Wolfsträume von Scarla ================================================================================ Kapitel 11: Der schwarze Wolf ----------------------------- Cinders Rudel bestand aus sieben Wölfen. Jeweils zwei Rüden und zwei Wölfinnen hatten dem Kampf beigewohnt, ein weiterer Rüde und zwei Wölfinnen waren zurückgeblieben. Eine dieser verbliebenen Wölfinnen mit rötlichen Flecken an den weißen Beinen und einem dick geschwollenem Bauch kam ihnen entgegen. »Cinder, bist du schwer verletzt worden? Sie haben nichts erzählen wollen!«, fragte sie fürsorglich und leckte der Leitwölfin über das Gesicht. »Nein Leila, mach dir keine Sorgen um mich«, beruhigte Cinder sie geduldig. »Dann ist ja gut…« Sie setzte sich erleichtert auf eine komplizierte Art und Weise nieder und erst jetzt verstand Lugh Akhtar, dass der dicke Bauch daran lag, dass sie Nachwuchs erwartete. Das verwunderte ihn ein wenig, normalerweise war es die Leitwölfin, die die Jungen gebar. Nur kurz darauf kam der Rüde zu ihnen, der nicht an den Streitereien teil genommen hatte. »Cinder, Artemis war hier. Sie möchte eine Versammlung einberufen, sie wird dir Bescheid geben, wann genau. Ansonsten möchte sie mit dir über die drei Streuner sprechen, die hier neu aufgetaucht sind«, erklärte er, schaute dabei Lugh Akhtar an und zuckte mit den Ohren zu Nea und Tariq, die unsicher bei Sly blieben. »Sie dürfen auf unserem Gebiet bleiben, alle drei«, beantwortete die Leitwölfin seine unausgesprochene Frage. Dann wandte sie sich dem weißen Wolf zu. »Ich spreche mit Artemis, es sollte kein Problem darstellen, dass ihr auch in ihr Rudelgebiet dürft. Blutmond wird euch sowieso freudig aufnehmen, wenn ihr dort eure Geschichte zum Besten gebt. Einzig dem Gebiet der Eisfelle solltet ihr euch fern halten«, meinte sie. »Wieso ist Fang Fremden gegenüber so… unaufgeschlossen?«, erkundigte er sich. »Ist sie grundsätzlich gar nicht, aber ihr Rudel besteht aus vierzehn Wölfen, es ist doppelt so groß wie meines. Dazu haben sie im Moment heranwachsende Welpen und es ist Winter. Eisfell kann es sich einfach nicht leisten, Beute zu teilen. Vermutlich wird es bei ihnen auch so schon Tote geben«, antwortete Cinder, während sich Sly, Ice, Nea und Tariq zu ihnen gesellten. »Dann hättest du ihnen das Gebiet überlassen sollen«, fand Nea vorwurfsvoll. »Tue ich doch«, fand die aschfarbene Wölfin. »Sie kennen die hiesigen Sitten nicht, sie wissen nicht, was du getan hast«, mischte sich schnell Sly ein, der sich sogleich an Nea wandte. »Das Gebiet ist vom Schattenfangrudel, allerdings dürfen die anderen Rudel, besonders die Eisfelle, dort jagen. Damit sie das Gebiet allerdings nicht komplett übernehmen, müssen die Schattenfang die anderen ab und an daran erinnern, wessen Terrain es eigentlich ist. Damit sie, sollte es jemals nötig sein, die Jagdrechte nicht an die anderen abgetreten hat, ohne es zu wollen«, erklärte er. »Also… war das eigentlich gar nicht ernst gemeint?