Wolfskinder - Sternenwege von Scarla ================================================================================ Kapitel 13: Urd --------------- Mana fühlte sich, als wäre sie schon seit Stunden unterwegs. Und sie konnte nur nach vorne gehen. Neben ihr und hinter ihr waren Felsen, das konnte sie im Schein des Sternenanhängers erkennen. Er hatte zu leuchten begonnen, als sie sich so einsam und allein gefühlt hatte, wie niemals zuvor, und vor angst fast wahnsinnig geworden war. Er spendete ihr Licht und Trost und ließ sie ihren Weg erkennen. Sie wusste, dass Magie im Spiel sein musste, denn die Felsen in ihrem Rücken schienen ihr zu folgen, doch eigentlich war es ihr egal. Irgendwer wollte, dass sie vorwärts lief, also tat sie es. Eine andere Wahl hatte sie sowieso nicht. Und so lief sie einfach weiter. Sie war müde, ihre Pfote schmerzte entsetzlich und sie hatte angst vor dem, was sie erwarten würde, aber sie folgte dem Weg trotzdem. Sie hatte ja auch keine andere Wahl. Irgendwann, es schien ihr, als wäre sie schon seid Jahren unterwegs, da gewahr sie ein Licht. Es war erst nur ganz schwach, sodass sie es gar nicht wirklich wahrnahm, doch es wurde immer heller und irgendwann bemerkte sie es, trotz des blauen Lichtes des Anhängers. Sie schaute auf, es dauerte einige Momente, bis ihr klar wurde, was das heißen konnte. Vielleicht war beim Licht auch das Ende ihrer Reise durch die Dunkelheit. Sie zögerte noch einen Augenblick, dann lief sie schneller. Sie ignorierte den Schmerz ihrer Pfote so weit es ihr möglich war und lief so schnell sie konnte. Sie erkannte bald, dass das Licht von einem Feuer herrührte. Als sie das Ende der Höhle erkennen konnte, wurde sie wieder langsamer und vor dem vermeintlichen Ausgang blieb sie völlig stehen. Sie schaute in einen Raum, der ihr so vertraut war, dass ihr Herz einen Satz machte und sie fast vergaß, dass er nicht Wirklichkeit sein konnte. Vor ihr öffnete sich das gemütliche Wohnzimmer ihres Elternhauses. Im Kamin prasselte ein Feuer, vor dem Fenster tobte der Wind und trieb den Schnee, wie es ihm beliebte. Eine Gestalt mit weißem Haar saß vor dem Feuer und in ihren Träumen war es Lugh Akhtar, der wartete, bis sich alle um ihn herum versammelt hatten, um wieder eine seiner Geschichten zu erzählten. Doch schon allein das Spinnrad bewies, das er es nicht sein konnte, selbst wenn man von der Gestalt nichts weiter hätte sehen können. Doch Mana sah auch die Gestalt. Es war eine alte Frau mit schlohweißem Haar. Ihre Haut war voller Altersflecken und runzelig, doch bewegte sie ihre Hände geschickt und schnell und der Faden den sie spann, leuchtete wie ein Regenbogen. »Komm ruhig näher, mein liebes Kind. Ich werde dir nichts tun, Sternengefährtin«, sprach die alte Frau und klang nicht bös dabei, doch als Mana ihren Schülernamen hörte, da duckte sie sich in eine Angriffsstellung und ließ ein lautes Grollen hören. »Woher kennst du ihn?«, fragte sie. »Ich habe ihn dir gegeben. In gewisser Weise. Komm her, ich werde dir nichts tun, das verspreche ich dir«, antwortete die alte Frau und lächelte dabei sanft. »Nein!