Abweisung! von littleblaze ================================================================================ Wieder da... ------------ Autor: littleblaze E-Mail: little_blaze_2000@yahoo.de Warnung: Shonen Ai Disclaimer: Alle Rechte an den Charakteren und der Storyline gehören mir und die Geschichte darf nicht ohne meine vorherige Zusage auf anderen Seiten, Portalen oder Foren gepostet werden. Abweisung – Part 07 „Du musst mich hier raus holen!“, sollte das wirklich alles sein, was er mir zu sagen hatte? „Lass mich los“, erwiderte ich ihm darauf und seine Hand glitt zurück auf die Bettdecke. Erst jetzt kam ich dazu, mir ein genaueres Bild von ihm zu machen. Die großflächige Verkrustung auf seiner linken Gesichtshälfte, die Haare etwa ein Drittel nach oben wegrasiert. Das Gerüst um sein Bein herum… Metall bohrte sich in das Fleisch hinein. Mir wurde flau im Magen, ich drehte mich weg. „Bitte“, interpretierte er mein Wegdrehen wohl als Davongehen. Ich versuchte tief einzuatmen, meinen Magen zu beruhigen, doch ließ ich alles nur noch schlimmer werden. Der penetrante Geruch von Krank fraß sich in mich hinein. Gerüche von Jod oder irgendetwas anderem ließen mich dumpf aufstoßen. Das Bild vor Augen von durchbohrtem Fleisch… es drehte sich alles… „Chris? Chris… geht es wieder?“ Ich öffnete sprungartig die Augen. „Was ist passiert?“ „Ganz ruhig“, drückte man mich zurück nach unten. „Wo bin ich?“ Verwirrt schaute ich mich um. Grelles Licht, weiße Wände, die bekannten Deckenlampen… Ich war immer noch im Krankenhaus, aber nicht mehr… „Sie sind in der Schwesternstation. Geht es denn wieder?“, half man mir nun vorsichtig auf. „Ich bin umgekippt?“ „Ja, wahrscheinlich der Stress und das schlechte Essen der Kantine“, versuchte man witzig zu sein. Man bot mir ein Glas Wasser an, welches ich dankend annahm. „Bleiben Sie erst einmal noch ein wenig hier sitzen. Wir werden Ihnen dann gleich auch noch eine kleine Spritze geben, damit sich Ihr Blutdruck stabilisiert.“ „Danke.“ Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit, mir den ganz normalen Krankenhausalltag einmal von der anderen Seite des Tresens anzuschauen. Medikamente mussten vergeben werden, Anweisungen unterzeichnet, Röntgenbilder abgeheftet und immer wieder Rücksprachen mit zuständigen Ärzten abgehalten werden. Ich versuchte alles andere erst einmal zu ignorieren, immer wenn ich mich gedanklich zurück in dieses Zimmer bringen wollte, wurde mir schlecht. „Ich möchte mit seinem Arzt sprechen“, durchfuhr es mich schließlich. Besorgt wurde ich angeschaut. „Kann ich bitte mit den Arzt von Mr. Byncks sprechen?“ „Ist es ein Notfall?“ „Nein, ich möchte Ryan mit nach Hause nehmen.“ Zwei Stunden später hatte der zuständige Arzt endlich Zeit für mich. In der Zwischenzeit hatte ich mich nicht noch einmal überwinden können, zu ihm zu gehen. „Sind sie sicher, dass er das Krankenhaus auf eigene Verantwortung verlassen möchte?“ „Ja, aber ist das denn überhaupt möglich? Braucht er nicht noch irgendetwas, das er nur hier bekommen kann?“ Innerlich betete ich vielleicht sogar um diese Möglichkeit. Die Abneigung, die ich gerade gegen ihn verspürte, verstand ich nicht, aber sie war da. Mein Gefühl flüsterte mir zu, dass ich das nicht wollte, doch mein Kopf verschloss sich dem und entschied zu seinen eigenen Gunsten. „Natürlich sähen wir es lieber“, durchblätterte man eifrig die Akte. „…wenn er weiterhin hier bleiben würde. Sein Bein braucht absoluten Stillstand und wir können immer noch nicht ausschließen, dass sich eine der Wunden vielleicht noch infiziert… Das Blutgerinsel hat sich aufgelöst“, durchforstet er ein weiteres Blatt. „Und Nachwirkungen der Gehirnerschütterung konnten wir auch nicht mehr feststellen. Bei strikter Bettruhe und sagen wir… zwei Blutabnahmen die Woche, wofür eine Schwester zu Ihnen nach Hause kommen könnte, kann ich nicht besonders viel dagegensprechen.