Wolfsträume von Scarla ================================================================================ Kapitel 7: Angst, Entschlossenheit und Zögern --------------------------------------------- Unendlich. So wirkte das Land, das sich bis zum Horizont vor Lugh Akhtar, Nea und Tariq erstreckte. Weit über den Erdboden mit einem niedrigen Himmel und nichts als einer ewigen Grasebene zwischen dem Hier und dem Dort, wirkte es, als würde es kein Ende geben. Die Wolken wirkten so nahe, als müsse man nur die Hand ausstrecken, um die zu berühren. Seit einer schieren Ewigkeit standen sie schon so da, und schauten einfach. Der Aufstieg hatte den ganzen Tag gedauert, doch alleine für diese phantastische Aussicht hatte es sich für die Drei mehr als nur gelohnt. »Wieso ist dort kein Schnee?« Tariq war der erste, der sich wieder regte. Er schaute fragend zu den beiden Zauberern, doch schien es, als hätten sie ihn nicht gehört. Er runzelte verwundert die Stirn, da fielen ihm die Sehnsucht und die Hoffnung in den Augen der beiden auf. Doch er wusste nicht, wonach sie sich sehnten und nicht, welche Hoffnung es war. »Lugh Akhtar, Nea. Hört ihr mir zu?«, fragte er laut. »Ich denke, die Mauer schützt das Gebiet vor dem Schnee«, antwortete Nea abwesend. »Nein, immerhin trägt der Nordwind den Schnee mit sich. Er kommt von hier.« Er schaute sie stirnrunzelnd an. »Dann weiß ich es nicht.« Sie seufzte und wandte den Blick ab, schaute zu dem Prinzen und zu Lugh Akhtar. »Wollen wir weiter?« »Wir müssen dieses Seil suchen, von dem ihr gesprochen habt. Meint ihr wirklich, dass es existiert?« Der Zweifel in der Stimme des jungen Mannes war überdeutlich. »Wir brauchen es nicht«, antwortete Lugh Akhtar unvermittelt und drehte sich um. »Wieso?«, wollte Nea mit gerunzelter Stirn wissen. »Ich bin ein Zauberer. Also, werde ich zaubern«, lächelte er. »Lugh Akhtar.« Die Zauberin seufzte. »Hier gibt es keine Magie, hier kannst du nicht zaubern.« »Weiß ich wohl, aber…« Er schaute wieder auf die weite Ebene. Dann schüttelte er entschieden den Kopf. »Es würde zu lange dauern, wer weiß, wo die Verantwortlichen es versteckt haben. Vertraut mir.« »Das kommt ganz darauf an, was du nun tun willst«, antwortete Tariq misstrauisch. Da lächelte er, machte einen Schritt zurück, und ließ sich einfach fallen. Er hörte ihre entsetzten Schreie und sah, wie sie sich so weit über den Rand beugten, wie irgend möglich, ohne selbst zu fallen. Er sah die Panik und die Fassungslosigkeit in ihren Augen, doch er lächelte immer noch. Er fiel zwar, doch er spürte wie sich etwas um ihn herum verdichtete und ihn langsamer werden ließ. »Danke«, flüsterte er und umschloss mit der Hand den Stein, der zu glühen begonnen hatte. Er drehte sich und breitete die Arme aus. Der Weg nach unten war weit, und da er nicht mit voller Geschwindigkeit fiel, dauerte es eine Weile, bis er angelangt war, doch dieses Gefühl vom Fliegen ließ ihn die Zeit vollkommen vergessen. Er landete sacht im weichen Gras. Als er an der Mauer hinaufblickte sah er, dass Nea und Tariq zu ihm wirklich Vertrauen hatten, und auch schon fast unten angelangt waren. Er wandte sich von der Mauer ab und lief ein Stück über die Ebene, um ein Gefühl für das neue Land zu bekommen. »Wohin… gehen wir jetzt?« Die Stimme der jungen Zauberin zitterte und als er zu ihr zurück blickte, merkte er, dass sie noch immer eine riesige Angst hatte. Sie war ihm wohl nicht freiwillig gefolgt. Und auch Tariq machte einen sehr verschreckten Eindruck. »Lasst uns erst einmal hier bleiben, damit ihr euch erholen könnt. Ihr seht aus, als wärt ihr eben einem Toten begegnet«, bemerkte Lugh Akhtar und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Haha«, machte Tariq böse und ließ sich auf den Hosenboden fallen. Auch Nea ließ sich zu Boden sinken. »Wir müssen uns trotzdem überlegen, was wir nun tun. Und wie wir wieder zurück kommen können. Warum hast du nicht gewartet, bis wir zumindest das überlegt hatten?