Wolfsträume von Scarla ================================================================================ Kapitel 19: Winterkinder ------------------------ »Wiedersehen?«, fragte Cinder leise. Sie war zwar schon einmal hier gewesen, doch den Winter hatte sie dabei nicht getroffen. »Ja«, lächelte die weiße Wölfin. »Wieso zurück?«, erkundigte sich stattdessen Lugh Akhtar und musste gegen den Impuls ankämpfen, einige Schritte zurück zu weichen. Er wünschte sich, Kanoa an seine Seite zurück und war froh, dass Cinder und Soul dabei waren. »Weil ihr alle drei schon einmal hier gewesen seid«, lächelte der schwarze Wolf. »Es gibt gemütlichere Orte als die Heimat des Schnees und der Kälte für eine Unterhaltung«, bemerkte die Nacht plötzlich. »Den Mond vielleicht?«, spottete ein Wolf, der aus Nebel zu bestehen schien. »Oder ein Sternenfeld?«, lachte der Schnee. »Gemütlicher als hier ist es allemal«, antwortete der schwarze Wolf und bleckte die Zähne zu einem Grinsen. »Das Wasser ist heute gemütlich«, fand das Eis. Es war eine Wölfin, die aus scharfen Splittern zu bestehen schien. »Eine einfache Wiese wäre mein Vorschlag«, schaltete sich ein Wolf ein, dessen Fell so wirkte, als wäre es mit Eis überzogen und würde bei jeder Bewegung brechen. »Ruhe«, sagte darauf der Winter und alles schwieg. »Nacht, hat Duana schon entschieden, wer das Nordlicht wird?« »Nein. Darf ich sie bestimmen?«, fragte der schwarze Wolf. »Ja. Geh.« Darauf erhob sich unwilliges Gemurmel. Offensichtlich waren nicht alle damit einverstanden, dass die Nacht eine solch wichtige Entscheidung alleine treffen durfte, doch wagte keiner, offen zu widersprechen. »Jetzt geht. Ihr habt anderes zu tun«, bestimmte der Winter und die anderen Wölfe verschwanden. Die weiße Wölfin seufzte tief und schaute vielsagend zu Kanoa zurück, der sanft lächelte. »Sie werden sich niemals ändern.« »Ich weiß.« Sie wandte sich abermals ihren Gästen zu. »Bitte entschuldigt, aber gelegentlich benehmen sie sich nur zu gerne wie kleine Kinder.« »Warum darf Drafnar aussuchen, wer Nalanis Platz einnimmt? Wieso macht das nicht die Leitwölfin selbst?«, erkundigte sich Cinder angespannt. Sie wusste nicht, ob es ihr zustand, solche Fragen zu stellen. »Drafnar?«, fragte Soul darauf verwundert. »Ja. Er war unser Onkel, bevor er sich dem Winterrudel anschloss«, erklärte die aschgraue Wölfin knapp und blickte dann fragend in die Weltenaugen des Winters. »Das hat viele Gründe«, antwortete sie, während sie sich umwandte und mit einem Rutenzucken den Dreien deutete, ihr zu folgen. »Zum einen ist er am längsten in meinem Rudel und er war mir immer ein treuer Freund. Deswegen schon hätte ich keine Wahl ohne seine Meinung hingenommen, denn sein Rat war mir immer ein Guter. Zum anderen muss er mit ihr im Himmel wohnen und da wäre ein Wesen sinnvoll, mit dem er sich gut verträgt.« »Also bist du gar nicht diejenige, die alles bestimmt?«, erkundigte sich Soul fragend. »Nein, weiß Gott nicht. Ich nehme gerne den Rat eines anderen an, wenn er gut ist. Das macht einen weisen Herrscher aus. Nicht, dass ich mich als Herrscher über irgendetwas sehen würde«, erklärte sie und lächelte gütig. »Wenn du nicht herrschst, was tust du dann?