A new Story von Sila (Die Geschichte einer Tänzerin~) ================================================================================ Kapitel 21: ~ „Wer bist du wirklich?“ ~ --------------------------------------- Verwundert erwiderte Skyre Silas Blick, denn so hatte er sie noch nie erlebt. Sie stand kerzengerade vor ihm, mit einem Blick, der scheinbar tiefer in ihn hineinsehen wollte, als er jemals einem Menschen hineinzusehen erlaubte. Etwas an ihrem ernsten Blick und ihrer geballten Faust zeigte ihm, dass sie keine Scherze machen wollte. Als Sila am späten Nachmittag den Raum betrat, den Skyre zum Tanzen eröffnet hatte, ging für ihn eine Sonne auf. Normalerweise war er derjenige, der Sila in ihrem Raum aufsuchte, doch an diesem Tag begrüßte sie mit einem höflichen Lächeln sowohl ihn, als auch die fremden Mittänzer, die ihr Geschick im Tanz gegen Skyre versuchten. Ohne weitere Worte zu verlieren, stellte sie sich an den letzten freien Platz und zeigte an, dass sie bereit zum Tanz war. Genau so wie er es gewohnt war, wenn Philphlader nicht dabei war, nahm Sila gleich nach dem ersten Tanz den zweiten Platz hinter ihm ein und noch mehr; Skyre bemerkte die Blicke, mit denen sie von den männlichen Mittänzern beäugt wurde. In sich hinein lächelnd konnte er jedoch beobachten wie sie auf der Stelle ihre innere Mauer hochzog und die Mittänzer mit keinem weiteren Blick würdigte. Dabei fiel ihm auf, dass er es im Stillen sogar genoss, der einzige Tänzer zu sein, der überhaupt von Sila registriert wurde, obwohl er gleich von Anfang an bemerkte, dass sie nur das Nötigste redete. 'Sila mag keine fremden Männer um sich herum', dachte er. 'Ich habe ihre Abneigung ja gleich von der ersten Sekunde an genau so abbekommen'. Ein Schmunzeln erhellte sein Gesicht, als er an die ersten Tänze und die darauf folgenden Wochen und Monate mit dieser seltsamen Tänzerin dachte. Einige Tänze vergingen und nach und nach verließen die Mittänzer den Raum, was weder Skyre noch Sila wunderte, denn es war immer das gleiche Spiel, nachdem fremde Mittänzer merkten, dass sie besonders Skyre nicht das Wasser reichen konnten. Sila hingegen war es völlig gleichgültig ob sie an zweiter oder letzter Stelle tanzte, sie genoss es einfach zu tanzen und besonders die Gemeinschaft mit ihren Freunden zu haben. Doch kaum hatte der letzte Mittänzer die Tür zum Vorbereitungssaal hinter sich geschlossen, drehte sich Sila um und begab sich ebenso wie der letzte Tänzer auf direktem Weg zur Tür. Im ersten Augenblick dachte Skyre schockiert, dass er sie auf irgend eine Weise verärgert haben könnte, doch als er ein lautes Klicken hörte, stellte er fest, dass sie nur die Tür für Außenstehende blockiert hatte. Danach stellte sie sich aufrecht vor den verwunderten Skyre, der die Welt nicht mehr zu verstehen schien, und fragte ihn mit ernstem Blick, ohne jede Vorwarnung und geradewegs heraus: „Wer bist du wirklich, Skyre? Oder sollte ich dich besser bei deinem richtigen Namen nennen?