichts in der Welt missen.“ Sie betraten die riesige Eingangshalle der Villa. Der Raum war gut zehn Meter lang. Der Boden war mit Mosaikfliesen belegt, an den Wänden hingen gigantische Banner und es führten mindestens drei Treppen und 8 Türen von dem Raum ab. „Das ist ja fast so groß wie unser Ballsaal“ staunte Rick. „Und hier bist du ausgezogen?“ „Ausgezogen ist das falsche Wort, mein Prinz.“ antwortete Sturm finster. „Niemals eingezogen bin ich hier. Ich mag diesen ganzen Prunk nicht.“ Juscha stand an der langen Treppe, die der Eingangstür gegenüberlag und warf Sturm einen finsteren Blick zu. Nach einer ganzen Weile setzte sie das Kind ab und hastete die Stufen hinauf. Oha! dachte Sturm. Das wird noch einige wütende Worte geben diese Nacht. Die Nacht verging und als sie im Morgengrauen aufbrechen wollten, stand Juscha in der Eingangstür des Saales. Neben ihr stand der 3-jährige Nudur in eine kurze Hose und ein ärmelloses Hemd gekleidet. Sturm kam in seiner schweren, blauen Rüstung die Treppe herunter. „Du gehst also wieder.“ stellte Juscha fest. „Ich muss.“ erwiderte Sturm trocken und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, dann legte er Nudur eine Hand auf den Kopf. „Sollte mir irgendwas passiere, musst du gut auf deine Mutter aufpassen, Junge. Hast du mich verstanden?“ Der Junge sah seinen Vater verwirrt an, nickte dann aber. „So ist es recht, mein Sohn.“ Sturm lächelte, ging an ihnen vorbei und stieg auf den schwarzen Hengst. „Ich bring dir auch was Schönes mit, versprochen!“ Er hob das Schwert seines Vaters über seinen Kopf. „Kannst mich darauf festnageln. Und du meine Liebe Frau Gemahlin, brauchst nicht um mich zu fürchten, ich passe auf mich auf.“ Juscha warf ihm einen weiteren Zornigen Blick zu, drehte sich dann um, ging ins Haus und zog den Jungen mit, während Frederick heraustrat. Sein langes Haar hatte er zu einem Zopf gebunden und er trug weder Brustpanzer noch Hemd – eine Angewohnheit, die Sturm schon früh entdeckt hatte. „Schöner Tag heute, oder Sturm?“ fragte er lächelnd. „Wie Ihr meint, Hoheit.“ erwiderte Sturm niedergeschlagen. „Was ist denn mit dir los?“ Rick stieg auf seine Stute. „Du siehst aus als hätte man dir bei lebendigem Leib die Eingeweide herausgerissen.“ „Um das zu verstehen, seit Ihr mit Verlaub noch etwas zu jung, mein Prinz.“ Rick sah ihn verwirrt an, schüttelte den Kopf und gab seiner Fuchsstute einen Rippenstoß. Tut mir leid, Juscha. dachte Sturm, während er seinem Halbbruder folgte. Ich muss das tun. Drei Tage nach dem Treffen mit Sturms Familie, gesellte sich Palant zu der Gruppe. Der kleine, rote Drache berichtete von einer schnell vorrückenden Armada von mestalischen Kriegsschiffen und einigen Piraten, die sich ebenfalls der Küste näherten. „Also hatte ich doch recht mit meiner Vermutung.“ sinnierte Frederick. Er, Sturm und Palant hatten sich etwas abseits zurückgezogen, da der Anblick des Drachen die Soldaten immer nervös machte. „Nicht du hattest Recht, Bruder.“ berichtigte Sturm. „Unser Vater hatte Recht. Immerhin war er es, der uns gewarnt hat.“ Ich verstehe nicht, warum ein Mensch das Leben eines Untoten dem ewigen Frieden vorzieht. mischte sich Palant ein. „Das wird wohl keiner von uns je verstehen, Palant.“ erwiderte Rick. „Egal, die Mestalai sind jetzt wichtiger, wie also wollen wir vorgehen?“ Ich schlage einen Direktangriff vor. Ein diabolisches Grinsen umspielte die Mundwinkel des Drachen. Auf ihren Schiffen sind sie angreifbar. Ich könnte sie leicht versenken. „Das wäre nicht ratsam.“ setzte Sturm dagegen. „Wenn sie dich gesehen haben, Palant, trafen sie garantiert bereits die entsprechenden Maßnahmen, um dich im Falle eines direkten Angriffs vom Himmel zu holen. Du bist kein Schwarzwasserdrache, deine Schuppen sind weicher.“ Na und? Palant senkte drohend den Kopf. Bin ich deshalb ein schlechterer Kämpfer, Herr Ritter? Oder wie darf ich das verstehen? „Friede, Palant.“ Der General hob beschwichtigend die Hand. „Ich will keinen Streit mit dir. Ich meine nur, dass ein offener Angriff nicht klug wäre.“ Er zeichnete mit dem Stock die fewallische Küste nach. „Hier ungefähr sind wir“ – er malte ein Kreuz in die Erde – „und wo sagtest du sind die Mestalai?“ Hier – Palant zeichnete mit bemerkenswerter Geschicklichkeit mit einer seiner Klauen einen großen Kreis, danach malte er einen kleineren etwas weiter westlich – und hier sind die Freibeuter. „Wie viele Piratenschiffe?“ Eins. „Gut.“ Sturm zeichnete die Silhouette eines Drachen. „Dieses Schiff darfst du versenken.“ Er beschrieb einen bogen von dem Drachenbildnis zum kleineren Kreis. „Bei den Mestalai ist das zu riskant.“ In Ordnung. Der Drache machte einen leicht enttäuschten Gesichtsausdruck. Was geschieht mit der Flotte. „Wie viele Kriegsschiffe hast du gesehen?“ Drei- oder vierhundert. Sturms Gesicht verfinsterte sich. „Was ist?“ fragte Rick, der die ganze Zeit stumm zugehört hatte. „Was bedeutet das, Sturm?“ „Das, Bruder, bedeutet, dass wir kaum eine Chance haben.“ Der General starrte auf seine Zeichnung. „Drei- oder vierhundert Kriegsschiffe… Das heißt wir haben es mit dreißig- bis vierzig-tausend Mestalai zu tun, die alle in der Waffenkunst ausgebildet sind.“ Er stieß einen unterdrückten Fluch aus. „Sie sind uns zahlenmäßig weit überlegen.“ „Ist das dein ernst, Sturm?“ Rick war geschockt. „Woher weißt du so genau wie viele Männer uns erwarten?“ „Ganz einfach. Auf jedem mestalischen Kriegsschiff befinden sich 100 Mann – ohne Kapitän und Besatzung.“ Sturms Gesichts-ausdruck wurde immer dunkler. „Wir haben keine Chance gegen sie. Es sei denn, wir stellen ihnen eine Falle…“ „Eine Falle?“ Der Prinz sah seinen Bruder verwirrt an. „Was meinst du?“ Sturm antwortete nicht. Er begann wie verrückt Kreuze und Linien in den Boden zu malen. Ab und zu schüttelte er wütend den Kopf und wischte etwas wieder weg, um an anderer Stelle neu anzufangen. Als der General fertig war, war die Zeichnung so verwirrend, dass sie weder für Rick noch für Palant mehr einen Sinn ergab. „Und was soll das jetzt darstellen?“ fragte Rick. „Ganz einfach. Siehst du diesen Punkt hier?“ Er deutete mit dem Stock auf ein kleines Kreuz, dass er an die Küste gemalt hatte. „Das bin ich. Ich allein. Ich werde die Mestalai glauben machen, dass außer mir, niemand dort ist und auf sie wartet.“ Er zeigte auf ein größeres Kreuz. „Hier werden Hauptmann Acsa und seine Getreuen im Hinterhalt liegen, bis ich mit den Mestalai dort entlang reite. Wenn das geschieht, werden sie sich auf die Nachhut stürzen und diese ausmerzen.“ Danach zeigte er auf eine weitere Ansammlung von Kreuzen bei der eine Drachensilhouette abgebildet war. „Letztlich werde ich sie hierher locken, wo ein weiterer Hauptmann – Mandos ist sein Name – mit dem Rest der Armee warten wird. Hier werden wir uns ihnen letztlich stellen.“ „Und was soll ich tun, Bruder?“ „Du, Frederick, hältst dich bedeckt. Du bist zu wichtig.“ Er schaute den Prinzen an. „Du weißt noch, wo Nogi sich aufhält, oder?“ „Ja.“ Rick legte den Kopf schief. „Wieso fragst du?“ „Ich möchte, dass du zu ihm gehst.“ Sturm stand auf. „Sag ihm, dass ich dich geschickt habe, dass ich um deine Sicherheit besorgt bin.“ „Gut.“ Etwas missmutig stimmte Rick zu. „Sag mal Sturm.“ „Was?“ „Wie sehr vertraust du diesem Hauptmann Mandos oder diesem Acsa?“ „Ich würde den beiden mein Leben anvertrauen. Nun geh schlafen, Bruder… morgenfrüh musst du Nogi aufsuchen und ich muss jetzt zu den Hauptmännern und ihnen den Plan erklären.“ Er verschwand in der Nacht. Das Rasseln seiner Rüstung und das Schlagen des Schwertes war das Einzige, was noch zu hören war. Kapitel 2: Freibeuter unter sich -------------------------------- Turamarth Ohtacaro stand am Bug seines Schiffes, der Schattengleiter, und starrte auf das Meer hinaus. Der Freibeuter war 24 Jahre alt, hatte kurzgeschorene, schwarze Haare, graue Augen, trug einen langen, schwarzen Mantel, ein blutrotes Hemd, schwarze Beinkleider und dunkelbraune Kalbslederstiefel. Durch seine Ohren waren Goldringe gestochen und ihm fehlte das linke Auge. Er war Kommandant von etwa 20 Piratenschiffen, die ihm Loyal dienten – wenn auch nur gegen Goldmünzen – und war auch unter dem Beinamen Turamarth der Schwarze bekannt. „Egal was du sagst, Geist, ich tue das hier nicht, um die verdammten Draconiar zu retten.“ sagte der Pirat zu der durchscheinenden Gestalt mit dem schwarzbraunem Haar, den tiefblauen Augen und der schwarzen Rüstung, deren Brustpanzer knapp unterhalb der Rippen einen furchtbaren Spalt hatte. „Ich weiß, Freibeuter.“ erwiderte die hohle Stimme des Geistes. „Ich tue dies, weil du zu Lebzeiten ein Freund meines Vaters warst.“ „Das ist mir klar, Junge.“ Die Gestalt ging um den Freibeuter herum. Die blauen Augen musterten den Seemann genau. „Du bist deinem Vater in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich.“ „PAH!“ Der Freibeuter spuckte über die Reling. „Mein Vater liebte seine Weißstern mehr als seine Familie. Sie war ihm wichtiger als alles andere. Bei mir und der Schattengleiter ist das anders. Ich habe keine Frau und kein Kind. Außerdem ist mir meine Mannschaft wichtiger als das Schiff.“ „Da bist du wahrlich anders als dein Vater“ Der Geist lachte auf. „Aber die Statur hast du von Devin.“ „Wärst du nicht schon tot, würd ich dich in Stücke hauen!“ grunzte der Freibeuter und spielte am heft seines Krummsäbels herum. „Ich lasse mich nicht gerne mit meinem Vater vergleichen, Wolfskönig.“ „Das habe ich gemerkt.“ Kai starrte auf die Fewallische Küste, die sich vor der Schattengleiter abzeichnete. „Du musst verstehen, was ich von dir verlange.“ „Ja ja. Du hast dort zwei Söhne, die du beide schützen willst und deshalb sollen meine Männer und ich uns einiger der mestalischen Schiffe annehmen.“ Turamarth stieß ein gelangweiltes Schnauben aus. „Das hast du mir schon auf dem gesamten Weg hierher eingebläut.“ Kai lachte auf. „So oft habe ich das schon?“ Sein Gesicht wurde ernster. „Um Sturm mache ich mir keine Sorgen. Er ist ein großer, starker Kämpfer. Rick hingegen…“ Er seufzte. „Egal… ich verlasse euch nun, aber denk daran ich werde dich und deine Leute beobachten Ohtacaro.“ Nach diesen Worten verschwand Kai. Der Pirat erschauderte. Die meisten Freibeuter waren abergläubisch und den Geist eines toten Königs an Bord zu haben galt bei ihnen als schlechtes Omen. „Ist er fort?“ fragte Sirith Targol, der erste Maat des Freibeuter-schiffes. Er war ein kräftiger, langer Mann – halb Fewalli, halb Wüstenreiter – mit langen, zu einem Zopf gebundenen, blonden Haaren und gelbgrünen Augen. Er war 29 Jahre alt und trug lediglich ein dünnes, blaues Leinenhemd und kurze, graue Lederhosen. Auf Schuhe verzichtete mit der Aussage, dass sie beim Klettern auf den Masten nur hinderlich seien. „Das war nicht gut, Tura. Er hätte nicht herkommen dürfen.“ Turamarth nickte. „Geister…“ Er erschauderte erneut. „Warum hab ich bloß so eine Anziehungskraft auf diese Typen?“ „Vielleicht ist dein Vater daran schuld.“ „Ach komm schon, Sirith, das glaubst du doch selber nicht.“ Der Kapitän drehte sich um. „Es ist nicht mal sicher, dass mein Vater tot ist. Du hast das Wrack der Weißstern auch gesehen. Das Rettungsboot fehlte und von meinem Vater gab es keine Spur.“ „War er der Grund, weshalb du so besessen auf den Meeren herumfährst?“ „Fängst du schon wieder damit an, Sirith?“ Turamarth sah den ersten Maat zornig an. „Nein, mein Vater hat nichts damit zu tun. Soll Devin der Seewolf doch auf dem Grund des Meeres oder sonst wo verfaulen. Mir ist es egal.“ „Du hättest diesen Geist doch fragen können, ob dein Vater noch lebt.“ „HA!“ Der Kapitän spuckte aufs Deck. „Eher lasse ich mich von den Mestalai einkerkern oder hängen oder sonst was.“ Sirith schüttelte den Kopf. „Dich soll mal einer verstehen, Tura.“ „Hoch mit dir auf den Großmast, du Affe!“ fauchte Turamarth dieser Unterhaltung überdrüssig. „Pass die Takelage an, damit wir ordentlich Fahrt aufnehmen können“ „Aye, Käpt’n!“ rief Sirith und hastete zum Großmast. Sirith Targol war ein guter Mann, aber für Turamarths Begriffe etwas zu neugierig. Sicher Neugierde war in manchen Situationen von erheblichem Nutzen – dank ihr hatten die Freibeuter schon einige feine Schätze finden können – aber sie konnte auch erhebliche Nachteile mit sich ziehen – Kerker zum Beispiel. Sirith Targol kletterte wirklich fast wie ein Affe. Hände und Füße benutzte er gleichermaßen, um sich festzuhalten. Als er an der Befestigung des Segels angekommen war, ließ er mit den Händen los und baumelte nun kopfüber am Großmast. Er fuhrwerkte an der Takelage herum und passte sie dem Wind an. Plötzlich machte die Schattengleiter einen Satz und raste über die Wellen. Sirith hielt sich immer noch nur mit den Füßen am Mast fest. Doch dann nahm er wieder die Hände zu Hilfe und begann mit dem Abstieg. Turamarth gab seinem Steuermann ein Zeichen und der untersetzte, glatzköpfige, dunkeläugige Heigani setzte Kurs auf die fewallische Küste. Einige Seemeilen vor der Küste steuerte er das Freibeuterschiff Richtung Westen, direkt auf die mestalische Flotte zu. Plötzlich gellte ein Ruf an Turamarths Ohr. „Ho, Kommandant!“ rief jemand über das Toben der Wellen. Turamarth wandte sich um und erblickte neben seinem Schiff die Seehase – ein weiteres Freibeuterschiff, dass zu seiner Flotte gehörte. An Deck stand ein großer, taogischer Mann mir einem mützenförmigen Helm auf dem Kopf. Er trug einen langen, grauen Hundeledermantel und schwenkte die Flagge des Raben – das Zeichen von Turamarths Freibeutertruppe. Turamarth ging zur Reling, legte die Hände wie einen Trichter an seinen Mund und rief: „Ho, Torben Rothals! Was führt dich in diese Gewässer?“ Seltsamerweise fingen die Namen aller Kapitäne in Turamarths Truppe mit einem T an, aber dies war keinesfalls beabsichtigt gewesen. Es hatte sich einfach so ergeben. Torben Rothals war der Erste gewesen, der sich Turamarths Freibeuterflotte angeschlossen hatte. Er war immer gut gelaunt – was nicht zuletzt an seiner Vorliebe für Rum lag. Turamarth dachte manchmal sogar, dass er Torben statt in Gold auch in Alkohol auszahlen könnte. „Na was schon?