Wintermond von Scarla ================================================================================ Kapitel 3: Verbotener Ausflug ----------------------------- »Ach bitte Mama, ein wenig Kuchen noch, wir sind doch den ganzen Tag weg.« Kanoa blickte seine Mutter so bettelnd an, wie es sonst nur ein junger Hund zu tun vermochte. »Reichen euch die Unmengen Brote nicht? Man könnte meinen, ich versuche hier einen Haufen nimmersatter Raupen ein anständiges Mahl zu bereiten und nicht zwei kleinen Jungen«, tadelte Callisto sanft, machte sich aber schon auf in Richtung Vorratskammer, um den gewünschten Kuchen zu holen. »Mama, du bist die allerbeste!«, freute sich der kleine Junge und lief ihr lachend nach. Er nahm zwei große Kuchenstücken entdecken und verpackte sie fürsorglich in ein Tuch, legte es dann zu den Broten in den Korb. Er zögerte, überlegte, ob noch etwas fehlen mochte, da kam auch schon Kenai herein und legte zwei Trinkschläuche dazu. »Das sollte reichen«, befand er gut gelaunt und warf Kanoa einen verschwörerischen Blick zu, während die Mutter sich gerade wieder an den Tisch zurücksetzte. »Wohin wollt ihr eigentlich gehen?«, fragte die und zerschnitt sich einen Apfel. »Nach Osten zu den Ruinen zu denen mich Papa letzten Sommer mitgenommen hat. Der alte Mann hatte so süße kleine Hunde, ich wollte sehen, ob er dieses Jahr wieder welche hat«, log Kenai gekonnt, während Kanoa ihn bewundernde Blicke zuwarf. Er konnte noch lange nicht so gut lügen wie sein Bruder. »Der Weg dahin ist aber sehr weit, glaubst du, das Kanoa das schafft? Und das ihr euch nicht verirren werdet?« Maria betrat den Raum mit einem vollen Wassereimer in der Hand, den sie ins Waschbecken hinein entleerte. »Wenn nicht, dann kehren wir eben früher um und auf den Weg gibt es eine Menge Häuser wo wir anklopfen können. Wir gehen schon nicht verloren«, antwortete Kenai gut gelaunt. »Wollen wir es hoffen, Tywyll und Rafe haben besseres zu tun, als euch heute Abend zu suchen«, fand sie und musterte die Jungend streng. »Maria, sei nicht so streng, du weißt doch wie sie sind. Sie können sich aus allen Schwierigkeiten herauswinden«, lachte Callisto. »Wenn es dir Freude bereitet, wenn deine Söhne bei dunkelster Nacht durch unbekanntes Gelände laufen, meine Liebe, dann bin ich jetzt still, ansonsten sei ruhig und lass mich weiterdrohen, damit sie gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen«, erklärte Maria kühl. »Denkst du nicht, das sie schlau genug sind, sich bei Einbruch der Dunkelheit in irgendein Haus selbst einzuladen?«, lächelte die Herrin des Hauses unbeirrt weiter. Maria wollte darauf noch etwas antworten, doch sie holte nur tief Luft, klappte den Mund dann wieder zu und zuckte stattdessen mit den Schultern. »Aber sagt nicht, ich hätte es nicht versucht, wenn sie von irgendwelchen Wölfen zerfleischt werden und euch nur Kinaya bleibt«, meinte sie schlussendlich und verließ den Raum, während Callisto weiterhin unbeirrt lächelte. Dann jedoch wandte sie sich streng an ihre Söhne. »Sie hat recht, ihr seit vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause. Ihr wisst, es lauern nicht nur wilde Tiere.