Wolfskinder - Sternenwege von Scarla ================================================================================ Kapitel 1: Streitigkeiten ------------------------- »Aber wieso verdammt noch mal!«, schrie Mana hitzig. Sie blitzte ihren Vater böse an, doch der erwiderte ihren Blick hart und bestimmt. »Nicht in diesem Ton, junge Dame. Und dein Fluchen will ich auch nicht noch mal hören, haben wir uns verstanden?«, fragte er scharf. Der Ärger war deutlich in seinen Augen zu sehen, doch sein Gesicht war ruhig, kalt und bestimmt. »Kekoa darf auch mit. Wieso er, wieso nicht auch ich?«, in ihrem Zorn hatte sie nicht im Mindesten vor, sich in irgendeiner Weise zu zügeln. »Weil es einen Unterschied macht, ob du mitkommst, oder er. Du hast übrigens Stubenarrest auf unbestimmte Zeit«, erwiderte Lugh Akhtar und stand auf. »Das ist so unfair!«, brüllte sie ihn an. »Das ist dein Problem, jetzt geh in dein Zimmer. Ich will den restlichen Abend nichts mehr von dir hören«, befahl ihr Vater und deutete unmissverständlich zur Tür. »Ich kann ja auch niemals wieder ein Wort mit dir sprechen, du interessierst dich ja sowieso nicht für mich«, fauchte Mana kalt und stürzte türeknallend aus dem Zimmer. Hitzig und wütend stürzte sie schnellen Schrittes den Gang entlang, die Treppe hinauf, bis sie in dem Teil war, in dem ihr Zimmer und das ihrer Geschwister lag. Natürlich ging sie nicht in ihr eigenes Zimmer, sondern stürzte wütend in das ihres Bruders. »Ich hasse ihn!«, verkündete sie laut und blitzte Kekoa und Yue so böse an, als wäre ihr ganzes Unglück alleine ihre Schuld. »Er hat nein gesagt, ich krieg dein Buch«, Yue grinste Kekoa breit an. »Das hat sie noch nicht gesagt«, widersprach der und wandte sich an seiner anderen Schwester zu. »Er hat bestimmt nur irgendwelche seltsamen Bedingungen gestellt, oder?« »Nein, Yue kriegt das Buch. Er sagte, ich wäre viel zu jung, Altena viel zu groß und schrecklich und er könnte es nicht verantworten«, brummte die böse und stapfte ans Fenster um sich auf die Fensterbank zu setzen. Das Bett wurde von Yue besetzt und Kekoa saß am Schreibtisch, sodass sie sich auch nicht auf die Schreibplatte setzen konnte. Und nach all diesen Plätzen war die Fensterbank ihre liebste. »Das wir Zwillinge sind, weiß er aber noch?«, Kekoa wirkte erstaunt. »Ja, das hab ich deutlich gemacht, aber er sagte, das wäre etwas anderes«, fauchte sie böse und lehnte sich an die Scheibe. »Ist es auch, du bist ja nur ein Mädchen«, erklärte Yue verächtlich. Mit dieser Ausrede wurde sie immer abgespeist, wenn sie etwas nicht durfte. »Als Mama in unserem Alter war, da ist sie schon alleine durch die Länder gezogen, warum zum Henker glaubt er, das ich dazu nicht in der Lage wäre?«, ereiferte sich Mana aufs neue und hatte das unbändige Bedürfnis, irgendetwas zu zerschlagen. »Zumal du ja nicht einmal alleine reisen willst«, stimmte Kekoa nachdenklich zu und lehnte sich zurück. »Genau! Ich wäre die ganze Zeit mit dir zusammen! Und nach Lanta darf ich doch auch jedes mal mit und eine Menschenhauptstadt ist garantiert viel gefährlicher, als eine Stadt voller Zauberer, oder?