Please Recall... von -Moonshine- (Shinji ♥ Natsuki) ================================================================================ Kapitel 28: Special #3: A Grey Sky Between Us --------------------------------------------- Momokuri, Japan, 23:07 Uhr. Der kalte Novemberregen prasselte unaufhörlich gegen das Fenster, das Zimmer war dunkel. Nur unter dem Türspalt schimmerte ein wenig Licht; wenigstens ein Zeichen von Leben in der Wohnung. Obwohl Natsuki ihren Eltern gesagt hatte, dass sie früh ins Bett wollte und sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, saß sie schon seit geraumer Zeit im Dunkeln an ihrem Schreibtisch und starrte aus dem Fenster. Alles, was sie sehen konnte, war jedoch das endlose Schwarzblau des Himmels und die Regentropfen, die stetig gegen die Glasscheibe tropfen. Es tat fast schon gut, dieses schlechte Wetter, wenn sie denn überhaupt behaupten konnte, dass ihr etwas gut tat, doch an Tagen wie diesen wusste sie nicht, ob sie traurig war und das Wetter dazu passte oder ob es andersrum der Fall war. Es wäre viel schwieriger und frustrierender gewesen, wenn die Sonne scheinen würde, allerdings würde es vielleicht auch einfacher sein, dann die Traurigkeit abzuschütteln. Nun, was das anging, so konnte sie sich so lange darüber den Kopf zerbrechen, wie sie wollte. Fest stand jedoch: sie wusste einfach nicht, was es mit dem Wetter auf sich hatte. Es war nicht so, als wäre es jeden Tag so. Oder durchgehend. Es war nicht so, als könnte sie ohne Shinji nicht leben. Sie konnte es sehr gut. Sie ging weiter zur Schule, kümmerte sich um Freunde und Familie und hatte Spaß. Nicht weniger, als sie vorher auch gehabt hatte. Aber jeden Morgen, wenn sie die Tür zur Küche aufstieß, fand sie den leeren Stuhl vor, auf dem früher immer der schwarzhaarige Nachbar gesessen hatte - den Mund vollgestopft mit Pfannkuchen und immer ein freches Grinsen parat. Und jeden Morgen fiel ihr immer wieder von neuem ein, wie sehr sie ihn vermisste. Seit zwei Monaten war er nun weg und die letzte Email, die sie von ihm bekommen hatte, lag auch schon einige Tage zurück. Shinji hatte viel zu tun, viel zu lernen... Aber wenn sie erwartungsvoll ihren PC anmachte, hoffnungsvoll ihre Emails abrief und keine Neue von ihm vorfand, war die Enttäuschung, die sie überkam, einfach viel zu groß, um nicht beinahe den Mut zu verlieren. Sie dachte oft an Shinji, sogar rund um die Uhr, jedoch dachte sie nebenbei an ihn und einige Orte oder Situationen ließen sie unabsichtlich an ihn denken. Er war immer in ihrem Kopf, doch sie konnte ihn so weit zurückschieben, dass sie ohne große Probleme die Tage überstehen konnte. Dass sie von Herzen lachen und sich auch auf anderes konzentrieren konnte. Es war, als sei er immer bei ihr, in ihrem Kopf, und dann freute sie sich auf den Tag, an dem er in Natura vor ihr stehen würde. Aber an Tagen wie diesen, Tagen, an denen es unaufhörlich regnete und die Dunkelheit jeden Tag früher durch die Fenster kroch, als an dem davor, an Tagen, an denen sie so sehnsüchtig auf ein Lebenszeichen von ihm wartete, es aber nicht bekam, da drohte sie die Einsamkeit und die Sehnsucht zu übermannen und vor allem Abends, wenn das Sonnenlicht alles Leben mit sich nahm, konnte sie die Hoffnungslosigkeit nicht mehr zurückhalten. Die Gedanken an Shinji krochen aus den hintersten Winkeln ihres Kopfes hervor und waren plötzlich so präsent, dass sie ihr fast die Luft nahmen und das Wissen, dass er so weit weg war und die Ungewissheit, was sein würde, wenn er wieder zurückkam, brachten eine Verzweiflung mit sich, gegen die sie sich unglaublich hilflos und ohnmächtig fühlte, da sie nichts an diesem Zustand ändern konnte. An Tagen wie diesen fühlte es sich nicht an, als sei er immer bei ihr. Vielmehr wurde ihr dann immer wieder schmerzhaft bewusst, dass er es nicht war und noch weit davon entfernt war, es zu sein. Und wenn sie abends schlafen ging, dann war der Gedanke, in seinen Armen zu liegen, der Letzte, den sie hatte. Nottingham, Großbritannien, 5 Stunden später, 19:32 Uhr. Abwesend an seiner Tasche nestelnd trottete Shinji langsam aus dem Hörsaal, in dem eben die Vorlesung zur Ethik der Medizin gehalten worden war. Er versuchte gerade, eines seiner Bücher noch in die Tasche zu den anderen zu stopfen, als ihm jemand von hinten auf die Schulter