“ „Also kann ich ihn mitnehmen?“ „Lassen Sie uns am Montag noch einmal alle Routinechecks durchgehen und am Dienstag können Sie ihn dann, wenn keine bedenklichen Befunde vorliegen, mitnehmen. Einverstanden?“ „Ja. Danke Doktor.“ „Mrs. Kilmer wird Sie noch informieren, worauf Sie besonders zu achten haben und was vielleicht in den nächsten Wochen ganz nützlich wäre.“ Ich wendete mich der Schwester an meiner Seite zu und hatte mir knappe 20 Minuten später alles notiert, worauf ich achten und wie ich darauf reagieren sollte. „Am praktischsten wäre es, wenn Sie sich sterile Bettwäsche besorgen würden“, gab sie mir einen weiteren Tipp. „Wo bekomme ich die?“ „Ich gebe Ihnen eine Karte von einem Geschäft hier in der Nähe. Aber es ist natürlich eine kostspielige Sache, da Sie die Bettwäsche täglich wechseln müssen und jede Garnitur nicht mehr als ein Mal benutzen sollten. Für die Wundheilung ist es ein teures aber sehr gutes Mittel, um Infektionen zu vermeiden.“ „Geld ist kein Problem.“ „Dann sollte natürlich ein Rollstuhl vorhanden sein, um auf die Toilette zu können. Im besten Fall natürlich nur für die großen Bedürfnisse, damit das Bein so selten wie möglich bewegt wird. Für den Urin sollten Sie am besten Bettflaschen kaufen. Die bekommen Sie auch in dem Laden mit der Bettwäsche. Und na ja….“ Ich stoppte kurz in meiner Schreibtätigkeit und schaute zu ihr auf. „Sie sollten vielleicht wirklich darüber nachdenken, jemanden einzustellen, der Ihnen hilft. Es ist kein Zuckerschlecken, sich um eine kranke Person den ganzen Tag kümmern zu müssen.“ „Ich werde darüber nachdenken“, versicherte ich ihr. „Ich gebe Ihnen einfach auch mal hier eine Karte mit.“ „Vielen Dank.“ Mit zwei schnell hin gekritzelten Seiten an Informationen saß ich danach kurze Zeit unentschlossen im Warteraum, einem Raum, von dem ich mich jetzt verabschieden konnte. Wenn ich wollte, konnte ich jetzt einfach nach Hause gehen. Mein Blick schritt schräg den Gang zu Tür 241 hin, auch sie würde ich jetzt bald nicht mehr sehen müssen. Ich würde den Tagen, die ich als Horror beschimpft hatte, entfliehen können, nur um mich einem anderen, vielleicht größeren zu stellen. Mal schauen wie begeistert Josh sein würde, wenn ich ihm erzählte, dass ich nun wochenlang kaum noch im Büro sein würde. Ich stand auf und betrat Ryans Zimmer. Er schien es wieder nicht für nötig zu halten, mich anzusehen. Am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre sofort wieder gegangen. Aus dem Zimmer, dem Flur und dem Gebäude. Die Tür hinter mir ließ ich einen großen Spalt offen stehen, und ich zwang mich dazu, weder sein Bein noch ihn direkt anzuschauen. „Warum hast du mich die ganze Zeit belogen?“, bogen sich meine Finger in eine Faust zusammen. „Warum?“, spürte ich wie die ganze Anspannung der letzten Wochen hinaus wollte. Doch ich konnte nicht schreien und nicht weinen. Ich wollte Antworten haben und sei es nur auf diese einzige Frage. „Sag es mir und ich hol dich hier raus.“ Meine Finger fingen vor Aufregung an zu zittern und so presste ich sie nur noch stärker zusammen. „Dann lass es halt bleiben“, antwortete er darauf. ~ * ~ Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, endlich mal wieder einen Tag so richtig auszuschlafen, jedoch verbrachte ich den Sonntagmorgen damit, mich im Bett rumzuwälzen und mich zu fragen, wie ich mir die nächsten Wochen nur zumuten konnte, warum ich mich verpflichtet fühlte, das zu tun? Verlangte Liebe wirklich alles von einen ab, konnte man nicht einfach sagen: „Stopp! Warum sollte ich dir helfen, wenn du mich wie den letzten Dreck behandelst?