«, fragte sie bissig. »Nicht unbedingt…«, räumte Kekoa ein, wurde jedoch von einem wütenden Blick seiner Schwester sofort wieder zur Ruhe gebracht. »Na ja, dann bleiben wir eben zu zweit hier«, fand Yue desinteressiert und rollte sich auf den Rücken. »Freu dich mal nicht so sehr darüber, Schwesterherz. Wenn du in zwei Jahren mal in den Süden willst, wirst du bestimmt auch nicht dürfen«, fauchte Mana. »Das mag sein, aber für den Moment kann es mir egal sein. Und vielleicht sieht Papa ja bis dahin ein, dass man mit sechzehn doch kein kleines Kind mehr ist«, lächelte Yue, während sie mit den Füßen nach einem Kissen angelte. »Das ist auch total unfair. Ich muss mir hier immer alles erarbeiten und Kekoa kriegt alles, weil er ein Junge ist, und du, weil ich es ja auch darf«, schmollend zog sie die Füße auf die Fensterbank und legte ihren Kopf auf die Knie. »Ach Mana… soll ich noch mal zu Papa gehen und ihn fragen? Vielleicht schenkt er mir ja mehr Beachtung«, schlug Kekoa vor. »Nein«, plötzlich war aller Zorn verraucht. Traurig schaute sie aus dem Fenster. Draußen wurde der Himmel immer dunkle, aber nicht, weil des Nacht wurde. Es war Herbst, draußen zogen sich dunkle Regenwolken zusammen. »Ich weiß ja, das er es nur gut meint.« »Wollen wir vielleicht noch einmal ausreiten? Das ist die letzte Möglichkeit, morgen früh reisen wir ab«, schlug Kekoa leise vor. »Weißt du schon, wann ihr wiederkommt?«, fragte Yue. »Wenn der Winter vorbei ist. Ich werde den ganzen Winter bei Cinder lernen und im Frühling werden wir gemeinsam wieder hierher kommen. Das zumindest ist der Plan«, antwortete Kekoa. »Ich hätte auch gerne Cinder als Meisterin bekommen… Dann könnte Papa mir nicht verbieten, nach Altena zu ziehen«, seufzte Mana sehnsüchtig, während sie aufstand. »Dafür lernst du viel mehr. Die halbe Jahre, die ich bei ihr lerne machen den Braten nämlich auch nicht fett, zumal Cinder immer wieder sagt, das Papa eigentlich viel besser ist als sie. Papa war auch ihre Meisterin, wusstest du das?«, fragte Kekoa und griff sich seinen Umhang und warf ihn sich über die Schultern. »Ja, hat mir Mama schon ein paar Mal erzählt. Ich hol kurz meinen Umhang, treffen wir uns im Stall?«, Mana stand schon bei der Tür. »Ja«, nickte ihr Bruder und sie verschwand durch die Tür. Sie brauchte nur zwei Türen weitergehen. Ihr Umhang lag auf ihrem Bett. Sie griff ihn und lief die Gänge entlang. Dass sie eigentlich Stubenarrest hatte, hatte sie schon längst wieder vergessen. Lugh Akhtar jedoch nicht. »Wohin willst du gehen, junge Dame?«, fragte er scharf, als sie an ihm vorbei lief. »Mit Kekoa ausreiten, wenn ihr schon ohne mich reitet«, antwortete sie über die Schulter. »Wenn ich die Stubenarrest erteile, dann meine ich das auch so, Mana«, erklärte er laut. Sie stockte im Schritt, blieb stehen, schaute zu ihm zurück. »Aber Papa! Ihr werdet den ganzen Winter über nicht zu Hause sein! Das zumindest musst du mir erlauben!«, ereiferte sie sich. Erst wirkte es so, als wollte Lugh Akhtar unerbittlich bleiben, doch dann seufzte er. »Komm her Mana«, bat er. Erst zögerte sie, dann kam sie zu ihm. Er umarmte sie fest, denn deutete er in seine Bibliothek. »Lass uns reden.« Sie setzten sich in den großen Raum. Sie wusste, dass ihr Vater während seiner Schülerzeit mit Büchern nicht viel zu tun gehabt hatte. Erst ihr Onkel, der unglaublich viel über alle möglichen Bereiche wusste, hatte ihm gezeigt, das nicht nur das Können eine wichtige Rolle spielte, sondern das Wissen manchmal fast noch wichtiger war. So hatte Lugh Akhtar angefangen zu lesen und dieser Raum hatte sich immer weiter gefüllt. Die meisten Bücher hatte der Onkel es Königs einst besessen, aber viele hatte er auch aus Lanta, Altena, Navarre und einigen anderen Reichen selbst mitgebracht. Einige waren auch in anderen Sprachen, aber nicht viele, denn ein Sprachgenie war ihr Vater nie gewesen. »Weißt du Mana… manchmal vergesse ich, das du nicht mehr das kleine Mädchen von früher bist«, begann ihr Vater, während er träumerisch und nachdenklich zum Tisch ging und sich daran setzte. »Bei Kekoa vergisst du es nicht«, antwortete sie leise. »Er ist ja auch nicht meine kleine