Wolfskinder - Sternenwege von Scarla ================================================================================ Kapitel 18: Winternacht ----------------------- Helles Licht weckte Mana. Sie war so sehr die Dunkelheit gewohnt, die den ganzen antarktischen Winter hier herrschen würde, dass jedes noch so sanfte Leuchten ihr schon sonnenhell erschien. Sie wusste, dass in Wynter Sommer war, das dort die Sonne nicht unterging. Und dass hier Winter war, machte auf eine seltsame, verquere Art und Weise für sie sogar Sinn, genauso wie die Tatsache, das es sich hier, am südlichsten Zipfel der Welt, ebenso verhielt, wie in ihrer Heimat. Nun, zumindest so ähnlich. Im Moment aber blinzelte sie, schaute dann in die Richtung, aus der das Leuchten kam und gewahr den weißen Wolf mit den schwarzen Ohren. Er stand ein wenig abseits der Gruppe und schaute sie direkt an. So stand Mana auf, schlich sich an einem schnarchenden Lif vorbei zu ihm hin. »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich mich über deine Anwesenheit freuen soll. Das letzte Mal zumindest wäre ich fast ertrunken«, meinte sie und lächelte verlegen. Der weiße Wolf begegnete mit einem sanften Lächeln ihrem Blick, dann wandte er sich um. »Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen«, erklärte er und ging langsam los. Er ließ Mana das Tempo bestimmen und dafür war sie ihm dankbar. So hatte sie nicht das Gefühl, ihn zu behindern. Sie liefen lang und die junge Wölfin überlegte schon, ob sie nicht umkehren sollte, bevor die anderen aufwachten und sich sorgen machten, da blieb der weiße Wolf stehen. Sie standen auf einer Eisklippe direkt am Meer. Sie schauten auf das schwarze Wasser hinaus, das wie ein schwarzer Spiegel wirkte und selbst das Leuchten der Sterne zu verschlucken schien. »Und was… möchtest du mir hier zeigen? Oder müssen wir doch noch weiter?«, fragte Mana und schaute ihn an. »Was siehst du?«, stellte der Wolf eine Gegenfrage. »Was ich sehe…?«, sie blinzelte erstaunt, schaute auf das schwarze Wasser und dann in den Sternenbesetzen Himmel. »Ich… ich sehe das Meer, den Himmel, die Sterne.« »Du siehst das Ziel deiner Reise«, erklärte der Wolf. »Das Meer?«, Mana blinzelte erstaunt. »Nein, die Sterne«, lachte er und deutete in den Himmel. »Warum… Fylgien wohnt bei den Sternen?«, fragte sie erstaunt. »Ja. Von dort aus schaut er auf diese Welt hinab, seid Jahrtausenden schon. Seitdem die Welt geteilt wurde.« »Aber als ich ihn das erste mal traf, da schien er noch so jung zu sein. Noch fast ein Welpe...«, widersprach Mana. »In seiner Welt vergeht die Zeit anders, als bei uns. Was für uns ein Leben ist, ist für ihn nur ein Augenblick. Weißt du, was das Problem ist?«, der weiße Wolf setzte sich und schaute verträumt in den Himmel. »Das er dies alles schon sehr bald vergessen wird? Das wir uns auf eine gefährliche Reise gemacht haben, ohne das es einen wirklichen Nutzen hatte, weil er es sowieso bald aus seinem Gedächtnis verdrängt?«, fragte sie leise und traurig. »Nein, im Gegenteil. Er hat hier Dinge gefunden, die es dort oben nicht gibt. Freundschaft. Liebe. Er wird es nicht vergessen können, selbst wenn er es wollte. Und das macht die Sache kompliziert. Diese wenigen Augenblicke seines Lebens, die werden immer wie ein helles Leuchten in seinem Herzen bleiben. Und sie werden dafür sorgen, das er niemals ganz glücklich sein wird«, der weiße Wolf seufzte. »Wie… meinst du das…?« »Er hat sich verliebt. Deswegen will er nicht zurück, aber diese Welt tut ihm nicht gut. Sie lässt ihn viel zu schnell altern. In ein paar Jahren schon wäre er ein Greis. Es ist ihm egal, wenn er diese Jahre nur mit seiner Liebsten verbringen könnte, aber…«, der weiße Wolf schüttelte entschieden den Kopf. »Er ist nicht irgendwer.