“ Skyre spürte wie sein Herz einen Aussetzer machte, doch äußerlich erwiderte er ihren Blick und schien die Ruhe selbst zu sein. Solch eine Situation konnte ihn nicht dazu bringen, seine Fassung zu verlieren. Er hatte es nur ein einziges Mal seit einer langen Zeit zugelassen, dass jemand, zudem noch eine völlig fremde Ausländerin, seine wahren Gefühle sehen konnte, und für diese „Schwäche“ würde er sich zu gerne immer wieder selbst ohrfeigen. Seit diesem Tag, musste er immer wieder die durchdringenden Blicke von Sila einstecken, auch wenn er sie nach außen hin gut ignorieren konnte. Schauspielerei war zum Teil seines Lebens geworden, auch schien er es schon wie aus Reflex zu tun, denn manchmal erschauderte er selbst vor sich und fragte sich, wer er eigentlich in Wirklichkeit sei, ohne die ganzen Masken. „Du hast mich doch eben gerade schon bei meinem richtigen Namen genannt: Skyre“, sagte er und tat, als wüsste er überhaupt nicht was Sila von ihm wollte, doch Sila verdrehte die Augen und fuhr ernst fort: „Ich rede hier nicht von Skyre oder Sky. Ich spreche hier von deinem koreanischen Namen Yong-Kyun!“ Skyre dachte nach, dann lächelte er: „Yong ist einer der klassischen Nachnamen in Korea und Kyun ist ein ziemlich bekannter und beliebter Vorname bei uns.“ Er zuckte mit der Schulter. „Wer ist dieser Yong-Kyun, von dem du sprichst?“ „Er ist der Leader, Sänger und Texter von der koreanischen Gruppe 'RedMotion'.“ „Ach DER Yong-Kyun“, nickte Skyre freundlich, „Du scheinst dich gut mit koreanischen Themen auszukennen, Sila.“ „Quatsch! Ich kenne nur 'RedMotion', weil sie tolle Lieder machen!“ Skyre war erstaunt über den ernsten Blick, der einfach nicht von Silas Gesicht verschwinden wollte. Ihr schien die Sache wichtig zu sein, doch schien sie zu viel zu wissen oder wenigstens zu ahnen, als dass er sich wirklich ernsthaft herausreden könnte. Er kannte sie noch nicht gut genug, aber immerhin lange genug, um zu wissen, dass Sila ziemlich stur und unnachgiebig sein konnte, wenn sie sich erst einmal etwas vorgenommen hatte. Diese Charaktereigenschaft verband sie auf gewisser Weise mit ihrem Adoptivbruder, fand Skyre und wunderte sich selbst, warum er diesen Vergleich so amüsant fand. „Wirklich? Wenn du sie so gut kennst, dann sag mir doch einfach mal welches Lied du von ihnen am liebsten hast.“ Sila riss empört die Augen auf. 'Ich fasse es nicht! Er will doch tatsächlich das Thema wechseln', dachte sie zwar, doch sie ging trotz allem auf seine Frage ein, denn sie brauchte keine zwei Sekunden um „After Love!“ zu erwidern. Skyres Lächeln verwirrte Sila, denn sie war sich hundert prozentig sicher, dass sie ihn schon bei der bloßen Erwähnung von dem koreanischen Namen entwaffnen würde. Statt auf ihre Antwort einzugehen, sich zu verteidigen oder zu versuchen überhaupt irgendetwas zu erklären, ergriff Skyre Silas Hand. Ohne darauf vorbereitet zu sein, dass er sie überhaupt in Betracht ziehen würde, anfassen zu wollen, schien Sila innerlich zu erstarren, als sie ihn mit ihren großen Augen anstarrte, denn er stand nur noch wenige Zentimeter vor ihr entfernt und wagte es auch noch ihre Hand zu halten. Doch bevor sie irgendetwas tun oder sagen konnte, zog Skyre sie mit sich, während er die Saaltür wieder entriegelte, die Tür aufstieß und mit ihr den Raum verließ ohne ihn vorschriftsmäßig für die nächsten Tänzer vorzubereiten. Auch wenn es ihr schwer fiel seinem schnellen Schritt stand zu halten, hatte Sila kaum eine andere Wahl als ihm zu folgen, denn er lockerte seinen Griff nicht einmal ein wenig. Sie gingen durch die große Lobby, an der Cafeteria vorbei und begaben sich auf einen schmalen Weg, der zu den weiter entfernten Gebäuden führte, welche Sila noch nie gesehen, geschweige denn betreten hatte. Sie schien sogar vergessen zu haben, dass Skyre sie immer noch bei der Hand hielt, denn ihre ganze Aufmerksamkeit galt den unbekannten Gebäuden, wobei ein gigantisches, rundlich