Tochter, die sich nachts zu Nea und mir ins Bett geschlichen hat, weil es draußen ein bisschen windiger ist«, lächelte Lugh Akhtar. Mana wurde rot, sie mochte nicht mehr gerne daran erinnert werden. Wobei es ihr eigentlich egal sein konnte, wenn man gerade einmal vier Jahre alt war, dann durfte man noch angst vor der Nacht und dem Wind haben. »Fair ist es trotzdem nicht«, fand sie und lehnte sich an ein Bücherregal. »Ich weiß«, nickte Lugh Akhtar und stand wieder auf, um an ein Kästchen zu treten, das an einer Seite die Bücher am Umfallen hinderte. Er öffnete es und nahm eine Kette heraus. Er wandte sich um und ging zu Mana, um ihr das Schmuckstück umzuhängen. Das Band war einfach, es war nur schwarzes Leder, doch der Anhänger war wunderschön. Er hatte die Form eines Sterns und war von einem hellen, dennoch sehr intensiven Blau. »Was ist das?«, fragte sie leise und schaute den Stern mit großen Augen an, während sie ihn, am Band vor ihre Augen hielt. »Ein Geschenk. Von mir für dich. Von einem Vater für seine Tochter«, lächelte ihr Vater. »Das ist mir klar, aber… was ist das?«, wollte sie mir gerunzelter Stirn wissen. »Also es ist hübsch, ja, aber deswegen gibst du es mir doch bestimmt nicht… oder?« »Nein, deswegen nicht. In diesem Anhänger wohnt eine art Magie, die du bisher nicht kanntest. Sie ist mächtiger, als alles, womit du vorher gearbeitet hast, aber… ich denke, dass du mit ihr keine Probleme haben solltest«, erklärte ihr Vater und lächelte. »Eine mächtigere Art der Magie?«, fragte sie erstaunt und ließ den Stern los. Er prallte sacht an ihrer Brust ab, blieb dann aber ruhig hängen. »Magie ist doch immer gleich, überall auf der Welt. Wieso soll diese Magie anders sein?« »Weil sie einen mächtigeren Ursprung hat, aber das erkläre ich dir ein anderes mal«, antwortete ihr Vater. Erst wollte Mana nachfragen, doch sah sie schnell ein, dass sie es gar nicht versuchen brauchte. Sie kannte ihren Vater gut genug, er würde ihr jetzt nicht antworten. »Kann ich… jetzt zu Kekoa? Er wartet sicher schon auf mich«, bat sie leise. »Nein, du hast Stubenarrest, junge Dame«, antwortete Lugh Akhtar sogleich mit ernstem Gesicht. »Papa! Das kann nicht dein ernst sein! Diesen Ausritt musst du mir einfach erlauben!«, ereiferte sie sich. »Ich muss gar nichts, Mana. Und du wirst jetzt nicht ausreiten, du wirst schön brav in dein Zimmer gehen«, erklärte ihr Vater ernst. »Du hast Hausarrest und ich gedenke nicht, daran etwas zu verändern. Jetzt geh nach oben.« Wütend starrte sie ihn an, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich hasse dich«, fauchte sie leise, riss den Anhänger ab und warf ihn Lugh Akhtar vor die Füße. »Und das will ich auch nicht. Mich kann man nicht mit schönen Geschenken kaufen.« Damit drehte sie sich um und stürmte, wie auch zuvor schon, voller Wut die Gänge zurück. Diesmal lief sie wirklich in ihr Zimmer, schmiss die Tür hinter sich zu und warf sich weinend aufs Bett. Es war alles so unglaublich ungerecht. Sie durfte sich nicht einmal richtig von ihrem Bruder verabschieden. Sie weinte lange, doch irgendwann beruhigte sie sich wieder. Dumpf brütend legte sie sich auf die Seite und schaute aus dem Fenster, gegen das mittlerweile leise der Regen prasselte. Wann hatte es eigentlich begonnen? Ab wann hatte sie sich nur noch mit ihrem Vater gestritten? Und wieso? Früher war das anders gewesen. Sie hatte ihren Vater immer schon lieber gemocht, als ihre Mutter, denn er war ihr immer so stark und mutig erschienen. Sie bewunderte seine vielfarbigen Augen, sie mochte sein weißes Haar mit den schwarzen Flecken über den Ohren und sie liebte seine sanfte, offenherzige, verträumte