Wolfskinder - Sternenwege von Scarla ================================================================================ Kapitel 10: Llew ---------------- Der Wald war dicht und so voller Gestrüpp, sodass ein Durchkommen alles andere als leicht war, doch auf vier Pfoten schafften sie es. Dabei trugen sie abwechselnd Red, denn mit seinen kurzen Beinen kam er alleine nicht voran. »Sobald wir wieder zu Hause sind, setz ich dich auf Diät«, brummte Lif das Tier auf seinem Rücken an. »Geh lieber mal für zwei Wochen auf ein Schiff, dann würdest du jetzt nicht so jammern«, antwortete sein Onkel bissig. »Der Weg ist nicht mehr weit«, lächelte Fylgien, doch da hörten sie ein Geräusch, das ihnen nicht geheuer war. »Gibt es auf Midgard irgendetwas großes, böses, das uns gefährlich werden könnte?«, wollte Ahkuna ängstlich wissen und duckte sich unwillkürlich. »Ein… ein bisschen was schon, ja«, nickte Fylgien und stand dermaßen unter Spannung, das er wirkte, wie eine festgespannte Sprungfeder. »Könnte das eben dieses bisschen gewesen sein?«, erkundigte sich Slyk misstrauisch. »Theoretisch schon, ja«, bestätigte der goldene Wolf. »Dann sollten wir uns schleunigst etwas ausdenken, wie wir möglichst schnell möglichst viel Platz zwischen uns und unserem aktuellen Standort kriegen«, fand Lif und schaute sich unruhig um. Da hörten sie ein lautes Knacken, das sie alle erschrocken zurückspringen ließ. Angespannt blickten sie sich um, doch gerade, als sie wieder entspannt aufatmen wollten, ließ sie ein dunkler Schatten, der auf sie zusprang, so erschrecken, dass sie in alle Richtungen davon stoben. Mana bemerkte erst, das sie wieder alleine war, als sie beim Sprung über einen Baumstamm mit ihrer Pfote hängen blieb und schwer stürzte. Es war einfach niemand da, der ihr aufhalf oder zumindest fragte, ob sie sich was getan hätte. Sie stand umständlich wieder auf, konnte nur unter Schmerzen stehen, denn der Hinterlauf, mit dem sie hängen geblieben war, blutete stark. Haut und Fell hingen nur noch in Fetzen daran, das bloße Fleisch war voller Dreck. Zudem schmerzte ihre Schulter schwer, auf die sie gefallen war, sodass sie leise fiepte und sich schutzsuchend umschaute. So konnte sie niemandem entkommen, der hier böses wollte, also brauchte sie einen Unterschlupf, bis jemand kam und ihr half. Sie wollte gerade um den Baumstamm herumhumpeln um zu sehen, ob er hohl war, als sie Stimmen hörte. »Wir kennen sie«, flüsterte ein raues Krächzen. »Aber sie war schon lange wieder fort«, antwortete ein anderes raues Krächzen. »Wieso ist sie wieder hier?« »Vielleicht sucht sie etwas…« Zwei Vögel flatterten aus den Bäumen auf den Waldboden herab. Es waren beides eindeutig Raben, doch besaß der eine das übliche schwarze Gefieder, während der andere schneeweiß war. Zudem hatten sie unheimliche rote Augen. »Ich bin kein Aas, verschwindet«, knurrte sie unsicher, denn sie wusste, dass sich Raben gerne am toten Fleisch gütlich taten. »Wir fressen dich nicht«, beruhigte sie der Schwarze. »Niemals kämen wir auf die Idee«, fügte der Weiße hinzu. »Was wollt ihr dann von mir?«, Mana waren diese seltsamen Vögel nicht ganz geheuer. »Wir wollen nur wissen, was du hier tust?« »Immer noch, oder schon wieder?« Mana verstand nicht, was die Vögel meinten. Im Gegenteil, die beiden Vögel waren ihr zutiefst suspekt, obwohl sie spürte, dass sie keine Angst zu haben brauchte. »Wer… seid ihr?«, erkundigte sie sich zögernd. »Gedanke«, erklärte der Schwarze. »Erinnerung«, meinte der Weiße. Doch beides half dem Mädchen nicht gerade weiter. »Gedanke und Erinnerung? Sind das eure Namen?«, fragte sie weiter. »Das ist, was wir sind.« »Unser wahres Wesen.« Da spürte das Mädchen, wie eine dunkle Erinnerung in ihr Bewusstsein trat. Gedanke und Erinnerung, sie hatte die beiden durchaus schon einmal getroffen. Doch wann? Wo? Und wieso? »Ich kenne euch, aber ich weiß nicht, woher«, beichtete sie leise. »Natürlich kennst du uns«, lachte der Schwarze. »Wie solltest du uns auch vergessen?«, kicherte der Weiße. »Dann sagt mir doch bitter, woher ich euch kenne«, bat sie eindringlich. »Du bist schon einmal hier gewesen, mein Kind.