Abweisung! von littleblaze ================================================================================ Auf Abwegen! ------------ Autor: littleblaze E-Mail: little_blaze_2000@yahoo.de Warnung: Shonen Ai Disclaimer: Alle Rechte an den Charakteren und der Storyline gehören mir und die Geschichte darf nicht ohne meine vorherige Zusage auf anderen Seiten, Portalen oder Foren gepostet werden. Abweisung – Part 09 Die Wärme seiner Lippen… Ich wollte mich dem hingeben, meine Augen schließen, genießen… Stille… Nicht einmal halb geschlossen, gingen meine Lider ruckartig wieder hinauf. Was hatte ich bloß getan? Und warum schaffte ich es nicht, mich schnell und irritiert abwendend wieder von ihm zu lösen? Denn das genaue Gegenteil war der Fall. Mit so viel Vorsicht, so langsam, dass ich dachte jedes einzelne Hautpartikelchen würde sich noch persönlich verabschieden wollen, lösten wir uns voneinander. Mich überkam ein kleines Schwindelgefühl und ich wollte sofort mehr davon, nicht aufhören. Doch weiter, verspürte ich innerlich das Bedürfnis, zur Seite zu schauen, schaffte es jedoch nicht. Sie schauten uns an, hatten es gesehen. Ich spürte es ganz deutlich auf meinem Körper liegen, doch die Angst vor der möglichen Abweisung in seinen Augen hielt mich auf. Oder vielleicht mehr die Befürchtung davor, dass es ihm schlichtweg egal sein könnte, was ich gerade getan hatte. Mit beidem hätte ich in diesem Augenblick nicht leben können, weshalb ich einfach nur an dem zärtlichen Blick direkt vor mir hängen blieb. Ich schaute Jeremy einfach nur an, während ich mir innerlich wünschte, dass man sich im Raum einfach nur wieder anfing zu streiten und uns vergaß. Die Hand an meiner Hüfte entfernte sich und legte sich einige Sekunden später auf meiner Wange nieder, streifte über mein Ohr hinweg und durch mein Haar. „Ich freue mich auch, dich wiederzusehen“, lächelte er mich an. Und was machte ich? Mir war unerwartet nach weinen zu mute. Meine Nase kribbelte wie verrückt, nachdem er die Worte ausgesprochen hatte und ich wollte mich gegen ihn lehnen und ihm sagen, wie gut es tat, dies zu hören. Jedoch wand ich mich ab, um die aufkommenden Tränen besser unterdrücken zu können. Warum fühlte ich mich plötzlich wie ein hungerndes Kätzchen, welchem man eine abgeknabberte Gräte zugeworfen hatte? Ich wollte nicht schwach wirken, nicht jetzt und vor allem nicht hier… Während ich meinen Blick wand, stieß ich auf Ryans. Zeit, seinen zu analysieren, gab er mir allerdings nicht, drehte sich sofort weg. Und schwups, war das klitzekleine gute Gefühl in mir drin auch schon wieder verbannt. Einen Schritt wich ich zurück. „Lass uns raus gehen“, ging ich voran auf die Wohnungstür zu. Ich wusste nicht, wie ich meine Situation gerade einschätzen sollte, doch ich wollte um keinen Preis der Welt länger direkt vor Ryans Augen stehen bleiben. Jeremy und ich traten auf den Flur hinaus und ich schloss die Tür hinter uns. „Es tut mir leid.“ „Wenn du den Kuss meinst… das muss es nicht“, lehnte er sich an die Wand mir gegenüber. Es war mir peinlich, das alles. Warum hatte ich das nur getan? Er stand hier vor mir, einfach so, als lägen keine vier Jahre hinter uns, als wäre nicht er der Mensch, welcher mich zuletzt bedingungslos geliebt hatte. Ich hielt mich davon ab in schlechte Angewohnheiten zu verfallen, indem ich meine Finger in die Hosentaschen steckte. „Was hat David dir eigentlich erzählt?“ „Du meinst über dich und Ryan?