Sonnenaufgang im Westen von Hotepneith (Aus den jungen Jahren eines Hundefürsten...) ================================================================================ Kapitel 1: Aufstand ------------------- Im Schloss des Dämonenfürsten der südlichen Inseln lehnte ein weißhaariger Mann auf dem Hocker des Hausherrn, den man unter Menschen für um die Dreißig geschätzt hätte. Seine Kleidung zeugte von seinem Status und von Reichtum. Er betrachtete mit einem etwas zynischen Lächeln den vor ihm Knieenden: „Mein lieber Tomi, Ratgeber kommt nicht von raten. Aber ich habe einen guten Tag und will deine Unwissenheit erleuchten. Frage.“ „Danke, mein Herr und Fürst.“ Der angesprochene Dämon verneigte sich tiefer. Er wusste nur zu gut, dass die Mittel, mit denen sich sein Herr den Aufstieg verschafft hatte, lieber nicht genau betrachtet werden sollten. Und dass es wohl niemandem im Schloss oder gar im ganzen Süden gab, der Fürst Susumu nicht achtete – oder besser fürchtete. Susumu hatte einmal gesagt, dass er sein Ziel stets erreichte, selbst, wenn dafür die Sonne im Westen aufgehen müsste, und er setzte seine Interessen auch stets gnadenlos durch: „Ich begreife durchaus, dass Euch die weiten, westlichen Länder reizen, auch, dass Ihr einen direkten Angriff für...mit gewissem Risiko behaftet haltet. Der Hundedämon, der den Westen beherrscht, soll nicht nur selbst recht stark sein, sondern verfügt auch über sehr viele kampferprobte Dämonenkrieger der verschiedensten Arten. Daher erscheint es nur vernünftig, Aufstände anzuzetteln, so dass der Fürst der westlichen Länder, der Inu no Taishou, sich gezwungen sieht, jedes einzelne Feuer zu ersticken, ehe es zum Flächenbrand wird. So werden er und seine Krieger gebunden. Nur, was ich nicht verstehe: warum gilt dabei Euer Hauptaugenmerk ausgerechnet diesem Provinzfürsten Kodoro? Sicher, Ihr verhandelt auch mit Zunai, weiter im Norden. Da er einer der Heerführer des Taishou ist, wäre sein Aufstand weitaus gefährlicher für seinen Herrn...aber Kodoro?“ „Kodoro, ja.“ Fürst Susumu lächelte erneut, aber es war kein angenehmes Lächeln: „Tatsächlich ist dir bei unserem Besuch im schwebenden Schloss aufgefallen, dass der Gute nicht gerade der Hellste ist. Genau darum sprang er auch so bereitwillig auf meine Schmeicheleien an. Ohne Zweifel hält er sich inzwischen für einen würdigen Taishou oder gar Fürsten. Genau darum ist er geeignet. Ein offizieller Besuch bei ihm war unauffällig, seine Ländereien liegen nahe an der Grenze und so war es nur gute Nachbarschaft, in einem Gespräch gewisse Grenzstreitigkeiten auszuräumen. Nichts, was den Taishou aufschrecken müsste. Soweit kannst du folgen?“ „Ja, mein Herr und Fürst.“ Tomi hatte um ein Haar: selbstverständlich sagen wollen, aber dazu kannte er Susumu zu gut. „Zunai dagegen besitzt zwei sehr lästige Eigenschaften: er ist intelligent und loyal. Das macht es schwieriger. Falls Kodoros Aufstand fehlschlägt, gibt es übrigens noch eine nette Kleinigkeit für mich. Er hat eine reizende Tochter.“ „Ja.“ Tomi senkte den Kopf. Er wusste nur zu gut, dass der Fürst immer wieder heiratete, die jungen Frauen für eine oder mehrere Wochen bei sich behielt, ehe er ihrer überdrüssig war. Danach kamen sie in einen anderen Trakt. Sobald feststand, dass sie nicht schwanger waren, nutzte Susumu sie für seine Experimente im Keller. Und sein Ratgeber wagte nicht einmal sich vorzustellen, was dort ablief. Jedenfalls wurde keine der Dämoninnen je wieder gesehen. „Sie soll sehr stark sein.“ „Und womöglich mir endlich einen Erben schenken. - Nun, verkaufen wir das Fell des Hundes nicht, ehe wir ihn haben. Falls Kodoro jedoch Fürst der westlichen Gebiete wird, den Taishou besiegt, wird er mir gewiss aus Dankbarkeit seine Tochter geben. Und damit ist der Westen mein Erbe.“ „Natürlich erst, wenn Kodoro...verstorben ist.“ „Natürlich.“ „Darf ich Euch noch eine Frage stellen? Ihr habt gewiss nicht übersehen, dass der Taishou einen Erben hat, der auch schon erwachsen ist.“ „Er ist noch ein Jugendlicher. Und nicht gerade ein Held. Soweit mir meine Spione sagten, sitzt er viel in seinem Zimmer und lernt, kämpft nur, wenn er Unterricht hat. Immer freundlich, immer ruhig, immer höflich....Er ist ein Prinz, kein Krieger und dürfte kein Problem darstellen. Du darfst gehen, Tomi. Ich bin zufrieden mit dir. Du hast die Punkte erkannt, die in der Tat eine kleine Schwierigkeit darstellen könnten, wenn man sie nicht sieht.“ „Danke, mein Herr und Fürst.“ Der Ratgeber hütete sich seine Erleichterung zu zeigen, als er rückwärts aus dem Arbeitszimmer Susumus ging. Die junge, weißhaarige Hundedämonin, die auf dem Stuhl auf der Terrasse des schwebenden Schlosses Platz genommen hatte, musterte die Umgebung angespannt, ohne dies freilich zu zeigen. Sie machte sich Sorgen um ihren Vater. Zwar hatte er ihr versichert, alles durchgeplant zu haben, genügend Krieger und Verbündete zu besitzen, aber er war zu ihr, seinem einzigen Kind und seiner Erbin, offen genug gewesen: er führte einen Aufstand gegen den Inu no Taishou, den Fürsten der westlichen Gebiete. Das war Hochverrat, sowohl nach dem Dämonenrecht der Länder als auch nach dem der Hundedämonen. Der Herr der Hunde war dies nicht ohne Grund und angeblich sollte diese Familie schon länger die Herren stellen. Selbstverständlich hatte sie nichts dazu gesagt. Er war ihr Vater und sie ihm Gehorsam schuldig, aber manchmal hatte sie schon den Verdacht gehabt, dass Kodoro zu impulsiv für einen Dämon seines Ranges war – um kein härteres Wort zu verwenden. Warum nur war er plötzlich so besessen von der Idee, den Taishou schlagen zu können? Dieser verfügte doch sicherlich auch über Krieger. Das war Vater eigentlich erst geworden, nachdem dieser Fürst Susumu aus dem Süden hier gewesen war. Sie wusste nicht genau um was es gegangen war, da sie an den Besprechungen nicht teilnehmen hatte dürfen, aber sie war jedenfalls erleichtert gewesen, dass der Gast nicht erschienen war, um um ihre Hand zu bitten. Heirat war etwas, zu dem sie unter keinen Umständen Lust verspürte. Sie war eine mächtige Dämonin, gut ausgebildet in allem, was Verwaltung und auch Magie betraf – warum sollte sie sich bedingungslos einem Mann unterwerfen, nur, weil der eben einer war? Wäre sie ein Junge, hätte es keinerlei Diskussionen gegeben, dass sie ihrem Vater nachfolgen würde. So allerdings kamen immer wieder Dämonen, die um sie warben. Noch war es ihr stets gelungen, ihren Vater zu überzeugen, aber....ja, aber. Früher oder später würde ein Angebot kommen, dass er nicht ausschlagen wollte oder konnte – und Fürst Susumu war als Herr der südlichen Gebiete sicher ein attraktiver Schwiegersohn. Sie hegte ja den Verdacht, dass dieser nur hier gewesen war, um sie quasi zu besichtigen. Immerhin würde eine solche Heirat ihm gewissen Ärger mit dem Taishou einbringen, da die Ländereien Kodoros mit dessen Tod an seinen Schwiegersohn fallen würden. Und welcher Fürst mochte es, wenn seine Gebiete in der Hand eines anderen waren? Sie war zu klug und zu gut ausgebildet, um das nicht abschätzen zu können. Susumu hatte zwar keinerlei Andeutungen gemacht, aber die Prinzessin wusste nur zu gut um ihren Wert auf dem Heiratsmarkt. Sie war die Partie schlechthin. Leider. Manchmal hatte es schon Momente gegeben, in denen sie sich einen Bruder gewünscht hätte. Aber das half alles nichts. Wo blieb nur Vater? Warum kam keine Nachricht? Hatte er sich doch verschätzt und hatte gegen den Taishou verloren? Er war doch so sicher gewesen, dass es ein Überraschungsangriff werden würde... Kodoro warf sich auf die Knie, die Hände mit seinem Schwert darin vor sich ausgestreckt, als er seine Stirn in den Staub drückte, ohne es zu wagen zu seinem Gegenüber auch nur aufzusehen. Der Schock steckte ihm noch zu sehr in den Knochen. Jetzt wusste er, warum es Gerüchte gab, der Taishou würde die Hölle öffnen können. Ja, dieses Schwert konnte nur der Hölle selbst entstammen, da war er sicher. Er ließ seine Klinge los, bekundete damit offiziell seine Niederlage. Alles, was ihm noch blieb, war zu versuchen, wenigstens seine restlichen Männer überleben zu lassen – und natürlich sich selbst irgendwie zu retten. Aber, um ehrlich zu sein, erwartete er dies nicht. Er hatte Hochverrat begangen, das wusste er nur zu gut – und kein Fürst verstand dabei Spaß. Es hatte sich doch so gut angelassen, er kommandierte viel mehr Männer als die, mit denen der Taishou und sein Sohn hier erschienen waren. Nun ja, inzwischen wusste er auch, warum. Dieses höllische Schwert! Der Taishou hatte es gezogen und damit zugeschlagen – und kaum mehr als die Hälfte seiner eigenen, Kodoros Krieger, hatte das überlebt. Dann erst waren die Dämonen des Herrn der Hunde unter der Führung seines jungen Sohnes zum Angriff übergegangen. Und ihm war klar gewesen, dass es seine Pflicht als ihr Anführer war, das Leben seiner Männer zu schützen. Darum kniete er hier, entwaffnet. „Kodoro, eigentlich hielt ich dich immer für kein Genie, aber doch einen Pragmatiker. Kannst du mir verraten,was das hier sollte?“ Der Taishou, den man nach Menschenmaßstäben um die Fünfzig geschätzt hätte, strich fast ein wenig nachdenklich über eine der beiden weißen Boas, die sich als Rangabzeichen um seine Schultern wanden. Die ehrliche Antwort: ich wollte deinen Rang, wäre fatal gewesen. Lügen war allerdings ebenso unmöglich. So schwieg der schwarzhaarige Provinzfürst. „Also nein. So will ich davon ausgehen, dass dich eine momentane geistige Verwirrung erfasst hat. Genug Männer haben dafür heute ihr Leben schon gelassen. - Du darfst dich aufrichten. Natürlich ohne Schwert.“ Ein wenig erleichtert gehorchte Kodoro. Das hörte sich nicht so an, als ob seine Krieger niedergemetzelt werden sollten. Und vielleicht gab es auch für ihn einen Ausweg....Wohlweislich wagte er allerdings nicht, dem Sieger dieses Tages, seinem Lehnsherrn, in das Gesicht zu sehen und betrachtete fast angestrengt die kleinteilige Rüstung aus Metallplättchen, die weißen Fellboas. Der Prinz dagegen hatte einen sicher schweren Panzer mit Stacheln an, Metallplatten schützten die Unterarme. War er doch deutlich schwächer als sein Vater, angreifbarer? „Ich bin überzeugt, dass du mein Schloss nicht mehr angreifen wirst, wenn dein Enkel darin lebt.“ Und da der Unterlegene ruckartig den Kopf hob: „Du hast verstanden. Deine Tochter und Erbin wird meinen Sohn heiraten. Als Gegenleistung lasse ich deine überlebenden Krieger laufen – und dich nicht nur am Leben sondern auch zurück in dein schwebendes Schloss. Ich denke, dass ich heute einen recht großmütigen Tag habe.“ Ja, das war großzügig, das war auch Kodoro klar. Sein Leben und das aller, die noch existierten – gegen ein kleines Opfer, das seine Tochter bringen müsste. Dieses Angebot abzulehnen wäre Irrsinn. Etwas wie väterliches Verantwortungsgefühl ließ ihn jedoch sagen: „Darf ich fragen, ob Euer Sohn viele weitere Frauen hat?“ Der Taishou verstand dies, ja, er nahm es als positiv wahr: „Nein. Du brauchst keine Sorge um die Stellung deiner Tochter haben. Gehe zu ihr und bringe sie als Braut her. Dann können deine Männer gehen.“ „Und...ich?“ „Ich muss zugeben, dass ich lieber sehen würde, dass du dein Kind meinem Sohn selbst übergibst, als dich hinrichten zu lassen. Falls sie nicht bis heute Abend hier ist – und du ebenfalls wieder, natürlich – betrachte ich das allerdings als einen gewissen Affront. Und der könnte mich durchaus verleiten, einmal zu versuchen, wie lange das schwebende Schloss der Zerstörungskraft der Hölle standhält.“ „Ihr braucht Euch darüber keine Gedanken zu machen, Herr. Ich sehe die Chance, die Ihr mir so großmütig lasst.“ Und wenn er seine Tochter tot herbringen müsste – er würde sie pünktlich abliefern. Er warf einen Blick auf den Prinzen. Es war ihm nicht entgangen, dass der bei dem Thema Ehe doch fast zusammengezuckt war. Nun gut, er war so alt wie seine Tochter, bei Menschen hätte man sie knapp unter Zwanzig geschätzt, und er sah nicht gerade widerwärtig aus. Den Gerüchten nach war er ein Bücherwurm, kein Krieger, aber das war letzten Endes jetzt gleich. Und natürlich die Sache seiner Tochter. Sie musste sich eben opfern, für sein Leben, seine Stellung und die Krieger, die dort hinten knieten. „Dann gehe.“ „Ja, mein Fürst.“ Kodoro verneigte sich lieber nochmals, ehe er aufstand und zurückwich, um sich in einen riesigen Hund zu verwandeln. In seiner wahren Gestalt wäre es weitaus einfacher, den Weg zu seinem heimatlichen Schloss und zurück zu schaffen. Der Taishou streifte seinen weißen Zopf zurück, ehe er sagte: „So überrascht, mein Sohn?“ „Verzeiht, verehrter Vater. Ich wollte nicht den Anschein erwecken, Eure Entscheidung auch nur in Frage zu stellen.“ Der Jüngere trat allerdings etwas näher. „Soweit ich weiß, ist Kodoros Tochter seine Erbin.“ „In der Tat. Und damit fallen seine Ländereien nach seinem Tod an dich. Es schadet einem Fürsten nie, Hausmacht zu besitzen. Besser du als Susumu, denn ich traue unserem Nachbarn zu, dass er irgendwie Kodoro zu diesem Aufstand brachte. Der ist dumm genug, auf Schmeicheleien hereinzufallen.“ „Und seine Tochter?“ Der Prinz blickte zu seinem Erzeuger, der ihm so ähnlich sah, dass keiner etwas anderes auch nur hätte vermuten können. „Ihre Intelligenz ist unwichtig. Sie soll dir einen Sohn zur Welt bringen. Man sagt jedoch, sie sei schön.“ „Das sagt man von allen Prinzessinnen.“ Der Erbe der westlichen Gebiete war zu höflich, darauf hinzuweisen, dass er im Gegensatz zu seinem Vater durchaus Klugheit auch bei Frauen zu schätzen wusste. Nicht ohne Grund waren seine bisherigen Mätressen oft Dämoninnen mittleren Alters. „In der Tat. Manche sind es allerdings tatsächlich, wenn ich an deine Mutter denke. Überdies, du brauchst dich nicht sehr um sie zu kümmern. Mach ihr einen Sohn und sie wird genug beschäftigt sein. Zu mehr bist du nicht verpflichtet.“ „Und Kodoro wird Ruhe geben.“ „Es sei denn, er ist noch dümmer, als ich denke. Aber ihm wird klar sein, dass wir in seiner Erbin und deren möglichen Kind Geiseln haben.“ „Danke für die Lehrstunde, verehrter Vater.“ Der Hundeprinz wusste, dass er noch viel zu lernen hatte. Die Welt der Dämonen veränderte sich und je mehr er über Politik und Strategien von seinem Vater lernen konnte, umso besser war es. Susumu, der neue Herr des Südens bevorzugte die indirekte Vorgehensweise und lehnte offene Duelle und Kriege ab – was den Taishou etwas erboste. Aber sein Sohn dachte, wenn auch im Stillen, dass sich eben die Umstände änderten und man sich selbst anpassen musste. Da gab es auch diese Menschen, die immer häufiger vom Festland kamen, hier siedelten...Auch sie bewiesen, dass nichts so blieb, wie es war. „Eines Tages wirst du der Taishou und der Fürst sein – und dann bist du an dieses Höllenschwert gebunden, wie im Moment ich und davor dein Großvater. Ich denke, es wird nicht mehr lange dauern.“ „Verehrter Vater!“ Der Prinz sah ihn fast erschrocken an: „Ihr seid doch noch nicht so alt, eher im besten Mannesalter.“ Der Taishou, den ein Mensch auf Mitte Fünfzig geschätzt hätte, lächelte etwas: „Du machst Komplimente? Nein, mein Sohn. Das verfluchte Schwert zehrt an den Kräften seines Trägers. Auch mein Vater starb nicht gerade alt für einen Dämon. Irgendwann in nicht allzu ferner Zeit werde ich ihm unterliegen, sei es in einem Kampf, was ich nicht hoffe, sei es auch so. Und dann liegt die Last bei dir. - Komm, gehen wir dort hinüber zu dem Wäldchen und warten im Schatten auf Kodoro und deine Braut.“ Die Hundeprinzessin auf dem Sessel des schwebenden Schlosses sah auf, als sie Dämonenenergie spürte. Mit gewisser Unruhe stand sie auf und suchte, wer da kommen könnte. Erleichtert erkannte sie ihren Vater, der unterhalb des Schlosses landete und sich in seine menschliche Gestalt verwandelte, ehe er die Treppe emporeilte. „Verehrter Vater...“ „Komm, ich muss mit dir sprechen.“ Ihre Besorgnis wuchs, aber sie folgte ihm wortlos in sein Arbeitszimmer. Kodoro drehte sich um: „Du bist verlobt.“ Sie starrte ihn bleich geworden an, ehe sie etwas mühsam hervorbrachte: „Darf ich auch fragen, mit wem?“ „Dem Sohn des Taishou.“ Sie zog die logische Schlussfolgerung: „So habt Ihr...Unglück gehabt?“ „Unglück! Es hieß immer, dass der Taishou die Hölle öffnen könnte. Das hielt ich für Schmeichelei, für übertrieben. Und dann nahm er sein Schwert und....“ „Bewies es?“ Sie holte tief Atem, um sich zu beruhigen. Vater hatte also verloren. Waren alle Männer tot? Und jetzt sollte sie den Sohn des Siegers heiraten? Sich diesem bedingungslos beugen? Sie überlegte kurz, ob sie sich ihrem Vater zu Füßen werfen sollte, um ihn zu bitten, ihn zu beschwören, diese Ehe abzulehnen, aber sie ließ es bleiben. Er würde sicher nicht darauf eingehen. Ohne Zweifel war das die Bedingung für sein eigenes Leben – und wenn er die Wahl zwischen sich selbst, seiner Ehre, seinem Tod, und ihrer Verheiratung hatte, würde er das eigene Interesse höher ansetzen. „Wann soll die Eheschließung sein?“ „Sofort.“ „Ist er...ist er jung?“ fragte sie zögernd. „Jung? Ach, du meinst deinen zukünftigen Mann? So alt wie du, würde ich schätzen.“ Immerhin etwas: „Er war also dabei. Und was sagte er zu dieser Heirat?“ „Was sollte er sagen? Sein Wille ist unwesentlich, wie auch der deine. Der Herr befahl. - Jetzt komm. Wir müssen bis Sonnenuntergang zurück sein, sonst sterben die Krieger.“ Der Taishou hatte also die Vernunft besessen, Geiseln zu behalten. Nun, er würde auch sie so sehen, als Garantin für das Wohlverhalten ihres Vaters. Das ließ immerhin hoffen, dass sie einigermaßen gut behandelt werden würde, solange sich dieser nicht erneut zu einem Aufstand hinreißen ließ. Sie gab diesem Gedanken Ausdruck und Kodoro schien überrascht: „Was du denkst! Natürlich werden sie dich gut behandeln. Sie wollen einen Erben von dir. Manchmal glaube ich wirklich, du bist zu intelligent für ein Mädchen. - Man kann diesen Gedanken des Taishou allerdings auch umdrehen. Wenn du einen Sohn hast, wird es dir ohne Zweifel gelingen, dich mit diesem zu mir abzusetzen. Weder der Taishou noch sein Sohn werden ein Schloss angreifen, in dem ihr Erbe lebt, nicht wahr? Also. Werde so schnell wie möglich schwanger, dann komm zu mir zurück, samt deinem Sohn. Dann werde ich dich aufnehmen.“ Das bedeutete, dass er dies vorher nicht tun würde. Warum sollte er auch, dachte sie bitter. Das würde ihm nur Ärger einbringen. Hatte er dagegen den Erben der Blutlinie im Haus, wäre er in einer deutlich besseren Position. Und dazwischen lag alles einzig an ihr, wie sie durch vorgespielte Demut den Fürsten und den Prinzen täuschen konnte, eine gehorsame Frau zu sein. „Ihr...Ihr werdet vorsichtig sein, Vater?“ „Natürlich. Jetzt komm.“ Was blieb ihr übrig? ** Das könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft oder eher Feindschaft werden... Das nächste Kapitel bringt die, äh, überaus romantische Hochzeit. bye hotep Kapitel 2: Hochzeit ------------------- Als Kodoro und seine Tochter zurück auf dem Schlachtfeld eintrafen, erhoben sich der Taishou und sein Sohn höflich, die unter dem Schatten eines Baumes sitzend gewartet hatten. Beide bemerkten sehr wohl den Schauder, den die Prinzessin beim Anblick der zerstörten Landschaft, der zerfetzten Toten und wohl auch der gefangenen Krieger ihres Vaters überlief. Aber das ziemte sich für eine wohlerzogene junge Dame. Sie wusste das, kannte ihre Rolle nur zu gut. Wollte sie die Monate oder Jahre bis zur Geburt eines Thronfolgers hier durchstehen, mussten sie sie unterschätzen, durften in ihr nur das höfliche, gut ausgebildete Mädchen sehen – und durften nicht ahnen, dass ihr Verstand dem eines Mannes ebenbürtig war. Sie wusste nicht, wie sie das schaffen sollte, aber erst danach würde ihr Vater sie wieder aufnehmen. Floh sie zuvor vor dieser Ehe – wohin hätte sie gehen sollen? Zu Fürst Susumu? Sie bezweifelte nicht, dass der sie aufnehmen würde, aber der Preis, den er verlangen würde, wäre sicher identisch mit dem des Herrn der westlichen Gebiete, eher ärger, denn dort könnte sie Vater auch nicht nur ein wenig beschützen. Nichts davon zeigte sich nach außen, als sie neben ihrem Vater, den Kopf sittsam gesenkt, vor den Fürsten und seinen Sohn trat. Sie hatte es aus der Entfernung riskiert, einen Blick auf ihren Bräutigam zu werfen und etwas erleichtert festgestellt, dass er wirklich in ihrem Alter war und wenigstens nicht Abscheu erregend aussah. Natürlich war ihr im Endeffekt immer klar gewesen, dass sie als Prinzessin Handelsware war – und dass sie sich glücklich schätzen konnte, wenn sie ihren ausgesuchten Ehemann auch nur sympathisch finden würde. Hoffentlich täuschte der erste Eindruck nicht, aber sie entsann sich der Gerüchte, dass er ein Bücherwurm war, kein Krieger. So würde er doch vermutlich auch nicht dazu neigen, seine Ehefrau zu schlagen oder anderes. „Danke, Kodoro,“ sagte der Inu no Taishou, als sich der Vater mit der Tochter an der Hand vor ihm niederknieten. „Ich bin erfreut, dich kennenzulernen, Prinzessin. Ich vermute, dein Vater hat dir bereits mitgeteilt, warum ich dich zu sehen wünschte.“ „Ja, Herr,“ erwiderte sie höflich, zum ersten Mal erleichtert, dass nicht er selbst sie zur Braut wollte, sondern sie seinem Sohn gab. Er war ja sicher so alt, wenn nicht älter, als ihr Vater, und sie hätte nicht gewusst, wie sie ihren Schauder vor seiner Nähe hätte unterdrücken sollen. Sein Sohn war doch jünger, sah eigentlich auch besser aus.....Was sollte, durfte sie noch sagen: „Ich danke für die Ehre.“ „Dann werden wir die Zeremonie sofort begehen. Danach, Kodoro, sind alle deine Männer frei.“ „Wie Ihr wünscht, Herr.“ Der Provinzfürst erhob sich und bot seiner Tochter die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. In dem kostbaren, steifen Kimono war das schwer. Sie sah zu Boden. Nie zuvor hatte sie sich so abwesend von tatsächlichen Vorkommnissen gefühlt. Es war, als träume sie nur, doch etwas in ihr sagte, dass es Realität war. Schreckliche Realität. Sie fühlte, wie ihr Vater ihre Hände fasste, sah, wie der Inu no Taishou die Hände seines Sohnes nahm. Die ihren wurden in die seinen gelegt, beide Väter übernahmen das Eheversprechen. In ihrer Trance nahm sie seltsame Kleinigkeiten wahr, die ihr doch eigentlich hätten gleich sein müssen: dass ihr Ehemann warme Finger hatte, die er nicht grob um die ihren schloss, schwarze Schuhe trug zu einer seidenen, weißen Hose, eine sicher schwere Rüstung mit Stacheln daran, ein Schwert... Endlich wurden ihre Hände losgelassen und sie hörte den Fürsten sagen: „Bringe deine Gemahlin in unser Schloss und zeige ihr ihre Räume. Der Haushofmeister soll gebührend Dienerinnen abstellen, Zofen. - Kodoro, wir haben noch einige Kleinigkeiten zu besprechen.“ Was sollte sie tun? Sie verneigte sich höflich vor ihrem neuen Schwiegervater, ehe sie neben ihren Gemahl trat, ihn zum ersten Mal aus der Nähe in das Gesicht blickend. Nein, scheußlich sah er nicht aus, und sie atmete unwillkürlich etwas auf. Es würde schwer genug werden seine Nähe zu erdulden, um einen Sohn zu empfangen, besser, wenn er ihr kein Grausen einjagte. Er musterte sie auch. Hatte er etwa ebenfalls Sorge gehabt, sie könnte ihm Abscheu einjagen? Dieser Gedanke war ihr neu. Sie musste sich ihm unterwerfen, so verlangte es Recht und Tradition, sie war ihm bedingungslosen Gehorsam schuldig. Was also konnte er für Besorgnisse hegen? „Wie Ihr wünscht, verehrter Vater. - Kommt, meine Teure,“ sagte der Prinz. Zum Glück sah die Prinzessin nicht gerade schlecht aus, so dass es ihm wohl wirklich nicht schwer fallen würde seine Pflicht zu tun. Sie tat kühl, aber ein oder zwei Blicke hatten ihm verraten, dass sie besorgt war. Angst konnte man es kaum nennen, dazu war sie zu selbstbeherrscht, aber es war wohl auch ungewöhnlich, ohne jede Vorwarnung in ein anderes Leben geworfen zu werden. Nicht einmal eigene Dienerinnen hatte sie mitnehmen dürfen. Sein Naturell ließ ihn nicht ungerührt, und als sie einige Strecke entfernt waren, meinte er: „Wir sollten uns jetzt verwandeln, um die Strecke rascher zurücklegen zu können. - Eines noch. Es ist eine große Veränderung in Euren Leben, aber ich denke nicht, dass Ihr sie zu bereuen haben werdet.“ Was sollte sie dazu schon sagen? „Danke.“ Immerhin klang das freundlich. Und das war schon das Äußerste, was sie von einem Ehemann erwarten durfte. Das war ihr klar. Ihre Ausbilderinnen hatten ihr nur zu eindringlich erzählt, wie sich eine so junge, hochgeborene Dame verhalten sollte – nicht, dass das nicht wiederholt ihr Bedauern geweckt hätte, als Mädchen geboren zu sein. Aber Vater, seine Krieger....sie alle waren darauf angewiesen, dass sie ihre Rolle spielte. Sie tat zurückhaltend, um ihren Stolz zu wahren, dachte der Prinz plötzlich, der aus einem gewissen Erfahrungsschatz schöpfen konnte. Und doch: heute Nacht gehörte sie ihm. Und wo mochte da dann wohl ihr Stolz bleiben? Das konnte noch interessanter werden, als er zuerst gedacht hatte. Die Prinzessin aus dem schwebenden Schloss war überrascht, als sie das Heim des Fürsten des Westens sah. Hohe Mauern, und überall Bewaffnete, männliche und weibliche Hundedämonen ebenso wie Angehörige verwandter Arten. Vater hatte es stets vermieden seine Krieger in sein Schloss zu holen, sie höchstens unten warten lassen. „Isamu!“ Der Ruf ihres Ehemanns ließ ihr bewusst werden, dass alle hier im Hof sie mehr oder weniger anstarrten. Unmögliches Volk! Sie hob etwas den Kopf und gab den Blick eisig zurück, was die Dämonen bewog, beiseite zu sehen. Schließlich war es ungehörig einen Fürsten oder ein Mitglied seiner Familie derart zu mustern und auch, wenn diese Leute keine Ahnung über ihren neuen Stand hatten, so war sie nicht willens, das durchgehen zu lassen. Ein Dämon eilte heran, so gut er es in dem kostbaren Kimono eines hohen Beamten konnte, und verneigte sich eilig. Nun gut, dachte die Prinzessin, immerhin jemand, der sich zu benehmen wusste. „Isamu, ich will dir meine Gemahlin vorstellen. Sie benötigt Dienerinnen, Zofen und anderes.“ „Ja, mein Prinz.“ Der Haushofmeister war zu gut geschult um seine Überraschung zu erkennen zu geben und neigte den Kopf erneut: „Willkommen im Schloss im Westen. - Wenn der Herr keine weiteren Anweisungen gegeben hat und Ihr nichts dagegen habt, würde ich der jungen Dame die Gemächer der verstorbenen Fürstin geben.“ „Ja, tue das.“ „Dann folgt mir bitte, Prinzessin.“ Sie tat es mit gewisser zwiespältiger Erleichterung, nicht vergessend, sich vor ihrem Ehemann etwas zu verneigen. Die verstorbene Fürstin? Dann hatte sie keine Schwiegermutter, das war zum einen gut, da sie ihr keinen Gehorsam schuldete, aber andererseits bekam sie auch keine Hilfe beim Einleben. Dienstboten konnte sie schließlich unmöglich fragen. Sie bemerkte, dass Isamu einer anscheinend höherrangigen Dame etwas zuflüsterte, aber das interessierte sie wenig. Falls dies ihre neue Hofmeisterin war, würde sie ihr offiziell mit den anderen Dienerinnen vorgestellt werden. Vermutlich sollte sie diese nur zusammenstellen. Der Seitenflügel, der der Familie vorbehalten war, bestand aus zwei Gängen. „Hier rechts, Prinzessin, geht es zu den Räumen der Herren, hier links zu den nun Euren. Teiko, die Haushofmeisterin, wird sich und die ausgesuchten Dämoninnen Euch dann vorstellen. - Hier, bitte.“ Er öffnete die Tür: „Das offizielle Empfangszimmer. Selbstverständlich wird es noch nach Euren Wünschen eingerichtet.“ „Nach dem Tode der Fürstin wurde dieser Trakt wohl geräumt.“ „Ja.“ Er schien erstaunt. Hielt er sie etwa für dumm? Sie hatte den Schlosshaushalt ihres Vaters für Jahre organisiert. Natürlich wurden Matten oder auch Möbel nicht sinnlos für unbestimmte Zeit stehen gelassen. Izamu öffnete die nächste Tür: „Hier ist der Raum für Eure Damen – und danach kommt nur Euer Privatraum, Euer Schlafzimmer.“ Er ging durch den Raum der Dienerinnen und öffnete eine weitere Tür. Sie sah sich in dem fast dreißig Quadratmeter großen Raum um, etwas verwundert, zwar drei Fenster, aber keine weitere Tür zu sehen. „Vergebt, Prinzessin, wenn Ihr etwas wissen wollt, so fragt mich bitte. Dazu bin ich da.“ „Es erstaunt mich nur, keine weitere Tür zu sehen,“ gab sie zu. „Wozu?“ Der Haushofmeister wahrte zwar die berufsbedingte und dämonische Selbstbeherrschung, aber das Unverständnis war hörbar. Es ärgerte sie, in ein Fettnäpfchen getreten zu sein, aber sie meinte kühl: „Das Schlafzimmer meiner Mutter hatte eine eigene Tür zu dem meines verehrten Vaters. Hier ist das zwar bauartbedingt nicht möglich, aber ich vermutete nicht, dass der Prinz, mein Gemahl...“ Nichts verriet, wie schwer ihr dieser Ausdruck fiel: „Durch alle Räume und an den Damen vorbeigehen möchte.“ „Oh, ich verstehe. Das sind dann wohl andere Sitten. Hier kommt nicht der Herr zu Euch, sondern fordert die Damen auf, Euch vorzubereiten und zu ihm zu bringen.“ Ging es noch schlimmer? Das bedeutete, dass das halbe Schloss, nun, bei dem ewigen Geschwätz eher das ganze, Bescheid wusste, wenn und wann sie gerufen wurde – und wann nicht. Dass sie nie mehr allein sein würde, war nur zu offensichtlich. Zum Glück hatte sie durchaus gelernt sich und ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten. Immerhin war sie kein Irgendwer. Auch Zuhause war meist mindestens eine Kammerfrau bei ihr gewesen – allerdings kannte sie diese seit ihrer Geburt, das war doch etwas anderes. Hier kannte sie niemanden, aber das war eben so und wenn sie nicht zu Fürst Susumu flüchten wollte, musste sie hier durch. So meinte sie nur: „Die Haushofmeisterin wird in Kürze kommen?“ „Ja, Prinzessin.“ „Dann darfst du dich verabschieden.“ Er wollte, musste gehen, das war klar und besaß immerhin genug Höflichkeit, das nicht ohne ihre Erlaubnis zu tun. Alleingelassen sah sie sich um. Auch das Schlafzimmer war momentan vollständig leer, aber gewiss würden bald Matten geliefert werden, Schreibzeug und anderes. Isamu schien seinen Beruf zu verstehen. Hoffentlich die neuen Kammerfrauen auch. Sie blieb eine halbe Stunde allein, ehe sich eine Dämonin namens Teiko höflich bei ihr als neue Hofmeisterin vorstellte und die neun anderen präsentierte. Die Prinzessin beachtete eigentlich nur Teiko, die ihre Ansprechpartnerin wäre, und die beiden Zofen. Alle anderen waren entweder zur Gesellschaft oder auch zum Putzen eingeteilt und sie müsste sich ihre Namen zunächst nicht merken. Da Teiko sie nach ihren Einrichtungswünschen fragte, teilte sie diese mit. Dabei entging ihr nicht, dass die Hundedämonin stutzte, als sie neben einem Schreibpult im Arbeitszimmer auch eines in ihrem Schlafzimmer verlangte. Da sie es allerdings erhielt, war es ihr gleich. Abschließend begleiteten die Haushofmeisterin und die beiden Zofen die Jungverheiratete zum Bad. Während sie dort gewaschen wurde, ihr Haar gebürstet wurde, konnte die Prinzessin einen gewissen Widerwillen nicht unterdrücken. Es waren zum einen Fremde, die sie berührten, aber ihr war klar, dass das eben so war. Sie musste sich an diese gewöhnen. Zum anderen jedoch widerstrebte ihr die Tatsache, dass sie nicht um ihrer selbst willen verschönert wurde, sondern um einem Mann, ihrem Ehemann, zu gefallen. Aber es half nichts. Wollte sie nicht, dass ihr Vater starb, sie selbst zumindest heimatlos wurde, wenn sie sich nicht gleich Fürst Susumu ausliefern wollte, musste sie sich fügen. Zumindest, bis sie einen Sohn bekommen hatte. Daran würde sie sich festhalten. Ein Sohn war ihre einzige Gelegenheit zu einer auch nur einigermaßen erfolgreich scheinenden Flucht. „Wie ist es hier üblich?“ erkundigte sie sich kühl: „Der Prinz wird mich rufen lassen?“ „In der Tat, Prinzessin.“ Teiko betrachtete sie kurz: „Ich werde Euch dann zu seinen Räumen begleiten und dort vor der Tür warten.“ Auch das noch. Aber die Prinzessin war zu selbstkontrolliert, um nicht aufzustehen und die Arme auszubreiten, um sich abtrocknen zu lassen: „Und dann?“ „Nun, das werdet Ihr wissen.“ War das hier etwa üblich, dass junge Ehefrauen bereits wussten, was sie erwartete? Wie peinlich. Da würde sie sich ja schön vor ihrem Mann blamieren. Alles, was sie wusste, war, dass sie tun sollte, was er verlangte. Aber ehe sie Teiko fragte...nein. Das war immerhin ein Prinz, mit ihr verheiratet, und da war es nicht ganz so demütigend. Oder erst recht? Wo war nur ihre Selbstsicherheit hin? Ihr klarer Verstand? Um sich zu schützen, sagte sie: „Ich meinte, morgen.“ „Oh, vergebt, Prinzessin. Nun, wenn der Fürst gesehen hat, dass die Ehe vollzogen ist, wird er ohne Zweifel Euch allen als seine Schwiegertochter vorstellen und Euch dann auch sagen, was Ihr zu tun habt.“ Wenn der Fürst gesehen hat...? War er etwa dabei? Aber dann entsann sie sich, dass es die Sitte gab, ein Tuch mit Blut darauf als Nachweis der Jungfräulichkeit der Braut zu präsentieren. Das wurde ja immer schlimmer. Aber da musste sie durch, ebenso, wie jede junge Frau. Nicht zum ersten Mal bedauerte sie, in einem weiblichen Körper geboren zu sein. Aber sie würde kalt sein, eiskalt bleiben, um sich zu schützen, und die gehorsame Ehefrau spielen. Alles, um bald schwanger zu werden, bald hier wieder weg zu kommen. Um abzulenken erkundigte sie sich: „Es gibt eine Heilerin im Schloss?“ „Ja, Herrin. Einen Heiler und eine Heilerin. Sie ist seine Schülerin seit langen Jahren und genießt unter uns Dämoninnen einen sehr guten Ruf, gerade auch, was Geburtsvorbereitungen und derartiges betrifft. Ihr werdet in den nächsten Tagen ohne Zweifel viele Fragen haben. Dazu bin ich da. - Seid ihr mit der Prinzessin fertig?“ Die Haushofmeisterin musterte kritisch das Werk der Kammerzofen: „Ich glaube, Ihr seid perfekt.“ „Danke,“ ließ anerzogene Höflichkeit die Prinzessin sagen, obwohl sie am liebsten sich verwandelt hätte und davongelaufen wäre. Nur wenig später begleitete Teiko ihre neue Herrin in den Trakt, in dem der Fürst und der Prinz ihre Privaträume hatten. „Hier ist es,“ sagte sie: „Ich werde hier auf Euch warten, denn es ist niemandem, der nicht herbefohlen ist, erlaubt, die Privatgemächer zu betreten.“ Sie öffnete die Tür, ohne eine Ahnung davon zu haben, wie schwer es der jungen Hundedämonin fiel mit ungerührtem Gesicht in das Unbekannte zu schreiten. Der Trakt war ähnlich aufgebaut wie der ihre, stellte sie fest. Allerdings war dies hier eindeutig schon der Vorraum, in dem gewöhnlich wohl Diener warteten. Natürlich. Der Prinz besaß vermutlich in den offiziellen Räumen ein eigenes Arbeits- und Empfangszimmer. Jetzt war allerdings niemand hier. Hatte ihr Ehemann etwa seine Diener weggeschickt? Nahm er auf sie Rücksicht? Das konnte sie fast nicht glauben. Nach den wenigen Berichten, die ihr jungverheiratete Bekannte gegeben hatten, kümmerte sich ein Mann nicht um die Befindlichkeiten seiner Frau, schon gar nicht um Empfindsamkeiten. Nein, es konnte durchaus auch den anderen Grund haben, damit niemand sie hören könnte. Sie würde nicht schreien, nicht um Hilfe rufen, das nahm sie sich fest vor. Zum einen würde sie keine bekommen – nicht gegen den Prinzen und nicht gegen ihren Ehemann – zum anderen war sie das auch ihrem persönlichen Stolz schuldig. Sie bemerkte, dass sie gezögert haben musste, denn sie hörte durch die geschlossene Tür seine dunkle Stimme: „Kommt nur.“ Was blieb ihr schon übrig? Als sie die Tür zu seinem Schlafzimmer beiseite schob, empfand sie ein Gefühl, dass einem Delinquenten vor dem Henker nur zu ähnlich war, ohne es jedoch zu zeigen. Der Prinz erwartete sie, am anderen Ende seines Zimmers sitzend, das deutlich kleiner als das ihre war. Wie schon zuvor hatte er sein weißes Haar zu einem Zopf zusammengebunden, jetzt aber natürlich keine Rüstung mehr an. An seiner rechten Seite lagen Tatami-Matten, sicher sein Bett. Sie verneigte sich wohlerzogen. „Guten Abend, meine Teure.