Wolfsträume von Scarla ================================================================================ Kapitel 4: Die Versammlung -------------------------- »So kommen wir nicht weiter, und schon gar nicht zum Ende«, brummte einer der Südenlords. »Hört auf, euch zu streiten!« Doch natürlich hörten der Prinz von Osrya und der Inselkönig des Westmeeres nicht auf, sondern legten eher noch einmal nach. Und sogleich riefen alle Könige, Prinzen, Grafen, Fürsten und Lords durcheinander, sodass man das eigene Wort kaum noch verstand. Die Zauberer, die dieser Versammlung beiwohnten, seufzten tief und warfen sich viel sagende Blicke zu. Da stand Nikolai auf und gebot mit einer sachten Geste um Ruhe, die auch augenblicklich eintrat, denn niemand hätte es gewagt, die Stimme gegen ihn zu erheben. »Es wurden kluge Worte gesprochen, doch niemand hat sie gehört. So finden wir kein Ende, also wäre meine Bitte, nun nacheinander zu sprechen und einander nicht ins Wort zu fallen.« Auf seine Worte herrschte zustimmendes Schweigen, sodass er lächelte und fortfuhr. »Nun, es gibt Sprecher, und es gibt Denker, die wahr vorzügliche Idee haben, sie aber nicht auszusprechen wagen, bei so viel Trubel. Also lassen wir doch einmal die Denker zu Wort kommen. Prinz Fjodor von Lanta, wollt Ihr beginnen?« Tariq bemerkte im ersten Moment nicht einmal, dass jemand das Wort an ihn richtete. Er war es nicht gewohnt, mit vollem Namen angesprochen zu werden, so dauerte es einen Augenblick, bis er begriff, nickte, aufstand, und das Wort erhob. »Ich habe eine Weile oben im Norden gelebt, deswegen weiß ich, was ein wirklicher Winter mit der Natur tut. Ich habe niemals einen schöneren Sommer gesehen, wie jene, die nach einem besonders langen Winter folgten. Ich weiß, wie gut es den Menschen geht, wenn sie nur wissen mit dem Winter umzugehen. Sie sind nicht schlechter dran als wir, nur weil sie mehr Schnee haben und häufiger mit der Kälte leben müssen. Deswegen stimme ich den Bitten der Zauberer im Namen meines Vaters zu. Das Land um Lanta wird sich auf einen kalten Winter einstellen müssen. Allerdings habe ich Bedingungen, die wir jedoch zu späterer Stunde klären sollten«, schloss der junge Mann und setzte sich wieder. Nikolai nickte dankbar, denn er wusste, dass Lanta einen großen Einfluss auf die anderen haben würde. Er deutete Nea weiterzumachen. »Die Idee als solche ist gut. Selbst den Jüngeren wie mir ist schon aufgefallen, dass sich das Land verändert hat und das nicht zum Guten. Aber das ändert nichts daran, dass wir das Übel bei der Wurzel packen müssen. Wir müssen irgendwie herausfinden, was geschehen ist, dass der Winter immer kürzer und immer wärmer wird.« Sie zögerte einen Moment und schüttelte dann bedauernd den Kopf. »Allerdings weiß ich nicht, wie…« »Womit wir beim Kern des Problems wären…«, murmelte Nikolai und schaute auffordernd zu Lugh Akhtar. »Hast auch du noch etwas zu sagen, Makani?« Der junge Zauberer, der zuvor nur dumpf brütend vor sich hin geblickt hatte, schrak aus seinen Gedanken auf. Scheu warf er erst Nikolai, dann der Runde um sich herum einen kurzen Blick zu und stand dann zögernd auf. Unruhig, langsam und vorsichtig lief er die Längsseite des Tisches ab und stellte sich an die Stirnseite, genau vor das große Fenster. Von dem Platz aus, wo er vorher gesessen hatte, hätte ihn kaum ein Bruchteil der Anwesenden sehen können, hier war er für jeden gut erkennbar und, was ungleich wichtiger war, er hatte das offene Fenster im Rücken, das ihm eine Fluchtmöglichkeit gab. Es gab zwar weit und breit nichts, wovor er hätte flüchten müssen, doch ein Teil seiner Selbst war noch immer der weiße Wolf, der auf so eine Möglichkeit bestand. »Nun, ich möchte mit einem Traum beginnen, den ich einst träumte. Er gehört zu dieser Sache, denn in diesem Traum bin ich dem Winter begegnet.