Wolfskinder - Sternenwege von Scarla ================================================================================ Kapitel 9: Gedankenaustausch ---------------------------- Sonnenschein weckte Mana. Sie fühlte Sand unter sich, als sie in die Sonne blinzelte, dann drückte sie sich umständlich nach oben. »Wach?«, fragte eine vertraute Stimme. Sie schaute zur Seite und gewahr Fylgien, der sie wölfisch anlächelte. »Fylgien… wo sind wir?«, fragte sie und wollte aufstehen, doch irgendwie gelang es ihr nicht. »Auf einer Insel. Glaube ich zumindest… du musst die Vorderpfoten schon zur Hilfe nehmen, sonst wird das mit dem Aufstehen nichts«, lächelte er. Aus großen Augen starrte sie entsetzt an. »Pfoten?«, fragte sie ungläubig, bevor sie hinabblickte. Und er hatte Recht, sie besaß Pfoten. Weiße Pfoten, die weiter oben in rotes Fell übergingen. »Warum… bin ich ein Wolf?«, sie war lange nicht so erstaunt, wie sie wohl hätte sein sollen. Sie kannte die Geschichte, wie ihr Vater zu seinem weißen Haar und seinen Nordlichtaugen gekommen war, ihre Mutter hatte sie ihr oft genug erzählt, und das war eine der wenigen Geschichten, die sie auch wirklich glaubte. Doch bei ihr sah die ganze Situation als solche ja anders aus, deswegen verstand sie es nicht. Und trotzdem war sie nur mäßig erstaunt. Es hätte sie mehr gewundert, wäre sie ein Vogel oder eine Katze gewesen. Die Wölfe waren nicht Grundlos das Wappentier ihrer Familie. »Ich weiß es nicht, aber…«, Fylgien wandte schüchtern den Blick ab. »Aber was?«, fragte sie neugierig und betrachtete das, was sie von sich sehen konnte. Ihre Beine, sowohl vorne, als auch hinten, waren rot, die Pfoten und der hintere Teil ihrer Beine dagegen weiß. Ihr Rücken war komplett weiß, ihre Schenkel zierte dagegen ein roter Stern und auch ihre Rutenspitze war rot. »Nichts Wichtiges.« »Bin ich wenigstens hübsch?«, sie wedelte mit der buschigen Rute ein wenig Sand beiseite. Fylgien starrte sie so erschrocken und entsetzt an, das sie laut auflachte. »Nein, du musst da nicht drauf antworten«, kicherte sie. Dann schaute sie sich suchend um. »Hast du die anderen gesehen?« »Nein, aber ich hab sie auch nicht gesucht. Wer weiß, was hier so alles lauert, ich wollte lieber sichergehen, das dir nichts geschieht.« »Stattdessen sollen lieber die anderen gefressen werden?«, lachte sie, zwinkerte ihm aber verschwörerisch zu, bevor sie übermütig über den Sand sprang. »Nein, aber wenn ich sie nicht finde, und dich in der Zeit jemand frisst, wäre ich ganz alleine gewesen, und das wollte ich auch nicht«, erklärte sich der goldene Wolf, als er ihr langsam folgte. »Du musst dich nicht rechtfertigen, Fylgien. Aber lass sie uns jetzt suchen, vielleicht stecken sie ja in Schwierigkeiten«, erklärte sie ernst über die Schulter. Dann zögerte sie jedoch, setzte sich hin und schaute auf das Meer hinaus. »Fylgien, ich hab den weißen Wolf wieder getroffen. Er hat mich aus dem Wasser gezogen, er hat mir das Leben gerettet. Wer ist er?«, sie schaute ihn nachdenklich an. »Und wer bist du? Woher kennst du Lilith?« Der goldene Wolf zögerte, dann legte er sich neben sie in den Sand. »Eigentlich ist sie eine sehr gute Freundin von mir. Ihr wurde… sehr übel mitgespielt, deswegen verließ sie eure bekannte Welt und zog sich nach… Midgard!«, er sprang auf und schaute auf den Wald, direkt auf den Strand folgte. »Midgard?«, der Name klang so seltsam vertraut. Sie kannte ihn, sie wusste nur nicht, woher. »Ja, das hier ist Midgard. Lilith lebt in der Nähe von Midgard, also ist es eine Insel… und eine ganz besondere noch dazu, denn hier herrscht eine andere Ordnung der Welt, als in deiner Heimat. Das ist das besondere an deiner Welt, denn hier herrschen verschiedenen Ordnungen nebeneinander, das hab ich nie zuvor gesehen…«, Fylgiens Augen leuchteten, als er in den Wald blickte. »Zwei Weltenordnungen…?