“ „Guten Abend....“ Mit gewissem Mut der Verzweiflung ging sie voran und ließ sich auf den Matten nieder, legte sich hin: „Dann tut, was Ihr tun wollt,“ sagte sie kühl: „Danach lasst mich gehen.“ Sie schloss die Augen, willens, sich in das Unvermeidliche zu fügen. Der Hundeprinz stutzte etwas, ehe er meinte: „So hatte ich mir das allerdings nicht vorgestellt.“ Machte man es nicht so? Sie war einen Moment verwirrt, ehe ihr einfiel, dass Teiko angedeutete hatte, hier wüssten die Ehefrauen, was von ihnen erwartet wurde. Das musste sie wohl erklären, damit er sie nicht für taktlos, oder schlimmer, dumm hielt. So sah sie zu ihm: „Ich bitte um Verzeihung, so wurde mir das beigebracht.“ „Dann lasst Euch gesagt sein, dass ich das nicht so will. Setzt Euch wieder auf. - Ich könnte mir vorstellen, dass Ihr die eine oder andere Frage habt.“ Kein Krieger, dachte sie während sie gehorchte. Vater hatte ja erwähnt, er sei ein Bücherwurm, also, weich. Das bewies er auch gerade. Aber ihr war klar, dass sie ihre gewisse Verachtung verbergen sollte. So meinte sie nur: „Gut. Was erwartet Ihr von einer gezwungenen Braut?“ „Das, was wohl jeder von seiner Gemahlin erwartet: einen Erben.“ Er bemühte sich seine Heiterkeit nicht zu zeigen, um sie nicht zu verletzen. Unter ihrer Kühle lag etwas, das ihn eher an einen Welpen erinnerte, seinen Beschützerinstinkt weckte. Was sollte sie dazu sagen? „Ich kann Euch versichern, dass dies mein Wunsch ist.“ Wohlerzogen, aber.... „Aber Ihr ...Eure Ausbildung haperte in diesem Punkt? Eure Mutter...“ „Meine Mutter starb bei meiner Geburt.“ Aus irgendeinem Grund wurde ihr plötzlich bewusst, dass auch sie dieses Schicksal erleiden konnte: „Mein verehrter Vater heiratete nicht mehr und erzog mich als seine Erbin.“ „Wie einen Jungen,“ folgerte er prompt. Nun, immerhin war er nicht dumm: „Ja.“ „Umso überraschender kam heute die Ehe.“ „Ja.“ Sie war gut ausgebildet, anscheinend nicht gerade töricht – und ebenso wie er selbst von dieser Heirat überrascht worden. „Auch ich hatte keine Ahnung, dass mein verehrter Vater derartiges beabsichtigte. Nun, bevor wir beide unsere Pflicht erfüllen, möchte ich Euch eines zusichern: gleich, was kommt, Ihr werdet mit mir immer offen sprechen können.“ Das war mehr, als sie erwartet hatte. Aber, meinte er das wirklich ernst? Das würde wohl erst die Zukunft zeigen: „Danke. Das werdet Ihr auch mit mir tun können.“ Noch während ihr die Ungehörigkeit eines solchen Angebots zu Bewusstsein kam, lächelte der Hundeprinz ein wenig: „Ich könnte darauf zurückkommen. - Bringen wir es hinter uns. Legt Euch bitte wieder nieder. Und seid versichert, dass ich Euch keine Schmerzen zufügen möchte.“ Weich, dachte sie wieder. Wäre es etwa möglich, wenn er einst der Fürst und der Herr hier wäre, dass sie ihn so beeinflussen könnte, dass eigentlich sie regierte? Diesen Weg hatte sie nie zuvor gesehen – aber das wäre eine Alternative, solange sie keinen Sohn haben konnte. Sein Vater war schon relativ alt, und es gab auch andere Möglichkeiten...Sie musste nachdenken. So legte sie sich gehorsam zurück und fragte, um ihrer Rolle genüge zu tun: „Was soll ich machen?“ Ein wenig erschreckt bemerkte sie, dass er sich neben ihr ausstreckte: „Nichts,“ meinte er fast freundlich: „Nur möchte ich Euch bitten, mich machen zu lassen.“ Bitten statt befehlen? Wieder dachte sie, dass er weich sei: „Dann macht....“ Weit im Süden lehnte sich der Fürst zurück: „Neuigkeiten, Tomi?“ Sein Ratgeber kniete eilig nieder: „Ja, Herr. Unser...Euer Spion im schwebenden Schloss sandte Nachricht. Kodoros Aufstand ist fehlgeschlagen.“ „Wie..hm..bedauerlich. Soll ich sagen, ich hoffe, dass der Gute einen leichten Tod hatte?“ „Er lebt noch, mein Fürst.“ Fürst Suzumu richtete sich etwas auf: „Das erstaunt mich dann doch ein wenig. Ich hielt den Taishou bislang nicht für weich.“ „Der Sohn des Taishou heiratete Kodoros Tochter.“ „Ich verstehe. Schlau von Kodoro, sich so aus der Schlinge zu ziehen. Oder eher schlau vom guten, alten Taishou, sich solcherart die Dankbarkeit des Ungetreuen zu sichern und eine nette kleine Geisel zu nehmen. Dieser Plan wuchs sicher nicht auf Kodoros Mist. - Beauftrage alle unsere Spione im Schloss im Westen, jede Nachricht über diese neue Ehe mir zu senden.“ „Nachwuchs, natürlich.“ „Nicht nur, mein armer Tomi. Du nimmst nicht an, dass die liebe Prinzessin gern mit dem Weichei verheiratet ist. Wenn sie zu unglücklich ist, könnte man sie hierher einladen. - Geh. Ich will jeden Tag etwas Neues hören. Was ist?“ „Vergebt, Herr, aber darf ich darauf aufmerksam machen, dass sich unsere Spione bislang nicht untereinander kennen? Soll ich dies ändern?“ Der Ratgeber schluckte etwas, sah dann erleichtert, wie die bereits erhobene Hand seines Herrn sank. „Da hast du trefflich recht, Tomi. Der Taishou muss nicht alle finden, falls sich einer ungeschickt anstellt. Nein. Jeder soll dir einzeln Berichten, mindestens jedoch einmal die Woche. Mich interessiert vor allem die Prinzessin aus dem schwebenden Schloss.“ ** Während Fürst Susumu plant, einen Keil in die neue Verbindung zu treiben, arbeitet der Schwiegervater ihm schon einmal zu. bye hotep Kapitel 3: Gewöhnung -------------------- Die Prinzessin war erleichtert, ohne es freilich zu zeigen, als der Fürst sie offiziell allen im Schloss als seine Schwiegertochter vorstellte. Demzufolge war ihr Ehemann trotz ihrer Ahnungslosigkeit mit ihr zufrieden gewesen. Er hatte gestern Nacht zwar etwas davon gesagt, dass er ihr schon alles Nötige beibringen würde, aber das war erst einmal nur geredet. Sie hoffte, erwartete nun eigentlich, dass ihr ihr Aufgabengebiet zugewiesen werden würde. Für ihren Vater hatte sie die Schlossverwaltung übernommen, wenn er nicht da war, manchmal alle Anfragen aus den Ländereien bearbeitet. Das war eigentlich auch der Grund, warum es sie so in das schwebende Schloss zurückzog. Sie hatte stets gehofft, ihren Vater so lange von einer Heirat abhalten zu können, bis sie selbst den Befehl über die Krieger und die Ländereien hatte. Dann könnte sie frei entscheiden – auch, unverheiratet zu bleiben. Mit einer formellen Unterwerfung unter den Fürsten hatte sie in diesem Fall gerechnet. Umso härter traf sie der Schock, als der Taishou sie zurück in ihr Zimmer sandte – dort warte ihre Arbeit. Kimonos, geradezu Berge an Stoff lagen da, und ihre Haushofmeisterin erklärte ihr, dass sie höchstpersönlich auf Befehl des Fürsten diese besticken sollte. „Das fördert die Fruchtbarkeit,“ erläuterte sie etwas irritiert, da ihre neue Herrin trotz aller antrainierten Selbstbeherrschung sie anstarrte. „Jede häusliche Tätigkeit, aber Sticken ist auch für eine so vornehme junge Dame passend.“ Die Prinzessin musst an sich halten nicht davonzulaufen. Sollte das etwa ihr künftiges Leben sein? Eingesperrt mit diesen Frauen in ihrem Zimmer – stickend? Sollte sie nicht an der Verwaltung beteiligt werden, keinen Einblick in die Politik erhalten, keine Verantwortung übernehmen? Sie bemerkte, dass alle Dämoninnen sie mehr oder weniger anstarrten. Offenkundig verrieten ihre Gesichtszüge deutlich ihre Gefühle. Sie nahm sich hastig zusammen. Die Haushofmeisterin wiederholte behutsam: „Das ist der Befehl des Fürsten.“ „Ich werde ihn selbstverständlich befolgen. Nur – ich habe noch nie gestickt.“ „Ja, wie ist das denn möglich? Handarbeiten, musizieren....“ Teiko brach lieber ab. Anscheinend kannte diese junge Dame nichts von dem, was sie hätte können sollen. „So werde ich Euch das zeigen,“ schloss sie. Zähneknirschend, aber nach außen hin vollkommen ruhig, setzte sich die Prinzessin auf ihren Platz. Sie hoffte nur, dass das mit der Fruchtbarkeit auch stimmen würde. So käme sie bald aus dieser Vorhölle wieder weg. Sich an ihren Ehemann zu wenden hätte kaum Sinn – er würde nicht gegen den Befehl seines Herrn und Vaters handeln, ja, wohl ihr Problem nicht einmal verstehen. Anscheinend war ihre Erziehung auf Wunsch ihres Vaters mehr als ungewöhnlich für eine Prinzessin gewesen. Am Abend wartete sie umsonst auf den Befehl, zu ihrem Gemahl zu gehen. Verunsichert, aber auch wütend, stickte sie weiter. Hatte sie ihm doch missfallen? So sehr, dass er sie nicht mehr sehen wollte? Das wäre die Katastrophe schlechthin. Ohne ihn konnte sie keinen Sohn bekommen – und nicht hier weg. Schlimmer noch, wenn er eine andere reizvoller fand, angenehmer, und diese einen Sohn bekam...Oh nein, so weit wollte sie gar nicht denken. Sie musste sich zusammennehmen, ruhig bleiben und die brave Ehefrau spielen. Anscheinend wollte der Fürst unbedingt Nachwuchs, wenn er sie hier schon mit diesen....nein, das dachte eine Prinzessin nicht einmal...Kimonos beschäftigte, da würde er doch früher oder später seinen Sohn ermuntern seiner Pflicht nachzukommen. Als sie allein war, drehten sich ihre Gedanken immer wieder um diese Frage: sie konnte nicht zu ihrem Ehemann gehen, sie konnte nicht ungerufen zum Taishou gehen, sie konnte nichts gegen das Sticken tun, sie konnte nicht...Oh, die Liste der Dinge, die sie nicht tun konnte, schien endlos lang. Und es gab keinen Ausweg, außer, wenn es ihr gelang, aus den westlichen Ländern zu entkommen und zu Fürst Susumu zu fliehen. Leider hatte der auf sie nicht den Eindruck gemacht, ihren Verstand zu schätzen. Zu den Gesprächen mit ihrem Vater hatte er sie nicht hinzugebeten. Also wäre es da wohl auch nichts anderes als hier. Nur als Erbin in ihres Vaters Schloss wäre sie sie selbst – und dazu benötigte sie einen Sohn. Ruhig bleiben, ermahnte sie sich. Sie musste nachdenken. Ganz sicher gab es eine Lösung für sie, irgendwie musste es ihr gelingen, ihr Leben hier erträglicher zu machen. Nur, wie? Am Abend des zweiten Tages ihres Ehelebens stellte sie zum ersten Mal an sich Anwandlungen zur Hysterie fest, die sie nur mühsam verbergen konnte. Ein weiterer Tag ihres Lebens war mit Sticken und dem vollkommen sinnlosen, wenn auch nett gemeinten Geplauder ihrer Kammerfrauen vergangen – und ohne, dass ihr Ehemann sie rufen ließ. Die Aussicht, dass dies die nächsten Wochen, Jahre, Jahrhunderte so weitergehen würde, ließ sie zum ersten Mal verstehen, warum manchen Dämonen Selbstmord als gute Lösung erschien. Nur leider war ihr wohl dieser Ausweg verwehrt. Zum einen gab es hier weit und breit nichts, mit dem sie sich hätte töten können, und zum zweiten würde sich der Taishou sicher an ihren Vater halten. Irgendwie schaffte sie es, wie beiläufig zu den beiden Zofen, die ihr beim Umkleiden halfen, zu sagen: „Mein Gemahl ließ nichts von sich hören?“ „Nein, Prinzessin,“ erwiderte Sorano, die Ältere der beiden: „Ist der Prinz nicht ein sehr höflicher, ja, rücksichtsvoller Mann?“ Was bedeutete das denn schon wieder? „Ja, den Eindruck gewann ich auch,“ sagte sie jedoch ehrlich, eingedenk der Tatsache, dass er sich wohl wirklich bemüht hatte, ihr entgegen zu kommen. „Ich hoffe, er lässt mich bald wieder rufen.“ „Sicher,“ beteuerte Sumu, die jüngere, eine Dämonin aus einer Vogelfamilie, wie die Federn statt Haaren auf dem Kopf selbst in menschlicher Gestalt verrieten: „Ihr seid doch eine wahre Schönheit.“ Sorano dagegen lächelte etwas: „Als ich frisch verheiratet war, hat mich mein Gemahl nicht geschont und schon am nächsten Tag wieder kommen lassen. Glaubt mir, Prinzessin, ein wenig Erholung wäre mir lieber gewesen. Der Schmerz des ersten Males verschwindet leichter, wenn er vor dem zweiten Mal verheilt ist. Sicher, Ihr seid stark und Eure Selbstheilungskräfte gewiss hervorragend,“ fuhr sie eilig fort: „Aber ich lobe den Prinzen dafür, dass er daran denkt.“ War es das? Wollte er rücksichtsvoll sein und sie hatte sich umsonst Gedanken gemacht? Wie hatte sie auch übersehen können, dass er für einen Dämon, zumal seines Ranges, zu weich war. Nun, wenn er sie auch morgen nicht kommen ließ, müsste sie ihn darum bitten, leider. Aber dann wusste sie, woran sie war. War es nur seine Schwäche rücksichtsvoll sein zu wollen, bestand die Aussicht auf einen Sohn und sie konnte durchhalten. Fand er sie verabscheuungswürdig – nun, dass musste sie sich einen guten Plan überlegen, wie sie hier wegkam und im Notfall tatsächlich in den Süden zu Fürst Susumu fliehen konnte. Immerhin schien hier niemand damit zu rechnen, dass sie Magie beherrschte und auch in der Lage wäre, die Bannkreise um das Schloss zu überwinden. Am dritten Tag schrieb sie als gehorsame Tochter einen Brief an ihren Vater, als Teiko hereinkam und dies sah: „Vergebung, Prinzessin, an wen schreibt Ihr?“ „Meinen Vater, aber ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.“ „Ihr dürft keine Briefe schreiben, Befehl des Fürsten.“ Das wurde jetzt wirklich zuviel: „In diesem Fall bitte ich den edlen Taishou um Audienz. Das möchte ich selbst hören.“ Sie erhob sich mit aller zu Gebote stehenden Würde. Die Haushofmeisterin verbeugte sich: „Ich werde den Fürsten unverzüglich für Euch um Audienz bitten. Habt einen Moment Geduld.“ Tatsächlich ließ ihr Schwiegervater sie ohne Weiteres vor. Sie verneigte sich höflich und nahm auf seinen Wink hin Platz. „Nun, mein Kind?“ „Ich wollte einen Brief an meinen verehrten Vater schreiben, aber mir wurde gesagt, dass ich das nicht dürfe.“ „So lautet meine Anweisung.“ „Aber, warum...?“ entfuhr es ihr, ehe sie hastig den Kopf senkte: „Ich bitte Euch, erlaubt mir, dass ich ihn über mein Wohlbefinden unterrichte. Er macht sich gewiss Sorgen.“ Harmlos sein, sagte sie sich vor, die brave Ehefrau, Schwiegertochter und Tochter spielen. Der Taishou dachte kurz nach, ehe er meinte: „Du solltest deinen hübschen Kopf nicht mit Politik belasten, aber dir ist bewusst, dass dein Vater einen Aufstand gegen mich führte.“ „Ja.“ Mit Politik belasten? Für wie dumm hielt er sie? „Schreibe ihm, wie eine Tochter an ihren Vater schreibt. Ich werde den Brief lesen, ehe ich ihn mit einem Eilboten abschicken werde.“ Er fürchtete weitere Ränke ihres Vaters? So leichtsinnig würde der doch nicht sein. Schließlich wäre ihr Leben dann bedroht – und auch er würde kaum mehr Schonung finden. Aber sie verneigte sich höflich: „Ich danke Euch, mein Fürst.“ Immerhin hatte sie ihren Willen durchgesetzt. Und wenn der Taishou die kindlich-harmlosen Briefe las, die sie dann eben schreiben würde, ließe seine Wachsamkeit doch auch einmal nach. „Du stickst fleißig?“ „Ja.“ Was sollte sie auch sonst tun? „So ist es gut. Hast du noch einen Wunsch?“ „Nein, danke. Ihr wart sehr großzügig.“ Das entsprach den Tatsachen, wenn sie an die gut gefüllten Kleidertruhen und sonstigen Gegenstände dachte, die man ihr hingestellt hatte. „Dann darfst du gehen.“ Hu, dachte sie, als sie begleitet von Teiko und einer anderen Kammerfrau zurück in ihre Räume kehrte, sie musste behutsam sein. Mochte auch sein Sohn weich sein – bei dem Fürsten war davon nichts zu erkennen. Er war sicher vor Intrigen auf der Hut, zu erfahren darin und in Kämpfen. Nein. Ohne Grund war er nicht der Herr der Hunde geworden. Und er befürchtete wohl, dass sie ihrem Vater irgendwelchen internen Dinge zutragen könnte – als ob sie davon so viel erfahren hatte oder auch nur erfahren könnte. Sie war vermutlich die bestbewachte Gefangene in diesem ganzen Schloss. Sie war erleichtert, als sie erfuhr, dass der Brief abgesandt worden war, auch, wenn sie ihn betont harmlos geschrieben hatte, von den neuen Kammerfrauen und den großen Räumen berichtet hatte, wie freundlich ihr Gemahl und der Fürst zu ihr seien. Ihre gute Laune stieg weiter, als der Prinz nach ihr schickte. Sie musste eben behutsam sein, sich an alle Neuerungen gewöhnen und ihre Gedanken besser verbergen. Dann würde sie sicher auch bald einen Sohn bekommen... Ihre Kammerfrauen blieben vor der Tür zu den Räumen des Prinzen stehen und sie trat ein. Wie schon beim ersten Mal hatte er alle seine Diener weggeschickt. Heute wusste sie, was sie erwartete, und öffnete die Tür doch ein wenig erleichterter. Er würde ihr keine Schmerzen zufügen. Er legte das Papier weg, in dem er gerade gelesen hatte: „Oh, schön, dass Ihr so rasch gekommen seid, meine Teure.“ „Danke.“ Sie verneigte sich etwas. „Setzt Euch doch.“ Sie gehorchte und warf unwillkürlich einen Blick auf das Papier. Aus den wenigen Worten erkannte sie, dass es sich um ein Lehrbuch handelte, vermutlich über Wirtschaft. Wie sehr sie ihre Schulbücher doch vermisste – und das schon nach so wenigen Tagen. Er musste es bemerkt haben, denn er nahm es auf: „Ich lerne gern dazu.“ „Ich auch.“ Was hatte sie schon zu verlieren? Mehr als nein konnte er doch kaum sagen: „Darf ich Euch um die Lektüre bitten, wenn Ihr sie abgeschlossen habt?“ Augen in ihrer eigenen Farbe musterten sie: „Ihr erwähntet, dass Ihr wie ein Junge erzogen wurdet. Soll ich dem entnehmen, dass Ihr das Sticken der Kimonos nicht als passend empfindet?“ War das eine Falle? „Ich gehorche dem Befehl des Fürsten.“ Etwas wie ein Lächeln, während er das Papier zusammenrollte: „Nehmt es mit, wenn Ihr geht. Ein wenig Entspannung nach dem eifrigen Sticken könnte Euch nutzen.“ Er verstand es? Sie konnte es kaum glauben. „Danke. Ich habe schon immer gern gelesen.“ „Und offenbar kaum Gedichte.“ Der Hundeprinz nickte leicht: „Nun, dann vermute ich doch, dass Ihr auch gewisse Kenntnisse über Gesetze habt, zumal Euer Vater ja Handel mit dem Süden treibt.“ „Selbstverständlich innerhalb der zulässigen Bedingungen,“ beteuerte sie unverzüglich: „Keine Waffen oder anderes Kriegszeug, keine Metalle. Nur Nahrungsmittel, um Salz aus dem Süden zu bekommen.“ „Ihr kennt Euch in der Tat aus. Soll ich dem entnehmen, dass Ihr die rechte Hand Eures Vaters wart?“ Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie in dem Fall auch wegen Hochverrates angeklagt werden könnte. Zum Glück war die Frage so gestellt, dass sie sie ehrlich beantworten konnte: „Nein. Ich hatte die Verwaltung des Schlosses inne. Und mein verehrter Vater teilte mir manches mit, das er dafür für wichtig hielt.“ „Kodoro hat Euch in der Tat als Erbin erzogen.“ Aber das klang nicht unwillig: „Was wisst Ihr denn über das Steuerrecht?“ Sie war erstaunt. Dieses Gespräch entsprach nicht gerade dem, was sie erwartet hatte, nicht heute Nacht und eigentlich nicht einmal von ihrer Ehe. So suchte sie erneut den Blick des Prinzen. Er lächelte wieder ein wenig. Tatsächlich war er amüsiert. Die selbstbeherrschte Schöne, die sein verehrter Vater so eifrig auf die sogenannte weibliche Seite schob, schien intelligent und gebildet zu sein. Beides Dinge, die er von seiner Ehefrau nicht erwartet hatte, nur von Mätressen. Das konnte wirklich interessant werden. Und vor allem, viel amüsanter, als er es auch nur erhofft hatte. „Reden wir,“ wiederholte er daher: „Über Steuern.“ Ihre Augen blitzten auf, zum ersten Mal wirklich an ihm interessiert: „Wollt Ihr wissen, was ich weiß oder wollt Ihr mich erleuchten?“ Unmerklicher Spott lag in ihrer Stimme. Er hatte es gehört und gab mit dem gleichen Ton zurück: „Beides?“ Oh ja, sie war klug. Sie überlegte hastig. War das eine Falle, um sie des Ungehorsams zu zeihen oder konnten sie wirklich miteinander reden?„Und....unsere Pflichten...?“ erkundigte sie sich dann nur. „Kommen später...“ Für die wartenden Kammerfrauen im Gang wurde es eine sehr lange Nacht. Während sich die Prinzessin am nächsten Tag gehorsam der Stickerei widmete, glitten ihre Blicke immer wieder seitwärts zu dem Buch, das neben ihrer Schlafmatte lag. Er hatte es ihr ohne weiteres gegeben und sie hoffte, dass sie weiterhin auf diese Art Bücher bekommen würde. Mochte er auch zu weich für einen Krieger sein – er war gut ausgebildet worden und besaß ein umfangreiches Wissen über die Wirtschafts- und Rechtslage des Westens, soweit sie das beurteilen konnte. Und sie hatte in sich ein Pflänzchen an freiwilligem Respekt vor ihm entdeckt. Der Prinz beendete unterdessen seine Fechtlektion und reichte das Schwert dem Diener, als er seinen Vater entdeckte und sich verneigte. Der Fürst winkte: „Komm. Ich sehe mit Freuden, dass deine...hm, eifrige Nacht nicht deiner Kraft geschadet hat.“ „Danke, verehrter Vater.“ Natürlich. Vater hatte im Schloss durchaus seine Informanten und sicher war diesem bereits zugetragen worden, dass seine Gemahlin die gesamte Nacht bei ihm verbracht hatte. Allerdings wäre es töricht zu erwähnen, dass sie sich mehr über Steuerrecht und anderes unterhalten hatten, als sich um den vom Fürsten erwünschten Erben der Blutlinie zu kümmern. Er war sicher, dass auch die Prinzessin darüber schweigen würde. „Sie gefällt dir wohl.“ „Ich bin erfreut gewesen, dass Ihr meinen Geschmack so gut getroffen habt.“ Das war ehrlich, auch wenn der Fürst rein an Äußerlichkeiten denken würde. Dass man mit seiner Gemahlin auch befreundet sein könnte, käme Vater nicht in den Sinn. Und die seine besaß durchaus einen scharfen Verstand, da war er sicher, das war nicht nur ein hübsches Püppchen. Allerdings war sie etwas misstrauisch, aber das war kein Wunder. Ihr Vater hatte einen Aufstand geführt, sie war verheiratet worden, ohne nur ein Wort dagegen sagen zu können, und nun ihm und seinem Vater ausgeliefert. Aber sie hielt sich. „So ist es gut. - Kodoro wird sich ruhig halten. Ich habe allerdings Spione in Richtung Süden gesandt. Susumu hatte sicher seine Finger im Spiel und ich möchte nicht noch einmal so überrascht werden.“ Der Prinz warf unwillkürlich einen raschen Blick um sich und der Fürst nickte: „Ja, darum kam ich hier hinaus. Wir haben sicher auch einige von Susumus Leuten unter den unseren. Zwei kenne ich namentlich.“ „Und Ihr belasst sie, denn ein Spion, den man kennt, ist ungefährlich?“ „In der Tat. Einer ist übrigens Dai, einer deiner Kammerdiener. Ihn kenne ich erst seit gestern.“ „Dai. Er ist mir nie durch unpassende Fragen aufgefallen.“ „Nein, aber als ich gestern Abend in mein Zimmer ging, bemerkte ich zufällig, dass er mit den wartenden Kammerfrauen sprach. Das war nicht verboten oder verdächtig, aber als ich in meinem Zimmer war, fiel mir ein, dass ich noch eine Anweisung an die Grenzwachen geben wollte, und verließ es. Da entdeckte ich Dai im Hof, der eine Brieftaube abschickte. Zum Glück war der nächste wachhabende Dämon ein Falke. Er machte sich hinterher und fing sie ein. Ich las den Brief, ehe ich die Taube wieder abgehen ließ.“ „Damit Fürst Susumu nichts bemerkt.“ „Er ist bedauerlicherweise kein Narr, mein Sohn. Denk daran.“ „Ich werde es tun, verehrter Vater, aber ich bitte Euch, Ihr werdet noch lange die Geschicke des Westens lenken.“ Und dieses verdammte Höllenschwert tragen – nichts im Prinzen riss sich um diese Verantwortung. Der Fürst schwieg einen Moment, ehe er antwortete: „Du meinst es gut, mein Sohn, aber etwas in mir sagt mir, dass es nicht mehr lange dauert, ehe das Höllenschwert in deiner Verantwortung liegt – und der gesamte Westen. Umso wichtiger ist es, dass du deine Meditationsübungen eifrig weiterbetreibst, lernst. Und, dass du deinerseits einen Sohn bekommst. Ich würde gern noch meinen Enkel sehen.“ „Ich...wir werden uns bemühen.“ Was sollte er dazu schon sagen: „Darf ich fragen, was Dai schrieb?“ „Nichts von wirklicher Bedeutung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Susumu Berichte schätzt, in denen erzählt wird, wie oft deine Gemahlin bei dir ist und wie lange. Andererseits zeigt das an, dass er an ihr Interesse hat. Oder eher an Nachwuchs.“ „Es fragt sich, wer noch so alles derartige Kleinigkeiten berichtet. Denn daraus kann man sich ein Bild machen.“ „Das ist wahr. Und ich werde aufmerksamer sein. Du auch. Aber erwähne es niemandem gegenüber. Es ist nicht auszuschließen, dass auch unter anderen engen Vertrauten Spione sind. Leider. Der vorherige Fürst des Südens war da anders. Wir haben zwei Duelle gegeneinander gefochten, das hat er akzeptiert und es war Ruhe. Susumu dagegen ist ein anderer Typ. Ich wage zu bezweifeln, ihm je auf einem Schlachtfeld zu begegnen. Ränke und Spione, das ist sein Metier.“ „So wurde er wohl auch der Herr der südlichen Inseln.“ „Und mit Mord, denn der letzte Fürst starb Susumu sehr gelegen. Aber natürlich konnte ich mich nicht in die inneren Angelegenheiten einmischen.“ Der Fürst nickte: „Dann gehe an deine Aufgaben.“ „Wie Ihr wünscht, verehrter Vater.“ Der Hundeprinz ging, nicht ohne unwillkürlich seinen Zopf zurecht zu ziehen. Dai, also. Nun, er sollte ein Auge darauf haben, mit wem der sich noch so alles unterhielt. Womöglich könnte man Susumu über ihn mit falschen Informationen füttern. Dennoch war es ein etwas unbehaglicher Gedanke, dass es einem Gegner gelungen war, einen Spion praktisch in sein Schlafzimmer zu schleusen. Zum Glück hatte er selbst alle Diener hinausgeschickt, ehe seine Ehefrau kam. Der Fürst des Südens brauchte nicht zu wissen, über was sie sich unterhielten oder anderes. Er würde sich auf jeden Fall besser vorsehen müssen. Vater hatte zwar seinerseits nun Leute in den Süden gesandt, aber die würden kaum dazu kommen, eine Liste mit allen Gegenspionen zu erstellen. Susumu war kein Narr, in der Tat. Und seine Interessen an der Prinzessin konnte durchaus einen sehr sachlichen Grund haben. Sie war die Erbin der Ländereien, die zwischen dem Westen und dem Süden lagen – wer sie hatte, besaß auch für sich und seinen Erben das Recht auf diese Grenzregion. Hm. Es wäre in der Tat ratsam, bald einen Sohn zu bekommen, der Susumus Träumen diesbezüglich einen Riegel vorschieben würde. ** Das junge Ehepaar kommt einander näher, aber schon im folgenden Kapitel warten Fallen auf sie und den Fürsten. bye hotep Kapitel 4: Fallen ----------------- Das junge Ehepaar traf sich wochenlang abends mit solcher Regelmäßigkeit und Ausdauer, dass niemand an ihrem Eifer zweifeln konnte für den vom Fürsten gewünschten Nachwuchs zu sorgen. Kaum einer hätte sich jedoch vorstellen können, dass sie über Wirtschaft, Steuern und Magie sprachen, einige Bannkreise diskutierten, ehe sie ihrer Pflicht nachkamen. So näherten sie sich jede Nacht geistig weiter an und beide spürten, wie es mit dem gegenseitigen Respekt auch angenehmer wurde sich körperlich zu berühren. Die Prinzessin fand nur einen einzigen Punkt, über den ihr Ehemann mit ihr nicht sprechen wollte: Politik. Sie nahm an, dass das auf Befehl seines Vaters geschah oder auch eine reine Vorsichtsmaßnahme war. Schließlich war sie die Tochter eines Rebellen und mochte ihr Gefährte auch kein großer Krieger sein – er war klug. Ihre tägliche Stickarbeit wurde dadurch versüßt, dass er ihr regelmäßig Bücher mitgab, aus denen sie lernen konnte, oder auch wiederholen, was sie bereits wusste, zwischen der Tagesarbeit und den nächtlichen Gesprächen, oder auch an den wenigen Abenden, an denen er keine Zeit für sie fand. Der Prinz hätte ihr durchaus Neuigkeiten berichten können, wurde er doch von seinem Vater auf dem Laufenden gehalten, nahm auch inzwischen an fast allen Botenberichten teil. Die politische Lage hatte sich verändert, denn in den Bergländern östlich von ihnen war jemand gestorben: der Herr der dort lebenden Drachen. Und dieser hatte sich durch vollständige Feindseligkeit nicht nur gegenüber Dämonen im Allgemeinen sondern auch dem Taishou im Besonderen ausgezeichnet. Mit dem Boten, der die Todesnachricht brachte, kam auch der Verhandlungsvorschlag des neuen Drachenkönigs, mit der Bitte um ein persönliches Treffen zwischen ihnen. „Das könnte eine Falle sein, verehrter Vater,“ gab der Prinz zu bedenken, als ihm der Hundefürst dies mitteilte und seine Meinung wissen wollte: „Ein Treffen zwischen Euch und ihm mit nur fünf Kriegern je Partei? Wer garantiert, dass er nicht mehr mitbringt?“ „Und wer sagt ihm, dass ich nicht mehr mitbringe? Es mag eine Falle sein, ja. Aber nach all dem Blutvergießen der letzten Jahrzehnte, Jahrhunderte, wäre es an der Zeit auf dieser Seite Frieden zu schaffen. Vergiss nicht, im Süden lauert Susumu.“ „Das könnte auch einen Zweifrontenkrieg ergeben.“ „Genau dieser könnte dadurch verhindert werden, dass sich die Drachen ruhig halten. Nichts wird ohne ein Risiko gewonnen, schon gar nicht als Herrscher.“ „Bitte, erlaubt, dass ich mit Euch gehe.“ „Ich hoffe, du traust mir zu mich zu verteidigen.“ „Verehrter Vater!“ „Deine Idee ist gar nicht schlecht,“ sagte der Fürst dann nachdenklich: „Wenn du mit mir gehst und dafür nur vier andere Krieger, könnte es einen besseren Eindruck machen. Immerhin bist du mein einziger Sohn und Erbe, das müsste Shigatsu einen Beweis meines Vertrauens geben. Schließlich kommt er mir ja auch entgegen, in dem er den Treffpunkt bereits innerhalb der westlichen Länder vorschlug.“ „Ja, das spricht für ihn,“ gab der Prinz zu: „Wann wünscht Ihr aufzubrechen?“ „In zwei Tagen. Das genügt, um an dem vorgeschlagenen Treffpunkt am Abend anzukommen. Ich kenne Shigatsu nicht persönlich, aber ich hoffe, dass er kein Narr ist. Der Treffpunkt liegt auf meinem Land und er sollte wissen, dass Hundedämonen über ein gutes Geruchsvermögen verfügen. - Dann geh jetzt.“ Sein Sohn verneigte sich gehorsam und verließ das Arbeitszimmer seines Vaters, wenn auch in Gedanken. Irgendetwas störte ihn an dem Treffpunkt, ohne, dass er hätte sagen können,was. War es doch eine Falle? Aber Vater hatte Recht: der Drachenkönig ging seinerseits ein Risiko ein, in dem er in das Land seines Gegners reiste. Und eine Armee oder auch nur ein größerer Heertrupp sollte doch bemerkbar sein. Dennoch war er froh, dass er dabei sein konnte. Sicher, der Herr der Hunde verfügte mit dem Höllenschwert über eine furchtbare Waffe, die allerdings besser nicht eingesetzt wurde. Solange letzteres freilich die Gegner nicht wussten, erschreckte allein der Ruf sie. Und Kodoros schnelle, aber schmerzhafte, Niederlage würde sich durchaus verbreitet haben. Was also störte ihn nur an dem Treffen dort in den Bergen? Näher heran würde Shigatsu kaum kommen wollen, dazu war der Krieg in den letzten Jahrhunderten viel zu oft aufgeflammt. Es war eigentlich sowieso erstaunlich, dass der neue Drachenkönig nach Frieden trachtete, damit alle Kriegsopfer und deren Angedenken auf seiner Seite praktisch für nutzlos erklärte. Aber ihm war ja selbst nur zu bewusst, dass auch er einiges anders als sein verehrter Vater machen würde, wenn er das Sagen hätte. So sehr er ihn bewunderte und achtete – manche Dinge hatten sich überholt. Als am Abend seine Ehefrau zu ihm kam, winkte er ihr sich zu setzen, und sagte in der Hoffnung auf eine Klärung: „Kennt Ihr die Berge von Me?“ „Ja.“ War heute Geographie dran? Sie war amüsiert, dass er jeden Abend ein neues Thema anschnitt. Wollte er herausfinden, was sie so alles wusste? Aber es war ein weitaus unterhaltsameres Gespräch als diese nichtigen Kleinigkeiten, mit denen ihre Kammerfrauen sie zu erheitern gedachten. Klatsch und Tratsch des Schlosses, zumal von Leuten, die sie kaum je gesehen hatte, oder auch nie, lagen ihr nicht. „Was wisst Ihr darüber?“ „Die Berge von Me liegen im Osten, am Rande des Herrschaftsgebietes Eures mächtigen Vaters, unseres Fürsten. Sie sind recht steil und felsig, wie ich hörte, und selbst von Dämonen nicht bewohnt. Das dürfte aber daran liegen, dass im westlichen Teil Paradiesvögel leben.“ „Paradiesvögel.“ Der Prinz starrte sie an: „Das bedeutet, um von hier zur Grenze zu gelangen, muss man durch deren Gebiet?“ Das also war es gewesen, dass in ihm genagt hatte. Natürlich hatte er schon von diesen Wesen gehört, aber ihren Wohnort vergessen. „Ich bin mir nicht sicher,“ erklärte sie, ehe sie begriff: „Ihr sollt dorthin?“ Er war kein Krieger und Paradiesvögel galten als stark und gefräßig. Sie ertappte sich bei einer gewissen Besorgnis. „Ich werde übermorgen abreisen. Ich wollte Euch sowieso noch davon in Kenntnis setzen, dass Ihr einige Abende auf mich verzichten müsst.“ „Ich bedauere dies,“ sagte sie ehrlich. Die Gespräche würden ihr fehlen – und das Andere auch, gab sie zu: „Aber ich bin erfreut, dass Ihr mir dies mitteilt.“ „Ich vermute, es wäre Euch aufgefallen, dass weder ich noch der Fürst hier sind,“ meinte er mit einem Lächeln: „Es sind nur wenige Tage.“ Sie dachte kurz nach, ehe sie ihren Scharfsinn bewies: „Es geht um die Drachen?“ „Kein Krieg. Und fragt nicht weiter.“ „Verzeiht. Ich bin mir bewusst, dass Ihr nicht darüber sprechen dürft.“ Kein Krieg, aber Fürst und Erbprinz reisten in diese Richtung? Dann konnte es eigentlich nur um Friedensverhandlungen gehen. Aber vermutlich würde sie davon erst erfahren dürfen, wenn ein offizielles Fest angesetzt würde oder sonst etwas. Leider hielt ihr Schwiegervater Frauen im Allgemeinen für recht dumme Geschöpfe. Aber er war der Fürst und er hatte das alleinige Sagen, war Herr über Leben und Tod aller. So war sie auch nicht verwundert, als sie am folgenden Abend nicht mehr gerufen wurde. Vermutlich war er bei seinem Vater, um die kurze Reise vorzubereiten. Sorano, die ältere ihrer beiden Kammerzofen, hatte sich von ihr Befreiung erteilen lassen, da sie zur Totenfeier ihrer Mutter reiste, und so half ihr nur Sumu, die jüngere, aus einem Falkenclan. Die Prinzessin kannte solche Wesen, lebten sie doch in den Ländereien ihres Vaters, in den Bergen an der Grenze zum Süden, aber sie fand es immer wieder ein wenig eigenartig, dass Sumu statt Haare Federn auf dem Kopf besaß, selbst in menschlicher Gestalt. Konnte oder wollte sie sich nicht vollständig verwandeln? Sumu meinte leise: „Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dass Sorano nicht hier ist, Prinzessin, um Euch mitzuteilen, dass ich für Euren verehrten Vater arbeite.“ „Eine Spionin?“ fragte die junge Dame prompt, um zu verbergen, dass allein das ein seltsames Gefühl in ihr weckte. Vater, das schwebende Schloss, das sie nie zuvor verlassen hatte – und hier war jemand von zuhause. „So würde ich das nicht nennen.“ Die Vogelfrau klang indigniert: „Er wünscht eben Nachricht, falls Ihr schlecht behandelt werden solltet, oder auch, falls Ihr Nachwuchs erwarten solltet.“ „Du scheinst nicht ungeschickt zu sein, wenn es dir gelang, dich unter die Kammerfrauen zu mischen, die mir zugewiesen wurden.“ Vater – er dachte an sie, machte sich Sorgen. Ihr wurde etwas warm ums Herz, ungewohnt, aber das ließ eine gewisse Vertrautheit zu dieser fast Fremden zu. „Danke.“ Sumu bürstete das lange, weiße Haar ihrer Herrin: „Falls Ihr also eine Nachricht habt, könnt Ihr sie mir geben.“ „Wie du selbst weißt, werde ich nicht schlecht behandelt. Und was das Thema Nachwuchs angeht, so ist es noch zu früh, etwas genaues zu sagen. Überdies sollte mein Gemahl zuerst davon erfahren.“ „Er ließ Euch heute nicht rufen....“ War das ein, selbstverständlich indirekter, Vorwurf gegen ihren Gemahl? „Nein, und er wird es auch die nächsten Tage nicht tun.“ „So...wird er Eurer doch nicht schon überdrüssig?“ Die Falkendämonin klang besorgt. Unwillkürlich bemüht ihn zu schützen, sagte die Prinzessin kühl: „Er geht morgen auf eine kurze Reise in die Berge von Me, das ist alles.“ „Wohl dann eine Jagd, denn auch der Fürst wollte irgendwohin aufbrechen.“ Sumu nickte: „Er ließ den Rat zusammenkommen, das macht er immer, ehe er das Schloss verlässt.“ „Möglich.“ „Habt Ihr noch einen Wunsch, Prinzessin?“ „Nein, du kannst gehen.