Wolfsträume von Scarla ================================================================================ Kapitel 10: Cinder ------------------ »Also, fassen wir noch einmal zusammen. Das hier ist das Gebiet des Schattenfangrudels und sie nennen sich so, weil sie sich mit den >dunklen Schattenzähnen der Nacht< vergleichen? Hab ich das jetzt so richtig verstanden?« Tariq schaffte es, trotz seiner Wolfsgestalt, so irritiert und zweifelnd auszusehen, wie es sonst wohl nur ein Kind vermochte. »Ja. Alle Rudel vergleichen sich hier mit irgendetwas. Es gibt auch noch das Eisfellrudel, das Nordwindrudel und das Blutmondrudel. Die zumindest kenne ich«, antwortete Sly. »Also, gibt es noch mehr? Sind sie Einzelgängern eher freundlich oder böse gesonnen?«, fragte Lugh Akhtar und hob schnüffelnd die Nase in den Wind. »Mir und Ice haben sie nie etwas getan, aber wir waren nur zu zweit. Wenn sie ab und an mal ein Kaninchen an uns verloren, war ihnen das ziemlich gleich. Wir haben uns beim Jagen immer auf die Rudelgebiete verteilt«, berichtete Sly. »Wo wir nun aber zu fünft sind, könnte sich das ändern?« »Genau. Das Eisfellrudel hat eine recht eigenwillige Anführerin, sie hat uns zwei immer schon nur unter Vorbehalt geduldet«, führte der Fuchswolf weiter aus. »Warum habt ihr euch nie einem Rudel angeschlossen? Dann hätte euch das doch nicht mehr weiter gestört«, fand Nea. »Im Prinzip hast du recht, das Blutmondrudel besteht sogar nur aus Leuten wie uns. Aus Verwandelten. Sie hätten uns sofort aufgenommen, aber… mir reicht Ice als Gesellschaft, was anderes als Kaninchen brauche ich nicht im Magen und die festen Rudelgebiete sind auch nichts für meine auf Freiheit drängende Seele.« Sly grinste unsicher. »Ja, kann ich gut nachvollziehen.« Lugh Akhtar bewegte sich geschmeidig an ihm vorbei, dabei glitzerte sein Fell und schien so zu leuchten, wie sonst nur der Schnee um sie herum. »Dann sollten wir aber schnell weiter, ich möchte eher ungern Bekanntschaft mit einem bösen Wolfsrudel machen«, bemerkte Tariq. Er zögerte kurz, bevor er hinzufügte: »Die fressen Menschen…« Darauf folgte ein solcher Heiterkeitsausbruch seitens Lugh Akhtar und Sly, dass er verdutzt stehen blieb und die Ohren angelegte. »Das sind Kindermärchen, Tariq. Es hat niemals einen Wolf gegeben, der einen Menschen bewusst und voller Absicht jagte und zur Strecke brachte«, erklärte der weiße Wolf und spreizte die Ohren lachend von sich. »Und woher sind dann die Geschichten?«, brummte der Prinz unwillig. »Unfälle. Du könntest genauso gut behaupten, dass Zauberer Menschenkiller wären, bloß weil irgendwann irgendwo irgendein Zauberer versehentlich mit einem Zauber tötete«, fügte Sly hinzu. Tariq wollte eben antworten, da fegte Ice über eine Schneewehe hinweg auf sie zu. Dabei legte er ein solches Tempo vor, dass Lugh Akhtar sich sicher war, in einem Wettrennen niemals eine Chance gegen den blauen Wolf haben zu können. »Cinder hat Ärger mit Fang, auf welcher Seite stehen wir?« Er legte die blauen Ohren an und sein Blick sagte eindeutig, dass Sly nun nichts Falsches antworten sollte. »Cinders Seite«, antwortete der Fuchswolf und ohne ein Wort der Erklärung fegten die Beiden von dannen. Tariq, Nea und Lugh Akhtar folgten, nachdem sie ihre Überraschung überwunden hatten. Ihr Weg war auch nicht weit, da hörten sie schon wütendes Geschrei und Geknurr. Als sie die nächste Schneewehe erklommen hatten, sahen sie die Kontrahenten auch. Auf der einen Seite stand eine haselnussfarbene Wölfin, hinter der sich fünf verschiedenfarbige Wölfe aufgestellt hatten. Ihr gegenüber stand ein vierköpfiges Rudel, dem sich auch Sly und Ice angeschlossen hatten. Angeführt wurde es von einer aschgrauen Wölfin mit einem weißen Halbmond auf der Stirn. Als Lugh Akhtar sie sah, blieb er wie vom Donner gerührt stehen. Er kannte die Wölfin, zumindest schien sie ihm so vertraut, wie kaum ein Wesen zuvor. Nea und Tariq blieben ebenfalls stehen und blickten ihn fragend an. Doch er erklärte nicht, stattdessen liefen sie zu dritt die Schneewehe hinab und blieben zwischen den Wölfinnen stehen. Hier sah er nun auch, dass die Braune, die wohl Fang heißen mochte, grasgrüne Augen hatte. Und er sah, dass seine Augen ihn nicht getäuscht hatten. Die aschfarbene Wölfin trug stolz einen weißen Halbmond auf der Stirn, ihre Augen waren von unterschiedlicher Farbe und sie wirkte ihm so seltsam nahe. Einige Augenblicke blickten sie sich schweigend an, dann trat der weiße Wolf zurück, wobei ihm Cinder und Fang mit ihren Blicken folgten. »Noch mehr Verstärkung für dich, ja? Obwohl du dich im Unrecht befindest!