« Lugh Akhtar zögerte bei jedem Schritt und war misstrauischer als die beiden Wölfinnen. Er lief etwa auf Höhe von ihrem Rücken. »Ich bin keine Königin oder gar eine Kaiserin. Ich bin der Winter, Fjodor. Ich herrsche über gar nichts, außer meinem eigenen Reich. Und auch hier herrsche ich nicht, sondern ich lebe hier einfach nur. Ich mache meine Arbeit könnte man fast sagen.« »Und wieso machst du sie nicht mehr jenseits der Mauer? Die Natur hat kaum noch Zeit, sich zu erholen.« Er verlor keine Zeit um auf den eigentlichen Punkt seiner Reise zu kommen. »Weil… es ist schwer zu erklären. Stell dir vor, es wäre Magie und wir wären vier Zauberer, die alle gleich gut mit ihr umgehen könnten. Jeder von uns hat eine bestimmte Zeit, um zu tun und zu lassen, was er möchte, bevor der nächste dran ist. Doch irgendwann verändert sich die Magie. Plötzlich bekommen drei der Zauberer mehr Zeit für ihr Wirken, ohne jedoch, dass es schlecht so ist«, versuchte die Wölfin zu erklären. »Du meinst, dass Frühling, Sommer und Herbst mächtiger werden?«, fragte Cinder bestürzt. »Ja, in gewisser Hinsicht schon. Aber das ist nicht immer schlecht. Ja, der Sommer ist nun stärker und ihre Macht wächst weiter, aber dafür habe ich Zeit, mich auszuruhen. Und wenn es an der Zeit dafür ist, werde dafür ich mehr Macht haben. Es ist alles im Gleichgewicht, es hat alles so seine Richtigkeit, und deswegen ist es nicht rechtens, wenn sich ein anderes Wesen darin einmischt.« »Du meinst die Zauberer?«, fragte der weiße Wolf und setzte seine Schritte noch zögernder. »Ja. Sie tun uns keinen Gefallen damit. Sie sollten uns einfach nur das tun lassen, was wir für richtig halten. Auch im Bezug auf ihre eigene Stadt.« Sie schaute ihn hart aus ihren sonst so gütigen Augen an. »Altena, ja.« Der weiße Wolf nickte zustimmend. »Ist es das, weswegen du mich her gebeten hast? Damit ich etwas gegen Altena unternehme?« Da lächelte der Winter gütig. »Nein, natürlich nicht. Im Gegenteil, vielleicht wirst du zu den Zauberern nicht wieder zurückkehren«, erklärte sie. Da blieb Lugh Akhtar stehen und legte knurrend die Ohren an. »Was hast du vor?«, grollte er. »Sie wird dir nichts Böses tun, Fjodor. Und es ist noch nichts entschieden, also, beruhige dich«, sprach Kanoa ruhig. »Was habt ihr vor?«, fragte er misstrauisch. »Nichts, zu dem du nicht nein sagen kannst und auch nichts, was dir irgendwie schaden wird«, lächelte der Winter. »Wieso sollte ich euch vertrauen?« Er setzte sich hin. »Du bist hier. Das wärst du nicht, wenn du dir nicht sicher wärst, dass dir nichts geschehen wird«, bemerkte der schwarze Wolf. Darauf senkte Lugh Akhtar zustimmend den Kopf und stand wieder auf. »Entschuldigt, aber man hat mir beigebracht, dass man sich nicht mit etwas einlassen sollte, was so viel größer ist, als man selbst. Es… hat nichts mit euch zu tun«, entschuldigte er sich und trat wieder zwischen Cinder und Soul. »Natürlich, es gibt so vieles, was ihr nicht verstehen werdet. Aber ich werde es euch erklären«, sagte der Winter sanft. »Wann?«, wollte Soul wissen. »Gleich«, antwortete sie. Und so plötzlich, wie sich alles in dieser Welt zu verändern schien, veränderte sich auch ihre Umgebung. Sie waren nicht mehr in der Schneelandschaft, sondern in einem Zimmer. Nein, vielmehr in einer Hütte, gebaut aus Holzstämmen. In einer Ecke stand ein Bett, in einer anderen waren Geschirr, Pfannen und Töpfe an der Wand angebracht und an der angrenzenden Seite war ein offener Kamin, in dem ein Feuer zischend und knackend Holzscheite verschlang. »Wo sind wir hier?