“ Auf sie wartete neue Lektüre. Mit Gartenanlage und Botanik hatte sie sich nie zuvor befasst und das würde sie an den Abenden lesen, bis er zurück war, sicher, dass dies die Themen waren, die er als nächstes anschneiden wollte. Am folgenden Tag erreichten der Inu no Taishou, sein Sohn und vier ausgewählte Elitekrieger, Hundedämonen, am frühen Nachmittag die steilen Berge von Me. Während sie auf dem kaum sichtbaren Pfad immer höher und tiefer in das Gebirge schritten, bewahrten sie stets die gleiche Ordnung: der Fürst voran, dahinter sein Sohn, dann die Hundekrieger. Der Prinz warf immer wieder einen Blick empor zu den schroffen Gipfeln. Paradiesvögel waren groß, aber auch aggressiv und eine Verständigung eigentlich nur mit dem Schwert möglich. „Nervös, mein Sohn?“ Natürlich war dem Taishou das nicht entgangen: „In diesen Bergen leben Paradiesvögel, verehrter Vater,“ erläuterte der Prinz daher sein Verhalten. „In der Tat. Jedoch weiter im Westen, ungefähr einen halben Tag entfernt. Und sie verlassen ungern ihre heimatlichen Horste. Vor ihnen sind wir hier sicher. Allerdings ist Vorsicht durchaus angebracht. Wir haben in wenigen Stunden ein Treffen mit Drachen.“ Und es mochte ein Hinterhalt sein, aber das brauchte er nicht erneut auszusprechen. Der Prinz nickte. Aber irgendwie war ihm bei dem Gedanken an die riesigen Vögel mit zwei menschlichen Oberkörpern darauf nicht wohl. Er war jedoch zu gut erzogen, um seinem Vater zu widersprechen. So ließ er seinen Blick immer wieder über die Berghänge schweifen, suchte nach dem Geruch von Drachen oder Dämonen. Ansonsten betrachtete er das Schwert auf dem Rücken des Fürsten vor ihm. Geboren aus der Hölle war es auch eine wahrhaft höllische Waffe, wie Kodoro erst hatte feststellen müssen. Allerdings hatte sein Vater ihm eingeschärft, dass er es, sollte er es durch Erbe erhalten, nie zu oft einsetzen dürfe. Wie nach allen Seelen dürstete es vor allem nach der seines Trägers. Besaß es sie, würde ein sinnloses Morden alles Leben vernichten. Der Prinz fragte sich, nicht zum ersten Mal, wie diese Waffe eigentlich in das Diesseits gelangt war – und wie man sie wieder dorthin schicken konnte, wohin sie gehörte. Das betrachtete er als seine eigentliche Lebensaufgabe: die Familie von diesem Fluch zu befreien. Denn das war es. Nur ein Mitglied aus ihrem Blut war in der Lage, den finsteren Geist des Schwertes zu besiegen. Und das auch nur, wenn man es nicht zu oft einsetzte. Aus diesem Grund hatte er sich auch so viel mit Magie, gerade auch magischen Schwertern, befasst und suchte immer noch nach neuen Erklärungen, weiteren weisen Dämonen zu diesem Thema. Ein junger Schmied an einem Feuerberg war ihm besonders geeignet erschienen. Dieser Toutousai hatte zwar einige Schrullen, aber das hatten Genies nun einmal. Er hatte ihm auch einiges schon zu dem Höllenschwert sagen können, nur leider nicht, wie man es wieder in der Unterwelt versiegeln könnte. Sein Vater hatte sich dafür nie so interessiert – er war Krieger mit Leib und Seele und ein sorgfältiger Verwalter seines Landes. Nun, letzteres würde er auch sein, er würde auch kämpfen, aber im Höllenschwert, genauer, dessen Versiegelung, sah er den Kernpunkt seines Lebens. Sie gingen einen Abhang entlang, der aus Felsgeröll bestand, als die Falle zuschnappte. Ohne dass ein Geruch sie gewarnt hätte, schossen von oberhalb Pfeile auf sie zu, gezielt vor allem auf den Fürsten, der in die Knie ging, aber unwillkürlich nach seinem Schwert griff. Im nächsten Moment war der Angriff einer vielfachen Überzahl an Dämonen auf seltsamen vierbeinigen Vögeln reitend auch schon über ihnen. Der Prinz hatte bislang am wenigsten Verletzungen abbekommen. Zum einen reichte seine Rüstung auch über die Oberarme und er trug Unterarmschützer, zum anderen hatten die Angreifer wohlweislich zuerst den Taishou attackiert. Der junge Hundedämon griff zu seinem Schwert und warf einen Blick zurück, nur, um zu sehen, dass die Krieger niedergemacht wurden. Dann waren die Angreifer auch schon bei ihm und seinem verletzten Vater. Der hatte das Höllenschwert noch halb aus der Scheide gebracht, als ihn ein geworfenes Beil am Kopf traf, tief in die Stirn drang. Der Hundefürst brach endgültig zusammen. „Vater!“ keuchte der Prinz unwillkürlich auf, ehe er alle Hände voll damit zu tun hatte, sich irgendwie selbst zu schützen, ohne den Hang hinunterzustürzen. Tat er dies, war er den Attacken der fliegenden Angreifer wehrlos ausgeliefert. Das Höllenschwert! Wenn er es in die Hand bekam, es führen konnte...Das war die einzige Chance für ihn, und wohl auch für seinen verehrten Vater, diesen Hinterhalt zu überleben. Mit seiner eigenen Klinge wehrte er Beile ab, die auf ihn geworfen wurde, deckte sich gegen Schwerter, wie, konnte er sich auch später nicht erklären. Nur, dass er irgendwie noch immer klar und nüchtern denken konnte, jede Entfernung, jede Bewegung zu analysieren vermochte. Die drei Schritte bis zu seinem liegenden Vater schienen ihm eine endlose Zeit zu brauchen, ehe er seine eigene Waffe wegwarf, um mit beiden Händen das Höllenschwert zu ziehen. „Töte!“ sagte fast sofort eine dunkle Stimme in ihm: „Ich will Seelen!“ „Nimm sie dir!“ Der Prinz warf sich herum, und ließ die Klinge machen, überließ sich dem mörderischen Willen in ihr. Als er Sekunden später wieder klar zu Bewusstsein kam, starrte er entsetzt auf das Bild vor sich. Der Geröllabhang vor ihm war von einer größeren Lawine herabgerissen worden, aber das war nicht der Grund. Von den sicher dreißig Dämonen und ihren seltsamen Reitwesen waren nur mehr Fetzen übriggeblieben. In der Tat. Ein höllisches Schwert. „Töte weiter. Ich will mehr Seelen.“ „Vergiss es. Hier gibt es keine.“ Aber er bemerkte, dass sich der Wille der Klinge des seinen bemächtigen wollte. Es waren nur seine langen Übungen, die es ihm ermöglichten, den Geist des Schwertes zurückzudrängen – und seine Sorge um seinen Vater und die Krieger. Endlich gelang es ihm die Klinge zurück in die Scheide zu stecken, die der Hundefürst noch auf seinem Rücken trug. Besorgt tastete er nach dessen Hals. Die Stirnverletzung durch das Beil, die Pfeile in den ungeschützten Körperteilen...Die Krieger waren tot, da war er sicher, aber Vater....nicht Vater? Dann jedoch musste er erkennen, dass er ihn verloren hatte. Er stand auf und schrie, dass es im Tal widerhallte. Nein, nicht! So hatte der Taishou doch Recht behalten, dass die Verantwortung für den Westen und das Höllenschwert nur zu bald auf ihn selbst übergehen sollte. Er war nun der Herr der Hunde, der Herr der westlichen Länder – und der Besitzer einer wahrhaft mörderischen Klinge. Und jemand würde für das hier teuer bezahlen. Sollten die Drachen nur warten, das war jetzt gleich. Die Angreifer waren keine gewesen, das kam aus einer anderen Ecke – oder dieser neue Drachenkönig Shigatsu hatte schon mehr als weitreichende Plänen geschmiedet. Das sollte er sich noch gut überlegen. Erst einmal jedoch musste er zurück. Vater sollte bestattet werden, wie es sich für ihn ziemte. Mit etwas zitternden Händen löste er die Scheide des Schwertes und schnallte es sich selbst um. Erst jetzt bemerkte er seine eigenen Verletzungen an den Händen, den Beinen und im Gesicht, die Erschöpfung durch den so plötzlichen Kampf und auch den gegen das Höllenschwert. Immerhin, er war noch am Leben, und das hatten die Angreifer ganz sicher nicht als Ziel gehabt. Mühsam hob er den verstorbenen Fürsten auf. Die Krieger konnte er unmöglich mitnehmen, aber er würde sofort Leute herschicken, um sie zu holen und ebenfalls würdig bestatten zu lassen. Es wurde ein anstrengender, bitterer Rückweg für ihn, auf dem seine Gedanken ständig darum kreisten: wer? Wer hatte alles gewusst, dass Vater und er heute mit nur wenigen Kriegern in die Berge von Me gehen würden? Und eigentlich fiel ihm nur eine einzige Antwort ein: seine eigene Frau. Er hatte ihr vertraut, ja, sie gemocht, und sie hatte ihn verraten, Vater verraten... Mit jedem Schritt nach Hause stiegen sein Schmerz - und sein Zorn. Die Prinzessin saß mit ihren Damen wie jeden Tag in ihrem Zimmer und stickte an einem Kimono, als die Tür aufgestoßen wurde. Die Kammerfrauen sprangen auf, ihre junge Herrin erhob sich deutlich gelassener, ehe sie erkannten, wer dort stand. Jetzt erst sahen sie alle, dass die dämonische Energie, die sie zuvor schon gespürt hatten, aber den übenden Kriegern draußen zugeschrieben hatten, allein zu ihm gehörte, genährt von einer Empfindung: tobender Zorn. „Hinaus!“ Der Befehl ließ die Damen förmlich hinausrennen und die Tür hinter ihm schließen, froh, der bedrohlichen Nähe entkommen zu können. Die Prinzessin betrachtete ihren Ehemann, der seine volle Energie zeigte – und das war eine Menge. Himmel, war er stark. Das hatte sie nie zuvor so bemerkt. Er stand da, ein Schwert auf dem Rücken, Blutspuren im Gesicht und auf der Rüstung und verschränkte die Arme. Ja, er lächelte nun sogar, und sie schauderte in einem Vorgefühl der Angst. Nie zuvor hatte sie einen Dämon so gesehen. Sie bemühte sich, ihre instinktive Furcht zu unterdrücken, aber er hatte es gesehen, da war sie sicher, denn er erkundigte sich fast freundlich: „Ihr wisst, warum ich hier bin?“ „Ich...ich bin erfreut, dass Ihr bereits zurück seid.“ Noch während sie die höfische Formel murmelte, fragte sie sich, was geschehen war, dass er so zornig war – und eindeutig auf sie. „Lügnerin!“ Im nächsten Moment stand er vor ihr und schlug zu. Einen zweiten Schlag verhinderte ihre instinktive Abwehrbewegung, während bereits ihre eigene Energie aufflammte, um sie zu schützen. Das war der Moment, in dem es die Damen im Vorzimmer wirklich für klüger hielten, das zu räumen. Ehekrach war ja immer unangenehm, aber das schien auch noch heftig zu werden. Hoffentlich würde sich die Prinzessin daran erinnern, dass sich bedingungsloser Gehorsam gegenüber dem Gemahl ziemte. Niemand hatte ihn je zuvor in solcher Stimmung gesehen und was auch immer diesen Zorn ausgelöst hatte – es wäre klüger, ihn nicht noch mehr zu reizen. Auch der Prinzessin war das klar geworden, und während sie noch ihre Selbstbeherrschung zusammensuchte, versuchte, sich etwas zu überlegen um ihn zu besänftigen, fühlte sie bereits eine Klaue an der Kehle, die sie drosselte und rückwärts gegen die Wand drückte. „Ehe ich dir die Zunge herausreißen lasse, sag mir, warum...“ Warum was? Aber sie war zu nüchtern, um nicht zu erkennen, dass das die sicher falscheste Antwort gewesen wäre. Er war so zornig, so außer sich, und seine Energie deutlich höher als die ihre. Überdies hatte er das Recht und die Macht auf seiner Seite. Sie musste ihn irgendwie beruhigen. „Ich...ich bitte Euch, schont mich. Denkt an das Kind....“ Tatsächlich gab er sie frei: „Das Kind? Erwartet Ihr eines?“ „Ich vermute es,“ gab sie mit unheilbarer Ehrlichkeit zu: „Aber ich wollte Euch davon erst nach Eurer Rückkehr berichten, wenn ich sicherer sein könnte.“ Er musterte sie, ehe er sich umdrehte. Da er zu ihrer Erleichterung seine Energie wieder verbarg, zog auch sie ihre Macht wieder in sich zurück. Keine Minute später kam er wieder. „Ich habe nach der Heilerin gesandt.“ Das war zu erwarten gewesen. Immerhin schien er nun ruhiger zu sein – und würde seine Drohung hoffentlich nicht wahr machen, auch, wenn sie nicht guter Hoffnung wäre. Was war nur geschehen? Aber etwas in ihr sagte ihr, dass sie dazu im Moment lieber noch schweigen sollte. ** Die Flitterwochen sind vorbei. Im nächsten Kapitel gibt es für viele Neuigkeiten. Für den neuen Taishou, Fürst Susumu und nicht zuletzt für die Prinzessin. bye hotep Kapitel 5: Neuigkeiten ---------------------- Die Prinzessin war erleichtert, als die Heilerin kam. Das schweigende Sich-Anstarren war etwas enervierend, vor allem, wenn man bedachte, dass der unerwartet mächtige Dämon dort ihr Ehemann war, jemand, dem sie absoluten Gehorsam schuldete, wollte sie sich keine Strafe einhandeln. Und so wütend, wie dieser zuvor gewesen war, war etwas Schreckliches geschehen, an dem er ihr die Schuld gab. Hatte ihr Vater etwa einen erneuten Aufstand geplant oder gar durchgeführt? Aber warum verhörte sie dann nicht ihr Schwiegervater? Und nein, ihr Vater würde sie doch nicht so im Stich lassen, wenn er schon eine Spionin extra in das Schloss gesandt hatte, um zu prüfen, wie es ihr erging. Er würde es doch nicht....oder doch? Was sonst hatte nur diese Rachegelüste hervorgerufen? Alles, was ihr im Moment blieb, war, ihren Stolz zu wahren und in möglichst gelassener Haltung das Eintreffen der Heilerin abzuwarten. Falls diese ihre eigene Vermutung, sie sei schwanger, bestätigte, würde sie wenigstens am Leben bleiben können. Falls nicht...nun, dann war die Ankündigung ihr die Zunge herausreißen lassen zu wollen, sicher nur der Anfang. Moment. Wieso die Zunge? Hatte sie etwas ausgeplaudert oder er glaubte es? Aber was? Sie bekam doch keinerlei Informationen über den Westen und sie hatte auch nichts darüber verlauten lassen wie sie beide sich über Wirtschaft und Jura unterhalten hatten. Endlich kam die Heilerin. „Ist sie schwanger?“ Die nüchterne Frage ließ die beiden Frauen im Raum etwas zusammenzucken, aber die Heilerin gewann rasch ihre Professionalität wieder. „Darf ich Euch bitten, Euch niederzulegen, Prinzessin? - Ich bin nicht sicher, Herr, ob das bereits festgestellt werden kann,“ gab sie zu bedenken. „Tue deine Pflicht.“ Und das erinnerte beide Dämoninnen an Stahl. Die Prinzessin legte sich nieder und bemühte sich nicht zu erkennen zu geben, wie unangenehm ihr diese gesamte Lage war. Falls er sich nicht beruhigte, würde ihre Zukunft oder eher ihr Tod mehr als unangenehm werden, da war das hier nur ein kleiner Preis. Glaubte er etwa gar sie hätte ihn betrogen? Aber warum? Und wieso war er nicht in den Bergen von Me, wie geplant? Falsche Fragen, erkannte sie dann. Etwas war in den Bergen von Me geschehen - und er trug das Schwert seines Vaters, Blut auf seiner Rüstung.....Es musste einen Kampf gegeben haben, einen Hinterhalt, bei dem der Fürst gefallen war. Und aus irgendeinem Grund nahm ihr Gemahl an, sie sei schuld am Tod seines Vaters, diesem Überfall. Das war Hochverrat. Leider war er der neue Fürst und was immer er befahl würde auch ausgeführt werden. Er war doch sonst so ruhig, so klug, so....ja, intelligent. Sie versuchte die Hände der Heilerin an ihrem Körper zu ignorieren und schloss die Augen. „Was meint Ihr selbst, Prinzessin?“ erkundigte sich die Heilerin, die ahnte, dass das eine heikle Situation war. „Ich spüre – oder meine zu spüren – eine zweite Energie in mir, aber nur selten.“ „Ja, das wäre normal. Soweit ich erkennen kann, Herr, spricht nichts dagegen, dass die ehrenwerte Prinzessin schwanger ist – aber eine sichere Diagnose ist erst in ein oder zwei Wochen möglich, wenn nicht später.“ Der neue Taishou richtete sich etwas auf: „Gut. Dann geh und stehe ihr zur ständigen Verfügung.“ Die Heilerin verneigte sich und verließ das Zimmer, während die Prinzessin ihre Kleidung ordnete und sich dann, ihren Stolz verleugnend, hinkniete. „Dankt dem Kind, dass Ihr am Leben bleibt – vorerst,“ sagte er eisig und wandte sich zum Gehen. Sie nahm sich sich in Anbetracht der Umstände zusammen: „Mein Gebieter, jedem Verbrecher sagt man, was man ihm vorwirft....“ Sie berief sich auf ihre abendlichen Unterhaltungen? Mit gewisser Verachtung drehte er sich nicht zu ihr um: „In den Bergen von Me wartete eine Falle, die meinem verehrten Vater und den Kriegern, die bei uns waren, das Leben kostete. Niemand wusste davon, dass wir dort sein würden – außer Euch.“ Ach du liebe Zeit, dachte sie, als sich ihre übelsten Vermutungen bewahrheiteten. „Ihr werdet meinen Beteuerungen keinen Glauben schenken. Würdet Ihr jedoch bei dem Urteil berücksichtigen, dass die Drachen durchaus keinen Grund hatten Euch freundlich gesinnt zu sein?“ „Es waren nur Dämonen, die den Angriff durchführten. - Um des möglichen Kindes Willen sollt Ihr vorerst leben. Aber Ihr steht unter strengem Zimmerarrest. Krieger werden Euch bewachen und die Damen werden abgezogen.“ „Danke.“ Jetzt sah er sich doch um: „Danke?“ wiederholte er spöttisch. „Ihr seid zornig aber gerecht. Ich bin mir bewusst, dass der Anschein gegen mich spricht. - Darf ich Euch um eines bitten, mein Gebieter? Ich würde gern von....von dem verstorbenen Fürsten Abschied nehmen.“ Er zögerte einen Moment, ehe er sagte: „Er ist momentan in der Empfangshalle aufgebahrt. Ich werde die Krieger anweisen, Euch dorthin zu geleiten.“ „Danke, mein Fürst.“ Zum ersten Mal sprach sie ihn so an und es kam ihm fast eigenartig vor. Ohne weiteres Wort verließ er ihr Zimmer. Sie erhob sich und legte unwillkürlich eine Hand an ihren Bauch. Zunächst einmal hatte sie sich ein oder zwei weitere Lebenswochen erkauft. Bis dahin mochte viel geschehen, auch, er einsehen, dass die Drachen ebenfalls gewusst hatten, dass sie in die Berge gehen würden, vielleicht auch andere ein derartiges Attentat geplant hatten. Immerhin hatte er sich so weit unter Kontrolle gehabt, wie es einem so hochrangigen Dämon ziemte, noch auf sie gehört. Sie ließ sich an der Wand nieder. Sie war vollkommen sicher, dass sie nichts von seinem Ausflug jemand gegenüber erwähnt hatte – oder doch? Eiskalt fiel ihr ein, dass sie es Sumu, ihrer Zofe erzählt hatte. Aber diese hatte gesagt, sie arbeite für ihren Vater. Du lieber Himmel. Steckte etwa wirklich ihr Vater hinter dieser Geschichte? Aber das würde bedeuten, dass er ihr Leben riskiert hatte, um seinen Aufstand durchzusetzen und sich über sie das letztes überlebendes Mitglied der Fürstenfamilie den Thron zu sichern. Denn wer auch immer das geplant hatte, hatte kaum mit dem Überleben ihres Gemahls gerechnet. Übrigens: dieser galt doch als weich – wieso war er der Einzige, der den Hinterhalt hatte überleben können? Sie musste gut nachdenken, sehr gut. Denn ihr Leben hing davon ab. Der neue Inu no Taishou wies Krieger an, die Zimmer seiner Gemahlin zu bewachen, auch die Fenster, ehe er die Arbeitszimmer seines verstorbenen Vaters betrat. Im Vorzimmer verneigten sich die Schreiber. „Kümmert Euch um die Vorbereitungen der Bestattung,“ befahl er knapp: „Und was die diplomatische Korrespondenz angeht, so wisst ihr sicher, wer alles vom Tode meines verehrten Vaters und meiner Amtsübernahme benachrichtigt werden muss. Neue Siegel müssen ebenfalls bestellt werden. Ich komme in einer Stunde zur Unterschrift.“ Damit ging er. Es war so viel, was momentan auf ihn einstürmte, und er verließ das Schloss, rannte in seiner Hundegestalt ein Stück entfernt zu einer Lichtung, auf der er seit Welpentagen stets gern gewesen war. Dort verwandelte er sich zurück und blieb stehen, atmete den beruhigenden Geruch des Waldes ein. Er war der neue Fürst, an ihm hingen nun die Geschicke der westlichen Länder. Er war der neue Inu no Taishou, auf ihn verließen sich nun die Hundedämonen und alle, die hier lebten. Er war der neue Besitzer des Höllenschwertes und er hatte bereits einen Vorgeschmack darauf bekommen, was es wollte. Er wurde vielleicht Vater – und seine Frau hatte Informationen verbreitet, die seinen Vater umbrachten. Was sollte er nur jetzt tun? Die Bürokratie würde wie gewohnt weiterlaufen und wenn er in das Schloss zurückkehrte warteten Berge von Briefen zur Unterschrift auf ihn. Die Beerdigung seines Vaters würde ebenfalls vorbereitet werden. Aber was sonst? Der Drachenkönig war sicher kaum erfreut, falls er ahnungslos war, umsonst auf Vater gewartet zu haben. Das mochte Ärger geben, ja, womöglich den Frieden endgültig zu den Akten legen. Susumu war auch da, der beachtet werden musste, Kodoro und so manch anderer. Und da war auch noch sie... Wie sollte er das alles schaffen? Nun, zumindest zu letzterem kam ihm eine Idee. Die Prinzessin betrat die dunkle Empfangshalle. Sie spürte, dass die vier Hundekrieger, die sie hierher begleitet hatten, an der Tür zurückblieben und trat zu der verhüllten Bahre, die fast in der Mitte abgestellt worden war. Den Grund für das Tuch konnte sie sich denken, denn darauf zeigten sich vor allem dort, wo sich der Kopf und der Hals befinden musste, dunkelrote Flecken von altem Blut. Der verstorbene Fürst war mit Sicherheit kein schöner Anblick mehr, dachte sie unwillkürlich, als sie neben ihm niederkniete, nur die Lippen bewegte: „Es tut mir Leid, Schwiegervater. Wenn es kein Hinterhalt der Drachen war, so hat meine kleine Bemerkung gegen meine Zofe Euren Tod verursacht. Ich hätte nie geglaubt, dass mein Vater so weit gehen würde Euch und ihn umbringen zu wollen. Ihm musste doch klar sein, dass er mein Leben riskiert, wenn auch nur einer von Euch den Hinterhalt überlebt. Ich kann das nie wieder gut machen, das weiß ich. Aber ich verspreche Euch, dass ich nie wieder gegenüber einem anderen offen sein werde, außer gegen Euren Sohn. Und ich verspreche Euch, sollte ich Euren Erben erwarten, so werde ich dafür sorgen, dass er der stärkste und tödlichste Krieger wird, den die Dämonenwelt je gesehen hat.“ Sie bemerkte, dass eine Klaue unter dem Tuch hervorhing und strich behutsam darüber, ehe sie sich mit einer tiefen Verneigung erhob, die dem lebenden Fürsten geziemt hätte. Dann wandte sie sich um und ging an den Kriegern vorbei, mit einer Kopfbewegung, die eher der Befehl war ihr zu folgen. Ihre Wächter umringten sie sofort. Der neue Inu no Taishou ging aus dem Dunkel der Empfangshalle, in der er sich hinter einer Säule verborgen gehalten hatte, in sein Arbeitszimmer, wo ihn sein Schreiber mit einem provisorisch hergestellten Namensstempel begrüßte, so dass er in der Lage war, die bereits verfertigen Mitteilungen der Machtübernahme abzuzeichnen. Dabei dachte er nach. Sie schien wirklich betroffen vom Tode seines Vaters zu sein, hatte sich wohl auch über sein eigenes Verhalten erschreckt – hatte er ihr Unrecht getan? Oder war sie klug genug, um abschätzen zu können, dass eine derartige Trauerbekundung durchaus zu ihren Gunsten ausgelegt werden konnte? Klug war sie, ohne Zweifel. Nun, sie konnte er erst einmal ruhig stellen – anders sah das mit Susumu im Süden oder Shigatsu, dem neuen Herrn der Drachen im Hochland, aus. Falls ihm diese feindlich gesinnt waren – und zumindest bei Susumu mochte er darauf wetten - so würde er nur allzu bald von ihnen hören. Es würde allein an ihm liegen, wie sich der Westen halten konnte. Kodoro dagegen würde sich einstweilen ruhig halten. Noch lebte seine Tochter hier. Falls sie wegen Verrat hingerichtet würde, sähe die Sache sicher schon wieder anders aus. Es war schwer Fürst zu sein, stellte er resignierend fest. Er hatte sich gewünscht, einige Jahrzehnte noch zum Lernen zu bekommen, aber das war eben nicht der Fall. Hinzu kam, dass er keinem vertrauen konnte. Seine eigene Frau hatte ihn womöglich verraten, sicher einer seiner eigenen, persönlichen Diener. Vater hatte gemeint, Dai sei ein Spion. Wer nur noch alles? Gab es denn keinen, dem er vollständig vertrauen konnte? „Lass die Briefe unverzüglich abgehen.“ „Auch den an die Drachen, mein Fürst?“ Der Schreiber legte nur minimalen Nachdruck in die professionell nüchterne Rückfrage. Schließlich waren in der Vergangenheit einige Überbringer nicht mehr zurückgekehrt. Der neue Inu no Taishou hob etwas die Hand: „Ja. Als Boten zu ihnen schicke Myouga.“ Jetzt starrte ihn der Schreiber gegen alle Etikette an: „Myouga? Ihr meint, den Flohgeist?“ „In der Tat.“ Myouga war bei allen als Feigling verschrieen, das wusste er, aber der Winzling war zuverlässig. Und gerade sein Sinn für Gefahren würde ihm wohl einen sicheren Rückweg lassen. „Er soll aber mit etwas fliegen.“ „Ja, mein Herr.“ Nun, Myouga würde sich kaum freuen. Aber gegen den Befehl des Fürsten gab es keinen Widerspruch. „Sobald er zurück ist, wünsche ich seinen Bericht.“ „Ja.“ Weit im Süden legte Tomi, der Ratgeber, seinem Herrn die Anzeige des Todes des Fürsten der westlichen Länder und der Regierungsübernahme durch seinen Sohn etwas besorgt vor. Fürst Susumu warf nur einen kleinen Blick darauf. „So, so, ein Attentat, wie...bedauerlich. Das kommt eben dabei heraus, wenn man nicht aufpasst, nicht wahr, mein teurer Tomi? Was mich allerdings ein wenig überrascht ist, wie es ausgerechnet dem Prinzen – oh, ich sollte wohl dem Taishou sagen – gelungen ist, das zu überleben. Er gilt ja nun nicht gerade als großer Kämpfer.“ „Dürfte ich Euch dazu meine bescheidene Meinung sagen?“ Tomi war zu klug damit einfach herauszuplatzen. Der Herr konnte äußerst impulsiv und schmerzhaft reagieren. „Natürlich, mein bescheidener Ratgeber.“ „Ich vermute, dass der Vater seinen Sohn deckte.“ „Ja, das könnte stimmen. Der gute alte Taishou, möge er in Frieden ruhen...Nun, dann werde ich einmal nachdenken. Es könnte erheiternd werden, den jungen, unerfahrenen Fürsten in eine Falle zu locken.“ „Ihr meint, ein Attentat?“ „Aber nicht doch, das wäre stillos. Immer das Gleiche. Ich hoffe, du hältst mich nicht für so simpel wie dich. - Hm. Kodoro hält sich wohlweislich ruhig, Zunai ist nicht willens, aber da gab es doch diese Drachen im östlichen Hinterland, die dem verstorbenen Taishou schon das eine oder andere Mal Probleme bereitet haben. Womöglich könnte man mit denen reden.“ „Herr – Drachen.“ „Ich weiß. Lass einige Gefangene zusammenstellen, die mein Bote als Präsent mitbringen kann. Am besten Menschen. Die braucht sowieso keiner. Und nur mit satten Drachen lässt es sich verhandeln.“ Wenn überhaupt, dachte Tomi, aber er verneigte sich nur schweigend. Drachen waren schließlich dafür bekannt, auch den harmlosesten Leuten die Kehle herauszureißen. Allerdings schätzten sie Geschenke durchaus und hatten, wenn auch nur nach ihren eigenen Regeln, Ehrgefühl. „Wir wollen doch den lieben, neuen Taishou gleich einmal etwas ins Schwitzen bringen. Wie viele Spione haben wir momentan im Schloss im Westen?“ „Sieben.“ „Hat einer davon neue Nachrichten über die Prinzessin gesandt?“ „Nein, keiner hat sich seit vier Tagen gerührt. Ich vermute, dass es durch den Umsturz schwer ist, Informationen aus dem Schloss weiterzuleiten.“ „Lieber Ratgeber, ich bezahle Spione nicht für einfache Tätigkeiten. In ihrem eigenen Interesse sollten sie bald Nachrichten haben. Auch natürlich darüber, wie sich der neue Fürst zu mir stellt. Krieg wird er ja wohl nicht gleich wollen – er scheint ja sowieso eher ein nachdenklicher Typ zu sein. Ich werde also ebenfalls nachdenken. Geh, Tomi, und sieh zu, dass deine Spione etwas liefern.“ Deine Spione. Der Ratgeber wusste nur zu gut, dass damit er die alleinige Verantwortung aufgehalst bekam – und sein Kopf soeben einem gut geschliffenen Beil gehörig nähergekommen war. So verneigte er sich: „Ich werde ihnen, jeweils einzeln, Aufforderungen zukommen lassen, mein Fürst.“ Die Prinzessin dachte nach, wie diese ganzen letzten drei Tage. Immer wieder drehten sich ihre Gedanken im Kreis. Ja, sie hatte leichtsinnigerweise zu Sumu gesagt, dass sich der Prinz in die Berge von Me begeben würde. Aber sie hatte nichts davon erwähnt, dass der Fürst mitginge, dass sie nur in geringer Begleitung wären – und schon gar nicht, dass Drachen im Spiel waren. Sumu hatte das mit dem Fürsten aus dem zusammengerufenen Rat geschlossen – und eine Jagd angenommen. Auf einer Jagd wären auch nicht viele Personen, das war wahr. Hatte Sumu es dann ihrem Vater mitgeteilt? Nur, wie? Sie waren doch bereits einen Tag später aufgebrochen und waren am Nachmittag bereits in einen Hinterhalt gelaufen. Also doch die Drachen? Schlimmer. Sie saß hier, mit dem Verdacht auf Hochverrat am Hals. Deutete sie auf ihre Zofe als Spionin ihres Vaters, wäre der sicher unter Verdacht. Und auch Sumu käme kaum heil davon. Andererseits: sollte sie sich für diese beiden opfern? Sie musste an sich denken – und an ihr Kind. Ihr Ehemann schien immerhin bei allem Zorn gerecht zu bleiben. Wenn gar nicht ihr Vater sondern die Drachen hinter der Falle steckten, würde er es auch Vater nicht entgelten lassen. Ihr blieb eigentlich nur eines übrig. Sie stand auf und ging zur Tür. Sofort kreuzten sich die Schwerter der beiden Hundekrieger davor vor ihr. „Ich bitte den mächtigen Inu no Taishou um eine Audienz,“ sagte sie daher nur und zog sich wieder zurück. Auch unter ihren Fenstern standen Krieger und sie hatte durchaus bemerkt, dass diese alle immer wieder abgewechselt wurden. So war es nicht möglich, mit einem Kontakt aufzunehmen, ihn gar zu bestechen. In der Tat, der neue Herr der westlichen Gebiete war ein kluger Kopf, das erkannte sie an. Nur kurz darauf begleiteten die vier Krieger sie zum Arbeitszimmer des Fürsten. Das letzte Mal war sie hier gewesen, als noch ihr Schwiegervater auf dem Platz des Hausherrn saß – und irgendwie tat es weh nun ihren Gemahl dort zu sehen. Durch ihre Schuld. Sie verneigte sich und ließ sich nieder, während die Dämonen auf einen Wink des Taishou den Raum verließen. Wohlerzogen und auch in gewisser Sorge blickte sie zu Boden und bewegte sich nicht. Er war der Herr, er musste sie ansprechen. „Seid Ihr schwanger?“ Diese direkte, kühle Frage ließ ihr wieder bewusst werden, dass sie sozusagen nur auf Abruf lebte: „Es spricht bislang nichts dagegen, mein Gebieter.“ „Nun, was wollt Ihr?“ „Ich habe lange überlegt, welchen Fehler ich begangen haben könnte. Alles, was mir einfiel ist, dass ich mit Sumu, das ist meine Zofe, einige Worte wechselte.“ Sie berichtete das Gespräch und schloss: „Es war töricht von mir, mit ihr darüber zu sprechen, das sehe ich jetzt ein. Aber ich ….nun, ich war zu unerfahren, nicht an meinen Vater, an Zuhause zu denken.“ „Sumu.“ Und natürlich Kodoro. Aber das musste er noch gut überdenken. „Es ist Euch doch klar, dass Euch dieses Geständnis nicht gerade vom Verdacht des Verrates befreit? Aber noch zwei weitere Personen mit hineinreißt, darunter Euren Vater?“ Sie sah ihn gegen die Etikette offen an, wie sonst nur nachts: „Ja. Aber Ihr seid mein Gemahl und meine Pflicht gilt Euch – und unserem Sohn.“ „Ihr habt es vermocht mich zu überraschen. Geht. Ich werde darüber nachdenken.“ Sie verneigte sich erneut, etwas erleichtert, dass er nun weitaus ruhiger, sachlicher war. Aber natürlich hatte er sich jetzt wieder unter Kontrolle. Er sah ihr nach. Sumu? Eine solch dumme Lüge würde sie nicht erzählen. Das war zu leicht nachzuprüfen. Es gab Grenzen, was ein Dämon verschweigen konnte. Überdies stammte Sumu aus einem Falkenstamm, der in den Bergen an der Grenze zum Süden lebte – in Kodoros Herrschaftsgebiet. Es war nicht unmöglich, nein. Mit Dai war auch unter seine eigenen Kammerdiener ein Spion geschleust worden, wenn auch im Auftrag des Fürsten des Südens. Moment. Wer war Sumus Auftraggeber? Kodoro oder Susumu? Kodoro war nicht gerade der Schlaueste und er hatte bislang zwar einen offenen Aufstand geführt, aber keine Ränke geschmiedet. Anders sah das mit dem Fürsten im Süden aus. Er blickte unwillig auf, als seine Tür geöffnet wurde. Der Schreiber bemerkte dies und verneigte sich bis zum Boden: „Vergebt, Herr, Myouga ist zurück.“ „Er soll kommen.“ Sofort sprang der winzige Flohgeist herein, sichtlich erschöpft und schweißgebadet. „Herr...“ Der Inu no Taishou winkte und sie wurden allein gelassen, ehe er sich an das einzige Geschöpf wandte, dem er wirklich vollkommen vertraute – und schon seit langem kannte: „Was ist mit den Drachen?“ Myouga sprang ohne weiteres auf die Schulter seines Herrn: „König Shigatsu ist etwas empört gewesen, um kein härteres Wort zu verwenden, dass das Treffen nicht stattfand. Dass Ihr und Euer Vater in einen Hinterhalt geraten wart, wollte er zunächst nicht glauben. Seine Ratgeber waren bereits erneut für Krieg, um die Blamage, dass er dastand wie bestellt und nicht abgeholt, zu sühnen.“ „Aber du hast für mich verhandelt?“ „Herr, es war schwer, ich hing in der Klaue eines Drachen...“ „Sonst wärst du auch kaum da geblieben.“ Der Flohgeist überhörte das lieber: „Jedenfalls: König Shigatsu willigt in ein weiteres Treffen ein, das dann aber bei ihm stattfinden soll.“ ** Der Ehesegen hängt zwar schief, aber er hängt noch... Fürst Susumu plant eifrig den Untergang des neues Fürsten. Und dieser – hat er überhaupt einen Plan? Zumal, was das Angebot der „lieben“ Nachbarn angeht? Das nächste Kapitel heißt auch: Drachen. Kapitel 6: Drachen ------------------ Ein Treffen mit dem Drachenkönig in dessen eigener Hauptstadt, so man bei Drachen überhaupt davon sprechen konnte? Der junge Hundefürst runzelte die Stirn: „Shigatsu kann unmöglich davon ausgehen, dass ich das tue.“ „Lasst es mich so ausdrücken, Herr: er sagte, ich solle Euch das eben so ausrichten. Ihr kommt allein zu ihm, um Euren Friedenswillen zu zeigen. Kommt Ihr nicht, betrachtet er dies als Bestätigung, dass Euer Vater und Ihr ihn angelogen habt. Es hat ihn wohl sehr geärgert, dass er umsonst in den Westen kam, auch, wenn er vermutlich einsieht, dass der Tod des Fürsten das verursachte.“ In der Stimme des kleinen Flohgeistes lag noch immer das Zittern das er dabei empfunden hatte, als ihn die riesigen Drachen von Klaue zu Klaue gereicht hatten, ehe ihn endlich der König packte. „Und er sagte, er lasse mich nur gehen, um Euch eben dies zu auszurichten.“ „Du bist ein Feigling, Myouga, aber kein Narr. Wie sehr steht Shigatsu seinerseits unter Druck? Du erwähntest, seine Ratgeber wollen Krieg?“ Der Kleine wusste durchaus zu schätzen, dass der mächtige Hundedämon vor ihm seine Meinung offen wollte: „Ich denke, er steht sehr unter Druck. Wie ich schon sagte, seine Ratgeber waren unverzüglich für Krieg. Und nach allem, was ich von Drachen weiß, ist Friedlichkeit nicht gerade verbreitet. Shigatsu schätzte wohl Euren Vater – und ist beeindruckt vom Höllenschwert. Zu Euch hat er sich noch keine Meinung gebildet, wollte mir scheinen. Wenn Ihr zu dem Treffen geht, wäre das allerdings so gut wie Selbstmord, Herr. Um König Shigatsu herum sind sicher weit über hundert Drachen, alle bewaffnet.“ „Nette Überzahl. Gehe ich nicht, gibt es sicher erneut Fehde, um nicht zu sagen Krieg, mit den Drachen. Susumu im Süden wartet bestimmt nur auf einen Fehler meinerseits. Er hat zwar bislang offenen Kampf vermieden, aber das mag sich ändern, wenn sich die Möglichkeit auf einen Zweifrontenkrieg eröffnet.“ „Ihr habt es nicht leicht.“ Myouga wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Du auch nicht. Geh und ruhe dich aus, ich werde über die Drachen nachdenken. Danach werde ich dich rufen lassen. Ich habe noch einen wichtigen Auftrag für dich.“ Der Flohgeist seufzte etwas: „Nicht so gefährlich wie die Drachen?“ „Nicht ganz.“ Diese Antwort tröstete Myouga kaum, als er das Arbeitszimmer seines Herrn verließ. Der Inu no Taishou warf einen resignierenden Blick auf das Schwert, das so scheinbar harmlos in seinem Ständer abseits ruhte, ehe er die Augen schloss und nachdachte. Es wäre fahrlässig die Möglichkeit außer Acht zu lassen, dass seine Gemahlin tatsächlich nur aus Versehen geplaudert hatte, keinen Verrat beabsichtigt hatte. Die Frage war dann, für wen arbeitete ihre Zofe? Für Kodoro oder den Herrn des Südens? Eigentlich gab es nur eine Möglichkeit, das sicher festzustellen und dazu benötigte er Myouga. Die Drachen – war Shigatsu als der neue König gegen der Meinung vieler seines Volkes am Frieden interessiert, gleich warum? Dann wäre es töricht, den bereits etwas verstimmten Herrscher erneut zu brüskieren. Aber: wenn das eine Falle war, in die er sehenden Auges lief – was würde aus dem Westen? Was aus seiner Familie? Was sollte er tun? Am liebsten würde er sich mit ihr beraten – ihr Verstand war ihm in den letzten Wochen doch bemerkenswert erschienen, aber das musste er sich versagen, ehe klar war was hinter dem Anschlag steckte und inwieweit sie darin verwickelt war. Nein, das Leben als Heerführer und Fürst war nicht einfach und im Moment schien es ihm noch ärger, als er es je vermutet hatte. Und einsamer. Vielleicht war es in diesem Augenblick als ihm klar wurde, dass ihn nie wieder jemand um seiner selbst willen ansehen, anlächeln würde. Jeder Dämon sah den Herrn des Westens, den Herrn der Hunde, jede Dämonin den potentiellen Vater ihres Kindes....Vielleicht würde sein Sohn ihn so schätzen, wie er es mit seinem eigenen Vater getan hatte, aber das blieb dahingestellt. Er wusste, dass es oft zu Streitigkeiten kam, wenn der Fürst und der Erbprinz anderer Ansicht waren. Aber noch konnte er hoffen, dass sein Sohn zu ihm aufsehen würde. Er atmete tief durch. Es gab nur wenige Möglichkeiten, die sich ihm auftaten. Umringt von misstrauischen oder ehrgeizigen Feinden musste er sich entscheiden, auf wen er setzen wollte. Myouga war sicher dabei und auch Toutousai. Beide hatten ihre Fehler, aber sie waren zu ihm persönlich loyal, gleich, welchen Rang er einnahm, das wusste er. Und seine Gemahlin...? Es war sicher besser vorsichtig zu sein. Sumu zuckte zusammen, als sie erkannte, wer ohne Anmeldung ihr Zimmer betrat. Noch ehe sie weiter nachdachte, warf sie sich vor, um den Fürsten passend zu begrüßen. „Sumu, du bist die Kammerzofe meiner Gemahlin.