“ entgegnete der Kapitän der Seehase. „Du!“ „Ich habe dir doch gesagt, du sollst auf mein Zeichen warten wie alle anderen auch! Ich will die verdammten Mestalai in einen Hinterhalt locken, Rothals!“ „Ich weiß, Ohtacaro!“ Torben tat einen Schritt zur Seite. „Aber ich dachte, du solltest das hier sehen.“ Hinter ihm kniete ein gefesselter Mestalai. Daneben stand ein Freibeuter mit erhobenem Säbel. „Er hat sich auf unser Schiff geschlichen als wir vor Anker lagen. Hat versucht ein Loch in den Bug zu schlagen. Meinte, dass die Mestalai Bescheit wissen, über deinen Plan. Sagt, Ihr habet einen Spion an Bord.“ Turamarth war erschüttert. „Hat er gesagt, wer es ist?“ „Noch nicht.“ Torben dreht sich kurz um und redete mit dem Gefangenen. Einmal trat er ihm in den Bauch, dass der Mestalai sich krümmte. Dann drehte er sich wieder um. „Huldra!“ rief er zur Schattengleiter herüber. „Huldra Blutfaust! Er sagt, dass ihr viel Gold gezahlt wurde, damit sie euch verrät!“ Das überraschte Turamarth noch mehr. Huldra war eine gute Seglerin. Sie kannte jede Untiefe der mestalischen und fewallischen Küste, war immer loyal und arbeitete mehr als zufriedenstellend. Zum Glück hatte der Kommandant seine wahren Pläne bis lang nur Sirith und den Kapitänen der anderen Schiffe verraten und die waren schweigsam – vor allem nachdem Turamarth ihnen angedrohte hatte, ihnen allen die rechte Hand abzuschneiden, wenn sie redeten. „Danke, Torben! Verfahre mit dem Mestalai nach Belieben!“ Der Kommandant wandte sich Sirith zu, der mittlerweile wieder vom Großmast gestiegen war. „Hol mir Huldra her.“ „Was willst du denn von ihr, Tura?“ fragte der erste Maat verwirrt. „Sie soll doch darauf achten dass Hylo den Kurs beibehält.“ „Das ist meine Sache.“ Turamarth warf erst Hylo dem Steuermann, der grade etwas einwenden wollte, dann Sirith einen zornigen Blick zu. „Hol sie her, du Fischhirn. SOFORT!“ „Aye!“ Sirith raste zur Schiffsluke und verschwand unter Deck. Kurze Zeit später kam Sirith mit einer großen, rothaarigen Frau wieder an Deck. „Hier ist sie, Käpt’n.“ „Gut.“ Turamarth ließ sich Zeit. Er schaute hinüber zur Seehase, wo der Freibeuter mit dem Säbel seine Waffe niedersausen ließ und den Mestalai enthauptete. Als der Kopf des Mannes über das Deck rollte, wandte sich der Kommandant ab. „So, Huldra. Erklär mir mal wieso ein Mestalai sich auf eines meiner Schiffe schleichen und fast ein Loch in den Bug schlagen konnte.“ Huldra sah ihn verständnislos an. „Woher soll ich denn das wissen? Hat Torben wohl nicht richtig aufgepasst.“ Turamarth warf Sirith, der genauso überrascht war wie der Kommandant, einen Blick zu. Dann zog er eine Augenbraue hoch. „Ich habe nie gesagt, dass jemand sich auf die Seehase geschlichen hat.“ Huldra, der Lüge überführt, sprang zurück und zog ihren Säbel. „Ich geb’ es zu, ich hab’s verraten. Na und? Hab’ dafür aber auch eine feine Menge an Gold gekriegt.“ Sirith war sofort zur Stelle, packte Huldras Arm und verdrehte ihn ihr auf den Rücken. Der Säbel fiel zu Boden und Huldra schrie auf. Turamarth packte gleichgütig Ihr Kinn und drehte ihren Kopf in seine Richtung. „Du weißt, was jetzt passiert, oder? Natürlich, du hast es ja schon oft genug erlebt.“ Er zog seinen Säbel und legte ihn an Huldras linkes Ohr. Die Klinge schnitt schnell und sicher durch das Fleisch der Frau. Sie schrie nicht. Als das Ohr blutig zu Boden fiel, ließ Turamarth die Frau los. „Schneidet ihr ihre verräterische Zunge heraus und danach vier Tage ins Loch.“ sagte der Kommandant gleichgültig. „Aye!“ rief Sirith und stieß die Frau zurück zu Luke. Turamarth nahm das abgeschnittene Ohr auf seinen Säbel und warf es ins Meer. Aus den Laderäumen war das Schreien von Huldra zu hören. Doch nach kurzer Zeit erstarb es. Huldrah konnte nicht mehr schreien. Sicher die Strafe war hart, aber sie verhinderte, dass solche Dinge öfter vorkamen – seit sie eingeführt worden war hatten nur zwei einen solchen Verrat begangen. Eine Stunde später kam die mestalische Flotte in Sicht. Die Schattengleiter zog gleich mit der Seehase. Beide Freibeuterschiffe hielten mir Vollzeug auf die Kriegsschiffe zu. Dann gellte der Ruf „Piraten!“ über die Decks der mestalischen Schiffe. Zwanzig Schoner lösten sich aus der Flotte und hielten auf die kleineren Freibeuterschiffe zu. Sofort machten die Schattengleiter und die Seehase Kehrt und lockten die Schoner von der Flotte fort. „Soweit, so gut.“ sagte Turamarth. „Gebt Vollzeug!“ rief er den Männern zu. „Wir müssen sie weglocken!“ „Aye!“ riefen die Männer von den Masten. Immer wieder passten sie die Takelage an und so schossen die Piratenschiffe über die Wellen, während die Schoner etwas behäbiger hinterher jagten. „Hisst die Rabenflagge!“ befahl Turamarth. Augenblicklich wurde die Flagge mit dem Raben darauf hochgezogen und nur wenige Minuten später verzehnfachte sich die Zahl der Freibeuterschiffe. Die Piraten johlten und freuten sich über die schöne Verfolgungs-jagd mit den Mestalai. Als die fewallische Küste bereits eine halbe Stunde außer Sicht war, schoss Turamarth einen roten Pfeil in die Luft. Kurz danach drehten die Grazie und die Silberkrähe bei und fuhren auf die Schoner zu. Dieses Manöver sollte die Mestalai verwirren und den Vorsprung der Freibeuter vergrößern. Tatsächlich brachten die sich schnell nähernden Schiffe der Piraten die Schoner aus dem Konzept. Einer brach aus der Formation aus und rammte seinen Nachbarn. Beide Kriegsschiffe verkeilten sich ineinander und es war nur eine Frage der Zeit bis sie sanken. Turamarth grinste. „Zwei weg, fehlen noch achtzehn.“ sinnierte er. „Die kriegen wir auch noch unter.“ „Bist du da nicht etwas zu selbstsicher, Tura?“ warf Sirith ein. „Hast du mich jemals nicht selbstsicher erlebt, mein Freund?“ „Nein, hab’ ich nicht, Käpt’n.“ Sirith sprang auf die Reling und hielt sich mit seinen bloßen Füßen fest, während er sich weit herauslehnte und auf die Schoner starrte. „Immer noch so viele.“ Er grinste. „Das wird noch ein schöner Spaß werden.“ „Du bist mir gut, du Affe.“ lachte Turamarth. „Da sind einhundert Soldaten und Ritter auf einem Schoner und auf unseren Schiffen sind es höchstens fünfzig Freibeuter. Wir müssen sie erst noch ein wenig dezimieren.“ Targol der Artist stellte sich grade hin, stieß sich von der Reling ab, schlug einen Salto und landete sicher auf den Füßen hinter Turamarth. „Schade… Hatte mich schon drauf gefreut.“ „Geduld, mein Freund. Du kommst schon noch dazu, deine Kunststücke den Mestalai zu zeigen.“ scherzte der Kommandant. Er hob die Hand und schaute zum Mast hoch. „Schieß den Brandpfeil ab!“ rief er. „Aye, Käpt’n!“ rief der Mann im Ausguck und schoss. Die Grazie und die Silberkrähe drehten erneut bei und schlossen sich wieder der Flotte an. Die Greifentanz zog mit der Schattengleiter gleich und der Kapitän – eine Taogi von ungefähr 19 Jahren, die auf den Namen Teiri Teivor hörte, mit langen, silbernen Haaren und graublauen Augen – sprang auf Turamarths Schiff herüber. Sie verbeugte sich zum Gruß, wodurch die Goldketten klirrten und Turamarth der Schwarze einen beieindruckenden Blick in ihr Dekolletee, das nicht gerade klein war, erhaschen konnte. Der Kapitän der Greifentanz trug ein tief ausgeschnittenes, grünes Hemd, eine graue Leinenhose und braune Hirschlederstiefel. „Ich grüße dich Turamarth Ohtacaro der Schwarze.“ sagte sie, als sie sich wieder aufgerichtet hatte. Sie grinste, da sie genau wusste, worauf der Kommandant gerade gesehen hatte. „Du wolltest mich sprechen?“ „Aye.“ stotterte Turamarth und errötete. „Du musst mir einen Gefallen tun.“ „Welchen?“ „Ich hab’ da jemanden unter Deck, den ich nicht länger auf meinem Schiff haben will.“ „Warum?“ Sie sah den Kommandanten verwirrt an. Dann verfinsterte sich ihr Blick. „Verrat?“ Turamarth nickt ernst. „Wer?“ fragte sie düster. „Huldra Blutfaust.“ erwiderte Turamarth. „Hat uns verkauft. Kannte zum Glück unsere wahren Pläne nicht.“ „Übliche Strafe?“ Der Kommandant nickte düster. „Ohr ab, Zunge raus. Vier Tage Loch. Letzteres aber nicht hier. Loch auf der Greifentanz ist besser. Dunkler. Feuchter.“ Teiri dachte kurz nach, nickte dann nach einer Weile. „Aye, Kommandant. Hol’ sie gleich hoch. Bring’ sie dann rüber.“ „Wird sich zukünftig zweimal überlegen, was sie tut. Kann sowieso nix mehr sagen.“ Turamarth grinste Sardonisch. „Hat ja keine Zunge mehr.“ „Aye!“ Teiri Teivor lief zur Luke und öffnete sie. „Wo?“ Turamarth zuckte die Schultern. „Vermute Loch.“ Er sprach betont gleichmütig, was noch deutlicher machte, dass ihm das vermutliche Schicksal der Frau nicht interessierte – nur einer der beiden anderen Verräter hatte die vier Tage ohne Nahrung und Wasser in dem dunklen, feuchten Holzverschlag überlebt. „Verstanden, Kommandant.“ Wieder verbeugte sie sich, aber dieses Mal sah Turamarth absichtlich in eine andere Richtung. „Ich gehe sie holen.“ Teiri verschwand unter deck und kam kurz darauf mit einer blutüberströmten Huldra wieder herauf. „Welche Arbeit nach Loch?“ „Egal.“ erwiderte Turamarth. „Irgendeine. Was dir einfällt.“ „Aye!“ Teiri schob die Verräterin zur Reling und schubste sie hinüber auf die Greifentanz. „Auf einen guten Fischzug!“ rief sie zum Abschied und ging ebenfalls wieder an Bord ihres Schiffes. Gegen Abend hatten Turamarths Manöver bereits zehn der mestalischen Kriegsschiffe gefordert, ohne dass der Freibeuter auch nur den Verlust eines einzigen Schiffes zu beklagen hatte. Die Piraten waren nun kaum noch zu halten. Sie wollten sich die Ladung der verbleibenden Schoner holen und sie danach versenken. Turamarth hingegen war noch unentschlossen. Auf jedem der Schoner befanden sich vermutlich an die einhundert bis an die Zähne bewaffnete Soldaten. Sicher seine Freibeuter waren geschickte und wendige Kämpfer, aber sie waren noch immer in der Minderzahl. „Tura, lass sie uns kapern, bitte!“ rief Sirith, der mal wieder kopfüber am Großmast hing. „Es sind kaum Soldaten an Bord, ich hab’ beim Appell nachgezählt. Müssten ungefähr fünfzig pro Schiff sein.“ „Bist du dir da sicher, du Affe?“ rief Turamarth. Er glaubte nicht, dass es sich tatsächlich nur um mittlerweile fünfhundert Soldaten handelte. „Aye, Käpt’n!“ „Todsicher?“ „Aye, aye!“ Sirith baumelte beängstigend am Großmast und starrte auf die Schiffe. Die eine Hand hatte er über seine Augen gelegt, um besser sehen zu können, die andere steckte in seiner Hosentasche. „Auf dem ersten Schoner sind gut zehn Bogenschützen, fünfundzwanzig Schwertkämpfer und fünfzehn Lanzenkämpfer!“ Er kniff die Augen zusammen. „Auf den anderen sieht es ähnlich aus!“ „Gut!“ rief Turamarth. Er kratzte sich an seinem leicht behaarten Kinn. „Wir gehen weiter wie nach Plan vor. Versuchen noch zwei oder drei Schoner loszuwerden und locken die Restlichen in die Untiefe von Karass bei der Insel Sahohn. Dort müssten sie mit ihren schweren Schiffen auf Grund laufen. Dann greifen wir an.“ Jubel ging durch die Reihen der Freibeuter an Deck der Schattengleiter. Sofort setzte Hylo Kurs auf Sahohn. „Noch nicht, du Tintenfisch!“ brüllte Turamarth den stummen Steuermann an. „Erst noch der letzte Schachzug.“ Hylo nickte und drehte bei. Die Schattengleiter schoss wieder auf ihrem alten Kurs durchs Wasser. Kapitel 3: Ein Toter mischt sich ein ------------------------------------ Zornig stand der junge Prinz vor seinem Vater und seiner Mutter. Er war zehn Jahre alt, hatte dunkelgrüne Augen und Rehbraune, kurzgeschnittene Haare. Er trug ein goldbesticktes, weißes Wams, blaugefärbte Beinkleider und hohe, weiße Lederstiefel. „Aber Frederick darf doch auch gehen und gegen die Mestalai kämpfen.“ beschwerte sich der Junge. „Erstens, Gerik, hat Frederick seinen Leibwächter dabei.“ rief sein Vater, ein mittelgroßer Mann von 40 Jahren mit dunkelbraunem Haar und grasgrüne Augen, trug ein Hemd aus rotem Samt, schwarze Beinkleider, gleichfarbige Reitstiefel und einen goldbesetzten Umhang. Über sein linkes Auge verlief eine lange Narbe. „Zweitens bin ich nicht sein Vater, denn sein Vater ist seit zehn Jahren tot. Und drittens ist er bereits achtzehn Jahre alt.“ „Luk nun sei doch nicht so streng mit dem Jungen.“ warf die Frau an der Seite des Mannes ein. Sie war schlank, hatte rehbraunes Haar und dunkelbraune Augen. Sie trug ein langes, blauschwarzes Kleid, war ein Jahr älter als der Mann und an der Seite ihres Sitzes lehnte ein langer Stab auf dessen Spitze ein Rubin befestigt war. „Misch dich da bitte nicht ein, Kiddi.“ knurrte der König. „Und nun wieder zu dir, mein Sohn. Du gehst nicht – ich wiederhole: nicht nach Fewall, um zu kämpfen.“ „Aber Vater...“ setzte Gerik an. „Ich sagte NEIN!“ Luk ließ sich zurück auf seinen Thron sinken. „Verstehst du denn nicht, dass es zu gefährlich ist. Du bist erst zehn Jahre alt, hast keinen Leibwächter und über deine Fertigkeiten mit dem Schwert, der Lanze, der Armbrust, dem Bogen oder der Streitaxt brauchen wir hier ja wohl nicht zu sprechen.“ „Was ist denn so Besonderes an Fredericks Leibwächter?“ Der junge Mann machte ein beleidigtes Gesicht. „Dass er sein Halbbruder ist vielleicht?“ „Ich gebe zu, dass ich meinem Neffen in jeder Hinsicht vertraue, wenn auch nur, weil er nicht nach seiner Mutter sondern eher nach seinem Vater schlägt, aber das ist nicht der Grund.“ Luk hustete. Er war vor einem Jahr an einer Lungenkrankheit erkrankt und vertrug diese Aufregung mit seinem Sohn nicht. „Du gehst nicht, weil ich es sage und damit ist die Diskussion beendet!“ „Du bist ungerecht, Vater!“ schrie Gerik. „Du bist selbst nicht in der Lage um Taog zu beschützen und jetzt willst du es mit verbieten?“ „Gerik, versteh doch. Es ist nur zu deinem Besten.“ Der Junge schnaubte, drehte sich um und verließ wütend den Raum. „Was habe ich mit dem Kind bloß falsch gemacht?“ fragte Luk zweifelnd. „Der Junge ist zuviel mit meinem Neffen und dem draconischen Prinzen zusammen.“ „Also wirklich, Luk.“ ertönte eine hohle Stimme aus einer dunklen Ecke des Saals. „Jetzt gib aber bitte nicht meinen Söhnen die Schuld an dem Eigenwillen deines Kindes.“ „Kai, du mit deiner durchscheinenden Gestalt tauchst auch wirklich immer da auf, wo man dich am wenigsten erwartet.