“, las er meine Gedanken und verriet mir damit auch schon, dass er etwas mehr über die Situation wusste als mir lieb war. Ich konnte nur nicken, irgendwie fühlte ich mich ertappt. „Einiges…aber du weißt doch, ich habe noch nie viel von Gerede gehalten.“ Er ließ die Wand hinter sich und überwand den gerade mal knappen Meter zu mir. „Ich hör mir auch gerne deine Seite der Geschichte an“, berührte er mich am Arm. Er war schon immer ein Mensch, der ziemlich viel berührte. Damals, in der Öffentlichkeit, hatte ich es gehasst. Na ja, nicht wirklich gehasst, aber ich hatte Panik davor, wie andere auf uns reagieren könnten, wenn sie mitbekamen, was wir waren. „Ich-“ Die Tür neben mir wurde aufgestoßen. Lienn stürzte wütend heraus und schritt an uns vorbei. „Warte, was-“ „Du kannst ihn haben. Viel Spaß!“, war er auch schon im Treppenhaus verschwunden. Erst dachte ich daran, Lienn hinterherzulaufen, aber im gleichen Moment fragte ich mich: Für was? Für einige Sekunden schaute ich gedankenverloren auf die Wand mir gegenüber, als erhoffte ich mir irgendwelche Antworten von ihr. „Ich denke, ich muss da mal wieder rein“, kam es fast hoffend auf Erlösung über meine Lippen. „Ist doch okay“, machte es mir Jeremy noch schwerer. Am liebsten wäre ich hier auf dem Flur geblieben, mit ihm. Er folgte mir als ich Wohnung und Wohnzimmer betrat. Die abgewandte Haltung von Ryan war nichts Neues, weswegen ich mir auch nicht sicher sein konnte, was sie hervor brachte. Sein typisches Verhalten, die Konfrontation mit seinem Bruder oder vielleicht doch die Anwesenheit von Jeremy? Trotzdem schämte ich mich dafür. „Was war los?“, versuchte ich es zuerst in einem neutralen Ton. „Kommt er noch mal wieder?“, versuchte ich es erneut. Ich ging ums Bett herum und baute mich vor ihm auf, zwang ihn mich wahr zu nehmen. „Ryan…?“ Unter anderen Umständen hätte ich es vielleicht einfach gut sein lassen, aber gerade in diesem Moment… „Jetzt spuck es schon endlich aus“, keifte ich ihn an und völlig unerwartet schrie er zurück: „DAS GEHT DICH EINEN SCHEIßDRECK AN!“ Im ersten Moment war ich schlichtweg platt. Jedoch baute sich im zweiten eine schier unendliche Wut gegen ihn und gegen diese ganze Situation auf, dass ich buchstäblich das Gefühl hatte, platzen zu müssen. „GEHT ES NICHT? Sag mal, wo lebst du denn bitteschön? Wer bitte füttert dich, schmiert deine Wunden mit dieser stinkenden Salbe ein und wischt deine Pisse vom Boden auf? WER VERDAMMT NOCH MAL… WER?“ Eine Hand berührte mich am Arm. „Chris...“ „Nein“, schnellte ich herum und schlug Jeremys Hand weg. „Ich will mich nicht beruhigen. Ich hasse das, ICH HASSE DIESEN GANZEN VERDAMMTEN SCHEIß!“ Dies ausgesprochen floh ich in mein Schlafzimmer, doch nur Augenblicke hatte ich Zeit, mich zu fragen, ob es wirklich der richtige Zeitpunkt für diese Aussage gewesen war. Es wurde mir einfach zu viel, das alles hatte doch gar keinen Sinn, führte mich nirgends hin. Ich wollte doch nur… Als Jeremy mir wieder gegenüber stand, war es mir auf einmal egal, was ich all die Monate in Ryan für Hoffnungen gesetzt hatte. Ich wollte leben, ich wollte geliebt werden, gehalten und für jemanden etwas besonderes sein. „Bleib heute hier“, bat ich und presste mich gegen ihn. „Hörst du dir überhaupt zu?