Wolfsträume von Scarla ================================================================================ Kapitel 15: Das zweite Treffen der Leitwölfe -------------------------------------------- Lugh Akhtar zitterte vor Aufregung. Nervös blickte er zu Sly und Ice hinüber, die genauso aufgeregt wirkten, wie er auch. Da stupste ihn Soul aufmunternd in die Seite und blitzte ihn freundlich an. »Ganz ruhig, so schlimm ist eine große Versammlung auch wieder nicht«, fand sie und lächelte. »Ist es überhaupt rechtens, wenn wir dabei sind?«, fragte er unsicher. »Ja, keine Sorge. Bei einer großen Versammlung dürfen alle Wölfe teilnehmen, die möchten, nicht nur die Leitwölfe, wie bei einer kleinen Versammlung«, erklärte sie. »War eure Mutter eigentlich sehr sauer, dass ihr sie so lange belogen habt?«, wollte der weiße Wolf unvermittelt wissen, und traf dabei unbewusst einen wunden Punkt. Soul senkte den Blick und wirkte bedrückt. »Es… hätte schlimmer kommen können«, fand sie und trat von einem Bein aufs andere. »Wieso, was hat sie getan?« Lugh Akhtar rieb seine Schnauze an ihrer. »Nichts… nichts, was man ändern könnte.« Sie zog sich vor ihm zurück, machte einen Schritt von ihm weg. »Soul, wenn ich irgendetwas tun kann…«, begann er, doch sie schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, kannst du nicht. Es… es ist egal.« Sie schaute zu Cinder hinüber, die auf das Tal hinab blickte, in dem die Versammlung stattfinden würde, aber in just diesem Augenblick aufstand. »Lasst uns gehen«, rief sie, ohne zu den anderen zurück zu blicken. Als Lugh Akhtar neben sie trat, sah auch er, dass die Versammlung wohl bald beginnen würde, denn abgesehen von den Sternenfängern waren schon alle da. So sprangen sie über den Rand hinweg und stürzten die steile Böschung hinab zum Rest der Wölfe. Alle Leitwölfe hatten noch mindestens zwei Begleiter dabei, sodass es viele verschiedene Tiere waren, die auf das letzte Rudel warteten. Das ließ auch nicht lange auf sich warten, da stürzten drei Wölfe, vorne weg eine nachtschwarze Wölfin, hintendrein ein grauer Rüde und eine hübsche Braune lief an ihrer Seite. Während der Graue und die Braune zwischen die anderen liefen, blieb die Schwarze mit den durchdringenden, kalten Magentaaugen ein wenig außerhalb auf einem kleinen Felsen stehen. »Sind alle da?«, fragte sie herrisch und blickte einmal herablassend über die Menge. »Ihr wart die letzten«, merkte Hunter, ein okerfarbener Rüde, der als Leitwolf der Lichtfänger auftrat, an. »Gut. Ihr fragt euch sicher, was geschehen ist, dass ich eine große Versammlung einberufe, nicht wahr?« Duana genoss es sichtlich, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. »Dann erzähl mal, Schätzchen. Ich für meinen Teil habe noch anderes zu tun.« Ikaika lief leichtfüßig direkt zum Felsen und setzte sich vor Duana. Ein unwilliges Zucken ihres Ohres bezeugte, dass ihr das so gar nicht recht war, doch sie sagte dazu nichts. Stattdessen schnaubte sie böse und fuhr fort. »Es geht darum, dass Nordlicht nicht mehr so eifrig ihre Dienste tut, wie sie es sonst immer getan hat. Und auch Schnee war die letzten Wochen nicht gerade fleißig.« Duana setzte sich und ordnete ihre Rute um die Pfoten herum. »Ist doch egal. Wenn sie ihre Arbeit nicht tun, dann ist das eine Sache des Winters, das geht uns nichts an«, fand Artemis. »Im Prinzip hast du recht, das kann aber auch bedeuten, dass sie beide bald…«, Cinder suchte nach Worten. »Ausgetauscht werden müssen?«, half Fang weiter. »Ich hätte es zwar ein wenig anders ausgedrückt, aber ja, im Prinzip meine ich genau das«, nickte Cinder. »Danke mein Kind, genau darauf wollte ich hinaus.« Duana warf Cinder einen liebevollen Blick zu. »Dann ist das aber auch nicht unsere Sache, auch das entscheidet der Winter«, mischte auch Cloud sich ein. »Aber was ist, wenn der Winter es nicht entscheiden will? Oder kann? Weil sie schwach und krank ist?