Wolfserinnerungen - Der Erste Schnee von Scarla ================================================================================ Kapitel 13: Die Füchsin Schatten -------------------------------- Lugh Akhtar besah sich den Fuchs genau. Es erschien ihm lächerlich. Die kleine Gestalt wirkte alles, aber nicht gefährlich oder gar Angst einflößend, und doch hatten alle voll Furcht von ihr gesprochen. Sie war klein, er hatte schon Hauskatzen gesehen, die größer waren. Er war sich nicht sicher, ob es das Fell war, oder wirklich sie, aber für einen Fuchs wirkte sie zudem ein bisschen dick und unförmig. Auch die schwarzen Abzeichen die sie zur Schau stellte, passten nicht gerade in das Bild eines Polarfuchses, wie er sie kannte. Ja, alles in allem war es ein lächerlicher Gedanke, dass sie der Schatten sein sollte. »Du bist Chaya, ja? Du lebst hier? In diesem Glasschloss?«, fragte er enttäuscht. Sie war nicht, was er gesucht hatte und er wusste nicht, ob er es hier noch finden würde. »Nein. Ich fand nur, dass es für dieses Treffen vielleicht der passende Ort sein könnte. Mir gefällt der Gedanke, ein ganzes Schloss aus nichts anderem als aus Glas.« Sie lächelte verträumt, aber nur für einen Moment, dann wischte sie mit ihrer langen Rute über den Boden und schaute ihn auffordernd an. »Erzähl.« »Erzählen? Was?«, fragte er abweisend und schaute noch mal über die Glaslandschaft. »Irgendetwas, mir egal. Weißt du, wie lange ich schon darauf gewartet habe, dich zu treffen?« »Aber wieso?« »Weil du mein Geschöpf bist. Es gab Zeiten, da habe ich dich gehasst. Da bist du mir ziemlich auf die Nerven gegangen, aber es gab immer ein paar, die dich mochten. Also hab ich weiter gemacht. Und was ist daraus geworden? Eine ganze Welt! Kannst du dir das vorstellen? Es war ein Zeitvertreib, etwas, um die Langeweile zu bekämpfen, weil ich an nichts anderem weiterarbeiten konnte, und was ist es jetzt? Wer hätte das je für möglich gehalten?« Sie seufzte zufrieden. »Weißt du, was ich am Meisten an dir liebe?« »Ich… glaube, ich verstehe nicht…«, murmelte der weiße Wolf unsicher, doch die Füchsin plapperte einfach weiter. »Deine Augen! Du musstest ungewöhnlich werden, deswegen habe ich dich weiß gemacht. Eigentlich mag ich schwarz ja lieber… na gut, damals mochte ich schwarz lieber. Aber du musstest anders sein, vom ersten Moment an. Deswegen bist du weiß. Und deswegen hast du schwarze Ohren. Einfach, aber doch unverkennbar, außergewöhnlich.« »Bist du… schwachsinnig…?«, erkundigte sich der weiße Wolf vorsichtig, doch sie schien ihm gar nicht zuzuhören. Sie schnaubte abfällig. »Weißt du, alle versuchen immer möglichst komplizierte Muster zu machen, am Besten so, das sie es sich selbst ohne Vorlage nicht mehr merken könnten. Oder ganz in bunt, so viele Farben, wie möglich. Ich find das lächerlich. Einfachheit hat viel mehr stil. Und du bist einzigartig. Ich meine, du bist WEISS! Und hast schwarze Ohren. Und deine Augen! Ich könnte dir stundenlang in die Augen schauen, weißt du das? Ich habe schon viele Figuren erschaffen, aber deine Augen… Sie mussten leuchten wie das Nordlicht! Und ja, das tun sie. Ich liebe sie einfach«, schwärmte sie unbeirrt weiter. »Ja. Hör mal, das ist ja alles schön und gut, aber ich suche jemanden. Und das ist wichtig. Ich muss gehen«, sprach Lugh Akhtar und wollte an ihr Vorbeitreten, doch mir ihrer Rute hielt sie ihn zurück. »Ich weiß, ich wirke nicht so, aber du kannst mir glauben. Ich bin der Schatten, wie sie mich alle nennen. Wenn du jetzt weiter durch Utgard läufst, dann ist das nur vergebliche Liebesmüh«, erklärte sie ruhig und mit einem sehr bestimmten Lächeln auf den Lippen. »Du bist ein Fuchs. Du bist klein, dick und eine Quasselstrippe. Glaub mir, dich suche ich bestimmt nicht«, antwortete der weiße Wolf und lief in den Schatten des Turms. »Das war jetzt wirklich beleidigend!