« Erst, als es der Schwarze ausgesprochen hatte fiel Mana wieder ein, was der weiße Wolf gesagt hatte. Sie musste durch ihre Vergangenheit laufen um ihre Zukunft zu finden. Und dies hier war offensichtlich ihre Vergangenheit. »Helft ihr mir?«, fragte sie gerade heraus. »Wobei?«, erkundigte sich der Weiße. »Ich muss meine Freunde finden. Und dann müssen wir einen Weg finden, um Fylgien nach Hause zu bringen.« »Den kleinen Lichtbringer wollt ihr wieder nach Hause führen?«, der Schwarze wirkte ein wenig erstaunt. »Obwohl der Weg so weit und gefährlich ist?« auch der Weiße schien das nicht als selbstverständlich anzusehen. »Wisst ihr denn, wo sein zu Hause liegt?« »Natürlich.« »Aber wir verraten es dir nicht.« »Wieso?«, langsam wurde Mana wütend über die beiden zu groß geratenen Spatzen. »Weil wir damit dein Schicksaal bestimmen würden. Du musst den Weg alleine finden.« »Damit du auf dem Weg sich selbst finden kannst.« Das klang viel besser. Mana hatte immer noch damit zu kämpfen, dass sie sich nicht genau definieren konnte. Sie war in ihren Augen nur irgendwer, ohne besondere Bedeutung, ohne Charakter, ohne Individualität. Sich selbst finden dagegen sprach ihr voll und ganz zu, nur wie sollte sie das anstellen? »Könnt ihr mir einen kleinen Rat geben?«, bat sie. »Hugin und Munin können einen nur immer noch mehr verwirren mit ihren Pseudo-Antworten, versuch es gar nicht erst«, warnte sie eine Stimme. Erschrocken fuhr sie herum, um dann angespannt auf den jungen Wolf zu blicken, der von Oben auf sie hinabschaute. Allerdings merkte sie schnell, dass er nichts Böses wollte, denn er stand dort völlig entspannt und schaute sie neugierig aus seinen hellblauen Augen an, die grauen Ohren hingen eher am Kopf, als das sie gespitzt waren. »Wer bist du?«, erkundigte sich Mana angespannt. »Llew«, machte der Wolf. »Was?«, sie neigte fragend den Kopf. »Llew, das ist mein Name«, der Wolf sprang zu ihr auf den Waldboden hinab. Er ging steifbeinig um sie herum, hatte dabei stolz den Kopf und die Rute angehoben, schnappte warnend nach den beiden Raben, als er an ihnen vorbei ging. Er blieb vor ihr stehen und bleckte gut gelaunt die Zähne zu einem Grinsen. »Wer bist du?«, erkundigte er sich. »Mein Name ist Mana«, antwortete sie verunsichert. »Mana, ja?«, Llew schaute sie nachdenklich an, dann sprang er unvermittelt auf den schwarzen Raben zu, der erschrocken aufflatterte. »Verschwindet, ich kümmere mich jetzt um sie!«, rief er den Raben zu. Die flatterten davon, jedoch nicht, ohne ihm einen bösen Blick zugeworfen zu haben. »So, jetzt sind wir also unter uns, meine hübsche Dame«, lächelte er und setzte sich hin. »Ja…«, sie war davon nicht ganz so begeistert, wie er es offensichtlich war. »Du brauchst keine angst vor mir zu haben, ich werde dir nichts tun, das verspreche ich dir.« Er stand wieder auf und trat an ihre Seite, leckte dann über ihre Wunde. Sie zuckte zusammen und fuhr herum, doch er schaute sie nur gelassen an. »Wenn du den Dreck drinnen lässt, entzündet es sich nur«, erklärte er ruhig und senkte wieder den Kopf um weiterzulecken. »Warum hilfst du mir?«, wollte Mana misstrauisch wissen. »Warum nicht?«, er lächelte und leckte dann weiter. Und das Mädchen wartete geduldig, bis er fertig war. »Normalerweise hilft man Fremden nicht einfach so«, erklärte sie dann. »Normalerweise trifft man aber auch nicht allzu viele Fremde in Midgard. Du kommst von außerhalb, oder?« »Außerhalb? Meinst du nicht von der Insel?« »Ja.« Mana humpelte umständlich zum Baumstamm und legte sich daneben hin. »Ja, ich komme von Außerhalb. Ich bin mit meinen Freunden hier, unser Schiff ist gesunken und wir sind hier angespült worden. Ich habe sie verloren, als wir auf den Weg zu Yggdrasil waren… sagt dir das was, Yggdrasil?«, sie schaute ihn fragend an. »Natürlich. Die Weltenesche Yggdrasil, sie verbindet Udgard, Midgard und Asgard Mitteineinander. Warum wolltet ihr dorthin laufen?« »Fylgien sagte, dass dort die Nornen leben und dass sie uns wahrscheinlich helfen werden«, erklärte sie. Llew neigte nachdenklich den Kopf. »Helfen… vielleicht. Manchmal tun sie es, manchmal nicht. Es kommt darauf an, welche Fragen man ihnen stellt… Kannst du laufen?