“ Anscheinend nicht! Nach dem Aufstehen räumte ich auf, stellte meine Wohnung ein wenig um, um für einen Rollstuhl Platz zu schaffen, und schrieb Einkaufslisten. Eine für die Krankenhausdinge und eine andere mit Lebensmitteln, die Ryan gerne aß und die mir mittlerweile ausgegangen waren. Der Montag fing auch sogleich damit an, geschriebene Listen abzuarbeiten. Zuerst belastete ich meine Kreditkarte mit einer gewaltigen Summe für Rollstuhl, Bettwäsche und sämtlichen anderen Kleinkram, der heute Abend frei Haus geliefert werden würden. Bei den Preisen sollte man das auch erwarten können. Als nächsten unterrichtete ich Josh über den Verlauf der nächsten Wochen, der natürlich nicht gerade rosig auf mich zu sprechen war. „Wie kannst du mir das antun, Chris? Gerade jetzt, wo das Wetter wieder besser wird und die halbe Welt mit Aufträgen ankommt.“ „Ich bin doch nicht aus der Welt. Rund um die Uhr kann ich arbeiten, ich kann halt nur nicht im Büro sein. Du kannst mir nen Boten schicken, wir können übers Internet quatschen oder telefonieren. Ist ja nicht so, als würden wir immer noch mit Rauchzeichen arbeiten.“ „Werd mir ja nicht patzig.“ „Sorry“, ließ ich mich auf einen Stuhl fallen. Meine Hände schlugen sich auf meinem Gesicht nieder. „Wer ist der Typ eigentlich?“ „Was?“, suchend schaute ich mich um. „Der Kerl, der jetzt wochenlang von dir bedient wird. Wer ist das… ein neuer Lover?“ „Schön wär’s!“, rutschte es mir heraus. Entweder vor Müdigkeit oder es war mir langsam nur egal, was die Leute von mir dachten und für wie verrückt sie mich hielten. „Mich würde schon interessieren, für wen du den ganzen Scheiß auf dich nimmst.“ Ich ließ die Arme sinken, mein Blick schoss ihm entgegen. „Ich liebe ihn, so einfach ist das.“ „Und du bist wirklich sicher, dass es das ist? Normalerweise sollte man dann doch glücklich sein, oder?“ Endlich wieder daheim verstaute ich zunächst die mitgebrachten Einkäufe in die passenden Schränke. Ich verschlang einen Donut mit anderthalb Bissen und in meinem Kopf projizierte ich ein Bild vom Wohnzimmer, veränderte es. Mit der Fantasie durch, setze ich das Vorgestellte in die Realität um. Das Bett aus dem Arbeitszimmer schleifte ich über den Paketboden ins Wohnzimmer. Ich verstellte Sofa, Sessel, Tisch und ein Regal, damit alles noch eine gewisse Ordnung behielt, selbst mit dem nun neu angesiedelten Bett. Dreißig Minuten widmete ich mich der Dusche, konnte mich nicht erinnern, wann ich ihr jemals so viel Zeit zugesprochen hatte. Jedoch war es nicht nur ein ausgesprochen intensiver Sauberkeitsdrang, dem ich unterlag, auch ließ ich mich für einen Moment fallen. Kurze Zeit, die nur mir gehörte, in der ich mich berührte und mich zum Orgasmus brachte. Wie lange war es eigentlich schon wieder her gewesen? Der beruhigende Zustand, es endlich geschafft zu haben, ohne große Probleme einzuschlafen, wurde durch die Lieferung der gekauften Ware zunichte gemacht. Die Kartons einen nach dem anderen untergebracht galt meine Aufmerksamkeit als nächstes dem Rollstuhl. Natürlich gab es für mich, wie für die meisten anderen Menschen auch keinerlei Gründe zu wissen, wie man einen Rollstuhl korrekt zusammenbaute. Ein kleiner Blick auf die Anleitung ließ das geschulte Architektenauge aber schnell zum gewünschten Erfolg kommen. Unheimlich konnte man diese Begegnung