«, fand die Füchsin und lief ihm nach. »Aber es ist doch so. Wenn du das bist, was ich suche, dann kann ich Nanook auch gleich das Messer ins Herz rammen, das ist wahrscheinlich barmherziger.« Frustriert und mit schmerzenden Pfoten lief er die Treppe wieder hinab. »Oh bitte, ich kann dir auch gerne das passende Messer dazu beschaffen«, fauchte die Füchsin böse, huschte an ihr vorbei und baute sich dann ein Stück unter ihr so weit auf, wie es möglich war. Lugh Akhtar konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, es wirkte fast lachhaft. »Weißt du, sollte der Schatten nicht ein bisschen größer und gemeiner sein, als du es bist? Ich wurde auch immer unterschätzt, deswegen weiß ich, das man sich nur allzu schnell von dem verleiten lassen sollte, was man sieht, aber ich bitte dich, was soll das werden?«, fragte er belustigt. »Oh glaubst du, ich würde in einem Kampf nicht gegen dich ankommen? Weißt du, mein Bester, körperlich mag das vielleicht stimmen, wobei ich dir sagen muss, das du auch nicht gerade Goliath bist… aber bei allem anderen solltest du mich nicht zu sehr unterschätzen«, fauchte sie. »Was könntest du mir schon antun? Dafür sorgen, das ich mich zu Tode lache?« Lugh Akhtar schnaubte abfällig. In dem Moment löste sich das Glas zu seinen Pfoten und er musste einen großen Satz an der Füchsin vorbei machen, sonst wäre er in die Tiefe gestürzt. »Ein heroischer Tod, in dem du dich für jemand anderes opferst, würde dir zwar besser stehen, aber im Zweifelsfall lässt sich auch das arrangieren. Weißt du ich würde mich ja mit dir Geistig duellieren, aber ich fürchte, du wärst waffenlos« fauchte sie und trabte erhobenen Schweifes die Treppe hinab. Für einen Moment schaute Lugh Akhtar ihr nach, blickte dann auf das Loch im Boden und wieder ihr nach, dann verstand er. »Das warst du?«, fragte er ungläubig und folgte ihr, so schnell es mit seinen geschändeten Pfoten ging. »Ja, stell dir vor. Aber hey, ich bin ja nur eine kleine, dicke Quasselstrippe, die alle ins Verderben stürzen wird, wenn sie wirklich die ersehnte Retterin sein soll«, fauchte sie und lief einfach weiter, ohne zurückzuschauen. Als Lugh Akhtar sie mit einem großen Satz überholte, da sah er die Tränen, die in ihrem Augenwinkel glitzerte. »Entschuldige, das war… nicht so gemeint. Ich hab mir nur einfach… etwas anderes vorgestellt«, versuchte er zu erklären. »Und was? Ein Monster? Entschuldige bitte, dass ich kein Feuer spucken kann«, erklärte sie sarkastisch und blitzt ihn so kalt an, das er inne hielt, doch er folgte ihr weiter. »Bitte, so war das nicht gemeint. Bitte, bleib doch stehen. Ich brauche Hilfe. Für Nanook.« Er wurde immer leiser. »Ja, Nanook…« Sie blieb stehen und setzte sich auf die Stufen. »Wenn du wirklich der Schatten bist, dann kannst du ihm helfen«, sprach der weiße Wolf und stellte sich unter sie, sodass ihre Augen auf gleicher Höhe waren. »Kannst bitte aufhören von dem Schatten zu sprechen? Das hört sich immer so an, als wäre ich gar nicht anwesend, das nervt ein bisschen. Nenn mich Chaya. Oder Schatten. Ist beides okay«, bat die Füchsin. »Warum… beides?« »Das ist… nicht so einfach zu erklären. Weißt du, Schatten ist kein richtiger Name, für mich, es ist eher… eine Bezeichnung. Ich… will dir das nicht erklären, das ist… zu persönlich. Lass es mich so sagen, Chaya ist der Name, den andere mir gaben und Schatten ist es, wie ich selbst mich nenne.« Sie zwinkerte ihm keck zu. »Okay. Ich… bin mir nicht ganz Sicher, ob ich es wirklich verstehe, aber gut. Was ist jetzt mit Nanook?« »Das ist nicht ganz so einfach. Ich weiß, was du von mir willst und… ich kann es nicht. Also ich kann es schon, aber… nein, ich kann es nicht.