«, meinte sie vorwurfsvoll. »Weil es keinen Sinn macht, sich darüber jetzt schon Gedanken zu machen, Nea. Wir werden es wissen, wenn es an der Zeit dafür ist. Jetzt aber werden wir einfach nach Norden gehen und schauen, was wir finden«, antwortete er. »Du hast absolut keine Ahnung, was du hier eigentlich willst und lässt deswegen alles einfach auf dich zukommen, ja?«, fasste Tariq zusammen. »Genau so ist es.« Lugh Akhtar lächelte. »Das hab ich befürchtetet.« Der Prinz seufzte tief. Eine Weile blieben sie noch dort, dann jedoch machten sie sich auf den Weg nach Norden. Die Ebene zu durchqueren hätte eigentlich Tage in Anspruch nehmen müssen, doch der junge Zauberer wusste nun, wie er die Magie aus dem Stein in entsprechende Bahnen bringen konnte, sodass sie kaum länger brauchten, als den Rest des Tages. Die Magie, die sie sonst kannten, kam nicht wieder, deswegen war er auf den Stein angewiesen. Es war schon dunkel und das Nordlicht glitzerte am Himmel, als sie sich in einer kleinen Waldschonung niederließen. Hier waren sie geschützt vor dem Wind und vor dem Schnee, der ganz unverhofft über sie hereingebrochen war. Es hatte zwar bloß ein paar Stunden geschneit, doch die weiße Decke war dick und dicht und federte ihre Schritte ab. »Meint ihr, hier sind wir sicher?«, fragte Nea leise. Das waren die ersten Worte, die einer von ihnen seit ihrem Aufbruch sprach. »Als Menschen sind wir hier nirgendwo sicher…« Lugh Akhtar biss sich auf die Unterlippe. Man sah ihm an, dass ihn etwas beschäftigte. »Was ist?«, fragte Tariq deswegen auch gerade heraus. »Wir… je weiter wir nach Norden kommen, desto kälter wird es werden. Als Menschen können wir hier nicht überleben«, erklärte er unglücklich. »Und was sollen wir dagegen tun?« »Das weiß ich ja nicht. Mir fällt nichts ein.« Er strich nachdenklich über die Erde. »Verwandle uns in Tiere«, meinte Nea fest. »Was?« Die beiden jungen Männer schauten sie verwundert an. »Tiere leben hier, ich habe Vögel gesehen. Als Tiere haben wir weniger Probleme. Oder zumindest sind sie anderer Natur. Um das hier halbwegs unbeschadet zu überstehen, nehme ich auch die vielfarbigen Augen gerne in Kauf«, erklärte sie und wirkte dabei seltsam entschlossen. Für einige Momente schien es, als wollte er darauf etwas antworten, doch dann zog sich Lugh Akhtar wieder in sich selbst zurück, wie eine Schildkröte in ihren Panzer. »Sie hat recht. Mit Flügeln wären wir sehr viel schneller und ein dichter Pelz würde uns vor Wind und Kälte schützen«, stimmte ihr Tariq zu und schaute den Zauberer eindringlich an. »Das weiß ich wohl, aber das ist nicht so einfach…«, widersprach er, doch Nea unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Ein Leben als Verwandelt gekennzeichnet ist einem Tod in dieser Eiswüste eindeutig vorzuziehen. Welche Bedenken kann man da noch haben?«, wollte sie schroff wissen. »Nea, wir haben hier keine Macht. Weder du noch ich. Ich weiß nicht, ob ich die Steinmagie davon überzeugen kann, unsere Gestalt zu verändern. Und selbst wenn, Vögel sind für mich ganz und gar ausgeschlossen, du kennst die Verwandlungsgesetze. Zudem habe ich als Tier keine Macht mehr, weder hier, noch drüben. Dein Zauber war vonnöten, mir meine Gestalt wieder zu geben, schon vergessen?« Er schüttelte langsam den Kopf. »Um unser Aussehen mache ich mir als letztes Sorgen.« Darauf schwiegen die Beiden, jedoch nicht für lange. »Versuch es trotzdem«, bat Tariq. »Lieber bleibe ich als Tier hier, denn als Mensch dort.« Er deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Lugh Akhtar schaute ihn lange an. Er brauchte nicht lange suchen, ein Blick in die braunen Augen des Prinzen reichte schon, um die Entschlossenheit und den Ernst zu entdecken, und damit auch das Wissen, dass Tariq zu dem stand, was er sagte. Doch er brauchte eine Zeit, um sich gewiss zu sein, dass der Prinz seine Meinung auch nicht wieder ändern würde. »Nea, wie denkst du darüber?