nennen. Es war so unrealistisch, so hoffend, dass man niemals damit in Berührung kommen würde, und jetzt stand er da, fertig und einsatzbereit in meinem Flur. Ich tauschte die Matratze des Bettes aus, befestigte eine Haltestange an der Wand hinter dem Bett und eine an der Wand neben dem Klo. Daraufhin fing ich an, das Chaos, welches durch die ganzen Arbeitgriffe entstanden war, wieder zu beseitigen. Kurz nach zehn Uhr abends sah die Wohnung zwar anders aber blitzblank aus. Ich schaltete den Fernseher an, hörte irgendeinem Lebensmittelskandal halbwegs zu und horchte in mich, wann es an der Zeit wäre, Lienn von den neusten Entwicklungen zu erzählen. Am Samstagmorgen hatten wir das letzte Mal telefoniert. Hier war noch alles beim alten gewesen. Er würde sich sicherlich bald von allein melden, redete ich mir ein. Erfahren würde er es durch die Krankenhausrechnung ja sowieso. Und Ryan? Wollte er eigentlich wieder Kontakt zu seiner Familie haben? Was wenn Lienn kommen, sie sich vertragen und er wieder mit ihm nach Hause gehen würde? „Ach, verdammte Scheiße“, warf ich die Fernbedienung quer durch den Raum. „Was verdammt noch mal willst du eigentlich?“ Nachdem mir bewusst wurde, dass ich anscheinend ziemlich gerne Dinge durch die Gegend warf, griff ich nach dem Telefon, doch war es nicht Lienn, den ich anrief. Eine kurze Erkundigung über die heute stattgefunden Untersuchungen garantierte mir, dass alles wie geplant verlaufen sollte. Unruhig legte ich wieder auf. ~ * ~ Gegen Mittag machte ich mich auf ins Krankenhaus. Unsicherheit begleitete mich. Was wenn ich dem nicht gewachsen war, mich überforderte, es mir zu viel wurde? Einfach zurück war nicht. Der Situation nicht gewachsen sein und auf und davon, sobald es mir zu viel wurde? Ging nicht! Aber auch die andere Seite, ob ich denn nicht jetzt froh wäre, ihn wieder zu haben. Eine Chance, Zeit mit ihm zu verbringen, uns vielleicht endlich wirklich kennenzulernen… auch hier fand ich ebenso wenig Antworten, denn es war eine aufgezwungene Situation. Von alleine wäre er nicht wieder zu mir zurückgekommen. Das Betreten des Aufzuges kam mir wie der Weg zur Hinrichtung vor. War es vielleicht jetzt an der Zeit, meine Gefühle noch einmal einer Prüfung zu unterziehen? Ich stieg in der ausgewählten Etage hinaus. Die Schwestern auf der Station schenken mir freundliche und aufmunternde Blicke. Ich klopfte zum wahrscheinlich letzten Mal gegen Tür 241 und trat hinein. Er schaute mich nicht an, aber wenigstens schaute er auch nicht weg. Sein Blick war starr auf den Fernseher vor ihm an die Wand gerichtet. Kurz überlegte ich, ob ich nicht einfach genau hier stehen bleiben sollte. Solange, bis er sich dazu entschließen würde, mich anzusehen oder zu fragen, warum ich da so blöde rum stünde. Oder natürlich, bis mir jemand von außen die Tür in den Rücken knallte. „Der Krankentransport kommt in etwa einer Stunde.“ Eine kurze Bewegung und auf dem Bildschirm war nur noch schwarz zu sehen. „Soll ich dir bei irgendwas helfen? Sachen packen oder so?“ „Ich habe keine Sachen.“ Die Freude darüber, dass er endlich mal mit mir sprach, verschleierte ich gekonnt. „Wie meinst du das? Wo sind denn deine ganzen Klamotten?“ Ich erinnerte mich auch nicht daran, dass er sie beim Unfall bei sich trug. „Ist das wichtig?“ Er wand sich zu mir um. Ich forderte mich auf, ihm in die Augen und nicht auf die verkrusteten Stellen zu schauen. Würden Narben bestehen bleiben? Würde er anders aussehen, wenn alles soweit verheilt wäre? „Na ja, wenn du sie wieder haben möchtest“, überspielte ich weiterhin, was in mir vorging. Dieses Mal war es aber keine Freude, sondern ein unwissender Zustand, der mich ängstigte. „Ich bin seit anderthalb Wochen hier drin, mittlerweile haben sie sich in alle Windrichtungen verteilt.