« Sie schüttelte entschieden den Kopf und schaute nachdenklich in seine leuchtenden Augen. Lugh wirkte verwirrt. Er zuckte mit den Ohren und versuchte, nicht zu fragen, den er ahnte, das es besser war, sie einfach sprechen zu lassen. »Zeig mir deine Pfoten«, befahl sie stattdessen. Er zögerte kurz, doch dann legte er seine Pfote so, dass man seine blutigen Ballen sehen konnte, in denen noch teilweise die Glassplitter steckten. Die Füchsin, Schatten, zögerte kurz, dann jedoch beugte sie sich hinab und begann langsam daran zu lecken. Sie leckte die Splitter heraus und das Blut ab, bis nur noch das zerschundene Fleisch übrigen war. Das wiederholte sie auch mit den anderen drei Pfoten, bis zumindest alles sauber war. »Glas war wohl doch keine gute Idee«, seufzte sie schlussendlich und wischte sich in einer menschlichen Geste die Glassplitter von der Zunge. »Und das war völlig sinnlos, wenn wir zurücklaufen, werden meine Pfoten wieder genauso aussehen«, murmelte er. »Ach Lugh Akhtar. Weißt du eigentlich, dass ich die Einzige bin, die deinem Namen treu bleibt? Alle anderen sehen die Schönheit des Namens nicht, wenn sie über dich schreiben, dann bist du immer nur Lugh. Es ist einfacher, schneller, ja, aber das bist in dem Moment niemals du.« Die Füchsin seufzte, schüttelte dann den Kopf. »Komm mit mir, ich versuche es dir zu erklären.« Sie ging langsam die Stufen hinab und er folgte ihr. Die Pfoten schmerzten noch immer und er spürte, wie er sich wieder Dreck eintrat, aber zumindest keine Glassplitter. Sie verließen den Turm, doch statt das sie weiter hinab in die Eingangshalle liefen, wählte Schatten scheinbar willkürlich einen Raum aus. Sie betrat ihn und als der weiße Wolf ihr folgte, da gewahr er einen gemütlichen Haufen aus Decken und Kissen. »Ich liege gerne bequem«, erklärte sie lächelnd und wühlte sich in den Haufen ein. Lugh Akhtar legte sich zu ihr und begann damit, abermals seine Pfoten zu säubern, beobachtete sie dabei aber aus dem Augenwinkel. »Also, die Nanook-Problematik. Weißt du, dies hier ist alles meine Welt. Ich habe sie geschaffen. Jeder kleine Stein, jedes Staubkorn und… ja, auch jeder Glassplitter, sie alles sind meine Ideen. Das alles hier ist bloß… ein Gedanke. Ein Wunsch, dass diese Welt wirklich existieren möge. Sie ist in gewisser Weise auch Wirklichkeit, ja, denn dass ich sie niederschreibe, macht sie… greifbar. In gewisser Weise«, begann die Füchsin. »Also bist du… eine Art Gott?« »Wenn du mich so nennen willst, dann ja. Ich bevorzuge das Wort Schöpferin. Dort… wo ich herkomme, ist das nämlich nichts besonders. Klar, manche finden es ziemlich erstaunlich und so, aber eigentlich ist es das nicht. Deswegen, Gott… Gott hört sich so hochtrabend an, so angeberisch so… ich weiß auch nicht. Ich mag das Wort nicht, obwohl es für dich wohl am ehesten meine Existenz greifbar macht. Nenn mich also Gott, wenn du das möchtest, auch wenn es nicht ganz stimmig ist«, willigte sie ein. »Du bist auf jeden Fall nicht irgendwer.« »Nein, bestimmt nicht. Wie gesagt, ich habe diese Welt erschaffen, mit allem Guten und mit allem Schlechten, was in ihr zu finden ist. Und dabei musste ich ihr Regeln geben. Keine Welt kann ohne Regeln existieren. Die Schwerkraft zum Beispiel, oder das du essen, trinken und atmen musst. Das ihr sterben könnt. Ich habe vieles an meine Welt angepasst, das macht es greifbarer für andere. Allerdings habe ich auch beschlossen, dass ihr Magie haben sollt. Keine Fabeltiere, aber Magie durchaus. Und ich habe beschlossen, das schlicht und ergreifend nicht alles möglich ist. Wenn irgendwer begonnen hat, einen bestimmten Weg zu gehen, dann kann er nicht einfach mittendrin umkehren und sagen, dass er keine Lust mehr hat«, erklärte sie. »Und Nanook hat diesen Weg begonnen?