Please Recall... von -Moonshine- (Shinji ♥ Natsuki) ================================================================================ Kapitel 10: Die falsche Richtung -------------------------------- Als der Wecker um halb sieben penetrant zu piepsen anfing, war Natsuki sofort bei ihm, um ihn auszustellen. Heute war sie früher wach als sonst, war schon fertig angezogen, gewaschen und hatte ihre Schultasche gepackt. Den Rest der Zeit hatte sie in ihrem Zimmer verbracht und im Internet bei allen Suchmaschinen "Access" eingegeben, bis sie verärgert feststellen musste, dass nur tausende von Programmier- und Computerseiten aufgezeigt wurden, die meisten auf Englisch. Aber so schnell würde sie nicht aufgeben. Das Internet war ihre erste Anlaufstelle gewesen, als nächstes würde sie das Zeitungsarchiv der Bibliothek durchsuchen und schauen, ob sie irgendwo auf diesen so genannten Access stoßen würde. Sie musste ihn finden, schließlich hatte sie seinen Ohrring... Sie dachte kurz nach. Wieso hatte sie seinen Ohrring? Das war die Frage, die sie sich seit ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus stellte. Seitdem fühlte sie sich unglaublich fit und klar im Kopf. Alles erschien ihr logisch und nachvollziehbar, obwohl eigentlich gar nichts logisch und nachvollziehbar war. Aber sie war sich sicher, dass, sobald sie diesen Access gefunden hatte, ihre Fragen beantwortet und ihre seltsamen Träume aufhören würden. Und allein das war es ihr schon wert. Außerdem war sie sich endlich der Ausmaße ihrer Träume bewusst – vielleicht hatte sie irgendeine Gabe? Natsuki begann, die ganze Sache, die ihr anfangs große Kopfzerbrechen bereitet hatte, als eine Art spannendes Abenteuer zu sehen. Sie war unglaublich neugierig auf alles, was ab jetzt noch geschehen würde und sie hatte so unwahrscheinlich viele Fragen an diesen Access – sobald sie ihn finden würde, würde sie endlich die Wahrheit herausfinden über die schöne Unbekannte und was sie selbst mit der ganzen Sache zu tun hatte. Und deshalb musste sie jetzt die Ärmel hochkrempeln und alles in Erfahrung bringen, was möglich war! Da es die letzte Schulwoche war, hatte Natsuki also bald sehr viel Zeit, um sich dem "Problem Access", wie sie es getauft hatte, zu widmen. Vielleicht, dachte sie, war sie ja die Auserwählte, die diesen Access und die fremde Frau wieder zusammenführen musste – was ihre Mutter ihr einst über den schwarzen Ohrring erzählt hatte, daran dachte Natsuki jetzt nicht mehr – sie hatte eine Menge anderer Sachen im Kopf. Und wie nah sie an der Wahrheit war – das hätte sie nicht einmal zu träumen gewagt! Mitten in ihre Gedanken hinein knurrte ihr Magen. Natsuki grinste und entschied sich mit einem Blick auf die Uhr, zum Frühstück anzutreten. Ihr Magen war pünktlich und es war tatsächlich die gewohnte Essenszeit. Sie nahm ihre Schultasche und stellte sie schon mal vorsorglich neben die Haustür. Als sie die Küche betrat, blieb sie aber überrascht stehen. "Wie konnte ich auch nur für einen kurzen Moment denken, dass du uns mal die Freude machst und NICHT anwesend bist?", feuerte sie in Richtung Shinji ab, der am Tisch saß und gerade – wie konnte es anders sein – mit vollem Mund auf einem Stück Pfannkuchen herumkaute. Er sah sie nur mit großen Augen an und schluckte den ganzen Inhalt seines Mundes runter, um schneller etwas darauf erwidern zu können, doch dieser blieb ihm sichtlich im Halse stecken. Natsuki konnte ein Lachen nicht unterdrücken und noch bevor Shinji zu seiner alten Form zurückfand und Widerspruch einlegen konnte, fischte ihm Natsuki mit einer schnellen, gekonnten Bewegung seinen Pfannkuchenteller vor der Nase weg, grinste ihn für den