« Kenai nickte und verdrehte zugleich die Augen während er den Korb hochnahm und in Richtung Tür lief. Kanoa folgte ihm. Die Brüder liefen nicht gleich los, stattdessen liefen sie in den Stall und packten ihren Proviant in eine Satteltasche um. Der Korb wäre nur hinderlich gewesen, doch hätten sie sofort eine Satteltasche gepackt, hätten die Eltern verdacht geschöpft, das wussten sie. So versteckten sie den Korb gut unter dem Heu und liefen gemeinsam über den Hof in Richtung Pferdeweide um dort Hester zu suchen. Es dauerte nicht lange, bis sie die Stute gefunden hatte, sie weidete bei der braunen Stute ihres Vaters. Kenai warf ihr die Satteltasche über den Rücken, dann half er Kanoa hinauf. Schließlich führte er sie zu einem Stein der in der Nähe lag und erklomm von dort aus selbst das Pony. Schließlich trieb er sie mit den Hacken vorwärts Richtung Westen. »Welchen Weg nehmen wir? Über die Weide oder die Hohlwege?«, wollte Kanoa wissen. »Über die Weide. So sind wir zwar langsamer, aber auf den Hohlwegen könnte uns jemand antreffen und Mama bescheid sagen und das wollen wir ja nicht«, antwortete Kenai und so trotteten sie gut gelaunt auf dem Ponyrücken über das grüne Gras. Er wusste, das alle Weiden in dieser Gegend miteinander verbunden waren, sie mussten nur immer das Gatter suchen. Es war ein sonniger Tag, der blaue Himmel war wolkenlos. Eine sanfte Briese wehte über das Land und kühlte die Haut der beiden Brüder, sodass ihnen, der Sonne zum Trotz, nicht heiß war. Das grüne Gras, trotz der Sommerhitze noch nicht verdorrt, dämpfte die Schritte der kleinen Stute. Es war der perfekte Tag für ihren verbotenen Ausflug. Den Morgen verbrachten sie singend, und ab und zu, wenn ein Bachlauf ihren Weg kreuzte, ließen sie Hester grasen und tranken am Wasser, kühlten ein wenig die Hände und Füße, bevor sie sich wieder aufmachten. Gegen Mittag hielten sie bei einem kleinen Wäldchen. Sie setzten sich in den Schatten und verdrückten hungrig die Brote und den Kuchen, dann beschlossen sie, das sie schon weit genug gekommen sein mussten, das sie gefahrlos auf den Hohlweg wechseln konnte. Das Dorf würde schon weit hinter ihnen liegen, sodass sie wohl niemanden mehr antreffen würden, den sie kannten. Und er hatte recht, als sie schließlich das Gatter erreichten, das von dieser Weide auf den Weg führte, war ihnen die Gegend nicht mehr vertraut, sodass sie sicher wussten, das Dorf schon lange passiert zu haben. So ritten sie gut gelaunt auf dem Weg weiter, bis sie zu einer Abzweigung kamen. Ein Schild war hier aufgebaut, doch Kenai passte selten auf, wenn seine Eltern ihm das Lesen beizubringen versuchten, sodass er nicht wusste, was dort stand. Doch das spielte auch keine Rolle, denn er erkannte das Wappen auf einem Stein daneben umso besser. »Kanoa! Das ist die Grenze von Irian!«, rief Kenai erfreut aus. »Was sind das für Tiere?«, wollte Kanoa dagegen wissen und deutete auf das Wappen. »Das sind die geflügelten Fuchswölfe von Irian«, antwortete der große Bruder und trieb die Ponystute wieder an. »Warum haben sie Flügel? Und es gibt gar keine Fuchswölfe, Maria sagt, das Füchse und Wölfe keine Kinder haben können«, erklärte Kanoa und schob schmollend die Unterlippe vor. »Das weiß ich selbst. Das sind auch keine richtigen Fuchswölfe, das sind eigentlich Hunde. Du kennst doch die Wolfshunde, die Reika hat, oder? Solche Hunde, die so aussehen wie Wölfe, gibt es nur hier in Irian. Ab und zu gibt es aber im Wurf auch Welpen, die aussehen wie Füchse. Die sind klein und rot oder weiß mit langen Schwänzen, wie Füchse eben. Und deswegen werden sie Fuchswölfe genannt. Weil sie aussehen wie Füchse, ihre Eltern wie Wölfe, und sie aber eigentlich Hunde sind«, erklärte Kenai. »Und warum die Flügel?« »Weil die Erwachsenen Fügel als Symbol der Freiheit verstehen. Und um zu zeigen, das Irian an freies Land ist und niemand besser als der andere ist, haben sie den Fuchswölfen Flügel gegeben.« »Hm«, machte Kanoa. »Erwachsene sind seltsam.