“, beendete er den von mir aufgezwungenen Kuss und legte seine Stirn gegen meine. „Ja, natürlich…“, drückte ich mich von ihm weg. Ich wollte keine Süßholzraspelei, keinen Beschützer. Ich wollte Sex. Harten, geilen Sex. „Wenn du nicht willst, dann lass es halt“, reagierte ich ungewöhnlich aggressiv. Er zog mich zurück in seine Arme. „Das willst du nicht wirklich.“ Sein Blick lag fest auf meinen. „Sag mir nicht, was ich nicht will“, versuchte ich ihn erneut weg zu drücken, doch ohne Erfolg. Eine Weile blieb die Standhaftigkeit noch erhalten, dann lächelte er leicht. Sacht berührten seine Lippen meine Nasenspitze. „Lass uns morgen zusammen frühstücken.“ „Bei dir oder bei mir?“, drückte ich mich zwischen seine Beine, versuchte es abermals. „Bei mir, nachdem jeder von uns brav in seinem eigenen Bettchen geschlafen hat.“ Nachdem Jeremy gegangen war, zeigte ich Ryan überdeutlich, dass er mich heute ja nicht mehr blöd von der Seite anzumachen brauchte. Das Fass war immer noch kurz vorm überlaufen und ich wusste, wenn ich es jetzt zu einer Eskalation kommen lassen würde, könnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich würde Dinge sagen, die mir im nachhinein Leid tun würden. Ich würde… nicht mehr zurück können. Aber wo war vorne, wo hinten und wo war ich in all dem Durcheinander? Gab es da überhaupt ein Ich? Oder wurde ich wirklich nur als Krankenstation á la „Machen wir es uns doch einfach“ angesehen? So war er nicht, so hatte ich ihn nicht kennengelernt. Ich hatte einen ganz anderen Ryan kennengelernt. Einen, der nicht Byncks hieß, der keinen Zwillingsbruder hatte und der nicht schwul war. Ryan, der gerne diskutierte. Ryan, mit dem man reden konnte. Ryan, mit dem man Lachen und stundenlang über Filme sinnieren konnte. War das alles weg, nur weil ich jetzt über ihn bescheid wusste? Oder weil ich es gewagt hatte, mich in ihn zu verlieben? Auch wenn er vieles durchgemacht hatte, es hatte nichts mit mir zu tun, ich habe ihm nichts angetan, ich hatte es nicht verdient, von ihm auf diese Weise behandelt zu werden. ~ * ~ Nach der morgendlichen Routine, fiel es mir schwer, auf das Eintreffen der Krankenschwester zu warten. Ich wollte nur noch raus aus der Wohnung, weg aus seiner Nähe. Ich spülte das Geschirr mit der Hand ab, nachdem die Spülmaschine damit fertig geworden war, und sortierte den Schrankinhalt neu, um ja nicht aus der Küche heraustreten zu müssen. Als sie endlich eintraf, ließ ich alles stehen und liegen. Während sie Ryan Blut abnahm und einen Blick auf die Heilung seiner Wunden warf, stand ich nervös im Türrahmen. Sie erzählte vom gestrigen Notfall, warum sie ihren Termin bei uns nicht hatte wahrnehmen können und ich lächelte sie dabei an. Ich vermied, es Fragen zu stellen, Interesse zu zeigen, damit sie ja schnell wieder verschwand, denn ich hatte das gleiche vor. Verschwinden, einfach nur weg hier. Sie endlich zur Tür begleitet, fragte ich Ryan nur noch kurz, ob er noch etwas brauchen würde oder wohin müsse. Nach einem undefinierbaren Laut, welchen ich als nein deutete, verließ ich die Wohnung. Zu Fuß ging ich die Straße hinauf, um einige Ecken herum, um schließlich vor einem Haus stehenzubleiben, an dem ich schon einige Male zuvor vorbeigekommen war. Ich kannte es… irgendwie. Nie hatte es zuvor eine Bedeutung für mich gehabt, welche würde es jetzt bekommen? Zögern durchfuhr mich. Warum war ich eigentlich hier? Wollte ich mit ihm schlafen, mit ihm zusammen sein? Würden wir ein Paar, glücklich werden? Wollte ich das… und was würde dann aus Ryan werden? Sollte mich das kümmern? Sollte es das? Meine Hand stieß vor, machte aber