Bruchteil einer Sekunde keck an und widmete sich dann ihrem – ehemals seinem - Frühstück. "Wie geht es dir heute?", fragte Marron besorgt und legte die Schürze ab. Sie warf Natsuki einen bekümmerten Blick zu. Seitdem diese zusammengebrochen war, ließ sie sie kaum mehr aus den Augen, aus Angst, dass sich der Vorfall wiederholen könnte. Natsuki war zwar nach zwei Tagen wieder entlassen worden - die Ärzte konnten nichts außergewöhnliches und anormales feststellen, im Gegenteil - Natsuki war kerngesund - aber trotzdem machte Marron sich immer noch Sorgen, denn an die Diagnose "Kreislaufkollaps" wollte sie nicht so recht glauben. "Mir geht es gut", bestätigte Natsuki gut gelaunt, während Shinji sie immer noch ungläubig anschaute. "Bist du sicher...?", hakte er vorsichtig nach – irgendwas war doch anders – warum wurde er heute nicht so oft beschimpft wie sonst immer? "Jahaa." Natsuki rollte genervt mit den Augen. In Watte gepackt zu werden gefiel ihr überhaupt nicht, sie war doch schließlich kein Kleinkind mehr, auf das man 24 Stunden am Tag aufpassen musste. Marron nahm eine Tasse aus dem Schrank und füllte sie mit heißem Kaffee. "Wo bleibt dein Vater bloß?", sagte sie gedankenverloren zu sich selbst, als auch schon Chiaki die Küche betrat. Ebenso wie Natsuki blieb er überrascht stehen, was aber weniger mit der Tatsache zu tun hatte, dass Shinji sich wieder mal zum Frühstück eingeladen hatte – daran war er schon gewöhnt – sondern, dass seine Tochter vor ihm am Frühstückstisch saß. "Na, du bist ja früh auf." Er lächelte ihr aufmunternd zu und setzte sich neben sie. Marron stellte eine Tasse auf seinen Platz und legte die Zeitung daneben, dann setzte sie sich mit ihrer eigenen Tasse Kaffee dazu. "Bevor du fragst – mir geht es gut!", informierte Natsuki ihren Vater kurz angebunden, der sie gerade in Augenschein genommen und schon versucht gewesen war, den Mund zu öffnen. Er nickte schweigend und widmete sich dann seiner Lektüre zu, nippte dabei an seinem heißen Getränk. "Shinji bringt dich heute zur Schule", erklärte Marron an Natsuki gewandt. „Das ist doch in Ordnung, nicht wahr?“ Doch ohne die Antwort abzuwarten, sprang ihre Mutter auch schon erschrocken auf, da sie bemerkt hatte, den Herd nicht ausgestellt zu haben. "Oh nein", stöhnte Natsuki genervt und warf einen gequälten Blick Richtung Shinji, der sie jetzt angrinste. "Ich muss doch aufpassen, dass du ohne gleich in Ohnmacht zu fallen an dein Ziel kommst", begründete er, beugte sich dann etwas näher zu ihr herüber. "Im Auto kannst du natürlich gerne in Ohnmacht fallen – ich bin ja da...", fuhr er weiter fort und sein Grinsen wuchs proportional zu Natsuki’s Ärger, doch diesmal funkelte Chiaki den Nachbarsjungen warnend über den Rand seiner Zeitung hinweg an und dieser verstummte sofort, schluckte den Rest seines Satzes runter. Chiaki konnte es nicht ausstehen, wenn Shinji Annäherungsversuche bei seiner Tochter machte. Meistens versuchte er es zu ignorieren und überging es einfach, doch ab und zu wollte er dem jungen Mann am liebsten den Hals umdrehen. Seine Natsuki und dieser... verantwortungslose Kerl! Niemals! Nur über seine Leiche! Marron tätschelte ihrem Ehemann beruhigend die Schulter. "Nicht aufregen, Liebling, Natsuki wird eben erwachsen und fängt an, sich für Jungs zu interessieren", erklärte sie ihm in einem Tonfall, den man benutzt, wenn man kleinen Kindern etwas klarmachen oder sie besänftigen will. Chiaki schnaubte, zeitgleich mit Natsuki, die verärgert aufgestanden war. "Das tue ich überhaupt nicht! Und schon gar nicht für DEN DA!", sie deutet anklagend auf Shinji, der plötzlich ganz unschuldig und ahnungslos tat. "Ihr spinnt doch