Wolfskinder - Sternenwege von Scarla ================================================================================ Kapitel 15: Skuld ----------------- Mana lief durch die Nacht. Unter sich konnte sie die Erde erkennen, so wie Verdandi sie ihr gezeigt hatte. Eine blaue Kugel, bedeckt mit Kontinenten und Wolken. Und über ihr glitzerten die Sterne. Sie hätte sich erfreuen können, an diesem so einmaligen Bild, das zu sehen nur den wenigsten vergönnt war, doch in ihrer Magengegend hatte sich ein solch beklemmendes Gefühl breit gemacht, das sie ein wenig ängstlich dem Weg entlang blickte. Doch sie humpelte tapfer weiter über den Himmel. Da vernahm sie ein Lachen, glockenhell und so voll Freude, das Mana stutzte und stehen blieb. Sie zögerte, schaute sich suchend um, gewahr dann ein Glitzern, das irgendwo vor ihr zu sehen war. Sie überlegte kurz, ob sie weiterlaufen sollte, dann wurde ihr jedoch bewusst, dass sie eigentlich auch nicht mehr zurück konnte, also tat sie es. Sie folgte dem Glitzern. Und bald schon erkannte sie, das es ein Kind war, das lachend und mit einem Stern durch die Nacht tanzte, dabei ein leuchtendes Band um sich herum wirbelte. »Bist du die dritte Norne?«, fragte Mana, obwohl sie die Antwort kannte. »Ja. Ich habe dich bereits erwartet, Sternengefährtin«, lachte das Mädchen und ließ das Band los. Es wurde zu einem Licht, das für einen Moment am Himmel stand, bevor es verschwand. »Was… hast du getan?« »Ich habe einen Menschen sein Schicksaal gesandt«, lachte das kleine Mädchen und tanzte um den Stern herum. Mana zögerte, dann nickte sie lächelnd. Urd spann den Faden, Verdandi verwob ihn und die dritte Norne suchte aus, wer es haben sollte. Die Aufgabe der Nornen. Sie verstand es. Jeder hatte seine Aufgabe in dieser Welt. »Darf ich dich… nach deinem Namen fragen?« »Name sind doch nur schall und rauch, es gibt nur einen Namen, der wirklich etwas über uns aussagt, der wirklich wichtig ist, und den werde ich dir nicht verraten. Aber wenn du einen für mich brauchst, so nenne mich Skuld. Ich bin die Dritte der Nornen, ich bin das Werdensollende«, erklärte das Mädchen, fing den Stern und barg ihn in ihrer Hand. »Skuld also… Skuld, die anderen Zwei haben mir schon erzählt, was ich wissen musste, und meine Zukunft mag ich nicht kennen. Was wirst du mir also erzählen?«, erkundigte sich das Mädchen. »Ich? Gar nichts. Ich möchte, dass du mir von deiner Reise berichtest. Erzähl mir, auf welchem Weg bist du in die Zukunft gelaufen?«, das kleine Mädchen, das scheinbar nur acht Jahre alt sein mochte, schaute sie aus wissenden, uralten Augen an. Diese Norne war nicht blind. »Welchen Weg ich gelaufen bin?«, diese Aufforderung überraschte Mana, denn sie hatte erwartet, das ihr Skuld wieder irgendetwas erzählen würde. Doch statt weiter darüber zu grübeln, lächelte sie und nickte. Sie versuchte sich jedes Detail wieder ins Gedächtnis zu rufen, das ihr auf ihrem Weg ins Himmelsreich aufgefallen war. Sie schloss die Augen, dann begann sie. »Ich betrat die Höhle aus Eis, doch als ich sie auf der anderen Seite wieder verließ, da erwartete mich nicht nur die Eislandschaft, sondern… ein Pfad aus Licht. Ich glaube, das Nordlicht ist es wohl gewesen. Ich wusste, das dies der Weg ist, der mich zu dir bringen würde, also habe ich ihn betreten und bin… bin ihm gefolgt. Er veränderte seine Farbe immerzu und er strahlte und leuchtete so wunderschön… ich musste immerzu an die Augen meines Vaters denken. Ich lief ihn entlang, immer höher hinauf, und als ich das Ende sehen konnte, da merkte ich, wie ich mich zu verändern begann. Als ich den Nordlichtweg verließ, da war ich wieder ein Mensch. Ich lief dann immerzu weiter, folgte meinem Gefühl, und es führte mich an weiten Sternen vorbei, durch die Nacht laufend hierher«, erzählte sie und lächelte bei dem Gedanken daran. »Ein Weg aus Licht, wie wunderschön!«, freute sich Skuld lachend und ließ den Stern wieder frei. »Ist es denn nicht immer ein Lichterpfad?«, erkundigte sich Mana zögernd. »Nein. Jeder geht seinen eigenen Weg, und zwar immer jenen, den er selbst wählt. Und du hast einen Weg gewählt, der deiner würdig ist. Deines Standes angemessen könnte man sagen«, lachte Skuld. »Meines Standes angemessen?