« »Nein. Aber ich habe diesen Weg für ihn vorgesehen. Allerdings kann ich jetzt nicht einfach sagen, dass er umkehren darf, das würde nicht den Regeln entsprechen und an die muss auch ich mich halten. Das bedeutet, das Nanook diesen Weg weitergehen muss. Ich darf euch ein bisschen helfen, euch dann und wann einen Wink geben, einen kleinen Tipp, aber ich darf euch nicht alles Vorrausnehmen und ich darf auch nichts ungeschehen machen«, erklärte die Füchsin. »Und warum? Du hast die Regel doch eingeführt, dann ändere sie doch einfach.« »Das ist nicht möglich, niemals. In dem Moment, als ich sie beschlossen habe, da wurde sie für mich unantastbar. Ich kann sie nicht mehr ändern, genauso wenig, wie du die Sonne daran hindern kannst, aufzugehen. Es ist so und nichts und niemand kann diese Regel ändern. Ja, ich weiß, keine besonders schlaue Idee, so eine Regel einzuführen, aber es war nötig, sonst könnte diese Geschichte nicht erzählt werden.« »Gut. Du kannst es also nicht einfach ändern. Du aber hast unsere Seelen aufgespalten, du hast ihm das angetan, was er durchleiden muss, also tu etwas, damit es besser wird. Erträglicher«, verlange Lugh Akhtar. »Kann ich nicht. Entweder findest du das letzte Stück seiner Seele, oder er stirbt. Andere Optionen kann ich dir leider nicht bieten.« »Toller allmächtiger Gott«, brummte der weiße Wolf missgelaunt. »Ich habe nie etwas von allmächtig gesagt. Ja, ich kann alle Regeln außer Kraft setzen, aber sobald ich das einmal tun würde, müsste ich es ein anderes Mal auch tun und wieder und immer wieder. Und was bringen Regeln, wenn man ständig ausnahmen machen muss? Du bist mit der Regel aufgewachsen, dass auf Mord eine schwere Strafe steht. Wie würdest du es finden, wenn die Strafe immer wieder aufgehoben würde?« »Das ist nicht dasselbe.« »Nein, da hast du recht, aber es nimmt sich trotzdem nicht viel. Ich weiß, du hast erwartet, einen Wunderheiler oder so was zu finden, aber das bin ich nicht. Und das werde ich auch nicht sein. Das will ich auch gar nicht sein. Ich kann dir helfen, aber nur, wenn du dir auch helfen lässt. Und auch nur auf meine Art und Weise.« »Dann hilf. Egal was du tust, tu nur etwas. Ich weiß nämlich nicht, was ich noch tun kann.« Er rollte sich zusammen und schob die Schnauze unter die Pfoten. »Jetzt hör auf zu jammern. Erst einmal müssen wir uns um Kenai kümmern. Mit einer solchen Glasscherbe schafft er es nie zurück zu Skadi«, beschloss die Füchsin und sprang aus dem Haufen heraus. »Und um Nanook, er ist… irgendwie seltsam…« Zögernd stand auch der weiße Wolf auf. »Er ist immer seltsam. Er wird von diesem Schloss hier regelrecht angezogen. Von meiner Magie.« Sie lächelte zufrieden. »Deine Magie?« »Ja. Worte. Nichts anderes. Bloß ein paar geschriebene Sätze. Das ist meine Magie. Die Einzige, die ich beherrsche. Und das nicht einmal besonders gut.« Schatten grinste verkniffen, tänzelte dann aber gut gelaunt durch die Tür hinaus. Lugh Akhtar dagegen zögerte. Sie war definitiv seltsam. Er verstand, warum Kanoa ihn gewarnt hatte. Er verstand, dass er sich vor ihr in Acht nehmen sollte. Doch für den Moment hatte er keine Wahl, als sein Leben in ihre Hände zu legen. So folgte er ihr. »Weißt du eigentlich, das ich deinen Schülernamen von allen am allerschönsten finde?«, fragte sie, als er bei ihr war und schaute ihn aus leuchtenden Augen an. »Du kennst meinen Schülernamen?« »Ich weiß mehr über dich, als du selbst weißt«, lachte sie. »Vergiss nicht, ich habe dich erschaffen. Mit allem Guten und mit allem Schlechten. Du bist mein Geschöpf. Ja, ich kenne ihn, Lichtertänzer. Ich weiß alles über dich.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)