«, fauchte die Braune böse und machte zwei steife, drohende Schritte zwischen Lugh Akhtar und die graue Wölfin. Dabei blickte sie den weißen Wolf böse an. »Ich kenne die drei nicht«, antwortete Cinder kalt. »Aber ich kenne die Grenzen meines Territoriums.« »Dann halte dich auch an sie!«, schnappte Fang und warf sich zähnefletschend herum. »Das tue ich! Das ist Schattenfang-Gebiet! Nur weil wir es euch die letzten Jahre überließen, bedeutet es noch lange nicht, dass wir es euch komplett überlassen!«, fauchte Cinder zurück, bevor sie sich zähnefletschend Lugh Akhtar, Nea und Tariq zuwandte. »Was euch betrifft: Sagt mir, was ihr hier auf fremdem Gebiet zu suchen habt oder verschwindet!« Lugh Akhtar schaute sie für eine Weile einfach nur still an, bevor er antwortetet: »Ich möchte mit dir reden, wenn ihr euren Streit ausgetragen habt.« Dann wandte er sich um, lief etwa fünf Meter weit und legte sich dann in den Schnee. Nach kurzem Zögern folgten seine Freunde langsam und ließen sich neben ihm nieder. Cinder beobachtete den weißen Wolf noch einen Moment, dann wandte sie sich wieder der knurrenden Fang zu. »Verschwindet friedlich, oder wir machen dir Beine«, knurrte sie kalt. Fangs Antwort bestand darin, dass sie Cinder an die Kehle sprang. Die jedoch hatte damit gerechnet und wich problemlos aus, nur um postwendend ihrerseits Fang zu attackieren. Nur Augenblicke später bissen und kratzten sie einander, während die anderen Rudelangehörigen ihre jeweilige Leitwölfin durch lautes Jaulen anfeuerten. Dabei war das Fell gesträubt und sie sprangen tobend hin und her und pöbelten gelegentlich gegen das andere Rudel. Die Beißerei der Wölfinnen wurde dabei immer heftiger, bald schon stoben Fellfetzen durch die Luft und Blut färbte den Schnee rot und noch immer ließen sie nicht voneinander ab. Nea und Tariq wollten dazwischen gehen, sie konnten es sich nicht länger mit ansehen, dass keiner etwas tat, doch Lugh Akhtar hielt sie auf, indem er sich ihnen in den Weg stellte. »Bleibt hier, ihr würdet ihnen nicht helfen, wenn ihr dazwischen geht«, sprach er leise, während es nun so aussah, als erhielte Fang nun die Oberhand. Sie stand über Cinder, die Lefzen zurückgezogen, sodass ihre weißen Zähne gefährlich blitzten. Doch die graue Wölfin war noch nicht besiegt. Sie zog alle vier Beine an sich, nur um sie anschließend in den sandfarbenen Bauch der Kontrahentin zu rammen. Fang wurde davongeschleudert und Cinder stürzte sich sogleich auf sie und verbiss sich in ihren Hals. Den hielt sie gepackt, bis Fang laut kreischte und als sie losließ, rannte sie davon, ihr Rudel hinterher. Sogleich nahmen Cinders Wölfe die Verfolgung auf, drehten nach ein paar Metern jedoch wieder ab, um ihre Leitwölfin zu feiern. Die jedoch richtete ihre ganze Aufmerksamkeit Lugh Akhtar zu. Während Blut weiter ihr dunkles Fell verklebte oder rot im Schnee aufleuchtete, trat sie zu ihm und setzte sich ihm gegenüber nieder. Die anderen Wölfe sammelten sich in einem Halbkreis, wobei Sly und Ice ganz außen saßen. Tariq und Nea ließen sich zu beider Seiten ein wenig hinter dem weißen Wolf nieder, sodass sie ein wenig wie seine Leibgarde wirkten. »Du wolltest mit mir sprechen. Sag, was immer du mir zu sagen hast.« Sie klang nicht unfreundlich, als sie das sagte. Lugh Akhtar blickte erst lange in ihre unterschiedlichen Augen. Eines war golden wie der Mond, das andere war… seltsam. Es leuchtete ebenso hell und strahlend, und doch wirkte es seltsam stumpf. Es dauerte einige Sekunden bis er begriff, dass sie auf dem Auge blind war, und eigentlich verriet es ihm auch nur ihr Ohr auf der gleichen Seite. Sie lauschte damit viel mehr auf ihre Umwelt, als mit dem anderen. Und je länger er sie auch dieses Mal anblickte, desto vertrauter schien sie ihm. Er erkannte an ihrem Blick, dass es ihr nicht viel anders zu ergehen schien. »Mein Name ist Fjodor, ich bin ein Zauberer von jenseits der Mauer«, stellte er sich mit seinem richtigen Namen vor. »Das an meiner Seite sind Nea und Tariq, meine Freunde.