«, überlegte Soul. Sie hatte kaum die letzte Silbe beendet, da stürzte sich Duana auf sie und biss ihr heftig in die Schulter. Die schwarze Wölfin ließ zwar auch sofort wieder von ihr ab, aber Ice war trotzdem sofort zwischen den beiden schwarzen Wölfinnen, noch bevor ein anderer reagieren konnte. »Sei ruhig, du kleines Aas«, fauchte Duana böse und ihre Augen blitzten. »Hör auf, so gegen sie anzugehen, sie hat genauso viel Recht hier zu sprechen, wie du«, bemerkte Ikaika, während er an Duana und Ice vorbei zu Soul ging. Er fragte sie leise etwas, woraufhin sie den Kopf schüttelte, aufstand und an den Rand der Gruppe schlich. Sly und Ice begleiteten sie. »Ja, Grundsätzlich hat sie es, aber das war auch keine Reaktion zwischen gleichberechtigten, sondern das habe ich eben als Mutter getan. Und als solche darf ich ihr durchaus den Mund verbieten, Ikaika.« Duana sprach den Namen wie eine Beleidigung aus. Doch Ikaika ignorierte diese Anfeindung. Da wurde Lugh Akhtar eines bewusst: Entweder mochte man den schwarzen Wolf, oder man tat es nicht. Allerdings gab es hier nur schwarz und weiß, kein grau. Es gab kein >Vielleicht<, oder >Ich weiß nicht<. Es gab nur zwei Aussagen, die man über Ikaika treffen konnte. »Dann erziehe deine Töchter nicht mehr in meiner Gegenwart auf diese Art und Weise, das nächste Mal schaue ich nicht zu«, antwortete der mit gebleckten Zähnen. Daraufhin erhob sich ein leises Knurren. »Es ist nicht üblich eine so hochrangige Leitwölfin wie Duana so offen anzufeinden«, erklärte ihm Cinder leise, als er gerade ebenfalls etwas sagen wollte. »Aber es war nicht richtig, was sie getan hat«, antwortete er leise. »Das liegt nicht in deinem ermessen, zu entscheiden, Lugh Akhtar. Verschiedene Arten zu Leben bedeutet auch immer, ein verschiedenes Empfinden von Recht und Unrecht. Ich finde es auch nicht gut, wenn meine Mutter meine Schwester so hart angeht, aber ist trotzdem in Ordnung so«, fand die aschfarbene Wölfin. Lugh Akhtar starrte sie irritiert an. Meinte sie wirklich, was sie sagte? Ihm schien das unbegreiflich. Eine Mutter, die die eigene Tochter so behandelte, und die anderen hießen das auch noch gut? Er schüttelte entschieden den Kopf. »Eure… Welt ist schwer zu verstehen«, fand er und wandte sich ab. Er wollte eine mögliche Antwort von Cinder gar nicht hören. Zumal Ikaika und Duana aufgehört hatten, sich gegenseitig anzufauchen. Stattdessen hatte sich River zaghaft zu Wort gemeldet. »Was ist denn nun der Grund, dass wir hier sind?«, fragte er ruhig. »Nun…« Die schwarze Wölfin trat unruhig von einer Pfote auf die andere. »Soul hat recht. Der Winter hat mich darum gebeten, dass wir die nächsten Nachfolger bestimmen, sollte es sich als nötig erweisen. Sie hat zu tun, sie erwartet wichtige Gäste.« »Mehr müssen wir nicht wissen, komm mit«, flüsterte Cinder Lugh Akhtar ins Ohr. Sie drängelte sich zwischen den Leibern hindurch zu Soul, Ice und Sly, die ein wenig abseits warteten. Er folgte ihr, zwar eher unwillig, aber er tat es. »Was haben sie noch besprochen?«, fragte Sly, kaum dass die beiden in Hörweite waren. »Nichts, was für uns von Bedeutung wäre. Oder hast du vor, dich dem Rudel des Winters anzuschließen, wenn… einer aus ihrem Rudel stirbt?« Cinders Blick wurde abweisend. »Dem Rudel des Winters?«, fragte der weiße Wolf erstaunt. »Du wirst es verstehen, wenn wir bei ihr sind«, meinte Soul mit belegter Stimme. »Was tun wir jetzt?«, wollte Sly weiter wissen. »Wir gehen weiter. Solange Duana nicht da ist, werden die anderen uns bestimmt in Frieden ziehen lassen«, meinte Cinder. »Und wenn nicht?