«, fragte Soul erstaunt, aber nicht ängstlich. Die Angst, die Verzweiflung, die Unsicherheit waren von ihr abgefallen, wie Staub, den man sich gründlich aus den Kleidern geklopft hatte. »Zu Hause«, antwortete Lugh Akhtar ebenso erstaunt. Und er hatte recht. Sie standen in seiner Hütte in der Nähe der Stadt Forea, sehr weit im Norden seiner Welt. Hier lebte er für gewöhnlich. »Jenseits der schwarzen Berge?« Cinder hörte sich nicht begeistert an. »Ja. Aber wieso?« Er schaute sich fragend um. »Weil es hier so viel gemütlicher ist«, antwortete eine Frau, die auf dem Sofa vor dem Kamin saß. Ein Blick in ihre Augen verriet eindeutig, dass sie der Winter war, denn ihre Weltenaugen hatten sich nicht verändert. Doch war sie nun ein Mensch. Eine Frau, deren Alter unbestimmbar, einfach Zeitlos war. Ihre Haut war weiß wie Schnee, ihr Haar schimmerte blau wie Eis und ihr weißes Kleid schien aus Schneekristallen zu bestehen und glitzerte und glänzte dabei, wie es nicht einmal ein Diamant zu tun vermochte. »Du kannst deine Gestalt ändern?« Der weiße Wolf setzte sich vor ihr nieder. »Natürlich. Ich bin nicht, wie die Menschen«, lächelte sie zärtlich. »Kannst du jede Gestalt annehmen, die du dir wünschst?«, wollte Soul wissen. »Ja. Ich kann ein Mädchen sein. Oder eine Greisin. Eine Füchsin, eine Häsin. Oder eine Wölfin.« Sie verwandelte sich immer in jene Gestalt, die sie nannte. »Welches ist deine wahre Gestalt?«, erkundigte sich die schwarze Wölfin freundlich. »Jede. Keine meiner Gestalten ist wirklicher, als eine andere. Meine wahre Gestalt ist immer jene, die ich gerade besitze.« »Also, bist du alles. Und nichts.« »Eher das Nichts. Es gibt so vieles, was ein einfacher Mensch kann, was mir aber verwehrt bleibt.« Sie seufzte, schüttelte dann aber sanft den Kopf. »Ihr habt Fragen an mich. Und ich habe euch die Antworten versprochen. Also, fragt.« »Wieso sind wir hier?«, legte Lugh Akhtar gleich los. »Oh nein Fjodor. Nicht diese Frage und schon gar nicht zu allererst«, wandte Kanoa ein. »Aber wie-«, wollte der weiße Wolf gleich widersprechen, doch Cinder stupste in arg in die Seite, sodass er mitten im Wort abbrach. »Wer sind wir?«, fragte sie sanft. »Aber das ist doch-« Und wieder wurde Lugh Akhtar unterbrochen, diesmal, indem Soul ihm auf die Rute stieg. »Warum sind die Toten bei uns?«, war ihre Frage. »Was haben wir mit dir zu tun?«, machte Cinder weiter. »Und wieso sind es ausgerechnet wir Drei, die zu dir kommen?«, wechselte Soul. »Was ist so besonders an uns?« »Was an euch so Besonders ist, fragt ihr? Warum ausgerechnet ihr es seid, die ich erwartete? Nun, ihr seid meine Töchter. Das sollte als Antwort doch genügen«, lächelte der Winter. Darauf schwiegen die Schwestern. Aber nicht für lange. »Das kann nicht sein, Duana ist unsere Mutter«, sprach als erstes Soul. »Ja und nein«, warf Kanoa ein, dem sie darauf einen bösen Blick zuwarf. Doch er ignorierte ihn, lächelte stattdessen. »Wie meinst du das?« Cinder wusste ganz offensichtlich nicht, was sie von der ganzen Sache halten sollte. »So, wie ich es sage.