«, rief Mana. Obwohl die Frau nichts anderes tat, als da zu sitzen und zu spinnen, hatte sie eine entsetzliche angst vor ihr, denn diese Frau besaß alle Macht über Mana, die irgendwer je besitzen konnte. »Sternengefährtin«, sagte da die alte Frau erneut, doch diesmal war etwas anders. Diesmal hatte sie die Macht des Namens genutzt, das spürte Mana sofort. Es war ein seltsames Gefühl. Die Fremde hatte weder besonders laut, noch besonders scharf gesprochen, es war eigentlich eher ein sanftes Hauchen gewesen, eine klangvolle Liebkosung des Wortes, doch für Mana klang es, wie ein Peitschenhieb. Sie spürte ein unangenehmes Kribbeln im Fell, das sich unwillkürlich sträubte, und sie spürte, wie man ihr einen Willen aufzwang, der nicht ihrer war. Und das Grausamste war, das sie genau wusste, dass es falsch war, und trotzdem nicht dagegen ankämpfen wollte. Sie akzeptierte es, ein Teil von ihr empfand es sogar als richtig und gut. So setzte sie sich in Bewegung, betrat den Raum mit dem Wissen, das sie durch diese Tür nicht mehr zurückkonnte. Doch kaum hatte sie den Raum betreten, da verschwand alle seltsamen Zwänge von ihr, und als sie zurückblickte, viel ihr auf, das sich ihre Sichtweise geändert hatte. Sie war wieder ein Mensch. »Wer bist du?«, fragte sie und strich nachdenklich über ihre menschlichen Arme. »Niemand, der dir etwas böses will. Komm, setz dich. Im Sitzen redet es sich leichter«, die alte Frau nickte auf den Sessel vor dem Feuer, in dem für gewöhnlich Manas Mutter saß und stickte. Doch obwohl es ihr nicht behagte nickte sie und humpelte zum Sessel. Ja, auch in dieser Gestalt konnte sie nicht richtig laufen. Sie ließ sich schwer in die Polster fallen, beobachtete dann die Frau, wie sie den Faden spann. Es dauerte einige Momente, bis ihr auffiel, dass sie gar keine Wolle hatte. Es schien, als spann sie ihr Garn einfach aus der Luft. »Warum glitzert er? Und woraus machst du ihn?«, fragte Mana leise, nachdem sie einige Augenblicke darauf gewartet hatte, das die andere Frau begann. »Er ist aus Schicksaal, und er glitzert, weil es ein schönes, fröhliches Leben wird. Zumindest diese Jahre«, lächelte die Frau. »Diese… Jahre?«, Mana verstand nicht. Was tat diese Frau? Doch die lächelte nur wissend. »Mein Name ist Urd. Ich wusste, dass du kommen würdest, deiner angst zum Trotz«, sprach sie. »Aber… was tue ich hier? Alle sagten, das ich hierher kommen müsste, doch… wieso?«, Mana schüttelte langsam den Kopf. »Weißt du, Mana, du bist nicht die Erste, die mit solchen Fragen zu mir kommt. Es gab schon einmal jemand, der sich noch nicht ganz sicher über seinen Weg war. Er hat ihn gefunden. Er ist ihn lange schon gegangen, aber er musste auch wissen, dass es der Richtige war. Kannst du dir denken, wen ich meine?«, Urd spann weiter ihren Faden. »Nein«, antwortete sie wahrheitsgemäß. Da lächelte die alte Frau wieder. »Ich spreche von deinem Vater, von Lugh Akhtar. Ja, auch er zweifelte für eine Weile, doch nur, weil ihm das Ende so falsch erschien. Doch das Ende war bloß eine Kurve, die er nicht als solche erkennen konnte. Denkst du, das auch du eine solche Kurve vor die siehst?« Mana dachte eine Weile darüber nach, dann verneinte sie. »Ich erkenne nicht einmal den Weg. Ich laufe blind durch Nacht und Nebel und finde weder hin noch zurück.« »Ja, das geschieht nur allzu leicht. Es gibt viele, die den Weg verloren haben, aber sich dessen einfach nicht bewusst sind. Sie folgen dem Weg von jemand anderen ohne zu verstehen, dass er niemals der Richtige sein kann. Sie verstehen nicht, was sie so unzufrieden macht und sie glauben, dass das Schicksaal nur schlechtes für die bereit hält, doch wie wollen sie das denn wissen? Es ist doch nicht ihr Schicksaal...