In Nottingham von -Moonshine- ================================================================================ Kapitel 19: Fair ---------------- Micky machte große Augen, als er die vielen bunten, blinkenden Lichter sah. Das Riesenrad drehte sich, zu schnell für Kate's Geschmack, und andere Attraktionen leuchteten ebenfalls blau, grün, gelb und rot auf, während sie sich hin und her, vor und zurück bewegten. Überall waren Essensstände aufgebaut und es roch nach gebackenem Fisch und Essig, nach Fish and Chips, dem englischen Nationalgericht. Verschiedene Lieder und Musikstile trafen aufeinander, da an jedem Karussell etwas anderes gespielt wurde, und stand man ganz n der nähe von so einem, war es viel zu laut, als dass man sich noch hätte anständig unterhalten können. Jake würde es hier auch gefallen, schoss es Kate unwillkürlich durch den Kopf. Er würde es sogar lieben. Aber dann zwang sie sich, nicht mehr an ihn zu denken. Am besten nie mehr. Missmutig trottete sie hinter Claire her, die den kleinen Micky an der Hand hielt, damit er vor lauter Begeisterung nicht ausriss. Hinter sich hörte sie Gabe, der sich mit seiner kleinen Schwester stritt. Allyson war in allerletzter Sekunde noch mit ins Auto gesprungen und hatte sich geweigert, auszusteigen. Auf Gabe's Hinweis hin, das wäre keine Kindergartenveranstaltung und er nicht der Babysitter, brachte sie Micky als Argument an und hatte somit natürlich die Oberhand gewonnen. Jedem im Auto, außer Michael, der mit seinen vier Jahren mit solchen Sachen ganz offensichtlich noch nicht so vertraut war, war klar, dass Ally nur wegen Daniel mit wollte, denn irgendwie schien sie herausgefunden zu haben, dass er auch da sein würde. Allerdings war Danny mit seiner Freundin hergekommen und musste irgendwo in diesem Getümmel sein. Bis heute hatte Kate das Mädchen, mit dem ihr Bruder zusammen war, noch nie gesehen. Sie waren ein lustige Runde: Zwei liebeskranke Geschwister, die von ihren Angebeteten ignoriert wurden, eine genervte, junge Frau, die sich wahrscheinlich fragte, was sie hier überhaupt zu suchen hatte und Kate, die selbst mit ihrem gebrochenen Herzen zu kämpfen hatte. Nicht zu vergessen das Kleinkind, das sich vermutlich den ganzen Vorrat an Zuckerwatte in den Mund stopfen würde, wenn man es ließ. Kate grinste unwillkürlich bei diesem Gedanken und fand es plötzlich tröstlich zu wissen, dass irgendetwas immer schief ging, und zwar nicht nur bei ihr. Sicherlich war es auch für die anderen nicht einfach, so zu sein, wie sie waren, und die jeweilige Situation erhobenen Hauptes zu ertragen. Aber sie gaben alle ihr Bestes. Nur Jake fehlte, der auch sein Päckchen zu tragen hatte, aber heute war er von der Gesellschaft seiner Freunde ausgeschlossen, weil er ganz einfach Mist gebaut hatte. Und niemand war so schnell willig, ihm das zu verzeihen, außer vielleicht Gabe, aber der war hinter Claire her und verpflichtete sich so automatisch, auf ihrer Seite zu sein. Zumindest, bis er sie endlich da hatte, wo er sie haben wollte. Ob das allerdings jemals passieren würde, das, so dachte Kate, stand wohl in den Sternen geschrieben. Der alte Schleimer, dachte sie amüsiert, als sie beobachtete, wie ihr Freund versuchte, seine plappernde Schwester loszuwerden und gleichzeitig mit Claire ins Gespräch zu kommen, die sich ausnahmslos nur Micky widmete und gerade dabei war, ihn zu überreden, doch nicht auf die Loopingattraktion zu gehen, bei der man immer wieder sekundenlang kopfüber in der Luft hing. Micky würde wohl mal ein echter Draufgänger werden! Bei solchen verantwortungsvollen Eltern wie Judy und Alan eigentlich eine echte Überraschung, aber wenn man bedachte, dass auch