« »Lasst es mich erklären. Sie ist nicht so wirklich, wie ihr es seid. Sie hat keine eigene Gestalt, sondern sie ist auf die Gestalt anderer Wesen angewiesen. Und deswegen ist es ihr unmöglich, Nachkommen zu gebären«, begann Kanoa, doch Cinder schüttelte darauf entschieden den Kopf. »Dann kann nur Duana unsere Mutter sein«, warf sie ein. »Theoretisch schon, doch kann sie etwas anderes. Nichts lebt ewig müsst ihr wissen, nicht einmal die Jahreszeiten. Deswegen allein muss es auch für sie eine Möglichkeit geben, sich zu… reproduzieren. Und die hat sie, indem sie für eine bestimmte Zeit all ihre Macht an ein kurzlebiges Wesen gibt, in eurem Fall Duana«, erklärte der schwarze Wolf. »Also, war sie sozusagen für einen Moment Duana?«, hakte Lugh Akhtar noch einmal nach. »Genau so ist es. Wobei dieser Moment natürlich ein wenig länger war, immerhin wachsen zwei Welpen im Mutterleib nicht binnen ein paar Stunden«, lächelte der Winter. »Und in dieser ganzen Zeit bist du sie gewesen? Was… war in der Zeit mit Duana?«, fragte Soul. »Sie war bei meinem Rudel. In dieser Zeit hatte ich keine Macht, in dieser Zeit war ich so gewöhnlich, wie jede andere Wölfin auch. Ich wäre das Risiko niemals eingegangen, hätte ich nicht gewusst, dass die Wölfe mich um den Preis des eigenen Lebens beschützen würden, und wäre ich mir nicht sicher gewesen, dass auch mein Rudel diese Situation nicht zum eigenen Vorteil nutzen würde.« Sie legte sich auf dem Sofa lang hin. »Aber… du bist wirklich unser Vater?«, fragte Cinder misstrauisch den schwarzen Wolf. »Ja. Auch der Winter braucht ein männlichen Gegenpart«, grinste der. Dabei sträubte sich leicht sein Fell. »Wusstest du, wer sie ist?«, fragte Lugh Akhtar vom anderen Ende des Raumes aus. Er stand vor seinem Bett und schien zu überlegen, ob er es sich darin bequem machen sollte. »Natürlich«, antwortete der Winter an seiner statt, und obwohl der weiße Wolf ihren Blick nicht sah, spürte er doch, dass sie Kanoa einen Blick voller Liebe zuwarf. Er verstand, warum Cinder und Soul existierten. Und die beiden Schwestern auch. »Deswegen sind wir also hier. Deswegen leben wir, das macht uns besonders…«, flüsterte Cinder leise. »Ist das der Grund, warum die Toten bei uns sind?«, wollte dagegen Soul wissen. »Nein. Das hat nichts mit dem Winter zu tun«, antwortete Lugh Akhtar und schaute auf den schwarzen Wolf. »Weißt du etwas darüber?« Soul schaute ihn fragend an, als er langsam wieder zu ihnen kam. »Nicht mehr als ihr. Nur, dass es nichts mit dem Winter zu tun hat.« Woher er diese Sicherheit nahm, erklärte er nicht, und eigentlich war es egal, denn Laiya nickte. »Er hat recht. Wir begleiten euch, weil wir euch ausgesucht haben.« Sie strich um Soul herum, bis sie direkt vor dem Feuer stand. »Ausgesucht?«, fragte Cinder erstaunt und schaute Nalani an. »Ja«, antwortete die, bevor sie Kanoa einen fragenden Blick zuwarf. »Erklärt ihr es ihnen ruhig«, lächelte der. »Nun, ihm werden wir wohl nichts neues erzählen«, begann Laiya und nickte in die Richtung des weißen Wolfs. »Aber es gibt auf dieser Welt dreizehn Zauberer, die sich von den anderen unterscheiden.« »Die legendären Zauberer. Es sind dreizehn, weil dies eine magische Zahl ist. Eine mächtige magische Zahl. Und diese Zauberer sind immer besonders mächtig. Manchmal erkennt man nicht alle sofort, aber früher oder später hat man immer die dreizehn gefunden«, leierte er hinunter, was er über die mächtigen Dreizehn gelernt hatte. »Das ist… nicht ganz richtig«, meinte Nalani. »Du hast recht, wir sind immer dreizehn. Aber es sind nicht unbedingt die mächtigsten Zauberer, die wir uns aussuchen. Was sie so mächtig macht, das sind nämlich wir.