erneut Halt vor dem kleinen, runden Ding, welches mein Dasein preisgeben würde. Was war bloß los mit mir? Warum konnte ich mir nicht endlich eingestehen, dass da nichts war… niemals sein würde. Er wollte mich nicht, noch viel weniger, ihm schien meine Nähe regelrecht zu missfallen, also warum machte ich mir Gedanken um ihn? Und warum fing ich nicht endlich an, nur mal an mich selbst zu denken… Mein Finger drückte dem Widerstand entgegen. Still und ohne mich zu Atmen trauend, blieb ich stehen, bis Jeremys Stimme aus der Gegensprechanlage erklang. Ich antwortete, er öffnete die Tür und ich betrat das Haus. Jeder Stufe ließ mich schwerer werden, mehr Unsicherheit hochfahren, doch als ich ihm gegenüberstand, war dies alles mit einem einzigen Lächeln von ihm fürs Erste verbannt. Er nahm mir die Jacke ab und ich fühlte mich plötzlich auf eine ganz andere Art nervös. Genauso als würde man einem Blinddate gegenüber stehen. „Schöne Wohnung“, sagte ich daher. „Sie ist noch nicht ganz fertig, einiges wollte ich noch anders machen.“ Er lächelte wieder und ich folgte ihm daraufhin in die Küche. „Also, worauf hast du Lust?“ „Lust?“ „Zum Frühstück?“ „Ach so…“ Ich schielte an ihm vorbei in den geöffneten Kühlschrank. Gestern hätte ich mich ihm ohne weiteres hingegeben und nun wurde ich schon von einem unschuldigen Wort so aus dem Ruder geworfen. „Wie wäre es mit einem Omelett?“, registrierte ich Eier und Champignons. Eigentlich hatte ich gerade überhaupt keinen Hunger. „Gute Wahl“, fing er sofort an, die Zutaten zusammenzusuchen. „Sie sind wirklich gut“, reichte er mir die Champignons. „Hier um die Ecke kann man spitzen Gemüse kaufen.“ „Ja, ich weiß.“ Ich lächelte, er lächelte und es trat einer dieser Augenblicke ein, in denen man nicht wirklich wusste, wohin man sich als nächsten wenden sollte. In meinem Kopf baute sich die Phantasie auf, dass er auf mich zukommt, mir die Champignons aus der Hand schlagen, mir die Klamotten vom Leib reißen und mich heftig auf dem Küchentresen nehmen würde. Doch stattdessen nahm ich das angebotene Messer an mich. Ich wand mich zum Spülbecken und ließ Wasser über die Pilze laufen. Und wieder traf mich die Frage, ob ich wirklich hier war, um mit ihm zu schlafen. Denn mein Körper schien ohne mein eindeutiges Einverständnis dafür bereit zu sein. „…mst du?“ Ich erschrak, ließ das Messer fallen. „Was tust du denn?“ Aufgeregt wurde nach meiner Hand gegriffen und erst da erkannte ich den mir zugefügten Schnitt im Finger. Ein Stück Stoff legt sich hinüber, bevor ich überhaupt in der Lage war, genaueres zu sehen. „Komm hier rüber“, wurde ich zu einem Stuhl gezogen und hinauf gesetzt. „Tut es weh?“ „Nein.“ Und das tat es auch nicht. „Ok, dann lass uns mal schauen.“ Er hob das Handtuch vorsichtig hoch. Ein wenig Blut klebte daran. „Nur ein kleiner Schnitt… ist ja noch mal gut gegangen. Bleib sitzen.“ Er stand auf und verließ den Raum. Es war wirklich nur ein minimaler Schnitt, mit scharfen Papierkanten hatte ich mir schon größere Verletzungen zugezogen. Mit einem Erste-Hilfe-Set kam er zurück. „Das ist doch wirklich nicht nötig.“ „Na, sei brav zum lieben Onkel Doktor.