Lizzie's Gene irgendwo in ihm schlummerten, eigentlich doch nicht weiter erstaunlich. Gabe gesellte sich zu ihr, nachdem er es irgendwie doch geschafft hatte, sich seiner Schwester zu entledigen. Sie schien Freundinnen getroffen zu haben, oder aber, sie war auf der Suche nach Danny. Gabe seufzte. "Sie redet nicht mal mit mir. Echt stur, diese Frau", beklagte er sich, aber irgendwie klang er auch, als ob ihn dieses Spiel tatsächlich amüsierte. Kate zuckte mit den Schultern. "Du hast dich ja auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert in der Vergangenheit", wies sie ihn auf sein feiges Benehmen gegenüber Claire hin, und er lachte zustimmend und nickte. "Warum wird uns Männern eigentlich immer die Rolle des Arschlochs zugewiesen, obwohl wir nur gewöhnliche, menschliche Fehler machen?", fragte er vergnügt und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, während er sich entspannt umsah. Kate kniff die Augen zusammen und beäugte ihn misstrauisch. "Soll das eine Anspielung sein?" Er lächelte. "Nein, eigentlich nicht, aber es ist natürlich deine Sache, wie du das siehst." Sie schwieg und Gabe nahm dies als Einladung, seine Theorien weiter auszuführen. "Wenn er wüsste, dass du ihn magst, wäre es sicherlich nicht soweit gekommen, oder?" "Soll das eine etwa eine Predigt werden?", wollte Kate argwöhnisch wissen. "Du entwickelst dich in letzter Zeit ja zu einem richtigen Moralapostel." "Und so sarkastisch kenn ich dich gar nicht, Katie", erwiderte Gabe keine Spur beleidigt. Sie bahnten sich einen Weg durch die dichte Menschenmenge, ohne eventuelle Bekannte oder Freunde wahrzunehmen. An einem Süßigkeitenstand machten sie Halt und Gabe kaufte eine Tüte Popcorn für sich und Kate. Sie musste zugeben, dass er recht hatte. Sie hatte schon immer einen leichten Hang zum Pessimismus gehabt, aber erst, seitdem es mehr oder wenig bergab ging mit ihrem nichtexistenten Liebesleben, erwischte sie sich immer wieder dabei, wie sie in düsteren Gefilden schwebte. Als Gabe wegging, hatte er sie noch als normales, halbwegs fröhliches Mädchen in Erinnerung, doch jetzt erlebte er sie als zynische, verbitterte Meckertante ohne Hoffnung auf Besserung, musste Kate feststellen, und es war ihr fast ein wenig peinlich, sich so derart zum Schlechten verändert zu haben. Als hätte Gabe ihre Gedanken gelesen, sprach er sie auch prompt darauf an. "Willst du wissen, was ich denke?" Kate sah ihn unschlüssig an. "Ich bin mir nicht sicher..." "Früher warst du richtig schlagfertig und hast Jake immer in die richtige Richtung geschubst, auch, wenn du ihm dazu in den Arsch treten musstest." Er grinste über seine Metapher. "Und jetzt lässt du dich zu sehr mit deinen Problemen behängen, anstatt ihm mal richtig die Meinung zu geigen. Dabei würde gerade das euch beiden gut tun." Kate dachte eine Weile über Gabe's Worte nach und schüttelte dann belustigt den Kopf. "Wo hast du nur deine Weisheit her, Gabriel O'Leary?" Der Junge grinste und zwinkerte ihr zu. "Das bleibt mein Geheimnis." Dann wurde er wieder ernst. "Was ich eigentlich sagen wollte, war... Jake ahnt schon etwas und vielleicht wäre es besser, mit offenen Karten zu spielen. Viel mehr verlieren als jetzt kannst du sowieso nicht mehr." Kate filterte bei dieser Ansage nur die für sie relevante Information heraus. "Was meinst du mit 'er ahnt etwas'?" Gabe schien sich plötzlich unbehaglich zu fühlen und wand sich innerlich, das konnte sie an seinem gequälten Gesichtsausdruck erkennen. "Ich fürchte, das ist meine Schuld. Er wollte wissen, was los ist und warum niemand mehr mit ihm redet, also hab ich gesagt, dass ihr seine Aktion mit Rachel leicht daneben fandet..." Er räusperte sich