« »Ich weiß. Aber wir sind jetzt in den Grenzländern, noch ein bisschen weiter und wir sind in Forea«, freute sich Kenai. »Wenn wir aber rechtzeitig zu Hause sein wollen, müssten wir bald wieder zurück«, bemerkte Kanoa. »Ja, ich weiß. Aber einen Blick auf Forea will ich noch erhaschen.« Kenai kicherte vor Aufregung. »Und was tun wir, wenn Mama fragt?«, wollte der kleine Bruder ängstlich wissen. »Dann sagen wir ihr, wir hätten uns ein bisschen verlaufen oder bei den Ruinen die Zeit vergessen, das glaubt sie uns schon. Wir vergessen doch oft die Zeit und sind dann viel zu spät.« Da wirkte Kanoa beruhigt und lehnte sich wieder an seinen Bruder. »Nai, ich hab dich lieb«, sagte er leise, während ihm langsam die Augen zufielen. Er war ein Mittagsschläfchen gewohnt, da Kenai nicht wirkte, als wollte er für ein solches anhalten, machte er es sich also auf Hesters Rücken bequem. Er schlief ein. Als er wieder aufwachte, wusste er nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber es war kalt geworden und der Himmel hatte sich mit dunklen Wolken zugezogen. Er setzte sich auf, rieb sich die Augen und kuschelte sich dann wieder näher an Kenai heran. »Nai, warum sind die Wolken so dunkel?«, fragte er leise. »Ein Unwetter zieht auf, es dauert nicht mehr lange, bis es losbricht. Wir müssen uns einen Unterschlupf suchen«, antwortete Kenai und wirkte besorgt. Zu Hause wäre das kein Problem, doch hier kannten sie sich nicht aus, sie wussten nicht, wo sie trocken und sicher sein würden. Es begann zu regnen, es wetterleuchtete über den Himmel und der Donner rollte über das Land. Sie wussten, dass sie sich von den Bäumen fern halten sollten, denn Blitze schlugen oft dort ein, sie hatten Angst und wollten nur möglichst schnell einen Unterschlupf finden, auch wenn es nur ein Baum mit einem dichten Laubdach sein mochte. So saßen sie bald unter einer alten, knorrigen Eiche, hofften, das Hester nicht fortlaufen würde und warteten, dass das Unwetter vorbei zog. Da hörten sie aus der Ferne Hufgeklapper und Pferdewiehern und sahen schon bald einige Gestalten, die in einer kleinen Gruppe über den Weg galoppierten. Die beiden Brüder schauten auf. »Ist das Papa?«, fragte Kanoa hoffnungsvoll und auch Kenai fand, das eine der Gestalten durchaus Ähnlichkeit mit Tywyll aufwies. »Warte hier und pass auf Hester auf«, wies er seinen kleinen Bruder an und stand auf. Wenn er nur mit dem Vater zurück nach Hause reiten konnte, dann nahm er auch jetzt gerne jeden Ärger in kauf, der kommen mochte. So lief er das Stück über die Wiese hin zur Straße, lief den Pferden praktisch genau vor die Hufe. Der Rappe, der die Gruppe anführte, scheute erschrocken und stieg, während der Reiter, den die Brüder für Tywyll gehalten hatten, fluchte und versuchte, im Sattel zu bleiben. Die Pferde seiner Begleiter sprangen um den Rappen und den kleinen Jungen herum, kamen dann erst zum stehen, während Kenai erschrocken auf die großen Hufe blickte, die ihn fast niedergetrampelt hätte, und dann auf den fremden Mann, der von nahem ganz eindeutig nicht sein Vater war. »Verdammtes Gör, was sollte das?! Hast du keine Augen im Kopf? Willst du tot getrampelt werden oder was? Wo sind deine Eltern?