tippte und sich ein blonder, schlaksiger, junger Mann mit blauen Augen neben ihn schob. "Jake", stellte Shinji halb überrascht, halb erfreut fest. "Was machst du hier?" Jake Matthews, gebürtiger Engländer, war einer der Ersten, mit denen Shinji sich in Nottingham angefreundet hatte. Der 19jährige war zwar ein Jahr jünger als Shinji selbst und zwei Semester unter ihm, doch das machte überhaupt keinen Unterschied. Jake war ein angenehmer Zeitgenosse und zu seinen Mitmenschen stets freundlich und höflich. Außerdem war er mit dem für die Briten so typisch trockenem Humor ausgestattet und sehr beliebt, was ihn aber nicht zu Höhenflügen veranlasste, wie Shinji sie von seinem ehemals besten Freund Taiki kannte. "Dich abholen", erwiderte der Blondschopf mit einem verständnislosen Gesichtsausdruck, davon ausgehend, dass es offensichtlich gewesen war. "Die Jungs treffen sich noch im Pub", schob er dann doch noch die Erklärung für sein Auftauchen hinterher. "Komm doch mit!" Er blickte Shinji erwartungsvoll an, doch dieser schüttelte lachend den Kopf. "Ich kann nicht, aber danke für das Angebot", lehnte er dankbar ab, doch Jacob, so sein voller Name, ließ sich nicht so einfach abspeisen. "Komm schooon", versuchte er es noch einmal und schien dann eine Idee zu haben, wie er Shinji doch noch dazu bringen könnte, ihn zu begleiten. "Rachel wird auch da sein... du weißt ja... die steht auf dich", fügte er verschmitzt grinsend hinzu, konnte Shinji damit aber nur ein gequältes Lächeln abringen. "Quatschkopf", warf er Jake vor und der 19jährige zuckte entschuldigend die Schultern. "Hast recht. Rach hat sowieso jede Woche 'nen anderen...", sagte er bedauernd und verzog das Gesicht. "Wann ich wohl an der Reihe bin?", überlegte er dann laut weiter und brachte Shinji damit zum Lachen. "Nein, ehrlich, warum nicht?", hakte Jakob nach und versuchte mit Shinji, der seinen Weg weiter fortgesetzt hatte, Schritt zu halten. "Ich muss noch einiges für den Sprachkurs morgen aufarbeiten, früh aufstehen und habe nach den Seminaren noch zwei Stunden Training", zählte der junge Minazuki auf und runzelte die Stirn. "Und..." Er stockte, als er an Natsuki dachte. Wie gern würde er sie jetzt sehen, sie halten, sie küssen... er vermisste sie so sehr, dass es schon fast wehtat. "Und...?", wollte Jake wissen und blickte Shinji neugierig von der Seite an. Sein argloser, wissbegieriger Blick amüsierte Shinji schon wieder, doch der Gedanke an Natsuki trübte seine Freude und er brachte nur ein kleines Lächeln hervor. "Und ich muss dringend eine Email schreiben", beendete er seinen Satz langsam. Mittlerweile waren sie aus dem Gebäude getreten und der nasse Asphalt zeugte noch von dem Regen, der den ganzen Tag gefallen war, jetzt aber aufgehört hatte. Es war bereits dunkel draußen und weiße Wölkchen kamen aus ihren Nasen und Mündern, wenn sie ausatmeten, so kalt war es geworden. Shinji fragte sich, ob zu Hause in Japan auch solches Wetter herrschte. "Eine Email?", wiederholte Jake, fassungslos, dass Shinji eine Email einem Abend im Pub vorzog. Shinji nickte. "Aha." Eine Weile lang liefen die beiden nebeneinander her, niemand sagte ein Worte und beiden hingen ihren eigenen Gedanken nach, doch dann war es wieder Jake, der offensichtlich zu einem Schluss gekommen war. "An deine Freundin?" Er grinste breit und stieß Shinji seinen Ellbogen in die Seite, was dieser mit einem schmerzverzogenem Gesicht quittierte. "Nun sag schon!", drängelte Jake, aber der 20jährige lächelte nur still vor sich hin und zuckte die Achseln. "So ähnlich...", wich er aus, doch wenn er dachte, Jakob würde sich damit zufrieden geben, dann hatte er falsch gedacht. "So ähnlich", äffte dieser ihn ungeduldig nach und fuchtelte genervt mit seinen Armen herum. "Mach nicht so ein Staatsgeheimnis draus!", forderte er Shinji auf, als sie endlich zur Bushaltestelle ankamen. Mit einem Blick auf die Uhr stellte Shinji fest, dass der Bus, der sie runter in die Innenstadt bringen würde, noch einige Minuten auf sich würde warten lassen. Zeit genug für Jake also, ihn weiter auszufragen. Besagter änderte aber seine Taktik. "Wie ist sie so?", wollte er wieder wissen und ungewollt entschlüpften Shinji seine nächsten Worte: "Sie ist vier Jahre jünger." Er wusste auch nicht, warum ihm das als erstes eingefallen war. Vielleicht, weil