“ Luk legte eine Hand an seine Stirn. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du anklopfen sollst?“ „Nun, Luk“ – Kai kam in seiner zerstörten Rüstung aus dem Schatten – „wie du unschwer erkennen kannst, ist das mit dem Anklopfen für mich nicht so einfach.“ „Du hast dich sehr verändert, seit wir uns das letzte Mal sahen, alter Freund.“ Kai lachte. „Verändert? Ich bin gestorben. Da kann das schon mal passieren, dass man sich verändert. Das war immerhin ein – wie soll ich sagen – einschneidendes Erlebnis in meinem Leben.“ Luk legte den Kopf schief. „Aber zu Scherzen bist du immer noch aufgelegt, wie es scheint. Aber nun mal im Ernst, du bist doch nicht hier, um zu spaßen, oder?“ „Na so sehr scheine ich mich ja doch nicht verändert zu haben.“ sagte Kai heiter. „Du ließt in meinen Absichten ja immer noch wie in einem offenen Buch. Nein, du hast Recht, ich bin nicht hier, um zu scherzen.“ Kai kam näher. Seine toten, blauen Augen suchten die Umgebung ab. Als er sicher war, dass außer ihm, Luk und Kiddi niemand im Raum war, fuhr er fort: „Die Mestalai rücken vor, dass ist dir sicherlich längst bekannt. Sturm hat eine List ausgearbeitet mit der er versuchen will sie auszutricksen, aber ich bezweifele, dass dies etwas bringt. Die Draconiar sind in der Minderzahl. Sie sind nur Zwanzigtausend und der Gegner hat achtundzwanzigtausend Krieger. Sturm hat zwar dafür gesorgt, dass Rick in Sicherheit ist, indem er ihn zu Nogi geschickt hat, aber er selbst begleitet ihn nicht.“ Kai machte eine Pause und sah sich nochmals um. „Verstehst du, was ich meine? Der Junge braucht Hilfe. Unterstützung. Mehr Männer.“ „Und was soll ich nun deiner Meinung nach machen?“ Luk warf dem toten König einen fragenden Blick zu. „Nun sprich endlich, Mann.“ „Verstehst du das wirklich nicht, mein Freund?“ Der Geist ging um den Thron herum. Er schaute auf das Drachenbanner und dann wieder auf Luk. „Ich möchte dich bitten ihm einige Männer zu schicken.“ „Und wie sollen sie bitte deinen Bastard finden?“ „Ich bringe sie hin.“ Luk überlegte kurz. Dann nickte er. „Gut sechstausend Soldaten und Sturmreiter kann ich entbehren, denke ich.“ „Gut.“ Kai drehte sich um. „bring sie doch bitte auf dem Burghof zusammen.“ Er ging auf die Tür zu. Seine Schritte waren lautlos und hinterließen keine Spuren in dem feinen, weißen Sand, der im Thronsaal aus unerfindlichen Gründen ausgebracht worden war. Noch einmal wandte sich der Tote König um. „Ihr werdet Hilfe von unverhoffter Seite kriegen, Luk. Man könnte sagen, dass Devin der Seewolf wieder auferstanden ist.“ Luk sah ihn nur verwirrt an. Devin der Seewolf war doch vor drei Jahren mit seiner Weißstern in einen Sturm geraten. Kai hatte gesagt, dass keiner aus der Mannschaft überlebt habe. Kai selbst habe den Seefahrer in seinen letzten Stunden begleitet. Und nun sollte er wieder da sein? Das war für Luk zu hoch. „Das hasse ich an Geistern.“ knurrte Luk erbost. „Sie reden immer in Rätseln und Kai ist da wohl der Schlimmste von allen. Er bringt den Krieg über Taog.“ „Du tust ihm Unrecht, Liebster.“ setzte Kiddi dagegen. „Er ist seit zehn Jahren tot. Ist es nicht mehr gewohnt mit Lebenden zu reden.“ Sie legte ihrem Mann eine Hand auf die Schulter. „Im Übrigen weißt du gar nicht, ob er wirklich den Krieg bringen will.“ Luk seufzte. Er blickte Kiddi verzweifelt an. „Ich habe die Worte der Schwarzmagierin nicht vergessen, mein Herz. >Der gefallene Krieger bringt den Tod.< Ich bin mir sicher, dass sie Kai gemeint hat.“ „Luk, der Tod bringt auch neues Leben, vergiss das nicht. Hüte dich vor voreiligen Schlüssen.“ Ihre Hand grub sich schmerzhaft in seine Schulter. „Aber ich warne dich, mein Lieber, du bleibst schön hier. Du bist nicht in der Lage zu kämpfen.“ „Ist ja gut, ich habe es vernommen.“ knurrte er. „Jetzt lass mich los. Ich muss die Krieger zusammenstellen.“ „Ich behalte dich im Auge, mein Freund.“ Drohend hob sie ihren Stab. „Pass mir bloß auf.“ „Natürlich tue ich das, Schatz.“ Er stand auf und ging zur Tür. „Ich würde mir doch nie erlauben, gegen deine Anweisungen zu verstoßen.“ „Dann bin ich ja beruhigt.“ Luk ging hinaus. Ungeduldig wartend stand der tote König im Burghof, als Luk endlich aus der Burg kam. Hinter ihm stand regungslos ein schwarzer Nachtmahr. „Na endlich.“ knurrte Kai. „Ich dachte schon, ich müsste erst nochmals sterben, bevor du rauskommst.“ „Also dein Humor hat unter deinem Ableben jedenfalls nicht gelitten, du Scherzkeks.“ erwiderte Luk. „Gibt es überhaupt irgendwas, worüber du keine Scherze machst?“ „Allerdings.“ setzte Kai dagegen. „Über meine Beisetzung.“ Luk sah ihn erstaunt an. „Ich dachte, dass ist unter Geistern der größte Witz überhaupt.“ „Dem ist auch so.“ „Und warum scherzt du dann nicht darüber?“ „Ganz einfach.“ Kai grinste. „Man kann sagen, dass ich buchstäblich zu spät zu meinem eigenen Begräbnis gekommen bin.“ Luk sah ihn eine Weile lang fassungslos an. Dann brach er in Gelächter aus. „Ist das dein Ernst? Wie hast du denn das geschafft?“ „Hab mich auf dem Weg dahin verlaufen.“ Kai kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Der Weg von meinem Schlafzimmer zur Gruft ist leider sehr verzweigt und da bin ich wohl falsch abgebogen.“ Kai grinste wieder. „Aber sag mal, wo hast du die Männer gelassen?“ „Sie werden gleich kommen, alter Freund.“ erwiderte der Drachenkönig. Er zog sein Schwert hervor und starrte gedankenverloren auf die Klinge, die einst seiner Schwester gehörte. „Denkst du immer noch an sie?“ Kai sah Luk besorgt an. „Lass die Toten ruhen.“ „Das musst du gerade sagen, Kerl.“ Luk warf dem Geist einen erheiterten Blick zu. Danach schaute er wieder finster auf das Schwert. „Ich habe gehört, Sturm verachtet seine Mutter.“ „Wer will es dem Jungen verdenken?“ Kai breitete die Arme aus. „Sie hat ihn nach seiner Geburt weggegeben, dafür gesorgt, dass er weiß, wer seine Eltern sind und sich danach nicht mehr um ihn gekümmert.“ „Und was ist mit dir? Du hast dich zu Lebzeiten auch nicht um den Jungen gekümmert. Wieso verachtet er dich nicht?“ „Was ich im Leben nicht getan hab, kann ich im Tode zwar nicht mehr ändern, aber ich hole es nach.“ Kai ließ sich auf die Staubige Erde fallen. „Mag sein, dass mich Sturm deshalb nicht so sehr hasst.“ „Eine Frage habe ich noch, Kai.“ „Sprich. Ich höre dir zu.“ „Was ist eigentlich aus Schadow geworden und warum hast du Sturm und nicht Frederick Jero, Fremder und den Drachenstein gegeben.“ „Das sind aber schon zwei Fragen, mein Freund.“ Kai lachte hallend. „Na egal, ich werde sie dir beantworten. Was Schadow angeht. Der alte Wolf hat sich in die Wälder zurückgezogen, wie es alle Nachtwölfe tun, wenn ihr Herr gestorben ist. Er wird noch eine ganze Weile um mich trauern. Na ja er ist ein unsterbliches Wesen und ich war sein erster Herr. Die Sache mit Sturms Erbe ist schnell erklärt. Fremder lässt ihn auf seinem Rücken zu, was ja seltsam ist bei dem Teufel. Jero habe ich dem Jungen gegeben, weil Rick bereits ein Schwert hat und – obwohl ich nicht gutheiße, was sie getan haben – haben die Wüstenkrieger ihm einiges beigebracht unter anderem auch, dass man eine Waffe nicht als toten Gegenstand, sondern als Verlängerung des Armes betrachten muss. Er kennt diese Waffe in und auswendig. Hätte ich ihm Jero gegeben, wäre das Schwert, das einst meinem Vater gehörte, für ihn wie ein Fremdkörper gewesen. Also behält er sein Schwert Thermar. Und der Drachenstein… na den hab ich ihm gegeben, weil er Palant beherrschen kann, eine Sache, die ich Rick nicht zutraue.“ „Ich habe auch gehört, dass dein Sohn den Anführer der Wüstenreiter in die Königliche Garde aufgenommen hat.“ Der Drachenkönig steckte das Schwert wieder weg. Kai schnaubte. „Noch so eine Entscheidung von Rick, die ich beim besten Willen nicht gutheißen kann. Mir soll’s recht sein. Er ist mit diesem Selev befreundet und außerdem geht mich die Politik nichts mehr an. Die Menschen lassen sich wohl kaum von einem laufenden Leichnam regieren.“ Der Tote streckte sich. „Aber nun genug von mir. Wie geht es deinen Kindern so?“ „Was Tinka angeht. Nun ich glaube, dass sie sich verliebt hat.“ „Verliebt? In wen?“ „Na nun denk doch mal nach, du wandelndes Madenbankett.“ Kai dachte kurz nach. Plötzlich riss er die Augen auf. „Nicht dein Ernst, oder?“ „Doch. Sie hat sich in deinen Jungen verguckt.“ Luk seufzte. „ich fürchte nur, dass sie sich zu große Hoffnungen macht.“ Er senkte den Blick. „Was Gerik angeht… ich weiß nicht, was ich mit dem Kind falsch gemacht habe. Er ist ein Dickkopf. Rennt immer gegen Mauern an.“ „Lass ihn doch mit mir reiten.“ Kai grinste. „Soll er doch sehen, was er da von dir verlangt.“ „Ist jetzt auch das letzte Bisschen Hirn in deinem toten Schädel verfault?“ fuhr Luk auf. „Hast du eine Ahnung, was Kiddi mit mir macht, wenn dem Jungen etwas zustößt?“ „Sie hängt dich wahrscheinlich an den Palisaden auf.“ Kai stand auf, ging zu dem Nachtmahr und strich dem mythischen Tier über das Maul. „Keine Panik, mein Freund. Ich werde schon auf deinen Sohn aufpassen.“ „Da kann ich ja gleich einen Wolf einsetzen um Schafe zu hüten.“ „So schlimm bin ich doch auch nicht.“ Der Tote sah sein Gegenüber beleidigt an. „Ich kann auf deinen Sohn schon aufpassen.“ „Ich entscheide selbst, wer meinen Sohn schützt, Kai. Im Übrigen bist du mir seit deinem Tod etwas zu sorglos geworden. Du kannst vielleicht nicht mehr sterben, aber Gerik kann immer noch umkommen. Er ist noch kein Geist, wie du oder Lord Vortem.“ „Wage es nicht noch einmal, meinen Namen im selben Atemzug wie den dieses verfluchten Ritters zu nennen!“ fuhr Kai auf. In seiner Wut begannen seine Augen eisblau zu leuchten. „Ich bin aus freien Stücken zurückgekommen Er hingegen ist gezwungener Maßen noch auf dieser Welt.“ „Warum bist du denn so empfindlich?“ Luk wich erschrocken einen Schritt zurück und starrte Kai verängstigt an. „Du weißt, wie ich das gemeint habe. Ich wollte dich nicht mit dem verfluchten Ritter vergleichen.“ „Das will ich dir auch geraten haben, mein Freund.“ Kai Augen hörten auf zu leuchten. „Tut mir leid, wenn ich dich erschreckte. Nur, ich bin dieser Vergleiche mit Vortem langsam überdrüssig.“ „Das kann ich verstehen.“ Luk seufzte. „Die Männer werden gleich kommen. Du solltest dich bereitmachen.“ Er drehte sich um und wollte gehen. „Ach und Kai. Pass gut auf Gerik auf.“ „Wie auf meinen eigenen Sohn.“ Kai stieg auf den Rücken des Nachtmahrs. Genau das befürchte ich. dachte Luk und ging wieder in die Burg zurück. Kapitel 4: Ritter ohne Furcht und Reue - Sturms Auftrag ------------------------------------------------------- Sturm ritt allein an der Küste entlang und beobachtete die Zweihundertachtzig mestalischen Kriegsschiffe, die sich langsam dem Strand näherten. Seine Hand ruhte auf Jeros Heft. „Dieser Drache ist zu mindest kein guter Zähler.“ knurrte er und zügelte seinen Rappen. „Dreihundert! Dass ich nicht lache. Das sind zweihundertachtzig und nicht mehr.“ Ein Pfeil flog durch die Luft und verfehlte Sturms Helm nur um zwei Finger. Der Rappe stellte sich auf die Hinterläufe und wieherte. „Was sollte as, du Ausgeburt des Bandas?“ schrie eine wütende Männerstimme vom vordersten Schiff. Sturm erkannte wie sich ein Mann mittleren Alters mit kahl rasiertem Schädel zu ihm umdrehte und den draconischen General anfunkelte. „Wer seid Ihr?“ fragte er laut. Sturm zog das Schwert seines Vaters und hielt es über seinen Kopf. „Sturm Schattenklinge!“ rief er so laut wie er konnte. „Und wer seid Ihr?“ Der Mestalai zog eine Augenbraue hoch. Ein nervöses Raunen ging durch die Reihen der Männer. „Schattenklinge, was?“ Der Krieger spuckte aus. „Ihr seid eine lebende Legende, Bastard des Wolfskönigs! Mein Name tut nichts zur Sache.“ „Da wir uns jetzt vorgestellt haben, schlage ich vor, Ihr kommt her und stellt Euch mir zum Kampfe!“ brüllte Sturm. „Oder seid Ihr zu feige, um gegen einen einzelnen Mann anzutreten?“ Der Mestalai fletschte die Zähne. Er schien Sturm mit seinem Blick zu durchbohren. „Ich zeige Euch, wie feige ich bin!“ schrie er wutentbrannt. Er sprang über die Reling ins seichte Wasser. „Anlegen! Sammeln! Marsch!“ Darauf hatte Sturm gewartet. Der Mestalai war blind vor Wut. Er sah nur noch den Ritter, der sich über ihn amüsierte, nicht aber den drohenden Hinterhalt, der doch so offensichtlich war wie ein Drache auf einem Kornfeld. Er hatte sein Todesurteil bereitwillig unterzeichnet. Aufmerksam sah der draconische Ritter zu, wie Pferde von den Schiffen gebracht wurden. Kisten mit Waffen, Rüstungen und anderen Dingen wurden abgeladen und schließlich folgten die Soldaten. Achtundzwanzigtausend mestalische Krieger – berittene wie auch Fußsoldaten. Als alle Mestalai an Land gegangen waren, rief Sturm heiter: „Und nun? Braucht ihr feigen Hunde eine ganze Armee, um einen einzigen Krieger zu besiegen?“ Das brachte das Blut des mestalischen Befehlshabers zum kochen. Hasserfüllt starrte er Sturm an. „Packt ihn!“ brüllte er. „Er soll seinen Hochmut teuer bezahlen.“ Der General selbst stieg auf einen großen Falben und galoppierte an die Spitze. Sturm zog an den Zügeln seines Rappen und das alte Jagdpferd galoppierte zum Wald. „Und wer ist jetzt feige, Schattenklinge?“ hörte Sturm den Mestalai hinter ihm herschreien. Dann noch einige anspornende Befehle, dass die Krieger den dreisten Draconiar doch endlich ergreifen sollten. Sturm selbst, grinste unter seinem dunkelblauen Helm und trieb Fremder weiter an. Die Hufe des Rappen trommelten auf den trockenen Boden der fewallischen Ebene. Schaumiger Speichel tropfte aus dem Maul des Hengstes und verzierte seine Brust mit weißen Flecken. Auf einem Hügelkamm hielt Sturm an und sah nach hinten. die Mestalai folgten ihm tatsächlich. Etwas langsamer zwar, aber sie folgten. Gut. dachte der draconische General. Hoffen wir, dass Hauptmann Acsa sich wenigstens dieses eine Mal genau an den Plan hält und nicht wieder irgendwelche komischen Sachen vorhat. Sturm wartete auf dem Hügelkamm ab. Er ließ die Mestalai bis auf ein paar hundert Meter herankommen und trieb sein Pferd dann erneut an. „Bleibt stehen, Schattenklinge!