“ „Ja, Herr.“ Sie war erschreckt über den Überraschungsbesuch, aber auch besorgt. „Du weißt, dass ich sie unter Arrest gestellt habe.“ „Ja, Herr.“ „Es wird vermutlich nötig sein, dass du ihr erneut zur Verfügung stehst, da sie ein Kind erwartet. Du wirst mir jeden Abend über alles berichten, was sie geredet hat.“ Der Inu no Taishou bemerkte beruhigt, dass der kleine Flohgeist sich mittlerweile hinten an das Kleid der Falkendämonin klammerte. Diese Nachricht würde sie gewiss an ihren Auftraggeber weiterleiten wollen und damit konnte Myouga diesen herausfinden. „Ja, Herr.“ Wie er doch diese einseitigen Unterhaltungen hasste: „Noch Fragen?“ „Nein, Herr.“ Er ging in der Gewissheit, dass er bald wissen würde, für wen zumindest sie arbeitete. Und da war ja auch noch Dai. Es wäre so oder so gut, dem Herrn des Südens etwas zum Nachdenken zu geben. So wies er seinen Kammerdiener an, doch einmal in der Bibliothek nachzuforschen, welche Bräuche bei der Geburt eines Erbprinzen zu beachten wären. Es wäre ungewöhnlich, würde dieser eine derartige Nachricht nicht an seinen Auftraggeber weiterleiten wollen. Nur wenige Stunden später stand der Herr der westlichen Gebiete an der Grenze zu den Bergen, die die Drachen für sich beanspruchten. Er hütete sich die unsichtbare Linie zu überschreiten, zeigte jedoch seine Energie zumindest zum Teil offen. Falls Shigatsu nicht gerade Idioten als Grenzposten hatte, würde früher oder später einer auf ihn aufmerksam werden. In der Tat dauerte es nicht sehr lange, ehe sich die große, schlangenförmige Gestalt eines Drachen vor ihm aufrichtete: „Besuch?“ Dunkle Augen funkelten ihn an. Der Taishou sah empor, etwas irritiert, dass es sich um vier Augen handelte. Auf der Stirn des Lindwurms saß ein fast menschlich, wenn auch maskenhaft anmutendes zweites Gesicht: „König Shigatsu will mit mir reden.“ „Mit dir? - Ah, der neue Fürst? Kommt.“ Der Posten führte den Besucher tiefer in die Berge, die zerklüftet und rau waren. Hier würden sicher keine Menschen leben wollen oder auch nur können, nicht einmal Dämonen. Immer wieder zeigten sich heiße Quellen, sei es aus Wasser oder Morast, manchmal stiegen Dampffontänen aus Spalten. Der Hundefürst sprang elegant hinter dem Drachen her, nicht willens, sich durch dessen Tempo oder die Umgebung beeindrucken zu lassen. Wer hier lebte, musste wirklich ein karges Leben schätzen - oder Toutousai heißen, der ähnlich hauste. Sie erreichten nach fast einer Stunde Wegs einen feurigen Fluss aus glühendem Gestein, der quer vor ihnen lag. Dahinter stieg ein steiler Berg auf. „Könnt Ihr fliegen?“ „Ja.“ „Dort oben, auf der Spitze des Berges erwartet Euch der König. Ich kann nicht fliegen und muss überdies auf meinen Posten zurück. Aber auch dort werdet Ihr auf Wächter treffen.“ „Danke für die Führung.“ Der Taishou erhob sich ohne weiteres Wort in die Luft. Er schätzte das Fliegen nicht sehr, es bedeutete doch eine gewisse Anstrengung, aber hier war es schlicht praktisch, um den Feuerfluss überqueren zu können. Das gesamte Gebiet hier zeigte nur zu deutlich seinen vulkanischen Ursprung. Oben landete er, als er zwei Wächterdrachen entdeckte, beide mit Schwertern in den Händen. Sie hatten ihn ebenfalls bemerkt und kamen zu ihm: „Inu no Taishou?“ „In der Tat.“ „König Shigatsu erwartet Euch.“ Einer der beiden blieb zurück, der andere bewegte seinen schlangenförmigen Körper rasch über die Felsen. An der nächsten Ecke konnte der Besucher dann in die Tiefe blicken. Vor ihm lag wohl der ehemalige Krater eines Vulkans. Gewiss hunderte von Drachen befanden sich dort. Im Hintergrund türmte sich etwas auf, das fast wie ein Berg im Berg wirkte, vielleicht der ehemalige Schlot. Wie schon seit seinem Betreten des Landes konnte der Herr der Hunde weder Pflanze noch Tier erkennen, korrigierte sich dann aber. Fast direkt unter ihm befanden sich zwei Gebilde, die man mit viel Phantasie als vertrocknete, weiße Bäume bezeichnen konnte. Diese ignorierte er jedoch, denn unten hatte man offenkundig den Besuch erkannt und wich auseinander. So entstand ein Pfad frei zu einem großen Drachen, sicher Shigatsu, dem König. Einige andere hielten sich rechts und links von ihm und der Hundefürst vermutete in ihnen die Ratgeber, die auf Krieg mit ihm selbst aus waren. Scheinbar unbeeindruckt ging er an den vertrockneten Bäumen vorbei, durch die Menge der Drachen, die ihn nicht unbedingt freundlich ansahen. Er war hier in der Falle, wenn Shigatsu nicht ehrlich spielte, aber wie hatte sein verehrter Vater gesagt: nichts kann man ohne Risiko gewinnen. Er blieb vor dem König stehen und neigte genau bemessen den Kopf: höflich, aber ebenbürtig. „Sollte ich sagen, willkommen, Herr der Hunde?“ hallte die dunkle Stimme Shigatsus durch den Krater: „Ich entnehme Eurem Besuch, dass dieser kleine Floh seinen Auftrag ausgerichtet hat.“ „Ihr gabt ihm zu verstehen, dass es wichtig ist.“ „Krieg oder Frieden ist stets wichtig, nicht wahr, Taishou?“ „Mein Vater bezahlte seinen Versuch Euch zu treffen mit dem Leben.“ „So hörte ich. Und es scheint zuzutreffen, denn das Schwert auf Eurem Rücken ist das Höllenschwert. Euer Vater hätte es nie aus der Hand gegeben. - Entweder Ihr seid sehr mutig oder sehr dumm, tatsächlich allein herzukommen, nachdem so viel Blut der Drachen in den letzten Jahren floss.“ „Es floss auch genug Dämonenblut, König Shigatsu.“ Es war überaus lästig mit jemandem zu sprechen, der einen buchstäblich von oben herab musterte. „Und ich wäre daran interessiert, beides in Zukunft zu verhindern. - Ich habe nicht die Absicht in das Gebiet Eures Volkes einzudringen und würde auch nur meine Länder verteidigen.“ „Meine Ratgeber sind dafür, in Eure Gebiete einzufallen und sie zu verwüsten.“ „Ihr seid der König und Ihr entscheidet.“ Das klang nicht sehr verheißungsvoll, aber zum einen schätzten Drachen durchaus Kampf und Mord, zum anderen musste Shigatsu wohl auch behutsam sein, wenn er wirklich Frieden wollte. „Ich persönlich sehe wenig Sinn in einem Blutvergießen, das nur eine bereits vorhandene Grenze festlegt.“ Er drehte sich nicht um, konnte aber wittern, dass sich die Drachen nun auch hinter ihm befanden. Keine sehr angenehme Lage. Aber wenn er zu seinem Schwert griff, würden sie alle über ihn herfallen und trotz aller Bösartigkeit der Klinge war das eine zu große Übermacht, als das er es hätte überleben können. Die Aussicht, dann als willenloser Zombie dem Geist des Höllenschwertes zu gehorchen, war keine schöne Zukunftsaussicht. „Um Euren guten Willen zu einem Frieden zu bekunden, könntet Ihr mir Euer Schwert schenken.“ „König Shigatsu, Ihr könnt alles von meinem Eigentum verlangen – dies jedoch wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Nicht ohne Grund nennt man es ein Höllenschwert. Nur jemand aus meiner Blutlinie vermag es so zu zähmen, dass es ruhig bleibt. Ansonsten tötet es wahllos.“ „Der Hund verhöhnt Euch, mein König,“ warf einer der Ratgeber ein: „Er war dumm genug herzukommen, dumm genug, Euch zu beleidigen – das erfordert Strafe!“ Der Taishou spannte sich unmerklich an. Die Stimmung unter den Drachen drohte zu kippen, das konnte er an den Geräuschen hinter sich hören: Klauen, die sich an Schwertgriffe legten. „Ich bitte um Vergebung, mein König,“ sagte ein junger Drache, der etwas weiter außen stand und bei dem sich wohl ein weiterer Posten befand: „Wir bekommen vielleicht Gelegenheit unsere Bündnisse und Verträge neu zu überdenken. Ein Bote Fürst Susumus aus dem Süden bittet um Audienz. Und er hat ein Geschenk dabei.“ Shigatsu sah interessiert auf: „Ich lasse ihn bitten, Ryukossei. - Und, Taishou, während dieses Gespräches seid mein Gast.“ Während, nicht danach, erkannte der Hundefürst, aber wenn er sich nicht den Weg freikämpfen wollte, musste er wohl mitspielen. Susumu! Was wollte dieser Kerl denn mit den Drachen? Ein Bündnis, um den Westen in die Zange nehmen zu wollen? Das ergäbe taktisch durchaus Sinn. So neigte er den Kopf, verabschiedend, aber auch Zustimmung andeutend, und folgte einem Drachen zum Rand des Kraters, nicht weit von den weißen Bäumen, wo dieser auf ein dunkles Loch wies, neben dem ein riesiger Stein lag, anscheinend mit Ketten befestigt: „Geht dort hinein,“ sagte der Führer: „Auf Befehl des Königs werdet Ihr wieder herauskommen.“ Hoffentlich, dachte der Herr des Westens, aber er ging in die Dunkelheit, hörte, wie er es erwartet hatte, prompt, dass der Stein davor geschoben wurde. Zusätzlich spürte er eine magische Sicherung. Nein, er saß hier als Gefangener, konnte nicht sehen oder hören, was der Bote Susumus brachte, wie die Verhandlungen abliefen. Mit einem leisen Fluch versuchte er sich zu orientieren. Das hier war nur eine Grotte, die hinten nicht weiter in den Berg führte. Flucht war hier wohl kaum möglich – und würde ihn vor den Drachen wohl auch blamieren. Soweit er sich an die Gerüchte über sie entsann, waren sie zwar harte Krieger, skrupellose Mörder, wenn sie es wollten, aber sie hatten in gewissen Grenzen Ehrgefühl und achteten Mut. Schon die Tatsache, dass er hier allein aufgetaucht war und Susumu nur einen Boten sandte, würde durchaus zu seinen Gunsten sprechen. Fragte sich, was der als Geschenk mitgebracht hatte und wie groß das Interesse Shigatsus daran war. Allerdings hatte ihn der Drachenkönig bislang weder als Gast noch als Verbündeten angesprochen – damit war er nach den Regeln dieses Volkes wohl Freiwild. Aber das waren alles Vermutungen. Zu viele Dämonen hatten sich hier noch nicht aufgehalten ohne mit dem Leben dafür zu bezahlen. Hm. Wie sollte er sich verhalten, wenn er hier herauskam? Es wäre durchaus möglich, sich den Weg aus der Grotte mit dem Höllenschwert zu bahnen – aber was wäre dann? Ein Kampf gegen die Drachen, eine spektakuläre Flucht würden sein Leben womöglich retten. Und seinen Ruf bei den Drachen ruinieren, ja, sie in Susumus Arme treiben. Dann hätte er einen ausgewachsenen Zweifrontenkrieg für den Westen vom Zaun gebrochen. Das musste er verhindern, um jeden Preis. Falls seine Gemahlin in der Tat einen Sohn erwartete, sollte dieser Erbe eines Landes sein, das noch existierte. Für die westlichen Länder gab es eine Zukunft, wenn sie auf ihren Sohn achtete, auch, wenn er selbst keine haben sollte. Und das würde sie tun, da war er sicher. Sie hatte Sumu und ihren Vater für ihn und ihren Sohn im Stich gelassen, hatte selbst gesagt, dass sie darin nun ihre Pflicht sähe. Und er glaubte ihr – soweit. Darum hatte er auch eine klare Anweisung hinterlassen, die sein Schreiber und Myouga öffnen sollten, wenn er in drei Tagen nicht zurück wäre: sie, Myouga und Zunai als Heerführer, als dreiköpfiger Regentschaftsrat für das Ungeborene. Es schien endlos zu dauern, die Zeit in der Dunkelheit, ehe er spürte, dass der Stein beiseite geschafft wurde. In gewisser Alarmbereitschaft erkannte er, dass sich draußen einiges verändert hatte. Der König und seine Ratgeber waren nun ebenfalls auf dieser Seite des Kraters und musterten ihn in gewisser abwartender Neugier, die sich freilich nur in den kleinen maskenhaften Gesichtern auf ihren Stirnen zeigte. Auch die anderen Drachen waren alle hier. Ging es um ihn? Aber die Blicke galten den vertrockneten Bäumen. Und da war auch ein Katzendämon, sicher Susumus Bote, in seiner menschlichen Gestalt. Er schien nicht sonderlich glücklich, war jedoch noch am Leben und ungefesselt. Das aufgezäumte vierfüßige Reitdrache dort hinten gehörte sicher zu ihm – und der Taishou erkannte ein Wesen jener Art, auf denen die Attentäter in den Bergen von Me sie angegriffen hatten. Besser eine gewisse Höflichkeit wahren, dachte er und neigte den Kopf vor dem Drachenkönig, als er aus der Grotte trat. Die Witterung von Blut, Menschenblut, drang in seine Nase und er erkannte einige Drachen mit rotgefärbten Mäulern. Das also war Susumus Geschenk gewesen. Widerlich. Er selbst machte sich nicht viel aus Menschen, aber sie lebten hier im Land und besaßen das gleiche Lebensrecht wie alle anderen Wesen. Sie zu töten auf der Jagd, um den Hunger zu stillen, war eine Sache, sie als „Geschenk“ Drachen zu übergeben – nein. Das hätte er selbst nie getan. Immerhin schien die Sache noch offen zu stehen. Shigatsu nickte etwas: „Fürst Susumu macht uns ein Bündnisangebot. Aber wozu darauf eingehen, wenn wir Euch sowieso schon hier haben? Wir werden sehen, ob Ihr Drachensitten vertragt.“ Das klang nicht gut, dachte der Herr der Hunde: ganz und gar nicht. Aber wenn er keinen Zweifrontenkrieg haben wollte, musste er jedes Risiko eingehen. Für den Westen. Fürst zu sein war in der Tat kein Zuckerschlecken und auch, wenn er nie erwartet hatte, kaum eine Woche nach seinem Amtsantritt schon für seine Länder sterben zu können, so war das eben so: „Was wünscht Ihr?“ „Seht Ihr den Baum neben Euch? Geht zu ihm. Nein. Mit dem Rücken zuerst.“ Ein wenig verständnislos gehorchte der Taishou, zumal ihn alle Drachen gespannt betrachteten. War das etwa kein alter, vertrockneter Baum, sondern etwas anderes? Jetzt spürte er hinter sich eine Lebensform, nicht dämonisch, kein Drache, etwas vollkommen unterschiedliches. Wollten sie an sein Schwert? Im nächsten Moment war eine Bewegung hinter ihm und noch ehe er auch nur instinktiv reagieren konnte, wurde er an Armen und Beinen gepackt und gegen den Baum gerissen. Er benötigte eine Sekunde, um sich zu orientieren. Er hing an dem Stamm des baumartigen Wesens. Weiche und doch unzerreißbare Äste hatten sich um seine Arme gewickelt, hielten sie ausgebreitet, andere hielten seine Beine so weit gespreizt, dass es fast schon in den Hüften schmerzte. Etwas ähnliches lag eng um seine Kehle. Und er war ganz sicher, dass kein auch noch so starkes Lebewesen diese Bande loswerden konnte. Jetzt, wo das Geschöpf hinter ihm seine Fassade hatte fallen lassen, witterte er auch getrocknetes Blut. Immerhin hatten sie ihm das Höllenschwert gelassen. Er hätte sich nicht vorstellen wollen, was die Klinge hier anrichten würde, wäre sie nicht mehr unter seiner Kontrolle. Shigatsu war intelligent. Nur war jetzt die Frage, wollten sie ihn hier töten oder sollte das eine Prüfung werden? Er sah zu dem Drachenkönig. Dieser betrachtete ihn interessiert: „Ihr besitzt Selbstbeherrschung, das gebe ich zu. Ich fürchte nur, dass sie Euch verlassen wird.“ „Das werden wir sehen,“ gab der Taishou zurück: „Versprecht Ihr mir nur eines, König Shigatsu, im Interesse Eures eigenen Volkes? Wenn ich tot bin, lasst die magiekundigsten der Drachen das Höllenschwert nehmen und es in den glühenden Fluss aus Steinen dort draußen werfen. Niemand jedoch sollte es auch nur berühren oder in seine Nähe kommen.“ „Das ist Eure ganze Sorge?“ Shigatsu sah zu dem Boten aus dem Süden: „Verstehst du den Unterschied? Dein Herr kam nicht selbst her, aus Furcht oder Hochmut. Beides ist nicht sonderlich schmeichelhaft für uns Drachen. Und es würde uns auch keine Ehre bringen, dich, den schwachen Überbringer, zu töten.“ Er sah zu seinen Wachen: „Als Dank für sein Geschenk soll ihn Susumu auch lebendig wiederbekommen. Bringt ihn zur Grenze.“ Der Taishou, unbequem an das baumartige Wesen hinter sich gepresst, hätte fast etwas gesagt. Drachen! Immerhin hatten sie den Bündnisvertrag aus dem Süden ausgeschlagen und rechneten sich es als Ehre an, ihn selbst umzubringen. Wunderbar. Zumindest wären seine Länder sicher, das musste ihn trösten. ** Im nächsten Kapitel werfen wir einen Blick auf den armen Myouga, seine Aufgabe – und Fürst Susumu. Kapitel 7: Spionage ------------------- Myouga schwor sich, nie wieder zu fliegen. Eingedenk des Befehls seines Herrn hatte er sich unauffällig an Sumus Kleid gehalten, um herauszufindenden, für wen die Zofe arbeitete. Leider war sie eine Falkendämonin und der kleine Flohgeist hatte sich gezwungen gesehen, sich nach ihrer Verwandlung an ihren Schwanzfedern festzuhalten, als sie in äußerst raschem Tempo durch die Nacht Richtung Süden flog. Als sie die Berge erreichte und immer höher stieg, wurde es für Myouga fast unerträglich kalt. Am liebsten hätte er losgelassen, aber ein Sturz aus dieser Höhe wäre fatal gewesen – und er bedachte den Zorn seines Herrn. Der war das Risiko eingegangen, allein zu den Drachen zu gehen – da hatte er sicher kein Verständnis, wenn er selbst aus Bequemlichkeit seinen Auftrag versäumte. Moment, dachte er dann. Wenn sie zu Kodoro ins schwebende Schloss gewollt hätte, wäre sie jetzt doch nach Osten abgebogen. Also flog sie zu Susumu. Wunderbar. Das war weiter, erklärte aber auch ihre Eile. Noch vor Tagesanbruch musste sie zurück im Westen sein, damit ihr Fehlen nicht auffiel. Sie landete endlich auf einer Terrasse eines Schlosses und der kleine Flohgeist ließ hastig los, rollte sich mehr als er noch ging, in den Schatten einer Mauer, während sie sich zurück in ihre menschliche Gestalt verwandelte. Sie war bemerkt worden, denn ein Dämon trat aus dem Schloss: „Sumu!“ „Tomi-sama, ich bringe wichtige Neuigkeiten.“ „Das vermute ich, wenn du diesen langen Flug selbst auf dich nimmst und nicht auf meinen gewohnten Boten wartest. Das letzte Mal brachtest du die Nachricht, dass der Fürst und der Erbprinz unbewacht in die Berge von Me gehen.“ „Der Taishou war zuvor bei mir. Die Prinzessin steht ja unter Hausarrest und hat keine Dienerinnen mehr bei sich. Aber er sagte, ich solle wieder zu ihr, da sie schwanger ist und ihm alles berichten, was sie sagt.“ „Oh. Sie erwartet also ein Kind. In der Tat, eine wichtige Meldung. Flieg zurück. Du warst sehr aufmerksam und Fürst Susumu wird dir gewiss auch eine Anerkennung zukommen lassen.“ „Ich bin zufrieden, wenn unsere Berge ihm gehören werden.“ Die Falkendämonin neigte etwas den Kopf, ehe sie sich wieder verwandelte. Myouga konnte nur zusehen, wie sie abflog. Er vermochte nicht zu ihr zu schleichen, dieser Tomi stand mitten auf der Terrasse und wartete, bis sie weg war. Wer das wohl war? Der Flohgeist beschloss ihm zu folgen. Womöglich war das der Leiter von Susumus Spionagedienst und er selbst könnte noch Wichtiges für seinen eigenen Herrn herausfinden. Wahrscheinlich musste er dann zu Fuß in den Westen zurücklaufen, eine schreckliche Vorstellung. Anscheinend war Sumu jedoch nicht die einzige Falkendämonin, die mit dem Süden liebäugelte, wenn er das so recht verstanden hatte. Das musste der Herr erfahren. Warum nur taten sie das? Schon der verstorbene Fürst war doch umgänglich gewesen. Lag das an Kodoro und seiner Herrschaft in diesen Ländereien? Vorsichtig sprang der kleine Flohgeist unter diesen Gedanken Tomi hinterher. Als er erkannte, dass dieser in das Arbeitszimmer des Fürsten ging, wagte er es nicht, ihm zu folgen. Da standen Dämonenkrieger davor. Mit dem gewissen Mut der Verzweiflung hüpfte er zum Fenster und kletterte auf dem schmalen Holzvorsprung entlang. Was er alles für seinen Gebieter tat! Hoffentlich ging es dem gut, würden ihn die Drachen nicht umbringen. Vorsichtig lugte er durch das Fenstergitter. Das dort auf dem Sessel musste Fürst Susumu sein, denn Tomi verneigte sich tief, ehe er niederkniete. „Nun?“ „Sumu, die Falkendämonin, brachte soeben die Nachricht, dass die Prinzessin aus dem schwebenden Schloss ein Kind erwartet.“ „Woher stammt diese Information? Ich dachte, die Prinzessin sei allein.“ „Der Taishou sagte es Sumu, um sie anzuweisen, die Prinzessin auszuhorchen. Sie wird wohl morgen oder in den nächsten Tagen wieder ihr zugewiesen.“ „Der Taishou selbst? Oh, der sollte es wissen. Wie amüsant. - Warten wir jedoch ab, ob noch jemand von unseren Leuten diese Nachricht bestätigt. Ich halte ihn für keinen Dummkopf. Es könnte auch eine Falle für Sumu sein.“ Myouga schluckte. Der Fürst des Südens war schlau, das musste er ihm lassen. Genau das hatte der Herr ja geplant. Hoffentlich hatte dieser auch noch einem Informanten das zukommen lassen, hoffentlich kannte er überhaupt noch jemanden. „Hast du noch etwas Neues?“ „Im Augenblick nicht, mein Gebieter. Euch wird nicht entgangen sein, dass der Bote mit dem...Geschenk zu den Drachen aufgebrochen ist.“ „Da hast du völlig recht, mein lieber Ratgeber. Dann geh. Sobald der Bote zurück ist, will ich ihn sehen. Und natürlich Nachricht, wenn er in, sagen wir, drei Tagen noch nicht wieder hier ist.“ Myouga zog sich eilig zurück. Sollte er jetzt schon verschwinden? Es war dunkel und der Weg war weit. Seine Aufgabe war nur gewesen, herauszufinden, für wen Sumu arbeitete. Das war passiert. Und so gab es eigentlich keinen Grund, sich länger als notwendig in einem feindlichen Schluss aufzuhalten. Er würde noch diesem Tomi folgen, sehen, ob er in dessen Zimmer etwas herausfinden konnte und dann sich endlich auf den Weg in den sicheren Westen machen, leider über die kalten Berge, die noch dazu von dem scharfäugigen Falkenclan bewacht wurden, dem auch Sumu angehörte. Der unglückselige Bote berichtete Fürst Susumu sowohl von der Tatsache, dass dessen Geschenk angenommen oder eher gefressen worden war, als auch der, dass die Drachen des Hochlandes das Bündnisangebot abgelehnt hatten, da sie den Taishou offenbar bereits selbst gefangen hatten. „Ich sah noch, wie sie ihn an einen seltsamen Baum banden, Herr, und der Drachenkönig sprach davon, dass er die Selbstbeherrschung verlieren würde.“ Die Stimme des Katzendämons zitterte jedoch. Zwar hatte er den Besuch bei den Drachen überlebt, aber der Herr des Südens schätzte keine Fehlschläge. Susumu erhob sich langsam. Sein Tritt ließ den Boten quer durch sein Arbeitszimmer fliegen: „Geh, du Narr.“ Der Katzendämon erhob sich mühsam, verneigte sich aber, froh, mit einigen gebrochenen Rippen davongekommen zu sein. Oft genug gingen Strafen nicht so glimpflich ab. Der Fürst nahm wieder Platz: „Shigatsu ist entweder ein größerer Narr als ich dachte, oder er ist äußerst raffiniert.“ „Vergebt, mein Gebieter,“ wagte sein Ratgeber einzuwenden: „Es wäre doch nur gut, wenn die Drachen den Taishou töten. Dann ist der Westen ohne Herrn. Nun ja, dann hätten allerdings auch die Drachen das Höllenschwert.“ „Damit sollte Shigatsu nichts anfangen können. Angeblich kann nur ein Hund es kontrollieren. Aber ich fürchte sehr, dass der gute Taishou noch nicht das Zeitliche gesegnet hat.“ „Herr, Drachen bringen jeden um. Und es gab genug Fehden mit dem Westen in der Vergangenheit.“ „Sie bringen fast jeden um, da hast du recht. Aber nicht an ihrem heiligen Baum. Ich entnahm der Beschreibung dieses Dummkopfes von Boten, dass sie ihn dem Dryadentest unterziehen. Äußerst schmerzhaft, aber es bringt einen nicht um.“ Tomi sah etwas erstaunt auf. In der Stimme des Fürsten hatte eine ungewohnte Emotion gelegen. Hatte sich etwa auch dieser eines Tages bei einem anderen Drachenvolk dieser Prüfung unterziehen müssen? Susumu hatte es bemerkt: „Lieber Ratgeber,“ sagte er gewohnt spöttisch: „Du hast doch nicht erwartet, dass ich die südlichen Inseln bis Okinawa allein erobern konnte? Bündnisverträge mit Drachen sind selten und schmerzhaft. Sie verhandeln nur mit Leuten, die sie als gleichrangig ansehen. Nun, warten wir ab. War unser junger Freund nicht mutig genug oder zu schwach, haben sie ihn in der Tat umgebracht. Hat er bestanden, werden sie ihm achten und nicht mehr gegen ihn kämpfen, zumal er ja leider nun über das Höllenschwert verfügt.“ „Ihr...Ihr scheint nicht zornig, kein Bündnis mit Shigatsu eingehen zu können.“ „Ich klammere mich nie an sinnlos gewordene Pläne, Tomi.“ Das stimmte, dachte der Ratgeber. Der Fürst war nicht der Mann, der vergeblichen Träumen nachjagte. Er würde nachdenken und einen neuen Plan machen. Der Inu no Taishou war fast glücklich, als er sein Schloss vor sich sah. Trotz aller Selbstheilungskräfte hatte er noch immer Schmerzen. So ließ er als erstes den Heiler zu sich kommen, noch ehe er die schwere Rüstung abgelegt hatte. Sie hatte auf die Verletzungen gedrückt. Er zog sich mit Hilfe eines Dieners gerade vollständig aus, als auch schon der Heiler hereinkam. „Kenta,“ lautete die Begrüßung durch den Fürsten knapp. „Herr....oh, ich sehe schon.“ „Gut. - Du kannst gehen.“ Als der Diener draußen war, ließ sich der Herr der Hunde erleichtert in die Kissen sinken. Äußerlich war eigentlich kaum mehr etwas zu erkennen, aber die Müdigkeit und die Schmerzen waren geblieben – und eine gewisse seelische Belastung. Nie zuvor war er sich so hilflos vorgekommen oder es auch de facto gewesen: „Ich war bei den Drachen,“ erläuterte er. „Sie haben mich einer...nennen wir es Prüfung unterzogen.“ Der alte Heiler nickte: „Ihr habt bestanden, da Ihr sonst nicht hier wäret, aber es war wohl sehr schmerzhaft.“ Er berührte ihn vorsichtig. „Es begann relativ harmlos,“ gab der Taishou zu: „Aber es war bereits unangenehm, Rüstung und Gewand abgezogen zu bekommen. Der König war jedoch klug genug, mir das Höllenschwert zu lassen.“ Kenta warf einen raschen Blick seitwärts, wo es so scheinbar harmlos herumlag: „Und dann suchten sie Eure Energiemeridiane.“ „Ja.“ Der Hundefürst atmete tief durch: „So wie du auch gerade. Nur nicht mit den Fingern.“ „Es ist nicht lebensgefährlich, aber schmerzhaft und ermüdend, Ihr solltet Euch ein wenig ausruhen und einstweilen, so es geht, nicht kämpfen. Ich hoffe, es hat Euch etwas gebracht diese Tortur überstanden zu haben.“ „Dem Westen.“ Shigatsu würde nicht angreifen und er hatte das Bündnis mit Fürst Susumu ausgeschlagen. Das war es schon irgendwie wert gewesen. „Gib mir ein Mittel, das ich trinken kann, damit es mir besser geht. Bedauerlicherweise habe ich keine Zeit mich auszuruhen.“ „Ja, Herr.“ Man diskutierte nicht mit seinem Fürsten. Und seine Meinung, dieser solle sich ausruhen, hatte er bereits gesagt. „Ist Myouga schon wieder zurück?“ „Das weiß ich nicht, Herr, aber ich werde Erkundigungen einziehen.“ „Wie geht es meiner Gemahlin?“ „Sie forderte meine Kollegin nicht mehr an. Also denke ich, gut.“ Der Fürst sollte wissen, dass er selbst ein striktes Besuchsverbot verhängt hatte, außer für die Heilerin. Kenta nahm ein Pulver aus seinem Koffer. „Gut. Gib es mir. Wo ist Zunai?“ „Der Anführer des Heeres ist wohl bei den Kriegern.“ Mit diesem musste er auch noch reden, sobald Myouga zurück war – oder doch eher schon, zur Sicherheit. „Dann kannst du gehen.“ „Danke, Herr.“ Der junge Hundefürst wartete, bis die Medizin etwas wirkte, ehe er sich allein wieder anzog und seinen Diener nur aussandte, um nach Myouga zu fragen, ehe er zu seiner Gemahlin ging. Mit etwas spöttischem Lächeln erkannte er, dass sie sich nach wie vor aus Gehorsam – oder aus Langeweile – an das Sticken gemacht hatte. „So fleißig, meine Teure? Ich hörte, Ihr habt nicht nach der Heilerin verlangt.“ Sie ließ die Handarbeit sinken und neigte höflich den Kopf: „Danke der Nachfrage, mein Gebieter. Ich fühle mich wohl.“ „Wären Bücher nicht mehr in Eurem Sinn?“ „In der Tat. Aber die, die Ihr mir gabt, habe ich bereits gelesen.“ „So werde ich Euch andere senden.“ „Danke.“ Sie musterte ihn etwas fragend: „Habt Ihr kämpfen müssen?“ Diese Frage war hart am Rand der Höflichkeit, verriet jedoch gewisses Interesse an ihm, da ihr seine Veränderung aufgefallen war. So erwiderte er: „Nicht in dem Sinn, wie Ihr wohl annehmt. Wie geht es Euch?“ Sie wusste nicht, wie er den ersten Teil seiner Antwort meinte, aber sie erwiderte nur höfisch-korrekt: „Ich werde mir mit jedem Tag sicherer.“ „Wollt Ihr wieder Damen um Euch?“ „Das liegt allein bei Euch.“ Kühl war sie, immer noch. Vertraute sie so ihm oder eher seiner Gerechtigkeit? Plante sie etwas anderes und nahm an, dass er gar nicht mehr dazu kommen würde sie zu verurteilen? „Auf Sumu werdet Ihr allerdings verzichten müssen.“ „So ist sie überführt?“ „Ich warte auf weitere Nachrichten.“ Ihm war klar, dass sie nicht zu deutlich wegen ihres Vaters nachfragen wollte: „Aber ich kann Euch versichern, dass ich alles prüfen werde. Und jeden.“ „Ihr seid gerecht, mein Gebieter. - Und ich freue mich auf Eure Bücher über die Gesetze hier.“ „Ihr werdet sie bekommen.“ Seltsam, dass sie sich ausgerechnet bei diesen sachlichen Themen am besten verstanden, gleich, was momentan oder in Zukunft auch zwischen ihnen liegen mochte. Er ging und gab draußen noch die entsprechenden Befehle, ehe er sich in sein Arbeitszimmer begab und Zunai, den rangzweiten Hundekrieger, rufen ließ. Dieser, ein weißhaariger, kampferprobter Dämon, verneigte sich auch in kürzester Zeit vor seinem jungen Herrn, selbstverständlich unbewaffnet. Der neue Taishou kannte ihn, solange er selbst auf der Welt war: „Nimm Platz. Wie du weißt, war ich bei den Drachen. König Shigatsu schloss mit mir einen Nichtangriffspakt. Ein gleichzeitig angebotenes Bündnis mit Fürst Susumu hat er dagegen ausgeschlagen.“ Zunai nickte etwas, schwieg jedoch. Nach allem, was er wusste, hatte der neue Drachenkönig bereits kurz nach seiner Thronbesteigung dem verstorbenen Herrn einen entsprechen Vorschlag gemacht, da er diesen achtete. Entweder, er war so naiv, dass er den Respekt vor dem Vater einfach auf den Sohn übertragen hatte, aber Drache und naiv war gewöhnlich ein Widerspruch in sich. Oder aber es blieb nur die Möglichkeit, dass sich der neue Taishou die Achtung der Drachen erworben hatte, wodurch auch immer. Und das war sicher nicht einfach gewesen. „Ich möchte daher, dass du Krieger aussuchst, die die südliche Grenze überwachen sollen.“ Jetzt zögerte Zunai und so erläuterte der Hundefürst dem Vertrauten seines Vaters: „Ich weiß, dass dort in den Bergen Falkendämonen leben, die meinem Vater Treue schworen. Aber bislang taten sie es nicht bei mir und Susumu wollte in Bündnis mit Shigatsu. Ich möchte sichergehen, dass er sich nicht mit den Falken verbündet.“ Dieser Clan schützte durch ständige Patrouillen die südliche Grenze der Ländereien. Nicht auszudenken, wenn sich die scharfen Augen schlossen und Susumu einen Krieg unbemerkt beginnen würde. Wäre er diesseits der Berge wäre es viel schwerer ihn aufzuhalten. „Darf ich dazu etwas sagen, Herr?“ „Ja.“ „Ich weiß nicht, ob der Bote von Fürst Susumu kam, der vor wenigen Monaten bei mir erschien. Er gab nur an, geschickt worden zu sein, da sein Herr zufällig herausgefunden hätte, der Taishou, Euer mächtiger Vater, habe vor, meinen Sohn zu töten.“ Er sah die unwillkürliche Geste: „Mir war klar, dass das gelogen war – und dass auch die angeblichen Beweise eine Fälschung waren. Der Bote wusste bedauerlicherweise wirklich nicht mehr.“ „Du hast ihn unter Zwang befragt.“ „Er tötete sich.“ Der alte Hundekrieger seufzte unmerklich: „Allerdings schien er mir dabei unter einem Bann zu stehen, da sein Auftrag misslungen war. Ich kenne mich mit Magie nicht sonderlich gut aus, aber so kam es mir vor.“ „Susumu oder wer auch immer dahintersteht, hatte keine Ahnung von dem engen Verhältnis zwischen meinem verehrten Vater und dir.“ „Wir haben es ja auch stets gut verborgen, um keinen Neid zu wecken., schon unter unseren eigenen Männern. Und die, die wussten, dass der verstorbene Taishou mein Milchbruder war, waren sowieso nur äußerst wenige. Ich kannte ihn besser als mich selbst und er hätte nie mein Kind ermordet, schon gleich nicht so, wie in dem Brief geschildert, den mir der Bote als Beweis gab.“ „Du hast den Brief noch?“ Der junge Taishou wusste, dass sein Vater den Sohn seines Pflegebruders als Schutzherr übernommen hatte, geschworen hatte, diesen zu beschützen, und er wusste, dass Zunai und sein Vater fast enger als Brüder aufgewachsen waren. „Ich trage ihn stets bei mir.“ Zunai gab ihn dem Fürsten: „Ich wollte ihn noch Eurem Vater zeigen, aber dann kam das Friedensangebot der Drachen und es schien mir damit nicht zusammenzuhängen.“ Der las die wenigen Zeilen: „Gut gemacht,“ gab er dann zu: „Sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit der Schrift meines verehrten Vaters ist nicht abzusprechen. Ein Glück, dass ...“ Er brach ab. „Susumu muss dahinterstecken. Kodoro hat nicht den Grips, das zu tun.“ Woher hatte dann eigentlich seine Tochter ihren Verstand? „Es wird Zeit, dass Myouga zurückkehrt.“ „Herr, ich weiß, dass Ihr seit Eurem Aufenthalt auf Hokkaido diesen Flohgeist bei Euch habt, ja, ihm vertraut....“ „In der Tat, das tue ich.“ Das klang schärfer als beabsichtigt. So fuhr der Taishou milder fort: „Ich weiß um seine Schwächen. Aber seine Stärken überwiegen. Er ist kein Krieger, das gebe ich zu.“ „Verzeiht, mein Fürst,“ erwiderte Zunai sofort: „Ihr werdet Eure Gründe haben.“ Er klopfte und auf den Ruf des Taishou sah ein Diener herein: „Myouga ist zurück, Herr.“ „Lass ihn herein.“ Auf das Stichwort, dachte er amüsiert. In der Tat, der kleine Flohgeist mochte ein gewaltiger Feigling sein, aber er war loyal. Sichtlich erschöpft und zerzaust kam Myouga herein, anscheinend nicht überrascht, den Heerführer vorzufinden: „Mein Herr...“ „Wohin flog sie?“ erkundigte sich der Hundefürst sofort. „Zu Fürst Susumu.“ Der Flohgeist hütete sich, wie gewohnt auf die Schulter seines Herrn zu springen - nicht vor Zeugen. „Ein Dämon namens Tomi empfing sie und erstattete dann Fürst Susumu Bericht, während Sumu leider ohne mich bereits wieder abflog..“ Das erklärte den Zeitraum der Reise und die Erschöpfung des Flohgeistes: „Du hast dem Bericht zugehört?“ „Ja, Herr. Aber es war nur die wörtliche Aussage. Allerdings folgte ich dann Tomi zu seinem Arbeitszimmer. Fürst Susumu ist es anscheinend gelungen, sieben Spione hier im Schloss unterzubringen. Vier Namen konnte ich in Erfahrung bringen, zwei davon wisst Ihr bereits.“ „Sumu und Dai.“ „Ja, Herr.“ Moyuga holte tief Atem: „Die anderen beiden kann ich Euch ebenfalls sagen – nur, was mit auf dem Rückweg begegnete: die Falken der südlichen Berge....Ein gut Teil des Volkes möchte anscheinend zu Susumu.“ Der junge Fürst erstarrte ebenso wie sein Heerführer: „Warum?“ „Das konnte ich so rasch nicht in Erfahrung bringen. Allerdings gibt es nur die Möglichkeit, dass Kodoro....“ „Darum, Zunai,“ meinte der Taishou, als sei keine Unterbrechung in dem vorherigen Gespräch erfolgt: „Wir müssen sichergehen.“ Der erfahrene Heerführer neigte den Kopf: „Danke, Herr. - Soll ich die Spione festnehmen lassen?“ „Ja. Alle vier, die Myouga kennengelernt hat. Und sie töten.“ Der junge Fürst zögerte unmerklich. Es war das erste Mal, dass er Todesurteile aussprach: „Susumu scheint es zu verstehen, fähige Leute auszusuchen – und auch zu finden. Wärst du nicht so loyal zu meinem Vater, hätte Kodoro nicht solch einen einfachen Aufstand geplant....dazu die Drachen. Es ist klar. Er wollte meinen verehrten Vater und nun mich dazu bringen, kleine Feuer zu löschen, während er sich mit den Drachen und den Falken verbündet – und der Himmel weiß, mit wem noch. König Shigatsu lehnte ab und ist mehr oder weniger auf meiner Seite. Wer jedoch fiel alles auf Susumu herein? Und irgendwie müssen wir die restlichen drei Informanten finden.