«, Mana schüttelte entschieden den Kopf. »Warte, das geht mir jetzt zu schnell. Woher weißt du das denn schon wieder? Und woher kennst du nun Lilith?« Langsam wandte sich der goldene Wolf von Wald ab und wieder dem Mädchen zu. »Fangen wir bei Lilith an. Weißt du, sie ist so alt, wie die Welt. Sie hat schon gelebt, als an euch Zauberer noch keiner dachte, und da ist sie einmal von einem Menschen betrogen worden. Er hat ihr erzählen wollen, dass sie einander gleichgestellt wäre, und hat sie dann zur Sklavin machen mögen, doch sie war eine starke Frau. Sie ließ es nicht geschehen und ging hinaus in die Welt. Doch der Hass über diese Lüge, und die Verachtung, die ihr von allen Seiten entgegenschlug nistete sich so sehr in ihr Herz, das sie zu einer Dämonin wurde. Sie floh aus eurer Welt in diese, wo sie lernte, sich die Winde untertan zu machen und sie blieb hier. Aber…«, er legte sich wieder an ihre Seite und schaute lange aufs Meer hinaus, bevor er weiter sprach. »Sie ist nicht wirklich böse. Ihr Herz ist vor Hass zerfressen, aber dafür kann sie nichts. Eigentlich ist sie nur sehr, sehr einsam. Sie hat mich oft besucht, wir waren gute Freunde. Wenn sie mich erkannt hätte, dann hätte sie mir nichts getan«, Fylgien sprach mit solcher Überzeugung, das Mana nicht eine Sekunde daran zweifelte. »Und… Midgard? Was ist Midgard? Ich kenne es, aber… ich weiß nicht, woher…«, auch Mana legte sich nun nieder. »Midgard ist eine Insel. Sie ist nicht einmal besonders groß, aber hier leben Wesen, die… so unbeschreiblich sind… Sie lenken das Gefüge dieser Welt… nicht sie alleine, aber sie haben so großen Einfluss darauf… Wenn sie es wollten, könnten sie die Herrschaft der Jahreszeiten sofort vernichten, stattdessen jedoch ziehen sie sich immer weiter zurück…«, Fylgien wirkte, als suchte er verzweifelt nach einem Wort, das die Größe von Midgard auch nur entfernt gerecht wurde, doch er fand keines, schüttelte stattdessen den Kopf. »Erzähl mir von dem weißen Wolf.« »Er ist über das Wasser gelaufen. Er kam zu mir, als ich schon aufgeben wollte, er hat mich auf das Wasser gezogen. Und dann hat er gesagt, das ich auf vergangenen Wegen laufen soll, damit ich einen Weg in die Zukunft finde, und das ich mir das, was Lilith haben wollte, nicht wegnehmen lasse soll, denn es könnte mein Glück bedeuten. Und, das kaum etwas so ist, wie es scheint, das Gut manchmal auch Böse ist, und anders herum«, berichtete sie leise. »Er scheint dich zu kennen«, bemerkte Fylgien. »Aber ich… habe keine Ahnung, wer er ist. Warum hilft er mir? Oder hilft er mir letztlich gar nicht, sondern spielt nur mit mir?«, sie seufzte. »Du musst seinem Rat ja keine Folge leisten, du kannst auch etwas völlig anderes tun. Er kann es nicht beeinflussen«, gab Fylgien zu bedenken. »Manchmal kann man durch ein kleines Wort mehr beeinflussen, als man meint…«, sie seufzte und legte ihren Kopf auf die Pfoten. »Wie meinst du das?«, erkundigte sich Fylgien leise. »Na ja... wenn du ein Kind bist, und die Eltern dir etwas verbieten, dann willst du es erst recht tun. Oder wenn dir jemand einen guten Rat gibt, du die Person aber nicht magst, dann tust du manchmal das genaue Gegenteil, obwohl du weißt, dass es falsch ist. Oder auch mit dem Wolf. Ich weiß einfach nicht, ob ich ihm glauben schenken kann. Wenn er mir böses will, und ich ihm vertraue, dann kann das zu einer Katastrophe führen, wenn ich allerdings das Gegenteil tue, er mir aber wohl gesonnen ist, dann kann das genauso schlecht enden. Kleine Worte… sie bewirken manchmal mehr, als man denkt…«, erklärte sie. »Aber… daran hast du eben nicht gedacht. Welche Worte meintest du wirklich?