«, fragte Tariq vorsichtig. »Bei richtigen Gebietskämpfen kämpft das ganze Rudel und es gibt durchaus Tote und Verletzte«, merkte Ice an. Nea sah entsetzt aus und auch Tariq kauerte sich ängstlich nieder. »Es sind Wölfe, für sie gehört der Tod viel mehr dazu, als zu uns Menschen«, versuchte Sly zu erklären, doch Nea blitzte ihn wütend an. »Ja, wer weiß, wie viele du schon auf dem Gewissen hast…«, knurrte sie böse. Sly war zutiefst verletzt, das sah man ihm nur allzu deutlich an. Er schaute sie noch einen Moment lang an, dann wandte er sich ab und ging ohne ein Wort. »Das war sehr, sehr unfair von dir«, merkte Ice an, der genau zu wissen schien, wer Nea war. Er blitzte sie böse und verächtlich an, bevor er Sly hinterher lief. Wohl um ihn zu trösten, doch sicher war Lugh Akhtar sich nicht. Bei Ice war er sich nie ganz sicher. »Ich… muss das nicht verstehen, nehme ich an?«, erkundigte sich Cinder zögernd. »Nein. Das eben war typisch für die menschliche Rasse, es war eine typische Verhaltensweise. Die solltest du weder verstehen, noch annehmen. Wann meinst du, kannst du mit Artemis sprechen? Ich möchte… das ganze schnell hinter mich bringen und dann nach Hause gehen.« Lugh Akhtar fühlte sich mit einem Mal überfordert. Er spürte all die alten Selbstzweifel wieder aufkommen und sehnte sich vom Herzen wieder zurück in seine Hütte, die so weit abseits der großen Städte lag, dass man ihn in Ruhe ließ. Die einzigen Gedanken, die er sich dort machen musste, waren die, wann wohl der Schneesturm sich so weit beruhigt haben mochte, dass die Bewohner der Umgebung ihm wieder gefahrlos gegenübertreten konnten. »Morgen, wenn sie nicht vorher schon zu uns kommt.« Cinder streckte sich und stupste den Rüden freundschaftlich in den dicken Pelz. »Gibt es noch irgendetwas, das ich wissen sollte?« »Nein. Leila geht es gut und anderen Besuch hatten wir nicht«, erklärte er. »Gut. Ich… möchte gerne mit dir ein paar Dinge besprechen, River. Komm mit.« Sie lief davon, ohne abzuwarten, ob er ihr auch folgte. Lugh Akhtar wandte sich seinen Freunden zu. »Ich denke, wir sollten uns ein gemütliches Fleckchen suchen und etwas schlafen. Bis Morgen können wir wohl sowieso nichts tun.« Tariq nickte, doch Nea schien woanders mit ihren Gedanken. »Mach dir keine Sorgen, Sly wird nicht lange böse sein«, riet er ins Blaue hinein, doch so, wie sie zuckte und ihr schuldbewusster Blick dazu, sagte deutlich, dass er richtig geraten hatte. Jedoch ging keiner weiter darauf ein, stattdessen suchten und fanden sie einen Ort, an dem sie sich zum Schlafen niederlegen konnten. Es war schon späte Nacht, als Lugh Akhtar wieder erwachte. Cinders Rudel schlief ganz in der Nähe, an seiner Seite lag Nea und schlief fest. Er hörte den Schrei einer Eule, doch die würde ihm wohl kaum gefährlich werden. Doch da war noch ein anderes Geräusch, als wenn leise Pfoten durch den Schnee schlichen, und er musste an das gefleckte Ungetüm denken, das Ice verscheucht hatte, als sie gerade erst angekommen waren. Das war wirklich gefährlich gewesen. Er stand auf und beschloss sich die Sache einmal genauer anzusehen. Er folgte den leisen Schritten, bis hinter eine Schneewehe, dann verklangen sie. Er hob die Nase in den Wind, doch einzig der Geruch des schlafenden Rudels, nun außerhalb seiner Sicht, lag in der kalten Luft. Er wandte sich zum Gehen, als er eine Bewegung hinter sich gewahr. Langsam und ohne Hast, wissend dass ihm nichts geschehen würde, drehte er sich um. Ein Wolf, den er im schwachen Licht der Aurora am Himmel für Cinder hielt, stand vor ihm. Jedoch sah er die Unterschiede fast ebenso schnell. Dieser Wolf besaß nachtschwarzes Fell, kein graues, das konnte er trotz des schummrigen Lichtes erkennen. Außerdem besaß er eine andere Fellzeichnung und seine Augen… sie hoben sich fast nicht vom Leuchten des Himmels ab, sie waren… wie seine eigenen. Jene Nordlichtaugen, die nur ganz besondere Wesen in ihrer verwandelten Tiergestalt trugen. Wonach es sich genau richtete, war ihm unbekannt, doch war ihm dennoch klar, dass sein Gegenüber nicht irgendwer sein konnte. »Hallo, Fjodor«, begrüßte ihn der schwarze Wolf, auf dessen Stirn ebenso der Halbmond prang, wie der Cinders. »Woher kennst du meinen Namen?