“ Er säuberte die Wunde und fixierte ein Pflaster präzise über den Schnitt. „Oh halt, da fehlt doch noch was“, zog er einen Stift hervor. Er verzog das Gesicht, streckte mir seinen Daumen entgegen, als wäre er ein angesehen Künstler, welcher für ein wichtiges Portrait Maß nehmen wollte und malte einen lächelnden Smiley auf das Pflaster. „Damit du nicht mehr so traurig schaust“, wechselte sein Ausdruck von Ernst in Lächelnd und danach wieder in eine ernstere Miene. Ich wollte sagen, dass ich doch gerade gar nicht traurig war, jedoch wäre dies gelogen. Ich wollte ihm sagen, dass ich doch froh war, ihn wiederzusehen, hier zu sein… doch das wäre nicht ganz richtig. Ich wollte nicht weinen, doch ich tat es und er hielt mich fest. Zum Frühstücken waren wir gar nicht erst gekommen und auf Fragen wie: „Möchtest du darüber reden?“ oder „Kann ich irgendwas für dich tun?“ schüttelte ich erst einmal nur wage mit dem Kopf. Ich war doch hierher gekommen, um den ganzen Stress mit Ryan hinter mir zu lassen, zu vergessen und was tat ich? Darüber verzweifeln in den Armen eines anderen. Ein weiteres Mal streifte er durch mein Haar, glitten seine Fingerspitzen über meinen Nacken hinweg. Ich konnte seinen Puls an meinem Ohr spüren, seine Haut riechen, seine Wärme fühlen. Hatte ich eigentlich noch irgendeine Erinnerung daran, wie Ryan ohne das ganze Krank roch? Ich stemmte mich leicht auf. Er schaute mich an, als wolle er fragen: „Ist alles in Ordnung?“ Doch ich wollte sein Mitleid nicht. „Warum hast du mich damals verlassen?“, wollte ich wissen. „Ich habe dich nicht verlassen…“, strich er mir durchs Haar. „Ich habe nur das College gewechselt, nachdem du mir unmissverständlich zu verstehen gegeben hast, dass du nichts von einer gemeinsamen Zukunft halten würdest.“ „Wir waren 19 und du hast nur immer davon geredet, abzuhauen, nach Las Vegas zu fahren und zu heiraten. Wir waren nicht mal alt genug, um in die Casinos zu kommen oder Alkohol zu trinken, wie konntest du da von mir verlangen, mich für immer zu binden?“ „Ich habe gar nichts von dir verlangt. Ich wollte nur, dass wir… na ja…“ Er drehte sich leicht weg. „… für immer zusammen bleiben.“ Es war ein großartiges Gefühl, so etwas zu hören. „Küss mich.“ Ein fester Blick, ein Druck im Nacken. Seine Lippen waren warm, weich… alles war gerade so… so wie es eigentlich sein sollte. Es fühlte sich gut an. Ich presste mich näher an ihn heran, spürte ihn, verlangte danach. „Bist du dir sicher?“ „Ja, natürlich“, hauchte ich ihm entgegen. „Es ist noch nicht zu spät… bis jetzt ist noch nichts passiert.“ Ich küsste ihn erneut. Er sollte ruhig sein. Ich wollte nichts hören, ich wollte ihn jetzt nur noch spüren. „Chris?“ „Psst, lass es doch einfach passieren“, fummelte ich an seinem Shirt herum. „Lass uns do-“ „Ach verdammte Scheiße“, sprang ich ruckartig von der Couch auf. „Was hast du denn für ein Problem?“ „Keines… und du?“ Während er sich gerade hinsetzte, brachte er das Shirt wieder an den richtigen Platz. „Nein… nein, nein, nein“, fuchtelte ich mit dem Finger hin und her. „Ich bin es bestimmt nicht, der hier ein Problem hat. Wenn hier jemand eines hat, dann ist es dieser sture, egoistischer Typ, der in meinem Wohnzimmer haust.“ Ich wies in Richtung Fenster. „Der mich ausnutzt, mich anlügt, mich hintergeht, verletzt und ignoriert. Der behauptet hat, ein Freund zu sein und mich trotzdem wie den letzten Dreck behandelt, obwohl ich alles nur Erdenkliche für ihn tue.