erbautes und sehr hohes Gebäude vor ihnen ihr den Atem raubte. Noch nie zuvor sah sie solch eine Architektur und schon gar nicht in der Nähe des großen Internatsanwesens. Sieben breite Stufen, die nach oben hin enger wurden, führten zu diesem Gebäude hinauf und Sila bemerkte, dass Skyre endlich sein Tempo zügelte, nachdem sie vor einem reich verzierten und mit vier großen Eingangstoren bestückten Eingang standen. Sila blickte erstaunt zu den hohen Türen auf und schätzte diese auf mindestens 4 Meter Höhe. „Was ist das hier für ein Gebäude?“, flüsterte sie mehr als sie redete. Doch Skyre lächelte nur, ließ endlich ihre Hand los und ging zielgerichtet auf die rechte äußere Tür zu. „Hey! Was machst du da?“, rief Sila erschrocken. Ihre Stimme klang sehr unsicher, als hätte sie vor etwas Angst. „Weißt du denn nicht, dass uns verboten ist andere Gebäude außer der Apartments und der Tanzräumlichkeiten zu betreten?“ Entsetzt merkte sie, dass Skyre ihre Worte überhaupt nicht interessierten und schaute ängstlich nach rechts und links, um zu sehen ob sie von irgendjemanden entdeckt werden konnten. Als ihr Blick wieder an die Stelle fiel, an der sich Skyre das letzte Mal aufhielt, stellte sie fest, dass er nicht mehr da war. Stattdessen stand die große Tür offen und ehe sie sich überlegen konnte, was sie tat, lief Sila durch die Tür. Fassungslos hob sie ihren Kopf an, als sie in einer großen Konzerthalle stand, in der sogar die Sitze wie in einem modernen Kino mit jeder Reihe erhöht wurden. Unbewusst hob sie ihre Hände an ihre Brust, als schien sie Angst zu haben die dunkelrot überzogenen Stoffsitze zu berühren oder überhaupt zu atmen. Es gab sogar sechs Balkone auf zwei Etagen in diesem Konzertsaal und Sila musste erkennen, dass sie noch nie in solch einem Konzertsaal gestanden hatte. Doch plötzlich schien ihr einzufallen, dass sie Skyre aus den Augen verloren hatte, denn sie schaute sich suchend um. Wiederum wurden ihre Augen vor Erstaunen größer, als sie ihn auf der Bühne, neben einem reinen weißen Flügel stehen sah. Seine Augen funkelten, als wäre er ein kleiner Junge, der seiner Mutter ein selbstgemachtes Geschenk überreichte. „Bist du verrückt geworden?“, fuhr sie ihn an, während sie auf ihn zulief. „Wir dürfen noch nicht einmal einen Fuß hier hinein setzen und du stellst dich mitten auf die Bühne!“ „Wer sagt, dass es verboten ist?“ „Eh?“ Sila sah, wie Skyres Lächeln breiter, aber herzlicher wurde, als er ihr seine Hand reichte um sie auch auf die Bühne zu ziehen. Am liebsten würde sie seine Hand mit ihrer Hand von sich stoßen, doch diese schien sich wie von selbst in seine zu legen und sie spürte seine Kraft, als er sie zu sich auf die Bühne zog. Einen kurzen Augenblick fühlte sie wie eine lang nicht mehr vorgekommene Röte in ihre Wangen schoss, doch sie atmete ruckartig ein und aus, um das lästige Übel dadurch zu vertreiben, in der Hoffnung Skyre, welche Absichten er auch ihr gegenüber hegte, würde dieses ungeliebte Zeichen nicht falsch deuten. 'Frauen werden eben manchmal rot', schimpfte sie ärgerlich in sich hinein. Nachdem Skyre überzeugt war, dass Sila fest auf der Bühne stand, ging er um den wunderschönen Flügel herum und nahm auf dem gepolsterten Klavierhocker platz. Ehe sie sich bewusst wurde, was geschah, begann er, fast schon liebevoll, die Tasten herunter zu drücken. Sila hielt erschrocken den Atem an als sie den instrumentalen Part eines bekannten Liedes erkannte. Ein Lied, das sie Wochenlang rauf und runter gehört hatte und bei dem so viele Tränen geflossen waren, eine Melodie, die im Lied eigentlich von einer Geige gespielt wurde, welche jedoch als Klavierstück nicht weniger schön war. 