« Sie nickte verstehend, doch wusste er nicht, wie er weiter sprechen sollte. Alle Worte schienen ihm so seltsam nichts sagend. Da kamen ihm Ice und Sly zu Hilfe. »Sie sind wie wir, nur dass sie nicht hier bleiben werden«, sprach Ice, der auf ihrer blinden Seite saß. »Sie suchen nur jemanden, wenn sie ihn gefunden haben, werden sie zurückkehren«, fügte Sly hinzu und lächelte. »Ihr sucht jemanden? Dann solltet ihr euch an Blutmond wenden, dort…«, begann sie, doch Lugh Akhtar schüttelte langsam den Kopf. »Es ist keine Person im eigentlichen Sinne. Wir suchen den Winter.« Der weiße Wolf lächelte leicht. Doch nun geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Anstatt zu spotten und zu lachen schaute ihn Cinders Rudel geradezu ehrfürchtig an und auch die aschgraue Leitwölfin selbst schien verblüfft. Dann fiel ihr Blick auf sein Halsband und den Stein, der daran baumelte. Sie stand auf, machte zwei Schritte auf ihn zu und wollte den Stein mit ihrer Nase berühren, als Lugh Akhtar vorsichtshalber vor ihr zurückwich. »Ich denke nicht, dass es klug wäre, den Stein zu berühren, seine Macht könnte dich zermalmen«, erklärte er und neigte entschuldigend den Kopf. »Glaubst du?«, fragte sie lächelnd und stupste nach dem Stein. Kaum hatte sie ihn berührt, da leuchtete er hell auf, jedoch spürte der weiße Wolf, dass es ein positives Leuchten war. Die aschfarbene Wölfin schien so vertraut mit der Magie des Steines. »Wer bist du nur?«, fragte er leise. »Jemand, der den Winter kennt«, antwortete Cinder leise und lächelte wölfisch. Es schien erst, als wolle der weiße Wolf weitere Fragen stellen, doch stattdessen nickte er sacht. »Haben wir die Erlaubnis auf dem Territorium des Schattenfang-Rudels zu bleiben?«, fragte er leise. »Vielleicht«, antwortete sie und zuckte launisch mit einem Ohr. »Welche Bedingungen stellst du?« »Nur die, dass du mir auf meine Fragen mit wahrem Wort antwortest. Sollte mir die Antwort jedoch nicht gefallen, musst du ebenfalls gehen.« Sie stand auf und wandte sich langsam um. Während sie noch den Kopf drehte und ihm ihr sehendes Auge zuwandte, legte sie ihre Rute in einer verführerischen Geste auf die Schulter. »Komm mit mir, ich möchte mir deine Antworten alleine anhören.« Zögernd und erst nach einem fragenden Blick zu Sly und Ice erhob er sich. Sie lief voran und er folgte ihr durch die weite Schneelandschaft, bis sie zu einem Wäldchen kamen. In der Mitte erhob sich ein großer Felsen, darauf ließ sie sich nieder. Er setzte sich zu ihren Füßen nieder und schaute fragend zu ihr auf. »Deinen wahren Namen?«, begann sie in einem selbstgefälligen Anführertonfall. »Mein Geburtsname ist Fjodor, aber ich denke, mein wahrer Name ist Lugh Akhtar.« »Woher hast du den Stein?« »Von dem schwarzen Wolf, Tariq. Er ist ebenso wie ich ein Mensch. Er fand ihn eines Tages auf der Fensterbank mit der Nachricht, dass er für mich sei.« »Wieso suchst du den Winter?« »Weil sie mir ein paar Mal schon im Traum erschien. Sie bat mich, dass ich zu ihr kommen möge.« »Und wieso…« Ihre Augen blitzten und er erkannte, dass alles von Beginn an nur auf diese Frage hingelaufen war. »Wieso kenne ich dich? Und woher kennst du mich?« Sie stellte erwartungsvoll die Ohren auf. Darauf schwieg der weiße Wolf und dachte lange nach. »Kennst du die Schatten in deinem Kopf? Du weißt, dass du sie kennst und du weißt ebenso, dass sie wichtig sind. Und trotzdem kannst du den Gedanken nicht fassen, als wäre er eben nur ein Schatten. Ich kenne den Halbmond auf dunklem Fell, aber mehr als dieses Wissen ist noch nicht da.« Er senkte nachdenklich den Kopf. »Ich verstehe, was du meinst, mir geht es ebenso«, flüsterte sie. Dann schüttelte sie entschieden den Kopf. »Bleibt auf Schattenfang-Gebiet, so lange ihr es wünscht. Ich muss zu meinem Rudel zurück und du zu deinen Freunden. Lass uns gehen.« Sie sprang vom Felsen hinab und lief stolz erhobener Rute voran. Und er folgte ihr, wissend, dass er es bis ans Ende der Welt tun würde, sollte sie so weit laufen. Und er verstand nicht einmal, wieso. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)