“ brüllte der Mestalai auf seinem vor Schweiß dampfenden Falben. Er klang als sei er etwas außer Atem vom vielen Rumgebrülle und der verruchten Sommerhitze des Kontinents des Feuers. „Ihr entkommt uns ohnehin nicht!“ Sturm ließ Fremder abermals anhalten. Stellte ihn senkrecht zu den herannahenden Mestalai und rief mit einem schalkhaften Unterton: „Der Javin in diesen Gefilden scheint weder Euch noch Eurem Pferde wirklich zugute zukommen, Herr! Wollt Ihr Euch nicht wieder in Euer kühles Mestala verkriechen, wie die Sandratten in ihre unterirdischen Bauten?“ Ein weiterer Ruck an den Zügeln und das schwarze Pferd setzte sich wieder in Bewegung. Den Hang hinab und dann durch einen Pass von mehreren hohen Hügeln. Hier lag die erste Einheit unter Führung von Acsa dem Grausamen auf der Lauer und wartete auf die Nachhut. Unbehelligt ritt Sturm hindurch. Die berittenen Mestalai, die etwa zwanzigtausend Krieger ausmachten, folgten ihm so, dass Sturm nur Knapp außerhalb der Schussweite ihrer Bogen und Armbrustschützen war. Nach einiger Zeit war weit hinter ihnen zu hören, wie Horn auf Stahl traf. Acsa und seine Getreuen ritten die Fußsoldaten nieder. Es dauerte nur wenige Lidschläge und der Lärm war verstummt. Nun würden sich die draconischen Krieger hinter den Mestalai in Stellung bringen und ihnen folgen. Zu Sturms Erstaunen störte sich der Befehlshaber der feindlichen Truppen nicht daran, dass seine Nachhut scheinbar niedergemäht worden war. Es stachelte seine Wut zwar noch mehr an, aber er drehte nicht um, sondern trieb seinen Falben nur noch verbissener an. Eine weitere Senke. Ein weiterer Hinterhalt. Sturm ließ seinen Rappen in der Mitte der Senke anhalten und wendete ihn schnell auf der Hinterhand. Er schaute zu einer Hügelkuppe hinauf und sah die durchsichtige Gestalt auf dem Nachtmahr erwartungsvoll an. Das mythische Tier hob den Kopf und schaute Sturm direkt an. Auch der tote Krieger wandte den Kopf in Sturms Richtung. Er hob sein Schwert – die legendäre Klinge mit dem Namen Drachenzahn – über seinen Kopf. Der Nachtmahr stellte sich auf die Hinterläufe. All dies waren Zeichen dafür, dass der junge Draconiar den Segen seines Vaters hatte. Schade, dass er nicht mitkämpfen will. dachte Sturm. Vater wäre garantiert ein großer Vorteil gegenüber den Mestalai, aber er muss ja den Aufpasser für meinen Vetter spielen. „Ah! Stellt Ihr Euch doch endlich Eurem unausweichlichen Schicksal, Schattenklinge?“ fragte der mestalische General, der nun Sturm genau gegenüberstand. „Bevor ich auf diese Frage antworte, will ich Euren Namen wissen, Herr.“ erwiderte Sturm trocken. „Den Gefallen will ich Euch gern tun. Ihr sollt doch wissen, wer Eurem schäbigen Dasein ein Ende bereitete.“ Der Mestalai machte eine großartige Geste und verbeugte sich im Sattel. „Firion Galador nennt man mich.“ „Gut, dann weiß ich ja jetzt, wessen Namen ich auf den Grabstein gravieren lassen muss.“ Sturm hob Jero mit der rechten Hand über seinen Kopf. Gleichzeitig packte er mit der Linken sein Amulett, das daraufhin ein gleißendes Licht ausstrahlte. „Was habt Ihr vor, Schattenklinge?“ „Ihr werdet es erleben, Firion Galador. Ihr werdet es erleben und es wird nahezu das Letzte sein, das Ihr erlebt.“ „Das wollen wir doch erst einmal sehen, Ritter!“ Das Licht wurde schwächer. Sturm hatte die Hand von dem Amulett gelöst. Sein Schwert war auf den mestalischen General gerichtet. Ein Abgrund des Schweigens tat sich zwischen den beiden Generälen auf. Und dann kam der Drache und mit ihm die draconischen Reiter, angeführt von Mandos dem Tier – den Beinamen hatte er seiner rücksichtslosen Art zu kämpfen zu verdanken. Er war ein stattlicher Mann von 30 Jahren mit grünen Augen und rotblondem Haar. „General Schattenklinge?“ rief er. „Ihr habt nach uns verlangt. Hier sind wir.“ „Gut.“ erwiderte Sturm. „Ich dachte schon, ich müsste mich allein mit diesen Herrschaften vergnügen.“ „Das könnte Euch so passen, General!“ erklang die tiefe Stimme von Hauptmann Acsa – einem großen, kräftigen Mann mit blaugrauen Augen, kurzgeschorenen, schwarzen Haaren und einem dünnen Dreitagebart. „Wir wollen doch auch unseren Spaß.“ Sturm blickte zu einer der Hügelkuppen hinauf. Hauptmann Acsa saß in seine typische, graue Rüstung gekleidet, ohne Helm und Standarten auf einem mächtigen Apfelschimmel. In beiden Händen hielt er jeweils ein Breitschwert. Die Zügel des Schlachtrosses hingen lose um den Hals des Tieres. Acsa war ein Mann, der in allem einen Grund zum scherzen fand, aber im Kampfe ein Gegner war, den man tunlichst nicht unterschätzen sollte. „Ihr kommt spät, Acsa!“ rief Sturm. „Solange noch ein oder auch zwei Feinde übrig sind, bin ich nicht zu spät.“ griente der Helmlose Hauptmann. „Hörn wir jetzt endlich auf Maulaffenfeil zu halten und gehen zum lustigen Teil dieses Tages über?“ fragte Sturm. Jero lag locker in seiner rechten Hand, die Linke hielt die Zügel des tänzelnden Rappen straff. „Ich brenne vor Ungeduld.“ „Und das ausgerechnet von Euch, der Ihr doch immer sagt, Geduld sei das Wichtigste, um einen Kampf zu gewinnen.“ Sturm schaute sich um, überflog kurz die Reihen der Mestalai, danach die seinen. „Nun Firion, es scheint, als wäret Ihr in der Minderzahl.“ erklärte Sturm. „Findet Ihr nicht, es wäre klüger aufzugeben?“ „Ich sehe bei Euch aber lediglich sechsundzwanzigtausend Mann. Ich hingegen verfüge mit meinen Fußtruppen über achtundzwan-zigtausend. Demnach sind wir in der Überzahl.“ erwiderte Firion Galador. Acsa brach in Gelächter aus. „Eure Fußsoldaten sehen sich bereits die fewallische Erde von der Hölle aus an. Ihre stinkenden Leichen sind nur noch Asche.“ höhnte er. „Ach ja? Und woher wollt Ihr das wissen?“ „Ganz einfach, Herr General. Ein kleiner Hinterhalt, erdacht von meinem General Sturm Schattenklinge. Wir haben gewartet bis die Hauptstreitmacht an uns vorbei war und sind dann über die Fußtruppen hergefallen, haben sie niedergemäht, ihre Leichen aufgestapelt und angezündet.“ „Ihr feigen, draconischen Hunde!“ Er warf Sturm einen hasserfüllten Blick zu. „Ihr seid ein verdammter Bastard. Ihr seid der Sohn einer draconischen Dirne und eines feigen Säufers!“ „Ein Bastard bin ich wohl, aber meine Mutter war keine Dirne und mein Vater war kein Säufer.“ Sturm ließ Fremder etwas auf den mestalischen General zutrotten. „Meine Mutter war die überall gefürchtete Drachenfürstin und mein Vater war der Halbsterbliche, der Herr der Finsternis, der Krieger der Mächte, der Wolfskönig.“ Bei jedem Schritt den der Rappe vorwärts machte, wich der Falbe einen zurück. Plötzlich machte das schwarze Tier einen Satz zur Seite. Hinter ihm kam der geöffnete Rachen Palants zum Vorschein. Orangeglühend zuckte die gespaltene Zunge kurz an den Gaumen. Sturm war immer wieder fasziniert von dem Schauspiel, das sich ihm nun bieten sollte. Feuer schoss aus dem Schlund des Drachen. Dieser bewegte seinen Kopf seitwärts und so entstand vor den Draconiarn eine Feuerwand, die Sturms Truppe von den Mestalai trennte. „Steig auf!“ befahl Sturm dem Drachen, als die Flammenwand bis zu vier Meter hoch loderte. Wie du wünschst, Herr. erwiderte Palant, spreizte die Flügel, stieß sich ab und erhob sich in die heiße Luft. Der Plan, den Sturm erdacht hatte, sah vor, dass Palant die Mestalai auf die Flammen zutrieb – in der Hoffnung, dass die Pferde scheuten und ihre Reiter abwarfen. Um die, die danach noch standen oder im Sattel saßen, kümmerten sich dann die draconischen Reiter. Acsa sollte seine Leute im wilden Galopp durch die Flammen führen und jeden Feind niederschlagen, den sie im Vorbeireiten erwischen konnten. Sturm hingegen würde warten, bis entweder Acsa und seine Männer zu ihm gestoßen oder die mestalischen Krieger durch die Flammenwand gebrochen waren. Erwartungsvoll starrte der General auf die Flammen, hinter denen das Geklapper von Pferdehufen, lautes, verängstigtes Wiehern und das Scheppern von Metall ertönte. Dann: Stille. Ein einzelner junger Mestalai stolperte durch die Feuerwand. mit leeren, blinden Augen wankte er auf Sturm zu. Kurz vor dem schwarzen Pferd brach er auf die Knie. Sturm ritt ungerührt ein Stück auf ihn zu, stieg ab und stellte sich mit gesenktem Schwert vor den Mestalai. „Wer bist du?“ fragte der General streng. Die blinden Augen des Jüngeren richteten sich auf Sturm. Eine seltsame Hoffnung lag in ihnen. „General, seid Ihr das?“ fragte er fast sehnsüchtig. ein diabolisches Grinsen Zeichnete sich unter Sturms Helm auf seinem Gesicht ab. Er würde nicht lügen, wenn er sagte, dass er der General sei. „Ja. Was ist passiert?“ „Sie sind alle tot, Herr. Alle Zwanzigtausend.“ Der Junge griff nach Sturms Beinen, verfehlte sie aber. „Die Feuerwand. Wir… wir wurden darauf zugetrieben. Die Pferde scheuten. Männer fielen in die Flammen. Verbrannten unter schaurigen Schreien. Dann die Reiter. Ich… ich sah Köpfe über den Boden rollen, Blut spritzen. Ich rannte ins Feuer. Dann sah ich nichts mehr.“ „Alle tot? Wirklich alle?“ Sturm war bemüht nicht zu erfreut zu klingen. „Ja, Herr, alle. Nicht einer lebt noch.“ Die Augen des Mestalai klärten sich wieder. Plötzlich erkannte er, dass er nicht mit dem mestalischen General sprach und begann zu winseln: „Ihr Götter. Bitte, Herr Ritter, lasst mich leben. Ich flehe Euch an tut mir nichts.“ In Sturm kam das Erbe seiner Mutter wieder hoch. Er empfand kein Mitleid mit dem winselnden Mestalai. Empfand keine Reue, wenn er daran dachte, was er nun vorhatte. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. gleichgültig hob er Jero empor und ließ das Schwert niedersausen. Ohne Probleme durchdrang die Klinge Haut, Muskeln und Knochen. Mit gespaltenem Schädel fiel der Mestalai nach vorne in die heiße Erde. Sturm hob den Toten am Kragen hoch und warf ihn gleichmütig in die langsam erlischenden Flammen. Danach stieg er wieder auf Fremders Rücken und trieb den Rappen auf die Flammen zu. Anstandslos sprang das mächtige, schwarze Ross durch das Feuer hindurch und landete dahinter auf einem blutigen Schlachtfeld. Die draconischen Reiter hatten bereits angefangen, die Toten ins Feuer zu werfen. Überall lagen tote oder verwundete Mestalai und Pferde. Einige Reittiere irrten Herrenlos umher. Acsa ging zwischen den Toten und Verletzten herum und schnitt jedem, der sich noch rührte – egal ob Mestalai oder Tier –, die Kehle durch. Sturm ritt zu ihm. „Verluste?“ fragte er, als er bei dem Hauptmann angekommen war. „Eins meiner Schwerter.“ knurrte Acsa. „Ist mit einem dieser Hunde ins Feuer gefallen. Wer ist überhaupt auf diesen idiotischen Plan gekommen?“ „Ich wenn es recht ist.“ Sturm grinste. Dann wurde sein Gesicht wieder ernster. „Also keine menschlichen Verluste. Wie sieht es mit Verletzten aus?“ „Vorläufig ein zertrümmerter Arm und fünfunddreißig Hieb- und Stichwunden.“ Acsa beugte sich kurz über einen Mestalai, um zu kontrollieren ob dieser tatsächlich noch lebt. Sein Schwert wurde in einem kurzen Bogen geschwungen und zerschnitt die Kehle des sterbenden Kriegers. „Also nichts Weltbewegendes.“ Sturm nickte zufrieden. „Morgen reiten wir zurück nach Fewall.“ Er wendete sein Pferd, ritt wieder auf die nun nur noch gut einen Meter hohe Feuerwand zu und ließ Hauptmann Acsa mit seinem blutigen Handwerk allein. Wieder errege das Eintreffen der draconischen Armee großes Aufsehen unter den Einwohnern der Stadt – nicht zu letzt weil sie mehr Pferde als nötig bei sich hatten und einige Soldaten an verschiedenen Stellen von kleineren und größeren Wunden geziert wurden. Vielleicht lag es aber auch an den taogischen Sturmreitern, dem Nachtmahr und der Tatsache, dass der Prinz der Taogi sie begleitete. Sturm fielen ein Fuchs und ein Hirsch auf, die neben der Villa seines Schwiegervaters auf einer Wiese standen. Sieht so aus, als habe Nogi den Kleinen hierher gebracht. dachte er. Er stieg ab. „Sucht euch eine Übernachtungsgelegenheit.“ befahl er seinen Männern. „Wir werden vorerst hier bleiben.“ Danach brachte er seinen Rappen auf die Wiese zu dem Hirsch und der Fuchsstute. Nun ging er zur Eingangstür und klopfte an – sein berühmtes Klopfen, das so schien als wollte er die Türe einschlagen. Ein goldhäutiger, kleiner Mann mit rotgelben Augen, Erdbraunen Haaren, weißer Lederweste und gleichfarbiger Lederhose öffnete die Tür. „Is urf nur, Jeranus.“ sagte der Fremde. „Vo on cina nur er piran.“ Sturm, der das Freder nicht sonderlich gut beherrschte, brauchte einige Zeit, um die Worte des Baumspringers zu begreifen. „Seid auch Ihr gegrüßt, Nogi Tsi-reveon.“ erwiderte er. Nogi grinste. „Tritt ein, junger Freund.“ Der Freder trat ein Stück zur Seite. „Der draconische Thronfolger, deine Gemahlin, dein Sohn und Yakim von Fewall warten bereits.“ Er blickte an Sturm vorbei. Ein freudiges Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „On urf, in rai!“ rief er und winkte. „Komm auch du herein und bring den Prinzen Taogs gleich mit.“ „Tal, Nogi!“ erwiderte Kais hohle Stimme. Er stieg von seinem Nachtmahr, bedeutete dem jungen Prinzen ihm zu folgen und kam zum Haus. „Du bezeichnest mich immer noch als Freund, obschon ich tot bin?“ „Mein Volk nimmt das mit der Freundschaft sehr ernst, Kai.“ Der Freder sah den Toten gekränkt an. „Du bist tot, na und? du bist immer noch mein Freund. Doch jetzt kommt rein, hier draußen lässt es sich schlecht reden.“ Sturm war der erste, der eintrat. Ihm folgten Kai und Nogi. Gerik kam etwas später. Der junge Prinz schloss abwesend die Tür und lief den anderen hinterher. Nogi führte sie in den Speisesaal – ein großer Raum in dessen Mitte ein langer Tisch mit etwa 20 Stühlen stand. Am hinteren Ende saßen drei Personen. An drei weiteren Plätzen stand ein Glas mit Wein. Ein Dreijähriger spielte in der hintersten Ecke. Als Sturm eintrat, stand die Frau auf der linken Seite auf, rannte auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Vollkommen verdutzt stand der General da. „Juscha?“ fragte er unsicher. „Was ist denn?“ „Ich hatte solche Angst um dich, du alter Esel.“ schluchzte sie. „Frederick hat mir von den Mestalai erzählt und auch, dass sie in der Überzahl waren. Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen.“ „Lass den Jungen doch erst einmal ankommen, Tochter.“ rief Yakim vom anderen Ende des Raumes. „Lasst ihnen diese Freude, alter Mann.“ sagte Nogi und nahm auf einem der freien Stühle platz. „Ihnen wird nicht viel Zeit für Wiedersehensfreude bleiben.“ „Wie meinst du das?“ Sturm löste sich aus der Umarmung seiner Frau. „Ich habe doch wirklich noch mehr als genug Zeit!“ „Setz dich, Jeranus.“ Der Freder deutete auf den Stuhl ihm gegenüber. „Ich muss dir und deiner Familie etwas mitteilen.“ Mit einem verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht setzte sich der General gegenüber von Nogi. Seine Frau nahm zu seiner Linken Platz. Gerik setzte sich auf die rechte Seite Nogis und Kai lehnte sich einfach gegen eine der Wände. Nogi beugte sich zu Sturm vor. „Sag mir, Junger Sterblicher, hast du schon einmal etwas von dem Buch der Prophezeiungen gehört?“ „Um ehrlich zu sein, nein.“ erwiderte Sturm. „Worum handelt es sich dabei?“ Nogi lehnte sich wieder zurück. „Vor einhundertzweitausend Jahren herrschten auf der Erde zwei Völker: Die Klirak – Dämonen wie ihr sie nennt – und die Erwig – ihr bezeichnet sie als Engel. Die Welt war gespalten in zwei Reiche: Das Reich der Schatten, wo die Dämonen herrschten und Drachen, Nachtwölfe, Nosins, Gräbber, Berglöwen, Kun-Ris und andere Geschöpfe von Finsternis und Nacht lebten, und das Reich des Lichts, wo die Engel herrschten, wo Menschen, Freder, Hirsche, Waldgeister und allerhand andere Wesen – von denen einige längst nicht mehr existieren – lebten und wo die Natur blühte und gedieh. Es gab damals keinen Tag und keine Nacht nur ewige Finsternis oder immer währendes Licht. Es gab anfangs auch keine Kriege. Doch dann wollten die Dämonen mehr. Die ganze Welt sollte ihnen gehören. Einige der Drachen waren dagegen und schlugen sich ebenso wie sämtliche Nachtwölfe, die zu jener Zeit ihre Partnerschaft mit den Menschen eingingen, auf die Seite der Erwig. Über dreihundert Jahre wurden Kriege zwischen beiden Welten ausgetragen. Am Ende des dritten Jahrhunderts gelang es den sieben verbliebenen Engeln die Dämonen für ewig in das Innere des Planeten zu sperren und die Welt in ewigen Tag zu hüllen. Doch das Licht zerstörte die Wesen der Dunkelheit. Mitleidig schufen die Sieben eine Zeit der Dunkelheit und eine Zeit des Lichts. Diese beiden wechselten sich fortan ab. Aber diese Tat hatte die Engel den letzten Rest ihrer Kräfte gekostet und die Dämonen versuchten die Barriere zwischen ihrer Welt und der Oberwelt zu sprengen. So schufen die Erwig das Buch der Prophezeiungen – in weiser Vorrausicht, dass die Zeit der Rückkehr für die Klirak kommen würde – und verbargen es in einer Schatulle neben dem Portal zur Unterwelt.“ „Und was hat das alles mit mir zu tun?“ Sturm sah den Freder streng an. „Was willst du von mir?“ „Kannst du dir das nicht denken, Junge?“ Kai stellte sich hinter Nogi. „Die Zeit der Wiederkehr für die Dämonen ist nahe. Es ist überliefert, dass nur ein Mann, der zwei Völker in sich vereint, der zwar der älteste Sohn eines Königs ist, aber nie ein Reich regieren wird, ein Mann von – vergib mir diese Wortwahl – ehrloser Geburt, das Buch zurückzuholen vermag.“ Sturm sah seinen toten Vater erschüttert an. „Du wusstest davon? Warum hast du mir nichts gesagt?“ „Weil ich nicht konnte… Ich wollte dich nicht von dem Kampf ablenken.“ Sturm sah zu Juscha. Sie aber blickte den toten König nur flehend an. Der General schluckte. „Wann soll ich dem Heer Bescheid geben?“ „Gar nicht. Du musst alleine gehen, mein Sohn. Und zwar schon diese Nacht.“ „Und wie soll ich die Pforte finden?“ „Jero wird dich führen. Bevor es deinem Großvater in die Hände fiel, gehörte dieses Schwert einem der sieben letzten Engel. Es weiß, wo es langgeht. Sobald du eine Küste erreichst, schicke Palant los. Sein Erscheinen wird Turamarth den Schwarzen zu dir führen. Er wird dich dahin bringen, wohin dein Schwert dich führt.“ „Und wer passt auf Frederick auf, solange ich weg bin?“ „Selev.“ sagte der junge Prinz bestimmt. Kai stieß ein angewidertes Schnauben aus, sagte jedoch nicht Kapitel 5: Abschied - Reise ins ungewisse ----------------------------------------- Die Nacht kam für Sturms Befinden erheblich zu schnell. Nudur war in den Armen seines Vaters eingeschlafen. Nun stand Sturm mit seinem Sohn vor der Tür. Fremder wartete fertig gesattelt hinter ihm. „Bitte lass mich nicht schon wieder allein, Sturm.“ flehte Juscha mit Tränen in den Augen. „Glaub mir, mein Herz, ich würde auch lieber bei dir und Nudur bleiben, aber was bringen einige Tage mit euch, wenn danach die Welt untergeht?“ erwiderte Sturm und gab ihr den Jungen. Danach küsste er sie auf die Stirn. „Pass auf dich auf, Juscha.“ Er stieg auf den Rücken seines Rappen und trieb den Hengst in Galopp. Fast augenblicklich verschmolzen das schwarze Fell des Pferdes und die dunkle Rüstung Sturms mit der Dunkelheit der Nacht. Der matte schein des seltsamerweise roten Mondes spiegelte sich nur noch matt auf den goldenen Beschlägen der Rüstung und der Panzerung des Pferdes. Juscha stand da und starrte ihm nach. Tränen liefen über ihre Wangen. Der blutrote Schein des normalerweise silbernen Mondes leuchtete Sturm den Weg. Seine einzigen Begleiter auf dieser Reise waren sein Atem, der seines Pferdes, das klopfen seines Herzens und die Geräusche der Nacht. Er blickte zurück in die undurchdringliche Dunkelheit. Ich wünschte, es ginge anders. dachte er. Warum ausgerechnet ich? Fremders Zügel lagen locker in seiner Hand. Der Rappe schien seinen Weg von selber zu finden. Sturm hingegen war tief in Gedanken versunken. Die Nacht ging vorüber. Sturm ritt weiter. Er war müde und niedergeschlagen, ratlos und verwirrt. Er ließ sich von einem inneren Gefühl leiten. Tagelang ritt er in seine Melancholie versunken weiter. Bis er schließlich nach fünf Tagen bei Vollmond die Küste erreichte. Hier stieg er das erste Mal seit er Fewall verlassen hatte ab und gönnte sich und seinem Rappen eine Pause. Seine Hand schloss sich um das Amulett. Hol mir die Piraten her. befahl er dem Drachen. Kurz verdunkelte ein Schatten den roten Mond und einige Teile des Sternenhimmels. Ich tue wie mir aufgetragen. bestätigte Palant. Sturm setzte sich auf den Boden. Langsam fielen ihm die Augen zu. Dann schlief er zum ersten Mal seit Tagen ein. Ein harter Tritt gegen den Brustpanzer und eine drängende, raue Stimme rissen Sturm aus seinem traumlosen Schlaf. Er schlug die Augen auf und sah einen schwarzhaarigen Seemann mit einem Auge, der auf ihn herabstarrte. „Na, Alter, doch noch aufgewacht?“ fragte der Fremde mit einem kecken Grinsen. „Ich gehe doch wohl recht in der Annahme, dass du Sturm Schattenklinge bist, oder?“ Sturm stand auf und klopfte sich den Staub von der Rüstung. Als er damit fertig war, begutachtete er den Fremden. „Ja ich bin General Schattenklinge.“ sagte er beiläufig. „Und wer bist du, Pirat?“ Der Seemann verzog das Gesicht. „Freibeuter, nicht Pirat.“ berichtigte er. „Turamarth Ohtacaro, Kapitän der Schattengleiter Kommandant des schwarzen Raben.“ Na toll und ausgerechnet auf so jemanden bin ich angewiesen. dachte Sturm. Vater, warum tust du mir so was an? „Wollen wir hier weiter Maulaffenfeil halten?“ fragte Sturm ungehalten und pfiff nach seinem Rappen. „Ich stehe unter Zeitdruck.“ „Ja schon klar, du Türschelle.“ knurrte der Freibeuter. „Komm mit, mein Schiff ist gleich da hinten.“ Er drehte sich um und stapfte voran. Nach wenigen Schritten drehte er sich noch einmal um. „Wie sieht’s eigentlich mit deinem Kram aus? Haste irgendwelches Gepäck bei dir?“ „Nur das, was ich am Körper Trage und das, was in den Satteltaschen meines Rosses verstaut ist.“ Sturm deutete auf den mächtigen Rappen. „Gut, dann bring das Kram auf die Schattengleiter mit.“ Sturm pfiff zwischen den Zähnen hindurch und der Rappe setzte sich in Bewegung. Beide folgten dem Freibeuter zu einem schwarz gestrichenen Zweimaster an dessen Bug mit weißer Farbe der Name >Schattengleiter< gemalt worden war. „Hübsche Nussschale.“ griente Sturm. „Pass bloß auf, was du sagst, Schattenklinge.“ knurrte Turamarth. „Die Schattengleiter ist eines der besten Schiffe nördlich von Heigan.“ Er wandte seinen Blick zur Reling hinauf. „Luke auf!“ Ein vermummtes Gesicht erschien über der Reling, um sofort darauf wieder zu verschwinden. Aus dem Bauch des Schiffes ertönte ein dumpfes Poltern, dann leises Quietschen und schließlich öffnete sich eine fast unsichtbare Tür in der Bordwand und irgendjemand schob eine Art Steg hinaus. „So.“ sagte Turamarth und trat auf den Steg. „Und nun folg mir.“ Mit diesen Worten verschwand der Freibeuter im Bauch des Schiffes. Zögernd ging Sturm hinterher. Fremder folgte, als sei es das Normalste der Welt, auf einem Piratenschiff zu Gast zu sein. Von Innen schien die Schattengleiter nochmals um einige Meter gewachsen zu sein. Der Laderaum war gut und gerne so groß, dass mit Leichtigkeit drei ausgewachsene Drachen darin hätten untergebracht werden können. Doch durch die überall gestapelten Kisten, Fässer und Säcke, war kaum genug Platz, um hindurch zugehen. Am anderen Ende war eine kaum erkennbare Tür in das Holz gesägt worden. Sie hing schief in den Angeln und war durch ein schweres Stahlschloss gesichert. Aus irgendeinem Grund wandte sich Sturm schaudernd von der Tür ab. „So, Alter.“ griente der Pirat. „Überlass dein Pferd ruhig meinen Männern. Nimm die Satteltaschen mit und dann komm. Ich zeig’ dir wo du dich hinhauen kannst.“ Sturm nickte. Widerwillig folgte er dem Piraten über die feuchten, knarrenden Planken des Laderaums. Nach einiger Zeit erreichten sie eine etwas schiefhängende Tür. Turamarth stieß sie auf. Der Raum, der sich dahinter befand, war entgegen Sturms Erwartungen gut ausgestattet. Es gab ein Bett, einen Schreibtisch, ein Fenster, Einen weiteren, größeren Tisch, mehrere Stühle und auch einen kleinen Schrank. „Glaub bloß nicht, dass jeder, der sich hier auf meinem Kahn einnistet, so eine Kajüte kriegt, Alter.“ knurrte der Kapitän. „Die Kriegst du nur, weil mir ein Besatzungsmitglied abhanden gekommen ist.“ „Ja, hab verstanden.“ erwiderte Sturm. Zielsicher trottete er zum Bett, legte seine Rüstung ab und legte sich hin. „Bevor du hier einpennst, welchen Kurs soll ich einschlagen?“ „Osten.“ Sturm gähnte. „Soweit nach Osten wie irgend möglich.“ „Du willst also nach Mestala… Gut… Dann müssten wir einen Zwischenstopp in White Castle einlegen. Wir brauchen nämlich noch Proviant.“ Die letzten Worte vernahm Sturm nicht mehr. Übermüdet, wie er war, hatte ihn bereits der Schlaf übermannt. Noch immer stand der rote Mond hoch am Himmel. Flammen loderten an seinen Rändern und in der Mitte hob sich eine fledermausartige Gestalt empor. Die gelbglühenden Augen des Wesens richteten sich direkt auf Sturm. Ein diabolisches Grinsen zeigte sich auf seinem pechschwarzen Gesicht und gab den Blick auf ein Raubtiergebiss frei. „Du bist also jener Auserwählte, der uns besiegen soll?“ höhnte das Wesen mit krächzender Stimme. Eine lange, gespaltene Zunge schnellte aus seinem Mund und fuhr seine Oberlippe entlang. „Niedlich, dass sich die Lichtwesen auf einen wie dich verlassen.“ „Und was soll mir deine Einstellung sagen?“ rief Sturm. „Ich bin nicht so naive, dass ich auf deine Psychospielchen reinfalle!“ Der Leibwächter bleckte die Zähne und fixierte seinen Gegner mit zusammengekniffenen Augen. Seine Finger begannen zu Kribbeln und zuckten zur Schwertscheide von Jero. „Spielchen?“ Wieder verzerrte ein teuflisches Grinsen die Züge der Bestie. „Ich habe es nicht nötig Spielchen zu spielen, Mensch! Du hingegen solltest lieber aufpassen, wie du mit mir redest. Es sei denn du bangst nicht um deine Familie.“ „Lass meine Familie aus dem Spiel, Dämon!“ knurrte Sturm und griff nach seinem Schwert. Doch als er das Heft erfasst und die Waffe gezogen hatte, sah er wie sich der Stahl verformte, einen Kopf und Schuppenhaut ausbildete und sich in seiner Hand wand. „Willst du mich etwa mit einer Viper angreifen, Schattenklinge?“ Der Dämon lachte auf. „Das solltest du dir vielleicht noch mal überlegen. Dies könnte leicht ins Auge gehen.“ Der General ließ das Schwert fallen. „Unterlasse diese Tricks!“ fauchte er. Sein Schwert konnte er also gegen diese Bestie getrost vergessen, aber was sollte er dann tun? Ohne Waffe war er sicherlich verloren. Sein Verstand arbeitete Fieberhaft, suchte nach einem Ausweg. Es gab keinen. Er konnte dieses Wesen nicht schlagen, nicht ohne Waffe. „Oh aber ich trickse doch so gerne.“ griente die Bestie ohne weiter auf Sturms Gesichtsausdruck einzugehen. Plötzlich begann die Szenerie zu verblassen. Sturm stand allein in erstickendem, grauem Nebel. Er rang nach Luft und ging in die Knie. Ein dumpfer Druck stieß von innen gegen seine Stirn. Er würgte, hustete, starb… „Hey, Alter, aufstehen!“ weckte eine ihm Wage vertraute Stimme den Leibwächter aus seinem Traum. Sturm rollte sich auf die andere Seite und murrte irgendwas vor sich hin. Normalerweise wäre er sofort hellwach gewesen, doch an diesem Tag war er noch zu schlaftrunken. Hatte er doch seit Tagen keinen Schlaf mehr gefunden. „Bei allen Tigerhaien!" erklang die Stimme wieder, dieses Mal zorniger. „Entweder du stehst auf, Alter, oder ich häng dich an die Rah!" Er Schlag drang durch den Rücken des Generals. Danach folgte ein Geräusch, das stark an brechendes Glas erinnerte. Sturm gähnte und setzte sich mühevoll auf. „Bin ja schon wach." drang es wenig begeistert von ihm. Er rieb sich kurz mit Daumen und Zeigefinger die Augen und blickte dann zu dem Mann, der ihn geweckt hatte. Es war Turamarth. „Was willst du?" „Zwischenstopp.“ erklärte der Freibeuter tonlos. „Brauchen neuen Proviant.“ Tura ging zur Tür. „Und was hab ich damit zu tun?“ Sturm stand auf und zog sich an. „Du holst uns das Kram.“ Tura war in der Tür stehen geblieben und hatte sich halb zu dem General umgedreht. „Wir sind hier in Iceworld, Land der Schneewandler. Können wir nicht einfach Überfallen.“ „Aha und ich soll nun also mit ihnen reden, verstehe ich das richtig?“ Sturm legte sich seine Rüstung an, schnallte den Waffengurt um und hängte sich schließlich den Drachenstein um den Hals. „Klar.