Please Recall... von -Moonshine- (Shinji ♥ Natsuki) ================================================================================ Kapitel 19: Bitte erinnere dich ------------------------------- Wieder einmal saß Natsuki an ihrem Schreibtisch und drehte den kleinen, schwarzen Gegenstand ratlos in ihren Fingern hin und her. Es war ein ganz normaler Ohrring, mit schwarzer, glänzender Oberfläche und gewöhnlichem Verschluss, und doch rankten sich so viele Geheimnisse darum, dass Natsuki der Kopf schwirrte. Sie war sich sicher: Sie hatte fast alle Puzzleteile zusammen, nur hatte sie absolut keine Ahnung, wie sie sie zusammenfügen sollte. Oder fehlten ihr die entscheidenden Teile doch noch? Wenn sie ein bisschen darüber nachdachte, würde ihr vielleicht eine Idee kommen? Allerdings klangen Ausschnitte dieses ganzen Mysteriums sehr seltsam... beispielsweise der Teil mit den Engeln. Die Sache mit der Wiedergeburt aber beschäftigte sie mehr als alles andere. Wenn es wirklich möglich war, wiedergeboren zu werden, Menschen aus einem früheren Leben zu treffen, wie sollte man sich denn an diese erinnern können? Und wenn Engel wirklich im Himmel wohnten... was machte dann dieser Ohrring hier? Ihre Eltern hatten ihr beigebracht, dass nichts auf der Welt unmöglich war, aber an etwas glauben und es mit eigenen Augen sehen, das waren zwei so verschiedene Dinge und in der Theorie, ja, da ging alles, doch in der Praxis? Natsuki kratzte sich unbewusst am Hinterkopf, eine Geste der Ratlosigkeit, die sich so viele Menschen angeeignet hatten. Wieder spielte sie mit dem Ohrring in ihren Fingern, in der leisen Hoffnung, ein Geistesblitz würde sie bei der bloßen Berührung treffen, doch da hatte sie sich zu viel erhofft. Natürlich blieb der Geistesblitz aus, ebenso wie jegliche Erkenntnis. Diese neue Idee, die in Natsuki aufkeimte, nämlich die Möglichkeit der wiederkehrenden Leben, brachte viel mehr Fragen als Antworten mit sich und es war unglaublich anstrengend, über Sachen nachzudenken, die einem keine Erklärung lieferten. Natsuki seufzte. Das war ja alles unglaublich romantisch, Liebe, die über den Tod hinausgeht und so, aber das sollte Natsuki glauben? Viel eher ging ihre Fantasie wieder mit ihr durch. Oder etwa nicht...? Und wenn dem tatsächlich so wäre, wieso war der Ohrring dann ausgerechnet bei ihr gelandet? Fynn sollte doch den Ohrring Access zurückgeben und nicht sie! Ihr Kopf schmerzte leicht. Das war alles eine Nummer zu groß und Natsuki zweifelte langsam, aber sicher an ihrem Verstand. Wiedergeborene Engel, ewige Liebe und sie vollkommen ahnungslos mittendrin! Das waren echt tolle Aussichten. Und dem einzigen Menschen, der etwas zu wissen schien, konnte sie auf keinen Fall mehr gegenübertreten. Warum denn auch ausgerechnet Shinji, fragte sie sich. Es gab so viele andere Menschen auf dieser Welt, die es hätte treffen müssen, aber nein! Doch, redete sie sich ein, konnte er ihr bestimmt auch nicht weiterhelfen. Vielleicht hatte er ja ähnliche Träume und genauso wenig eine Ahnung wie sie. Sonst hätte er ihr bestimmt etwas gesagt. Oder? Zu viele "oders", bemerkte Natsuki. Die Wolken verzogen sich und ließen ein paar Sonnenstrahlen durch das Fenster fallen. Der schwarze Ohrring funkelte für einen kurzen Moment auf und Natsuki fixierte ihn wieder. Er war ihr einziges Anhaltszeichen... der einzige Verbindungspunkt zwischen ihren