unwohl. "Da war er still und hat überlegt und mich dann gefragt, was du mir dazu gesagt hast... Ich hab gesagt, nur das Offensichtliche und dass du dir nur Sorgen machst, und er wollte wissen, ob du dir Sorgen darüber machst, dass das mit Rachel ganz offensichtlich eine einmalige Sache war oder ob du dir eher... wegen euch beiden Sorgen machst..." Kate hatte die ganze Zeit schweigend zuhört, aber nun begann ihr Herz wild zu schlagen. Eine einmalige Sache?! Sorgen wegen ihnen beiden? "Was... soll das heißen?" "Ich hab keine Ahnung. Als ich gefragt habe, hat er irgendwas Undeutliches von wegen Freundschaft und so gemurmelt und musste dann ganz schnell auflegen." Auch Gabe war ratlos. "Weißt du", fügte er dann an, "alle halten Jake immer für blöd, aber das ist er nicht." Kate schwieg. Sie hatte sich immer auf Jake's Ahnungslosigkeit verlassen und vielleicht hatte sie damit einen Fehler begangen. Aber was sie noch viel mehr erschreckte, als die Tatsache, dass Jake ahnen könnte, was vorging, war ihr mangelndes Entsetzen dem gegenüber. Sie fühlte keine richtige Angst, wenn sie daran dachte, dass alle ihre Gefühle auffliegen könnten, keine Nervosität, wenn sie daran dachte, sich Jake endlich stellen zu müssen, keine Furcht, wenn sie daran dachte, dass er alles über sie wissen könnte, würde oder es womöglich schon tat. Alles, was da war, war Gleichgültigkeit... oder nein, es war vielmehr so etwas wie Erleichterung. Darüber, diese, gewiss auch höchst anstrengende, Farce nicht mehr aufrechterhalten zu müssen. "Alles klar?", wollte Gabe wissen, als sie eine Zeitlang schwieg und ihren widersprüchlichen Gedanken nachhing. "Tut mir echt leid, ich... hätte besser die Klappe gehalten, was?" Er lächelte nervös, aber Kate schüttelte nur den Kopf. "Schon gut, Gabe. Ich weiß ja, dass du recht hast, aber ich kann mich einfach nicht dazu durchringen." Sie fühlte sich plötzlich müde und erschöpft, aber zugleich war sie auch seltsam aufgeregt. Es war ähnlich dem Gefühl, im Bett zu liegen und die Augen nicht mehr offen halten zu können, aber gleichzeitig lief das Gehirn heiß und hielt einen stundenlang vom Einschlafen ab. Gabriel grinste schief. "Ja, das kenn ich." Sie begriff, dass es bei ihr genauso war, wie damals bei Gabe, als er ihrer besten Freundin nicht mitteilen wollte, dass er für lange Zeit weggeht. Und mit dieser Erkenntnis fiel auch das letzte kleinste bisschen Missbilligung, das sie bis heute noch für Gabe's Verhalten empfunden hatte. Es war immer die Angst und die Sorge, alles kaputt zu machen, alles zu verändern. Aber wenn es schlecht lief, war eine Veränderung vielleicht ganz gut. Mehr verlieren als ohnehin schon konnte sie sowieso nicht mehr, da hatte Gabe ganz recht gehabt. Jake in die Augen sehen zu müssen, mit dieser Gewissheit im Hinterkopf, dass er und Rachel... das würde sie nicht aushalten. Genauso wenig, wie sie es schaffen würde, ihm in die Augen zu sehen, nachdem er erfahren würde, was sie wirklich für ihn empfand. Es war eine verzwickte Situation, und sie konnte sich mit keiner von beiden anfreunden. In Kombination miteinander schienen sie sogar noch furchteinflößender zu sein. "Wie würde er bloß reagieren?", seufzte sie resigniert und handelte sich einen erstaunten Blick von Gabe an, der sich schnell beeilte, sie aufzumuntern. "Bestimmt nicht blöd oder so, du kennst ihn doch. Und bei dir schon gar nicht." Da war sich Kate nicht so sicher, denn sie kannte Jake's Bandbreite an unpassenden Reaktionen am besten. Trotzdem nickte sie abwesend, während ihr dieser alte, aber plötzlich nicht mehr erschreckende Gedanke immer und immer wieder durch den Kopf ging. "Wollen wir auf's Riesenrad?", fragte Gabe