« Ice setzte sich neben Soul. »Dann hoffe ich, dass ihr ein dickes Fell und scharfe Zähne habt, um euch zu verteidigen«, knurrte die aschgraue Wölfin schlecht gelaunt und stand auf, um den anderen voran weiter zu laufen. Die anderen folgten nicht sofort, stattdessen warfen sie Soul einen fragenden Blick zu. »Ich weiß nicht, was mit ihr los ist«, antwortete die, denn sie hatte die Blicke richtig verstanden. »Sie macht sich Sorgen um Nalani.« River war ganz unbemerkt zu ihnen getreten. »Wer ist Nalani?«, wollte Sly wissen. »Sie war Leittier von Schattenfang, als wir Beide uns dem Rudel anschlossen. Als das Nordlicht damals starb, hat der Winter sie ausgesucht. Cinder mochte Nalani ausgesprochen gerne, die beiden waren einander so nahe, wie Schwestern… nichts für ungut.« Er nickte entschuldigend in Souls Richtung. »Schon in Ordnung. Warum hat mir Cinder nie von ihr erzählt?« Soul trat näher an River heran. »Ich denke, weil sie dich nicht kränken wollte. Sie wollte nicht, dass du dich unerwünscht fühlst, nur weil sie eine solch gute Freundin gefunden hatte. Aber mit Sicherheit kann ich das nicht sagen. Den wahren Grund kennt wohl nur Cinder selbst.« »Du sagtest Leittier. Nicht Leitwolf. Wieso?«, fragte Lugh Akhtar ganz unvermittelt. »Weil Nalani kein Wolf war. Sie war eine Polarfüchsin, dir nicht ganz unähnlich…«, bemerkte River und betrachtete den weißen Wolf mit einem seltsamen Glanz in den Augen. »Wie meinst du das?«, wollte Sly sofort wissen und baute sich vor dem Leitwolf auf. »Es ist… schwierig zu beschreiben. Ich glaube, auch sie stammte von der anderen Seite der schwarzen Berge, aber ich habe sie nie gefragt. Ihre Augen waren… seltsam. Sie waren eigentlich schwarz, doch manchmal, wenn das Licht darauf fiel, dann schimmerten sie in einer anderen Farbe. Und ihr Fell schien immer einen Schimmer der Farben ihrer Umgebung zu haben. Als hätte das Land gewusst, dass sie einmal das Nordlicht sein würde und verzweifelt versucht, sich einen Platz inmitten ihres Pelzes zu suchen…« River schien in Gedanken. »Wieso hat ein Wolfsrudel eine Polarfüchsin als Leittier akzeptiert? Mich hat damals schon gewundert, dass sie Cinder angenommen hatten, obwohl sie nicht im Rudel geboren wurde. Aber wieso eine Füchsin?«, erkundigte sich Ice. »Ich weiß es nicht. Ich habe niemals darüber nachgedacht. Es war einfach so, und niemand hat es jemals angezweifelt. Es war einfach… richtig so. So, wie es richtig war, dass Nalani zum Winter gegangen ist. Oder wie es richtig ist, dass Lugh Akhtar hier ist. Versteht ihr? Es gibt Dinge, die sind einfach richtig, ohne dass man weiß wieso«, fand er und verzog die Schnauze zu einem sanften Lächeln. »Genauso, wie es Dinge gibt, die falsch sind. Und man kann dennoch nichts daran ändern«, nickte Soul und warf dabei dem weißen Wolf einen Blick zu, den man nur allzu leicht für Hass halten konnte. Doch er verstand, dass es tiefer ging. Sie hasste ihn nicht. Sie verstand nur etwas nicht und er konnte es ihr nicht erklären, obwohl sie sich sicher war, dass nur er allein auf der Welt die Macht hatte, ihr diese eine Frage zu beantworten. Es war Unsicherheit, von dem ihr Blick erzählte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. »Ihr solltet jetzt gehen. Cinder wird sich bestimmt schon wundern, wo ihr bleibt«, unterbrach River ihr stummes Zwiegespräch. »Eine Frage noch. Wenn ihr bestimmt, wer sich als nächstes dem Winter anschließt… wieso bist du dann nicht dort und berätst mit?«, wollte Ice unvermittelt wissen. »Weil ich nicht einmal dann gehen würde, wenn der Winter selbst mich darum bäte. Oder es mir befiele. Und wer stattdessen geht interessiert mich nicht wirklich.« »Hängst du etwa so sehr an dieser Welt?«, fragte Soul erstaunt. »Nein. Aber ich werde bald Vater«, antwortete River stolz. »Deswegen werde ich auch nach Hause gehen. Ich will Leila nicht allzu lange alleine lassen.« So verabschiedeten sie sich von ihm und zogen Cinder nach. Weiter nach Norden, dem Winter selbst entgegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)