«, flüsterte der goldene Wolf. Da zögerte Mana. »Weißt du, manchmal kann man einem Menschen sehr, sehr wehtun, ohne dass man es sich vielleicht bewusst ist… Manchmal, da…«, sie seufzte. »Weißt du, meine Eltern sind nicht verheiratet. Ich bin ein uneheliches Kind und… ich weiß nicht, wie das bei euch ist, aber hier ist das die unterste Schicht. Wenn man nicht einen wohlwollenden, mächtigen Vater hat, hat man eigentlich keine Chance. Niemand will einen als Lehrling aufnehmen, niemand will einen als Aushilfe anstellen, man wird zum Betteln gezwungen. Man wird als Bastard beschimpft, die Mutter, obwohl eine eigentlich ehrbare Frau, ist selbstverständlich eine Hure...« »Das ist grausam«, fand Fylgien und starrte sie entsetzt an. »Ich weiß. Aber so ist es nun einmal. Ich habe glück, mein Vater fühlt sich für mich verantwortlich. Er gibt mir die Möglichkeit, ein gutes, anständiges Leben zu führen. Er müsste es nicht tun, niemand würde ihm einen Vorwurf machen. Auch meine Mutter hat durchaus die Wahl, aber auch sie hat sich für uns entschieden… aber was ich eigentlich sagen will ist… all diese Menschen, die auf mich und meine Geschwister hinabschauen, die uns beschimpfen, die uns schlecht machen… sie alle vergessen nur allzu leicht, das es uns durchaus trifft, wenn man so mit uns umgeht, sie vergessen, das wir keine Tiere sind, denen es egal ist, wie du sie nennst… Ein Hund freut sich noch genauso, wenn du ihn streichelst, ob du ihn nun Hund oder Frosch nennst… Aber wir Menschen nicht, uns können Worte weh tun… Und manchmal schaffen sie es sogar, dass man von sich selbst denkt, dass man das wäre, was andere behaupten…« »Denkst du wirklich, Worte haben solch eine Macht?« »Ich weiß es. Wir hatten mal einen Stallburschen, der hat sich fast überschlagen, wenn mein Vater in der Nähe war. Es hat lange gedauert, bis er begriffen hat, dass mein Vater auch nicht anders ist, als er. Er wurde so oft von irgendwelchen verwöhnten Kindern beleidigt und erniedrigt, das er am Ende selbst irgendwann glaubte, das sie mehr wert sind, als er… zumindest solange, bis mein Vater ihn einstellte und dafür sorgte, dass es nicht mehr schlecht behandelt wurde, denn das ist einer seiner Grundsätze. Alle auf der Welt sind gleich. In Wynter hat er es durchgesetzt, dort hat keiner mehr angst vor dem König von Altena. Respekt, aber keine Angst«, es war eindeutig Stolz, der in Manas Stimme mitschwang. Fylgien schaute sie einen Moment lang an, dann nickte er lächelnd und stand auf. »Weißt du, bei mir zu Hause spricht man nicht sehr viel, man versteht sich ohne Worte. Aber ich glaube dir, dass Worte mächtig sind. Sag… verrätst du mir, welche Macht eure Schülernamen haben?«, fragte er. Auch Mana stand auf und begann, den Strand entlang zu laufen. »Sie sind mächtig, denn sie zeigen dich selbst. Wenn du den Schülernamen von jemand anderen kennst, dann kennst du sein wahres Wesen, du kannst ihn beherrschen, du kannst mit ihm tun, was immer du willst. Deswegen ist es auch der größte Vertrauensbeweis, den dir jemand machen kann«, erklärte sie. »Was geschieht, wenn jemand deinen Namen sagen würde? Kennt ihn eigentlich jemand, außer dir?