«, fauchte der Mann und sprang aus dem Sattel. Einer seiner Begleiter ließ seinen Braunen einen Satz an Kenai vorbei machen und nahm dem Mann den Rappen ab. Der ging drohend auf den Jungen zu. Kenai jedoch wich nicht zurück sondern starrte den Fremden stolz und furchtlos an, schob in einer schmollenden Geste die Unterlippe vor und setzte einen abfälligen Blick auf. »Ich habe Sie verwechselt, ich dachte, dass Sie jemand anderes wären, deswegen meine Handlung. Doch mein Fehler gibt ihnen nicht das Recht, mich zu beschimpfen und so mit mir zu sprechen«, erklärte er ernst und sachlich, wie er es vom Vater kannte. Für einen Moment starrte der Fremde ihn einfach nur völlig verblüfft an, sagte einige Sekunden lang gar nichts, sondern starrte Kenai nur an. »Sag das noch mal«, forderte er nach einer gefühlten Ewigkeit. »Sie haben nicht das Recht, so mit mir zu schimpfen«, fand der kleine Junge. Abermals herrschte einen Moment lang fassungsloses Schweigen, dann brachen die Männer allesamt in Lachen aus. Kenai runzelte darauf unwillig die Stirn, ließ sie aber lachen, sie wussten ja noch nicht, mit wem sie es zu tun hatten. »Okay Hosenscheißer, hör zu. Ich rede mit dir, wie ich möchte, wenn dir das nicht gefällt, dann geh und beschwer dich bei deinen Eltern. Und wo wir gerade bei denen sind, wo sind sie? Ich kann dich nicht hier in den Grenzwäldern alleine lassen, hier wirst du schneller von Raubtieren gefressen, als du bist zehn zählen kannst.« Der Mann schaute sich suchend um, entdeckte dabei aber nur Kanoa und Hester, die brav unter dem Baum warteten. »Noch ein Kind«, kommentierte auch einer seiner Begleiter. »Ich sehe es. Gut, dann werden wir euch wohl nach Hause bringen. Wie heißt ihr und wo kommt ihr her?«, wollte der Mann unwillig wissen. »Wir sind Kenai und Kanoa von Winters-Midnight und wir kommen aus Irian. Genau genommen sind wir die Söhne vom Herr von Irian«, erklärte Kenai selbstzufrieden. »Tut dir jetzt leid, das du mich so schlecht behandelt hast?« Der fremde Mann wirkte nicht gerade, als wenn ihm etwas Leid täte, doch sein Interesse war eindeutig geweckt. »Von Winters-Midnight? Euer Vater heißt nicht zufällig Tywyll, oder?«, fragte er neugierig. »Doch. Tywyll von Winters-Midnight«, bestätigte Kenai. »Wer hätte das gedacht, dass ausgerechnet wir uns hier treffen…«, murmelte der Mann. Einen Augenblick lang schien er zu überlegen, dann nickte er, als wäre er zu einem Entschluss gekommen. »Hol’ deinen Bruder, ich bring euch nach Hause«, sagte er schließlich. »Leyal, wir haben keine Zeit für zwei Bälger, wir müssen weiter«, fand einer seiner Begleiter. »Ihr reitet vor, ich bring sie allein zurück. Ich weiß wo sie wohnen«, antwortete der und deutete Kenai, das er seinen Bruder holen sollte. Der zögerte. Tywyll hatte ihnen oft genug gesagt, das sie nicht mit Fremden mitgehen sollten, doch Leyal verdrehte bloß die Augen. Er lief selbst über die Wiese und griff Kanoa grob, warf ihn sich über die Schulter und ignorierte das Toben des kleinen Jungen. Leyal platzierte Kanoa unsanft auf dem Rücken des Rappen, wandte sich dann zu Kenai um. »Nein, wir wollen nicht mit«, fauchte der, doch sein Gegenüber war das ebenso egal. Er schwang sich hinter Kanoa auf den Pferderücken und ließ sich Kenai von einem seiner Begleiter hinten aufsetzen. »Halt dich fest, wir sind schnell unterwegs«, erklärte Leyal. »Und was ist mit Hester?«, knurrte der kleine Junge unwillig. »Wenn du das Pony meinst, die bring ich euch die nächsten Tage vorbei. Jetzt müssen wir erst einmal alle aus dem vermaledeiten Regen raus«, fand der fremde Mann. Er deutete auf das Pony und gab Anweisung, dass seine Begleiter sich darum kümmern sollten, dann ließ er seinen Rappen in schnellem Tempo vorwärts laufen. Er hielt Kanoa, der vor ihm im Sattel saß, mit einer Hand gut fest, während sich Kenai krampfhaft an seine Hüfte krallte. So legten sie den Weg, für den die Jungen fast den ganzen Tag gebraucht hatten, binnen kürzester Zeit zurück, dabei sprach Leyal kein Wort mit ihnen. Erst als sie in die Nähe des Dorfes kamen, wurde er langsamer. Als sie vor dem Gasthaus hielten, war es schon Nacht. Der Mann schien unentschlossen, ob sie Weiterreiten sollten, entschied sich dagegen. »Eure Eltern machen sich sowieso schon Sorgen, da können wir auch erst noch etwas essen«, fand er. »Glaubst du, du schaffst es heile runter?