Art. Er konnte wunderbare Geschichten erzählen, die sie voller Magie steckten, das man meinte, das sie jeden Augenblick wahr würden. Doch irgendwann war alles anders geworden. Hatte er sich so sehr verändert? Oder war eigentlich sie es, die nun alles mit anderen Augen sah? Die plötzlich angefangen hatte, viel mehr zu fordern, ohne ihrem Vater die Zeit zu geben, sich daran zu gewöhnen? Sie setzte sich auf, schüttelte entscheiden den Kopf und ging ans Fenster. Sie öffnete es leise und schloss die Augen, als der Regen auf ihr Gesicht prasselte und der Wind ihr entgegen blies. Sie wollte morgen unbedingt mit nach Altena, doch wie konnte sie das nur erreichen? »Mana?«, Yue war unbemerkt ins Zimmer gekommen. »Ja?«, sie drehte sich erschrocken um. Sie fühlte sich ertappt und das sah man ihr wohl auch an, denn Yue runzelte viel sagend die Stirn. »Du wolltest aber nicht eben aus dem Fenster klettern?«, fragte sie. »Nein«, lächelte Mana. »Gut, es würde nämlich wehtun, wenn du unten aufprallst. Egal, das Essen ist fertig«, erklärte Yue ihr erscheinen. Sie warf Mana und dem Fenster noch einen nachdenklichen Blick zu, dann verließ sie den Raum wieder. Mana überlegte kurz. Sie wusste, dass ihr Vater von ihr erwartete, dass sie nach unten kam, doch dazu hatte sie nun wirklich keine Lust und Hunger hatte sie auch nicht. Sie wusste, dass das in den nächsten Tagen noch ärger geben würde, doch sie beschloss, einfach oben zu bleiben. Zumal Yue sie auf eine Idee gebracht hatte. Natürlich, ihr Vater würde ihr niemals freiwillig erlauben, mit nach Altena zu gehen, doch was sollte er schon dagegen tun, wenn er ihnen einfach folgte? Unerkannt und neben den Wegen? Je länger sie darüber nachdachte, desto besser gefiel ihr die Idee. Das Einzige, was ihr gefährlich werden konnte, waren wilde Tiere, aber sie war eine Zauberin, somit sollten die kein Problem sein. Und sie kannte den Weg nach Lanta, der bis zu einem gewissen Punkt auch der nach Altena war. Sie konnte sich Proviant aus der Vorratskammer mitnehmen und Janury, ihre Stute, war schnell wie der Wind. Bis ihr Verschwinden bemerkt wurde, konnten unter umständen sogar Tage vergehen, denn es war nicht wirklich ungewöhnlich, das sie sich über einen längeren Zeitraum in ihrem Zimmer einschloss und mit niemandem sprach. Ja, eigentlich konnte nichts schief gehen. Sie lächelte zufrieden in sich hinein, als sie damit begann, das nötigste zusammenzusuchen. Dabei lauschte sie immer wieder nach verräterischen Schritten, doch niemand kam zu ihr. Erst sehr spät abends, als sie sich gerade ins Bett gelegt hatte, hörte sie leise Schritte die Tür öffnete sich und sie sah, wie eine Gestalt für einen Moment in der Tür stand und auf sie hinabblickte. Dann trat sie vollständig ein, ging an den Schreibtisch und legte etwas darauf. Erst schien die Person gleich wieder gehen zu wollen, doch dann setzte sie sich zu ihr aufs Bett und strich ihr über das Haar. »Entschuldige Mana, aber ich hab meine Gründe«, flüsterte Lugh Akhtar leise, gab ihr noch einen Kuss und ging dann wieder. Als sie seine Schritte nicht mehr hörte, setzte sie sich auf. Der blaue Stern lag auf ihrem Tisch und leuchtete im Mondlicht, als wäre es von einem inneren Feuer erfüllt. Sie schaute einen Moment darauf. Ihr kamen Zweifel, ob sie wirklich gehen sollte, doch wollte sie unbedingt das Zauberreich von Altena besuchen, das sie alle Zweifel wieder verwarf. Als sie jedoch einschlief begleitete sie ein bitterer Beigeschmack und sie schlief nur sehr unruhig, bis am nächsten Morgen die Sonne über dem weiten Land von Wynter aufging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)