« »Mein Meister kennt ihn. Mein Meister hat ihn mir gegeben. Sonst kennt ihn niemand, und niemand hat ihn je gegen mich verwendet… ich weiß nicht, was geschehen würde. Es ist nie geschehen«, erklärte sie und lächelte. Darauf nickte der goldene Wolf nachdenklich. Sie liefen schweigend weiter, suchten nach einem Lebenszeichen ihrer Freunde. Sie fanden bald Pfotenabdrücke und der Geruch sagte ihnen, dass sie von Lif waren. Sie schauten sich nur kurz an, dann liefen sie schnell weiter. Sie entdeckten bald schon in der Ferne einen Wolf in der Farbe, die auch Lifs Haar hatte, sodass sie sich ziemlich sicher waren, den Richtigen gefunden zu haben. Er saß bei einem Tier, das sie nie zuvor gesehen hatten. Es war klein, besaß einen roten Rücken und schwarze Beine und einen schwarzen Bauch. Der Schwanz war hell und dunkelrot gestreift, auch im Gesicht besaß es weiße Streifen. Die beiden standen voreinander, das kleine Wesen sprang immer auf und ab. Sie rannten los, wobei Mana mit einem Satz über die beiden hinwegsetzen musste, sonst wäre sie gegen Lif gelaufen. »Hey ihr zwei!«, rief sie. »Mana? Geht es dir gut?«, fragte Lif und berührte sie an der Nase. »Natürlich«, sie schaute auf das kleine Wesen, das böse Lif anblitzte. »Wer ist das?« »Red«, lachte Lif und begrüßte auch Fylgien mit einem Nasestupsen. »Red?«, fragte Mana erstaunt und stupste auch ihn an, doch das kleine Wesen war nicht besonders schwer, sodass sie ihn auf die Seite stieß. »Ja, tut mir ja Leid, das ich anders bin, als ihr«, fauchte er böse und stand wieder auf. »Und was genau bist du?«, erkundigte sich Mana und legte sich belustet in den Sand. »Ein kleiner Panda oder Katzenbär. Sie leben im östlichen Reich, nicht in Altena«, erklärte Lif. »Niedlich. Wenn wir wieder zu Hause sind, wirst du mein Haustier, oder?«, lachte Mana, doch natürlich meinte sie es nicht ernst. Sie fand, dass sich nur sehr wenige Tiere dafür eigneten, als Haustiere gehalten zu werden, sie würde niemals ein Wildtier in ein Haus sperren. »Vielleicht sollten wir erst einmal den Rest suchen, da fehlen noch zwei«, fauchte Red und sprang über den Sand in jene Richtung, der auch Fylgien und Mana gefolgt waren. Doch schon als er stehen blick und zurückschaute, kam eine schwarze Wölfin mit weißen Abzeichen aus der Ferne angesprungen. Es war Ahkuna. »Da seid ihr ja!«, rief sie erleichtert aus. Sie wurde beim Näher kommen langsamer, blieb dann stehen und begrüßte sie alle ebenfalls mit einem Nasestupsen und warf dann den Pony zurück, den sie auch in ihrer Wolfsgestalt behalten hatte. »Fehlt nur noch Slyk«, meinte Lif. »Der kommt auch gleich«, lachte Ahkuna. Und sie behielt recht, nur kurze Zeit später kam auch ihr Bruder näher. Auch er hatte überwiegend schwarzes Fell, dazu einige weiße Abzeichen und ein blaues Muster unter einem Auge. »Seid wann bist du so schnell, Ahkuna?«, erkundigte er sich keuchend, doch seine Schwester lächelte nur. »Gut, wir sind also alle wieder zusammen, und es geht uns allen gut. Was tun wir jetzt?«, Mana setzte sich in den Sand und schaute fragend auf Fylgien. »Wir gehen zu Yggdrasil«, fand er und schaute zum Wald hinüber. »Yggdrasil? Was ist das?«, wollte Slyk wissen. »Eine Esche in der Mitte von Midgard. An ihrem Fuß leben die Nornen, und die werden uns gewiss helfen können«, erklärte Fylgien. »Woher weißt du das alles?«, erkundigte sich Lif erstaunt. »Ich fand eure Welt immer schon sehr interessant«, antwortete der goldene Wolf und lächelte schüchtern. »Also spätestens jetzt machst du mich wirklich neugierig… Wer bist du?«, Slyk setzte sich verblüfft. Doch darauf wusste Fylgien keine Antwort. Er zögerte kurz, dann schüttelte er den Kopf. »Jemand, der eure Welt sehr gerne und sehr lange beobachtet hat. Ich weiß viel über sie. Daher kenne ich auch Midgard«, antwortete er. »Ich denke, wenn wir dein zuhause gefunden haben, werden wir es verstehen… Lasst uns gehen«, fand Mana und lief voran. Die anderen folgten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)