“ „Dazu könnte man die vier befragen,“ schlug Zunai prompt vor. „Nein.“ Der Taishou atmete durch. „Susumu ist leider kein Narr. Keiner von ihnen wird einen anderen kennen. Reine Vorsicht. - Geh, Zunai, und lass äußerst unauffällig die südliche Grenze bewachen. Ich will weder einen Überraschungsangriff aus dem Süden auf uns noch die Falken, die bislang zu uns stehen, verärgern. Und nimm Myouga mit dir, setzt die Spione fest und tötet sie. Das lasst durchaus bekannt werden. Die anderen sollten sich überlegen, wo das höhere Risiko liegt und sich entweder mir stellen oder versuchen zu fliehen. Myouga, du hast doch unter den kleinen Geistern gute Freunde. Sie sollen das gesamte Schloss überwachen. Jeder, der Kontakt zum Süden sucht, ist verdächtig. - Geht.“ Während seine beiden engsten Mitarbeiter gehorchten, blickte er ins Nichts. Er hätte sich gern mit ihr besprochen – aber war sie wirklich auf seiner Seite? Er sah sich von Feinden umgeben, sie erwartete womöglich seinen Erben...Und ihr Vater war ein Rebell, ein Verräter, der mit dem Süden zusammenarbeitete. Wie nur könnte er ihre Loyalität auf die Probe stellen? Wie konnte er ihren scharfen Verstand für sich nutzen, ohne alles in Gefahr zu bringen? Wäre sie doch nur keine Frau, nicht seine Frau. ** Da kann er lange hoffen. Ob diese Hinrichtungen wirklich so nützlich waren? Und gar die Idee, allein zu den Wölfen zu gehen? bye hotep Kapitel 8: Wolfstreue --------------------- Ja, ich habe die Wölfe gespoilert. So etwas ist mir noch nie untergekommen. Tja, jeder schusselt mal: 8. Wolfstreue Nur wenige Zeit später ließ sich Zunai, der Heerführer der westlichen Länder, erneut bei seinem jungen Fürsten melden. Als er vor diesem kniete, sah er zu Boden. „Was ist?“ erkundigte sich der Taishou, der wusste, dass ihn niemand ungefragt ansprechen durfte „Die vier Spione sind tot. Zuvor fragten wir sie nach den Namen der anderen, aber, wie Ihr bereits vermutet habt, kannten sie sich nicht einmal untereinander. Myouga versucht nun über seine Beziehungen herauszufinden, wer Nachricht in den Süden senden will. Kleine Geister sind unauffälliger bei derartigen Überwachungen.“ Und er vermutete mittlerweile, dass dies durchaus ein Grund war, warum der junge Herr den so feigen Flohgeist schätzte: „Ich habe einige Wolfskrieger ausgewählt, die die südliche Grenze überwachen sollen. Sie stammen aus einem Stamm dort und der offizielle Vorwand ist ein Heimatbesuch. Kujira, der Häuptling, war Euren Vater und ist nun sicher auch Euch treu ergeben, so dass man ihn auch ins Vertrauen ziehen könnte.“ „Nein. Je weniger Leute von meinen....Schwierigkeiten wissen, desto besser. Allerdings hast du mich auf eine Idee gebracht. Ich selbst werde mit den Kriegern gehen. Sie wissen, worauf sie achten sollen?“ „Ja. Und Ihr könnt Euch auf ihre Verschwiegenheit verlassen. Wollt Ihr selbst mit Kujira sprechen und seine Treuebekundung entgegen nehmen?“ „Er war bislang ebenso wenig hier wie Ryakudatsu, der Herr der Falken. Und sie erhielten beide die Mitteilung von Vaters Tod.“ „Ich verstehe. Soll ich das Heer unauffällig zusammenrufen?“ „Das könnte sinnvoll sein – aber wir wissen nicht, was der gute Susumu noch so alles an Ärger aus dem Ärmel zieht. Du kannst mich nicht mit dem Heer begleiten. Erstens könnte das Kujira und Ryakudatsu verärgern, als sichtbarer Beweis, dass ich ihnen nicht traue, zum anderen wäre in einem solchen Fall der Norden des Landes vollkommen ungeschützt.“ „Selbstverständlich, mein Herr.“ Zunai war zufrieden, dass die Ausbildung des jungen Fürsten nicht nur Strategie beinhaltet hatte, sondern dieser sie auch umsetzte. In der Tat, sein alter Freund hatte da einen klugen Sohn in die Welt gesetzt, was man bei dessen schöner aber durchaus dümmlicher Mutter nicht hatte erwarten können. Aber der verstorbene Fürst war eben davon ausgegangen, dass Frauen möglichst schön und möglichst simpel sein sollten, um keinen Ärger zu beschwören. Danach hatte er anscheinend ja auch seine Schwiegertochter ausgewählt. „Gut. Ich breche dann unverzüglich mit den Wolfskriegern auf. Es wäre eine nette Abwechslung, wenn ich einmal einen Zug machen könnte, ohne dass Susumu mir zuvorkommt.“ Der junge Hundefürst erhob sich: „Du bist mir für die Sicherheit aller hier verantwortlich. Sollte dir Myouga weitere Spione mitteilen können, lass sie beobachten.“ „Nicht töten?“ „Noch nicht.“ Der Inu no Taishou legte sich die Scheide mit dem Höllenschwert darin um und band sie fest: „Erst müssen wir sichergehen, dass wir dann auch alle haben – und, dass wir wissen, wie die Verständigung mit Susumu oder eher diesem Tomi ablief. Jemand muss den Boten spielen.“ „Ja, mein Fürst.“ In den dunklen, ausgedehnten Wäldern am Fuß der hohen Berge, die die westlichen Ländereien vom Süden trennten, lebte ein großes Wolfsrudel, dessen Dämonenkrieger sich allesamt durch Tapferkeit auszeichneten. Der junge Hundefürst, der sich begleitet von fünfundzwanzig dieser Krieger Kujira und damit dem Hauptsitz des Rudels näherte, hoffte, dass sich hier nichts durch den Tod seines Vaters geändert hätte und nun Susumu hier das Sagen hatte. Allerdings hatte ihn sein schmerzliches Erlebnis bei Shigatsus Drachenclan gelehrt, dass es manchmal weitaus besser war, persönlich aufzutauchen, nicht unbedingt für ihn selbst, aber den Westen. Fürst zu sein war eben nicht einfach, das hatte ihm sein Vater oft genug gepredigt. Er hob etwas den Kopf, als ihm Wolfswitterung in die Nase stieg, die nicht von seinen Begleitern stammte. Natürlich wurde solch ein Rudel überwacht, in aller Regel von Dämonenkriegern und den sie begleitenden tierischen Verwandten. Vermutlich wusste Kujira bereits von der Rückkehr seiner Rudelmitglieder – und dem Besuch durch den Fürsten. Dies entsprach den Tatsachen. Als sie eine weite Lichtung vor einer geschützten Grotte erreichten, war dort bereits der gesamte Wolfsclan versammelt. Der Taishou bemerkte, dass ihm einige neugierige Blicke galten, ehe sich die Verwandtschaft nur über den Besuch ihrer Mitglieder freute. Sie waren alle gesund und am Leben, das war wichtig. Und da kam ja auch Kujira. Der junge Hundefürst kannte den alten Wolf von einigen offiziellen Gelegenheiten. Tatsächlich war das Rudeloberhaupt offenbar von seinem Besuch in Kenntnis gesetzt worden, denn Kujira wäre kaum so töricht, in seiner eigenen Höhle stets mit einer derart schweren Rüstung herumzulaufen. Sie war sicher wertvoll, künstlerisch und diente als Schutz. Die einzelnen Plättchen bedeckten Arme und den Oberkörper bis zum Knie, boten aber gute Deckung selbst gegen scharfe Schwerter, wie auch die nicht nur als Dekoration angebrachten Fellteile. Sollte es doch Ärger geben? Aber der schwarzhaarige Wolf breitete die Arme aus: „Welch eine überaus erfreuliche Überraschung, mein Herr und Fürst. Ich muss zugeben, dass ich nicht damit gerechnet hatte, dass Ihr persönlich kommt.“ Er neigte den Kopf. Das klang eigentlich nicht nach jemandem, der den Treueschwur bislang unterlassen hatte. Der junge Taishou beschloss behutsam zu sein: „Der Stamm der Wölfe stand stets treu zu meinem verstorbenen Vater und mir. Wieso sollte diese gegenseitige Freundschaft nicht weiter andauern.“ „Natürlich. Kommt nur, ich zeige ihn Euch.“ Kujira lächelte stolz. Der Hundefürst folgte ihm etwas irritiert in die Grotte, die bei weitem nicht so ungemütlich war, wie sie von außen schien. Und in der hintersten, wärmsten und geschütztesten Ecke, lag eine junge Wolfsfrau mit einem kleinen Kind auf Fellen, richtete sich aber eilig auf und verneigte sich etwas vor dem Herrn der westlichen Länder, ehe sie das Baby seinem Vater gab. Kujira zeigte seinen Sohn mit deutlichem Stolz: „Kiba, so habe ich ihn genannt. Endlich, nach so vielen Jahren, habe ich einen Erben.“ „Er ist ein starker Welpe und wird Euch und seiner Mutter gewiss viel Freude machen,“ erwiderte der Taishou höflich. War der Kleine etwa der Grund, warum der Häuptling bislang nicht zu ihm gekommen war, ihm Treue geschworen hatte? Verständlich, aber warum hatte der nicht einfach einen Boten geschickt, der das erklärt...? Weil er es hatte, erkannte der junge Fürst dann. Kujira hatte so getan, als ob er nicht mit seinem Besuch gerechnet hatte, aber ihm mitgeteilt hatte, dass er einen Erben habe. Was war da geschehen? Das musste er unter vier Augen mit dem alten Wolf besprechen, ebenso auch nur auf diese Art den Treueschwur entgegennehmen. Wölfe waren ein stolzes Volk. „Ich wünsche Euch einen zweiten Sohn.“ „Danke.“ Der alte Wolf gab den Welpen seiner Mutter zurück: „Den werde ich dann Kouga nennen, nach meinem Vater. Kiba war ja der ihre, ein tapferer Dämonenkrieger.“ „Wie jeder aus Eurem Clan. - Ihr werdet gewiss einen Ort haben, an dem wir reden können, ohne Mutter und Kind zu belästigen.“ Der Wolfshäuptling nickte, durchaus angetan von der Höflichkeit, die der Jüngere trotz seiner ranghohen Stellung ihm bewies. Das war der neue Fürst der westlichen Länder und er hätte ebenso gut vor aller Ohren eine Unterhaltung beginnen können. Kujira war lebenserfahren genug, um zu wissen, dass der junge Taishou diese Reise nicht unternommen hatte, um einen Welpen zu betrachten. „Natürlich, kommt.“ So saßen die beiden nur kurz darauf in einer kleinen Grotte abseits. Dämoninnen hatten rasch Decken und Felle gebracht, Becher mit Wasser hingestellt, ein Feuer angezündet. Nun sah Kujira zu Boden. Was wollte der Hundefürst hier? Immerhin war er allein gekommen, das war eindeutig keine kriegerische Handlung. Wollte er den offiziell versäumten Treueschwur so nachholen? Er hatte ihm doch geschrieben, ihn seiner Treue versichert.... Der Taishou blickte in das Feuer: „Ich entnahm Euren Worten, Kujira, dass Ihr einen Boten mit der erfreulichen Nachricht zu mir geschickt habt, und ich vermute ebenso, dass dieser Brief auch Euer Beileid zum Tode meines verehrten Vaters enthielt.“ Der Wolf hob ruckartig den Kopf: „Ihr vermutet? Soll das bedeuten, dass Ihr diesen Brief nie erhalten habt? - Natürlich. Darum kamt Ihr her, um nach dem Rechten zu sehen.“ „Ich nahm an, dass Euch nur ein wichtiger Grund von Euren Pflichten fernhalten könnte. Es ist keine Neugier, wenn ich frage, wem Ihr den Brief anvertrautet.“ Der alte Dämon betrachtete seinen Nachbarn so gut er es konnte, ohne unhöflich zu werden. Schließlich starrte man keinen Fürsten an. Und trotz seiner Jugend war der das nun einmal. Der neue Taishou besaß nicht gerade den Ruf eines mörderischen Kriegers, aber das Schwert auf seinem Rücken war das Höllenschwert und er schien es gut im Griff zu haben. Auf gute Ausbildung und auch politischen Instinkt deutete die Tatsache, dass er trotz der scheinbaren Unhöflichkeit, ja, Treulosigkeit nicht gleich zu härteren Mittel gegriffen hatte, sondern erst einmal persönlich sich ein Bild machen wollte. „Einem Falken. - Ich möchte Euch bei dieser Gelegenheit nicht nur meiner Treue versichern sondern auch der meines gesamten Clans.“ „Danke. Ich hätte nie daran gezweifelt, Kujira. Nun, womöglich hat den Boten ein...Unfall ereilt.“ „Meine oberen Nachbarn erschienen mir stets treu zum Westen.“ „Meinem Vater und mir ebenso. Aber der neue Herr des Südens scheint ein äußerst weitgehendes Interesse am Westen zu haben.“ „Fürst Susumu? Ich weiß von ihm nicht viel, nur dass er sehr schnell sehr hoch stieg. Und das ist meist nicht gut. Soll ich meine Krieger anweisen, die Grenze mit den Falken zu kontrollieren?“ „Nicht mit den Falken. Da ist ein verschwundener Brief, der euch leicht verdächtig hätte machen können.“ Nachdem er offiziell die Treuebekundung erhalten hatte, änderte der junge Fürst die Anrede – höflich bleibend, aber dennoch Distanz zeigend. „Ich verstehe.“ Der Wolfshäuptling dachte kurz nach, ehe er sagte. „Darf ich meine Meinung äußern, Taishou?“ Die Anrede als militärischer Führer deutete an, dass es auch um derartige Dinge gehen würde: „Sprich. Du hast weitaus mehr Erfahrung als ich.“ Kujira neigte den Kopf. Nur ein weiser Mann erkannte seine eigenen Grenzen. Und ein Erwachsener. Trotz seiner jungen Jahre schien der neue Fürst ein intelligenter Bursche zu sein. „Ryakudatsu, der Herr der Falken, ist sicher so alt wie ich selbst. Nie in all den Jahren bezweifelte ich seine Treue zu Eurem verstorbenen Vater, unserem Fürsten. Der Clan bewachte die Felsen und Pässe nach Süden stets. Das sollte auch Fürst Susumu bekannt sein. Wenn er den Westen erobern will, muss er zunächst die Augen der Falken täuschen – und die Nase der Wölfe.“ „Du hast jedoch keine Botschaft von ihm erhalten?“ „Nein. Aber wenn der Brief verschwand, könnte es mich und meinen Clan in Euren Augen verdächtig machen, Euer Augenmerk auf uns lenken. Damit wärt Ihr nicht nur mit uns und einer möglichen Strafexpedition beschäftigt, sondern würdet auch nicht auf die Falken achten. Wie erwähnt: ich halte Ryakudatsu für einen Ehrenmann und er würde den Schwur gegenüber dem Herrn des Westens nicht brechen. Aber....“ „Ich verstehe.“ Das gleiche Schema, dachte der Taishou: kleine Feuer, die aufmerksam machen und ablenken – nur, wo soll der Hauptschlag erfolgen? Was nur hatte Susumu in den wenigen Jahren, seit er Fürst geworden war, direkt unter Vaters feiner Nase angestellt? Vater war ein Krieger gewesen, offen und ehrlich, manchmal auch grausam, wenn es notwendig war. Ränke und Hinterlist hatte er nie angewandt – und wohl auch nicht damit gerechnet, dass es jemand anderer tun würde. Und jetzt stand er selbst da, unerfahren, wie er war, inmitten eines trügerischen Netzes. Wem konnte er vertrauen, wem bedingt. Eine der intelligentesten Personen wäre seine Frau - nur, konnte er ihr trauen? Und sei es auch nur um ihres gemeinsamen Sohnes willen? Sie war zur Heirat gezwungen gewesen, durchaus ein Grund ihn zu hassen, auch, wenn er glaubte, freundlich zu ihr gewesen zu sein. Sie war zu selbstbeherrscht, um ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Und da war auch die Tatsache, dass Sumu ihre Zofe gewesen war – Zufall? Fürst Susumus Plan? Der Wolfsdämon zuckte ein wenig die Schultern: „Jede Generation möchte etwas verändern, das ist auch bei uns so. Ich nehme an, auch Ihr wollt einige Dinge anders handhaben als Euer Vater und so ist es wohl auch bei den Falken. Wenn allerdings der Änderungswillen soweit geht, sich an fremde Fürsten zu wenden...“ „Du bist ein weiser Mann, Kujira. Ich werde mit Ryakudatsu sprechen – falls er überhaupt noch am Leben ist.“ „Ich hörte nichts anderes, aber anscheinend hörte ich vieles nicht. Seid Ihr sicher, allein dorthin gehen zu wollen? Sicher, Ihr tragt...ES, aber...“ „Ich war auch allein bei den Drachen und König Shigatsu.“ Der Häuptling nickte etwas: „Ihr habt überlebt, also kam es zu Verhandlungen. Über die Drachen wird Fürst Susumu keinen Einfluss gewinnen.“ „Er versuchte es bereits.“ Der junge Hundefürst stellte fest, dass er versucht war, sich vertrauensvoll an Kujira zu wenden, noch mehr, als er es schon tat. Aber das durfte er nicht. Es wäre fatal, wenn die Gefolgsleute den Eindruck bekämen, er sei schwach. Dass er nicht als großer Kämpfer galt, war ihm klar, aber erstens hatte ihn kaum jemand wirklich im Duell gesehen und zum anderen hatte er seinen Schwerpunkt auf Schwertmagie gelegt, um das Höllenschwert wirklich beherrschen zu können. Überdies wollte er eine Möglichkeit zu finden, um es endgültig zu versiegeln. Falls sich ihm jemand in den Weg stellte, würde der sehen, was er davon hatte. Bislang hatte er alle Zweikämpfe gewonnen – und es gab durchaus einen guten Grund, warum die Verlierer davon nichts erzählt hatten: sie waren tot. „Also werden die Drachen Euch helfen,“ schloss der Wolfsdämon respektvoll. Jeder wusste schließlich, dass Verhandlungen mit Drachen lebensgefährlich waren. So jung der Fürst auch war – er war sicher der würdige Sohn seines Vaters. „Ich werde die Grenze bewachen lassen.“ „Unauffällig. Weder die Falken noch Sususmus Spione sollen etwas mitbekommen.“ „Wie Ihr wünscht, mein Herr. - Darf ich Euch noch einen Führer zum Horst der Falken mitgeben?“ „Ja.“ Das würde schneller gehen, als ihn selbst zu suchen. „Entschuldigt mich.“ Kujira erhob sich und ging zum Grotteneingang: „Schickt Miharu zu mir. Sofort.“ Als er wieder Platz nahm, erkundigte sich der Taishou etwas interessiert: „Miharu?“ „Ja. Ein Mädchen – und unter unseren Kämpferinnen eine der besten. Sie kennt die Berge seit Jahren und auch die Wächter der Falken kennen sie.“ Nur kurz darauf kam eine junge, dunkelhaarige Frau, die man unter Menschen um die Zwanzig geschätzt hätte. Sie trug einen schmalen, mit Fell besetzten Brustpanzer, darunter die gewöhnliche grüne und braune Kleidung der Wölfe. Sie verneigte sich kurz vor ihrem Häuptling, damit anzeigend, dass sie nicht wusste, wer der Gast war. Kujira warf einen raschen Blick seitwärts. Unhöflichkeit gegen den Fürsten konnte durchaus schon einmal tödlich enden: „Vergebt, Herr,“ bat er daher eilig: „Ich darf Euch Miharu vorstellen. Sie wird Euch zum Falkenhorst bringen.“ Diese hatte aus der Anrede erkannt, dass das kein gewöhnlicher Besuch war und kniete eilig nieder. Ein Hundedämon, natürlich. Das war sicher ein Mitglied der Fürstenfamilie – oder gar der neue Fürst selbst? Der sollte recht jung sein.....Niedlich sah er ja aus, aber diesen Gedanken unterdrückte sie sofort wieder. „Schon gut.“ Der Taishou stand auf: „Ich danke für die Gastfreundschaft der Wölfe und wünsche euch gute Jagd und eine ruhige Zeit. - Komm, Miharu.“ Als die beiden verschwunden waren, stand Kujira auf. Das mit der Grenzüberwachung sollte er besser gleich in die Wege leiten. Er hatte nur wenig Gerüchte aus dem Süden über Fürst Susumu gehört, aber die hatten ihm nicht gefallen. Nichts blieb in dieser Zeit, wie es immer gewesen war und er hoffte, dass der junge Taishou das in den Griff bekommen würde. Allein diese zunehmende Menschenplage in den Wäldern.... Miharu ging voran, nachdem ihr der Fürst gewinkt hatte. Natürlich, wie hatte sie ihn einfach so übersehen können, ärgerte sie sich. Allein diese beiden weißen Fellboas, die neben seinem Schwert über seinen Rücken fielen, zeigten schon den Rang an. Hoffentlich hielt er sie jetzt nicht für dumm oder zumindest tollpatschig. Sie war eine der besten Kriegerinnen unter den Wölfen. Was er wohl beim Falkenclan wollte? Vermutlich das Gleiche wie bei ihnen. Sich vorstellen. Das war sehr entgegenkommend, immerhin hätte er ja auch alle Clanführer und sonstigen Untergebene einfach vorladen können. Jetzt entsann sie sich, dass sie gehört hatte, der Erbprinz sei kein Kämpfer, sondern eher ein Bücherwurm. Nun, das ließ sich herausfinden. Fast unmerklich steigerte sie das Tempo immer weiter. Es wäre unklug gewesen, den Herrn zu blamieren, also achtete sie darauf, wie er ihr folgte, aber es schien ihm nicht im Mindesten etwas auszumachen. Dann blieb sie stehen: „Vergebt, Herr, begann sie höflich: „Ihr wollt direkt zum Horst der Falken?“ „Ja.“ Er sah so freundlich aus, so jung – aber er war in keiner Weise außer Atem und sein Blick glitt, während er so vor ihr stand, wachsam über die Berghänge. „Dann gibt es nun zwei Wege. Der eine führt im Zickzack dort empor...und der andere ist eine mehr oder weniger steile Felswand. Das ist der schnellere Weg.“ „So nimm ihn. Die Wächter der Falken haben uns sowieso bereits bemerkt.“ Natürlich, hätte sie um ein Haar erwidert. Sie sollte sich zusammenreißen. Das war der Herr der westlichen Gebiete, ein Dämonenfürst, gleich, wie nett er zu sein schien. Wenn er ihr den Kopf wegen Unhöflichkeit abschlug, war das nur sein Recht – und Onkel Kujira und den Clan hätte sie gleich dazu blamiert. „Wie Ihr wünscht.“ Miharu wandte sich um. Sie hatte den alten Fürsten nie getroffen. Ob der auch diese seltsame Augenfarbe besessen hatte? Besaßen alle Hunde diese eigenartige Mischung aus gelb und braun? Sie sollte lieber aufpassen, ermahnte sie sich, als sie den Schrei eines Falken über sich hörte. Sie winkte und deutete auf die steile Felswand vor ihnen: „Besuch für Ryakudatsu, den Herrn der Falken,“ rief sie und wandte sich zu ihrem Begleiter: „Soll ich auch erwähnen, wer Ihr seid?“ „Ist das nötig?“ fragte der Taishou prompt, während er den Falken über sich kreisen sah: „Sie sollten zumindest das Schwert erkennen.“ „Natürlich,“ erwiderte Miharu eilig. Das sagenhafte Höllenschwert, das nur ein Hundedämon einer bestimmten Blutlinie zu beherrschen vermochte. Ja, davon hatte wohl jeder im Westen gehört – und vielleicht auch darüber hinaus. Der Falke flog empor zu dem steilen Gebirgskamm, wo der Horst seines Clans lag. Die Wolfskriegerin jagte mit eleganten Sprüngen die Felswand empor, gefolgt vom Taishou, der oben ein wenig erstaunt stehen blieb. Von unten unsichtbar lag hier eine von Felsen umringte geschützte Mulde, die mit jeder Menge Ästen und anderem pflanzlichen Material ausgepolstert worden war. Hier lagen die Eier des Clans, bebrütet von mehreren Falkenweibchen in ihrer Vogelform, bewacht von den Kriegern in Menschenform. Sie trugen keine Haare auf dem Kopf, wie er das auch bei Sumu und anderen gesehen hatte, sondern Federn in weißen und braunen Tönen. Und alle beobachteten ihn genau. So meinte er in Richtung auf einen Falkenmann mit einer silbernen Kette mit rundem Anhänger: „Ich freue mich, Ryakudatsu, den Herrn der Falken, kennenzulernen.“ Dieser, der wie ein Menschenmann um die Fünfzig wirkte, neigte etwas den Kopf: „Da Ihr Euch die Mühe gemacht habt, herzukommen, Herr der westlichen Länder, sollte ich wohl gleichzeitig mein Beileid zum Tode Eures Vaters und meinen Glückwunsch zu Eurem Amtsantritt bekunden.“ Keine Anrede als Taishou oder Fürst, geschweige denn eine Unterwerfung, dachte der Neuankömmling, ehe er höflich antwortete: „Danke, Ryakudatsu. Es ist allerdings ein bedauerlicher Grund, der mich Euch aufsuchen lässt.“ Ein jüngerer Falkendämon, sichtlich der Sohn des Clanchefs warf etwas den Kopf zurück: „Ach ja? Moniert Ihr etwa, dass mein Vater sich nicht zu Euch bequemt hat, um sich Euch zu unterwerfen?“ „Ruhig, Ryura,“ sagte der Herr der Falken: „Es ziemt sich nicht, einen Gast zu beleidigen. - Dann erklärt, welcher Grund Euch herführt.“ „Gern. - Miharu, danke für das Herführen. Du kannst gehen.“ Die Wolfskriegerin gehorchte, wenn auch mit einem unguten Gefühl. Solch eine latent feindselige Stimmung war sie von den Falken nicht gewohnt. Was hatten diese denn gegen den Fürsten? Zumal er ja erst kurz im Amt war? Der Taishou wartete, bis sie die Felswand hinuntersprang, ehe er ruhig sagte: „Ein Mitglied Eures Clans ist tot. Sumu.“ „Ein Unfall?“ Er behielt den Clanführer genau im Blick: „Ich ließ sie hinrichten.“ Alle männlichen Falken legten unverzüglich die Hände an die Schwertgriffe. ** Die Eigenschaft, mit der Tür ins Haus zu fallen, hat er eindeutig weitervererbt. bye hotep Kapitel 9: Bei den Falken ------------------------- „Ich habe es Euch doch gesagt, Herr Vater,“ zischte Ryura, der Sohn des Clanführers förmlich: „Fürst Susumu hat Recht. Die Hunde danken für Eure Loyalität mit Mord. Töten wir ihn!“ Susumu also. Der Taishou hätte um ein Haar geseufzt. Wo war der Kerl denn noch nicht aufgetaucht? Er ließ seinen Blick nicht von Ryakudatsu. Auch Kujira hatte doch bestätigt, dass der Herr der Falken stets loyal geblieben war Überdies hoffte er, dass der Falkendämon sich an die weniger netten Fähigkeiten des Höllenschwertes erinnerte. Dieser war doch in der einen oder anderen Schlacht seines Vaters dabei gewesen. Allerdings entging ihm nicht, dass einige jüngere Falken, sowohl männliche als auch weibliche, Ryura zustimmten, nur zu begierig schienen, auf ihn loszugehen. Ryakudatsu erwiderte den Blick ruhig, als er meinte: „Warum ließt Ihr sie hinrichten?“ „Ich mag Spione in meinem Schloss nicht sonderlich gern. Und wer den Auftrag Fürst Susumus übernimmt, mich zu überwachen, sollte wissen, dass er mit dem Leben spielt.“ Der junge Hundefürst bemerkte den raschen Seitwärtsblick vom Vater zum Sohn und fuhr fort, scheinbar beiläufig mit der Rechten sein rechtes Schulterfell ordnend: „Mir will scheinen, dass Ihr nicht darüber informiert wurdet, Ryakudatsu. Genau das hatte ich mir bereits zuvor gedacht und darum kam ich her.“ „Euer letzter Fehler!“ Ryura zog sein Schwert halb aus der Scheide: „Ich werde Euch eigenhändig dafür umbringen!“ „Lass das, du Narr!“ Der Herr der Falken klang etwas verärgert. „Vater, er hat Sumu umgebracht! Er und sein Vater haben Euch betrogen und belogen. Ich bin der stärkste aller Falken und er nur ein Weichling, der seinen Posten geerbt hat!“ Vielen Dank für die gute Meinung, dachte der Taishou etwas zynisch, meinte jedoch sachlich: „Ich weiß, wie du das feststellen kannst, Ryura.“ Dieser ließ sein Schwert nicht los: „Nur zu gern.“ Der Kerl war ein Weichling, das sah man doch, wenn man ihn nur anblickte. Der hatte ja jetzt bereits Angst. Wie der schon aussah mit diesen langen Haaren.... „Ich wiederhole mich ungern, Ryura: lass es! Wir stehen hier an unserem Nest!“ Ryakudatsu warf einen raschen Blick auf die rechte Hand des Besuchers, die noch immer scheinbar lässig auf seiner Boa lag – keine drei Finger entfernt vom Griff des Höllenschwertes. Er hatte es bereits in Aktion gesehen, als der Vater des jetzigen Fürsten es in einer Schlacht schwang. Unausdenkbar, wenn der nunmehrige Taishou es hier im Horst einsetzen würde – der gesamte Clan wäre dem Untergang geweiht. Der Fürst blieb noch immer ruhig: „Wenn wir schon dabei sind, Ryura – hast du zufällig eine Ahnung, wohin der Brief verschwand, den der Herr der Wölfe mit einem Falken an mich sandte, um mich von der Geburt seines Erben in Kenntnis zu setzen und mich seiner Treue zu versichern?“ Der Herr der Falken sah jetzt zu dem Hundedämon: „Kujira sagte Euch dies und Ihr habt ihm geglaubt.“ „Ich habe seinen Treueschwur erhalten.“ „Darum kamt Ihr her: Sumu und der ausbleibende Treueschwur der Wölfe.“ „Und der Falken.“ Ryakudatsu holte unwillkürlich etwas zu tief Luft, dämonische Selbstbeherrschung hin oder her: „Ryura! Bist du so weit gegangen?“ „Ich habe Euch davor bewahrt, dem neuen, falschen Fürsten die Treue zu schwören. Wenn Fürst Susumu hier erst das Sagen hat, werden die Falken ein besseres Leben haben, als hier in den Bergen einsam zu leben.“ Der junge Falkendämon nickte: „Wir können dann weg von hier, über die weiten Ebenen des Südens ziehen.“ „DAS war sein Angebot?“ Der Taishou konnte eine gewisse Erheiterung nicht unterdrücken: „Wie hübsch. Du weißt es entweder nicht oder willst nicht wissen, dass unsere Vorfahren einst diese ganzen Berge den Falken auf deren Wunsch hin überließen. Dein Volk gehört in die Berge. Falls du lieber woanders hinwillst, brauchst du es nur zu sagen. Im Übrigen bezweifele ich, dass Susumu Lust verspürt, überall in seinen Ländern von den scharfen Augen der Falken beobachtet zu werden.“ „So wie Ihr auch, nicht wahr? Abgeschieden in dieser Einöde vor uns hin zu existieren....Gut. Wir sind hier am Horst und ich habe durchaus vom Höllenschwert gehört. Ihr tragt es, aber ob Ihr es führen könnt, sei dahingestellt. Ich fordere Euch, Taishou, um Sumus Willen. Und wir kämpfen beide in unserer wahren Gestalt.“ Das Gesicht des Hundefürsten blieb regungslos, obwohl seine Gedanken rasten. Ach du liebe Güte. Was hatte der denn für Ideen? Das musste schon länger in ihm gegärt haben und unter den anderen Falkenjungen wohl auch. Susumu hatte davon erfahren und es ausgenutzt – genauso wie bei Kodoro. Das Spionagenetz des Fürsten musste sehr fein gewoben worden sein. Dieser Tomi schien sein Handwerk zu verstehen. Ryakudatsu umgekehrt hatte wohl nichts davon mitbekommen, seinem entgeisterten Blick nach zu urteilen. Aber ein Duell mit diesem Jungen? Schön, er war nicht viel älter, aber er wagte zu bezweifeln, dass der schon einmal ernsthaft gekämpft hatte, da er sonst kaum diesen hirnrissigen Vorschlag gemacht hätte. Oder dachte dieser, ein Falkendämon sei einem Hundedämon schon dadurch überlegen, dass er fliegen könnte? Das vermochte er auch. Wusste der Kleine denn nicht, dass mit einer gewissen Energiemenge im Körper auch diese Fähigkeit entstand? Was sollte er jetzt sagen? Wenn er ablehnte, stand er als Feigling da und die Falken, womöglich auch mehr Clane, würden ihm nicht mehr folgen. Aber von Kindermord hielt er auch nicht viel. Zwischen dem, was er wollte und dem, was er als Fürst tun musste, lag einiges, erkannte er. Ob das Vater einst auch so ergangen war? „Du willst kämpfen?“ Die ruhige Stimme des Taishou verriet nichts von seinen Gedanken: „Hier am Horst deines Clans?“ „Herr,“ bat der besorgte Vater und Clanführer, dem eher klar war, was die Folgen sein mochten: „Ich bin sicher, Ryura hat das nicht so gemeint.“ „Ich habe es genau so gemeint, Vater,“ gab sein Sohn zurück: „Der Feigling soll zeigen, was er kann – ohne das berühmte Schwert. Natürlich nicht am Horst. - Aber dort drüben wäre doch eine interessante Fläche. Also, klar: in unserer wahren Gestalt.“ Der Taishou musterte ihn: „Bis einer aufgibt.“ „Das habe ich von dir erwartet! Bis zum Tod!“ Der junge Hundefürst nickte knapp und sprang mit einigen Sätzen zu der angegeben Kuppe. Er wollte weder seine Fähigkeit zum Fliegen zeigen, noch zu viel von seiner Stärke verraten. Dabei dachte er nach. Ryakudatsu würde sicher verstehen, dass er dem Kampf nicht ausweichen konnte, nicht als Herr der westlichen Länder. Aber diesen Dummkopf zu töten – der Tod war eine harte Strafe für Narretei. Leider war er wohl nicht der Einzige unter den Jungfalken, ebenso wenig wie Sumu. Was sollte er nur tun? Siegen, natürlich, um den Westen zu schützen. Aber – wer sollte welchen Preis bezahlen? Er blieb in seiner menschlichen Gestalt stehen und erwartete seinen Gegner, der ebenfalls herübersprang, sichtlich bemüht, Eleganz und Kraft zu zeigen. Als Ryura vor ihm stand und seine Energie aufflammen ließ, um sich in seine Falkengestalt zu verwandeln, tat dies auch der Hundedämon. „Mein Herr und Fürst!“ Tomi stürzte atemlos in das Arbeitszimmer des Herrn des Südens. Susumu richtete sich etwas auf. Entweder war sein Ratgeber lebensmüde oder er brachte eine mehr als wichtige Nachricht: „Deinem Gesicht nach zu urteilen bringst du schlechte Neuigkeiten. Wir werden sehen, welche und wie du zu bestrafen bist,“ sagte er fast freundlich. Tomi schluckte und warf sich lieber flach auf den Boden: „Nachricht aus dem Schloss im Westen. Vier unserer Spione wurden verhaftet und hingerichtet, darunter auch Sumu und Dai.“ „Nur vier?“ „Die anderen scheinen unentdeckt.“ „Scheinen. - Hm. Also waren die Informationen, die zumindest diese Vier in der letzten Zeit brachten, falsch. Der neue Taishou hat sie nur dazu verwendet, sie auffliegen zu lassen. Nicht schlecht, der Gute. Er scheint mehr auf Zack zu sein als sein Papa. - Nun, suche diese Informationen heraus. Es wäre töricht, mit ihnen weiterzuarbeiten. Darunter war sicher auch diese angebliche Schwangerschaft der Prinzessin.“ „Ja, mein Herr und Fürst,“ erwiderte Tomi und wagte es, etwas den Kopf zu heben. Immerhin bekam er einen neuen Auftrag, würde also nicht sofort sterben. „Und beachte die anderen Drei sorgfältig. Falls sie Informationen liefern, prüfe sie lieber doppelt. – Noch etwas Neues? Was treibt denn unser junger Freund selbst?“ „Ich hörte, er sei mit einigen Wolfskriegern in den Süden gegangen, die einen Heimaturlaub machen.“ „Unsinn!“ Susumu lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen aneinander: „Er besucht die Drachen persönlich, er entlarvt Spione – und dann begleitet er seine eigenen Krieger in den Urlaub? Das magst du glauben, mein lieber Berater. Er wird sich persönlich von der Treue der Wölfe überzeugen wollen.“ „Darf ich dazu etwas fragen, mein Gebieter?“ „Tomi, Tomi.....Ja.“ „Ich dachte, die Falken hätten den Brief des Wolfsherrn Euch gegeben.“ „Ja. Und umso erstaunlicher ist es, dass der liebe Taishou mit den Wolfskriegern in deren Heimat geht, ohne eigenes Heer. Der Kerl ist entweder mehr als leichtfertig oder aber er hat wirklich Mut. Nachdem er bei den Drachen den Dryadentest bestand, vermute ich letzteres. Er mag kein Kämpfer sein – aber er hat Mumm. Und Verstand. Ich hatte ganz vergessen, wie viel Spaß Shogi mit einem gleichwertigen Partner macht.“ „Ihr...Ihr klingt angetan.“ „Aber ja. Wenn man von lauter Idioten umgeben ist, bereitet es Vergnügen seinen Kopf mit einem annähernd gleichwertigen messen zu können.“ Susumu schloss kurz die Augen: „Er wird nach Sumus Hinrichtung sicher auch zu den Falken gehen. Zu schade, dass er da nicht gewinnen kann. Der kleine Ryura wird ihn fordern. Und der liebe Taishou muss auf diesen Kampf eingehen. Verliert er, ist er entweder tot oder aber hat sein Gesicht im gesamten Westen verloren. Tötet er dagegen Ryura, und damit nicht nur einen der wertvollen Nestlinge sondern zu allem Überfluss auch noch den des Clanherrn, so werden die Falken alle zu mir schwenken. - Dennoch. Geh und überprüfe die Berichte. Ich werde mit einen neuen Plan überlegen.“ „Aber Ihr sagtet doch gerade, dass der Taishou nicht gewinnen kann....“ Der Fürst seufzte fast etwas: „Muss er zu den Falken gehen? Überdies: es könnte sein, dass er eine gute Idee hat. Seit er an der Macht ist, hatte er jedenfalls verdammt wenig schlechte. Umso wichtiger ist es für mich, Alternativen zu sehen. Jetzt geh. Wenn du Neuigkeiten hast – ich bin in meinem Labor im Keller.“ „Ja, Herr.“ Der Ratgeber rutschte vorsichtig rückwärts. Als Tomi eine Stunde später in den Keller ging, konnte er ein unbehagliches Gefühl nicht unterdrücken. Dämonenkrieger standen hier an jeder Durchgangstür, schweigend und regungslos, aber ab und an plauderte doch einer in seiner Freizeit zumindest Andeutungen über unheimliche Dinge, Gefangene, die man nie wiedersah, und Schreie, die selbst die abgehärtesten Kämpfer nie zuvor gehört hatten. Er selbst war kaum je hier, aber er wagte es auch nicht, dem klaren Befehl zuwiderzuhandeln. So klopfte er an die schwere Tür des Labors des Fürsten. „Komm nur, Tomi.“ Woher wusste Fürst Susumu...? Aber der Ratgeber gehorchte. Nur selten war er hier gewesen, aber er kannte den durch ein großes Feuer und viele Fackeln hell erleuchteten Raum. Auf einem langen Tisch in der Mitte befanden sich allerlei Flakone und Gefäße unterschiedlichen Inhalts. Der Schlossherr selbst stand vor einem anderen Pult und blätterte in einem eng beschriebenen Buch, sah nun jedoch auf: „Dein Bericht?“ Tomi glitt eilig in die Knie, sobald er die Tür geschlossen hatte. „Sowohl Dai als auch Sumu berichteten von der Schwangerschaft, keiner der anderen.“ „Dann war das also der Köder. Gibt es irgendeine Neuigkeit in den letzten Wochen, genauer, seit unser junger Freund Fürst ist, die ebenfalls nur wenige bestätigen?“ „Alle. Keine einzige Nachricht kam von allen sieben. Was nicht ungewöhnlich ist, mit Verlaub, mein Herr.“ „Ich fragte ja auch nach keiner Nachricht, die alle bestätigten, sondern eher dem Gegenteil. Du solltest lernen zuzuhören, mein lieber Ratgeber.“ „Ja, Herr, vergebt...ich....ich bin diese Umgebung nicht gewohnt.“ „Wenn du nicht möchtest, dass dies dein letztes Zuhause wird, solltest du besser aufpassen.“ „Ja, mein Fürst, natürlich.“ Der Ratgeber sah sich lieber nicht genauer um: „Keine Nachricht wurde von mehr als dreien bestätigt.“ „Nun, es geht doch.