“ Tura zuckte mit den Schultern. Es war ihm offensichtlich egal was mit dem General passieren könnte. „Soviel ich weiß, ist dein Onkel dieser erfolglose Drachentöter doch da. Kannst sicher mit ihm reden und uns unser Kram besorgen. Wenn du ohne Futter zurückkommst, schicke ich dich über die Planken.“ Sturm knurrte irgendwas Unverständliches vor sich hin. Er überprüfte noch einmal den Sitz seiner Schulterplatten und Beinschienen dann blickte er dem Kapitän direkt in die Augen. „Ich kann es versuchen, aber versprechen tue ich nichts und bevor du mich mitsamt meinem Pferd versenkst, tue ich lieber was du willst.“ Tura nickte. „Die Luke ist offen.“ sagte der Freibeuter knapp. Dann ging er hinaus und ließ Sturm allein. Kalter Wind jagte den Schnee vor sich her und verwischte die Spuren der Tiere noch während sie entstanden. Sturm konnte kaum den Nacken seines Rappen erkennen und doch spürte er, dass er in die richtige Richtung ritt. Der General fror erbärmlich und allmählich fragte er sich ernsthaft, warum er seinen Mantel zurückgelassen hatte. Der Schnee legte sich auf seinen Kopf und seine Schultern. Wie in dieser Welt überhaupt jemand leben konnte war ihm mehr als nur schleierhaft. Als er schließlich die weißen Tore der Burg sah, war er schon fast blaugefroren. Zitternd packte der General die vereiste Kordel neben dem Tor und zog daran. Von innen waren erst ein Knarren und kurz darauf das laute Läuten einer großen Glocke zu hören. Dann öffnete sich das Tor geräuschvoll einen Spalt, der gerade groß genug war, dass ein Pferd mit Reiter hindurchpasste. Sturm trieb den Rappen an und ritt hinein. Er wusste, dass sich mindestens vier Augenpaare auf ihn gerichtet hatten und ihn genau beobachteten. Steif stieg er im Hof ab und rieb sich noch immer zitternd über die Arme. Ein älterer Mann kam auf ihn zu. Er war etwas kleiner als Sturm, hatte blaue, wache Augen und braune, mit grauen Strähnen durchzogene Haare. Der Mann trug ausnahmslos graue Kleidung nur die Stiefel waren schwarz mit weißem Wolfsfellbesatz. Außerdem fehlte ihm der linke Arm. „Wer seid Ihr? Und was wollt Ihr hier, Fremder?“ fragte der Fremde. „S-Sturm Sch-Schattenklinge i-ist m-mein N-Name.“ stotterte der General. „B-bin h-hier um P-Proviant z-zu b-besorgen. U-und w-wer s-seid I-Ihr?“ „Sturm Schattenklinge, sagtet Ihr?“ fragte der Fremde ungläubig. Er musterte den General genau. „Nun, mich nennt man Drachentod. Dravo Drachentod. Und jetzt, Junge, solltet ihr Euch erst einmal aufwärmen. Ihr zittert schlimmer als alles, was ich je gesehen habe.“ „D-Drachentod?“ Sturm sah den Anderen erstaunt an. Seine Zähne schlugen lautstark aufeinander. „S-sagtet I-Ihr D-Dravo D-Drachentod? D-dann s-seid I-Ihr d-der B-Bruder v-von K-König K-Kai?“ „Ja, der bin ich.“ Dravo rollte mit den Augen und nahm den Arm des Generals. „Und Ihr seid fast schon blaugefroren. Jetzt kommt mit hinein, bevor Ihr noch zum Eiszapfen erstarrt.“ Er wartete nicht auf Sturms Zustimmung oder Ablehnung und zog den jungen Mann einfach mit sich in die Burg. Dort führte er den bibbernden Draconiar durch die Flure zu einer schäbigen Tür. Er schob sie auf, zerrte Sturm hinein und bugsierte ihn nahe einem Kamin auf einen Stuhl. Danach legte Dravo seinem Neffen eine Felldecke um die Schultern und setzte sich mit überschlagenen Beinen auf die Erde. Erwartungsvoll blickte der Drachentöter zu dem General. „Ihr seid also Sturm Schattenklinge, unehelicher Sohn meines Bruders und der Drachenfürstin Kaine Severanz.“ stellte er fest. Sturm bekam langsam wieder Farbe im Gesicht auch zitterte er nicht mehr so stark und seine Zähne schlugen auch kaum noch aufeinander. „Danke.“ sagte er als erstes. Er streckte die Hände zum Feuer und bekam langsam wieder Gefühl in den steifen Fingern. Schließlich nickte er. „Ja, ich bin der Sohn des toten Königs.“ erklärte er. „Somit seid Ihr wohl mein Onkel. Der von dem ich schon viel hörte. Den ich auch sah, als ich das Grab meines Vaters aufsuchte.“ „Um es zu schänden und dem Leichnam meines Bruders das Amulett, das du da trägst, sowie sein Schwert zu stehlen.“ Die dunklen Augen des alten Mannes hatten plötzlich jegliches Gefühl verloren. Sie waren kalt und abweisend. Beinahe kam Sturm der Schneesturm, der draußen wütete wärmer vor als der Blick seines Onkels. Der General schüttelte betrübt den Kopf. „Ich höre diese Vorwürfe nicht zum ersten Male, Onkel.“ Sagte Sturm lakonisch. „Aber das nun schon meine Verwandten mir dies Unterstellen, verletzt mich zutiefst. Ich habe das Grab meines Vaters nicht geschändet. Er hat mir den Drachenstein und Jero selber gegeben. Ich habe mir nichts vorzuwerfen.“ „Und ich bin der König Mestalas.“ knurrte Dravo böse. „Sakasmus war nie deine Stärke, mein Bruder.“ drang eine hohle Stimme von der Tür her. Als Sturm den Blick in die Richtung wandte, sah er eine durchscheinende Gestalt in schwarzer Rüstung. Der hünenhafte Geist trat auf die beiden Lebenden zu. und blickte sie ungerührt an. Dann zeigte sich ein warmes Lächeln auf dem toten Gesicht. „Schon eine ganze Weile her, dass ich das letzte Mal hier war und damals hat mein Herz noch geschlagen und“ – er fasste ins Feuer und hielt seine Hand in den leckenden Flammen – „ich habe noch etwas gespürt. Feuer war damals noch heiß und Schnee noch kalt.“ Dravo sah seinen toten Bruder seltsam abwertend an. „Was machst du hier, Kai? Du gehörst nicht mehr in diese Welt und das weißt du ganz genau.“ Kai seufzte. „Dravo, ich bin hier, weil ich noch eine Aufgabe zu erfüllen habe.“ Er blickte zu Sturm und nickte dann sah er wieder zu seinem älteren Bruder. „Sturm spricht die Wahrheit, was den Drachenstein und mein Schwert angeht. Ich habe ihm beides übergeben, weil er etwas von seinem Vater haben sollte. Ich habe im Leben versäumt für ihn da zu sein und im Tode kann ich es nicht mehr nachholen, aber ich kann ihm wenigstens etwas von mir hinterlassen, damit er wirklich weiß wer er ist.“ „Und wer bitte bin ich?“ fragte Sturm plötzlich leicht gereizt. „Sag es mir, Vater. Wer bin ich? Ein Bastard. Ein Mann gezeugt in Schande und in Schande werde ich sterben. Mit dem Wissen, dass ich nicht mehr als ein Bastard bin.“ „Das stimmt nicht, Junge.“ Kai wandte sich nicht zu ihm um sondern ging durch den Raum ohne Tischen oder anderen Hindernissen auszuweichen. „Du bist ein excellenter Stratege und General. Was du bei der fewallischen Küste erreicht hast, hätte ich nie geschafft. Ich hätte wahrscheinlich Palants Zerstörungswut freien Lauf gelassen und damit einen wohlmöglich tödlichen Fehler begangen.“ Sturm schüttelte den Kopf. „Du übertreibst maßlos, Vater. Ich habe nur getan, was ich als meine Pflicht sah. Und ohne Acsa und Mandos wäre mir das nie gelungen.“ „Ich weiß zwar nicht worüber ihr beide redet, aber eigentlich ist der Herr Schattenklinge doch aus anderen Motiven hier, als mir einen familiären Besuch abzustatten.“ Dravo blickte vor sich auf den Boden. Seine Hände langen mit den Handflächen nach oben auf seinen Knien. „Warum also, Neffe bist du genau hier? Und ich will keine Ausflüchte hören. Erzähle mir nur die Ganze Wahrheit, sonst nichts. Hast du verstanden, junger Mann?“ Sturm seufzte. „Ich habe verstanden, Onkel.“ Er holte kurz Luft und begann dann die gesamte Geschichte zu erzählen. Kapitel 6: Kurzes Leben - langer Kampf -------------------------------------- Die Walölkerzen in den Wandhalterungen tauchten den Raum in ein schummeriges Licht und warfen tanzende Schatten auf die kahlen Wände des nach Schweiß, Blut und Tod riechenden Raumes. Die Männer – teils zum Tode verurteilt – redeten wie beste Freunde mit einander, wohlweißlich, dass sie, sobald sie das mit Sand bestreute Rund hinter der schwarzen Eichentüte und dem Fallgitter betraten, zu erbitterten Feinden würden werden müssen. In regelmäßigen Abständen wurde die Tür aufgeschlagen und zwei Sklaven eilten hinaus um einen Leichnam herein zu schleifen, dem meist ein verwundeter, aber noch aufrecht laufender Kämpfer folgte, was aber keiner der Anwesenden wirklich schauerlich oder gar beängstigend fand. Nur ab und an drang ein bedauerlicher Blick zu der armen Seele, die den Todeskampf da draußen verloren hatte und man hörte leises Gemurmel. In der hintersten Ecke dieses Raumes saß eine Gestalt mit langen, schwarzen Haaren, bleicher Haut, bernsteinfarbenen Augen, schwarzen Stiefeln, Lederhosen und einem gleichfarbigen, ärmellosen Wams. Die Hände dieser Person, die sich bei näherem Hinsehen als ein junger Mann von neunzehn Jahren herausstellte, waren in stahlbeschlagenen Handschuhen ohne Finger verborgen und um seine Hüfte war ein Waffengurt geschlungen in dessen zwei Scheiden je ein kurzes Gladius steckte. Dieser Junge hörte auf den Namen Varusk, mehr war nicht über ihn bekannt. Er war eines Tages mit einem Mann namens Vanni aufgetaucht, welcher heute den Platz des ersten Gladiators besetzte und Varusk unterrichtete. Keiner der beiden Männer, weder der goldhäutige, rot-gelbäugige, kleine Vanni, der immer nur eine weiße weste und gleichfarbige Lederhosen trug und in dessen Schwertscheide eine seltsame, gewundene, schwarze Klinge steckte, noch der verschwiegene Varusk waren dafür bekannt gerne die Gesellschaft anderer zu suchen. „Willst du das wirklich durchziehen?“ drang die helle, melodische Stimme seines Lehrmeisters an das Ohr des jungen Gladiators „Dein Gegner ist stark und du bist noch jung... Lass lieber jemand gegen ihn antreten, der wirklich gegen ihn ankommen kann.“ „Du hast doch selber gesagt, ich sei bereit.“ hielt Varusk dagegen. „Er ist nur der vierte Gladiator... es ist ja nicht so, dass ich gegen dich oder Teron antrete.“ Varusk hob den Kopf und seine Bernsteinaugen blickten zur Türe hinter der nun der alte Teron gegen einen Jungspund focht, der wohl den nächsten Morgen nicht mehr erleben würde. Varusk mochte nicht viele aber den bärbeißigen Gladiator mit den freundlichen blauen Augen, den kurzen blonden Haaren und dem rundlichen, jungenhaften Gesicht, dessen Körper drahtig und muskulös war und der die Größe eines aufgerichteten Braunbären besaß, hatte der Junge ins Herz geschlossen. Leider würde er heute wenig Zeit haben mit seinem Freund zu sprechen, denn direkt nach Terons Kampf kam der seine gegen den vierten Gladiator namens Kirasch und Varusk wusste, dass die Wetten gegen ihn standen. Dennoch... er würde siegen und überleben und das Blut seines Gegners würde den Sand der Arena färben. Das Gegröle der Zuschauer war leise durch die dicken Arenamauern zu hören und Varusk glaubte Terons Namen zu hören, was ein leichtes Lächeln auf sein Gesicht malte. Vanni war wieder gegangen. Er würde heute nicht kämpfen, sondern oben neben dem Grafen auf der Tribüne stehen und den Gladiatoren einfach zusehen. Dann kam Teron wieder. An seinem Bein klaffte ein langer, blutiger Schnitt und auch sein Hals sah nicht sehr gut aus, aber als Varusk seinen Gegner sah, schüttelte er erschaudernd den Kopf. Der Junge war fast enthauptet und entsetzlich verstümmelt, dass es Varusk fast den Magen umdrehte. Der junge Gladiator erhob sich und zog seinen Gürtel zurecht, ehe er auf Teron zusteuerte und ihn grüßte. „Muss ein großartiger Kampf gewesen sein, so wie die Leute gejubelt haben.“ meinte er leise und mit einem leichten Lächeln auf den jugendlichen Lippen. „Na ja...“ Teron zuckte mit den Schultern und rieb sich kurz über den blutigen Hals. „Der Bursche hatte es faustdick hinter den Lauschern. Hat die Frechheit besessen mich hinterrücks zu attackieren.“ Er musterte den Jüngeren vor sich kurz und legte ihm dann eine Hand auf die Schulter. „Gleich bist du dran, Goldauge. Hoffe mal, dass du den Todeskreis nicht mit den Füßen voran verlässt.“ „Eher läuft Vanni fröhliche Liedchen pfeifend durch ein Freudenhaus.“ erwiderte Varusk grinsend und lockerte seine Waffen in den Scheiden, damit sie schnell und einfach zu ziehen waren. „Jetzt wo du’s ansprichst: Was hält Vanni eigentlich von deinem Vorhaben? Ich meine Kirasch ist kein leichter Gegner und erfahren noch dazu. Er könnte dich binnen Sekunden ins Grab bringen.“ „Er heißt es nicht gut, versucht aber auch nicht mich abzubringen... Er kennt doch meine Sturheit“ Varusk trat an dem Älteren vorbei und spürte plötzlich, wie Teron ihn zurückhielt. „Kirasch kneift die Augen zusammen, kurz bevor er angreift, achte darauf.“ Damit ließ der Gladiator den Jungen los, klopfte ihm noch einmal aufmunternd auf die Schulter und ging, um seine Wunden versorgen zu lassen. Varusk sah ihm kurz nach. Er würde sich den Rat seines Freundes zu Herzen nehmen, ganz sicher, aber nun musste er hinaus. Die Menge wurde schon ungeduldig und begann zutoben, wollte den nächsten Kampf sehen. Kirasch war schon draußen, auch dies konnte Varusk hören, während er so im Schatten des Tores stand und auf das Rund sah. Langsam und gemessenen Schrittes ging er dann los. Nun würde es so weit sein... Nun würde sich entscheiden ob sein Training bei Vanni geholfen und ihn genug vorbereitet hatte oder nicht. Der Jubel der Menge überflutete ihn und der junge Gladiator überflog kurz die ersten Reihen, wobei er grüßte. Sein Blick blieb an einer Gestalt in der ersten Reihe hängen. Sie war groß, aber mager. Ihr Körper war von einem dunklen Mantel verdeckt, ebenso das Gesicht. Kurz glaubte er Bersteinaugen aufblitzen zu sehen, aber der Augenblick verging zu schnell, als das Varusk ihn für voll hätte nehmen können. Also überflog er die Reihen weiter, ehe er ein weiteres Mal inne hielt. Diesmal geschah dies allerdings aus voller Absicht, denn nun sah er zur Loge des Herrschers, wo der Graf in seinem hohen, breiten Thron saß und wartete, dass es endlich begann. Weiter hinter ihm jedoch, blitzten gelb-rote Augen auf und die Sorge in diesen war nicht zu übersehen. Vanni hatte Angst... Angst um Varusk und das wusste der Junge nur zu gut. Varusk grüßte auch hier mit einer Verbeugung, ehe er sich zu Kirasch umwandte und seine Waffen zog. Die sonne brach sich auf dem blitzenden Metall der kurzen Schwerter und verlieh der Szenerie etwas geheimnisvolles und surreales. Sein Gegner machte sich ebenfalls bereit. Kirasch war wesentlich größer als Varusk, aber das Alter war ihm anzusehen und ließ seine Bewegungen fahrig und lahm wirken. Beide warteten. Warteten auf das Signal zum Angriff. Die Luft zwischen ihnen war zum zerreißen gespannt. Feindseeligkeit durchflutete die Arena und beide begannen sich zu umkreisen, wie Wölfe auf der Jagd. Dann erklang das Signal. Doch noch immer wagte keiner einen Ausfall. Quälende Minuten zogen sich dahin und nichts geschah. Sie umkreisten sich weiter. Doch dann – ganz plötzlich – spannte sich Varusk. Kirasch hatte die Augen zusammengekniffen. Eine Sekunde nur, aber lange genug, dass er sich an die Warnung seines Freundes hatte er innern können und auf die Attacke vorbereitet war, wie er glaubte. Er irrte sich. Das Schwert seines Gegners verletzte ihn schon beim ersten Hieb schwer und durchtrennte eine seiner Rippen, wobei es gleichzeitig in seine Lunge drang. Varusk keuchte und trat taumelnd zurück. Er spuckte Blut. Schon nach dem ersten Angriff spuckte er Blut. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Mit einer Schnelligkeit, die selbst ihn überraschte, sprang er vor und schlug ein Gladius in das Bein und eines in den Bauch seines Gegners. Er wusste, dass er gut getroffen hatte, aber das nützte wenig, wenn der Feind er fahren und nahezu schmerzfrei war. Wieder hatte Varusk einen Fehler begangen und wieder büßte er diesen mit einem schweren Schlag gegen den Rücken ein. Er spürte heißes Blut über sein Rückrad laufen und er brach einen Schwall des roten Lebenssaftes. Sein Blick begann zu verschwimmen. Doch auch sein Gegner war schwer angeschlagen und taumelte von Varusk weg. Der Junge richtete sich ächzend wieder auf und blinzelte mehrmals den blutigen Schleier vor seinen Augen weg. Es gelang ihm nicht. Dann musste es so gehen. Er packte seine Waffen besser und griff an. Seine Augen begannen zu glühen, als er seinen Gegner mit einer heftigen Serie schwerster Schläge und Stiche traktierte, die dieser nur schwer abwehren konnte. Leider ging es Varusk da aber ähnlich. Er steckte noch mehrere harsche Schläge ein und war nach einiger Zeit mehr tot als lebendig, eher eine Puppe, die nur noch kämpfte, um des Kämpfens willen, nicht mehr um zu leben. Nach einiger Zeit – Varusk wusste lang nicht mehr, wie viel Zeit verstrichen war – rollte ein Kopf über den Boden. Nicht der des Jungen, sondern der seines Gegners. Varusk selbst drehte sich langsam unter dem Jubel der Menge um. Er wollte seine Schwerter in die Scheiden steckten, doch verfehlte er sie. Taumelnd und unsicher ging er einige Schritte auf den Ausgang zu und brach zusammen. Halb bewusstlos drehte er sich auf den Rücken um nicht an Blut und Sand zu ersticken. Er spürte noch wie ihn kräftige Hände hochhoben, dann versank er in Schwärze. Gedämpfte Stimmen drangen an sein Ohr, als Varusk wieder wach wurde. Doch noch schlug er die Augen nicht auf, denn in seinem Kopf drehte sich alles und er wollte genauer hören, was dort gesprochen wurde. Er vernahm besorgte Unterhaltungen und Gebete. Gebete? Und dann auch noch solche, die vor allem an den Gott des Todes gerichtet waren? Stand es denn so schlecht um ihn? Er versuchte sich zu regen, aber er war zu schwach, noch dazu war er an Armen und Beinen mit Lederriemen festgebunden, wohl damit er sich nicht zu viel bewegte und sich schonen musste. Also musste er einen anderen Weg finden. Er öffnete die Augen, aber er sah nichts, obschon der Raum hell erleuchtet sein musste, denn er spürte die Wärme von Kerzenflammen ganz in seiner Nähe und er hörte das Knistern eines Kaminfeuers. Er wollte etwas sagen, aber über seine Lippen kam nur ein leises Stöhnen, welches ihn selbst erschrecken ließ, denn selbst dieser geringe Laut wies auf eine entsetzliche Schwäche hin, die seinen ganzen Körper lähmte und jegliche Bewegung zur Qual werden ließ. Plötzlich spürte er, wie sich Blicke auf ihn richteten und ihn voller Unglauben anstarrten. Das Gemurmel und die Gebete waren verstummt. Nur eine Stimme konnte er noch hören. Eine ihm bekannte Stimme, die er nicht zuordnen konnte und die seinen Namen sagte, immer und immer wieder nur seinen Namen und eine Frage, die er erst später verstand. Kapitel 7: Engelsblut --------------------- Bernsteinfarbene Augen beobachteten missbilligend die Vorgänge im Himmelreich. Was bitte hatte der junge, braunhaarige und blauäugige Engel denn böses getan? Einen Dämon beschwört? Das war im Himmel also seit neuestem eine Sünde. Dieses Mädchen sollte also gegen die Regeln verstoßen haben und wurde nun von ihrem eigentlichen Lehrer, der sie doch leiten sollte zum, Portal geschoben und hinausgeworfen. Verbannt für den Rest ihres nahezu unsterblichen Lebens. Der Besitzer der Bersteinaugen konnte es nicht fassen. Hatten die Engel denn über die Jahrtausende alles vergessen? Ich hätte nie gehen dürfen. dachte er zum wiederholten Male. Doch es gab kein zurück. Der jungscheinende Mann mit den kurzen, braunen Haaren und eben diesen Bersteinaugen schüttelte den kopf. Er trug ein ärmelloses, blaues Lederwams, schwarze Hosen und hohe, dunkle Stiefel aus Kalbsleder. Manche Leute hätten ihn wohl als mager bezeichnet und vielleicht war dem auch so, doch er selbst hielt sich eher für schlank, zumal er schon zu lange lebte um sich noch sorgen über sein Aussehen zu machen. Unter ihm brandete das Meer gegen die östliche Steilküste von Lost Water und ließ die Gischt die gut 60 Meter bis zu ihm empor spritzen. Doch den letzten der Erzengel, der unter dem Namen Lenti hier lebte, doch eigentlich Avengil hieß, störte dies wenig. Er stand immer hier und sann nach oder beobachtete seine Heimat im Himmel oder die Geschehnisse der Erde und nun beobachtete er halt diesen jungen Engel, der eben verbannt worden wart. Es dauerte nicht lange und das Mädchen fand sich auf einem gewundenen Pfad mitten im Nirgendwo wieder. Sie wirkte auf ihren Beobachter verstört und wahrscheinlich war sie dies auch. Als dann ein Engel mit schwarzen flügeln, Harren und Sachen auftauchte wirkte sie gar verängstigt. Fast wie ein kleines Kind, das die Welt nicht mehr versteht. Sie floh. Floh vor dem schwarzen Engel, der wie ein Dämon aus den tiefsten Abgründen der Hölle auf sie wirken musste. Wie ein dräuendes Untier, das nur auf einen Fehler wartete, um dann geschwind und mit tödlicher Brutalität und Zielsicherheit zuzuschlagen und sie in die Hölle zu ziehen. Der schwarze Engel folgte ihr. Mit welchen absichten? Dies vermochte Lenti nur zu mutmaßen und er würde es nicht tun. Dazu kannte er die Gattung der Todesengel zu wenig. Vielmehr beschloss er, das Geschehen weiter im Auge zu behalten. Der Erzengel wollte einfach kein Risiko eingehen. Am Ende wäre es vielleicht ein Trick der Höllenfürstin, die sich hier einmischte, auch wenn er selbst nichts davon spürte. Lenti schüttelte den Kopf. Nein, dass es sich hier um einen Trick handelte konnte er sich nicht vorstellen, zumal auch ein schwarzgeflügelter Todesbote in diesem Falle noch immer ein Engel war, auch wenn man ihn wohl eher zu den Dämonen zählen würde, als wirklich noch zu den Bewohnern des Himmels. Nun, der Erzengel würde das ganze erst mal weiter beobachten und sehen wie es sich entwickeln würde, ehe er sich letztlich für eine Sache entscheiden würde. Ob es nun etwas ändern würde, wenn er die Zügel wieder in die Hände nahm oder nicht, würde sich zeigen. Früher oder später. Und so beobachtete der Erzengel die beiden anderen über die nächsten Tage und alles entwickelte sich anders, als er zuerst gedacht hätte. Das Engelsmädchen begann scheinbar dem Todesengel zu vertrauen, ja sie schenkte ihm sogar bald ihr Herze. Liebe zwischen Dämon und Engel – undenkbar aber nicht unmöglich, wie Lenti aus eigener Erfahrung wusste und auch wenn er nicht in die Zukunft sehen konnte, so wusste er doch eines: diese Verbindung würde nicht ohne Folgen bleiben. Würde der Hohe Rat davon erfahren, wären die beiden nirgendwo mehr wirklich sicher und das würde auch den Erzengel schmerzen, denn auch wenn er sich abgewandt hatte, so wollte er doch nur eines für seine „Kinder“ – er wollte, dass sie glücklich waren und er würde alles tun um dies zu bewerkstelligen. Zunächst aber musste er seine Tarnung aufrecht erhalten und das bedeutete auch die strahlenden Flügel weiter zu verbergen und seine Augenfarbe anderweitig zu erklären, denn welcher Mensch hatte schon Augen wie Bernstein? Keiner, das war hier wohl die richtige Antwort. Lenti wandte seine Schritte wieder in Richtung Klippe. Normalerweise hätte man für den Marsch von der Stadt zu der Stelle, wo die Steilküste lag, mehrere Tage gebraucht, doch nicht wenn man ein Erzengel war. Lenti war schon nach wenigen Stunden an seinem Lieblingsplatz. Weit draußen toste ein Sturm und trug kalte Windböen zu ihm heran. Ab und an löste eine dieser Böen eine Feder aus einem der verborgenen aber keinesfalls verschwundenen Flügel und trug sie landeinwärts davon. Ein strahlend weißer punkt der über die trockenen Ebenen huschte und sich mit weiteren Punkten vereinte, so würde man aus der Ferne gesehen die tanzenden Engelsfedern bezeichnen. Nur wenige wussten worum es sich wirklich handelte. Der Wind trug außer salziger, feuchter Luft noch mehr zu Lenti heran: das Geräusch berstender Planken und reißender Segel. Das Meer forderte neuerliche Opfer. Für menschliche Ohren nur ein Rauschen hörten Engel und Dämonen jede kleinste Einzelheit genauestens heraus. Das Schreien der Männer, die vergeblich versuchten ihr Leben zu retten. Das Toben der Seedrachen und auch der See an sich, die versuchten sich die Unglücklichen Segler anheim fallen zu lassen und denen es der Geräuschkulisse nach auch gelang. Dieses Ereignis ließ den Blick des Erzengels für kurze Zeit von den beiden Engeln weichen. Nun wollte er herausfinden, wer sich da doch tatsächlich bei diesem Wetter aufs Meer wagte und seinen Hals mit dieser törichten Aktion dermaßen offenherzig riskierte. Was er sah, ließ ihn erschauern. Die See war rot – tiefes tödliches Rot –, Körper trieben in den Fluten – menschliche, aber auch tierische Körper, einige noch am leben, andere bereits tot, zum Teil in abstruse, verdrehte Umarmungen verwickelt. Was war hier geschehen? Lenti sah einmal die Küste hinauf, dann wieder Hinunter, um sicher zu gehen, dass hier niemand war, der ihn beobachtet hätte, dann trat er so nahe an die Kante, dass man ihn für verrückt erklärt hätte, hätte man ihn so entdeckt, und ließ sich dann nach vorn fallen. Eine Weile ließ er sich im freien Fall den Wind durch die Haare wehen, dann entfaltete er die strahlenden Schwingen und nutzte die Luftströmungen über den Wellen aus um sich in Richtung des Geschehens zu bewegen. Schnell hatte er selbigen dann auch erreicht und erschauerte wieder. Er landete auf einem der Trümmerstücke eines alten, schwarzen Schoners und ließ den blick schweifen. Nein, das hier konnten nicht nur die Wesen des Meeres angerichtet haben, da steckte mehr dahinter. Ein Zauber? Aber wer war mächtig genug einen Sturm zu entfachen, der einen so solide gebauten Schoner einfach in zwei Teile spalten konnte und noch dazu die Wesen des Meeres einfach niederwarf, wo sie doch sonst so gut wie jede Naturgewalt unbeschadet überstanden? Lenti wusste darauf nur eine Antwort und das wollte er einfach nicht glauben. Oder gab es tatsächlich noch eine andere Möglichkeit? Wenn sich mehrere Dämonen vereinten? Ihre Kräfte bündelten? Wäre eine solch verheerende Zerstörung dann möglich? Lenti würde die Antwort wohl nie wirklich erfahren, denn schon schwappte ein Brecher heran und zwang den Engel zur Umkehr. Auch ob hier überhaupt etwas überlebt hatte – was der Erzengel bezweifelte –, würde er wohl nicht mehr herausfinden. Selbst die Bewegungen hinter einem Teil des Bugs entgingen ihm nun, dar er bereits wieder auf dem Rückflug war und über das Gesehene nachsann. Ich werde wohl doch wieder nach oben müssen... dachte er bei sich. Allerdings wollte ich das doch nie... aber hab ich eine Wahl? Nein, eher nicht... morgen werde ich hochgehen. Heut ist es schon zu spät... Ich bin müde. Ja, sein Entschluss stand nun fest. Das Himmelreich würde angesichts solcher Vorfälle nicht ohne seine Führung bleiben können. Jemand der eine solche Macht hatte, wie Lenti es draußen auf See gesehen hatte, wäre auch für die Heimat der Engel viel zu gefährlich um sie sich selbst zu überlassen. Kapitel 8: Schlossruine Darkesch -------------------------------- Er hatte überlebt, auch wenn er nun nicht mehr wusste wie. Er – nein sie hatten überlebt. Auch wenn der Freibeuter, der über dem Rücken des schwarzen Jagdrosses lag, mehr tot als lebendig war und auch Sturm selbst konnte sich kaum auf den Beinen halten. Nur die Tatsache, dass er sich die Zügel seines Rosses um das Handgelenk gewickelt hatte, hielt ihn aufrecht, denn immer wenn er in die Knie zu brechen drohte, zog Fremder ihn weiter. Eine Spur roter Flecken zeichnete den Weg des Ritters und seines bewusstlosen Begleiters, denn in Rücken und Seite Sturms klafften tiefe Wunden, die nicht nur von den Seeungeheuern stammten. Viel besser ging es aber Sirith, als welcher sich der Bewusstlose auf Fremders Rücken herausstellte, auch nicht. Der Freibeuter hatte wahrscheinlich sogar noch mehr gelitten als Sturm. Ein Teil des brechenden Mastes hatte seine Schläfe getroffen und ihm die Besinnung geraubt – und das waren längst nicht alle Wunden. Sturm ließ den Blick schweifen. Irgendwo musste es doch eine Stadt geben. Irgendwo mussten sie doch Hilfe finden. Ab und an blickte er besorgt zu Sirith. Er hatte den Freibeuter über die Zeit auf See lieb gewonnen, ebenso wie dessen Kapitän, doch wo Turamarth war vermochte der Drachenritter nicht zu sagen und er bezweifelte, dass noch jemand das Glück gehabt hatte diese Hölle auf See zu überstehen. Der Ritter taumelte und wieder hielt nur seine in den Zügeln verfangene Hand ihn davon ab zu Boden zu sinken. In der Ferne zeichneten sich blasse Konturen ab und ließen Sturms Herz etwas höher schlagen. Eine Stadt. Endlich nach Tagen fand er eine Stadt. Der Ritter beschleunigte