« »Aber warum lasst ihr ihn nicht selbst entscheiden? Ich… verstehe das alles nicht…«, sie schüttelte den Kopf, schaute wieder in den Sternenhimmel hinauf. »Nun… es ist nicht ganz einfach. Es gibt immer nur ein Wesen, das einen bestimmten Platz in seiner Welt einnehmen kann. Auch Fylgien hatte einst nur einen Platz, den er einnehmen konnte und der lag in seiner Heimat. Auch als er hierher kam, da gab es nur diesen einen Platz für ihn, aber in dem Moment, als ihr einander euer Herz schenktet, da hat sich das geändert. Sein Platz ist noch immer dort oben irgendwo, aber sein Platz ist auch hier, an deiner Seite. Und das weiß er. Und das wird er auch niemals vergessen.« »Das erklärt aber noch immer nicht, wieso er nicht einfach hier bleiben kann, wenn er es denn möchte.« »Wir mussten abwägen, in welcher Welt er wohl dringender gebraucht würde. Und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es nicht hier sein kann.« »Wer ist >wirJetzt ist noch nicht der richtige Zeitpunkt, um es dir zu verraten<, das habe ich in meinem Leben schon zu oft gehört«, murrte sie. Es dauerte noch einen Sekundenbruchteil, bis ihr bewusst wurde, dass sie das vielleicht nicht hätte tun sollen, denn nicht jedes Überwesen, oder was auch immer er war, reagierte auf solch einen Tonfall und solch eine harsche Wortwahl entspannt. Doch der weiße Wolf lächelte. Und er schien ganz eindeutig belustigt und so gar nicht zornig über ihre Respektlosigkeit. »Ich möchte einfach noch ein wenig hinauszögern, dass du mich dein gesammelte Zorn trifft«, er grinste ein wenig. »Warum sollte ich zornig sein?«, fragte sie langsam und zögernd. »Auch auf die Gefahr hin, das jetzt völlig ausrastest, muss ich dir dennoch sagen: Du wirst es verstehen«, er grinste noch ein wenig breiter. »Schön. Okay, dann halt doch keine Antworten. Sagst du mir zumindest, was Schatten uns noch zeigen möchte?«, seufzte sie. »Sie möchte euch zu Sedna führen«, antwortete der Wolf. »Sedna? Wer… ist Sedna?«, fragte sie zögernd. »Eine Dämonin, Lilith nicht unähnlich«, er schaute auf das Wasser hinaus. »Mit der haben wir uns ja so gut verstanden«, murrte die junge Wölfin sarkastisch. »Das war aber auch etwas anderes. Lilith ist so sehr in ihrem Hass gefangen, das ich nicht glaube, dass sie jemals wieder einem Menschen gegenüber freundliche Gefühle hegen könnte. Sedna ist anders. Auch ihr wurde übel mitgespielt, aber… sie versucht immer und immer wieder, anderen Leuten zu vertrauen…« »Erzählst du mir ihre Geschichte?«, bat Mana und der weiße Wolf nickte zögernd, deutete ihr dann, mit ihm zu kommen. »Sedna war einmal ein Mensch. Einer jener Menschen, die in der alten Welt lebten und den Jahreszeiten in die neue Welt folgten. Sie war ein außergewöhnlich hübsches, aber auch hochnäsiges, eitles Kind, das jeden abwies, der um ihre Hand anhielt, egal was für Qualitäten er auch besaß. Sie fand, dass niemand gut genug für sie war. Das missfiel dem Vater und als sie wieder einmal einen tüchtigen jungen Mann zurückwies, da versprach er, der nächste Mann, gleich wer er sein mochte, der sollte sie bekommen.« Mana rümpfte die Nase. »Ich hoffe, dass mein Vater nicht auf die Idee kommt, so etwas mit mir tun zu wollen«, murmelte sie. Der weiße Wolf lächelte darauf, fuhr dann jedoch mit seiner Geschichte fort und ging nicht auf ihre Worte ein. »Es war ein Jäger mit verhülltem Gesicht, der als nächstes darum bat, sie zur Frau nehmen zu dürfen. Und ihr Vater gab sie ihm, gegen ihren Willen. Der Jäger nahm sie mit sich fort und brachte sie zu kahlen Klippen, direkt am Meer. Er war ein Rabe und dies war sein Heim und das sollte es fortan auch für sie sein. Doch Sedna wollte nicht, sie weinte und schrie in den Wind, bis ihr Vater sie hörte. Er bekam ein schlechtes gewissen und beschloss, sie zurückzuholen. Doch der Rabe wollte seine Braut nicht hergeben, so griff er sie an, als sie gerade auf dem Rückweg waren. Mit seiner Magie und seinen Flügel beschwor er einen mächtigen Sturm herauf. Da bekam der Vater angst und warf Sedna über Bord.