alle!", unterstellte sie den Dreien noch und stapfte geladen aus der Küche. Jeden Morgen dasselbe Theater, das konnte doch nicht wahr sein! Aber Natsuki hatte nicht viel Zeit, sich über das eben Geschehene aufzuregen, denn ihr fiel wieder ihre ihr auferlegte Aufgabe ein – Access suchen! Sie überprüfte kurz im Spiegel, ob ihre Haare nicht Amok gelaufen waren, klemmte sich rechts eine Haarsträhne hinter das Ohr und zog sich die Schuhe an. Shinji war aus der Küche herausspaziert und machte sich ebenfalls fertig. Er nahm ihre Schultasche und wartete an der Tür auf Natsuki, die sich noch – halbherzig – von ihren Eltern verabschiedete. Als sie wiederkam, blitzte sie ihn böse an und entriss ihm ruckartig die Tasche aus den Händen. "Das kann ich allein", sagte sie bestimmt und ging an ihm vorbei, während er mit einem schiefen Grinsen auf dem Gesicht leise seufzte. Im Auto war Shinji erstaunlich still. Verblüfft bedachte Natsuki ihn mit einem Seitenblick und erinnerte sich daran, wie er neulich genauso schweigsam ihre Einkaufstaschen nach Hause getragen hatte. Was ging nur in ihm vor? Aufmerksam beobachtete er die Straße und den Verkehr. Natsuki musste zugeben, er lenkte den Wagen sehr vorsichtig und gewissenhaft und sein Fahrstil war angenehmer als so manch anderer. Das hätte sie ihm gar nicht zugetraut, jedenfalls nicht dem Shinji, der sonst immer den Draufgänger mimte. Sie riss ihre Gedanken von ihm los und schaute aus dem Fenster. Der Himmel war bewölkt, aber an einigen Stellen schienen ein paar Sonnenstrahlen durch. In der Ferne erblickte Natsuki dunkle, graue Regenwolken, die sich langsam, aber unausweichlich auf Momokuri zubewegten. Der kühle Wind, der draußen wehte, und der Geruch von Nässe schien das Gewitter geradezu magisch anzukündigen. Natsuki fiel ein, dass sie keinen Regenschirm mitgenommen hatte. Sie konnte nur hoffen, dass das Gewitter nicht gerade dann toben würde, wenn sie nach Hause ging. Den letzten Sommer hatte sie sich genau an solch einem Tag eine handfeste Erkältung eingefangen; sie hatte nur leichte Sommerkleidung angezogen und war in einen heftigen Regenguss geraten. Als sie zu Hause angekommen warm, war sie bis auf die Knochen durchnässt gewesen, was zur Folge hatte, dass sie die nächsten drei Tage ermattet im Bett verbrachte und von ihrer Mutter Medizin eingeflößt bekam. Shinji bog an der Kreuzung nach rechts ab, nachdem er ein Auto, das aus dieser Richtung kam, vorbeigelassen hatte. In wenigen Minuten würden sie an ihrer Schule ankommen – plötzlich hatte Natsuki das Gefühl, sie hätte eben jene Situation schon einmal erlebt. Und ja, da fiel es ihr wieder ein – das letzte Mal, als Shinji sie zur Schule gefahren hatte! Da hatte er... Natsuki wurde flau im Magen. Vorsichtig tastete sie nach dem Türgriff, um im Notfall schnell entkommen zu können. Gedankenverloren kratzte Shinji sich am Kopf. Das letzte Mal, als er Natsuki zur Schule gefahren hatte – es war einfach so über ihn gekommen und jetzt, in Nachhinein tat es ihm ein bisschen leid. Sie so überrumpelt zu haben... Allerdings hatte sie seitdem kein Wort darüber verloren, ihm keinerlei Vorwürfe gemacht, ihn nicht einmal beleidigt! Das versetzte Shinji in großes Erstaunen und bestätigte seine Theorie, dass mit Natsuki in letzter Zeit irgendetwas nicht stimmte. Er lenkte den Wagen in eine Parklücke und drehte sich zu Natsuki um. "So, wir sind da", sagte er munter, doch als er Natsuki’s Gesichtsausdruck erblickte, in dem sich Misstrauen und Angst mischten, musste er unwillkürlich lachen. Sie hatte also an das Gleiche gedacht! "Keine Sorge", beruhigte er sie großspurig. "Ich werde schon nichts machen." Er grinste sie an, doch das