'Er spielt tatsächlich „After love“', stellte sie fest und spürte wie ein kalter Schauer ihren Rücken hinunterwanderte als Skyre einatmete und an der richtigen Stelle zu singen begann. In jenem Augenblick hatte Sila das Gefühl alles nur zu träumen, als würde sie – wie zu der Zeit, nach der Trennung von Chuckie – auf ihrem Sofa liegen und das Lied hören. Seine Stimme war die selbe Stimme, die sich in ihren Ohren so sehr eingeprägt hatte, denn sie mochte den Klang der Stimme des Sängers von 'RedMotion' sehr gerne und ihr gefiel es wie er seine Worte formte, auch wenn sie seine Sprache nicht verstand. Damals hatte sie über das Internet eine englische Übersetzung von dem koreanischen Lied gefunden und auch jetzt hallten die Worte in ihrem Kopf, als würde Skyre nicht auf koreanisch, sondern in der internationalen Sprache singen: „Nur für dich habe ich gelacht Nur für dich habe ich gelebt ...und ich glaubte an deine Liebe! Aber es war alles eine Lüge! Weil du mich verlassen hast mit so viel Schmerz ...gefüllt mit Traurigkeit und Tränen Du sagtest, du würdest nur mich lieben, mich beschützen Aber deine Liebe war nur eine Lüge Du hast mein Herz genommen und meine Liebe Weggehen, verlassen ist alles was deine Liebe ist!“ Als Skyre den letzten Akkord gespielt hatte, pochte Silas Herz immer noch so sehr, als hätte sie einen Marathonlauf hinter sich. Sie sah, wie er ihr ein strahlendes Lächeln schenkte, als er sie das erste Mal, nachdem er auf dem Flügel zu spielen begann, ansah. Doch sein Lächeln verstummte augenblicklich als er eine einsame Träne auf ihrer Wange sah. Sofort sprang er auf und fragte verwundert was er falsch gemacht habe, begleitet von Entschuldigungen darüber, dass er sie gegen ihren Willen in die Konzerthalle geführt hatte und endete mit Entschuldigungen darüber, dass er ihr nicht gleich erzählte wer er war. Überrascht hörte er ein helles Lachen, ein Lachen, dass durch die Akustik im Gebäude noch verstärkt wurde. Trotz feuchten Augen, lag ein Leuchten auf Silas Gesicht, auch dann noch, als sie mit ihrer rechten Hand die Träne von ihrer geröteten Wange wischte. „Du bist doch noch der selbe geblieben“, hörte er sie sagen. „Wie meinst du das?“ „Du machst dir zu erst um alle anderen sorgen, bevor du an dich denkst.“ Diese Worte trafen Skyre unerwartet. Wie konnte Sila, die ihn nur wenige Monate kannte, so etwas von ihm sagen? Er selbst wusste gar nicht wer er wirklich war, was sein Wesen ausmachte. Alles was er kannte, war ein Yong-Kyun, der nach der Pfeife der Manager, der Fans und der Medien tanzte, und Tag für Tag gezwungen war sein „ich“ zu verleugnen um etwas zu sein, was er gar nicht war und immer weniger ertragen konnte. Doch bevor er ihr etwas entgegnen konnte, bemerkte er ihren traurigen Gesichtsausdruck und war völlig verwirrt als er sogar Mitleid in ihrem Blick bemerkte, während sie fast flüsternd sagte: „Es tut mir von ganzem Herzen leid für dich...“ Immer wieder staunte Skyre darüber wie schnell Silas Stimmung sich ändern konnte, genau so wie sich das Wetter manchmal ändern konnte. Doch aus ihrem Satz wurde er nicht schlau, im Gegenteil; Er war sogar etwas enttäuscht, denn er hatte sich ihre Reaktion ganz anders vorgestellt. 