« Kenai antwortete nicht, schob stattdessen nur die Unterlippen vor und ließ sich vom Pferderücken rutschen. Er war schon öfter allein vom Braunen seines Vaters geklettert und der Rappe war auch nicht viel größer. Leyal lächelte daraufhin und schwang sich ebenfalls hinab. Er band sein Pferd fest, dann griff er sich Kanoa und trug den kleinen Jungen, dem mittlerweile alles egal war, in den Schankraum. Kenai folgte ihm. Er ließ die Brüder allein und begab sich zum Wirt, um mit ihm zu sprechen, während die beiden Jungen sich umblickten. Der Schankraum war fast leer, bloß zwei Fremde saßen dort. Ein junger Mann mit blondem Haar, der alles andere als zufrieden wirkte, und eine Frau mit hellbraunem Haar, die ruhig und zufrieden lächelte. Die Brüder zögerten einen Moment, dann setzten sie sich an ihren Lieblingsplatz in der Ecke am Fenster und warteten. Leyal unterhielt sich mit dem Wirt, er wirkte nicht gerade so, als wollte er gleich zu ihnen kommen und so horchten die Brüder nach einer Weile gelangweilt auf das leise Gespräch der beiden Fremden. »Ich versteh es immer noch nicht, Kunal. Das hier ist ein Dorf am Ende der Welt, was soll es hier schon Interessantes geben? Irian ist der wohl langweiligste Ort dieser Welt«, fand der Blonde genervt und starrte frustriert auf seinen Becher Wein, bevor er ihn in einem Zug hinunterstürzte. »Findest du? Ich finde es faszinierend«, fand seine Begleiterin und lächelte unbeirrt weiter. »Wieso? Es ist kalt, obwohl wir Sommer haben, das Wetter wechselt von einer Stunde auf die nächste, es wird nachts gar nicht richtig dunkel und die Menschen… Na ja, es ist eben ein Land voller unzivilisierter Wilde.« Der Blonde schnaubte abfällig. »Sind wir nicht!«, rief Kenai wütend und sprang auf. Der Blonde schaute ihn einen Augenblick lang verwirrt an, runzelte dann nachdenklich die Stirn, als überlegte er, ob er das hier wirklich ernst nehmen sollte. Schließlich lachte er leise und herablassend. »Natürlich, du kleines Kind kennst die Welt da draußen bestimmt besser als ich«, brummte er schließlich sarkastisch und schenkte sich aus dem Tonkrug nach. »Nein, aber ich kenne Irian und es ist ein tolles Land«, schnappte der kleine Junge. »Irian ist nichts im Vergleich zu Altena.« »Du hast doch gar keine Ahnung! Du bist nicht von hier, du kennst das Land doch gar nicht!« Der Blonde zögerte einen Augenblick lang, dann schüttelte er wütend den Kopf. »Was willst du Gör eigentlich von mir? Lauf nach Hause zu deiner Mutter«, fauchte er. »Nenn’ Kenai nicht Gör!«, mischte sich da Kanoa wütend ein. »Wollt ihr die Wahrheit etwa nicht hören?« Das ging zu weit. Nachdem der Tag schon eine so negative Wendung genommen hatte, hatte Kanoa keine Lust, sich auch noch von einem Fremden schlecht machen zu lassen. Bevor Kenai etwas sagen konnte, hatte der kleine Junge in einer wütenden Bewegung einmal durch den Raum gewischt und dabei unbewusst einen magischen Wind entfesselt, der mit seiner vollen Kraft auf die beiden Fremden traf und sie mit Leichtigkeit vom Stuhl fegte. »Du bist selbst ein Gör und schlecht erzogen bist du auch noch«, schrie er und blitzte den Blonden hasserfüllt an. Der wiederum starrte erstaunt auf den kleinen Jungen, während seine Begleiterin laut lachte und Leyal fassungslos auf sie zugelaufen kam. »Ich sagte doch, Irian ist ein faszinierendes Land«, kicherte sie und stand wieder auf. »Wie alt bist du, kleiner Mann?