Grinsen gefror in seinem Gesicht, als sie ihren Blick senkte und tonlos, ruhig, aber fast verletzt "Ich hasse dich" sagte. Shinji schluckte. Damit hatte er nicht gerechnet. "Es tut mir leid", beeilte er sich zu sagen, doch das Mädchen schüttelte nur den Kopf und öffnete die Tür. "Das macht es auch nicht wieder gut!", schleuderte sie ihm wutentbrannt entgegen und erst jetzt konnte Shinji den ganzen Zorn in ihren Augen erkennen, an dem ganz offensichtlich er selbst schuld war. Natsuki schlug ungewohnt heftig die Autotür zu und lief, ohne sich auch nur einmal nach ihm umzudrehen, die Treppen zum Haupteingang der Schule hoch. Shinji sah ihr noch eine Weile, nachdem sie schon außer Sichtweite war, nach, überlegte. Was hatte sie gemeint mit "Das macht es nicht wieder gut"? Konnte es etwa sein...? Oh nein... Shinji stöhnte laut auf. "Du bist solch ein elender Idiot", schimpfte er sich selbst und schüttelte fassungslos den Kopf über seine eigene Dummheit. Sie war doch erst 15... und er...? Was war er doch für ein taktloser Trottel! Natsuki ließ sich schwer atmend auf ihren Platz fallen. Naomi war noch nicht da und überhaupt war sie heute eine der Ersten im Klassenzimmer. Sie seufzte. Was für ein Theater! Eigentlich hatte sie die Kussgeschichte ja ganz gut verdrängen können, zumindest bis eben gerade... Es war ihr ein bisschen unangenehm gewesen, als Shinji ihrem Gesichtsausdruck entnehmen konnte, dass sie genau daran gedacht hatte, aber andererseits – jetzt hatte sie es ihm gezeigt! Seiner betroffenen Miene nach zu urteilen hatte er sehr wohl verstanden, dass er in dieser Hinsicht zu weit gegangen war. Trotzdem, sie würde ihn nicht so einfach davonkommen lassen. Schon gar nicht... Ihren ersten Kuss hatte sie sich anders vorgestellt... Romantisch, irgendwo unter freiem Sternenhimmel bei Nacht in etwa... und schon gar nicht mit - sie schauderte – S-h-i-n-j-i! Ihr war übel... wieso musste es so kommen? In Gedanken schoss sie – wieder einmal – tausend Flüche auf den jungen Mann ab und schwor sich, nie wieder in sein dämliches Auto einzusteigen. Lieber würde sie jeden Tag zu spät kommen und Strafarbeiten machen müssen. "Meine Güte, was ist denn mit dir los?" Naomi stellte ihre Tasche auf den Tisch neben Natsuki – ihrem Sitzplatz – ab und Natsuki drehte fragend den Kopf zu ihrer besten Freundin um. "Bist du etwa wieder gefahren worden? Und, wollte er dich wieder küssen?", fragte Naomi neugierig und lachte unbekümmert. Natsuki zog es vor, darauf nicht zu antworten und ihre Freundin, die merkte, dass wieder etwas nicht stimmte, wechselte schnell das Thema. "Wie geht es dir?", fragte sie behutsam und spielte darauf an, dass Natsuki kürzlich zusammengebrochen und ins Krankenhaus gekommen war. Diese hatte aber auch dieses Thema leid und erklärte ihrer Freundin kurz, dass es ihr gut gehe und es sie nerve, von allen wie ein rohes Ei behandelt zu werden. Naomi nickte verständnisvoll, dann verwickelte sie Natsuki in ein belangloses Gespräch über ihren kleineren Bruder und was er sich am Wochenende wieder mal geleistet hatte. So empört, wie Naomi die ganze Geschichte darstellte, musste Natsuki herzlich lachen und auch noch, nachdem die Lehrerin schon die Klasse betreten hatte, konnte sie sich das Grinsen nicht aus dem Gesicht wischen. Shinji schlenderte gedankenverloren durch die langen Gänge der Universität. "Ich hasse dich", hallte es in seinen Ohren immer und immer wieder und Natsuki‘s Ausdruck im Gesicht, der diese Worte zu unterstreichen schien, wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf. Irgendwie lief das alles in die absolut falsche Richtung... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)