« »Ich weiß nicht… es tut so weh«, Mana versuchte zwar, den Schmerz zu ignorieren, doch natürlich gelang es ihr nicht. »Das ist… nicht gut. Denkst du, das ich dich kurz alleine lassen kann?« Mana wirkte nicht begeistert. »Hier gibt es… doch keine bösen Ungeheuer, oder? Fylgien hat so etwas in der Richtung erwähnt…«, erklärte sie leise. »Dann… muss ich mir was überlegen…«, der junge Wolf legte sie ebenfalls hin, denn er hatte sehr gut verstanden, dass er Mana nicht alleine lassen konnte. »Mir fällt bestimmt etwas ein.« »Ist der Weg denn weit?« »Ein gutes Stück ist es schon noch und mit der Pfote gewiss zu weit für dich… und alleine kann ich es leider nicht«, Llew grinste schief. »Alleine kannst du was nicht?«, wollte das Mädchen misstrauisch wissen. »Dich tragen«, er grinste. »Du musst mich nicht tragen«, sie stand wieder auf und humpelte an ihm vorbei. Sie konnte kaum laufen und es tat entsetzlich weh, aber dieser junge Wolf machte sie nervös. Er hatte etwas an sich, das sie nervös machte, denn sie konnte es nicht einordnen. Er kam ihr so seltsam vertraut vor, obwohl sie sich sicher war, niemals vor Fylgien mit einem Wolf Freundschaft geschlossen zu haben. »Wenn du meinst… aber ich warne dich, der Weg ist wirklich sehr, sehr weit«, Llew lief ein wenig voran und schaute auffordernd zu ihr zurück, nur um zu ihr zu laufen und sogleich wieder umzudrehen. So lief er immer hin und her, des ganzen Weges über und auch, nachdem sie ihn gebeten hatte, es zu unterlassen. Doch bald schon viel ihr auf, das sie dabei von den beiden Raben verfolgt wurden, die offensichtlich doch nicht gegangen waren. Doch sie störte es nicht weiter, Llew dagegen wirkte nicht gerade glücklich darüber. Als sie letzten Endes bei Yggdrasil ankamen, bemerkte es Mana nicht einmal. Für sie war es bloß so, als stünde sie vor einer hohen, rauen Wand. »Hier kommen wir nicht weiter«, bemerkte sie und legte sich erschöpft hin. »Brauchen wir auch nicht. Das hier ist Yggdrasil«, erklärte Llew und machte einen riesigen Satz auf die Schräge dessen, was für Mana nach wie vor wie eine Mauer aussah. »Fylgien sagte, das Yggrasil eine Esche wäre. Das dort ist bestimmt keine Esche«, widersprach sie mit gekräuselter Schnauze. »Yggdrasil ist die Weltenesche, Schätzchen. Sie ist viel größer, als ein gewöhnlicher Baum«, lachte Llew. Mana schaute ihn zwar zweifelnd an, doch dann betrachtete sie die Mauer genauer und der Atem stockte ihr. Das war wirklich ein Baum! »Der… muss ja riesig sein…«, flüsterte sie heiser. »Seine Wurzeln halten die Welt zusammen und die Äste und Zweige stützen den Himmel«, Llews Augen leuchtete voller Stolz. »Das ist doch…«, Mana starrte hinauf, in das dichte Blätterdach, das so weit über ihr lag, dass es die Sonne nicht im Mindesten abschirmte. Im Gegenteil, selbst so konnte sie noch die hellen Strahlen sehen, die von der gleißenden Himmelsscheibe ausgingen. »Yggdrasil ist das Herz der Welt. Ohne ihr gäbe es kein Midgard, kein Udgard und erst recht kein Asgard.« »Okay«, Mana schüttelte entschieden den Kopf. Das war so unglaublich, dass sie es einfach nicht wirklich begreifen konnte. Und dennoch tat sie einfach so, als würde stimmen, was Llew sagte. »Gut, das hier ist Yggdrasil. Aber wo sind dann meine Freunde?« »Du sagtest etwas von den Nornen. Vielleicht sind sie dort«, überlegte Llew und sprang wieder zu ihr hinab. »Kannst du mir… den Weg auch noch zeigen?«, bat sie leise. »Natürlich«, lächelte Llew und wie zuvor auch führte er sie hin und her laufend weiter. Vorbei an jenem Baum, der so viel größer war, als Mana es je für möglich gehalten hatte. Und dennoch schien es so, als wäre es Wirklichkeit. War es das, was der weiße Wolf gemeint hatte? Das manchmal Dinge waren, obwohl sie so unwirklich erschienen? Das es in manchen Welten selbst Bäume gab, die den Himmel stützten? Oder hatte er etwas völlig anderes gemein? Sie wusste es nicht, doch sie war sich ziemlich sicher, dass sie es herausfinden würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)