«, die Norne verwirrte Mana. Natürlich, Lugh Akhtar war in gewisser Hinsicht durchaus der Herr von Wynter, doch damit hatte sie nichts zu tun. Sie, Kekoa und Yue würden niemals Anspruch auf die Herrschaft des Reiches haben. Wenn ihr Vater einmal starb, so würde es keinen direkten Nachfolger geben. Da Cinder, Soul und Kenai alle drei auf jegliche Anteile am Reich verzichtet hatten, wäre der Nächste in der Reihenfolge Lif. Er war der Erste direkte Verwandte Lugh Akhtars, der einer ehelichen Beziehung entstammte. Somit war nur der Stand ihrer Mutter von Bedeutung, und der war in ihrer Gesellschaft einfach nicht so hoch, dass er irgendwie erwähnenswert gewesen wäre. Sie trug den Namen ihres Vaters, doch eine wirkliche Bedeutung hatte es nicht. »Ja. Du bist nicht irgendwer, Sternengefährtin. Unter Menschen und auch unter Zauberern magst du nur eine von vielen sein, doch in dieser, in unserer Welt, da bist du nicht irgendwer. Die Raben haben dich gleich erkannt und auch Skadi wusste, wer du bist. Deswegen hat mich ihre Reaktion auch ein wenig gewundert, aber vielleicht war sie einfach nicht so verblendet zu glauben, das sie die Einzige für ihn sein könnte…«, die Norne wirkte nachdenklich, während Mana überlegte, ob sie nachfragen sollte, denn abermals verstand sie nicht. Sie entschied sich dagegen. »Die Raben, Hugin und Munin. Ich kenne sie, aber woher? Und warum kann Llew sie so gar nicht ausstehen?«, erkundigte sich das Mädchen stattdessen. »Llew gehört zum Winter, die Raben dagegen gehören zur alten Welt. Weißt du, Skadi ist als Botschafterin der Jahreszeiten hier. Sie ist etwas ganz besonderes, denn sie ist schon sehr viel älter, als jeder Andere auf dem Gefolge der Jahreszeiten. Sie ist im allerersten Winterrudel geboren und das hat es danach niemals wieder gegeben. Es ist ein wenig so, als wäre sie selbst ein bisschen der Winter«, erklärte Skuld und beobachtete nachdenklich den Stern. »Und deswegen gehört Llew zum Winter? Will Skadi dazu gehört?« »Nicht nur. Llew ist das Ergebnis einer verbotenen Beziehung. Sein Vater war innerlich so zerrissen, wie du es bisher warst, und Skadi hat ihn geliebt. Sie hat ihm dabei geholfen, sich selbst und seine Bestimmung zu erkennen, und er hat seine Dankbarkeit für Liebe gehalten. Es hätte eigentlich nicht geschehen dürfen. Als ihm klar wurde, dass das, was er tat, nicht das war, was er tun sollte, da wussten sie beide nichts von dem Leben, das schon im Wachsen begriffen war. Er ging. Und sie wusste, dass es besser so war. Und sie wusste es auch noch, als sie später das kleine Leben zur Welt brachte. Ich denke nicht, das er von Llew etwas weiß.« »Aber was hat das mit den Raben zu tun?« »Nun, Skadi gehört zum Winter, aber sie ist als Botschafterin aller Jahreszeiten hier. Bevor sie hierher kam, waren Hugin und Munin die Botschafter. Sie flogen durch die Welt, sahen, was es in der neuen Welt zu sehen gab, und berichteten von uns. Anfangs beobachteten wir die neue Welt mit Besorgnis, doch die Jahreszeiten entwickelten sich zu unserer Beruhigung. Wir begannen ihnen zu vertrauen, doch es ist wichtig, miteinander zu sprechen. Damit es nicht zu Missverständnissen kommen kann. Und Anfangs übernahmen eben die Raben diese Aufgabe. Als Skadi jedoch heranwuchs, da übernahm sie mehr und mehr diese Aufgabe, bis wir gemeinsam beschlossen, das ein dritter Botschafter nicht falsch sein konnte.« »Aber Hugin und Munin gefiel das nicht besonders?«, mutmaßte das Mädchen. »Ich denke nicht, das es sie wirklich störte, aber… sie wissen genau, wie Sündenbelastet ihr Leben ist. Sie zweifeln an ihrer Aufrichtigkeit. Das hat nichts mir Skadi selbst zu tun, sie muss sich eben erst beweisen. Und das Llew existiert, hat ihr dabei nicht geholfen. Die Raben und auch viele Andere machen einfach keinen Hehl daraus, das sie ihr nicht ganz vertrauen. Und das kann Llew nicht verstehen. Er nimmt es persönlich, sieht es nicht als das, was es ist. Als Mangel an Beweisen, für ihre Loyalität. Nicht als Zweifel an ihr selbst.« Das wiederum verstand Mana sehr gut. Sie konnte Llew verstehen, aber sie verstand auch allen Zweifel. Sie nickte. »Hast du noch andere Fragen an mich? Noch einmal werden wir uns wohl nicht sprechen. Nur die Wenigsten sprechen wir ein zweites Mal.