Wintermond von Scarla ================================================================================ Kapitel 13: Wintermond ---------------------- Nachdenklich schaute Kanoa auf die zwölf Jungen und Mädchen um sich herum. In den letzten Tagen hatte er viele von ihnen kennengelernt, denn sie würden mit ihm zusammen ihre Lehre zum Zauberer beginnen. Fast alle waren jünger als er und wirkten sehr aufgeregt. Eden, die an seiner Seite saß, wirkte sogar fiebrig, ihr Blick war glasig, ihre Wangen feuerrot. An seiner anderen Seite saß Kenai, starrte nachdenklich auf die Treppe, hielt dabei Kinaya im Arm, die leise ein Lied sang, um sich zu beruhigen. Kanoa betrachtete ihr blasses Gesicht, das unter der schwarzen Kapuze noch viel blasser wirkte und fragte sich, ob sie Angst haben mochte oder ob sie sich freute. Dann fragte er sich, was er empfand und stellte fest, dass es ihm gleich war. Ohne Fjodor hatte alles seine Bedeutung verloren, nichts war ihm mehr wirklich wichtig. Es dauerte einen Moment bis er begriff, dass das nicht stimmte. Er war traurig wegen seinem Bruder, aber das war etwas anderes. Trauer ließ einen doch nicht so gleichgültig der Welt gegenüber werden, oder? Doch wenn selbst Kinaya, die Fjodor näher stand als jeder andere, damit fertig werden konnte, wie konnte es sein, das es ihm nicht gelang? Als er sah, wie Nevaeh für die Zeremonie auf das Dach ging, Tiamat, Gaia und Pan an ihrer Seite, da musste er grinsen. Es war doch so klar. Wer wollte schon in der Wirklichkeit leben, wenn er wusste, dass noch eine andere Welt existierte, die mehr Zauber und Magie besaß, als alle Zauberreiche gemeinsam? Die so anders war als alles, was er bisher kannte. Er seufzte. Es brachte nichts, mit dem Kopf in einer Welt festzuhängen, in der er niemals leben würde. Er sollte sich auf das hier und jetzt konzentrieren. So atmete er einmal tief durch und konzentrierte sich. Dann sah er, wie eine junge Zauberin ihnen ein Zeichen gab, das es an der Zeit war, nach oben zu gehen. Er setzte seine Kapuze auf und folgte seinem Bruder, der mit Kinaya an der Hand als erster die Treppe hinaufging. Er war der Älteste. Er hätte nicht als erstes gehen müssen, doch die Kinder um ihn herum wirkten so scheu und aufgeregt, das er sie führte. Als sie auf dem Dach stehen blieben, da aber war Kanoa voll und ganz in der Wirklichkeit. Es war ein wenig, wie bei seinem ersten Lichterfest. Wie Ikaika ihm erklärt hatte, gab es drei Gruppen. Die Schüler, die ängstlich zusammengedrängt bei der Treppe stehen geblieben waren, die Zuschauer, die sich Zahlreich auf dem Dach eingefunden hatten und voll Neugierde die neuen Schüler begutachteten und die neuen Meister sowie die Hochmagier und der Meister der Zauberergilde. Wie üblich fand die Zeremonie bei Sonnenuntergang statt und da der Himmel den ganzen Tag über klar gewesen war, war auch jetzt ein leuchtend roter Himmel zu bewundern. Auch die Menschen und der Turm wirkten einladend in diesem warmen Licht, das so gar nicht nach Winter aussah, sondern eher nach einem wunderschönen Spätsommerabend. Nur die Kälte, die durch die Kleider biss, ließ einen wissen, das der Winter nahte. »Seid ihr alle da?«, fragte der Gildenmeister, Keo, und riss damit Kanoa aus seinen Tagtraum. Der würdevolle alte Mann schien keine Antwort zu erwarten, denn er nickte und sprach dann auch schon mit lauter, voller Stimme weiter. »Heute ist der letzte Tag des Herbstes. Morgen ist Sonnenwendfest. So ist es also wieder einmal an der Zeit, das einige junge Menschen den langen Weg antreten, der sie dorthin führt, wohin es sie zieht.