'Wobei', stutzte er in Gedanken, 'WAS habe ich mir eigentlich vorgestellt? Dass sie anfängt zu kreischen, wie es die Mädels in Korea tun, sobald ich auch nur auf die Straße gehe? Dass sie mir um den Hals fällt, nur weil ich ihr Lieblingslied gesungen habe? Dass sie mich um ein Autogramm bittet? Nein! Wenn sie so reagieren würde, wäre sie nicht Sila.' Aber er musste sich doch eingestehen, dass er niemals erwartet hätte, dass Sila ihn mitleidig ansehen würde, nachdem er ihr sein Geheimnis anvertrauen würde. Anscheinend wusste sie nicht, was es ihn kostete hier, in dieser kleinen Stadt zu zeigen, dass er nicht nur Skyre, sondern in Wahrheit Yong-Kyun Skyre war, ein Mann, der in Korea so tief in eine Krise gestürzt war, dass er die Flucht ergriffen hatte. „Was tut dir leid?“, erwiderte er und suchte ihre Gedanken zu ergründen. „Das, was du erlebt hast ... Ich meine“, sie atmete tief ein und Skyre hatte den Eindruck ihr wollten schon wieder Tränen in die Augen steigen. „Es muss schrecklich sein so sehr verletzt worden zu sein!“ Skyre verstand die Welt nicht mehr: „Wovon redest du bitte, Sila?“ „Von deinem Lied!“ „W – Wie bitte? Der Text ist doch auf koreanisch.“ „Ich weiß, aber ich habe mal die Übersetzung davon ausgedruckt“, gab Sila weiter. Skyre seufzte, ihm war seine Enttäuschung im Gesicht abzulesen, „Das ist doch nur ein Lied.“ „Nur ein Lied? Aber es wurde doch von dir geschrieben, oder habe ich da was falsch verstanden?“ Skyre klappte den Flügel zu und Sila konnte sehen, dass seine Stimmung sank. „Ja, ich habe es geschrieben, na und?“ Verwundert über seine schlechte Laune sah sie ihn fragend an, doch dann sagte Sila versöhnend: „Du ... musst nicht darüber sprechen, wenn du nicht willst. Schon gar nicht mit mir.“ „Sila!“ Er ergriff sie an den Armen und sagte mit einem gereiztem Unterton, „Es ist NUR ein Lied!“ „Aber dein Text...“ „Der Text wurde nach der Melodie geschrieben. Was hat das mit mir zu tun?“ Nun war auch Sila verwirrt, denn ihr schien, dass er überhaupt nicht verstand was doch so offensichtlich zu sein schien. „Vieles! Schließlich hast du es geschrieben. Da stecken doch deine Gefühle, Erinnerungen und Gedanken drin.“ „Bitte was?“ „Rede ich chinesisch oder was?“, Sila fühlte sich nicht für voll genommen. „Da – da stecken KEINE Gefühle und Erinnerungen von mir drin!“, rief Skyre verärgert und sah wie Sila erschrocken die Augen aufriss. Erst jetzt bemerkte er was sie mit ihrem Mitleid meinte und dass sie mit ihrer Äußerung einen wunden Punkt bei ihm getroffen hatte. Doch sie ließ nicht locker, denn es schien als wollte sie mit allen Mitteln verstehen, warum er ein Lied geschrieben hatte, was ihm überhaupt nichts bedeutete. „Wie kannst du denn ein Lied mit solchen tiefen Gefühlen schreiben, wenn du so etwas gar nicht erlebt hast?“ „Ich schreibe, was die Fans hören wollen... Ich habe es dir doch schon einmal erklärt, dass wir Koreaner auf Herzschmerz stehen und mein Song gibt ihnen was sie wollen.“ Sila rümpfte angewidert die Nase, doch ihr verachtender Blick traf Skyre härter als sie eigentlich gewollt hatte. Instinktiv hatte er das Gefühl sich rechtfertigen zu müssen, als ihm einfiel: „Du hast doch selbst gesagt, dass es dein Lieblingslied ist. Deswegen habe ich es doch extra für dich gesungen!“ „Das hat einen anderen Grund“, sagte sie verärgert, drehte sich auf dem Absatz um und sprang die Bühne herunter. Erschrocken darüber, dass Sila ihn ohne weiteres stehen ließ, lief er ihr nach: „Was für einen Grund?