« Seine Stimme, sonst ruhig und leise, erhob sich kraftvoll und laut. Seine Worte klangen durch den Raum, wie Musik und es gab nicht einen, der ihm nicht gespannt und wie verzaubert gelauscht hätte. Selbst der Wind schien den Atem anzuhalten. Da begann er zu erzählen. Er erzählte von seinem Traum in der Schneeweite, wie er mit dem Winter das Nordlicht besang und wie verzweifelt er war, als der Winter ging. Und wie er als Wolf erwachte. Nachdem er geendet hatte und der Zauber seiner Worte verblasst war, erhob sich lautes, spöttisches Lachen überall im Saal. Nicht nur die unzähligen Menschen lachten, sondern auch die Zauberer, denn sie wussten, dass er mit dieser Geschichte die Frage heraufbeschwören wollte, ob es wirklich ein Traum gewesen war. Und alleine, dass er nur für eine Sekunde daran glaubte, dass es Wirklichkeit sein könnte, war für sie so abwegig, dass sie ihn auslachten. Doch Lugh Akhtar wäre nicht er selbst gewesen, hätte er sich von so etwas irritieren lassen. Statt sich zu grämen lächelte er nur still vor sich hin, bis sie zu Ende gelacht hatten. »Ihr lacht mich aus. Ich habe nichts anderes erwartet. Wenn man etwas nicht versteht, dann lacht man darüber, oder man bekämpft und tötet es. Aber nicht alle sind so. Kinder nicht. Was sie nicht verstehen, das erkunden sie und begegnen neuen Dingen mit einem offenen Herzen. Es gibt hier ein kleines Mädchen in der Stadt, als sie erfuhr, dass der Winter kürzer wird, >weniger< wird, da stellte sie die Vermutung an, dass wir den Winter vielleicht beleidigt haben mögen. Auch sie stellt sich den Winter als lebendes, denkendes Wesen vor. Wieso ist es in euren Augen nur so abwegig?«, fragte er. Darauf herrschte Stille. Sie wussten nicht, worauf er hinaus wollte. »Nun, wenn der Winter wirklich denkt und fühlt, wie wir es tun, dann müsste es ein mächtiges Wesen sein. Und etwas, das so mächtig ist, wird immer und zu allen Zeiten unverstanden und gefürchtet sein, außer von Kindern und von jenen, die ihm ebenbürtig sind. Und glaubt mir, ich weiß wovon ich spreche«, erklärte er und schüttelte dann sacht den Kopf. »Das jedoch ist es nicht, was ich eigentlich sagen will. Das nämlich geht noch einen Schritt weiter. Was ist, wenn sie recht hat? Was ist, wenn mein Traum wahr ist? Und was ist, wenn wir es ignorieren…?« »Wenn Ihr recht habt, dann spielt es keine Rolle, ob wir es wahrnehmen oder verleugnen, denn den Winter Höchstselbst finden wir nicht«, meinte ein König aus dem Osten. »Außerdem ist es nicht wahr, der Winter kann nicht lebendig sein. Wenn du solche Vermutungen anstellst, dann tu es nächstes Mal nicht ohne Beweise, wenn du nicht abermals ausgelacht werden, und unsere Zeit verschwenden willst«, fauchte ein Graf aus dem Westen, dem man ansah, dass er dies alles für Zeitverschwendung hielt. Da lachte Lugh Akhtar laut und hell auf. »Ich hatte letzte Nacht noch einen Traum. Auch diesmal war wieder der Winter zugegen. Er sprach mit mir. Ich weiß nicht mehr, worüber genau, aber er bat mich darum, dass ich zu ihm kommen soll. Ich weiß nicht, wieso, aber ich habe vor zu gehen«, antwortete er. Nikolai runzelte die Stirn, und auch alle anderen wirkten seltsam irritiert. Doch bat der alte Meister seinen ehemaligen Schüler bloß leise darum, nach der Versammlung noch einmal zu ihm zu kommen. Doch Lugh Akhtar lächelte nur viel sagend und erklärte leise: »Ich habe Beweise.« Damit ging er wieder auf seinen Platz zurück, ohne auf die Fragen zu antworten oder irgendwen eines Blickes zu würdigen. Der Rest der Versammlung verlief in einer solch nervösen Unruhe, dass man sich schnell darauf einigte, sie auf den nächsten Tag zu verlegen. So verließen die hohen Herren einer nach dem anderen den Saal und nur Nikolai, Tariq, Nea und Lugh Akhtar blieben zurück. Es schien so, als wollte Nikolai auch Nea und Tariq hinaus schicken, doch bevor er auch nur eine Silbe sprechen konnte, hatte Lugh Akhtar schon sacht den Kopf geschüttelt. »Es gibt kein Geheimnis, das zu teilen ich nicht mit ihnen bereit wäre, also kannst du frei sprechen«, meinte er und Nikolai nickte Schicksalsergeben. »Gut, dann spreche ich offen… Makani, glaubst du wirklich, dass es wahr ist, was du erzählst? Ich meine… der Winter soll denken?« »Ja. Der Winter ist zu mir gekommen in der Gestalt einer weißen Wölfin, in deren Augen sich die ganze Welt spiegelt. Ich weiß nicht, wieso sie nicht mehr jedes Jahr zu uns kommt, aber ich weiß, dass ich es herausfinden kann, wenn sie es nur zulässt, dass ich sie finden mag. Und wenn sie sich nicht von mir finden lässt, von wem denn dann?