“ Ich stoppte, nicht nur weil ich endlich Luft holen muss, sondern auch, weil ich bemerkte, dass sich meine Stimme mit jedem Wort mehr erhob. „Aber andersherum, hast du Recht“, fuhr ich fort. „Es ist mein Problem, nicht wahr? Denn ich lasse mir all das von ihm gefallen. Schaffe es nicht, mich dagegen zu wehren, nicht ihm die Hilfe zu verweigern. Ich sollte ihm sagen, dass ich das nicht mehr will und nicht mehr einsehe. Dass er sich von mir aus zum Teufel scheren kann, mit seiner eingefressenen Art, welche ihm verbietet glücklich zu sein. Von mir aus zu Grunde gehen an seiner Vergangenheit, das sollte ich sagen, richtig?“ Nach Antwort suchend, sah ich ihn an. „Ich kann dir nicht sagen, was du ihm sagen sollst“, stand er auf. „Aber was es auch ist, du solltest das alles nicht mir, sondern ihm selber sagen.“ „Tut mir leid“, wich für den Augenblick der Zorn in mir. Wieso erzählte ich ihm das alles? „Am besten gehst du jetzt nach Hause...“ Er blieb vor mir stehen und zupfte auch mein Shirt zurecht. „….sonst fange ich vielleicht doch noch an, mich wieder in dich zu verlieben.“ Seine Worte lagen weich in der Luft und wahrscheinlich deshalb, schaffte ich es nicht, ihn direkt anzusehen. In mir wühlte sich ein unangenehmes Gefühl hindurch. Ich wollte sagen, dass es mir Leid tat… dass es nicht richtig von mir gewesen war, ihn zu küssen, hierher zu kommen. Gerade in diesem Moment wusste ich es. Wie viel Abweisung ich auch ertragen musste, aus welchem Grund ich bis jetzt nicht geschafft hatte, endlich einmal meine Gefühle ehrlich hervorzubringen… Angst, Unsicherheit und so vieles andere. Eines wusste ich jetzt, oder besser gesagt, wusste ich schon die ganze Zeit über: Ich liebte Ryan. Vielleicht hatte ich es durch Unannehmlichkeiten oder aus Enttäuschung für kurze Zeit beiseite geschoben. Hatte versucht es zu verdrängen… aber es ließ sich auf große Sicht hinaus nicht verscheuchen. Es war da, es wollte raus, es war das, was ich im Moment fühlte. „Nun geh schon“, drehte er mich um und gab mir einen Stups zur Tür entlang. Ich strauchelte, fing mich und schaute mich um. Knappe zwei Meter hinter mir stand er und lächelte mich an. Es fiel mir schwer zurückzulächeln, doch ich schaffte es schließlich, bevor ich mich selbstständig fortbewegte. „Und wehe, ich werde nicht zum nächsten Spieleabend eingeladen“, hielt er mich noch einmal auf. Mich umzudrehen schaffte ich jedoch nicht noch mal. Ich nickte, bevor ich zur Tür hinausging. Den Weg zurück gerannt, kam ich Minuten später vor Ryans Bett zum Stillstand. „Kannst es wohl gar nicht erwarten mich rauszuschmeißen und mit deinem neuen Lover ein glückliches Leben zu beginnen.“ Ein zynisches Aufflammen, gepaart mit dem ruhigen Umblättern der Zeitschrift. Das weitere Ringen nach Luft ließ eine ebenfalls missmutige Antwort darauf aussetzen, wahrscheinlich hatte mein Kopf gerade deswegen die Möglichkeit seiner Aussage einem kräftigeren Halt zu verleihen: Es war ihm doch nicht egal! Und plötzlich saß ich wieder mit David am Küchentisch: „Ist er es denn wirklich wert?“ „Ja“, hatte ich damals gesagt. Damals war ich felsenfest davon überzeugt gewesen, dass, egal was kommen möge, was mir auch in den Weg gestellt würde, ich trotzdem dafür kämpfen wollte, bei ihm sein zu dürfen. „Ich würde es gerne noch einmal tun.“ „Was?“ „Dich küssen?“ Er hatte es auch gewollt. Auch wenn er nur für einen Augenblick schwach geworden war, geschafft seine Vergangenheit für einen kurzen Moment in den Hintergrund zu drängen… er hatte sich ganz von alleine dazu entschlossen. Wieso also sollte es nicht möglich sein? „Wie fühlt es sich an?“ „Schön.“ „Und das?“ „Das ist auch schön.