« »Vier«, antwortete Kanoa wahrheitsgemäß und schob schmollend die Unterlippe vor. »Vier?« Der Blonde wirkte ehrlich erstaunt. »Wenn du mit vier Jahren schon solche Winde entfesseln kannst, dann wirst du gewiss einmal ein großer Zauberer werden«, prophezeite sie lächelnd, während auch ihr Begleiter aufstand. »Mir vier ist man noch nicht so begabt«, widersprach der im Brustton der Überzeugung, doch seine Begleiterin ging nicht darauf ein. »Lass uns schlafen gehen, Nikolai. Morgen wird ein anstrengender Tag«, erklärte sie stattdessen gut gelaunt und ging die Treppe zu den Schlafräumen hoch. Nikolai starrte einen Augenblick lang noch fassungslos auf die Brüder, dann wandte er sich ebenfalls um und folgte ihr die Stufen hinauf. Kenai, Kanoa und Leyal schauten ihnen nach, jeder mit seinen eigenen Emotionen angefüllt. Schließlich nickte Leyal, als wäre er zu einer Entscheidung gekommen. »Gut, Abendbrot lassen wir doch ausfallen, ihr müsst jetzt schleunigst nach Hause, bevor ihr noch die ganze Wirtschaft auseinander nehmt«, fand er und scheuchte die Jungen wieder hinaus, tauschte dabei einen langen Blick mit dem Wirt, doch sie sagten nichts mehr zueinander. Draußen setzte er die Brüder dann wieder aufs Pferd und führte es den restlichen Weg zum Haus. Dort brannte noch Licht und als er schließlich anklopfte, wurde ihm sofort von Maria geöffnet. Sie stutze, als sie den Mann sah. »Leyal, was willst du hier?«, erkundigte sie sich kalt. »Tywyll ist nicht daheim, falls du ihn suchen solltest.« »Ich wollte euch nur seine Söhne wiederbringen, ich habe sie in den Grenzländern angetroffen, als ich auf dem Weg zu einem überschwemmten Dorf war und dachte, es wäre besser, sie nicht allein nach Hause reiten zu lassen. Ihr Pony werde ich die nächsten Tage vorbeibringen, das hätte uns heute nur behindert.« Maria runzelte die Stirn während er erzählte. Sie wirkte nicht begeistert und als er erzählte, wo er die Brüder gefunden hatte, runzelte sie wütend die Stirn, doch sie sagte nichts. Sie schob die Jungen einfach nur Wortlos hinein, verabschiedete sich kalt von Leyal und schickte sie ohne Abendessen ins Bett. So verheißungsvoll der Tag für die Brüder begann, so betrüblich endete er schließlich, doch für den Moment waren sie dennoch guter Dinge, denn für diesen Moment hatte Maria sie noch nicht ausgeschimpft. Und während sie so gemeinsam im Bett lagen und den Tag müde Revue passieren ließen, heckten sie auch schon den nächsten Streich aus, bis sie schließlich erschöpft einschliefen. Der große Ärger kam dann am nächsten Tag. Nicht nur von Maria, auch unsere Eltern schimpften lange und ausgiebig. Wir hätten wochenlangen Stubenarrest bekommen sollen, doch als unser neustes Familienmitglied, unser Bruder Fjodor, geboren war, da hielten sie es nicht lange durch, bald schon ließen sie uns wieder frei umhertoben. Was die beiden Gestalten aus dem Wirtshaus anbelangt, die reisten am nächsten Tag schon wieder ab und der junge Mann, Nikolai, war dabei gar nicht mehr so arrogant. Und was Leyal betrifft, erfuhr ich später mehr über ihn, auch, woher er und Maria sich kannten. Wie versprochen brachte er auch einige Tage später Hester zurück, doch wir wurden so scharf beobachtet, dass ein neuer Ausflug undenkbar war. Und dennoch, trotz aller Widrigkeiten, war es rückblickend betrachtet, ein sehr erfolgreicher Tag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)