« »Aber es waren Träume, Lugh Akhtar!«, warf Nea ein und auch Tariq schien nicht überzeugt. Sie beide standen auf Nikolais Seite. Da lachte der junge Mann abermals laut auf. »Nein Nea, das waren sie nicht. Das sind sie nie. In keinem Traum der Welt würde uns der Winter gegenübertreten, in keinem Traum kannst du ihr begegnen. Es war die Wirklichkeit, doch erscheint es einem wie ein Traum, weil ich mir niemals anmaßen würde, dass der Winter wirklich zu mir kommt.« Darauf schwiegen die anderen, nur Tariq erhob seine Stimme. »Nimm es mir nicht übel, mein Freund, aber ich mag an deinem Verstand zweifeln. Ich glaube, dass ich in deiner Gegenwart mehr phantastische Dinge sah, als jemals ein Mensch zuvor, doch dies hier scheint mir doch gar zu unglaublich…« Doch wieder lächelte Lugh Akhtar nur sanft und gar nicht böse. Es schien, als könnte ihn kein Wort der Welt erschüttern. »Makani… du wirkst dir deiner Sache so sicher. Wieso? Woher nimmst du diesen unbeirrbaren Glauben?«, wollte Nikolai wissen. Da zog Lugh Akhtar ein goldenes Halsband hervor. In den metallenen Plättchen waren sanft leuchtende blaue Steine eingelassen und in der Mitte baumelte jener blaue Stein, den Tariq ihm gab. »Weil ich Beweise habe.« »Was ist das?«, fragte Nikolai erstaunt. »Ein Geschenk des Winters. Der Stein ist kalt, als wäre er aus Eis, aber er ist es nicht. Er ist härter, als alles, was ich jemals in Händen hielt«, lächelte der Zauberer. »Hast du es mit Magie versucht?« Nikolai streckte die Hand nach dem Halsband aus, doch Lugh Akhtar verbarg es mit der anderen Hand. »Es besteht aus reiner Magie. Aber es ist ein anderer Zauber, als jener, dem wir uns sonst bedienen, deswegen weiß ich noch nicht, wie ich ihn kontrollieren kann, und auch nicht, wie er auf andere Zauberer reagiert. Es könnte dich töten, mich hätte es fast getötet, als ich es das erste Mal berührt habe. Diese Magie denkt bewusst, man kann sie nicht einfach so beeinflussen. Sie hat mich als den erkannt, zu dem sie gehen sollte, deswegen tat sie mir nichts. Ich würde mich nicht darauf verlassen, dass es mit dir ebenso ist«, lächelte er überlegen. »Dann will ich es auch nicht versuchen, ich vertraue auf dein Urteil. Aber wieso nur glaubst du, dass es vom Winter an dich gegeben wurde?« »Weil sie es mir gesagt hat. Dieser Stein wird mir helfen, sie zu finden. Deswegen werde ich gehen.« Er drehte sich zu seinen Freunden um. »Werdet ihr mich begleiten?« Erstaunt betrachteten Nea und Tariq den Stein. Für sie Beide erschien es so unglaublich, was sie gehört hatten, doch ließ Lugh Akhtars fester Glaube auch sie daran glauben, dass es Wahrheit war. »Ich werde mit dir ziehen, mein Freund«, sagte Tariq schlussendlich. »Nea…?« Er schaute die junge Frau fragend an. »Ich, ich… weiß… nicht…« Unsicher blickte sie zu Boden. Dann sprach sie weiter und hörte sich dabei ein wenig schnippisch an. »Ich meine... natürlich, du brauchst mich, aber…« Da blinzelte Lugh Akhtar erstaunt. Nikolai und Tariq warfen ihnen verwirrte Blicke zu, doch keiner der Beiden machte Anstalt, irgendetwas zu erklären, stattdessen lachte der junge Zauberer leise. »Och nein, Nea… das meinst du jetzt nicht ernst, oder?«, fragte er belustigt. »Was genau soll ich nicht ernst meinen?«, fauchte sie leise. Der junge Zauberer schüttelte sachte den Kopf, lächelte aber unbeirrt weiter. »Lass uns das nachher klären, Nea. Dann bist du gewiss nicht mehr sauer«, lachte er leise und verließ ohne weiteres den Saal. »Was war denn?«, fragte Tariq sogleich neugierig, doch sie warf ihm nur einen vernichtenden Blick zu und ging dann ebenfalls ihrer Wege. »Nun, Prinz Fjodor, dann solltet Ihr Euch auf Eure Reise vorbereiten. Ich weiß nicht, was Makani genau vor hat, aber ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass es nicht unbedingt angenehm sein wird, für Euch«, stellte Nikolai fest. Tariq nickte seufzend und folgte seinen Freunden. Zu guter Letzt verließ auch der alte Zauberer den Saal. Er schloss die Türen hinter sich und seufzte. Wie sollte das nur am nächsten Morgen weiter gehen…? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)