Träumen und der Realität. Das Mädchen seufzte genervt auf und ließ den Ohrring wieder in das Schmuckkästchen fallen. Sie konnte wieder einmal nichts tun und das ärgerte sie! Und dennoch waren ihr diese Nachforschungen um einiges lieber, als sich mit ihrem aktuellsten Problem auseinander zu setzen: Takeru. Sie stand auf und ließ sich rücklings auf ihr Bett fallen, starrte eine Weile lang die Decke an, ohne wirklich nach einer Lösung zu suchen. Irgendwann schloss sie die Augen... ..."Fynn! Findest du nicht, dass es langsam reicht?" "Darf ich dir etwas sagen, wenn du zurückkommst?" "Ich gehe mit euch, dann seid ihr nicht so einsam..." "Ich werde auch wiedergeboren!" "Ich gebe ihr meine Kraft." Erschrocken machte Natsuki die Augen auf, doch um sie herum war pure Dunkelheit, alles war schwarz... Sie lag auf dem Boden und alle Glieder schienen ihr wehzutun. Mühsam stemmte sie die Hände gen Erde und setzte sich auf, blinzelte in die Dunkelheit hinein, doch es war nichts zu erkennen. Um sie herum schwirrten Stimmen, Männerstimmen, Frauenstimmen, leise Stimmen und laute Stimmen. Einige murmelten nur, andere schrieen entsetzt auf, doch sie konnte nur wenige von ihnen wirklich verstehen. Der Boden unter ihr war kalt und hart und sie hatte das Gefühl, sie war in einer unendlichen Weite gefangen, da sie nicht wusste, wo sie sich befand und ob es an diesem Ort überhaupt Wände gab. Benommen lauschte sie den Stimmen und versuchte, etwas aus dem ganzen Wirrwarr herauszuhören. "...heißt sie wieder Natsuki." Natsuki? Das war doch ihr Name, aber wer sprach da? Wem gehörte diese junge, heitere Frauenstimme? Doch schnell wurde sie von einem Flüstern abgelenkt. "Bald ist es soweit...", sagte eine leise Männerstimme, wurde jedoch unterbrochen von einem lauten "Nein, FYYYYNNNN!!", einhergehend mit einem dunklen, tiefen "Ich danke dir...". Verwirrt und überfordert schüttelte Natsuki den Kopf. Auch, wenn sie nicht ganz bei sich war, so war es doch niemals gut, Stimmen zu hören. Verlor sie jetzt endgültig den Verstand? Wie oft hatte sie sich das in der letzten Zeit schon gefragt! In ihrem Kopf drehte sich alles, sie hatte sogar das Gefühl, sie selbst drehte sich! Um ihre eigene Achsen, rundherum, sie schloss die Augen, doch das Rotieren wollte nicht aufhören, genauso wenig wie die Stimmen ringsherum, die Flüsternden und Schreienden, die Lachenden und die Weinenden... "Natsuki!" Sie öffnete wieder die Augen. Diese Stimme war erstaunlich klar und nah. Fynn stand vor ihr und streckte die Hand aus. "Natsuki, erinnere dich", bat sie lächelnd und das Mädchen streckte die Hand nach Fynn's Ausgestreckter aus und kaum, dass sie sie berührt hatte, tauchte sie in eine andere Welt ein... Es war kein richtiger Ort und es gab nichts Materielles, keinen Boden, keine Wände, das Einzige, was um Natsuki herum war, waren Bilder. Einzelne Bilder, wie Fotografien, bewegliche Sequenzen, wie Filmausschnitte und wieder diese Stimmen... sie bemerkte jetzt, dass diese Stimmen aus den Filmausschnitten stammten, die ihr hier vorgeführt wurden. Vielmehr rasten die Bilder und Szenen an ihr vorbei, oder vielleicht raste auch sie an ihnen vorbei. Als sie sich nach Fynn umdrehen wollte, war diese nicht mehr an Ort und Stelle. Natsuki war allein, inmitten dieses Chaos. "...mag dich vielleicht jemand und das bringt dich ganz schön durcheinander...?", hörte sie die