“ „Das geht dich nichts an!“, fuhr sie ihn an. In diesem Augenblick schienen Skyres Gedanken hin und her zu rasen. Er wollte ihr eine Freude machen, ihr sein Geheimnis anvertrauen um sich ihr vielleicht ein klein wenig zu öffnen, in der Hoffnung, dass auch sie in ihm endlich einen Freund sehen könnte, doch nie hätte er damit gerechnet, dass Sila zu ihm so kalt werden könnte wie er es manchmal bei den Streitigkeiten zwischen ihr und ihrem Bruder bemerkte. Er spürte eine nie gekannte Angst, das wenige Vertrauen, das Sila ihm entgegengebracht hatte, auch noch zu verlieren. Aus diesem Grund tat er etwas, was er niemals zuvor getan hatte; Er ergriff von hinten ihren Arm und drehte sie mit seiner Kraft zu sich herum. Doch als er die Tränen sah, die ihre Wangen herunterliefen, ließ er ihren Arm los und stotterte eine Entschuldigung. Sila stand nur steif vor ihm, nur wenige Zentimeter, doch er wagte es nicht sie noch einmal zu berühren. Sie wirkte so verletzt, dass er sich die größten Vorwürfe machte, was er ihr nur angetan haben könnte. Sie wischte sich mit ihrem Ärmel die Tränen von den Wangen, sichtlich verlegen, dass er sie gesehen hatte. Gerade als sie sich jedoch von ihm weg drehen wollte, sah sie auf ein weißes Papiertaschentuch, das er in seiner Hand ihr entgegen hielt. Stumm nahm sie es an, doch sie wagte keinen weiteren Blick, denn es war ihr unsagbar peinlich, dass sie vor dem Koreaner ihre Beherrschung verloren hatte. Sie ärgerte sich, dass ein Lied, das sie damals so oft hörte, es schaffen konnte, dass sie Tränen vergoss und dies auch noch ausgerechnet vor Skyre, dessen Freundschaft sie immer wieder suchte von sich fern zu halten. Erschöpft setzte sie sich auf einen gepolsterten Sitz und sagte - eine für Skyre gefühlte Ewigkeit - kein einziges Wort. Unschlüssig stand er immer noch an seiner Stelle, gefolgt von einem schlechten Gewissen, doch mit dem Ziel diese dumme Situation aus der Welt zu schaffen. Er wusste nicht warum, aber er wollte Sila wieder lächeln sehen. So setzte er sich reuevoll, wie ein kleiner Junge, der etwas böses getan hatte, auf den Boden, neben dem Sitz, auf dem sie Platz genommen hatte, sagte aber kein Wort. „Ich habe dieses Lied früher sehr oft gehört...“, hörte er Sila leise sagen. Langsam hob er seinen Kopf an und sah, dass ihr Blick in die Ferne gerichtet war. „Gerade zu einem Zeitpunkt, an dem mein Herz gebrochen wurde, habe ich das Lied entdeckt... Als ich den Text dazu gefunden habe, wurde das Lied mein Begleiter für mehrere Monate...“ Sila seufzte und knüllte das gebrauchte Taschentuch zusammen, „Es war als würde es die Worte sagen, die ich nicht sagen konnte, keinem Menschen. Es war als würde es für mich sprechen. Das Lied ist mit so viel Gefühl gesungen worden, weißt du?“ Nun sah sie ihn direkt an. „Sag mir: Wie kann man ein Lied schreiben, das jemanden zum weinen bringt, ohne dass man so etwas erlebt hat? Wie gefühlskalt muss man sein, um solche Dinge zu schreiben, nur weil die Fans es wollen?“ Skyre spürte einen Stich im Herzen, „Ich bin nicht gefühlskalt!“ „Bist du nur Sänger geworden, um von den Fans angenommen zu werden? Um Musik zu machen die anderen gefällt? Sag es mir!“ Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn und sein atmen setzte aus, als Sila ihm ihre Fragen so direkt an den Kopf warf. Sein Gesicht verlor die Farbe, als er es wagte ihre Fragen noch einmal aufzugreifen. Warum hatte er das Lied geschrieben? Das und die vielen anderen, die im koreanischen Radio und Fernsehen rauf und runter liefen? Er erinnerte sich noch daran, als er den Ratschlag von seinem Manager erhielt bei seinem ersten Song genau darauf zu achten, dass er die Wünsche der Fans respektierte. Die Fans würden schließlich entscheiden welche Band, welcher Sänger steht und fällt. Sie waren die Jury für eine kleine Band, die erfolgreich werden wollte. 'Wollten wir wirklich nur erfolgreich werden?', überlegte Skyre, 'Oder haben wir damals nicht einfach nur angefangen an die Öffentlichkeit zu gehen, weil uns Leute gesagt haben, wir hätten was drauf?' Skyre erinnerte sich noch wie gerne er und seine vier Bandkollegen sangen und Instrumente spielten. Sie traten aus Spaß in Clubs auf und wurden sehr gerne eingeladen. Irgendwann kam ein Manager zu ihnen und überredete sie einen Song zu schreiben und diesen dann vor Publikum als eine neue Band vorzustellen. So wurden aus fünf Freunden, die gerne zusammen sangen, eine Band mit dem Namen „RedMotion“. Nach vier Jahren, waren sie in ganz Korea beliebt. Skyre schrieb Lieder, die einer nach dem anderen erfolgreich waren, sogar für Tanzinternate schrieben sie Lieder, die ohne Mühe akzeptiert und eingeführt wurden. Doch eines Tages wurde Skyres „heile Welt“ von einem geschätzten Freund, der selbst Sänger war, erschüttert. Nach einem großartigen Konzert, nahm ihn Lee Kai bei Seite und sagte zu ihm in direkter Weise: „Es war eine großartige Show, aber ich muss sagen ich bin enttäuscht von dir, Kyun.“ „Ich weiß, ich hätte etwas mehr geben können. Beim nächsten Mal werde ich dich vom Hocker reißen, dass verspreche ich dir!“, erwiderte Skyre daraufhin gut gelaunt in seinem privaten Umkleideraum. Doch Lee Kai schüttelte nur traurig den Kopf. „Ich fürchte das kannst du nicht. Deine Leistung geht den Bach runter, mein Freund. Du schauspielerst nur.“ Auf solch eine niederschmetternde Kritik war er nicht vorbereitet, schon gar nicht von seinem besten Freund, der als Solist sehr beliebt war. „Ich verstehe nicht was du meinst.“ „Das, was du auf der Bühne spielst, ist fahl und lasch. Wo hast du dein Herz gelassen, Kyun? Wo ist das Leuchten in den Augen, dass ich früher so sehr bei dir bewundert habe? Die Dinge, die du singst, hast du niemals empfunden. Du spielst nur die Gefühle und die Fans kaufen es dir ab, weil sie dich nicht kennen.“ Lee Kai atmete traurig ein, denn er wusste, dass er mit dem, was er sagte, die Freundschaft von Yong-Kyun aufs Spiel setzte. „Aber ich kenne dich. Ich weiß wie du bist und was du bist. Leider muss ich mit jedem weiteren Konzert feststellen, dass ich den Star von 'RedMotion' nicht kenne. DU bist ein Fremder für mich geworden, Kyun!“ Diese Worte haben Skyre mehr verletzt als alles, was er in seinem Leben erlebt hat. Damals hatte er sich nicht aufgeregt, hatte seinem Freund nur höflich gedankt, dass er ihm seine Meinung gesagt hatte, doch seit diesem Tag, gab es einen Bruch. Skyres Launen während der Konzerte waren unvorhersehbar. Ihm setzte das harte Urteil mehr zu, als irgendein Urteil in der Klatschpresse. Seine Bandkollegen und auch die Fans bemerkten seine Launen- und Leistungsschwankungen und es dauerte nicht lange, bis ihm sein Manager freundlich „riet“ sich ein wenig Auszeit zu suchen. Als kleiner Junge, wurde Skyre von seinen Eltern auf das Tanzinternat in ihrer Stadt geschickt. Sein Vater wollte, dass aus ihm ein großartiger Tänzer wurde und sein Wunsch erfüllte sich, denn