« Keo wandte sich an die wartenden Meister, die wohlwollend, aber teilweise auch sehr nervös auf ihre künftigen Schüler blickten. »Für einige von euch sind es nicht die ersten Schüler. Ihr habt schon einmal einen oder mehrere junge Menschen über den langen Weg des Lernens begleitet. Ich hoffe, nein, ich erwarte, dass ihr euch auch dieses Mal mit ebendieser Hingabe auch eurem neuen Schüler widmet. Ich erwarte, dass ihr nicht blind davon ausgeht, dass sie genauso sind, wie jene, die ihr schon hattet, dass ihr sie als jene Individuen seht, die sie sind! Und ich erwarte, dass ihr auch eure anderen oder ehemaligen Schüler nicht vernachlässigt. Jene, die das erste mal einen Schüler auf ihrem Weg begleiten, von denen erwarte ich, das ihr euer bestes gebt. Fragt, wenn ihr fragen habt, niemand ist unfehlbar. Ihr seit es eurem Schüler schuldig, eure eigenen Fehler einzugestehen.« Ehrfürchtiges Schweigen breitete sich unter den dreizehn Meistern aus. Einige nickten lächelnd, andere wirkten gelangweilt und wieder andere blieben ernst und starr. Und wenige, wie Nikolai, wirkten nervös und schauten Hilfe suchend umher. Dann wandte sich Keo an die Schüler. Lange ruhte sein Blick auf jedem einzelnen und er schien die Gedanken jedes einzelnen zu lesen. Kanoa wollte seinem Blick ausweichen, denn seine Gedanken gehörten nur ihm, doch als sich ihre Blicke dennoch trafen, da wurde ihm bewusst, das auch er in den Gedanken seines Gegenübers lesen konnte. Keos Augen verrieten ihn, so wie die Augen einen immer verrieten. Der Augenblick hielt nur für einen Augenblick, aber letzten Endes standen sie einander nackt gegenüber, denn für diesen Moment gab es keine Geheimnisse mehr. Und das war gut so. Dann blickte der Meister weiter, bis er alle dreizehn Schüler angesehen hatte. »Auch euch habe ich noch etwas zu sagen. Auch an euch habe ich so manche Erwartung. Ich erwarte, dass ihr euer bestes tut, um das Handwerk zu lernen, das eure Meister euch beibringen werden. Ich erwarte, dass ihr ehrlich und folgsam seid und dass ihr euch auf das konzentriert, was vor euch liegt und euch nicht von Belanglosigkeiten ablenken lasst. Ihr alle seit nun gleich. Eure Heimat spielt keine Rolle mehr, eure Familie ist sich gleich. Es zählt nur noch ihr und das, was ihr aus euch zu machen gedenkt. Keiner von euch ist besser als sein Nebenmann, egal, ob eure Eltern Bauern, Gutsherren oder Könige sind. Ihr seit euch gleich«, sprach Keo eindringlich, doch Kanoa war, als wenn er dabei gar sie meinte. Er folgte dem Blick des Gildenmeisters und als er unsicher nach hinten lugte, da war er sich sicher, dass er sich geirrt haben musste, denn als er dorthin blickte, da schaute er zu Ikaika. Verwirrt wandte er sich wieder Keo zu, der schon weiter gesprochen hatte und nun den ersten Meister nach vorn wunk. Es war Kajol, der Meister von Kenai. Ernst trat er in die Mitte. »Kenai Arkas von Winters-Midnight, komm zu mir«, rief er mit lauter Stimme. Kenai und Kanoa tauschten noch einen schnellen Blick, dann ging sein Bruder schnellen Schrittes und wehenden Umhangs zur Mitte der Plattform, stellte sich seinem Meister gegenüber. »Kenai Arkas von Winters-Midnight! Leiste den Eid vor dem Himmel und der Erde!«, sprach Kajol laut weiter. »Schwöre mir, das du folgsam und fleißig sein wirst, schwöre mir Ehrlichkeit und Strebsamkeit!« Kenai zögerte einen Augenblick, widerstand der Versuchung, noch einmal hinter sich zu blicken, bevor er laut zu sprechen begann. »Ich leiste den Eid vor dem Himmel und der Erde. Ich werde folgsam und fleißig sein. Ich werde immer wahre Worte sprechen und ich werde strebsam mein Ziel verfolgen«, sprach er laut und deutlich, dennoch deutlich sanfter als sein Meister. »Dann öffne deinen Umhang und erhalte deinen Schülernamen«, forderte Kajol ihn auf und sogleich warf Kenai seinen Umhang ab. Sein Meister flüsterte ihm etwas ins Ohr, dann entließ er seinen Schüler mit einem nicken, der Schatten eines Lächelns auf den Lippen. Kenai wandte sich sofort ab, lief zu Kanoa und Kinaya zurück, umarmte sie beide, bevor er zu seiner Patin Ria lief. Danach folgte ein Schüler nach dem anderen, sie alle versprachen im Grunde dasselbe. Die Reihe lichtete sich. Kinaya sprach ihren Eid vor der jungen Zauberin Nima und Eden sprach vor einer noch jüngeren Zauberin namens Luca. Letztlich blieb nur Kanoa allein. Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen. Feuer erhellte das Dach, dennoch konnte man den klaren Sternenhimmel und den vollen Mond betrachten, der über ihnen fast so hell schien, wie eine bleiche Sonne. In das fahle Mondlicht trat ein nervöser Nikolai, der einen ruhigen Kanoa zu sich rief. Der junge Meister schaute noch einmal Hilfe suchend zu Kunal, bevor er mit lauter, aber eindeutig zittriger Stimme zu sprechen begann. »Kanoa Kuroi von Winters-Midnight, leiste den Eid vor dem Himmel und der Erde! Schwöre mir, dass du ehrlich, treu und folgsam sein wirst.« Mehr brach Nikolai nicht hervor, er wirkte auch so, als erstickte er fast an seinen eigenen Worten. Scheinbar war sein Meister um einiges aufgeregter als er selbst. Kanoa lächelte beruhigend, bevor er selbst zu sprechen begann. »Ich leiste meinen Eid vor dem Himmel und der Erde. Ich schwöre, dass ich ehrlich, treu und folgsam sein werde«, erklärte er laut und ruhig. »Dann lege deinen Umhang ab und erhalte von mir deinen Schülernamen«, sprach Nikolai, diesmal ohne zittern in der Stimme, weiter. Kanoa öffnete das Band und ließ den Umhang achtlos zu Boden gleiten. Nikolai zögerte eine Sekunde, schaute kurz zum Himmel hoch, dann lächelte er leicht und flüsterte ihm seinen Schülernamen zu. »Wintermond bist du.« »Wintermond?« »Ja. Sagen wir, ein Vögelchen zwitscherte mir den Namen zu. Ich denke, er passt.« Kanoa wusste nicht, was er davon halten sollte. Hieß das, jemand Fremdes, der es nicht wissen sollte, kannte seinen Schülernamen? Er war sich nicht sicher, ob ihm das recht war, aber dennoch nickt er. Wintermond gefiel ihm. Es zeugte von seiner Herkunft und er gedachte nicht, diese jemals zu vergessen, sosehr Keo das auch missfallen mochte. Er nickte und trat zurück. Mit einem Nicken entließ ihn Nikolai und er lief zu seinen Geschwistern, die ihn lächelnd begrüßten, doch Kenai zögerte nicht lange, zog ihn und Kinaya beiseite, sodass sie nicht mehr im engsten Gedränge standen. Während Keo wieder zu sprechen begonnen hatte, umarmte er seine Geschwister. »Sturmschwinge«, flüsterte er ihnen ins Ohr. Mehr musste er nicht sagen, Kinaya und Kanoa verstanden auch so. »Aschenseele«, antwortete ihre kleine Schwester ebenso leise und lächelte. »Wintermond«, offenbarte Kanoa und blinzelte glücklich. Es bedeutete ihm sehr viel, das seine Geschwister ohne das geringste Zögern ihm offenbarten, was ihr tiefstes Sein ausmachte. »Kommt ihr? Wir feiern jetzt!«, rief Eden und kam zu ihnen gelaufen. »Ja, wir kommen«, antwortete Kenai und ging in ihre Richtung, als sie Nevaeh auf sich zukommen sahen, die drei Tiere im Schlepptau. »Kanoa, ich habe mit meinem Vater gesprochen«, begann sie, während sich die Geschwister sofort hinabbeugten und ihre Freund hochhoben, um sie von gleich zu gleich zu begrüßen. »Was hat er gesagt?«, fragte Kanoa und hoffte, das Tiamat bei ihm bleiben durfte. »Er will mit euch sprechen. Jetzt«, antwortete sie und deutete zu Keo, der geduldig mit Kunal und einem fremden Zauberer beisammen stand. Sogleich liefen die Geschwister zu ihnen, auch Eden folgte ihnen. Als Keo sah, das sie auf ihn zukamen, beendete er das Gespräch und deutete ihnen, mit ihm zu kommen. Sie verließen die festliche Gesellschaft und suchten sich einen ruhigen Raum, während Eden ihnen nachrief, das sie auf sie warten würde. »Nevaeh sagte mir, das euch viel an euren Tieren gelegen sei«, begann er. »Warum?« »Kanoa und ich fanden sie im Wald, als wir noch klein waren. Sie hatten keine Mutter mehr, sie hätten nicht überlebt, also nahmen wir sie mit und zogen sie auf«, begann Kenai. »Wir waren ganz allein für ihr Wohlergehen verantwortlich, wir waren Tag und Nacht zusammen. Sie sind für uns mehr als Haustiere, sie sind Freunde«, erklärte Kinaya und presste Pan eng an sich. »Sie helfen und beschützen uns«, fügte Kanoa noch hinzu. »Wisst ihr, wieso ihr sie nicht behalten dürft?