Stimme ihrer Mutter und wirbelte herum, so schnell man eben konnte, wenn man irgendwo im Nirgendwo herumschwebte. Die Sequenz von ihrem vorhergegangenem Gespräch mit ihrer Mutter rauschte an ihr vorbei, sie erhaschte einen Blick auf ihren eigenen, geknickten Gesichtsausdruck und ihre lächelnde Mutter, die die Teetasse in den Händen hielt. Erschrocken starrte sie auf die Stelle, an der dieser Ausschnitt verschwunden war. Stattdessen entstand dort eine neue Sequenz. Sie mit Takeru im Schatten des Baumes und er legt die Hand auf ihre Schulter... Sie wandte sich ab. Das wollte sie nicht sehen. Ein einzelnes, unbewegliches Bild von einer aufgebrachten Miyako im Wohnzimmer der Nagoya's schoss an ihr vorbei und natürlich die dazu passende Stimme: "Dieser Junge! Macht NICHTS als Ärger!" Natsuki schüttelte verwirrt den Kopf, als könnte sie so dieses seltsame Geschehen um sie herum abschütteln. Doch dann sah sie sich selbst. Die andere Natsuki stand unweit von ihr entfernt und starrte verwirrt geradeaus. Etwas materialisierte sich an dieser Stelle und Natsuki - die Jetzige - schnappte nach Luft: Es war Shinji! "Noch viel mehr! Alles!", gestand er und sie bemerkte seinen verzweifelten Ausdruck im Gesicht. Sofort verschwommen die beiden Gestalten wieder, doch an ihre Stelle trat etwas anderes. Ihr Vater, Chiaki, wie er sie auf Shinji's Geburtstag erschrocken auffing, als sie das Bewusstsein verlor. Nicht lange dauerte diese Szene an, wurde ersetzt durch eine lachende Naomi an ihrem Geburtstag, wie sie ein Geschenk auspackte, das Natsuki ihr geschenkt hatte. Verzweifelt hob Natsuki ihre Hände und bedeckte mit ihnen ihr Gesicht. Wo befand sie sich? War sie etwa im Jenseits, oder warum sah sie ihr Leben an sich vorbeiziehen...? Und warum zog ihr Leben in der falschen Reihenfolge an ihr vorbei? Von Hinten nach Vorne! "Bitte erinnere dich...", flüsterte es wieder, ganz nah an ihrem Ohr, nein, an beiden Ohren! Sie wagte wieder einen Blick und sah eine Fotografie von Shinji und seiner damaligen Freundin. ‚Wie hieß sie doch gleich?‘, schoss es Natsuki durch den Kopf, doch sie kam nicht wirklich dazu, darüber nachzudenken, denn es schien, als beschleunigte sich das Tempo dieser eigenartigen Vorstellung. Sie sah sich als Kind bei der Einschulung. "Hallo. Ich heiße Naomi!", tönte es aus dieser Sequenz und ein kleines, blondes, lachendes Mädchen streckte ihr die Hand entgegen und sie sah auch sich selbst erleichtert lachen. Natsuki wurde von einer anderen Stimme abgelenkt. "Wenn wir groß sind, kaufe ich dir auch ein Schloss!", beteuerte ein Achtjähriger, schwarzhaariger Junge, den Natsuki zweifellos als Shinji identifizierte. Hoffnungsvoll schaute er auf die kleine Natsuki und wartete auf eine Antwort. Unbewusst musste Natsuki bei diesem Anblick zärtlich lächeln. Der gab doch wirklich nie auf! Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, gebannt verfolgte sie das Szenario weiter, bis sie dem Achtjährigen erklärte, sie würde ihren Vater heiraten - daran allerdings konnte sich Natsuki gut erinnern. In diesem Alter hatte sie den eindeutigen Wunsch gehegt, später mal Chiaki zu heiraten. Von ihren Freundinnen wusste sie, dass es denen in ihrer Kindheit nicht anders ergangen war. Belustigt sah sie dabei zu, wie sie Shinji mit Bausteinen bewarf und vollkommen getroffen war von seinen - für sie damals - harten Worten. Sie betrachtete