“ Fürst Susumu trat zu seinem großen Tisch: „Er ist kein Narr, der neue Herr des Westens, in der Tat. Ich werde dir einige Kleinigkeiten geben, die du an eine oder einen unserer Leute im Schloss des Westens weiterleiten wirst. Suche diese Person sorgfältig aus, denn ich werde keinen Fehler und keine Entschuldigung tolerieren. - Falls der Taishou tatsächlich erfolgreich mit den Falken zu Rande kommt, werde ich dafür sorgen, dass er dennoch im gesamten Westen als Schwächling dasteht, sich bis auf die Knochen blamiert hat. Und dazu brauche ich nur eines: seine Ehefrau. Hier. Kümmere dich darum.“ „Ja, Herr. Ich erwarte Eure weiteren Anweisungen, wie genau Ihr die Prinzessin entführen lassen wollt.“ „So ist es gut, mein lieber Tomi.“ Fürst Susumu nahm einige kleine Beutel zur Hand und warf diese nachlässig vor seinen Ratgeber. Sobald diese Stufe seines neuen Planes angelaufen war, wurde es Zeit, sich um Verbündete zu kümmern. Immerhin besaß der Taishou das Höllenschwert und würde es aus Rache oder Zorn sicher einsetzen wollen. Mal sehen, wie der Gute mit Truppen aus der anderen Welt fertig werden wollte. Dazu freilich benötigte er erst noch einiges. Derartige Verbündete waren sehr verwöhnt und verlangten die Bezahlung im Voraus, wie er aus Erfahrung wusste: „Dann höre mir jetzt genau zu.“ Die Falkendämonen, bis auf die brütenden Weibchen, die ihre wertvollen Eier nicht verlassen konnten und wollten, waren an den Rand des Hortes getreten, um mit durchaus unterschiedlichen Gefühlen dem Duell zuzusehen. Der Clanführer spürte, dass jemand nahe zu ihm kam, und sah hinunter. Seine Gefährtin blickte zu ihrem Sohn: „Kannst du ihn nicht aufhalten,“ flüsterte sie: „Er ist doch unser einziges Küken!“ „Ich habe ihn mehrfach gewarnt,“ murmelte Ryakudatsu unglücklich: „Aber Ryaru und auch der Herr der westlichen Länder können nun nicht mehr zurück, ohne das Gesicht zu verlieren. Und das wird ein Dämonenfürst nie zulassen.“ „Aber Ryaru....“ Er legte den Arm um sie, tröstend und doch selbst verzweifelt: „Ich weiß, Liebste. Aber auch er würde eher sterben als diesen Kampf nicht anzutreten. Ich fürchte nur, dass er nicht begriffen hat, wem er gegenübersteht. Ich habe gesehen, was ein mächtiger Hundefürst kann – und ich fürchte, dass sich Ryaru irrt. Das ist kein weicher Feigling – das ist der Sohn seines Vaters. Nur, wo der alte Herr erst zuschlug und sich dann anhörte, was es zu sagen gab, ist der junge Herr anscheinend gewillt erst zuzuhören. Tröste dich damit, dass unser Küken sterben wird, aber der Clan an sich gerettet ist, wenn er siegt und ich ihm noch einmal die Treue schwor.“ „Ryakudatsu...es gibt doch noch andere Junge, die so denken....“ „Ich weiß. Leider habe ich das immer nur für das Gerede gehalten, das so üblich ist....weit weg ziehen, in den Süden, etwas erleben..Woher hätte ich ahnen sollen, dass sie soweit gehen, unseren Eid zu brechen. Nun, es bleibt uns nichts als zu warten. Siegt Ryura, muss ich ihm ernstlich klar machen, wo seine Grenzen sind – nur, ich fürchte, dass ich das dann nicht mehr schaffe. Ich habe in diesem Fall versagt. Als Clanführer und als Vater und es wäre nur richtig, würde er mich dann im Kampf töten.“ Er legte den Arm fester um die Falkendämonin: „Siegt dagegen der Hundefürst, ist unser Nestling tot. Aber der Clan wird leben.“ „So bist du sicher, dass Susumu der falsche Weg ist?“ „Sehr sicher. - Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass er mit Wesen sprach, die nicht von dieser Welt sind, als ich eines Tages weit im Süden meine Flügel schwang. Er war damals mit den Drachen der südlichen Inseln verbündet – sag mir, wo sie nun sind. Es gibt im gesamten Fürstentum keine mehr.“ „Das hast du Ryura nie erzählt.“ „Ich wollte warten, bis er die Sturmjahre hinter sich hat, ehe ich ihn als Erben ausbilden wollte. Das war ein Fehler, gleich, wie dieser Kampf dort ausgeht.“ Der Herr der Falken presste etwas die Lippen zusammen, als er sah, wie sein Sohn sich mit wenigen Flügelschlägen rasch in die Luft erhob. Dessen Taktik würde es sein, stets von oben anzugreifen, den Kopf des Hundedämons mit den scharfen Krallen anzugreifen und gleichzeitig zu versuchen, die verwundbaren Augen, Ohren und Nase mit dem Schnabel zu attackieren. Im westlichen Schloss las die Prinzessin eifrig. Teiko, ihre Haushofmeisterin, und Sorano, ihre Zofe, waren dabei und langweilten sich, ohne freilich die Unhöflichkeit zu besitzen, das zu zeigen. Nur, als sie das nächste Buch anforderte, meinte Teiko behutsam: „Wäre es nicht, bei allem Respekt, Prinzessin, auch ratsam, dass Ihr Laute spielen lernt und anderes?“ „Der Taishou gab Anweisung, dass ich alle Bücher erhalte, die ich will. Du wirst doch nicht seinem Befehl widersprechen wollen?“ Die Prinzessin klang eisig. Laute spielen? Womöglich singen lernen? Sie? „Ich bitte Euch, bedenkt, dass Ihr im Augenblick Wünsche äußern dürft, da Ihr mutmaßlich einen Erben erwartet. Solltet Ihr den Fürsten enttäuschen und nur ein Mädchen zu Welt bringen, solltet Ihr zusehen, dass Ihr ihn mit weiblichen Tugenden wieder gewinnt.“ Teiko sah zu Boden, als sie einem Blick begegnete, der ihr eigentlich den Tod verhieß. Aber die Prinzessin dachte nach. Nein, entschied sie dann. Er hatte bislang stets auch Interesse an ihrem Verstand gezeigt, von ihr nicht derartige Dinge verlangt, wie sein Vater mit dem Kimonosticken. Und er hatte ihr nicht nur ein Buch schicken lassen, ehe er abreiste, wohin auch immer, sondern ihr freie Auswahl aus seiner Bibliothek gegeben. Und das, obwohl sie noch immer bewacht wurde und unter Verdacht stand. So befahl sie nur: „Ich wünsche ein weiteres Buch über Bannkreise. Bringe es mir.“ Teiko verneigte sich nur schweigend und ging. Sie hatte ihre Meinung gesagt, zu mehr war sie nicht berechtigt. Überdies wäre es unklug, die Prinzessin aus dem schwebenden Schloss zu verärgern. Brachte sie dem Fürsten den Erben zur Welt, würde sie eines Tages auch über diesen Einfluss besitzen. Mütter waren nie zu unterschätzen. Und auch der Taishou würde ihr sicher eine Bitte gewähren – selbst, wenn diese im Tod einer unbotmäßigen Haushofmeisterin bestand. Mit gewissem Erstaunen erkannte sie auf dem Rückweg aus der Bibliothek den Vater ihrer jungen Herrin: „Fürst Kodoro...“ Der schwarzhaarige Provinzfürst lächelte kurz, als er sich umsah, ehe er leise sagte: „Teiko, wäre es dir möglich, mich zu meiner Tochter zu bringen?“ „Es herrscht strenges Besuchsverbot. Und es stehen Krieger vor ihren Fenstern und ihrer Tür.“ „Ich weiß es, Teiko. Ich möchte sie nur sehen, ob es ihr gut geht.“ „Fürst Kodoro, es geht ihr gut. Aber Ihr würdet Eure Tochter und auch uns einer Strafe aussetzen, wenn Ihr auf Eurem Wunsch beharrt.“ Kodoro seufzte: „Kannst du ihr wenigstens etwas geben?“ „Und was?“ „Diesen Brief.“ „Das ist auch verboten...aber nun gut.“ Sie nahm den Brief und legte ihn in das Buch: „Geht nun. Ich habe nichts gesehen.“ Als der Provinzfürst glücklich davonging, huschte sie in ihr eigenes Zimmer und öffnete behutsam das Siegel. Der Inhalt ließ sie lächeln, ehe sie das Wachs wieder ein wenig erwärmte, um das Öffnen zu verbergen. ** Während der Fürst allein bei den Falken in der Klemme sitzt, geht Susumu schon einen Schritt weiter – und was läuft im heimischen Schloss? Kapitel 10: Kampf ----------------- Der junge Inu no Taishou gab sich zu überrascht zu sein. Ryura war schnell emporgestiegen, kraftvoll. Dieser war anscheinend wirklich unter den stärksten der Falkendämonen. Der Attacke aus dem Sturzflug auf seinen Kopf entging er gerade noch durch ein Beiseitewerfen, Abrollen und ihm wurde bewusst, dass er seinen Gegner nicht schonen können würde, ja, auch nur dürfen würde, um nicht selbst zu verlieren. Er hatte vermutet, dass der nur von sich eingenommen war, keine Kampferfahrung besaß, aber das war wohl ein Irrtum gewesen. Zumindest mit anderen Falken, vielleicht sogar den Wölfen hatte der Sohn des Clanherrn trainiert, womöglich hatte ihn sein Vater auch gegen streunende Dämonen und zu der Grenzsicherung eingesetzt. Er selbst hatte sich überschätzt. Er rollte wieder auf alle vier Beine. Die Taktik des Falken war klar – immer von oben anzugreifen, um den scharfen Hundezähnen zu entgehen. Damit durfte der nicht durchkommen. Hatten sich die Klauen erst einmal in seinem Kopf verkrallt, wäre dieser dem Schnabel wehrlos ausgeliefert. Und Ryura stieg bereits wieder empor, um den nächsten Sturzflug einzuleiten. Das durfte er nicht zulassen. So sprang der riesige Hund der Attacke entgegen, durch die eigene Flugkunst für einen Moment schwebend verharrend, ehe er sich gegen den Falkendämon warf. Ryura wurde vollkommen überrascht. Er hatte nicht mit einem Gegenangriff gerechnet – nicht fast fünfzig Schritte über der Erde. Der Hundedämon konnte fliegen oder zumindest schweben? Noch während er dies begriff wurde er rücklings zu Boden geschleudert, den Taishou über sich, der nach seiner Kehle schnappte. Verdammt! Mit Schnabel- und Flügelhieben gegen das Gesicht des Hundes verhinderte der Falkendämon diese Attacke. Gleichzeitig trat er mit beiden bekrallten Füßen gegen den Bauch des größeren Gegners. Eine Klaue verfing sich im üppigen Fell, das sich wie eine Rüstung um dessen Brust schlang, aber die andere grub sich durch das dichte weiße Haar und Ryura konnte spüren, wie darunter Blut austrat. Er hatte seinen Gegner gezwungen als erster Blut zu vergießen, ja, ihn loszulassen und er jagte förmlich steil in die Luft empor, erleichtert, diesem unerwarteten Gegenangriff entkommen zu sein. Das war in der Tat eine Überraschung gewesen, gab er zu. Aber der Hundedämon war nur ein weicher Feigling. Noch nie hatte jemand gehört, dass er mehr getan hatte, als an Papas Seite zu stehen, keinen eigenen Kriegszug geführt. Er sollte nur ein Bücherwurm sein. Also war er locker zu schlagen, zumal er kaum je gegen einen Falken geübt haben dürfte. Und mehr als trainieren war sicher nicht drin. Folglich würde er selbst diesmal noch höher steigen, mit Höchstgeschwindigkeit aus dem Sturzflug angreifen. Er hatte solche Manöver oft genug geübt und war auch in der Lage einem raschen Ausweichen noch folgen zu können. Damit würde er siegen, schnell und sicher, und Vater beweisen, dass er dem falschen Fürsten gefolgt war. Fürst Susumu hatte ihm die weiten Ebenen des Südens versprochen, den Flug zu allen südlichen Inseln. Endlich etwas anderes als diese Berge sehen, endlich anerkannt zu werden, nicht nur als Torwächter missbraucht zu werden... Ryura hatte seine optimale Flughöhe erreicht und sah sich nach seinem Gegner um. Der Taishou blieb mit allen Vieren auf dem Boden. Nicht, weil er zu schwer verletzt war. Ein solcher, wenn auch tiefer, Kratzer beendete kein Duell unter Dämonen. Aber ihm war aus Übung und Kampferfahrung klar, dass der Falke nun zur Sache kam, fast alles in die nächste Attacke setzen würde. Da durfte er sich nicht den Fehler leisten, zu früh ebenfalls in die Luft zu steigen. Dort war er weitaus langsamer als Ryura, zumal, wenn der in den Sturzflug ging, ein eindeutiger Nachteil. Er musste abwarten und den richtigen Moment abpassen – andernfalls hätte er die Krallen in seinem Schädel und den Schnabel womöglich in seinen Augen. Er spannte die Muskeln an und beobachtete genau, wie Ryura erneut eine Runde über ihm drehte, noch einmal Schwung holte, ehe er sich aus fast fünfhundert Schritten Höhe in den Sturzflug warf, rasch die Höchstgeschwindigkeit erreichte. Es war schnell, erschreckend schnell. Da war die Reaktionsfähigkeit verlangt, die er eigentlich nicht aus derartigen Nahkämpfen kannte, sondern nur aus Schwertduellen. Er ließ den Falken über sich nicht aus den Augen, als er mit aller Kraft emporsprang, damit die Distanz rasch verkürzend. Der Falke hatte zwar mit einem erneuten Gegenangriff gerechnet, aber diesmal kam er nicht wie zuvor von vorn, gezielt darauf, ihn zu Boden zu bringen, sondern seitlich, um den Krallenfüßen auszuweichen. Der Zusammenprall war hörbar und die Falken, die gerade noch ihr Clanmitglied angefeuert hatten, schwiegen abrupt. Jeder von ihnen wusste, was ein so jäher Stopp aus dieser Geschwindigkeit für einen von ihnen bedeutete – und auch, welchen Schmerz jetzt vermutlich sowohl Ryura als auch der Hundefürst verspüren mussten. Der Taishou hatte das allerdings geplant und reagierte darum und aus gewisser Erfahrung einen Hauch schneller, als sie gemeinsam wie Steine zu Boden fielen. Er landete auf allen vier Pfoten und sprang unverzüglich erneut los, um seine Chance zu nutzen, den Schmerz in seiner Brust, wo er mit dem kleineren Falkendämon zusammengeprallt war, gewaltsam ignorierend. Mit beiden Vorderpfoten stellte er sich auf die Flügel seines Widersachers, Ryura damit sowohl zwingend, die auszubreiten, als auch ihn daran hindernd, damit nach ihm zu schlagen. Mit seinem vollen Gewicht ließ er sich hinten auf den Falken fallen und er brauchte nicht das schmerzerfüllte Keuchen hören, um zu wissen, dass er diesem damit mindestens ein Bein gebrochen hatte. Noch ehe er die scharfen Zähne an seinem Hals spürte, die ihn zwangen, den Kopf nach oben zu beugen, wusste Ryura, dass der Kampf zu Ende war. In jäher Panik versuchte er freizukommen, mit dem Schnabel nach seinem Gegner zu hacken, aber der Biss um seine Kehle verstärkte sich bloß noch und dem jungen Falken wurde klar, dass es nur mehr Sekundenbruchteile wären, ehe der Herr der Hunde seine Kehle herausreißen würde. Verzweifelt suchte er den Blick des Dämonenfürsten, aber er konnte ihm nicht in die Augen sehen, in dieser Gestalt auch nicht reden, um Gnade bitten, etwas, das er noch vor wenigen Minuten für unmöglich gehalten hatte. Kampf bis zum Tod, hatte er gefordert – und das würde er nun bekommen... „Gnade für mein Küken, Fürst des Westens!“ Ryura erkannte verwirrt aus den Augenwinkeln, dass sich seine Mutter neben ihn niederkniete, ja, sich tief verneigte und die Stirn auf den Felsboden presste. „Um Eurer eigenen Mutter Willen, bitte, verschont ihn! Er ist doch noch fast ein Kind...“ Ein leises Grollen entkam dem riesigen Hund, als er sah, dass sich auch der Herr der Falken neben ihm auf die Knie warf. „Er ist unser Einziger,“ sagte Ryakudatsu leise: „Ich bin mir bewusst, dass seine Unverschämtheit den Tod verdient hat, aber ich bin sicher, er hat seine Lektion gelernt. Gewährt ihm die unverdiente Gnade, Herr.“ Auch er beugte sich bis zum Boden. Es war der bitterste Moment in Ryuras Leben, als sich seine Eltern vor dem Fürsten demütigten, dem er sich so überlegen gefühlt hatte, für ihn selbst um Schonung flehten. Der Taishou dachte kurz nach, ehe er beschloss, dass der gesamte Falkenclan wohl aus heute gelernt hatte. Immerhin waren auch die anderen Zuschauer inzwischen auf die Knie gegangen. Ryakudatsu würde nun sicher ein sehr wachsames Auge auf seinen Sohn haben. Und er selbst wäre nicht gezwungen, einen so jungen Dämon zu töten um sein Gesicht zu wahren. Er gab den Gegner frei und verwandelte sich zurück: „Ryura ist bereits stark für sein Alter. Sein Verstand hat allerdings damit nicht mitgehalten. Wäre er in beidem erwachsen, würde ich nicht zögern ihn zu töten. Aber für ein halbes Kind höre ich die Bitte der Eltern. Er soll leben.“ Wie die beiden aufatmeten. Er hatte ganz vergessen, wie sehr wohl sich auch sein Vater und seine früh verstorbene Mutter um ihn, ihren einzigen Welpen, gesorgt hatten. Würde er das auch für sein Kind tun, das seine Gemahlin erwartete? Es um jeden Preis beschützen? Ja, entschied er. Es war die Pflicht eines Fürsten sein Land und dessen Bewohner zu schützen, aber das Verhältnis von Eltern zu ihrem Kind war wohl noch einmal etwas anderes. Ryura spürte, wie seine Mutter ihn fast vorsichtig berührte, ohne zu wagen den Kopf zu heben, als sie sagte: „Ich danke Euch, mein gnädiger Herr. - Darf ich ihn versorgen? Er ist verletzt.“ „Seine Flügel sind geprellt und mindestens ein Bein gebrochen,“ erwiderte der Hundefürst: „Aber es wird heilen. Versorge ihn. - Ryakudatsu, ich möchte noch mit dir reden.“ „Selbstverständlich, Herr. Ich danke Euch ebenfalls für Eure Freundlichkeit. Kommt.“ Der Herr des Flakenclans erhob sich erleichtert mit einem raschen Blick auf seinen Sohn, ehe er den Taishou zu einem anderen Gipfel führte, auf dem mehrere Felsbrocken im Kreis lagen. „Hier findet unser Rat statt“, erklärte er. „Wenn Ihr Euch auf meinen Platz zu setzen beliebt?“ Als sich der Besuch niedergelassen hatte, meinte Ryakudatsu: „Herr, ich möchte Euch noch einmal für das Leben meines Nestlings danken. Seid Euch meiner Treue und der meiner Falken sicher. Und von mir persönlich verlangt, was immer Ihr wollt, damit ich diese Schuld bezahlen kann.“ Der junge Hundefürst wollte schon: „gern geschehen“ sagen, als er bedachte, dass dies kaum der Lage angemessen war. „Danke, Ryakudatsu. - Einen kleinen Gefallen kannst du mir tun. Es wird dem scharfäugigen Clan kaum entgangen sein, dass Botschaften zwischen meinem Schloss und Fürst Susumu ausgetauscht werden. Sumu und die anderen drei gaben Nachrichten weiter. Darum: wie?“ „Sumu....ich kann Euch gar nicht sagen, wie ich das bedauere. Sie war ein solch nettes Ding, Ryura wollte sie zur Gefährtin....“ Darum, dachte der Hundefürst: das also war auch der Grund für diesen Kampf gewesen. Der Herr der Falken dachte nach: „Ich glaube, annähernd alle drei Tage fliegen Tauben – keine Dämonen – über diese Berge. Sie tragen Briefe. Ich hielt sie bislang für Botschaften zwischen Euch, oder eher Eurem Vater und Susumu.“ „Nein. Fangt diese Tauben ab, öffnet die Briefe und bringt mir Abschriften, ehe sie, so rasch es geht, weiterfliegen dürfen.“ Damit müsste auch schnell klarwerden, von wem diese Briefe geschrieben worden waren. Der Taishou hatte nicht vor, Spionage und womöglich Attentate zu einem festen Bestandteil seines Lebens werden zu lassen. „Wie Ihr wünscht, Herr. Erlaubt Ihr mir eine weitere Bemerkung?“ „Nun?“ „Danke. - Jemand muss die Tauben in den Westen bringen. Aus der Luft ist das in den dichten Wäldern schwer zu sehen, aber die Nasen der Wölfe könnten denjenigen finden.“ „Da hast du vollkommen Recht, Ryakudatsu, Herr der Falken.“ Der Falkendämon bemerkte für sich wieder den Unterschied zwischen Vater und Sohn. Zwar ließ auch der neue Fürst keinen Zweifel daran, wer der Höherrangige war, aber der alte Fürst hätte sich nie dazu herabgelassen, einen Untertanen offen zu loben. Die Zusammenarbeit konnte künftig angenehm werden – überdies schuldete er ihm das Leben seines Nestlings. Mochten die Winde Ryura gnädig sein, wenn er noch einmal auch nur in Richtung Süden sah. Die Prinzessin blickte auf, als ihre Haushofmeisterin ihr das gewünschte Buch reichte und nahm es. Teiko blickte seitwärts: „Sorano, laß ein Bad für die Herrin vorbereiten.“ Während die Zofe gehorchte, meinte die Prinzessin etwas scharf: „Ich wüsste nicht, dass ich dir diese Anweisung gegeben habe, Teiko!“ „Ehe Ihr zürnt, Herrin, bitte, seht, was noch in diesem Buch liegt.....“ Irritiert sah die junge Dame aus dem schwebenden Schloss hinein und entdeckte den Brief, erkannte die Witterung daran. Ihre Kontaktsperre galt auch für ihren Vater – Teiko ging ein hohes Risiko ein, diesen Brief zu ihr zu schmuggeln. Aber das erklärte auch, warum Sorano aus dem Raum hatte sollen. Bereits eine Zofe hatte sie verraten, sollte es nicht auch die zweite tun? Ja, das war das Siegel ihres Vaters und als sie öffnete, erkannte sie auch seine Handschrift. Zu oft hatte er ihr kurze handschriftliche Notizen zukommen lassen, als sie die Schlossverwaltung übertragen bekommen hatte. Hinzu noch die Witterung...Niemand könnte sie täuschen. Sie las. „Liebes Kind, noch immer ist es mir unmöglich nach dir zu sehen oder dich zu besuchen. Zunai, der Heerführer, der an der Stelle des Taishou momentan den Befehl führt, verweigert es mir. Ich hoffe, der Fürst kehrt bald zurück und ich werde ihn erneut bitten. Ich mache mir Sorgen, wie du behandelt wirst. Was hast du nur getan, um eine solche Vorsicht herauszufordern? Du solltest besser bedenken, dass du damit auch mich womöglich ins Unglück stürzt...“ Die Prinzessin unterdrückte ihr Lächeln. Ja, das war Vater. Zuerst auf sich bedacht. Und natürlich hatte sie einen Fehler begangen. Es war für ihn als Provinzfürsten gewiss leicht gewesen, herauszufinden, wer bei ihr Dienst hatte. „Sei demütig gegenüber deinem Ehemann und Fürsten und achte darauf, dass du hübsch und gesund bleibst. Es laufen Gerüchte um, dass du bereits womöglich ein Kind erwartest. In diesem Fall achte besonders auf dich und unternehme alles, damit es zu einem männlichen Nachkommen kommt. Du weißt, dass ich in diesem Fall sehr stolz auf dich wäre...“ Nun, so konnte man es auch formulieren. Er hatte gesagt, dass er nur in diesem Fall sie wieder aufnehmen würde, um gegenüber dem Fürsten in einer besseren Position dazustehen. Er war ihr Vater – aber irgendwie war er ein Idiot, wenn auch ein netter, dachte sie, als sie weiterlas: „Ich wünsche dir das Beste, meine Tochter, das weißt du – und falls die Gerüchte stimmen - eine erfolgreiche Geburt. Tue alles dafür. Dein besorgter Vater.“ Die Prinzessin blickte auf: „Gib mir die Kerze, Teiko.“ Die Haushofmeisterin gehorchte erst verblüfft, verstand dann, als sie sah, wie der Brief hell aufflammte und zu Asche wurde. Dann erst meinte sie: „Darf ich Euch noch etwas geben? Diese Teemischung wurde speziell für Euch gemischt, wurde mir gesagt. Euer Herr Vater meinte, Ihr sollt auf Euch achten.“ Vater hatte ihr auch noch einen Tee geschickt? Warum ging Teiko nur dieses Risiko ein? Nun, bei dem Tee wohl weniger, aber der Brief....Wenn den jemand gefunden hätte, wäre der Haushofmeisterin eine Strafe sicher gewesen. Wie sie ihren Ehemann kannte, hätte der zwar berücksichtigt, dass sie selbst nichts davon hatte wissen können, aber Vorsicht war besser. „Nun gut. Ich werde ihn trinken. Und jetzt erst einmal ein Bad nehmen.“ „Selbstverständlich, Herrin. Sorano wird mit der Vorbereitung schon so weit sein.“ Teikos tiefe Verneigung verbarg ihr Lächeln. Der Taishou war ein wenig verwundert, als er die steile Felswand vom Horst der Falken hinunter gesprungen war, unten erwartet zu werden: „Miharu. Sagte ich dir nicht, du sollst gehen?“ Die Wolfskriegerin senkte den Kopf: „Vergebt, mein Herr. Ich...ich wollte damit nicht andeuten, dass Ihr nicht in der Lage wärt, in jeder Situation zu siegen.“ Sie hatte sich Sorgen um ihn gemacht? Die feindselige Stimmung unter den Falken gespürt? Nett und klug: „Es ist nie unnütz, unerwartete Unterstützung bekommen zu können, falls man sie benötigt, Miharu. - Gehen wir zu Kujira. Ich werde die Wölfe auf eine neue Fährte setzen müssen.“ „Ihr seid der Herr der westlichen Länder und unser Schutz.“ Noch während sie der formellen Höflichkeit genüge tat, wandte sich Miharu um und lief bereits bergab. Der junge, so nett wirkende, Fürst war anscheinend fähig genug gewesen, mit den feindseligen Falken fertig zu werden, ja, sie zu zähmen. Und er mochte Neuigkeiten erfahren haben, die auch für die Wölfe wichtig waren. So oder so: die Witterung von zukünftigem Kampf war für sie kaum mehr zu überriechen. Fürst Susumu öffnete eine verborgene Tür im Hintergrund seines Labors und trat mit einer Fackel ein, die er in einen Ständer schob, ehe er sich dem Wasserbecken zuwandte, das dort stand und aus dem kein Sterblicher gewagt hätte zu trinken. Die Flüssigkeit darin war schwarz wie eine mondlose Nacht und seltsamer, dunkler Nebel lag darüber. Er blieb stehen und legte höflich die Hände aneinander: „Kurai josei, ich hätte Euch ein Geschäft vorzuschlagen, das Euch nicht nur Gewinn bringt sondern auch anderweitig interessant sein dürfte. Falls es Euch beliebt in diese Welt zu kommen, werde ich Euch morgen bei Sonnenuntergang im Tale Kinshi erwarten.“ Er wartete eine Weile, aber da keine Antwort kam, wandte er sich ab. Manche Verbündete waren wertvoll und mächtig, da musste man auch mit ihren Launen leben. Da sagte eine weibliche Stimme: „Susumu, Ihr überrascht mich immer wieder. Weniger, dass Euer Ehrgeiz noch immer nicht gestillt ist, sondern eher, womit Ihr mich und meine Leute bezahlen wollt. Es gibt keinen Drachen mehr in Euren Ländern.“ Er drehte sich um. Natürlich war nichts zu sehen, aber er hütete sich, auch nur unhöflich zu scheinen. „Teuerste, ich hatte nicht angenommen, dass Ihr nur an Drachen interessiert seid. Ihr bekämt durchaus Energie und Seelen, als Anzahlung, von Dämonen und Menschen. Aber was ich Euch als Siegespreis anbiete ist der Herr des Höllenschwertes und eben dieses selbst.“ Einen Moment herrschte Stille, Susumu wusste es sich jedoch zu deuten. Für ein Wesen der anderen Welt war genau dieses Schwert die ultimative Waffe. Kurai Josei mochte ihm Ehrgeiz vorgeworfen haben, aber wer besaß keinen? „Dann sehen wir uns morgen im Tal von Kinshi. Mit Eurer Anzahlung.“ Die Verbindung war erloschen. So stand der Herr des Südens am folgenden Abend auf einer Anhöhe. Unter ihm hatten urzeitliche Kräfte ein kreisrundes Tal in den Felsen geschlagen. Dort bewachten Dämonenkrieger gefangene Menschen und Dämonen. Eines musste er dieser neuen, überaus lästigen Rasse lassen: sie waren so viele, das sie sich als Geschenk oder Opfer für Verbündete geradezu anboten. Er spürte eine jähe Kälte, die selbst ihm noch immer einen Schauder verursachte, wusste er doch, dass dies ein Hauch jener anderen Welt war, die auch ihn eines Tages erfassen wollte. Und er hätte niemandem gegenüber zugegeben, dass es die Angst vor eben dieser war, die ihn dazu veranlasste, immer mächtiger werden zu wollen, immer stärker in seiner Magie. Es musste einen Weg geben, den Tod zu überlisten, in Wahrheit wie die Götter zu werden, unsterblich. So verneigte er sich nur höflich mit undeutbarem Gesicht. Neben ihm war eine Gestalt in einer schwarzen Kutte erschienen, umhüllt von einem Hauch aus schwarzem Rauch. Die Kapuze verbarg das Gesicht und obwohl er wusste, dass es sich um eine Frau handelte, hätte er weder Alter noch Figur beschrieben können. Kurai Josei trat an den Rand: „Nicht schlecht, als Anzahlung. Was wollt Ihr dafür von mir?“ „Ihr wärt doch gewiss in der Lage, den Besitzer des Höllenschwertes aufzuhalten?“ „Gewiss. - Allerdings treibt mich reine weibliche Neugier zu der Frage, warum Ihr Euch mit ihm angelegt habt. Rechnetet Ihr mit meiner Hilfe?“ Das zu bejahen wäre fatal gewesen, erkannte Susumu. „Meine Teuerste, als ob man davon ausgehen könnte, auch nur zu erraten, was Euch beliebt. Womöglich braucht auch niemand etwas zu tun. Er ist ein Feigling. Aber getretene Hunde jaulen manchmal nicht nur sondern wollen beißen. Ich bin dabei seine Ehefrau zu entführen, aus seinem eigenen Schloss.“ „Oh, wie ...peinlich für den Guten. Und was ist an ihr?“ „Sie ist Kodoros Erbin und ich will diese Ländereien. Und, da sie stark sein soll, einen Sohn von ihr. Bekommt sie keinen, kann sie auch Euch gehören. Ist mein Erbe auf der Welt, natürlich erst recht.“ „Sehr stark, also?“ „Ich habe sie gesehen.“ Kurai Josei blickte wieder auf die Gefangenen unten: „Nun, diese, Eure Anzahlung, die Fürstin und das Höllenschwert samt Besitzer, dafür, dass ich ihn aufhalte. Lautet so die Abmachung?“ „Ich würde nur einen kleinen Zusatz vorschlagen, Teuerste: dass Ihr das Höllenschwert nicht gegen mich einsetzt.“ „Einverstanden.“ Die verhüllte Frau hob die Hand. Wie aus dem Nichts erschienen unten im Tal schwarze Wirbel, die die aufschreienden Menschen und Dämonen verschlangen. Susumu hütete sich, zu erwähnen, dass er seine Krieger eigentlich nicht als Opfer vorgesehen hatte. Dafür war er den Inu no Taishou garantiert los. Wesen der anderen Welt hielten ihre Pakte. ** Während der Herr der Hunde die Falken zähmt, sucht sich Fürst Susumu mit Kurai Josei, der dunklen Dame, schon mal neue Verbündete – und nicht gerade wen Ungefährlichen. bye hotep Kapitel 11: Entführung ---------------------- Der junge Herr des Westens ließ sich fast nachlässig neben dem Häuptling des Wolfsclans nieder, der nicht nachfragte, was bei den Falken gewesen war. Zum einen, der Fürst war lebendig und unversehrt zurückgekommen, zu zweiten traute er Ryakudatsu keinen Eidbruch zu. Das war ein Missverständnis gewesen und bereinigt. Der Taishou sah in das Feuer: „Die Nasen deiner Wölfe sind unübertroffen.“ „Ja, Herr. Wozu benötigt Ihr sie?“ Wieder stellte Kujira fest, wie höflich der junge Herr blieb, wie sehr er Rücksicht auf den Stolz seiner Getreuen nahm. „Jemand schickt Tauben aus meinem Schloss an Susumu. Brieftauben. Und irgendwie müssen sie zu Land gebracht werden.“ „Wir werden ihn finden. Sollen wir ihn töten?“ „Nein. Nur die Wege finden. - Kennst du einen Tomi?“ „Nein, Herr. - Vergebt. Tomi.....ein Spinnendämon, er bat uns vor langen Jahren sich hier ansiedeln zu dürfen. Für einen seiner Art war er umgänglich und schien intelligent, aber ich lehnte ab. Spinnendämonen sind unbequeme Nachbarn, da man nie weiß, auf wen sie Appetit verspüren. Er zog dann weiter, wollte zum Schloss, um Euren Vater um eine Ansiedlungsgenehmigung zu bitten.“ „Ein guter Vorwand, sich im Westen herumzutreiben. Er leitet die Spionageabteilung Susumus. Und gleich, wie fähig der Fürst ist – Tomi ist es. Ich hätte ihn gern auf meiner Seite. Oder eher – was trieb ihn zu Susumu?“ Die abgelehnte Ansiedlung? Was trieb Sumu und die anderen zu Verrat? „Das weiß ich nicht , Herr.“ „Suche den Boten. Das ist alles, was ich will.“ Myouga wäre da sicher der bessere Ratgeber – und überdies würde er vor dem Flohgeist nie das Gesicht verlieren können. Und....aber er musste nachdenken. Susumu hatte Intrigen geschmiedet, aber Tomi war der Ausführende, und das wussten die Götter, nicht gerade unfähig darin Mitarbeiter aufzufinden und anzuwerben. Wie könnte er an ihn herankommen? Aber zunächst einmal war das Näherliegende den Westen zu schützen: „Ryakudatsu lässt seine Falken wieder über die Pässe fliegen. Sobald ihr den Taubenschmuggler kennt, gebt mir Nachricht. Und die tapferen Wölfe mögen die Grenzen des Westens sicher halten.“ „Die Wölfe und die Falken werden den Westen frei von Furcht aus dem Süden halten, dessen könnt Ihr sicher sein.“ „Gut.“ Im Osten waren die Drachen befriedet. Jetzt blieb ihm nur noch die Sache mit seiner eigenen Ehefrau – oder übersah er etwas? Sein seltsames Gefühl wurde immer drängender, zusätzlich genährt von der Tatsache, dass sich das Höllenschwert auf seinem Rücken über etwas zu freuen schien. Die Prinzessin ließ ihre Lektüre sinken. Nie zuvor war es ihr so schwer gefallen zu lesen. Was wollte nun Teiko? Ihre Haushofmeisterin verneigte sich tief: „Zunai, der momentane Herr des Schlosses, hat Eurer Bitte willfahren. Ihr könnt, selbstverständlich begleitet von Wächtern, einen Spaziergang außerhalb des Schlosses unternehmen. Einen Spaziergang? Die Prinzessin war irritiert. Hatte sie das wirklich beantragt? Was war nur mit ihr los? Sie konnte sich nicht konzentrieren und ihre Erinnerungen waren auch mehr als lückenhaft. Sorano, ihre Zofe, die schon selbst schwanger gewesen war, beteuerte ihr, das sei normal, aber es störte sie. Um sich keine Blöße zu geben, meinte sie nur: „Dann gehen wir.“ Was war nur mit ihr los? Sie verspürte keine Kopfschmerzen, nur ein ungewohntes, ja, bedrohliches Gefühl. War dies eben so, wenn man einen Welpen erwartete? War sie nur zu schwach, zu empfindlich? Machte die ungewohnte Lage eingesperrt zu sein sie so weich? Warum nur musste sie überhaupt so viel nachdenken? Sechs Krieger und ihre beiden Kammerfrauen begleiteten sie vor das Schloss. Doch, beschloss die Prinzessin tief durchatmend, das war eine gute Idee gewesen. Auch, wenn sie hier noch immer bewacht wurde – einmal etwas anderes als die gleichen vier Wände zu sehen, tat nur gut. Langsam spazierte sie weiter, umgeben von den Kriegern. Teiko bot ihr die Hand: „Lasst Euch ein wenig von Sorano und mir stützen, Herrin. Ihr seid das nicht gewohnt.“ Gewöhnlich hätte die Prinzessin sie dafür scharf getadelt – aber sie selbst fühlte sich ein wenig schwankend. War es in der Tat so, dass man auch nur spazierengehen verlernen konnte, wenn man es einige Wochen nicht durfte? „Wünscht Ihr Euch dorthin in den Schatten zu setzen? Ich könnte Euch einen Tee aus dem Schloss holen. Es ist die letzte der speziellen Mischung für Euch.“ Das klang gut und so nickte die Prinzessin. Von dort war es nicht weit zu dem dichten Wald, der hier die Hügel bedeckte und ihr gefiel die vermisste Witterung nach Freiheit. Im schwebenden Schloss hatte sie stets den Wind um die Nase bekommen, im Gegensatz zu den vier Wänden hier. Vielleicht war das auch die Ursache, warum ihr Kopf so schwer war, sie sich so matt fühlte. Eine Stunde später herrschte im Fürstenschloss Alarm. Ein Hundekrieger, der von einer ausgedehnten Patrouille zurückgekehrt war, hatte sieben Leichen und eine Schwerverletzte gefunden und sofort seinen Vorgesetzten informiert. Erst auf Nachfrage des momentanen Verwalters Zunai hatte er erfahren, dass die Prinzessin aus dem schwebenden Schloss wohl verschwunden war. Der Heerführer betrachtete die sechs toten Krieger und Sorano. Teiko, die Haushofmeisterin, war zwar schwer verletzt, aber noch lebend in die Obhut der Heiler gekommen. Sie hatten wohl keine Gelegenheit zur Gegenwehr bekommen. Keiner seiner Krieger hatte auch nur sein Schwert gezogen. „Er wird mich umbringen,“ murmelte er. Der kleine Flohgeist neben ihm brauchte nicht zu fragen, wer. Er sprang auf Zunais Schulter: „Es ist eine Katastrophe,“ gab er zu: „Aber Ihr dürft Euren klaren Verstand nicht verlieren. Noch IST nichts verloren.“ Etwas erstaunt versuchte der Heerführer auf seine Schulter zu blicken: „Was meinst du, Myouga?“ „Es gibt zwei Möglichkeiten, was geschehen ist. Entweder ist die Prinzessin geflohen oder sie wurde entführt.“ „Teiko kam zu mir und bat mich im Auftrag ihrer Herrin um diesen Spaziergang. Ich habe ihn genehmigt, gegen den Willen des Herrn. Sie sollte eigentlich ihre Räume nicht verlassen.“ „Ja,“ gab Myouga zu, dem klar war, was das für Zunai heißen konnte: „Aber ich glaube nicht, dass die Prinzessin floh. Bedenkt, dass sie allein sechs erfahrene Krieger und ihre Zofe hätte töten müssen, dazu Teiko verletzen....“ „Das ist wahr.“ Der Heerführer dachte kurz nach: „Sie wurden überrascht. Und nur Teiko kann uns sagen, was geschehen ist. Entweder hatte die Prinzessin Hilfe bei ihrer Flucht oder sie wurde entführt. Bei ersterem hätte sie Kontakt zur Außenwelt haben müssen, was eigentlich auszuschließen ist. In letzterem Fall wäre es ein zu großer Zufall, wenn sie genau Ort und Zeit dieses Ausfluges erraten hätten. Meine Genehmigung stand ja nicht im Voraus fest.“ „Teiko.“ Myouga nickte etwas: „Es wäre durchaus möglich, dass sie verletzt wurde, um sie zu schützen. Immerhin ist sie die einzige Überlebende.“ Zunai begriff, warum sein junger Herr den so feigen kleinen Flohgeist schätzte: „Ich rufe die Krieger zusammen. Und Teiko wird mir sagen, was passiert ist. Du hast jemanden zur Hand, der den Herrn eiligst informiert?“ „Ja. - Ich dachte, Teiko sei schon lange hier im Schloss?“ „Ja. Ich hätte nie an ihrer Zuverlässigkeit gezweifelt. Immerhin war sie einst sogar die Geliebte des verstorbenen Fürsten.“ „Eiwei.“ „Myouga?“ Der Flohgeist verschränkte alle vier Arme: „Frauen, Liebe und so, das gibt leicht Komplikationen. Hat sie der verstorbene Herr womöglich im Stich gelassen?“ „Nicht, dass ich wüsste. Sicher, er wollte irgendwann nichts mehr von ihr wissen, aber dass sie dafür Verrat begehen sollte...“ „Ihr werdet es ja sehen.“ Myouga nickte erneut: „Ich werde eine befreundete Fliege bitten, den Herrn zu suchen. Sie ist schnell und ausdauernd.