« »Inwiefern das?« Der weiße Wolf zuckte unwillig mit dem Ohr. »Wenn einer der Dreizehn stirbt, dann geht er nicht fort. Er wird zu einem Schutzgeist und beschützt fortan jenen, den er als Nachfolger bestimmt hat«, erklärte Laiya weiter. »Und das ist es, was die Dreizehn so mächtig macht. Fast nichts auf der Welt kann euch wirklich schaden«, sprach nun wieder Nalani. »Ihr könnt uns dabei nicht sehen. Soul kann es, weil sie durch ihre zwei so unterschiedlichen Augen gleichzeitig in zwei verschiedene Welten blicken kann. Aber die anderen sehen uns nur, wenn sie in großer Gefahr sind.« Laiya warf der schwarzen Wölfin einen fast schon liebevollen Blick zu. »Zwei unterschiedliche Augen? Die hat Cinder doch auch…«, warf Lugh Akhtar ein, doch die aschfarbene Wölfin schüttelte lächelnd den Kopf. »Ja, das schon, aber Souls Augen sind trotzdem… anders. Etwas Besonderes. Zeig es ihm«, bat sie ihre Schwester. Da schüttelte Soul ihren Pony auf die andere Seite. Darunter kam ein Auge hervor, das ebenso vielfarbig schillerte, wie die von Lugh Akhtar. »Ich habe es von Geburt an. Sie schauen mich immer so seltsam an, wenn sie es sehen, deswegen verberge ich es lieber«, erklärte sie und lächelte ein wenig. »Deswegen also…« murmelte der weiße Wolf und schaute nachdenklich auf Kanoa. Er dachte an damals, als sie ihm so bittere Vorwürfe gemacht hatte, weil der schwarze Wolf bei ihm war, statt bei einer seiner Töchter. Durch diese beiden Augen hatte sie ihn damals schon sehen können. »Ihre Augen sind anders als eure, deswegen sieht sie die Welt auch anders. Sie kann die Schutzgeister immer sehen«, wiederholte Laiya noch einmal lächelnd. »Das ist… erstaunlich… Aber woher kommt es, dass jene, derer ihr euch annehmt, auch vorher schon zu den mächtigen Zauberern gehört haben? Oder gehören wir von Geburt an dazu?«, fragte Lugh Akhtar weiter. »Nein. Erst wenn einer der Dreizehn stirbt, nimmt er sich einem anderen an. Ihr seid es niemals von Geburt an, Cinder zum Beispiel ist es ja erst seid kurzem geworden. Und du hast recht, ihre Magie war auch damals schon sehr stark, doch das ist nicht unser Hauptaugenmerk. Wir wollen jene beschützen, die uns auch im Leben schon am meisten bedeutet haben, auch nach unserem Tode noch«, lächelte Nalani und schmiegte sich eng an die aschgraue Wölfin, die ihre Augen schloss. »Dann aber verstehe ich nicht, wieso Kanoa bei Lugh Akhtar ist.« Soul runzelte fast schon ärgerlich die Stirn. »Ich meine, was hat er mit ihm zu schaffen? Cinder und ich sind seine Töchter, wir sollten für ihn doch das Wichtigste auf der Welt sein.« Darauf schaute alles Kanoa fragend an, doch der lächelte nur stumm, wusste dabei genau, dass sie von ihm eine Antwort erwarteten. »Gut, das Rätsel wird sich wohl nicht so schnell auflösen«, seufzte der weiße Wolf, schaute Laiya und Nalani dann fragend an. »Wieso gibt es die Dreizehn eigentlich? Welchen Sinn hat ihre Existenz? Und wer sind die anderen zehn?