Skyre gewann einen Titel nach dem anderen. Bis er jedoch seine Liebe zum Gesang fand und zudem auch noch Freunde bekam, die gerne musizierten, wie er es auch gelernt hatte und gegen den Willen seiner Eltern die Band „RedMotion“ gründete. Seit dieser Zeit hatte Skyre mit dem Tanzen aufgehört, denn er wollte jemand sein, der er nicht war und verheimlichte seine tänzerischen Fähigkeiten hervorragend. Das Musikbusiness hatte ihn völlig eingenommen und sein Erfolg stieg ihm zu Kopf. Als sein Manager ihm klar machte, dass er in seiner Verfassung nicht mehr auf der Bühne stehen durfte, wollte Skyre nur noch irgendwohin, wo ihn keiner kannte, fliehen. Als er auf dem Flughafen ankam, las er auf der Anzeigetafel einen Ort, den er schon einmal gehört hatte. Während der Zeit, als er für einige Jahre im Ausland lebte und ein mittleres Tanzinternat besuchte, lernte er 2 Freunde kennen, Philphlader und Koreaner, die ihm von einem kleinen Tanzinternat erzählten, der in diesem Ort sein sollte. 'Komisch, dass es mir gerade jetzt einfällt', dachte er und erkundigte sich, ob die Angaben richtig waren. Als man ihm seine Frage nach einem Tanzinternat in diesem Ort bestätigte, buchte er ein Ticket und flog dort hin. Niemals hätte er sich träumen lassen können, dass er seine früheren Freunde dort antreffen würde und noch viel mehr; dass er dort auf einen kleinen Freundeskreis, nein, vielmehr einer einzelnen Tänzerin stoßen würde, die scheinbar mehr über ihn wusste, als er selbst. „Ich habe eine Bitte“, sagte Skyre leise. „Bitte verrate mich noch nicht den anderen, obwohl ich glaube, dass Philphlader schon längst etwas ahnt...“ Er stand auf und ging langsam in den Eingangsbereich des Konzertsaales zurück, wobei er mehr zu sich als zu Sila sagte: „Ich brauche Zeit um über deine Fragen nachzudenken...“ Als Sila seinen Zustand erkannte, tat es ihr leid, dass sie ihm so direkt Vorwürfe gemacht hatte. Sie hatte mal wieder einen Menschen mit ihren Überzeugungen überrollt. Langsam stand sie auf, stopfte ihr Taschentuch in eine kleine Tasche ihrer kurzen Jacke und lief Skyre nach. Während sie den schmalen Weg wieder zurückgingen und Skyre mit beiden Händen in den Taschen und tief in Gedanken neben Sila her ging, musste sie wieder einmal an den Abend zurückdenken, als sie ihn im Park traf. Genau so niedergeschlagen sah er nun aus, doch in Silas Herz schlich sich nun langsam Verständnis für den Mann ein, den scheinbar etwas gewaltiges beschäftigen musste. Während sie zu dem großen, gebeugten koreanischen Mann aufsah, spürte sie einen inneren Drang ihm zu helfen, aus dem Loch, in dem er steckte, heraus zu kommen. „Erinnerst du dich noch an das, was ich dir sagte, als wir das letzte mal zu Zweit spazieren gingen?“, fragte Sila und ein leichtes Lächeln erschien auf ihren Lippen. Skyre drehte seinen Kopf nach rechts um Sila ansehen zu können und bemerkte wohl zum hundertsten Mal wie hübsch er diese Tänzerin mit den weichen, blonden Haaren fand. „Ich denke schon...“ „Ich sagte dir: 'Ich hoffe, dass du hier bei uns das findest, was du suchst...'“, sagte Sila und schob, ohne darüber nachzudenken was sie tat, ihren linken Arm unter seinen Rechten und lehnte, zu seinem großen Erstaunen, gleichzeitig ihren Kopf auf seinen Oberarm. „Vielleicht hast du längst gefunden, was du suchst... Wenn du mir erlaubst, würde ich dir gerne helfen!“ Ende Kapitel 21: ~ „Wer bist du wirklich?“ ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)