“ Und es hatte ihm sogar gefallen. Innerlich musste ich mich zusammenreißen, die Szene wieder aus meinem Kopf zu verbannen. Ich würde alles dafür geben, es ihn noch einmal sagen zu hören. Ich wand meinen Blick zu Boden. „Es war ein Fehler.“ „Was meinst du?“ „Alles verdammt!“ Was war sein Fehler gewesen? Ich? „Wo willst du denn hin?“ „Egal, wen kümmert es.“ „Mich kümmert es.“ Die klägliche Hoffnung, dass ich ihn aufhalten konnte. Dass es ihm vielleicht irgendwo wichtig war, wie es mir dabei ging. Monatelang hatte ich mir Sorgen um ihn gemacht, hatte mir die Schuld für alles gegeben. Mit dem Kuss zu weit gegangen? Ha, guter Witz. Doch die ganze Zeit über hatte ich mir diesen Vorwurf gemacht, dass ich damit alles zerstört hatte. „Ich bin nicht schwul, Chris. Ich werde es auch niemals sein.“ Und dann, die ganze Wahrheit, alles zu erfahren… Endlich schaffte ich es wieder aufzuschauen. Die Zeitschrift lag flach auf der Decke, sein Blick war auf mich gerichtet. Zweifelsfrei fragte er sich, was jetzt kommen würde. Worauf ich nicht die richtigen Worte fand, während ich blöd vor seinem Bett stand. Ich versuchte damit klarzukommen, aber letztendlich schaffte ich es nicht. Ich konnte es nicht ertragen, von dir geliebt zu werden, nein, besser gesagt, überhaupt geliebt zu werden, auch wenn es manchmal das war, was ich mir am sehnlichsten wünschte. Diesen kurzen Zeilen aus seinem Brief hatte eigentlich alles verraten, was ich hätte wissen müssen, doch wurden sie falsch interpretiert. Ich konnte es damals noch nicht verstehen, wusste nichts von seinem Leben. Doch auch wenn, hätte ich mich einfach so damit abgefunden? „Du weißt, dass ich dich liebe, oder?“ Keine Gefühlsregung in seiner Gestik. „Ich meine, ich habe es dir nie gesagt, aber du weißt es do-“ „Ich weiß es“, winkte er ab. „Und du bist deswegen gegangen, richtig?“, versuchte ich tonlos und ruhig zu sprechen, jedoch zog sich in mir alles zusammen bei den Gedanken. „Ich möchte nicht darüber reden.“ Eine bekannte abgewandte Bewegung folgte. „Ich möchte aber darüber reden und wenn ich mich nicht irre, bleibt dir wohl gerade nicht viel anderes über, als mir zu zuhören“, blieb ich immer noch ruhig, auch als sein schon fast abwertender Blick mich traf. „Denkst du denn wirklich, dass deine Schwester gewollt hätte, dass du als Penner auf der Straße lebst, dich deiner Familie abwendest und nie wieder im Leben glücklich sei-“ „HÖR AUF!“, schrie er gegen meine Worte. „NEIN, das werde ich nicht“, brachte ich mich näher in Stellung. „Ich möchte hier und jet-“ „Hör auf, habe ich gesagt.“ „Warum sollte ich?“ „Weil… du hast sie nicht gehört.“ „Wen habe ich nicht gehört?“ Ich wollte ihn berühren, ihm Schutz geben, doch zögerten meine Finger. „Alle... die ganze Stadt. Meine Schwester musste für meine Sünden büßen, haben sie gesagt und mein Bruder und meine Mutter haben mich genau so angeschaut, wie alle anderen. Voller Scham und Ha-“ „Es war nur die Trauer, die aus ihnen sprach. Sie wollten dir bestimmt nicht wehtun“, unterbrach ich ihn. „Lass es… du hast ja keine Ahnung….“ Wieder und wieder wand er sich ab, wohin ich auch ging. Ich war bereit ihn zu trösten, wollte ihn in den Arm nehmen und sagen, dass alles wieder gut werden würde. Dass der Schmerz irgendwann vorüber gehen würde und er noch einmal ganz von vorne anfangen könnte, doch dann sagte er Worte, die mich zu keiner Handlung fähig sein ließen: „Hättest du mich doch nur sterben lassen.“ Part 09 – Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)