«, erkundigte sich Keo weiter, ließ nicht erkennen, ob ihre Worte irgendetwas bewirkt hatten. »Weil Haustiere hier nicht gestattet sind. Außer man bekommt die Erlaubnis der Hochmagier oder von ihnen«, nickte Kenai. »Das ist nicht der einzige Grund. Es sind Fuchswölfe und ich weiß sehr wohl, das der Fuchswolf das Wappen von Irian ist. Und ich weiß auch, dass ihr drei Kinder der Herren von Irian seid. Sie unterstreichen, dass ihr aus gutem Haus kommt, aber ab heute seit ihr nicht mehr als jeder andere auch. Ich will nicht, das irgendjemand euch anders behandelt, weil ihr euer Familienwappen so offen mit euch führt und ich will auch nicht, das ihr glaubt, eine Sonderbehandlung zu verdienen.« »In Irian gibt es keinen Herrn und keinen Diener. Es gibt nur Menschen, von gleich zu gleich. Es wäre das erste Mal, das wir eine Sonderbehandlung unseres Elternhauses wegen bekämen«, antwortete Kanoa und Kenai nickte mit einem Lächeln. Kanoa wusste, das er an die unzähligen Male dachte, als sie im Dorf Unsinn getrieben hatten und postwendend von einem Dörfler ausgeschimpft worden waren. Keo nickte und wirkte nachdenklich. Kanoa glaubte nicht, das es für ihn von Bedeutung war, was sie sagten, er glaubte, dass die Entscheidung schon gefallen war. Er verstand nicht, wieso Keo daraus sein Spiel machte, aber er würde für eine Weile noch mitspielen. »Ihr wisst, wenn ich euch erlaubte, die Tiere zu behalten, hättet ihr die volle Verantwortung für sie«, sprach er langsam weiter. »Die hatten wir vorher auch schon«, antwortete Kinaya leichthin. »Stimmt, das kennen wir. Wir müssen sie füttern, erziehen, ihren Dreck wegmachen und wenn sie etwas anstellen, dann haben wir die volle Verantwortung zu tragen«, leierte Kenai herunter, was ihr Vater ihnen immer wieder eingetrichtert hatte. Keo lächelte, schaute dann für eine Weile einfach nur auf die drei Tiere, die ruhig entgegen blickten. »Ihr habt sie wirklich einfach so im Wald gefunden?«, fragte er leise. »Einen für jeden von uns«, bestätigte Kanoa ebenso leise. »Als Vertraute, Beschützer und Freund.« Er sah, wie es hinter Keos Stirn zu arbeiten begann und er fragte sich, über was der Gildenmeister wohl nachdachte. Schließlich schien er aber zu einem Entschluss zu kommen. »Ich denke, ich werde es mir eine Weile ansehen. Wenn ich der Ansicht bin, das es euch oder eurer Ausbildung nicht gut tut, werdet ihr sie fortgeben müssen, aber fürs erste dürft ihr sie behalten.« Hatte er erwartet, das die Geschwister nun vor Freude aufschreien und herumtanzen würden oder dergleichen, so wurde er enttäuscht. Sie nickten dankbar und während die Brüder ihre Gefährten wieder auf den Boden setzten, drückte Kinaya Pan noch enger an sich. Für einen Augenblick wirkte der Gildenmeister verwundert über die stille, fast teilnahmslose Freude der Geschwister, doch er ließ sich davon nicht lange beirren. »Dann wird es Zeit, auf das Fest zu gehen«, fand er und entließ sie mit einer Handbewegung. Langsam und ohne Eile gingen die Geschwister. Sie hatten es nicht eilig, auf das Fest zu kommen, sie wussten, dass dies nicht das einzige Fest bleiben würde, morgen würde man den Winter offiziell begrüßen und der Besuch das Menschenkönigs würde gewiss auch ein Grund für ein Fest sein.   Sturmschwinge, Wintermond und Aschenseele. Diese Namen sprachen von unserer Zukunft, wir wussten es damals nur noch nicht. Viel wichtiger war aber, das wir Tiamat, Gaia und Pan wiederhatten und wir hatten nicht vor, sie wieder zu verlieren. Ich war Nevaeh sehr dankbar dafür, ich wusste, dass wir es nur ihr zu verdanken hatten. Den Rest des Abends feierten wir gemeinsam, auch der nächste Tag war noch sehr ruhig, erst dann begann unsere wirkliche Ausbildung, denn so etwas wie das Lichterfest gab es hier nicht. Wir lernten die Grundlagen der Magie, uns wurde erklärt, war wir zu tun hatten und was die Magie eigentlich war. Ab jetzt begann eine Zeit des Lernens. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)