“ „Ich werde versuchen, meinen Fehler zumindest einigermaßen wieder gut zu machen und hoffe, dass der Taishou mir wenigstens Selbstmord gestattet.“ „Ich wünsche es Euch!“ Der kleine Flohgeist hätte um ein Haar gesagt, dass er von solchem Tod auch nichts halten würde, das aber umformuliert, um den alten Heerführer nicht noch zusätzlich zu belasten. Es wäre für den Fürsten ungemein peinlich, wenn allgemein bekannt würde, dass ihm seine Ehefrau entweder davongelaufen wäre oder aber aus dem eigenen Schloss entführt. Schon aus diesem Grund würde der junge Herr hart durchgreifen. „Bis später.“ Er sprang weg. Zunai drehte sich um. Bis der junge Taishou hier war, musste er wissen, was geschehen war. Die Prinzessin wusste für einen scheinbar endlosen Moment nicht, wo sie war, oder auch nur, wie sie lag. Langsam entsann sie sich. Teiko hatte ihr den Tee gebracht und sie ihn getrunken. Den Tee, den sie seit Tagen zu sich nahm und den ihr Vater ihr geschickt hatte. Das hatte er doch, oder? Sie versuchte sich zu orientieren. Sie lag auf dem Boden, unbekannte Witterungen stiegen ihr in die Nase. „Oh, guten Morgen, meine Schöne,“ sagte jemand. Die Stimme war ihr unbekannt. „Sie wird noch ein wenig betäubt sein, mein Herr und Fürst,“ meinte jemand anderer. „Du wirst es nicht für möglich halten, Tomi, aber ich kenne meine Mixturen.“ „Vergebt, Herr.“ Mixturen? Dann war der Tee gar nicht von Vater gewesen? Aber...Susumu. Jetzt erkannte sie die Stimme. Und das bedeutete auch, dass Teiko für ihn arbeitete – und er sie hatte entführen lassen. Noch immer waren ihre Lider zu schwer zum Öffnen, aber ihr Verstand wurde immer klarer. Teiko hatte sie verraten, sie durch den Brief ihres Vaters überzeugt. Oh, dafür würde die Haushofmeisterin büßen, da war sie sicher. Mochte ihr Ehemann auch kein großer Krieger sein – niemand ließ seine eigene Frau entführen, noch dazu guter Hoffnung. Himmel, das Kind! Was wollte Susumu? Sie und das Ungeborene als Geisel gegen den Taishou verwenden? Er wusste durch Teiko und Sumu doch sicher, dass sie schwanger war. Was sollte sie nur tun? Erst einmal musste sie herausfinden, was hinter dieser Entführung steckte. Der Fürst des Südens konnte doch nicht im Ernst annehmen, dass ihr Ehemann nichts unternehmen würde. Wo war dann die Falle für diesen? Sie öffnete die Augen und stand rasch auf: „Fürst Susumu....“ „Entschuldigt diesen etwas...rustikalen Empfang, meine Teure.“ Er lächelte etwas: „Aber ich fürchte, anders hätte ich Euch nicht herbekommen. Euer Gemahl bewacht Euch recht gut. Natürlich nicht genug.“ Er spottete. Aber, was wollte er? Am Besten wäre es wohl, wenn sie die hilflose, ahnungslose junge Frau spielen würde: „Ich verstehe nicht so ganz....“ „Ganz einfach. Ihr seid nun einmal die Erbin des lieben Kodoro. Und ich möchte Euch und damit diese Ländereien heiraten.“ „Aber – ich bin doch schon verheiratet.“ Und schwanger, aber das sollte sie um des Kindes willen nicht erwähnen. Ihr Sohn war schon so gut wie tot, wenn Susumu von ihm erfuhr. Die Ländereien – das bedeutete, konnte nur bedeuten, dass der Herr des Südens von ihr einen Erben wollte. „Nicht mehr lange, da bin ich ganz sicher. Und seid versichert, dass Ihr in mir den besseren Vaters für Euren Sohn bekommt. - Wusstet Ihr übrigens, dass Euer Angetrauter die Falschmeldung verbreitet, dass Ihr bereits in der Hoffnung wäret? Wie voreilig.“ Genau dieses Thema wollte sie vermeiden: „Was genau wollt Ihr von mir, Fürst Susumu?“ „Wie gesagt, Ihr sollt meine Fürstin werden und meinen Sohn zur Welt bringen. Tomi, hier, und die Wachen...“ Erst jetzt bemerkte sie, dass fast zehn Dämonenkriegern an den Wänden entlang postiert waren. Fürchtete er sie so? Das wäre zwar schmeichelhaft, würde aber eine Flucht erschweren. Oder war das Angabe? Ihr Vater hatte nie Krieger im Schloss, und auch der Taishou oder ihr Schwiegervater hatten darauf verzichtet auch nur einen in oder vor ihrem Arbeitszimmer stehen zu haben. Sie tat, als ob sie erschrecke und wandte sich wieder dem Herrn des Südens zu, der abgewartet hatte und nun erst fortfuhr: „Sie werden Euch den Trakt meiner Fürstin zeigen. Ich bin sicher, Ihr findet ihn freundlicher, als Euren weiteren Aufenthaltsort. Morgen, bei Sonnenaufgang, sagt Ihr mir, was Ihr wollt: den Kerker oder die Zimmer einer Fürstin mit Dienerinnen und allen Annehmlichkeiten. Oh, und kommt mir nicht wieder damit, dass Ihr verheiratet seid. Ich vermute bei Sonnenaufgang habt Ihr bereits die Freude zuzusehen, wie Ihr Witwe werdet. Führt sie ab.“ Sie fügte sich. Immerhin hatte sie sich Zeit bis zum Morgen erkauft, in der ihr nichts geschehen würde. Und Susumu vermutete sicher nicht ohne Grund, dass der Taishou zu diesem Zeitpunkt anwesend wäre. Sie müsste sich sehr irren, wenn dieser nicht einen Befreiungsversuch unternehmen würde, schon, um das eigene Gesicht zu wahren. Tomi blickte zu ihr, als sie umringt von den schweigenden Kriegern durch das Schloss gingen: „Hier beginnt der Trakt der Fürstin.“ Er zeigte die drei, momentan leeren Räume, ehe er sie hinunter in die Keller führte. Das würde keine angenehme Nacht für die schöne Hundeprinzessin werden, dachte er, aber der Befehl, sie in den Säurekerker zu stecken, war nur zu deutlich gewesen. Sie hob unwillkürlich etwas den Kopf, als eine schwere Tür vor ihr geöffnet wurde. In solchem Keller war sie nie zuvor gewesen und die Gerüche nach Blut, Furcht und anderem waren bislang für ihre Nase fast betäubend. Das hier jedoch... „Geht hinein,“ sagte Tomi höflich: „Wenn ich bitten dürfte. Fürst Susumu schätzt es nicht, wenn seine Anweisungen missachtet werden und ich müsste Euch zwingen lassen.“ So trat sie in den dunklen Raum, wo beißende Luft ihren Geruchssinn erst einmal vollständig betäubte. Dann erst erkannte sie in dem Licht, das noch vom Gang hereinfiel, dass sie sich auf einer Insel inmitten einer grünen derart scharfriechenden Säure befand. Das Brett, über das sie soeben gegangen war, wurde zurückgezogen und die Tür verschlossen. Sie bemerkte, dass Bannsiegel darauf lagen. Nun, eine Flucht war in der Tat schwer. Hinzu kam, dass ein Bad in dieser Flüssigkeit wohl tödlich selbst für sie wäre. Allein der beißende Gestank machte ihr zu schaffen. Hoffentlich passierte ihrem Kind nichts. Sie erhöhte ihre Energie um zu verhindern, dass die Säurepartikel in der Luft ihrer Haut und ihr schadeten. Als sie nach der zweiten dämonischen Energie in sich suchte, erlebte sie jedoch eine gewisse Überraschung. Nicht nur, das sie deutlicher als je zuvor zu spüren war, ihr kam es sogar vor, als antworte das neue Leben auf diese Bedrohung ebenfalls durch eine Energieerhöhung – und irgendetwas, das sie nicht definieren konnte, sie aber beruhigte. Das würde dennoch keine angenehme Nacht werden. Als der Ratgeber zu seinem Fürsten zurückkehrte, um den Vollzug des Befehls zu melden, erlebte er eine Überraschung. Provinzfürst Kodoro kniete vor Fürst Susumu, letzterer war sichtlich amüsiert. „Oh, Tomi, siehe nur, wer mitbekommen hat, wo sich seine Tochter befindet.“ Der Provinzfürst platzte förmlich mit den Fragen hinaus: „Was wollt Ihr von ihr? Sie ist doch mit dem Taishou verheiratet? Und wenn der mitbekommt, dass sie weg ist....“ „Das bringt mich doch glatt zu der Frage, wie du es mitbekommen hast, mein lieber Kodoro.“ „Ich wollte erneut Teiko einen Brief an sie geben und war auf dem Weg ins Schloss, als ich bemerkte, wie Dämonen über mich hinwegflogen. Ich erkannte Eure Krieger auf Reitdrachen – und sie.“ „Nicht möglich. Und so folgtest du tapfer ihrer Fährte in den Süden? Meinen Glückwunsch.“ Kodoro biss die Zähne zusammen: „Ihr brecht Krieg mit dem Westen vom Zaun, das ist Euch doch bewusst.“ „Natürlich.“ „Ich werde dem Taishou melden, dass sie hier ist.“ „Dann vergiss nur nicht, ihm zu sagen, dass du über Teiko einen Brief zu ihr geschmuggelt hast, einen weiteren schmuggeln wolltest und die liebe Teiko ihr auch einen Tee gab, der sie so betäubte, dass sie entführt wurde.“ „Ihr...“ „Oh, du darfst gern gehen.“ Als der Provinzfürst sichtlich wütend das Arbeitszimmer verlassen hatte, wagte Tomi etwas erstaunt zu sagen: „Vergebt, mein Fürst...Ihr lasst ihn laufen? Wenn er nun direkt zum Taishou geht und ihm sagt, dass sie hier ist...Ihr rechnet erst bei Sonnenaufgang mit ihm.“ Und erst dann würden wohl auch die Krieger der dunklen Dame aus jener anderen Welt zur Verfügung stehen. „Schneller kann das Heer des Westens nicht hier sein, unmöglich. Und ehrlich gesagt: Kodoro wäre ein Narr zum Taishou zu gehen. Er müsste sagen, warum er auf dem Weg war – und bei dieser Kontaktsperre zuzugeben, dass er einen Brief einschmuggeln wollte, würde selbst unseren jungen, friedlichen Freund zu einer harten Strafe treiben. Nein. Kodoro wird wütend in sein schwebendes Schloss zurückkehren und abwarten, wer gewinnt. Um seiner Tochter willen wird er sich nicht einmischen.“ „Nun, ich habe keine überragende Meinung von der Intelligenz Kodoros....“ Man sollte besser vorsichtig sein das sagte ihm sein Gefühl. „Wenn er direkt zum Taishou geht und das beichtet – das würde nur ein Masochist mit Selbstmordgedanken. Der Gute hat gerade nicht nur seine Ehefrau verloren, sondern sein Gesicht, und wenn er nicht aufpasst, ist er das Gespött des ganzen Westens, dem kein Dämon mehr folgt. Im Übrigen stelle ich fest, dass du mir widersprichst, mein lieber Ratgeber. Du solltest aufpassen. Heute bin ich guter Laune, aber beim nächsten Mal könnte ich versucht sein, die Theorie zu überprüfen, ob Spinnen auch mit fünf Beinen leben können.“ Tomi verneigte sich lieber tiefer: „Vergebt, mein Fürst.“ Der erhob sich und trat seinem Ratgeber dabei scheinbar nachlässig auf die Finger: „Wie gesagt, heute bin ich guter Stimmung. Die Prinzessin ist schön und stark, das wird mich und auch Kurai Josei freuen. Jetzt werde ich zusehen, dass ich meine Krieger vor das Schloss schicke, damit ich den Bannkreis errichten kann. Zwischen diesem und den Kriegern der anderen Welt werden der Taishou und seine Männer gefangen sitzen.“ „Euer Befehl an mich?“ Der Spinnendämon hütete sich, seinen Schmerz laut werden zu lassen. Die Aussicht, in seiner wahren Gestalt nur mehr mit fünf Beinen herumzulaufen, war nicht sonderlich aufbauend, zumal nicht gesagt war, wie die anderen entfernt werden sollten. „Keiner, momentan. Aber bei Sonnenaufgang bringe mir die Prinzessin auf die Schlossmauer. Sie soll zusehen, wie das Westheer geschlagen wird, und ihr Angetrauter gleich dazu. Das wird sie sicher davon überzeugen, wer der Bessere ist.“ „Ja, Herr.“ Tomi wartete, bis der Fürst sein Arbeitszimmer verlassen hatte, ehe er das ebenfalls tat. Es fiel Kodoro nicht schwer, den Taishou in seinen Ländereien zu finden, in denen sich dieser aufhalten sollte. Kujira, der Herr der Wölfe, verließ sofort höflich seinen Gast, als der Provinzfürst abgehetzt und schweißgebadet von einem Reitdrachen fast fiel. Der junge Hundefürst zog etwas die Augenbrauen zusammen, erhob sich aber. Das sah nicht gut aus. Und wenn der Herr des schwebenden Schlosses, nun, sein Schwiegervater, sich so abmühte, ihm eine Botschaft zu bringen, würde es keine angenehme sein: „Was ist passiert?“ Überdies: dieser Reitdrache war nach der Art des Südens gezäumt. Kam der gerade aus dem Süden? Brachte Botschaft von Susumu? Kodoro, der im Schloss im Süden tatsächlich einen Reitdrachen von den Dienern verlangt und bekommen hatte, warf sich nieder: „Hört mich an....Es ist etwas Schreckliches passiert! Fürst Susumu hat meine Tochter entführen lassen.“ Lüge, dachte der Inu no Taishou: eine erbärmliche Lüge. Sie saß in seinem Schloss praktisch wie eine Gefangene bewacht und schließlich war sie selbst durchaus stark. Er entsann sich ihres Streites, als ihre Energie aufgeflammt war, um sie zu schützen. Aber was sollte diese Lüge bezwecken? Er betrachtete seinen Schwiegervater buchstäblich von oben: „Du hast mit Fürst Susumu gesprochen?“ „Ja, aber er gibt sie nicht heraus...“ „Ich soll dir also glauben, dass nicht nur meine Gemahlin aus meinem Schloss entführt wird, anscheinend, ohne, dass es jemand mitbekommt, sondern auch noch du Held das bemerkt hast und höchstpersönlich zu Fürst Susumu eiltest, um sie wiederzuholen?“ „Das ist die Wahrheit, ja,“ beteuerte Kodoro mit dem Gesicht auf dem Erdboden, nur, um sich im nächsten Moment emporgerissen zu finden. Der Taishou drückte ihn mit der Hand um seinen Hals gegen den nächsten Baum: „Mein verehrter Vater hat dich zu mild behandelt, du erbärmlicher Lügner,“ sagte er kalt. „Herr....“ würgte der Bedrohte und starrte in eiskalte Augen: „Ich schwöre Euch, ich weiß nicht, was in Eurem Schloss geschehen ist, aber ich sah auf dem Weg dorthin....Es waren Krieger aus dem Süden auf Flugdrachen, und sie hatten sie.“ Der Hundefürst dachte kurz nach. Krieger auf solchen Wesen hatten auch Vater und ihn in den Bergen von Me überfallen. Die Zäumung und diese Geschöpfe hatte er damals nicht erkannt, erst bei dem Boten, den Susumu an den Drachenkönig sandte. Ohne den Griff zu lockern fragte er: „Du wolltest ins Schloss...?“ „Ja, Herr...bitte....“ „Dann hattest du einen Grund. Wolltest du deine Tochter sehen?“ „Das...das verwehrt mir Zunai...“ „Weiter.“ „Ich wollte wenigstens einen Brief...ob es ihr gut geht...Ja, das darf ich nicht, aber sie ist doch meine Tochter...“ Kodoro spürte etwas erleichtert, wie sich endlich die Klaue um seine Kehle entspannte, er dann zu Boden gestoßen wurde. Ängstlich sah er auf. Ein Lächeln spielte um den Mund des Herrn der Hundedämonen und dem Provinzfürsten lief es kalt über den Rücken. „Steh auf, Kodoro. Noch bist du nicht tot. Du wirst dich in mein Schloss begeben und dort nachsehen, was passiert ist. Zugleich richtest du Zunai oder Myouga aus, dass sie das Heer so schnell es geht zusammenrufen sollen und hier herbringen.“ „Ich...ich bin müde...“ „Danach kannst du schlafen. Falls du es gewagt haben solltest mich anzulügen, sogar länger, als dir lieb sein kann. Denn, wenn ich herausfinde, dass du gelogen hast, und meine Gemahlin weder entführt wurde, geschweige denn von Susumu, werde ich dich auf die hässlichste Art umbringen, die mir einfällt. Und ich kann mir eine Menge vorstellen. Geh.“ Als Kodoro verschwunden war, kam der Herr der Wölfe heran. Der Taishou lieferte einen Kurzbericht: „Ich bräuchte die Krieger deines Volkes und die Falken. Bis das Heer des Westens hier ist, mag es schon zu spät sein.“ „Ihr seid der Fürst.- Ihr habt ihn nicht freundlich behandelt.“ „Er muss nicht wissen, wie viel Dank ich ihm schulde.“ ** Welcher der beiden Fürsten setzt momentan auf die richtigen Verbündeten? Im nächsten Kapitel gibt es denn auch: Bewegungen. Kapitel 12: Bewegungen ---------------------- „So glaubt Ihr ihm, edler Herr?“ erkundigte sich Ryakudatsu, der Anführer der Falken, als sie zu Fuß durch die dichten Bergwälder in Richtung Süden gingen, bei dem Taishou: „Kujira meinte, Ihr hättet ihn nicht so behandelt.“ „Ja, ich glaube ihm.“ Nur ein Idiot würde mit einer derartigen Nachricht und seiner eigenen Verwicklung hinein zu ihm kommen – also jemand wie Kodoro. Er war sicher, dass Zunai nach dem Überfall oder der Entführung sofort das Heer zusammengerufen hatte, aber bis die Krieger hier waren, mochte es zu spät sein. Susumu hatte seine Ehefrau bestimmt nicht entführen lassen, weil er ein Narr war. Er musste wissen, dass das Krieg bedeutete – und hatte sicher auch berechnet, wie lange das Westheer benötigen würde, um zu ihm zu gelangen. Mit den Wölfen und den Falken hier, die auf fast zwei Dritteln der Strecke wohnten, wäre er dagegen deutlich schneller. Und würde so hoffentlich der Falle entgehen, die im Süden sicher auf ihn lauerte. Verdammt. Susumu hatte für einen Köder gesorgt, den der Herr der westlichen Länder unwiderstehlich finden musste, wollte er nicht die Treue all seiner Gefolgsleute verlieren, sich lächerlich machen. Und da war auch noch die Tatsache, dass sie schwanger war. Hoffentlich nahm Susumu an, dass das eine Falschmeldung war, hoffentlich hatte er nicht ihr oder dem Kind etwas angetan....Er, der Schutzherr des Westens, war dabei, bei seiner eigenen Familie jämmerlich zu versagen, das, was er vor allem zu schützen hatte, zu verlieren. Das würde ihm nie wieder passieren, schwor er sich. Ryakudatsu warf einen vorsichtigen Blick in das Gesicht des Taishou – und was er dort sah, ließ ihn lieber schweigen. Was auch immer er sagen würde, würde sicher nicht gut aufgenommen werden. Kujira wandte sich dagegen um. Hinter sich hatte er ein kurzes Aufheulen vernommen, einen Ruf eines Rudelmitgliedes: „Vergebt, Herr, es gibt wohl Neuigkeiten.“ Der Taishou blieb stehen und wandte sich um. Ein Wolfskrieger rannte herbei und verneigte sich höflich, ehe er seine Klaue öffnete. Schwitzend und fast zu Tode erschöpft hockte ein kleiner schwarzgekleideter Fliegengeist darin. Der Hundefürst erkannte einen von Myougas Freunden: „Nachricht aus dem Schloss?“ „Herr, Eure ..Eure Gemahlin wurde entführt. Sechs Krieger und ihre Zofe wurden dabei getötet. Teiko, die Haushofmeisterin, überlebte schwer verletzt.“ „Wie kamen die Entführer in das Schloss?“ „Die Dame war mit ihrer Begleitung auf einem Spaziergang kurz außerhalb, den ihr Zunai erlaubt hatte.“ Der würde noch etwas zu hören bekommen. Seine Befehle waren doch wohl klar gewesen. „Myouga schickte mich dann mit der Nachricht zu Euch, um Euch zu informieren....“ keuchte der Fliegengeist noch, froh, dass sein Freund Recht gehabt hatte und der Taishou nicht dazu neigte, Botschaft und Überbringer zu verwechseln. Der Hundefürst dachte kurz nach: „Du bist müde. - Ryakudatsu, einer deiner Falken soll in das Schloss eilen und das Heer zum Schloss im Süden rufen. Falls es Kodoro versäumte...“ Sein eisiger Ton ließ keinen Zweifel daran, was in diesem Fall mit dem Provinzfürsten passieren würde. Der Herr der Falken nickte nur und winkte einen seiner Krieger zu sich. Nur Sekunden später hob der in seiner wahren Gestalt ab und jagte mit raschen Flügelschlägen nordwärts. Myouga kehrte nach Absendung seines Fliegenfreundes zu Zunai zurück, um dem momentanen Herrn davon zu berichten. Alle verfügbaren Krieger schienen sich derzeit bereits vor dem Schloss zu versammeln. Gut. Dann würde der Herr hoffentlich nicht auf die Idee kommen, allein etwas zu unternehmen. Diese Blamage würde er sicher keinesfalls auf sich sitzen lassen. Aber er war ja auch allein zu den Drachen...Der kleine Flohgeist seufzte. Er mochte den dickschädeligen Hundedämon einfach zu gern, schon als sie sich vor Jahren auf Hokkaido über den Weg gelaufen waren...Aber das war eine andere Geschichte. Als er hörte, Zunai sei bei den Heilern, konnte er sich vorstellen warum und eilte dorthin. Sicher wollte der von Teiko Informationen. Die Dämonin war zwar schwer verletzt worden, aber das mochte auch nur eine Täuschung sein. Das Gespräch schien noch nicht lange zu dauern, denn Zunai meinte gerade: „Du kannst mir sicher erklären, wie es zu dem Überfall kam.“ „Sie....“ Teiko brach ab, als sie die abwehrende Handbewegung sah. „Sie kamen aus dem Süden, nachdem du wusstest, dass sie hier waren, hast du meine Erlaubnis für einen Spaziergang eingeholt. Und ihnen dann Bericht gegeben. Der Hausarrest galt ja nicht für dich. Und als Dank dafür haben sie dich verletzt. Natürlich, um dich unschuldig erscheinen zu lassen. - Mein Kopf ist meinem Herrn verfallen nach diesem schweren Fehler, diesen Spaziergang gegen seinen Befehl zu gestatten. Ich rate dir, mir der Wahrheit gemäß zu antworten. Und mir vor allem eine Frage zu beantworten: warum hast du dich an Fürst Susumu gewandt, ihm so zugearbeitet, dass die Fürstin entführt wurde?“ Teiko die in der Tat schwer verletzt war und auch einige Schmerzen hatte,schloss die Augen. „Das fragst du wirklich, alter Freund?“ Wenn sie nicht redete, würde er, jahrelange Bekanntschaft hin oder her, sie so lange foltern lassen, bis sie es sagte. Zunai steckte in der Klemme, genauer, momentan lag sein Kopf bereits auf dem Block und er würde kein Mittel scheuen, ihn da wieder weg zu holen. Ihr eigenes Leben war schon nichts mehr wert, der Bemühungen der Heiler zum Trotz. Sie würden sie nur für eine Hinrichtung aufbewahren. Falls nicht Fürst Susumu siegte. „Ist es wegen des verstorbenen Fürsten? Aber, was hat die Prinzessin damit zu tun? Überdies hat er dich ehrenhaft behandelt.“ „Darüber könnten wir tagelang streiten, Zunai. Ich war seine Geliebte, aber er nahm mich nie zur Frau. Nicht einmal zur Nebenfrau.“ „Ein Sohn auch von einer Nebenfrau hätte Probleme im Erbe geben können, Bruderstreit. Als Sohn einer Geliebten hätte es das nie sein können.“ Für jemanden, der am Hof aufgewachsen war, war Teiko wohl recht naiv gewesen. „Und als ich ein Mädchen zur Welt brachte.....“ Sie bemerkte seine Überraschung: „Ließ er es nehmen und in den Wasserfall hinter dem Schloss werfen. Ich habe sie nie wieder gesehen, konnte sie nicht einmal begraben. Nur, weil sie ein Mädchen war.“ Noch immer schwankte ihre Stimme trotz aller Müdigkeit und Schmerzen bei dieser Erinnerung. Zunai zuckte die Schultern: „Der Vater, zumal der Fürst, entscheiden nun einmal über das Leben der Kinder – und der Taishou über uns alle. Weiter.“ Sein Leben stand auf dem Spiel, da verspürte er nicht die mindeste Lust, sich wegen eines längst verstorbenen Kindes aufzuhalten. Überdies war Teiko wohl in der Tat naiv gewesen. Ein möglicher, ehrgeiziger Schwiegersohn hätte ebenfalls Probleme machen können. „Ich wurde zur Haushofmeisterin, aber bekam nichts zu tun. Ich hatte angenommen, er würde wieder heiraten, aber das ließ er sein. Als Fürst Susumu mich bat zu sagen, wann der damalige Herr oder der Prinz heiraten würden, erschien es mir nur gerecht, wenn der Taishou dann in Schwierigkeiten käme. Mir wurde bedeutet, dass Fürst Susumu schon dafür sorgen würde, dass es keine glückliche Ehe würde.“ „Woher wusste Fürst Susumu von deiner Unzufriedenheit?“ „Das weiß ich nicht, Zunai, und da kannst du mich verhören, wie du willst. Tomi, ein Spinnendämon, kam eines Tages her und machte mir den Vorschlag. Ich stimmte zu. Es war ja kein Verrat, eine mögliche Heirat zu melden.“ „Aber dann wurden die Aufforderungen aus dem Süden nach der Hochzeit des nunmehrigen Taishou deutlicher?“ „Ja, zumal als Sumu aufflog. Weder sie noch ich hatten voneinander gewusst. Ich schmuggelte der Prinzessin einen Brief ihres Vaters zu, in dem nichts als Gewäsch stand, aber auch die Aufforderung sehr auf sich zu achten, falls sie schwanger sei oder es werden wollte. So konnte ich ihr auch den Tee mitgeben, den mir Fürst Susumu geschickt hatte. Es war auch kein Verrat, ihr den Tee zu geben. Er machte sie allerdings von Tag zu Tag wirrer im Kopf und als wir spazieren gingen, war sie nicht einmal mehr in der Lage allein zu gehen.“ Sie schloss die Augen und der Heiler kam heran: „Ich denke, Ihr solltet sie etwas in Ruhe lassen.“ Zunai sah zu ihm: „Heilt sie. Wenn der Herr zurückkommt, wird er gewiss alles hören wollen, bevor er sie umbringen lässt. Darum solltet Ihr auch darauf achten, dass sie keinen Selbstmord begehen kann. Das Wichtigste weiß ich nun, dass wir diese Schmach rächen können und die junge Fürstin zurückholen – Ah, Myouga. Schon Nachrichten?“ „Er ist weg. Aber den Herrn dort in den Bergen zu finden wird schwer. Er zeigt seine Energie normalerweise nicht.“ „Wir müssen ihn finden. Seine Ehre steht auf dem Spiel, seine Rache und nicht zuletzt seine Ehefrau.“ Sie gingen aus dem Bereich der Heiler, als ein Hundedämon heran hastete: „Zunai, Herr der Heerscharen: Provinzfürst Kodoro wünscht Euch unverzüglich zu sprechen.“ „Oh nein, will er wieder darum bitten, seine Tochter zu sehen?“ Zunai stöhnte unwillkürlich etwas auf: „Dazu habe ich momentan wirklich weder Lust noch Zeit. Er soll verschwinden.“ Der Hundekrieger verneigte sich. Gewöhnlich widersprach man seinem Heerführer nicht: „Vergebt, er stammelte etwas von: Befehl des Taishou. Er kam auf einem Reitdrachen und wir mussten ihn hinunterziehen, da er vollkommen erschöpft war.“ „Oh oh,“ meinte Myouga: „Der Herr weiß es schon.“ Zunai seufzte: „Mein Kopf passte so gut zu meinen Schultern. - Wo ist der Bote unseres Herrn?“ Selbst auf den ersten Blick sahen die beiden engsten Berater des jungen Fürsten, dass Kodoro am Ende seiner Kräfte war – und das konnte kein Dämon spielen. Die Energie war sehr niedrig. „Wie lautet der Befehl meines Herrn?“ fragte Zunai nur. Kodoro nickte: „Du weißt schon..Ihr wisst schon, dass meine Tochter entführt wurde, in Fürst Susumus Auftrag. Der Herr wünscht das Heer in Eilmärschen in den Süden. Er selbst geht wohl mit den Wölfen, bei denen er war, aber das hat er nicht gesagt.“ „Ein Alleingang,“ dachte Myouga: „Immerhin nimmt er noch einige Wolfskrieger mit. Aber der einsame Hund ist eindeutig seine Lieblingsrolle. Dieser verdammte Narr.“ Das laut auszusprechen wäre mehr als nur töricht – das wäre Hochverrat. „Umso wichtiger ist, dass wir uns beeilen.“ Zunai suchte mit dem Blick seine Unterführer und gab rasche Anweisungen, sowohl für die Schlossbewachung, die bald durch weitere Dämonen aus den östlicheren Gebieten verstärkt werden sollte, als auch für das Dämonenheer, das in Gewaltmärschen nach Süden ziehen würde, bemüht, den Taishou und seine Leute einzuholen. Die Prinzessin stand regungslos in der Dunkelheit. Es war sinnlos einen Ausbruchsversuch zu beginnen, ehe sie hier aus diesem Säurekerker herausgeführt wurde. Wenn sie Fürst Susumu gegenüberstand, sollte der allerdings in seinem eigenen Interesse wieder mehrere Wachen um sich haben. Sie war wütend, besorgt, nicht nur um sich, sondern auch und vor allem um das werdende Leben in ihr. Ihr wertvoller Sohn schien zwar mit dem ätzenden Gift fast besser zu Rande zu kommen als sie selbst, aber das vermochte sie nicht so ganz zu glauben. Hoffentlich kam der Taishou bald. Sie bezweifelte nicht, dass er kommen würde, gab aber zu, sich auch ein wenig Gedanken um ihn zu machen. Nie zuvor war er ihr als Krieger erschienen, eigentlich immer als rücksichtsvoll, zu weich für einen Dämon, zumal seiner Klasse. Wie würde er reagieren, wenn er plötzlich auf einem Schlachtfeld stand? Sicher, er trug das Höllenschwert, aber wäre er auch bereit, es so einzusetzen, wie es sein Vater im Kampf gegen den ihren getan hatte? Sie hatte ja die Folgen gesehen, die Menge an toten Dämonen, die förmlich durchgepflügte Erde. Könnte und würde er so viele umbringen? Oder würde Susumu Recht behalten und sie zusehen müssen, wie sie Witwe wurde? Und was waren das für Schwingungen in der Magie, die sie hier in der Nähe spürte? Es fühlte sich fast an, als ob sich ein Tor ins Jenseits hier unter dem Schloss geöffnet hatte. Aber, das war doch nicht möglich. Nahm ihr die ätzende Flüssigkeit um sich nicht nur das Riechvermögen, verätzte die Atemwege, sondern raubte ihr auch ihre magischen Fähigkeiten? In diesem Fall wäre sie bei Sonnenaufgang wohl wirklich hilflos ihrem Entführer ausgeliefert. Nein, sie musste sich zusammennehmen, schon um ihres Kindes willen – und auch, um nicht vor dem Taishou als schwach dazustehen, wenn er sie befreite. Schließlich hatte sie ihn schon genug blamiert, in dem sie sich einfach so entführen ließ. Oh ja, auch dafür würde Fürst Susumu büßen, wenn sie nur den Hauch einer Chance bekam. Der Herr des Südens kam in sein Labor und zögerte einen Moment, ehe er die Kammer öffnete, die ihm Zugang zu der anderen Welt bot. Er blieb vor dem Becken mit dem seltsamen, tiefschwarzen Wasser stehen, ehe er höflich die Hände aneinanderlegte: „Guten Abend, Kurai Josei. Hättet Ihr einen Moment Zeit für mich?“ Der dunkle Rauch über dem Wasserbecken bewegte sich etwas, ehe eine weibliche Stimme antwortete: „Guten Abend, mein teurer Susumu. So ungeduldig? Ich dachte, wir sehen uns morgen früh.“ „Das nahm ich auch an. Vor Sonnenaufgang kann das Heer aus den Westlichen Ländern unmöglich hier sein. Allerdings fiel mir ein, dass der liebe Taishou seit seinem Regierungsantritt bewiesen hat, dass er kein Idiot ist. Womöglich hat er eine Sicherung eingebaut, die mir bislang entgangen ist.“ „Ihr hättet also meine Krieger gern früher.“ „Wenn es Euch nichts ausmacht – im schlimmsten Fall habt Ihr das Höllenschwert und seinen Besitzer eben etwas früher in der Hand.“ „Ein durchaus verlockendes Angebot. Und Eure eigenen Krieger?“ „Stehen bereits vor meinem Schloss, das ich zusätzlich durch einen Bannkreis sicherte. - Ihr habt gewiss Verständnis dafür, dass ich Eure Krieger nicht in meinen Mauern sehen möchte.“ Die dunkle Dame der anderen Welt schien zu lächeln: „Oh, wir sind doch Partner in dieser Sache, nicht wahr? Und, wenn jeder seinen Teil des Paktes einhält sind beide zufrieden.“ „Ich habe Euch noch nie betrogen,“ beteuerte Susumu eilig: „Und ich werde es auch nicht tun.“ Mächtigen Verbündeten musste man ihre Launen nachsehen. „Gut. Zwei Stunden vor Sonnenaufgang werden Euch genügen?“ „Selbstverständlich. Selbst, wenn der Taishou hierher fliegen würde, könnte er vorher nicht hier sein. So rasch dürfte ihn die Nachricht unter keinen Umständen erreicht haben. Überdies stehen auch meine Krieger hier.“ „Natürlich. Dann bis später.“ Er verneigte sich etwas, obwohl er annahm, dass die Verbindung bereits beendet war. Sie liebte magische Geschöpfe als Beute, und so hatte er ihr alle Drachen überlassen, die es als Wesen im Süden gegeben hatte, natürlich abgesehen von den tumben Reitdrachen. Dass er zuvor mit Hilfe der Drachen zunächst die Inseln erobert hatte, fiel dabei nicht weiter ins Gewicht oder auf sein Gewissen. Er hatte nur mächtige Verbündete durch eine noch mächtigere Partnerin ersetzt. Hatte er erst einmal den Westen erobert, würde er die dortigen Drachen und dann auch starke Dämonen ihr überlassen und sich solcherart Stück um Stück das gesamte Land sichern. Sie dagegen besaß dann das Höllenschwert und würde bestimmt die jenseitige Welt dominieren. So waren beide Teile zufrieden. Tomi dachte kurz, aber sehr intensiv nach. Schließlich ging es um sein Leben, wenn er sich irrte. Fürst Susumu war nicht nur als Dämon stark sondern auch mächtig in seiner Magie – und verstand bei Verrat keinen Spaß. Er wusste ja nur zu gut, wie sein Vorgänger als Ratgeber starb, und er verspürte nicht die mindeste Lust, eine derartige Hinrichtung am eigenen Leib zu erleben. Andererseits war Fürst Susumu arrogant, sehr von sich eingenommen, und begann womöglich aus diesem Grund Fehler zu machen. Er hielt nicht viel von Frauen. Gerade als Spinnendämon wusste Tomi nur zu gut, dass die Frauen gefährlicher als die Männer sein konnten. Sicher, der Inu no Taishou verfügte über das Höllenschwert und sollte auch an sich ein starker Dämon sein, aber Susumu würde ihm und seinem Heer nicht nur die eigenen Krieger entgegenschicken sondern auch die der wahrhaft höllischen Verbündeten. Aber Tomis Problem war weniger der Fürst des Westens und seine Krieger – das seine steckte unten im Kerker. Irgendwie ahnte er, dass die Hundedämonin das erschrockene, junge, hilflose Wesen nur vorgespielt hatte. Sicher, sie war Kodoros Tochter, das sprach eher gegen ihre Intelligenz, aber stimmte das auch wirklich? Seine Spione hatten ihm bedeutet, dass sie Kimonos bestickt hatte, sie hatte Teiko die zugegeben geschickt eingefädelte Geschichte mit dem Tee abgenommen, aber... Er besaß eine gewisse Dämonenkenntnis, die ihn in seinem Beruf nützlich gewesen war und ihn auch bislang am Leben gehalten hatte, und er glaubte in ihr einen Gegner für Fürst Susumu zu erkennen. Sie war sehr ruhig gewesen, zu ruhig, nach der Entführung und im Kerker. Was besaß sie in der Hinterhand? Sie mochte hoffen, dass ihr Ehemann sie befreien würde, aber war das schon alles? Der Bannkreis um das Schloss war auch von dem stärksten Wesen nicht zu zerbrechen, wusste sie das? Nun, nicht, solange sein Urheber lebte. Sollte er sein Leben wirklich auf eine Dämonin setzen? Die junge Fürstin war ruhig und gelassen. Was würde sie morgen früh Fürst Susumu auf seine Frage hin antworten, wenn sie tatsächlich dann schon Witwe war? Was würde sie wirklich für ein Nein durchstehen wollen, wenn ihr Ehemann ausfiel? Oder wollte sie gar ihr Kind schützen? Susumu mochte die Gerüchte über ihre Schwangerschaft für gefälscht gehalten haben, aber Tomi dachte noch einmal nach. Teiko und Sumu hatten es bestätigt, und sie waren in dauernder Nähe ihrer Herrin. Angenommen, es stimmte doch, dann würde sie sicher alles unternehmen, um das Ungeborene zu schützen. Frauen taten dies, in allen Arten, selbst unter den erbärmlichen Menschen. Er entschied sich. ** Die Prinzessin ist wütend, ihr Ungeborenes lernt, mit Säure umzugehen, Tomi entscheidet sich, und die Fürsten rüsten zum Kampf, der denn auch im nächsten Kapitel beginnt.... bye hotep Kapitel 13: Der Kampf beginnt ----------------------------- Der Taishou hatte den Falken befohlen am Boden zu bleiben, sehr zu deren Missvergnügen. Aber er rechnete damit, und der erfahrene Ryakudatsu verstand dies auch ohne Worte, dass sie erwartet wurden. Da war es nicht nötig, dem Gegner ihre genaue Stellung anzuzeigen. Das kleine Heer aus Falken und Wolfsdämonen war ohne Pause durch die Wälder in Richtung Süden gelaufen und erreichte das weite Tal, in dem Fürst Susumus Schloss lag, drei Stunden nach Mitternacht. Erst jetzt ließ der junge Fürst einen Falken aufsteigen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Auch hier waren die Wälder so dicht mit Bäumen und Unterholz bestanden, dass es unmöglich war, weiter zu sehen oder auch nur zu wittern. Das bot immerhin auch ihnen Deckung. Der Falkendämon kehrte rasch zurück und verwandelte sich in seine menschliche Gestalt. Eine Verneigung vor seinem Clanführer, ehe er vor dem Taishou auf ein Knie niederging und den Kopf neigte. „Was konntest du entdecken?“ fragte dieser. „Wir werden erwartet, Herr. Vor dem Schloss liegt eine nur mit Gras bewachsene Ebene, so breit wie das Tal und fast vollkommen flach, soweit ich das im Mondschein sehen konnte. Dort warten Dämonenkrieger, sicher das gesamte Heer des Südens.“ „Wie lange werden wir bis zu dieser Ebene brauchen?“ „Bei bisherigem Gehtempo annähernd eine Stunde. - Edler Herr....“ Eigentlich sprach man einen Fürsten nicht an, aber es war wichtig. Der alte Fürst hätte darauf sicher mit einer, wenn auch geringen, Strafe reagiert, aber sein Sohn sah nur hinunter: „Ja?“ „Um das gesamte Schloss zieht sich ein gewaltiger, mächtiger Bannkreis. Ich vermute, dass es keinem Dämon gelingen wird, dort hindurch zu kommen.“ „Susumu ist ein Feigling,“ grollte Kujira, der Herr der Wölfe: „Verschanzt sich hinter einem Bannkreis! Denn ich vermute nicht, dass er nur Frauen und Kinder dort drin hat. - Vergebt, Herr!“ bat er hastig, als ihm die Ungehörigkeit seines Ausbruches zu Bewusstsein kam. Niemand griff einem Fürsten vor. „Er ist scheinbar ein Narr,“ gab der Taishou jedoch nur nachdenklich zurück: „Und dafür hielt ich ihn bislang nicht.“ „Äh, was meint Ihr?“ „Wenn der Bannkreis in der Tat so ausgelegt ist, dass kein Dämon hindurch gelangt, so können sich auch seine eigenen Leute nicht hinter die Mauer zurückziehen.“ Er blickte zu dem Falkenführer, der die Aufforderung verstand: „Dann ist er siegessicher.“ Ryakudatsu sah zu seinem Krieger: „Du kennst dich doch einigermaßen mit Bannkreisen aus: alle Dämonen oder nur wir?“ „Ich würde sagen, nichts und niemand, Herr der Falken.“ Der Dämon betrachtete höflich den Boden: „Ich habe so etwas noch nie gesehen oder auch nur davon gehört.