« Das Mädchen zögerte. Natürlich, eigentlich wollte sie nicht wissen, was ihre Zukunft für sie bereithielt, doch andererseits war dies die einzige Möglichkeit, etwas darüber zu erfahren. »Warum sind wir hier? Wieso sind wir nicht auf der Erde, wie bei den anderen beiden auch?«, erkundigte sich. »Weil hier deine Zukunft liegt. Du willst das, was dich erwartet, nicht kennen, deswegen verrate ich dir auch nichts, aber die Sterne spielen eine große Rolle. Auch jetzt schon.« »Jetzt schon…? Wie das? Ich meine, die Sterne sind doch so fern«, fand Mana, griff dabei jedoch ganz unwillkürlich nach dem blauen Stern, der an ihrem Hals baumelte. Skuld lächelte darauf wissend. Der Anhänger schien mehr zu bedeuten, als sie glaubte. »Wird unsere Reise noch weit sein? Werden wir Fylgien wirklich nach Hause bringen können? Und war habt ihr meinen Freunden erzählt?« »Eure Reise ist noch weit, ja, aber für dich wird sie niemals weit genug sein. Und nein, ihr werdet ihn niemals wirklich nach Hause bringen können. Er gehört nicht in diese Welt, deswegen hatten wir nie Einfluss auf sein Schicksaal, aber das wissen wir dennoch. Und was deine Freunde erfahren haben, das musst du sie selbst fragen«, lächelte das kleine Mädchen. »Gut. Dann ist es wohl Zeit, zu gehen«, überlegte dann Mana. »Nicht ganz. Eines muss ich dir noch sagen. Bedenke bei allem, was du tust, das es Dinge gibt, die richtig sind, wie sie eben sind. Man sollte sie nicht verändern, so sehr man sie auch hasst und gegen sie ankämpfen möchte. Und in deiner Zukunft wird es etwas geben, wo du das einsehen musst«, beschwor die dritte, die scheinbar jüngste Norne das Mädchen. Mana nickte nachdenklich. Sie wollte nur zu gerne wissen, was Skuld damit meinte, doch sie würde es wohl noch früh genug erfahren. So nickte sie und lächelte dankbar. Sie wusste nicht genau, wohin es nach Hause ging, doch als sie Skuld fragen wollte, da lachte die glockenhell auf und tanzte wieder mit dem Stern durch die Nacht. So wollte sie nicht weiter stören, wandte sich stattdessen ab. Sie lief einfach irgendwohin los, bis sie irgendwann den Lichterweg wieder fand. Der jedoch brachte sie nicht in die Schneelandschaft hinab, sondern zu der Höhle. Doch als sie dieser nun folgte, war sie nicht mehr aus Stein, sondern aus Erde, durchzogen von Wurzeln. Mana lief lange. Sie hatte wieder ihre Wolfsgestalt wieder und humpelte so dreibeinig durch die niedrige Höhle. Als sie am Ausgang ankam, war es tiefe Nacht. Sie schaute in den Himmel hinauf, wo die Sterne wundervoll auf die Welt hinab leuchteten. Sie schaute sich um, doch ihre Freunde entdeckte sie nicht. Sie sprang ins Gras hinab, sah Fylgien am Felsen liegend schlafen. Llew und Skadi lagen bei ihm, alle tief in ihren Träumen versunken. Sie humpelte weiter. Sie entdeckte Lif und zwei schwarze Schatten bei ihm. Sie humpelte hinzu, wissend, dass es Slyk und Ahkuna waren. »Hallo«, begrüßte sie die drei. Lif hatte sich wieder beruhigt, er schaute sie zwar traurig an, doch die panische Verzweiflung war aus seinem Blick gewichen. »Mana, schön, das du wieder da bist«, lachte Ahkuna und begrüßte sie rutewedelnd. Sie legte sich zu ihren Freunden. »Und, wie ist es dir ergangen?«, erkundigte sich Slyk. »Eigentlich recht gut…«, begann Mana zögernd. Dann lächelte sie. Sie erinnerte sich daran, das Verdandi ihr sagte. Das sie ihren Freunden vertraute. Und das stimmte. »Wenn ihr wollt, dann erzähle ich es euch.« Die anderen zögerten noch einen Moment, doch Ahkuna nickte lächelnd. »Erzähl es uns«, bat sie. Die junge Wölfin lächelte, dann begann sie zu erzählen. Und sie ließ nichts aus. Auch nicht ihren Schülernamen, was einiges Erstaunen bei ihren Freunden verursachte, doch sie wusste, dass keiner von ihnen dieses Wissen je ausnutzen würde. Als sie geendet hatte, da lächelten ihre Freunde. Sie kuschelte sich an Lif, müde und glücklich. »Ich denke, dann wird es Zeit, dass ich euch meine Geschichte erzähle«, meinte Lif nachdenklich. Er rieb seinen Kopf an seiner Cousine, dann schaute er in die Runde. Und begann zu erzählen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)