« Mana blieb abrupt stehen. »Er tat was bitte?«, schnappte sie ungläubig. »Er warf sie über Bord. Damit der Rabe ihn ziehen ließ. Deswegen ist sie auch nicht allzu gut auf Männer zu sprechen.« »Wäre ich an ihrer Stelle auch nicht«, knurrte Mana wütend. »Was geschah dann?« »Sie konnte sich am Boot festhalten, doch ihr Vater schlug mit dem Paddel auf ihre gefrorenen Finger ein, bis sie zersprangen wie Glas. Da wurden ihre Finger durch den Zauber des Raben zu Robben und ihre Hände zu Wale. Und sie zur Dämonin des Meeres«, endete der weiße Wolf. »Das ist grausam. Welcher Vater opfert schon sein eigenes Kind, nur um selbst am Leben zu bleiben?«, fragte Mana leise. »Jene, die nicht dazu bereit sind, andere so sehr zu lieben, das sie ihr Leben für sie geben würden«, antwortete der weiße Wolf und schaute nachdenklich zu Mana zurück. »Aber sind Eltern dazu nicht immer mehr als bereit?« »Nein. Komm her«, er schaute sie auffordernd an, beobachtete ihren humpelnden Gang, bis sie neben ihm stand. Die Klippe zeigte diesmal auf eine Bucht, die durch steile Felsen vom Meer abgeschnitten war. Nur ein schmaler Zugang führte in den offenen Ozean. »Was siehst du jetzt?«, fragte er sie leise. »Noch immer die Sterne«, antwortete sie ebenso leise. »Schau ins Wasser«, forderte der Wolf sie auf. Und sie schaute. Erst sah sie nichts, doch je länger sie ins Wasser blickte, desto mehr sah sie. Erst war es nur ein leichtes blaues Glimmen, doch ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit und bald schon erkannte sie eine Gestalt. Langes, schwarzes Haar wog um sie herum. Es war eine junge, hübsche Frau ohne Hände, sodass ihre Arme wie Flossen wirkten. »Ist das Sedna?«, Mana schaute fragend zum weißen Wolf. »Ja. Sie schläft. Sie hat die letzten Wochen getobt und ihre Einsamkeit in die Welt hinausgeschrieen, jetzt ist sie müde. Aber sie wird bald erwachen. Und ich weiß nicht, was sie dann tun wird. Vielleicht tobt sie dann weiter, vielleicht weint und schreit sie ihren Schmerz aber auch nur wieder in die Welt hinaus…«, er schaute ebenfalls nachdenklich in die Bucht hinab. »Glaubst du, das Schatten weiß, was sie tut, wenn sie uns in Sednas Wachsein zu ihr führt?«, erkundigte sich Mana zweifelnd. »Ja. Sedna würde Schatten niemals etwas tun und solange ihr unter Schattens Schutz steht, seid auch ihr sicher«, beruhigte der weiße Wolf sie. »Sie… ist nicht irgendwer, oder? Sie ist mächtig, hab ich recht?« »Ja. Vielleicht verrät sie dir irgendwann einmal, wer sie ist, vielleicht erfährst du es nie. Das jedoch liegt in Schattens Händen, nicht in meinen. Und jetzt komm, es ist Zeit, dass du zu deinen Freunden zurückkehrst.« Mana nickte und so liefen sie langsam zurück. Ihre Freunde schliefen noch, als sie aus der Ferne zu ihnen schaute. Doch bevor sie gänzlich zurückkehrte, hatte sie noch eine Frage. »Sagst du mir noch eines?«, bat sie den weißen Wolf. »Natürlich«, nickte er. »Wer ist es, den Fylgien liebt?« Er schaute sie lange an. Er sagte nichts, er schaute nur. Sie wusste nicht, woran er dachte, sein Gesicht verriet es nicht. Nur seine Augen taten es, denn sie waren voller Schmerz. Egal welche Antwort er ihr gab, er würde ihr damit wehtun, das wusste er. Und das wollte er nicht. »Das bist du, Mana.« Sie nickte. Sie antwortete nicht mehr, nickte nur und wandte sich dann ab. Langsam ging sie zu ihren Freunden zurück, schaute noch einmal die Schneewehe hinauf. Der weiße Wolf stand noch immer da, beobachtete sie. Dann jedoch nickte er und seine Gestalt wurde verweht, wie Schneeflocken im Wind, als hätte es ihn nicht gegeben. So legte sie sich neben Ahkuna in den Schnee, kuschelte sich an sie und schlief ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)