den kleinen Shinji, wie er ihr perplex hinterher starrte und obwohl sie ihn für "doof" erklärt hatte, machte er sich nichts daraus. Stattdessen fing er an zu lächeln und dieses Lächeln eines Kindes katapultierte Natsuki's Gedanken sofort zu dem jetzigen, erwachsenen Shinji, zu seinem süffisanten Lächeln, wenn sie ihn beschimpfte, wenn sie ihn abwies, zu seinem frechen Grinsen, seinen unverschämten Sprüchen... War er etwa schon so lange so... so unangreifbar? Während sie über Shinji nachdachte, wurde ihre Aufmerksamkeit sofort wieder von einer anderen Sequenz in den Bann gezogen. Es war ähnlich der, die sich vorhin materialisiert hatte. Ihre junge Mutter legte ein Bündel in die Arme des Vierjährigen. Er hielt es ganz vorsichtig - Natsuki konnte sich schon denken, dass sie das Bündel war - und seinen Augen weiteten sich. "F... Fynn?", fragte er mit zittriger Stimme, doch den Rest dieser Sequenz bekam Natsuki nicht mehr mit, denn dieses eine Wort aus dem Mund eines Vierjährigen traf sie wie ein harter Schlag ins Gesicht. Shinji hatte sie - SIE - mit dem Namen dieses Engels angesprochen! Dieser Person, die von Access den Ohrring bekommen hatte - den SIE jetzt hatte! In ihrem Kopf pochte ihr Herz so laut, dass sie kaum etwas anderes hören konnte und ihr Puls beschleunigte sich. 'Das kann nicht sein, das kann nicht sein...', wiederholte sie immer wieder, doch ihre Gedanken waren schon längst weitergewandert. Zu ihrer Mutter, die ihr erklärte, sie glaube an Wiedergeburt. Zu Shinji, der so eigenartig reagiert hatte, als sie ihn nach Access gefragt hatte... zu dem schwarzen Ohrring, zu Fynn, zu Access... 'Das kann nicht sein, das...' Natsuki atmete tief ein und wieder aus, als würde es ihr an Sauerstoff mangeln, doch so richtig beruhigen konnte sie sich nicht, vor allem, da jetzt ganz andere Szenen an ihr vorbeirauschten... schneller und lauter. Ungläubig betrachtete sie das Spektakel. Marron - etwa in ihrem Alter - wie sie sich in eine blonde Gestalt verwandelte und über die Dächer sprang, ihr Vater, Chiaki, der sie, auch als jemand anderer verkleidet, auf einem Dach küsste, ein kleiner Engel in Taschenformat mit grünen Haaren - Fynn? - wie sie Access einen Blumentopf mit einer Rose schenkte. Dann veränderten sich die Bilder, Fynn war jetzt in ihrer großen Gestalt und lachte gefährlich auf, Miyako griff ihre Mutter an, Access tauchte auf, groß und sehr würdevoll, und wurde von Fynn attackiert, bis beide auf dem Boden lagen, sie über ihm, ihr Schwert steckte neben seinem Kopf in der Erde. "Ich habe dich die ganze Zeit geliebt!", schallte es von überallher und Natsuki befiel eine Welle von Verzweiflung und Traurigkeit, aber ebenso Erleichterung, eben jene Gefühle, die sich in Fynn's Augen widerspiegelten. Diese Augen... Gebannt starrte Natsuki in Fynn‘s Angesicht, in ihr regte sich etwas wie Verständnis... Wieder Szenenwechsel. Ein großer Palast, etwas Gestaltloses griff Marron an, doch Fynn warf sich mutig vor ihre Mutter. "Ich gehe mit Euch...", sagte sie noch mit einer sehr schwachen Stimme und schloß dann die Augen, sank in Access' Arme. Was jetzt kam, kannte Natsuki schon. Der Ohrring. "Ich werde auch wiedergeboren!", schluchzte es, doch Natsuki konnte nichts mehr erkennen. Wiedergeboren. Alles drehte sich, alles wurde schwarz, Natsuki fiel. Wiedergeboren... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)