Wolfsträume von Scarla ================================================================================ Prolog: Ein Traum ----------------- Ich hatte einmal einen Traum. In diesem Traum stand ich inmitten von so viel Schnee, wie ich es niemals zuvor, und auch niemals danach jemals wieder gesehen hatte. Ich stand da, es war windstill und der Vollmond, umschlossen vom vielfarbigen Nordlicht, schimmerte am Himmel. Der Schnee blitzte und glitzerte, als wäre er mit tausenden Kristallen bestreut und reflektierte die Farben, die am Himmel leuchteten. Ich weiß nicht mehr, warum ich es tat, doch irgendwann drehte ich mich um. Ob es ein Geräusch gewesen war? Eine Ahnung? Oder das Wissen, dass dort etwas sein würde, was niemals jemand vor mir sah? Ich weiß es nicht, letzten Endes ist es auch egal. Ich drehte mich also um und sah sie. Eine weiße Wölfin. Auch sie war in die Farben des Nordlichts getaucht und schimmerte, wie mit Diamanten bestreut. Sie schaute mich an, ohne sich zu rühren, ohne zu blinzeln. Man hätte sie für eine Statue aus Schnee halten können, doch ihre wunderbaren Augen, die von einem inneren Feuer glühten und in denen sich die ganze Welt zu spiegeln schien, sprachen ihrem stillen, sehnsuchtsvollen Warten Lüge. Sie lebte, und sie wartete auf mich. Es hätte wohl Stunden gedauert, bis ich gewagt hätte, ihr zu folgen, doch es war ein Traum und so kam es mir wohl bloß so vor, als stünden wir bis in die Unendlichkeit der Zeit still da, bis ich letztlich tat, was sie wollte. Ich ging zögernd zu ihr, wartete, dass sie sich in Luft auflösen mochte, denn wie nur sollte so eine Wölfin Wirklichkeit sein? Sie war so schön, so edel, wie es niemals zuvor ein Wesen auf Erden gewesen war. Doch sie verschwand nicht, denn sie erwartete mich. Schließlich stand ich vor ihr, so nahe, dass ich bloß die Hand hätte ausstrecken brauchen, um sie zu berühren, aber ich wagte es nicht. Es wäre gewesen, als hätte ich dem Winter selbst meine Hand gereicht. Ja, sie war der Winter. Es war der Winter, der auf mich wartete, und den ich niemals zu berühren gewagt hätte. Da hob sie den Kopf und begann mit ihrem Lied, mit dem Lied der Einsamkeit und des Todes, voll grausamer Schönheit. Und ich stimmte mit ein, denn auch ich war zum Wolf geworden. So besangen wir Beide mit Hingebung den vollen Silbermond. Ich weiß nicht, wie lange, es muss eine weitere Unendlichkeit gedauert haben, doch irgendwann schließlich senkten wir unsere Schnauzen und als ich mit meinen Augen, die die Farben des Nordlichts angenommen hatten, wieder den Blick des anderen Wolfs suchte, da wurde sie in alle Winde verweht, als hätte es sie niemals gegeben, als war sie wirklich nur ein Wesen, gemacht aus Schneeflocken, Wirklichkeit geworden, nur für einen Augenblick, um dem Zauber des Augenblickes gebührend begegnen zu können. Ich wollte nicht, dass sie ging, ich lauschte mit meinen Ohren, die in die samtene Farbe des Nachthimmels getaucht waren, nach ihrem sehnsuchtsvollen Lied der Trauer, doch kein Laut mehr war zu hören. Nur das Rauschen des Windes. Da begriff ich, dass sie mich wirklich verlassen hatte, doch das wollte ich nicht, ich wollte, dass sie bei mir blieb, denn ich hatte das Gefühl, sterben zu müssen, wenn sie nicht wiederkam. Ich lief los, so schnell ich nur konnte, auf meinen Pfoten, so weiß glitzernd, wie der Schnee. Ich lief und lief, solange, bis der Morgen die schier ewig währende Nacht verscheuchte. In der Ferne sah ich eine Stadt und wusste, dass ich die Wölfin nicht mehr finden würde. Sie mied die Menschen und ihre Sterblichkeit. Doch ich konnte nicht mehr zurück, ich konnte nicht mehr weiter laufen. Meine Glieder waren schwer wie Blei und meine Pfoten hinterließen blutige Abdrücke im strahlenden Weiß. Ich legte mich in den Schnee und schlief ein. Als ich erwachte, war ich immer noch ein Wolf und ich war bei Maya. Doch… war es denn wirklich nur ein Traum gewesen…? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)