zuvorkommend und deutete mit dem Finger auf das Karussell, das bis in den Himmel ragte und, so kam es Kate zumindest vor, sich viel schneller drehte, als es eigentlich gut für ihren Magen sein würde. Sie zögerte, denn große Höhen, Loopings und andere, wagemutige Sachen waren eigentlich nichts für sie, aber zum Antworten kam sie gar nicht, denn schon stand Claire bei ihnen, die immer wie aus dem Nichts auftauchte, und ihr seufzend Micky's Hand in ihre legte. "Jetzt bist du mal dran", verkündete sie. "Wenn ich noch eine Minute am Kinderkarussell verbringen muss, flipp’ ich aus." "Gabe wollte gerade auf's Riesenrad", erwiderte Kate, ohne so recht zu wissen, warum sie das eigentlich sagte. Scharf darauf, mit ihm draufzugehen, war sie ja sowieso nicht und sie hatte auch nichts dagegen, ein wenig auf Micky aufzupassen - immerhin war er ihr Neffe und nicht Claire's. Diese warf einen kurzen, abschätzigen Blick auf die hohe Attraktion und zuckte dann gleichgültig mit den Schultern. "Ich geh mit ihm." Kate wusste nicht, wer überraschter war, sie selbst oder Gabe, aber beiden stand der Mund für einen kurzen Augenblick weit offen. Es war allerdings Gabe, der sich schneller wieder fing. "Wie bitte?", grinste er siegessicher. "Dürfte ich das noch einmal hören?" Claire blickte ihn nur tonlos an, ihr Gesichtsausdruck verriet Gleichgültigkeit und gleichzeitig war es eine Provokation. Es war klar, dass sie es nicht noch einmal wiederholen würde, und ebenso klar war, dass sie ihren Vorschlag sofort zurückziehen würde, wenn Gabe vorhatte, sie weiterhin zu triezen. "Okay, okay", gab dieser sich geschlagen, konnte sich aber ein schelmisches Lächeln nicht verkneifen. "Lass uns gehen." Kate sah ihnen nach, wie sie nebeneinander hergingen, in zügigem Tempo, das natürlich Claire vorgab. Ihr war wohl nicht nach gemächlichem Spaziergang, und Kate fragte sich, was dieser Sinneswandel eigentlich sollte und ob Claire heute etwas Falsches gegessen oder womöglich bewusstseinsverändernde Drogen genommen hatte. Aber sie hatte nicht viel Zeit, sich weiter darüber Gedanken zu machen, denn Micky zupfte an ihrem Ärmel und sah sie bittend an. "Können wir noch mal zu dem Autokarussell gehen?", fragte er und machte ganz traurige Hundeaugen. Kate überreichte ihm die Tüte Popcorn, die Gabe gekauft hatte, und er stopfte sich gierig eine handvoll in den Mund. "Willst du nicht mal was anderes ausprobieren?", schlug sie hoffnungsvoll vor. Sie wusste, dass, wenn Micky sich auf eine Sache versteifte, er nicht mehr davon loszueisen war. Noch eine Eigenschaft, die er mit Liz gemeinsam hatte. Der Junge dachte ernsthaft darüber nach und zog vor Anstrengung die Nase kraus, doch dann schüttelte er den Kopf. "Nein." Kate seufzte erneut auf. "Dann komm. Wir machen eine Runde und schauen uns alles an, vielleicht findest du ja noch etwas, das die Spaß machen könnte. Und wenn nicht, dann gehen wir auf's Autokarussell, okay?" Micky steckte nochmals seine Hand in die Popcorntüte und zog sie wieder heraus, verlor dabei in paar der weißen Maiskörner, die kullernd auf den Boden fielen. "Kaufst du mir eine Zuckerwatte?", fragte er, statt auf Kate's Vorschlag einzugehen. "Eine Blaue." Diese entschied sich, das als eine Zustimmung zu betrachten. "Sicher, das hab ich dir doch versprochen." Auf dem Weg zum Zuckerwattenstand blickte Kate empor in den Himmel und betrachtete die in dieser Höhe klein aussehenden, instabilen Kabinen des Riesenrads. In einer von ihnen hockten nun vermutlich Gabe und Claire, und Kate hätte nur allzu gern gewusst, wie sie auf so engem Raum miteinander auskamen und was sie da überhaupt zu suchen hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)