« Er wandte sich zu der Zauberin um. »Ich habe Angst. Ich glaube, ich hatte niemals zuvor vor irgendetwas so große Furcht, wie vor diesem Land und dem, was es für Schrecken bergen mag. Aber nun bin ich hier. Und ich habe mich dazu entschlossen, meine Angst nicht übermächtig werden zu lassen, sondern lebend, und erfolgreich in Altena ein zu marschieren, um diesen Ignoranten zu zeigen, wie dumm es war, sich über dich lustig zu machen.« Entschlossen und ernst suchte sie seinen Blick und hielt ihn fest. Lugh Akhtar war tief beeindruckt. So etwas hätte er von Nea nicht erwartet. Sie gab so schnell auf und fand sich mit dem Unvermeidlichen so schnell ab. Doch dies Mal trat sie fest und ohne einen Zweifel zu lassen auf. »Also soll ich es versuchen?«, fragte er leise. »Ja. Ein Leben ist in jeder Form kostbar, also soll es mich nicht grämen, es als Tier zu verbringen. Solange ihr an meiner Seite seid, übersteh ich jede Gefahr.« »Gut. Aber ich verspreche nichts. Es kann sein, dass es einfach nicht genügend Magie ist, dass sie nicht stark genug ist, obwohl sie so mächtig ist. Vielleicht kann ich sie auch einfach nicht überzeugen. Es kann funktionieren, oder nicht«, antwortete er. Er schloss die Augen und konzentrierte sich schon, da meldete sich Tariq zu Wort. »Warum legt ihr eure Kräfte nicht zusammen und nutzt mich wieder als Stärkung? So wie damals, als wir Lugh Akhtar wieder zum Menschen machten. Ich meine, es unterscheidet sich nicht allzusehr und wir sind alle da. Der Kraftgeber, der Verstärker und der Lenker«, warf er ein. »Weil diese Art der Magie eine andere ist. Ich kann sie nicht manipulieren oder gar kontrollieren. Ich bin rein auf ihr Wohlwollen angewiesen. Es könnte euch töten, weil sie euch nicht leiden mag. Ich möchte dieses Risiko nicht eingehen.« Er wusste noch zu genau, wie nahe er dem Tod war, als er den Stein berührte. Ein falscher Gedanke hätte gereicht, und er wäre ins Totenreich eingekehrt. »Ich bin dazu bereit. Wenn es uns Erfolg bringt, werden wir leben, wenn du es alleine nicht schaffst, dann ist es sowieso einerlei, dann sind wir dem Tod versprochen.« Nea rutschte vor Lugh Akhtar, der sie erstaunt anblickte. »Lass es uns gemeinsam versuchen.« Der Zauberer jedoch zögerte. Sie hatte recht, mit allem, was sie sagte, doch diese Skrupellosigkeit, die sie plötzlich an den Tag legte, erschreckte ihn. Auch Tariq wirkte mehr als nur irritiert. »Nea, was ist los? Das bist doch nicht du, die dort spricht«, erklärte Lugh Akhtar gerade heraus. »Wer soll es sonst sein?«, erkundigte sie sich bissig. »Ich bin nur so, wie es meinem wahren Wesen entspricht. Hier muss ich mich nicht mehr verstecken.« Der Zauberer runzelte vielsagend die Stirn. »Ich glaube nicht, dass es deinem wahren Wesen entspricht. Aber nun gut, dann lass es uns versuchen.« Er ergriff sanft und zögernd Neas Hand. Er spürte, wie heftig ihr Herz schlug, und auch, wie sie zitterte. Natürlich, es war Angst, die aus ihr sprach. Da drängelte sich Tariq zwischen sie und nahm jeweils eine Hand von ihnen. »Wenn, dann gemeinsam«, lächelte er. So schlossen sie endlich die Augen und konzentrierten sich. Lugh Akhtar zögerte eine ganze Weile, bis er die Magie losließ, doch dann strömte sie schnell und erschreckend stark durch ihre Körper. Er wusste nicht, was genau mit ihnen geschah, er merkte nicht, ob sich sein Körper veränderte, oder ob etwas anderes geschah. Er spürte nur die Macht des Zaubers, Tariqs Entschlossenheit zu seiner rechten, und Neas übermächtige Angst, gegen die sie tapfer ankämpfte, zu seiner linken. Es hatte kaum einen Augenblick gedauert, bis sich die Magie wieder in den Stein zurückzog, doch kam es ihnen vor, als wären Jahrhunderte vergangen. Erschöpft sanken sie zu Boden, und ohne dass einer von ihnen etwas sagte, oder auch nur die Augen öffnete, kamen sie stillschweigend darin überein, dass sie nun schlafen mochten. Am liebsten tausend Jahre lang. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)