« »Ihre Existenz… das ist schon etwas schwieriger. Eigentlich hat ihre Existenz als solche keinen besonderen Sinn. Es ist… wie mit deinem Namen, Fjodor. Er ist verflucht, wie du schon weißt«, begann die Füchsin langsam. »Oh ja, das habe ich schon bemerkt«, lachte der bitter auf, schüttelte dann den Kopf und deutete mit einem Rutenzucken, dass sie bitte fortfahren möchte. »Nun, mit uns ist es ähnlich. Es war vor langer Zeit einmal ein Mann, der liebte eine Frau. Er liebte sie mehr, als alles andere auf der Welt und sie liebte ihn ebenso sehr. Doch dann brach Krieg in ihrem Land aus und der Mann musste in den Kampf ziehen. Er starb dabei, wissend, dass er nun seine Geliebte nicht mehr schützen konnte«, begann Laiya die Geschichte zu erzählen. »Er war ein Zauberer, sich dessen aber nicht bewusst. Als ihm im Todeskampf klar wurde, in welcher Gefahr sie schwebte, da brach aller Zauber aus ihm heraus und seine Seele nahm die Gestalt eines Adlers an. Auf schnellen Schwingen flog er zurück zu seiner Geliebten und konnte sie in letzter Sekunde noch vor dem Feind beschützen«, fuhr Nalani fort. »Sie war ihm sehr dankbar dafür und sie blieb ihm auf ewig treu. Auch wenn sie nicht wusste, dass er in der Adlergestalt immer bei ihr blieb. Mehr noch, sie gebar ihm einige Monate später ein Kind, von dessen Existenz sie beide nichts geahnt hatten. Die Frau liebte ihr Kind so sehr, dass sie, nach ihrem Tod, ihrem Geliebten die Freiheit schenkte, aber nun ihrerseits ihr Kind beschützte. Und so war der Kreislauf geboren«, endete Laiya. »Und dies geschah auf ähnliche Weise dreizehn Mal im Land. Damit waren die Dreizehn geboren«, lächelte Nalani. »Eine schöne Geschichte«, fand Cinder und ihre Schwester nickte nachdenklich. »Wieso meinst du eigentlich, dass es mit dem Winter nichts zu tun haben kann? Natürlich, das hat es nicht, aber das konntest du vorher nicht wissen«, wechselte die abrupt das Thema und blickte ihn fragend an. »Nun, ihr zwei seid vielleicht die Töchter des Winters, aber von mir hat sie kein Wort gesagt«, lächelte er bitter. »Ich bin bloß ein einfacher Bauerssohn, bei dem niemand versteht, warum die Magie seiner so gutmütig ist.« »Das bist du nicht, Fjodor«, widersprach der Winter und lächelte. »Was bin ich dann? Ich kenne meine Eltern und da du Kanoa liebst, glaube ich nicht, dass du dich vorher mit jemandem wie meinem Vater eingelassen hast«, antwortete er und dachte eher geringschätzig an den Mann, der in seinen ersten fünf Lebensjahren eine solch große Rolle gespielt hatte. »Du erinnerst dich nicht, oder?«, fragte der schwarze Wolf sanft. »Woran?«, wollte Lugh Akhtar wissen. »An ein glückliches Leben, bevor Nikolai es mir nahm?« »Nein. An mich.« Kanoa schaute ihn fast schon flehendlich aus seinen vielfarbigen Augen an. »Ich erinnere mich, dass auch du da gewesen bist, an jenem Tag im Wald. Du bist der Zauberer gewesen, der mich nach Hause gebracht hat und du…« Da fiel es dem weißen Wolf wie Schuppen von den Augen. Er erinnerte sich wieder, was weiter geschehen war, als sie zu Hause ankamen. Die Mutter war erleichtert gewesen, ihren Sohn wohl behütet wieder zu sehen und Kanoa... er war nicht wieder gegangen. Wieso sollte er auch? Auch er hat dort gewohnt. Er hatte mit ihm gespielt, jeden Tag, den ganzen Abend lang. Ihm Geschichten erzählt, von Dingen, die so viel größer waren, als er, und hatte ihm immer beigestanden, hatte er Hilfe gebraucht. Bis er gegangen war. Aber nicht freiwillig. Kanoa hatte sich gewehrt, als die Wachen ihn gefangen genommen hatten, doch war er viel zu gutmütig, um jemand wirklich zu schaden. Das nächste Mal, als Lugh Akhtar ihn gesehen hatte, da war er in Ketten auf der Mauer gestanden. Die Zauberer hatten ihn verbannt, für etwas, was er nicht getan hatte. Und sie hatten Lugh Akhtar seinen wirklichen Vater genommen. Der Mann, der danach kam, war bloß ein billiger Ersatz gewesen. »Dann… sind sie ja…«, er schaute zu Cinder und Soul hin, dann zum Winter. »Bin ich deswegen hier?