seinen unsicheren Schritt ein wenig und stolperte dabei ab und an über einen Stein oder eine Wurzel. Die Stadt kam erschreckend langsam näher und schon bald verließ Sturm die Kraft. Ein weiteres Mal stolperte er und diesmal hielten ihn nicht einmal die Zügel mehr aufrecht. In seinem Arm knackte es, als die um ihn geschlungenen Lederriemen ihn auf brutale Weise, durch das Gewicht des Ritters gezwungen, verdrehten. Doch Sturm nahm auch diesen Schmerz kaum noch wahr. War es doch nur eine weitere Verletzung unter etlichen, die den Körper des Drachenritters bereits zierten. Hart schlug sein Kopf bei dem Sturz gegen einen Stein und der Ritter versank in Schwärze. Eine hagere, knochige Hand lag auf seiner Stirn als Sturm wieder zu sich kam. Noch wagte er nicht die Augen zu öffnen – sein Leib schmerzte einfach viel zu sehr, als dass er dies in Erwägung gezogen hätte. Er versuchte die Finger zu bewegen. Es klappte. Doch als er den Arm heben wollte, konnte er nicht. Nicht dass sein Arm steif oder festgebunden gewesen wäre, es ging einfach nicht. Wo war seine Kraft hin? Warum konnte er sich nicht bewegen? Die Hand von seiner Stirn verschwand, als er die Augen aufschlug und mit glasigem Blick an die Decke sah. Decke? Sollte da oben nicht eigentlich ganz normaler, blauer Himmel sein? Doch stattdessen waren da Holzbretter zu einer ebenen Fläche zusammengehauen, aus welcher noch hier und da die Nägel herausschimmerten. Sturm sah die Decke noch eine Weile an, dann ließ er den Blick – soweit er in dieser auf dem Rücken liegenden Position konnte – durch den Raum schweifen. Er war augenscheinlich in einem Zimmer eines Gebäudes. Es war einfach eingerichtet. Sein Bett stand unter einem Fenster, durch das die Sonne hineinschien und seltsame Schatten auf die Wände malte, gegenüber dem Fenster war die Tür, die einen Spalt offen stand, doch mehr konnte Sturm nicht erkennen, ohne sich aufzurichten, nur noch die normalen Holzwände an denen hier und da ein Bild oder eine Karte hingen. Dann blieb sein Blick auf dem Besitzer der Hand hängen. Die Frau war alt – sehr alt –, das Gesicht ausgezehrt von etlichen Jahren. Ihre eisblauen Augen wirkten müde und abgespannt, wie als ob sie seit Tagen nicht mehr geschlafen hatte. Das schlohweiße lange Haar hing ihr ins Gesicht und der Mund war zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Alles in allem musste diese Frau etliche Jahrzehnte alt sein. Und dennoch strahlte sie etwas Ehrfurchtgebietendes aus, das Sturm davor warnte, sie zu schnell in eine Kategorie einzuordnen, ehe er sie wirklich kannte. Als sie merkte, dass er wach war, beugte die Frau sich leicht über ihn und sah in seine Augen, was Sturm instinktiv ein wenig zurückzucken ließ. „Scht... habt keine Furcht, junger Herr.“ Die Stimme der Frau war wie ihr Antlitz – uralt und gebrechlich, aber dennoch irgendwie energiegeladen. „Ihr seid in Sicherheit. Ihr und Euer Freund. Ihr hattet großes Glück, dass Ihr es bis hierher geschafft habt.“ Sturm sah sich verwirrt um. Er erinnerte sich kaum noch an etwas. Erst nach einigen Sekunden kamen die Erinnerungen zurück. Das Tosen des Meeres... der brechende Mast… die Schreie der Männer, die in die wütende See gerissen wurden… und schließlich der Strand an den Sirith und er gespült worden waren. Sirith! Die Göttin mochte ihm beistehen, wo war Sirith? Sturm fuhr in die Höhe und sah sich gehetzt um. Sein Herz jagte und sein Atem ging schnell. „Wo ist er?“ herrschte der Ritter die Alte an und packte sie – da sie auch nach mehreren Herzschlägen nicht antwortete – grob am Kragen. „Wo ist Sirith?“ Die Alte antwortete noch immer nicht. Sie riss sich mit einer übertrieben harschen Bewegung los und ging zur Türe um Sturm allein zurück zu lassen. Er wusste nicht mehr, wie lange er da gesessen und auf die Tür gestarrt hatte, ehe er aufgestanden war, seine Sachen zusammengesucht hatte und aus dem Zimmer gegangen war. Nun stand Sturm in einem halb verfallenen Flur in dem schon seit einem halben Menschenzeitalter niemand mehr gewesen sein konnte – wie die Staubschicht auf dem Boden bewies. Doch wo war dann diese Frau geblieben? Sturm verstand es nicht. Er schritt den Flur entlang und sein Blick blieb an einem alten Gemälde hängen. Darauf war ein junger Mann zu sehen, der einen Spieß in der Hand hielt und diesen auf einem Drachen richtete. Doch nicht das war es, was Sturms Augen fesselte. Das Bild musste mehrere hundert Jahre alt sein, denn die meisten Details waren nicht mehr zu erkennen. Dennoch im Hintergrund war eine Gestalt, die Sturm einen kalten Schauer den Rücken hinunter jagte. Dort wo ein kleiner Fels aus der Ebene ragte, auf der Drache und Mensch ihren auf Pergament gebannten Kampf fochten, saß die alte Frau. Sturm schüttelte sich wie ein nasser Hund „Geister...“ murmelte er und schüttelte den Kopf. Dann löste er sich von dem Bild und ging den Flur hinunter. Hinter der einzigen noch existenten Türe fand er Sirith. Der Freibeuter hockte in einer Ecke des Zimmers und zitterte. Als er Sturm erblickte Atmete er erleichtert aus. „Ich dachte schon es sei wieder diese Alte.“ Sirith schüttelte sich. „Wusstest du, dass sie ein Geist ist? Doch ehrlich. Im Flur hängt ein Bild und-“ „Genug!“ schnitt Sturm ihm das Wort ab. „Ich weiß es bereits, Sirith. Wir sollten lieber von diesem gottverdammten Ort verschwinden, so lange wir noch laufen können.“ „Nichts lieber als das.“ Sofort sprang der Freibeuter auf und hastete an Sturm vorbei den Flur hinunter. Doch nun ergab sich ein weiteres Problem. Als Sturm zu seinem Begleiter trat, stand dieser wie angewachsen vor der einer schief hängenden Türe und starrte diese fast panisch an. „Was ist denn?“ Der Drachenritter trat neben den anderen und blickte auf die Tür, ehe er selbige öffnete und hinaus treten wollte. Zu seinem Glück jedoch, hatte Sirith seinen Kragen gepackt, denn Sturms Fuß trat ins Leere. Die Hütte entpuppte sich als Schloss hoch oben auf einem Berg und die Türe hatte wohl dereinst auf einen Balkon geführt, nun aber war unter ihnen nichts als Leere. Ein Abgrund, der Meterweit in die Tiefe stürzte. Erschrocken wich Sturm zurück und taumelte in den Gang. „Ihr Götter… Sirith, warum hast du es nicht gesagt?“ „Weil du wie ein hungriger Tigerhai an mir vorbei gelaufen bist…“ gab der Freibeuter schnippisch zurück und sah sich kurz um. „Ich fühl mich hier nicht wohl, Sturm… Wir müssen hier raus finden! Wir müssen Tura und die anderen finden!“ „Tura ist wahrscheinlich tot, Sirith…“ Sturm schloss die Augen und schüttelte den Kopf. „Ich bezweifele, dass außer uns noch einer den Untergang des Schiffs überstanden hat. Wir wurden angespült… Sirith, wir hatten einfach nur Glück…“ „Nein! Das kann nicht sein!“ Energisch schüttelte Sirith den Kopf und sah Sturm an. „Das glaube ich nicht! Wir müssen sie suchen!“ „Erstmal müssen wir von hier runter kommen und dann sehen wir weiter.“ Sturm wandte sich um und ging den Gang hinunter. Er rüttelte an den verzogenen Türen, bis er eine fand, die sich öffnen ließ und den Blick auf einen weiteren, Staubigen Gang Preis gab. „Gehen wir.“ Und ohne weiter auf den Freibeuter zu warten, ging er nun auch schon los. Langsam und immer auf den Boden achtend. So alte Gemäuer neigten dazu plötzlich ein zu brechen oder wiesen gerne Löcher im Boden auf, durch welche man allzu schnell fiel und sich die Knochen brach. Sirith folgte ihm. Doch schien er noch weniger auf diesen Untergrund zu vertrauen, fand Sturm. Oft beobachtete der Draconiar wie der Pirat vor kleineren Rissen stehen blieb und diese erst eine Weile betrachtete, ehe er es wieder wagte weiter zu gehen und Sturm zu folgen. Der Ritter wartete dann immer auf seinen Begleiter. Niemand sollte ihm nachsagen, dass ausgerechnet er – der General der draconischen Armee und der Leibwächter des Prinzen seines Heimatlandes – einen anderen zurück ließ. Nein, das würde Sturm niemals in den Sinn kommen. Eine weitere Tür, ein neuer Gang. Doch diesmal war etwas anders. Die Staubschicht auf dem Boden wies Unregelmäßigkeiten auf. Jemand war hier gewesen. Der Gang war nicht unberührt, folglich war auch das Gemäuer nicht so unbelebt, wie es oben geschienen hatte. Sturm legte die Hand an sein Schwert. Wer wusste, welche Monstren sich hier aufhielten? Wer konnte sagen, worauf sie sich einstellen mussten? Mit einer Handbewegung weiß er auch Sirith an, sich bereit zu halten. Nur für den Fall der Fälle. Die Luft hier war stickig, abgestanden und roch nach Staub und altem Stein. Abgerissene Wandteppiche hingen an den Wänden. Hier und dort fand sich Schutt auf dem Boden und darüber klafften Löcher in der Decke. Doch regte sich kein Lufthauch. Die Dunkelheit hing mal schwer und undurchdringlich, mal trügerisch und manche Dinge Preis gebend über den beiden Reisegefährten. Dies alles machte die Umgebung nicht gerade einladender für Sirith, der den Abstand zwischen sich und Sturm lieber noch verringerte. Doch auch Sturm war nicht vor der Furcht gefeit, die sich langsam in sein Denken stahl. Seine Nackenhaare stellten sich auf, sein Herz schlug schneller und überall glaubte er huschende Schatten zu sehen, welche für Ratten oder Vögel, die man oft in Ruinen wie dieser fand, zu groß waren. Alsbald glaubte er den schweren Atem einer riesigen Kreatur zu hören. Etwas knackte tief unter ihnen, als sie endlich eine Treppe fanden. Sturm zuckte bei diesem Geräusch merklich zusammen und auch Sirith tat einen Schritt zurück. Sturm sah zu ihm. Also war er doch nicht verrückt. Er bildete sich dieses Geräusch also doch nicht nur ein. Der Ritter schloss kurz die Augen und zählte stumm bis zehn, ehe er den Fuß auf die oberste Stufe setzte und langsam den Abstieg begann. Das Geräusch wurde lauter. Schweres Schnauben einer gewaltigen Kreatur. Heißer Wind schlug ihnen von unten entgegen und trieb den Staub zu ihnen herauf, dass Sturm und Sirith kaum erkennen konnten, wo sie ihre Füße hin setzten. Mehr als einmal gerieten sie ins Straucheln und konnten sich nur mit Mühe noch fangen. Sturms Muskeln begannen bald zu schmerzen. Er war zu schwer verletzt worden beim Untergang des Schiffes und hatte sich noch bei Weitem nicht genug erholt um nun einen solchen Gewaltmarsch durch eine alte Ruine durch zu stehen und an dem keuchen und hecheln, welches von Sirith ausging, konnte er erkennen, dass es auch dem Freibeuter nicht besser ging. Es nützte alles nichts, die brauchten eine Pause. Auf einem Absatz machten sie also Rast und versuchten trotz der schlechten Luft, welche sie oft zum Husten brachte, zu Atem zu kommen. Sturm wusste nicht, wie lange sie dort gesessen und gewartet hatten doch letztlich machte es auch keinen Unterschied. Sie hatten die Pause gebracht. Nun jedoch setzten Sturm und sein Begleiter ihren Weg hinab in die Finsternis fort. Immer tiefer wand sich die Treppe hinab. Immer lauter wurde das Schnauben und immer wärmer die Luftstöße, die empor schlugen. Schließlich erreichten sie vollkommen verdreckt und müde den Fuß der Treppe und atmeten mehrmals tief durch. Sirith ließ sich nach hinten sinken. „Was tun wir hier, Sturm? Wir sollten verschwinden und nicht nach der Quelle irgendeines Geräusches suchen…“ „Weiter…“ War jedoch alles, was der Drachenritter auf diese Worte erwiderte. Er wusste es ja selbst. Dennoch… Sein Pferd war irgendwo hier unten, das spürte er und er hatte nicht vor dieses edle, treue Tier hier bei irgendeinem Ungeheuer zu lassen auf das es starb. Also ging er weiter. Tiefer in die Ruine. Hier unten war es sogar noch dunkler. Weshalb Sturm noch einmal zurück zur Treppe ging und einen Balken nahm. Er riss ein Stück seiner Kleidung ab und wickelte den Streifen um das Holz. Das gleiche tat er noch zweimal, ehe er einen Stein aus seiner Tasche zog und diesen über sein Schwert führte, dass Funken stoben. Sie setzten die erste der provisorischen Fackeln in Brand und Sturm packte Schwert und Stein wieder weg. Der Ritter hob die Fackel hoch und ging los, nachdem er Sirith die beiden anderen in die Hand gedrückt hatte. Sie sollten als Reserve dienen. Nun schlug ihnen nicht mehr nur der heiße Wind entgegen. Dazu gesellte sich wieder modriger Geruch von Stein, aber noch etwas anderes, etwas, was Sturm zum würgen gebracht hätte, hätte er es nicht gekannt: der faulige Gestank von Verwesung. „Das wird ja immer gemütlicher hier.“ murrte Sirith und hielt sich die Hand vor Mund und Nase. „Das riecht schlimmer als die Fischsuppe von Tiras Schiffskoch… und das will was heißen“ „Sag bloß du kennt diesen Geruch nicht…“ Sturm sah den Anderen erstaunt an. „Doch klar… So riecht’s wenn irgendwo ein Versager verfault.“ „Nicht nur bei Versagern… Es riecht immer so, wenn irgendwas verfault, dass aus Fleisch besteht.“ Sturm ging nun langsamer weiter. Wer konnte schon ahnen, was sich da hinter der nächsten Biegung verbarg? Er selbst jedenfalls wollte da kein Risiko eingehen. Sie erreichten die Quelle dieses entsetzlichen Gestanks und selbst dem kampferprobten Sturm verschlug es die Sprache. Vor ihnen erstreckte sich eine gewaltige Halle, die – wie die Mauerreste vermuten ließen – einmal in mehrere Räume und Flure unterteilt gewesen war. Der Boden war übersäht von Leichen, welche zum Teil bereits Monate, wenn nicht Jahre, hier liegen mussten. Der Boden war zerrissen von gewaltigen Klauen. Das Mosaik an einer Wand ließ nur noch erahnen, dass man hier einst eine Szene aus alten Mythen hatte erkennen können. Ein schabendes Geräusch wie von einem riesigen Wesen, welches sich durch einen zu engen Tunnel zwängte, erfüllte den Raum. Sturm hob die Fackel höher und konnte gerade noch erkennen wie ein gewaltiger Drachenkopf sich in die Finsternis zurück zog. Grüne Augen hatten ihn unter einem goldenen Stirnschutz angeblitzt. Sturm erkannte die Drachin erst, als sie bereits verschwunden war. „Beim Blute Raunems…“ murmelte er leise und schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein. „Sturm?“ Sirith sah seinen Begleiter fragend an. „Sturm, wer war das? Kanntest du den Drachen?“ „Ja…“ Der Ritter nickte. „Das war Simarin… sie Verräterin.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)