“ „Gibt es irgendetwas anderes, was ich tun kann?“ „Die Unterlagen und Medikamente da drüben…“, er wies auf einen Tisch. „Ansonsten…“ „Ja?“, fragte ich nach, als er nicht weiter sprach und seine Aufmerksamkeit wieder dem Fenster galt. „Danke!“ Kurzlebige zwei Stunden später chauffierten sich die Männer vom Krankentransport selber aus meiner Wohnung hinaus. Jetzt waren wir also wieder hier, jedoch blieb mir bereits zu Anfang nicht viel Zeit für irgendwelche komischen Gedanken. Besser gesagt, ich ließ mir keine Zeit dazu. Ich versuchte alles, um meine Nervosität und meine Unsicherheit zu überspielen. Ob mir dies wirklich gelang? „Ist alles soweit ok? Brauchst du noch irgendwas? Hast du Hunger?“ „Alles Bestens.“ „Ok“, lächelte ich ihn an, doch sein Gesicht blickte schon wieder in eine andere Richtung. „Ich muss noch etwas arbeiten, aber wenn du etwas brauchst, benutz das hier.“ Ich hob ein kleinen Walky Talky vom Tisch auf, das ich bei Walgreens gekauft hatte, und legte es auf seine Bettdecke. „Ja, ich weiß, es ist ziemlich kindisch. Aber mir ist nichts Besseres eingefallen.“ Er schaute nur kurz auf das kleine schwarze Gerät. „Ich bin müde. Ich werde wohl etwas schlafen.“ „Tu das…“, stand ich noch kurz unschlüssig da, verschwand dann aber geschwind aus dem Raum. Schnell aber lautlos schloss ich die Tür meines Arbeitszimmers, nachdem ich darin Zuflucht gefunden hatte. „So weit, so gut“, sprach ich zu mir selbst. Ich durchquerte den Raum, setzte mich an mein Zeichenbrett und griff nach einem der unzähligen Bleistifte. Jedoch legte ich ihn wieder beiseite, nachdem mir zwei Minuten später kein einziger Strich in den Sinn gekommen war. Ich versuchte es mit einem weicheren Stift, der mit einem spiralförmigen Muster bedruckt war. Durch meine Finger ließ ich ihn gleiten, die Spirale sich immer wieder selber treffend, fast schon hypnotisierend, doch auch diesen Stift legte ich schnell wieder ab. Konzentration war gerade Mangelware. Das kleine Gerät auf dem Tisch zog mich in seinen Bann. Ich versicherte mich, ob es auch wirklich angeschaltet war. Am liebsten hätte ich einen kurzen Testdurchlauf gemacht, aber ich verzichtete darauf, obwohl mir natürlich vollkommen klar war, dass Ryan kein bisschen ans Schlafen gedacht hatte. Was ihm wohl gerade durch den Kopf ging? War er auch nur irgendwie froh darüber, wieder hier zu sein, oder war ich wirklich nur die einzige, gerade noch akzeptable Möglichkeit gewesen, um dem Krankenhaus zu entkommen? Ich begab mich zum Schrank gegenüber und kramte darin herum. Zum Vorschein kam ein ganzes Bündel an Zeichnungen, Zeichnungen, auf denen sein Angesicht prangte. Ganz vorsichtig schwebten meine Finger über das weiche Gesicht. Alles, was ich so an ihm gemocht hatte… war es jetzt überhaupt noch vorhanden? Als mir bewusst wurde, dass ich ihn liebte… es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Wir waren Freunde, konnten viel miteinander teilen, hatten uns gut verstanden, konnten miteinander lachen und wussten immer, dass jemand da war. Und dann… in der ganzen Zeit des Suchens, des Wartens, des Hoffens… war da eigentlich noch genug übrig geblieben? Seine Einstellung, sein angefressener Stolz, seine Undankbarkeit. Dass er es nicht für nötig hielt, sich mal bei mir zu melden, einfach so zu verschwinden, mich anzulügen… sollte das wirklich alles sein, was ich von ihm zu erwarten hatte? Was er aus dieser Zeit mitgenommen