«, wollte Lugh Akhtar wissen, doch der schwarze Wolf ging nicht darauf ein. »Ich will dir helfen, dich zu erinnern. Du hast mich fast schon vergessen, das ist nicht gut«, erklärte er stattdessen. »Ich habe dich vergessen?« Der Wolf wirkte ihm ebenso vertraut, wie auch Cinder schon, doch dass es schlecht sein sollte, dass er sich nicht erinnerte, das fand er nun doch übertrieben. »Deswegen bin ich hier. Ich bin immer bei dir, wenn du meine Hilfe benötigen solltest. Vergiss das nicht. Vielleicht bin ich nicht als Gestalt da, aber bei dir bin ich dennoch. Es ist wichtig, dass du das nicht vergisst«, sprach der Fremde so eindringlich, dass der weiße Wolf unwillkürlich zwei Schritte zurück trat und die Ohren anlegte. »Wieso?«, fragte er, fast schon verzweifelt, doch er erhielt keine Antwort mehr. Stattdessen nickte der Schwarze zufrieden und löste sich in Dunkelheit auf. Verblüfft starrte Lugh Akhtar auf die Stelle, an der der schwarze Wolf nur Sekunden zuvor noch gestanden hatte, doch zeugten nur noch die Pfotenabdrücke von seiner Existenz. Er schaute sich um, hielt Ausschau nach weiteren Abdrücken, doch die einzigen, die er noch gewahr, waren seine eigenen. Eigentlich hätte er nicht einmal verwundert sein dürfen, denn auch der Winter kam und ging auf dieselbe Art und Weise, wie es ihm beliebte, doch der Winter manifestierte sich aus dem Schnee, der zu Haufen lag. Der schwarze Wolf schien nicht einmal das zu benötigen. Und er hatte ihn verwirrt. Eine ganze Weile noch blieb Lugh Akhtar so in der eiskalten Winternacht stehen, schaute auf den, vom Nordlicht glitzernden, Schnee. Irgendwann zogen – von ihm ganz unbemerkt – Wolken auf, verschluckten das zauberhafte Glitzern und es fing an zu schneien. Da hob er die Schnauze, spürte, wie weiße Schneeflocken auf seiner schwarzen Nase landeten und merkte, wie sie sich in seinem ebenso weißen Fell verfingen. Da spürte er ein Lachen in seiner Kehle und er ließ es frei. Ein bellendes Lachen, das laut, aber seltsam dumpf und abgeschirmt über den Schnee hallte. »Ich hab dich nicht vergessen, Zauberer! Ich hab für eine Weile nicht an dich gedacht, doch vergessen habe ich dich nie!«, rief er in die schneehelle Nacht hinaus. Als ihn ein leichter Wind umwehte und ihm ein glockenhelles Lachen schenkte, da wusste er, dass der schwarze Wolf ihn gehört hatte. Und dass er erleichtert und zufrieden darüber war. Mit einem Lächeln im Mundwinkel kehrte er zu den Anderen zurück. Alles schlief noch ebenso tief und fest, wie sie es getan hatten, als er gegangen war. Er legte sich wieder zu Nea und leckte ihr liebevoll über die Schnauze. Ihn überfiel eine Welle der Zuneigung, während er die rote Wölfin beobachtete. Und ein Gefühl, das ihm bisher unbekannt gewesen war. Es ging tiefer als die Zuneigung, die er empfand. Viel tiefer. Er konnte es nicht einordnen, doch war es ihm unangenehm. Und mit diesem wunderbaren Gefühl in sich schlief er langsam ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)