« »Man… man kann dem Schicksaal eines anderen Menschen folgen? Habe ich das auch getan?«, es schien so logisch, doch Mana glaubte nicht, das dem so war, und Urd bestätige sie darin. »Du bist auf dem richtigen Weg. Lugh Akhtar hat dafür gesorgt, das du ihn nicht verlierst, das du immer schon auf ihm gewandelt bist, doch hat er dabei eines vergessen: Um den Weg zu verstehen, muss man ihn auch selbst gefunden haben. Es ist dein Weg, aber du begreifst ihn nicht in seiner völligen Konsequenz.« Mana nickte verstehend. Sie begriff, was Urd ihr sagen wollte, doch dabei fiel ihr auf, wie seltsam die Augen der alten Frau aussahen. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass Urd blind war. Und trotzdem wusste sie, dass es die Norne nicht im Mindesten beeinträchtige. »Weißt du, was ich hier tue? Weißt du, was die Aufgabe der Nornen ist?«, fragte da die alte Frau und lächelte, während sich der Faden dunkel zu färben begann. »Nein… was… was geschieht?«, Mana schaute voller angst auf das schwarze Garn, sie wusste instinktiv, das es nichts gutes verheißen konnte. »Ich spinne das Schicksaal der Menschen. Ich gebe ihnen eine grobe Richtung voraus. Ich kann ihnen nicht ihren Weg vorgeben, laufen muss jeder selbst, aber kann bestimmen, ob ihnen viele Steine im Weg sein werden, oder kaum einer. Ich… ja, ich spinnen ihren Leitfaden könnte man sagen«, lachte Urd, während der Faden wieder bunt wurde. Bis er plötzlich abriss. Es war nur ein feines, seidiges Geräusch, doch es hallte in Manas Ohren so Unheil verkündend nach, das sie erschrocken zusammenzuckte, dann mit großen Augen das Spinnrad anschaute. »Was… bedeutet das?«, fragte sie leise. »Das er wohl glücklich sterben wird…«, Urd schien das nicht im Mindesten zu stören. Sie machte einfach weiter. »Weißt du Mana, jedes Wesen existiert aus einem bestimmten Grund. Jeder hat seine Aufgabe im Leben, jeder hat irgendetwas Bestimmtes zu tun. Meine Aufgabe ist es, euer mögliches Schicksaal zu spinnen. Die Aufgabe von Frühling, Sommer, Herbst und Winter ist es, die Jahreszeiten zu bringen. Unsere Aufgaben sind uns klar vorgegeben, aber auch ihr Menschen habt eine solche Aufgabe. Sie ist nicht so klar, wie meine es ist, aber wenn ihr nur aufmerksam genug seid, dann erkennt ihr es vielleicht.« Das Mädchen nickte nachdenklich, schüttelte dann aber sogleich den Kopf. Sie stand auf und lief unruhig auf und ab. »Was hast du zu meinem Schicksaal gemacht? Was für ein Leben hast du für mich vorgesehen? Welchen Sinn hat mein Leben? Urd, ich habe das Gefühl, ich würde Wahnsinnig, wenn ich es nicht bald weiß! Wozu bin ich hier? Was nutze ich denn schon? Ich bin ein kleines Mädchen, ich bin nichts Besonderes! Ich bin nicht besonders begabt, ich bin nicht klug oder hübsch, ich kann nicht rücksichtslos für irgendetwas kämpfen. Ich bin einfach… nur jemand, der nicht weiß, welche Rolle sie im Gefüge der Welt spielen soll. Bin ich eine treibende Kraft? Bin ich ein kleines, nutzloses Zahnrad am Rand? Was bin ich? Wer bin ich?