er oft daran denken musste, dass es Natsuki wichtig gewesen war, dass sie sich Sorgen gemacht hatte. Aber nun wandte er sich interessiert an seinen Freund und wollte unbedingt wissen, was er darüber dachte. Wollte sehen, ob Natsuki's Zweifel berechtigt waren, ob das wirklich ein "zu großer" Altersunterschied war. Jake studierte angestrengt die Zeittafel, die Auskunft über die Busfahrzeiten gab. "Vier Jahre jünger", wiederholte er noch einmal abwesend. Shinji war schon öfter aufgefallen, dass Jake dazu neigte, alles, was man von sich gab, zu wiederholen. Jedoch hielt er es für keine schlechte, oder gar nervige Eigenschaft an ihm. Er hatte mit der Zeit verstanden, dass, während er sich die Worte noch mal auf der Zunge zergehen ließ, gleichzeitig mehr Zeit verschaffte, sie zu begreifen und darüber nachzudenken. Und seit wann war nachdenken über das, was man als nächstes sagen würde, eine schlechte Eigenschaft? Viel zu wenig Menschen dachten heutzutage groß nach, bevor sie sprachen und viel zu wenige dachten überhaupt nach. "Sechzehn also", analysierte Jacob langsam und wandte sich dann wieder Shinji zu. "Na und?" Sein nachdenklicher Ausdruck war von einer Sekunde auf die andere verschwunden und er starrte seinen Freund so verständnislos an, dass dieser fast wieder Lachen musste. Plötzlich wusste auch er nicht mehr, warum er das erwähnt hatte. "Ach, gar nichts", gab er erleichtert zu und wischte seine Bemerkung mit einer Handbewegung weg. "Sie ist... schlagfertig und hat ein großes Mundwerk", beantwortete er dann endlich gewillt Jake's Frage und musste bei seinen Worten und der Erinnerung an Natsuki's zornesfunkelndes Gesicht schief grinsen. Er vermisste sie so! Nun war Jake an der Reihe zu lachen. "Klingt ja unwiderstehlich", kommentierte er trocken, doch Shinji schüttelte lächelnd den Kopf, als wollte er ihm widersprechen. "Das mag für dich lustig sein, aber ich hab mir alle meine Zähne an ihr ausgebissen, bevor sie endlich mal gemerkt hat, dass ich überhaupt im selben Haus wohne", erklärte er energisch und all die Erinnerung an den ganzen, langen, schweren Prozess kam ihm wieder in den Sinn. "Dann bist du ja ganz schön hartnäckig. Kann nur gut sein für’s Studium", lobte Jake anerkennend und nickte mehrmals mit dem Kopf, um seine Behauptung zu untermauern. Der rote Doppeldeckerbus bog um die Ecke und kam neben den beiden Jungs zum Stehen. Sie stiegen zusammen mit den anderen Medizinstudenten ein und suchten sich zwei Plätze im hinteren Teil des Busses. "Und du willst wirklich nicht mit?", fragte Jake bedauernd, in einem letzten Versuch, doch Shinji schüttelte nur den Kopf. "Ein andermal vielleicht. Ihr seid doch sowieso jeden zweiten Tag dort." Jake grinste. "Da hast du recht, Mann. Aber letztes Mal war echt witzig. Erinnerst du dich noch, wie Rachel einen zu viel über den Durst gekippt hat und-" "Jaah", unterbrach Shinji seinen Freund leicht ungeduldig. "Ich erinnere mich noch. Und du solltest sie endlich fragen, ob sie mit dir ausgehen will, anstatt jedem ein Ohr abzukauen, wie toll du sie findest." In diesem Momente schaute Jake überrascht und empört zugleich drein. "Das hab ich nie gesagt!", verteidigte er sich ertappt und seine Ohren liefen leicht rosa an, während Shinji wissend vor sich hin grinste. "Ich muss aussteigen", informierte er dann den rotohrigen Jake nach einem Blick aus dem Fenster und stand auf. "Bis morgen." "Bye", verabschiedete sich der Blonde ebenfalls und sah Shinji nach, wie er aus dem Bus stieg und den Weg Richtung Studentenwohnheim einschlug. Der hatte leicht reden! Shinji betrat sein Zimmer, knipste das Licht an und entledigte sich seiner Jacke, die er an einen Garderobenhaken an der Rückseite der Tür hing. Dann legte er seine Tasche aufs Bett und schon den Stuhl, der am Schreibtisch stand, zurück, setzte sich darauf und betätigte die "Power"-Taste an seinem Laptop. Er hatte ihr schon seit einigen Tagen nicht mehr geschrieben und anrufen konnte er sie wegen des großen Zeitunterschieds von neun Stunden auch nicht. Er rief seinen Browser auf, loggte sich in sein Emailprogramm ein und begann zu schreiben. Im Zimmer um ihn herum herrschte Stille, die nur von dem Tippen auf der Tastatur unterbrochen wurde. "Liebe Natsuki..." Hosted by Animexx e.V. 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