hatte? Sollte es so jemand eigentlich wert sein, von mir geliebt zu werden? Ich stand auf, ging zum Zeichenbrett hinüber und radierte wie wild drauf los. Ich zeichnete neue Striche, veränderte das Bild. Am Ende war der jetzige Ryan zu sehen… ein Mensch, dessen Charakter zu seinem Bild passte. Beim späteren Essen versuchte ich zum ersten Mal alles in einem anderen Licht zu betrachten. Vielleicht hatte mich die Wiedersehensfreude so blind für alles andere gemacht, dass ich es nicht wahrhaben wollte, und vielleicht trug mein Mitleid und meine Schuldgefühle, an denen ich aber mittlerweile anfing zu zweifeln, das Restliche dazu bei. Ich versuchte das in ihm zu sehen, was er eigentlich für mich war: Ein Fremder. Jemand, den ich so gut wie gar nicht kannte, noch weniger als gar nicht, wenn Lienn mich nicht aufgeklärt hätte. „Möchtest du eigentlich mit Lienn sprechen?“, fiel mir der wartende Bruder wieder ein. „Nein!“ „Möchtest du, dass ich ihm irgendeinen Grund dafür nenne oder soll ich ihm einfach nur ein knappes Nein hinwerfen?“ Es wurde sich weggedreht und überhaupt nicht mehr gesprochen. Nach den Abendnachrichten ging ich ins Bett. Ich hielt es in seiner Nähe gerade einfach nicht mehr aus. Irgendwann in der Nacht wurde ich von einem Geräusch geweckt. Es nicht zuordnen könnend, stand ich auf und betrat kurz darauf das Wohnzimmer. „Was verdammt noch mal tust du da?“, trat ich schnell an ihn heran. Er stand neben dem Bett, das Glas mit Wasser lag zersprungen zu seinen Füßen. Zuerst wollte ich nach ihm greifen, ihn stützen, aber er schien einen, wenn auch etwas angewinkelten, sicheren Stand zu haben. „Was soll der Mist?“, versuchte ich nochmals Antwort zu erhalten. Wollte er sich etwas in seinem Zustand aus dem Staub machen? „Leg dich wieder hin!“ „Ich muss aufs Klo.“ „Was?“ „Ich muss pinkeln.“ Ich sah mich um, die Bettflasche hing immer noch unbenutzt in ihrer Halterung. „Warum benutzt du nicht die?“, griff ich danach und wedelte vor seinem Gesicht damit herum. Innerlich war ich schon in der Küche um einen Lappen für das Wasser zu meinen Füßen zu holen. „Ich muss wirklich auf die Toilette.“ „Dann hier“, drückte ich ihm die Bettflasche gegen die Brust. „Es geht nicht mehr“, ließen mich meine Ohren aufhorchen. Seine Stimme klang irgendwie gequält und sein Gesicht war von einer irritierenden Anspannung geprägt. Nur Bruchteile einer Sekunde darauf passierte es dann. Unmöglich… ging nicht… ein Traum… alles nur eine verrückte Einbildung. Trotzdem griff ich nach dem Kopfkissen, als die Flüssigkeit über seine nackten Beine lief und gefährlich nahe der verwundeten Stelle kam. Ich ging auf die Knie und presste das Kissen gegen die Quelle, ließ den weißen Bezug sich gelblich färben. Nichtsdestoweniger war ich wohl erst vollends davon überzeugt, dass dies der Wirklichkeit entsprach, als ich mittendrin hockte. Ich hätte vielleicht irgendwie darauf reagieren sollen, ihn anschreien oder für verrückt erklären sollen, doch mein Kopf sagte mir nur immer wieder, dass ich ins Bett gehen und schlafen sollte. Als ich mir sicher war, dass alles raus gekommen war, das raus wollte, legte ich das Kissen neben mich. Ich vermied es, mich am nassen Boden abzustützen und stand auf. Auf gleicher Höhe war sein Blick mir abgewandt, trotzdem konnte ich die Scham darin erkennen, der Kopf, der eher einer Tomate glich. Und da mir nichts, aber auch wirklich gar nichts einfiel, was ich jetzt schlaues von mir geben sollte, umarmte ich ihn. Ich drückte ihn zärtlich an mich und streichelte ihm durchs Haar. Part 07 – Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)