« »Ja. Auch«, lächelte sie sanft. »Was ist?«, fragte Soul sogleich, erhielt aber eine andere Antwort, als sie haben wollte. »Ihr Drei. Ihr könnt hier bleiben, wenn ihr es möchtet. Oder ihr könnt gehen. Es liegt an euch zu entscheiden, ob ihr ein Leben in meinem Reich, das zugleich auch das eure ist, oder ob ihr lieber euer altes Leben weiterführen mögt. Überlegt es euch, ihr habt die freie Wahl und egal, welche ihr auch treffen mögt, ich werde euch immer lieben. Aber natürlich wünsche ich mir, dass ihr hier bei mir bleiben mögt«, sprach die weiße Wölfin. Doch ihre Kinder mussten nicht lange überlegen. Sie brauchten sich nicht einmal einen Blick zu zuwerfen, geschweige denn erfragen, was die anderen wollten, da schüttelten sie auch schon alle Drei die Köpfe. »Ich will zurück. Es gibt da jemanden, dem bin ich es schuldig«, sprach Soul als Erste. »Ich möchte ebenfalls mein altes Leben weiterleben. Dies ist nicht meine Welt, ich denke nicht, dass ich hier glücklich würde«, fand auch Cinder. »Es gibt jemanden, dem ich noch so vieles sagen muss und von dem ich mich niemals trennen könnte. Auch ich möchte nicht hier verweilen«, stimmte auch Lugh Akhtar ein. Der Blick des Winters war traurig, doch sie nickte. »Ich werde es so akzeptieren. Aber nehmt dennoch ein Geschenk, das euch immer den Weg zu mir weisen wird, wohin euer Weg euch auch führen mag«, lächelte sie traurig. Die Drei nickten zögernd und da nickte auch der Winter. Ein Leuchten erfüllte mit einem Mal den Herzanhänger an Souls Kette, und den Sternenanhänger an Lugh Akhtars Halsband. Cinder erhielt ein ganz neues Halsband aus dunkelrotem Samt, an dem ein halbmondförmiger Anhänger baumelte. Auch er leuchtete. »Was… ist das?«, fragte die schwarze Wölfin unsicher und hob ihre Pfote an das silberne Herz. »Ich habe euch einen Teil meiner Macht gegeben. Ihr besitzt dieselbe Macht, wie auch ich, ihr könnt es schneien lassen, Eis gefrieren und so vieles mehr. Auch mein Rudel wird euch helfen, wo immer es kann, wenn ihr es darum bittet. Mehr kann ich euch nicht geben, aber es sollte euch dennoch helfen, solltet ihr in Not sein«, lächelte die weiße Wölfin. »Hab Dank«, sprach Cinder darauf und die beiden Anderen nickten. »Ich werde nun gehen. Kanoa wird euch zurückbringen«, sprach sie traurig weiter und nachdem sie einander verabschiedet hatten, verschwand sie und die Drei standen wieder im Schnee. »Folgt mir«, sprach der schwarze Wolf und lief los. Die Drei folgten ihm. »Sagst du mir jetzt, warum du bei Lugh Akhtar bist, und nicht bei uns?« Soul hatte nicht vor, locker zu lassen, jedoch bekam sie von dem schwarzen Wolf immer noch keine Antwort. Stattdessen war es der weiße Wolf an ihrer Seite, der antwortete. »Weil ich doch so bin, wie ihr Beide. Der Winter… sie ist meine Mutter, wie sie auch die eure ist. Deswegen bin ich mit euch hier. Und Kanoa. Er ist auch mein Vater. Ich hatte es nur vergessen.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)