«, verzweifelt schaute Mana auf die alte Frau, doch die Lächelte nur. Sie lächelte immer. Mana hatte das Bedürfnis, ihr dieses Lächeln aus dem Gesicht zu wischen. Warum freute sie sich? Warum bereitete es ihr so viel spaß, sie zu quälen? »Ich kann dir nicht verraten, was ich für dich vorgesehen habe, aber ich kann dir sagen, dass du auf dem richtigen Weg bist. Indem du tust, was du eben tust, folgst du dem richtigen Weg. Du bist kein nutzloses Stück am Rand, mein Kind, du bist wichtig. Du hältst das Uhrwerk zusammen, und es liegt in deiner Hand, wie lange das noch so bleiben wird. Von jedem Wort, von jeder Geste, von jedem kleinen Gedanken kann abhängen, was mit dieser Welt geschehen wird. Aber sorge dich deswegen nicht, denn gleich, welcher Weg es sein wird, es wird immer weitergehen. Du wirst niemandem verderben bringen, du wirst einfach nur Dinge ändern. Oder auch nicht.« »Was interessiert mich diese Welt? Wie soll ich ihr Schicksaal bestimmen, wenn ich nicht einmal mein eigenes bestimmen kann? Wenn ich immerzu von irgendjemanden in eine Richtung gedrängt werde?« »Wirst du das?«, Urd schaute auf, blickte aus den blinden Augen zu ihr. »Ja. Erst war es mein Vater, nun ist es der weiße Wolf. Er gibt mir Rätsel auf.« »Nein, mein Kind. Er hat dich nie in eine Richtung gedrängt, es war immer dein freier Wille, selbst zu entschieden, was du tun wirst. Er hat dich immer auf deinem Pfad gehalten, aber er hat keine Mauer an ihrem Rand errichtet. Und was den weißen Wolf betrifft… du kennst ihn und er hat dir ein paar wichtige Dinge verraten.« »Welche Pfade in die Vergangenheit meint er? Und was ist es, was Lilith von mir wollte? Warum ist es so wichtig für mich?« »Der Pfad in die Vergangenheit ist immer der Pfad zu mir. Ich bin Urd, ich bin das Gewordene. Von hier aus geht der Weg in deine Gegendwart und in deine Zukunft. Und was Lilith betrifft… Sie wollte von dir das Herz eines Sternes haben. Doch es ist wichtig, dass du es behältst, zumindest solange, bis sein wahrer Besitzer es wiederhaben möchte. Wenn er es denn wiederhaben möchte.« »Das… Herz eines Sternes?«, nun blinzelte Mana verblüfft. Sie zögerte kurz, dann griff sie zum sternenförmigen Anhänger. War er das Herz eines Sternes? Doch wenn er es nicht war, was war es dann? Hatten Sterne Herzen? Und warum war er so wichtig? Wusste Lugh Akhtar davon? Wenn ja: Warum hatte er dann solch ein wichtigen Gegenstand in ihre Hände gegeben? »Vor dem Wolf brauchst du keine angst zu haben. Er wird dir helfen, er würde eher sterben, als dir absichtlich Schaden zuzufügen, aber du musst ihm nicht blind vertrauen.« Mana nickte langsam. Sie wusste, dass das Gespräch hiermit beendet war. Es gab nichts mehr zu sagen. Urd hatte ihr mehr gesagt und erklärt, als es je irgendwer in all den Jahren zuvor getan hatte. Und sie hatte verstanden, was sie nun tun musste. »Was wird mich noch erwarten?«, fragte sie leise. »Meine Schwestern werden dir noch ein wenig etwas erzählen. Ich habe alles gesagt, was ich weiß und was ich verraten darf. Verlasse deine Vergangenheit, kehre zurück in die Gegenwart. Und habe keine angst«, antwortete Urd. Mana nickte noch einmal und als sie sich umwandte, stand die Tür wieder offen. Sie drehte sich noch einmal zu Urd um, doch die war nicht mehr da. Der Kamin war kalt, das Zimmer wurde nur vom Leuchten des Sternes erhellt. Und das Mädchen war nicht einmal erstaunt. »Danke Urd«, erklärte sie der Luft, dann ging sie. Es warteten noch zwei weitere Nornen auf sie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)