“ Kujira wollte schon etwas sagen, ehe er den eisigen Blick des Inu no Taishou bemerkte und lieber den Mund hielt. Der junge Fürst hatte bereits seinen Vorlaut zuvor verziehen, noch einmal würde das nicht vorkommen. So höflich sich der auch verhielt: Freiheiten sollte man sich nicht gegen ihn herausnehmen. „Gehen wir,“ meinte dieser dann auch nur, ohne seine Gedanken zu verraten. Sie waren in der Unterzahl, ja. Und Susumu konnte sich ausrechnen, dass das eigentliche Heer des Westens frühestens in drei Stunden bei ihm sein konnte, noch dazu erschöpft durch einen Eilmarsch. Warum also hatte er seine Krieger jetzt schon vor dem Schloss postiert und was sollte ein Bannkreis, durch den nichts und niemand gelangen konnte? Mit wem oder was rechnete der Fürst des Südens? Aber das konnte er erst bedenken und entscheiden, wenn er vor Ort wäre. Immerhin hatte er zwei Stunden Vorsprung vor seinem Hauptheer. Die Prinzessin hob unwillkürlich etwas den Kopf, als ihre Kerkertür geöffnet wurde. Die hereinströmende frische Luft tat gut, aber sie zwang sich, nicht zu tief einzuatmen. Im Schein der Fackel, die er trug, erkannte sie den Ratgeber des Fürsten. Was wollte Susumu denn schon wieder? War es schon Morgen? Hatte sie sich so in der Zeit verschätzt? Tomi betrachtete sie noch einmal, denn er wollte sich überzeugen, dass er sich nicht geirrt hatte, ehe er sich erkundigte: „Würdet Ihr mir eine Frage beantworten, Prinzessin?“ „Was wünscht Fürst Susumu?“ „Dass Ihr Euch bei Sonnenaufgang neben ihm auf der Schlossmauer einfindet, um das Ende Eures Gemahls zu sehen und neu heiratet. - Aber das wäre nicht meine Frage. Ihr habt gewiss die Bannsiegel an der Tür hier bemerkt. Spürt Ihr auch den Bannkreis um das Schloss?“ Sie war sehr erstaunt, blieb aber kühl: „Ich spüre gewaltige Magie. Bis eben wusste ich nicht, dass es sich um einen Bannkreis handelt. Und weiter?“ „Falls es Euch gelingen würde, hier aus diesem Kerker zu entkommen, würde Euch der Bannkreis sicher zurückhalten. Zu Eurem Glück, denn vor dem Schloss hat sich nicht nur das gesamte Heer des Südens versammelt sondern auch Fürst Susumus Verbündete aus einer anderen Welt.“ Warum gab er ihr diese Informationen, wenn auch scheinbar als Warnung? Wollte er ihr helfen oder war das eine Falle? „So ist es bedauerlich für diese, dass sie sich meinem Gemahl in den Weg stellen.“ Tomi nickte etwas: „Dennoch käme der Taishou nicht zu Euch, denn der Bannkreis hindert selbst Mächte der anderen Welt. Und Fürst Susumu hätte Euch noch immer als Geisel – Euch und Euer Kind.“ Er bemerkte, dass sie nur fragend die Augenbrauen hob. Wirklich, eine sehr selbstbeherrschte Dämonin. „Ich bin sicher, Ihr wüsstet, wie der Bannkreis verschwindet, wenn es Euch nur gelingen würde hier heraus zu kommen.“ „Wenn.“ Der Spinnendämon lächelte flüchtig: „Ich bin meinem Herrn treu ergeben. Und so sage ich Euch, falls Ihr aus diesem Raum entkommen wolltet, würdet Ihr noch einige Posten im Schloss vorfinden, auch, wenn die meisten draußen sind. Und natürlich Fürst Susumu selbst.“ Er ging und schloss die Tür hinter sich, ein Stoßgebet an jemanden ganz weit oben schickend, dass sie so intelligent war, wie er erwartet hatte. Sie holte tief Atem trotz aller ätzenden Säure, als sie begriff, dass er die Bannsiegel nicht mehr vorgelegt hatte. Alles, was sie tun musste, war eine Möglichkeit zu finden, zum Podest vor der Tür zu gelangen, ohne in die Flüssigkeit zu stürzen. Nun gut, da waren noch die Wächter in den Gängen. Warum half Tomi ihr? Er hatte gesagt, er sei seinem Herrn treu ergeben – aber gleichzeitig verriet er ihr, wie sie entkommen konnte? Weil Susumu gar nicht sein wahrer Herr war, folgerte sie prompt. Wer war es dann? Oder wollte Tomi seinen vorherigen Herrn rächen? Das sollte momentan nicht ihr Problem sein. Es war eine Chance und sie musste sie nutzen. Wenn sie zu dem Podest springen würde, ohne sehen oder wittern zu können, wo es genau war, ging sie das Risiko ein samt ihrer wertvollen Last in der Säure zu enden – ein recht schmerzhaftes Ende. Das sicher auch Tomi bevorstand, wenn herauskam, dass er die Bannsiegel an der Tür scheinbar vergessen hatte. Susumu war bestimmt nicht der Typ, der derart schwere Irrtümer seiner Männer zuließ. Der Inu no Taishou blieb am Rande des Waldes stehen, Kujira und Ryakudatsu neben sich, den höfischen Schritt zurück. „Verdammt,“ entkam es dem Wolf, aber er schwieg hastig. Der Hundefürst schloss sich ihm in Gedanken an. Das musste das gesamte Dämonenheer des Südens sein - eine deutliche Übermacht. Aber was die Lage noch verschlimmerte waren die seltsamen Krieger, die sich seitlich davon aufgebaut hatten, anscheinend nur das Tor decken sollten. Er spürte, wie das Höllenschwert auf seinem Rücken vibrierte und begriff, dass das Wesen der anderen Welt waren. Zunai und seine Leute würden unmöglich vor zwei Stunden hier eintreffen. Sollte er auf sie warten? Oder sich in einen Kampf gegen eine Übermacht stürzen, in der die Falken und Wölfe zu unterliegen drohten, da sie doch eins zu zehn in der Minderheit waren? Er war der Heerführer, der Taishou. Er war der Fürst, und alles, was er sich holen konnte, waren die Ratschläge der beiden Clanchefs neben ihm, älter und erfahrener als er. „Seht ihr, ob das Südheer auch Falken oder Adler hat?“ „Nein.“ Ryakudatsu war ehrlich: „Aber ich vermute, nein. Selbst, als ich über den Süden zog, gab es dort kaum vogelartige Dämonen. Und kein Falke kam je von dort.“ „So könntest du die Lufthoheit mit deinen tapferen Kriegern halten? Und die Wölfe von dort unterstützen?“ „Ja, Herr.“ „Kujira, das Heer des Südens ist eine Übermacht. In zwei Stunden, wenn die Sonne aufgeht, sind Zunai und die anderen hier, vielleicht auch eher. Halten du und deine mutigen Wölfe solange stand?“ „Selbstverständlich, mein Herr.“ Der Anführer der Wölfe klang indigniert: „Im Kampf Dämon gegen Dämon ist kaum einer den Wölfen des Waldgebirges gewachsen, seien sie Männer oder Frauen. Und noch niemand hat uns an Tapferkeit überboten. - Mir machen nur diese seltsamen anderen Krieger Bedenken. Sie scheinen einer anderen Welt zu entstammen. Kann man sie töten?“ „Das werde ich feststellen.“ Der junge Hundefürst sah hinüber: „Ich schicke euch nur gegen Sterbliche. Die Wesen der anderen Welt werde ich mit dem Höllenschwert übernehmen.“ „Edler Herr,“ wandte Ryakudatsu loyal ein: „Das ...das ist mutig, aber...“ „Glaubt mir, wenn ich es einsetze, ist es besser, wenn ihr nicht dazwischen steht. Und diese schwarze Gestalt dort drüben wird die Wesen kontrollieren. Nun, Susumu öffnete die Hölle und holte sich dort Verbündete. Ich werde ihm seine eigene Medizin zu kosten geben. Gebt euren Kriegern Bescheid, dass die Schlacht bevorsteht – und welche. Wir greifen in zwanzig Minuten an.“ Das wären mindestens eineinhalb Stunden, ehe mit seinem Hauptheer zu rechnen war. Im matten Licht der Sterne und des Sichelmondes konnten alle Dämonen genug erkennen um einen Kampf zu wagen. Die Übermacht von zehn zu eins war nichts, das Falken oder Wölfe erschreckte und der junge Taishou fühlte einen gewissen Stolz, dass sie ihm so bedingungslos folgten. Hoffentlich hatte er mit seiner Entscheidung nicht auf das Westheer zu warten, nicht das Ende dieser tapferen Krieger herbeigeführt. Einhundert Minuten konnten sehr lang sein. Als die beiden Clanführer wieder zu ihm kamen und ihm bestätigten, dass ihre Krieger einsatzbereit wären, nickte er nur: „So überlasse ich es euch beiden. Alles, was ihr tun müsst, ist, die Südkrieger so abzudrängen, dass sie mich nicht erreichen und ihren Verbündeten aus der anderen Welt nicht zu Hilfe kommen. Der Bannkreis, den Susumu da gelegt hat, wird ihnen eher hinderlich sein. Drängt sie dort drüben gegen den westlichen Talrand. Wer von ihnen fliehen will, soll fliehen. Ich will dieses Land nicht erobern. Dann geht.“ Er selbst wandte sich um und setzte mit großen Sprüngen in Richtung auf die unheimlichen Krieger der anderen Welt. „Untote,“ murmelte er, sicher, dass der Geist des Höllenschwertes ihn hörte: „Da hilft auch dein mächtigster Angriff nichts. Susumu scheint jedoch nicht über alle deine Fähigkeiten Bescheid zu wissen.“ Er spürte, wie die Klinge auf seinem Rücken förmlich summte und zog sie, als er fast fünfhundert Schritte vor den seltsamen Kriegern stehen blieb: „Du willst Seelen, du wirst sie bekommen.“ Er hob mit beiden Händen das Höllenschwert vor sich, dessen Klinge sich rasch mit Blut überzog, das auf den Boden tropfte und Rinnsale bildete. Alle Wesen, deren Seele es je verschlungen hatte, entstiegen diesen Blutbächen, ebenfalls als Untote, und stellten sich zwischen den Inu no Taishou und dessen Gegner. „Oh,“ entkam es auf der anderen Seite Kurai Josei fast glücklich: „In der Tat, das Höllenschwert. Und ein sehr interessanter Besitzer. Nun gut. Seelen gegen Seelen, Untote gegen Untote. Und meine Strategie gegen die deine, junger Hund. Wir werden sehen.“ Fürst Susumu lehnte nachlässig auf seinem Hocker. Eigentlich lief alles wunderbar zu seinen Gunsten. Die hübsche Prinzessin war in seiner Hand, ja, würde schon in wenigen Stunden ihm gehören, das Heer des Westens lief in eine Falle und war ebenfalls bald Geschichte und Kurai Josei würde das Vergnügen haben, den Herrn der Hunde zu erhalten. Damit war er dann nach der Hochzeit mit dessen Witwe Fürst auch dieser weiten Gebiete. Ein wenig gute Planung und Skrupellosigkeit machten sich eben bezahlt. Er blickte etwas unwillig auf, als sich die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnete. Da er jedoch einen Krieger seiner Wachen erkannte, fragte er nur: „Etwas Wichtiges?“ Der Torwächter wagte nicht sich aufzurichten. Immerhin schien der Fürst gute Laune zu haben, dass er diese Störung ohne weiteres duldete: „Herr, ein Heer des Westens greift unsere Männer draußen an, und ein weißhaariger Mann beschwört ebensolche Wesen wie diese schwarze Dame.“ „Er ist schon hier? Eigentlich fast unmöglich.“ Susumu erhob sich: „Das möchte ich allerdings nicht versäumen.“ Er ging mit auf die Mauer. Nein, das Ende des Herrn der westlichen Länder mit anzusehen wäre sicher amüsant. Und interessant, einmal denjenigen zu sehen, der in kurzer Zeit viele seiner eigenen Pläne vereitelt hatte. Moment, was hatte dieser Narr von Krieger gesagt? Der würde ebensolche Wesen beschwören wie Kurai Josei? Wesen der anderen Welt? Oh, dann wurde das wirklich fesselnd – als Zuschauer. Seine Verbündete erhielt so einen guten Eindruck davon, was er ihr als Siegespreis bot. Denn natürlich würde der Taishou schon mit den Mächten zu kämpfen haben, die im Höllenschwert hausten – wie viel mehr mit denen von Kurai Josei. So lehnte er sich genüsslich an die Außenmauer und blickte hinunter. Tatsächlich. Da kämpften Untote gegen Untote, getrieben durch die Magie seiner jenseitigen Verbündeten und des Höllenschwertes, das der Taishou, so jung er war, anscheinend wirklich beherrschte. Drüben hatten sich eine Handvoll verrückter Wölfe und Falken auf einen Kampf gegen sein zehnmal größeres Heer eingelassen. Das konnte noch ein wunderbares Schauspiel geben, dachte er, als er sah, wie die ersten Wölfe unter der Übermacht starben, ehe er wieder zurück zu dem jungen Hundefürsten blickte. Der schien ruhig zu sein, fast emotionslos, aber Susumu konnte selbst auf diese Distanz erkennen, dass seine Hände sich fest um den Schwertgriff klammerten. Ja, mit den Kräften der anderen Welt war eben nicht zu spaßen. Womöglich wollte das Höllenschwert lieber zu Kurai Josei und nicht bei dem Hund bleiben? Dann war der Kampf sicher gleich vorbei. Auch der Taishou merkte, dass seine Klinge ihm nicht ganz willig gehorchte. Ohne weiter nachzudenken, ließ er seinen eigenen Willen in das Schwert fließen, wie er es lange geübt hatte, um die dunkle Aura zurückzudrängen. „Lass das,“ sagte die Stimme in ihm: „Überlasse dich mir, nur so kannst du siegen!“ „Ich siege noch immer, wie ich will.“ „Erinnere dich an den Tod deines Vaters! Habe ich dir da nicht das Leben gerettet?“ „Das waren Dämonen – keine Herrin der Untoten aus deiner Welt!“ „Kurai Josei.“ „Die dunkle Dame.“ „Sie würde mich noch mehr beherrschen, als du es vermagst. Aber sie würde auch dich beherrschen. Also, lass mich siegen.“ „Siege. Aber so, wie ich es will.“ Kurai Josei hatte durchaus bemerkt, dass die Kontrolle ihres Widersachers über seine Untoten nachließ, und ordnete den ihren sofort einen Gegenangriff an. Wehrte sich das Höllenschwert etwa dagegen von einem Sterblichen besessen zu werden? Dann war es gleich zu Ende. Je mehr ihre Zombies die seinen vernichteten, umso mehr Seelen bekam sie, die sie gegen ihn einsetzen konnte. Freilich wäre es auch umgekehrt der Fall, aber solange das magische Schwert seinen Besitzer ablenkte, hatte sie ihre Chance. So befahl sie ihren Kriegern den Frontalangriff. Kujira und seine Wölfe hatten einen harten Stand. Deckend, sich gegenseitig verteidigend, angreifend, und dabei immer weiter vordringend in das gegnerische Heer, hatten sie jeden Begriff für die Zeit verloren. Dauernd attackierten die Falken aus der Luft im Sturzflug, bemüht, die Dämonenkrieger aus dem Süden davon abzuhalten ihre Verbündeten zu stoppen, zu massakrieren. Der junge Fürst hatte auf sie gesetzt, stellte sich allein den höllischen Mächten. Alles, was sie tun mussten, war, gegen lebende Dämonen standzuhalten. Das wollten und würden sie tun. Und irgendwann würde Zunai mit dem Heer des Westens eintreffen. Nur solange mussten sie durchhalten, töten und überleben. Die Prinzessin hatte unterdessen erkannt, dass sie sich in dem viellagigen Kimono nie zu einem Sprung hinreißen lassen sollte – unmöglich, so steif, wie das war. Warum nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, dachte sie etwas zynisch, als sie mühsam die oberste Schicht auszog. Dieses selbstbestickte Teil konnte wirklich auch zu etwas nutze sein. Sie warf es dorthin, wohin sie die sichere Stufe vermutete. Ihr entkam ein ingrimmiges Lächeln, als sie das Zischen der Säure hörte, die ihre Arbeit zerfraß. Hier also nicht. Ein weiterer Kimono-Versuch bewies ihr, dass sich dort die Sicherheit, der Ausgang befinden musste. Sie band ihren Gürtel wieder so fest, so gut es allein ging, ehe sie mit einem gewissen Mut der Verzweiflung in die Dunkelheit sprang, zu der Stelle, an der der Kimono wohl heil gelandet war. Ihre Nase hatte ihr schon längst den Dienst verweigert, verätzt durch die Säure. Sie dachte nicht daran, dass das vielleicht nie mehr heilen könnte, zu froh, wirklich festen Boden unter den Schuhen zu spüren, nicht noch im letzten Moment auf dem Kimono auszurutschen. Hastig griff sie nach vorn zur Tür und packte den Ring dort. Behutsam öffnete sie die Pforte. Davor sollten sich keine Wächter befinden, davon hatte Tomi nichts erwähnt und sie hatte beschlossen, ihm zu vertrauen. Er hätte nichts davon, sie in eine Falle zu locken, außer, Susumu plante noch irgendetwas anderes, aber sie hatte nichts erkennen können. Tatsächlich war der Gang leer. Sie atmete unwillkürlich die Luft, die ihr am Abend noch so stickig vorgekommen war, tief ein. Nach der Säure war das eine nette Abwechslung. Endlich konnte sie auch ihre Energie fallen lassen, sie verbergen. Es war nicht nötig, dass die Wächter vor der Zeit auf sie aufmerksam werden würden. Mit gewisser Zufriedenheit stellte sie fest, dass unverzüglich auch die Energie ihres Kindes sank. Der Kleine würde in der Tat ein fähiger Krieger werden, wie sie es ihrem Schwiegervater versprochen hatte. Sie war sicher, dass es ein Sohn werden würde. Nach allem konnten es ihr die Götter nicht antun, dass sie ihren Gemahl enttäuschen müsste. Lautlos ging sie den Kerkergang entlang, bemüht, Geräusche zu hören. Auf ihre Nase konnte sie sich nicht verlassen, sie war praktisch unbrauchbar. Aber wenn Susumu tatsächlich sein Heer bereits vor dem Schloss aufgebaut hatte, um den Taishou und dessen Krieger zu empfangen, würden sich nur wenige Dämonen hier noch aufhalten. Warum sollte der Süd-Fürst Männer daran verschwenden eine hilflose, eingekerkerte Gefangene zu bewachen, derer er sich sicher glaubte? Sie bemühte sich, Energien anderer Dämonen zu erkennen, konnte aber nichts spüren. So stieg sie die Treppe empor. Wenn überhaupt, so standen hinter der nächsten Tür Wachen. Und eines war ihr klar: sie würde sie töten müssen. Sie hatte zwar mit Waffen keine Erfahrung, aber doch ein gewisses Training in Selbstverteidigung erhalten. Allerdings hatte sie nie zuvor jemanden umgebracht. Ein seltsames Lächeln spielte um ihren Mund, als sie daran dachte, dass das wohl auch ihr Ehemann nie zuvor getan hatte. Heute schien ein guter Tag sein damit anzufangen. Und warum nicht bei Fürst Susumu und seinen Kriegern. Sie öffnete die Tür mit dem gleichen Schwung, in dem sie annahm, auch ein Wächter würde das tun. Die beiden Dämonen davor wandten auch nur die Köpfe. Noch ehe sie ganz begriffen hatten, wen sie da sahen, lagen sie bereits auf dem Boden. Die Prinzessin schüttelte ein wenig angewidert ihre Klaue, ging aber weiter, ohne noch einen Blick zurück zu werfen. ** Die Dame ist zurück im Spiel. Das nächste Kapitel zeigt das Ende der Schlacht – und einige Folgen. bye hotep Kapitel 14: Ende und Beginn --------------------------- Die Prinzessin schritt lautlos durch das dämonenleere Schloss. Als sie eine Bewegung bemerkte, fuhr sie herum, ließ die erhobene Klaue aber sinken, als sie Tomi erkannte, der sich verneigte. „Ihr seid so klug, wie ich hoffte,“ sagte er: „Ich hätte Euch nicht selbst herauslassen können. Fürst Susumu pflegt jede meiner Bewegungen zu überwachen.“ „Jetzt nicht?“ „Ich hoffe, er denkt sich nichts, wenn ich vor meinem Zimmer stehe. Überdies sollte ihn das Schauspiel vor den Mauern ablenken.“ „Der Taishou?“ Er war schon hier? „Und zumindest ein Teil seines Heeres. Sie schlagen sich nicht schlecht gegen die Südkrieger. Und Euer Fürst und Gemahl hat sich allein gegen Kurai Josei und ihre Höllenkrieger gestellt. Mutig. - Ihr findet Fürst Susumu auf der Mauer über dem Tor.“ „Warum verrätst du ihn?“ „Ich musste zehn Jahre auf die Rache warten. Er tötete meinen verehrten Herrn, den vorherigen Fürsten. Ich war mir nie ganz sicher, dass er es wirklich tat, bis zu Eurer Entführung. Seine Mixturen, sagte er da. Und es wirkte beim Herrn wie bei Euch – nur bis zu seinem Tod. Ich selbst bin bloß ein kleiner Spinnendämon, ich könnte nie eigenhändig gegen Fürst Susumu vorgehen. Er wartet auf Eure Antwort bei Sonnenaufgang.“ „Ich kann sie ihm gleich geben.“ Sie ging weiter. Tomi sah ihr nach, ehe er sich abwandte und ihr erst in gehöriger Distanz folgte. Der Wächter am Tor wunderte sich nicht, die Prinzessin zu sehen, zumal sie erklärte, sie wolle dem Fürsten seine Antwort schon bringen. Auch Susumu, der ihre Annäherung spürte, dachte nicht weiter darüber nach, da sie sich höflich ein wenig verneigte: „Ah, meine Liebe, Ihr kommt gerade noch zu Recht. Euer lästiger Gemahl ist anscheinend schnell geworden, als er merkte, dass Ihr weg seid. Wie amüsant. Kommt nur zu mir und seht seinem Untergang zu.“ Sie erschrak, stellte sie fest. Er war doch kein Krieger, dazu war er viel zu höflich, viel zu weich, auch, wenn sie sein Wissen, seinen Gerechtigkeitssinn und seine Höflichkeit respektierte: „Er ist allein?“ Sie beeilte sich zu dem Herrn des Südens zu gelangen. Ihr Gemahl war freundlich zu ihr gewesen und sie hatte die Gespräche mit ihm wirklich genossen. „Nicht ganz. Seht dort, einige seiner Männer kämpfen gegen die meinen und Eure Augen werden Euch verraten, dass sie hoffnungslos in der Unterzahl sind. Und wenn Ihr hier nach rechts blickt....Nun, er mag sich auf das Höllenschwert verlassen haben, als er sich meinen Verbündeten aus der anderen Welt stellte, aber allein und mit einer Klinge, die sicher gegen ihn arbeitet....“ Susumu zuckte die Schultern. Die Prinzessin starrte hinunter. Untote, das spürte sie, und sie bemerkte auch die gewaltigen Mengen an Magie, die diese schwarze Frau und der Taishou einsetzten. Sie wusste zwar aus ihrem Streit über welche Energie er verfügte, aber das musste ihn ungemein anstrengen. Überdies: das war keine Magie von dieser Welt. Wie lange konnte er das noch durchhalten? Und wie lange hielt er schon aus? Von hier oben konnte sie die Strategien beider Seiten erraten. Er hatte den Mut gehabt, sich allein der anderen Welt zu stellen, den Mut - und den Willen seine Krieger davor zu schützen. Sie warf einen Blick hinüber zu diesen. Sie kämpften mehr als tapfer, und sie war sicher, dass sie das nicht aus Furcht vor Strafe taten. Irgendwie waren sie stolz für IHN kämpfen zu dürfen. Sie hatte sich geirrt. Er war nicht weich oder auch nur kein Krieger. Er war höflich zu allen, auch zu ihr, weil er es gar nicht nötig hatte seine Macht zu demonstrieren. Außer im Moment und sie hoffte inständig, dass er gewinnen würde. Susumu blickte seitwärts: „Der Sonnenaufgang ist noch nicht vollendet, aber da Ihr schon hier seid, vermute ich, dass Ihr mir eine Antwort geben wollt. Was gefällt Euch besser, der Trakt der Fürstin oder der Kerker?“ „Ich bin lieber Fürstin,“ gab sie zu, ohne den Blick von ihrem Ehemann zu nehmen. Besorgt erkannte sie die ersten Anzeichen von Schwerfälligkeit in der Art, wie er das Höllenschwert hob. Er wurde müde. Aber welcher Mut, welche Kraft und welche Magiekenntnis gehörten zu diesem Duell der Untoten. Nein, nie wieder würde sie an ihm zweifeln. Ihr Sohn konnte stolz darauf sein solch einen Vater zu haben. „Dann werden wir noch heute heiraten,“ erklärte Susumu fast entzückt. Sie drehte sich ihm zu: „Ich sagte, ich bin lieber Fürstin, Fürst Susumu. Aber nicht die Eure!“ Noch ehe er ihre Absicht ahnen konnte oder dazu kam, eine Abwehrbewegung zu machen, traf ihn ihre Hand am ungeschützten Hals. Sterbend stürzte er von dem Aussichtspunkt, ohne eigentlich zu begreifen, warum sie das getan hatte. Er war doch der Bessere.... Sie raffte etwas ihre Kleider, als sie die Stufen ein wenig zu schnell für eine Prinzessin hinunter ging. Mit seinem Tod würde auch der Bannkreis um das Schloss erlöschen und dann wäre es besser, in Deckung zu stehen. Sicher würden zumindest Teile der Mauer einbrechen, wenn die ungeheuren Energien von draußen nun auch das Schloss erfassten. Niemand der Kämpfenden hätte sagen können, wie lange die Auseinandersetzung schon dauerte: nicht die Wölfe und Falken, die sich verbissen gegen die zehnfache Übermacht stemmten, bemüht, die Südkrieger daran zu hindern, ihren Verbündeten aus der anderen Welt zu helfen, nicht diese, nicht der Inu no Taishou, der das Höllenschwert nutzte, Untote gegen die untoten Krieger der schwarzen Dame zu schicken. An solche Kleinigkeiten konnte niemand einen Gedanken verschwenden. Und so fand Zunai, als er mit dem Westheer angehetzt kam eine tobende Schlacht vor. „Verdammt,“ zischte er: „Der Taishou allein ! Was tun diese Wölfe und Falken da!“ „Sie halten ihm den Rücken frei,“ erklärte Myouga, der die ganze Zeit auf der Schulter des Heerführers gesessen hatte: „Seht nur, gegen was er kämpft! Ihr müsst ihnen helfen.“ „Und der Fürst?“ „Gegen die Mächte der Hölle kann er allein bestehen. - Äh, helft den Wölfen. Ich muss einmal schnell...“ Und weg war er. Zunai hielt sich nicht weiter auf und brüllte kurz Befehle. So müde er und die Krieger nach dem übereilten Marsch auch waren – sie waren sicher frischer als die in der heftigen Unterzahl kämpfenden Verbündeten. Kurija und Ryakudatsu atmeten auf, als die beiden Clanführer bemerkten, dass Unterstützung kam. Zunai, der treue Zunai, fast eine Stunde früher als sie ihn erwartet hatten. Das Südheer und dessen Anführer sahen es ebenso. Hatte es sie zuvor schon demoralisiert, in zehnfacher Überzahl nicht siegen zu können, so war das Eintreffen eines gleichstarken Heeres nun eine Katastrophe. Und nicht nur einer der Dämonen beschloss sich abzusetzen. Sollte Fürst Susumu mit seinen höllischen Verbündeten gewinnen, so war ihnen der Tod sicher, aber langsam bezweifelten nicht wenige dies. Der junge Hundefürst hatte ebenfalls am Rande mitbekommen, dass sein Heer eingetroffen war, sich aber außerstande gesehen, auch nur einen Blick oder einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden. Es kostete seine volle Aufmerksamkeit, das Höllenschwert zu kontrollieren, damit seine eigenen Untoten, und die Strategien der Kurai Josei zu durchschauen. Schon einige Male, wenn er auch nur unaufmerksam schien, hatte sie ohne Rücksicht auf ihre Krieger einen Frontalangriff versucht. Bislang war sie damit nicht durchgekommen, aber es war ein Kampf um Seelen. Jeder untote Krieger einer Seite wurde zu einem der anderen Seite, wenn er „getötet“ wurde. Er musste das jetzt hier rasch beenden. Er wurde müde, unaufmerksam – sie nicht. Sie war kein sterbliches Wesen und das merkte man doch. Da das Höllenschwert prompt wieder vorschlagen wollte ihn zu übernehmen, wehrte er sofort in Gedanken ab. „Du tust, was ich sage!“ „Sturer Hund.“ Aber der dunkle Geist meinte es fast anerkennend. Kurai Josei wusste, dass der Hundedämon müde wurde. Er war wirklich bemerkenswert. Nicht nur, dass er nach wie vor das Höllenschwert unter Kontrolle hatte, nein, er war auch ein erstklassiger Stratege. Aber er wurde langsam erschöpft, körperlich wie geistig. Schon lange hatte kein Gegner sie mehr so beschäftigt. Er würde einen wunderbaren Untoten ergeben. Tatsächlich hatte ihr Susumu da einen wertvollen Preis angeboten. Und natürlich das Höllenschwert. Da. Es war zu erwarten gewesen. Unter einem weiteren Angriff ihrer eigenen Untoten wichen die seinen zurück. Er hatte wohl nicht mehr den Willen sie weiter voranzutreiben. Das war ihre Chance und so schickte sie ihre Krieger erneut vorwärts. Der Taishou bemerkte es. Viel länger würde er nicht mehr durchhalten können. Aber diesmal war er auf ihre Strategie vorbereitet. Viermal in diesem Kampf hatte sie dieselbe angewandt. Während er in der Mitte seine Untoten zurückweichen ließ, schickte er die Flanken nach vorn, ließ sie sich seitwärts wenden. Noch ehe Kurai Josei begriff, dass ihre Krieger eingekreist waren, begann unter diesen ein Gemetzel. Natürlich starben sie nicht, aber sie unterlagen nun der Kontrolle des Höllenschwertes und damit des Hundefürsten. Das konnte sie nicht zulassen. Ohne zu Zögern schickte sie ihre „Überlebenden“ zurück in die andere Welt. Der Kampf war zu Ende. Das Höllenschwert sammelte die ihm gehörenden Seelen ein, ehe sein Besitzer es mühsam in die Scheide schob. Er hatte gewonnen? Gegen die Wesen der anderen Welt? Der Taishou brach fast in die Knie, als er es erkannte, so erschöpft war er, aber er riss sich zusammen, als er bemerkte, dass plötzlich diese seltsame schwarze Frau neben ihm stand. Kurai Josei, hatte das Höllenschwert sie genannt. Wollte sie es ihm nun nehmen? Er hätte ihr kaum mehr Widerstand leisten können. „Ich gratuliere,“ sagte sie jedoch und schien zu lächeln. „Du hast diesen Kampf gewonnen, junger Hund.“ „Und nun?“ Sie warf einen Blick zum Schloss, dessen Bannkreis verschwunden und dessen Tor eingestürzt war. „Der Pakt ist erloschen. Und ich bekomme eine andere Belohnung statt deiner.“ Sie löste sich scheinbar in Luft auf. Susumu erwachte irritiert, ehe er sich erinnerte. Verdammt. Diese miese kleine Hündin hatte ihn umgebracht! Wo war er nun? Er sah sich um. Es war eine große Höhle, viele Seelen standen um ihn, die ihn anstarrten. Auf einem Vorsprung über sich entdeckte er seine Verbündete. „Du hast mich nicht gewarnt!“ schrie er. Sie zuckte die verhüllten Schultern. „Unser Pakt lautete: ich halte den Inu no Taishou auf und bekomme dafür ihn und das Höllenschwert. Aufgehalten habe ich ihn. Von Besiegen stand nichts in unserem Vertrag. Und schon gar nichts davon, dass ich dein Kindermädchen spiele. - Oh, wenn du dich gut umsiehst: um dich sind die Seelen, die du mir überlassen hast. Sie haben sich schon sehr auf dich gefreut.“ Susumu verstand im ersten Moment nicht, ehe er erkannte, dass da in der Tat Drachen standen, Dämonen, die er ihr als Bezahlung überlassen hatte. Noch ehe er den Schmerz spürte und verstand, dass sie ihn zerrissen, wusste er, was geschehen würde: sie würden ihn umbringen, wieder und wieder. Er war nun eine unsterbliche Seele und solange Kurai Josei sie und auch ihn nicht als willenlosen Untoten benötigte, würde er immer und immer wieder sterben. Er hatte sich seine eigene Hölle erschaffen. Das Heer des Westens und die wenigen Südkrieger, die noch nicht geflohen waren, sahen wortlos zu, wie der junge Hundefürst über die restlichen Knochen hinwegstieg und zu dem eingestürzten Tor des Schlosses ging, das Höllenschwert wieder auf dem Rücken. Dort erschien die Hundedämonin um derentwillen sie hierhergekommen waren. Das Ehepaar musterte sich kurz, betrachtete dann die Toten im Rücken des jeweils anderen. Der Taishou erkannte Susumu, einen toten Dämonenkrieger, dazu einen noch lebenden Dämon auf Knien. „Ich bin erfreut, dass Ihr da seid, mein Gebieter,“ sagte sie höflich. „Ich bin erfreut, Euch gesund zu sehen, teure Koromi.“ Sie lächelte, denn das war ein Lob und ein Kosename gewesen: die Schöne, die tötet: „Fürst Susumu versuchte mich zu überzeugen der bessere Ehemann für mich zu sein.“ Er warf erneut einen raschen Blick auf den Toten, ehe er trocken sagte: „Ihr scheint anderer Meinung gewesen zu sein. - Es tut mir Leid, dass ich ein wenig spät kam. Ich war allerdings etwas beschäftigt.“ Höflich wie immer, aber sie würde ihn nie wieder für weich halten: „Das sah ich. - Oh, das ist Tomi. Er hat mir geholfen.“ „Sonst würde er kaum mehr leben, vermute ich. Komm mit, Tomi. - Würdet Ihr nun mit mir kommen?“ Er bot ihr die Hand und sie legte die ihre darauf. So gingen sie über das Schlachtfeld zu Zunai und dem restlichen Heer. Jeder dort hielt es für ratsam, sich niederzuknien. Der Heerführer des Westens war mehr als besorgt. Weder auf dem Schlachtfeld noch auf dem Heimweg hatte ihn sein Fürst angesprochen, ja, auch nur eines Blickes gewürdigt. Was sollte nun passieren? Würde dieser ihn hinrichten lassen oder ihm doch noch einen Selbstmord erlauben, um seine Ehre zu retten? Er hatte gegen eine klare Anweisung verstoßen, zwar noch versucht den Fehler wieder gut zu machen, aber dennoch.... Zunais Gedanken waren weder angenehm noch optimistisch, als sein Herr zu den Heilern ging, sicher, um mit Teiko zu sprechen, und ihn dann erst rufen ließ, zu einem Gespräch unter vier Augen. Nicht nur Myouga, auch die Krieger im Schloss waren überrascht, als er lebendig und noch immer als Herr der Heerscharen das Arbeitszimmer des Taishou verließ. Natürlich wagte niemand zu fragen, was geschehen war, außer dem kleinen Flohgeist. Aber selbst Myouga hielt es für ratsam, das ohne Zeugen zu tun. „Mir wurde nichts mitgeteilt,“ meinte er: „Aber Ihr bleibt Heerführer?“ „Ja.“ Zunai atmete tief durch: „Wenn du wissen willst, was er gesagt hat – nein, dazu schweige ich. Nur soviel: wenn ich die Wahl hätte das noch einmal zu erleben, ließe ich mich lieber rösten.“ „Oh ja, das kann er,“ murmelte der Flohgeist in Erinnerung: „Aber ein zweites Mal wird es nicht geben.“ „Dessen bin ich mir bewusst. - Teiko..?“ „Ich weiß nicht, was geschah, aber als der Herr sie verließ, war sie tot.“ Zunai nickte nur. Fast zwei Tage später saß der Taishou in seinem Arbeitszimmer und betrachtete seine Gemahlin, die sich höflich verneigte, ehe sie ihm gegenüber Platz nahm. „Nun?“ fragte er. „Die Heilerin bestätigte, dass sowohl das Kind als auch ich gesund sind,“ bestätigte sie: „Selbst meine Nase wird wieder wie früher.“ „So ist es gut. - Ich habe nachgedacht. Diese kleinen Aufstände, die es in der Vergangenheit gab, auch die Spione, alles, was uns in den letzten Jahrzehnten so zu schaffen machte, hatte seinen Grund. Mein verehrter Vater lebte hier im Schloss und reiste nur, wenn es zwingend notwendig war, durch die westlichen Länder. Ich habe in den wenigen Wochen bereits gesehen, wie gut es ist, wenn man mit den einzelnen Clanführern, ja, auch den Drachen persönlich spricht. So habe ich beschlossen dieses Schloss hier aufzugeben.“ Er schwieg. Da er wohl auf ihre Meinung wartete, erwiderte sie geschmeichelt: „Ich darf Euch allerdings pflichtgemäß darauf aufmerksam machen, dass die Verwaltung eines Fürstentums auch allerlei Papiere beinhaltet, Schreiber und Bürokratie. Wollt Ihr dies alles in einem Tross mit Euch nehmen?“ „Nein. - Ich wollte dies Euch überlassen und Euch in das schwebende Schloss zurückschicken. Wenn ich von meinen Reisen dorthin zurückkehre, werdet Ihr – und unser Sohn - mir gewiss einen freundlichen Empfang bereiten.“ „Natürlich,“ murmelte sie automatisch, während ihre Gedanken rasten. Er wollte, ein Scherz war auszuschließen, ihr tatsächlich die Verwaltung all seiner Ländereien anvertrauen? Ihr die Erziehung seines Sohnes zumindest für die erste Zeit überlassen? „Allerdings....“ „Traut Ihr Euch das nicht zu?“ Das klang ein wenig spöttisch. „Ich bitte nur zu bedenken, dass der Herr des schwebenden Schlosses mein Vater ist. Und es sich auch dort noch um seine Ländereien handelt.“ Der Taishou lächelte etwas: „Teuerste, sagt mir nicht, dass Ihr mit ihm nicht fertig werdet. Vergesst nicht, Ihr handelt, was den Westen betrifft, in meinem Auftrag und auf meinen Befehl. Sollte Euer Vater Euch widersprechen – Ihr seid die Regentin.“ Und ein Vorgehen gegen sie Hochverrat. Natürlich. „Ich habe lange mit Tomi gesprochen. Trotz allem Recht zur Rache wird er im Süden nicht mehr gern gesehen sein. Ich schlug ihm vor, dass er mit Euch arbeitet und er willigte ein. Er hat wohl in Euch eine würdige Herrin erkannt.“ Er zog etwas hervor: „Ich habe auch noch etwas für Euch.“ Sie starrte auf die Kette aus weißen Perlen mit einem schwarzen Stein als Anhänger daran. Es waren nicht die Perlen, die sie faszinierten, sondern das Medaillon. Sie konnte dort die Energie der anderen Welt spüren. „Ihr habt Recht,“ sagte er und richtete sich etwas auf, um ihr die Kette über den Kopf zu streifen: „Dieses Medaillon kann den Weg in die andere Welt öffnen. Ich brachte diesen Stein von einer meiner Reisen mit. Dies und die Grundlage für ein oder zwei magische Schwerter. Ich bin sicher, dass Ihr es weise benutzt, denn das Medaillon könnte nicht zuletzt unseren Sohn in Gefahr bringen. Aber es ist einer Frau würdig, die einen Dämonenfürsten besiegte.“ „Ich danke Euch. - Wann wünscht Ihr die Umorganisation vorzunehmen?“ „Ich werde Kodoro einen Boten senden. Sobald im schwebenden Schloss genug Platz ist, werdet Ihr umziehen. Selbstverständlich nicht vor der Geburt. Auch, wenn ich dies hier aufgeben will, so soll mein Sohn doch unter dem Dach seiner Vorfahren geboren werden.“ „Und...wenn es eine Tochter wird?“ „Auch recht. - So werden wir uns wohl erneut um einen Erben bemühen müssen, meine Teure. Überdies habt Ihr bewiesen, dass auch in weiblichen Hundedämonen einiges steckt.“ Da das auch die Zusage beinhaltete, ein Mädchen nicht umbringen zu wollen, meinte sie nur: „Natürlich, mein Gebieter. Wie Ihr wünscht.“ Doch, dachte er, er konnte ihr vertrauen. Schon im Interesse ihres Sohnes würde sie die Verwaltung ordnungsgemäß führen und er hätte eine intelligente Gesprächspartnerin. Warum also hatte er plötzlich das Gefühl etwas zu vermissen? Das war sicher nur ein Gefühl der Müdigkeit nach den Aufregungen der letzten Zeit. Welche andere Frau könnte ihm noch mehr bieten? *** Hiermit endet diese Episode aus der Vergangenheit. Da auch der Krimi beendet ist, beginnt am nächsten Sonntag eine neue Brüdergeschichte: Ein guter Tag zum Sterben. Ich würde mich freuen, wenn ihr einen Blick hineinwerft. bye hotep Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)