Every Little Thing von -Moonshine- ================================================================================ Kapitel 15: One-Day Luck ------------------------ Zuerst flocht ich die seltsamen Geräusche mit in meinen wirren Traum ein, an den ich mich schon wenige Sekunden nach dem Aufwachen nicht mehr erinnern konnte, aber erst, als ich wacher wurde, merkte ich, das irgendetwas daran nicht stimmte. Es hörte sich an, als ob... als ob etwas gegen die Fensterscheibe klatschte. Immer und immer wieder! Noch bevor ich richtig wach war, war ich in Panik! Es passierte schon wieder! Schon wieder warf jemand etwas gegen das Fenster! Genau in diesem Moment hörte ich, wie leise knarrend die Tür zum Schlafzimmer aufging und ein kleiner Lichtstrahl ins Zimmer fiel. Mir fiel ein halber Steinbruch vom Herzen, als ich Sean's Umrisse erkannte. Er war also wieder zurück! Er machte das Licht an und ich kniff die Augen zusammen, blinzelte. Langsam kehrte auch mein vollständiges Bewusstsein zu mir zurück und ich begriff, dass ich mich dieses Mal geirrt hatte... "Emily." Sean klang verwundert. "Warum bist du wach?" Er blickte direkt in meine noch immer vor Schreck geweiteten Augen und runzelte die Stirn. "Hattest du einen Alptraum?" Ich schüttelte nur den Kopf und kratzte mich verwirrt an der Stirn, schaute dann zum Fenster rüber, gegen das noch immer in unregelmäßigen Abständen die Zweige des Kirschbaums schlugen. Draußen musste es wohl ganz schön stürmen und im Halbschlaf hatte ich so einiges verwechselt. "Der Baum... und das Fenster. Ich dachte nur...", versuchte ich zu erklären und deutete mit einer hilflosen Geste Richtung Fenster. "Ja, draußen ist es wirklich ungemütlich", bestätigte Sean müde und zog sich seinen Pullover über den Kopf. "Aber keine Sorge, hier kann nichts geschehen." Er warf mir ein erschöpftes Lächeln zu und verschwand aus dem Zimmer, um ins Bad zu gehen. Schon kurz darauf kam er wieder zurück. Ich hatte mich wieder eingerollt, war viel zu müde, und dämmerte schon wieder langsam vor mich hin. Er löschte das Licht und legte sich neben mich, zog mich näher zu sich heran. Ich spürte seinen nackten, warmen Oberkörper durch mein Schlafshirt an meinem Rücken, sein Arm lag locker um meine Taille. Plötzlich spürte ich seinen warmen, kitzelnden Atem an meinem Ohr. "Wir könnten auch genau da weitermachen, wo wir aufgehört haben, bevor ich gegangen bin... erinnerst du dich?", fragte er grinsend, süffisant. Ich gähnte. Das dachte er sich so! Ich war viel zu müde für diese Spielchen. Die konnte er ja die restlichen 16 Stunden am Tag mit mir spielen, aber nicht während meiner acht Stunden verdientem Schlaf, noch dazu, wo er mich so hatte hängen lassen, dieser Schuft! Langsam tastete ich mit der Hand nach der Decke, die kurz unter seine Hand auf meinem Körper aufhörte und zog sie mir demonstrativ hoch bis zum Kinn, ohne weiter auf ihn zu reagieren. Er lachte leise. "Verstehe." Ich öffnete den Briefkasten und die ganze Post purzelte mir schon entgegen. Ein Briefumschlag segelte auf den Steinboden und Sean hob ihn auf, während ich die anderen Briefe in meinen Händen sortierte und den Kasten wieder zuklappte und abschloss. "Ganz schön viel Post. Meinst du, dein Geisternachbar schiebt dir heimlich seine Rechnungen zu?", grinste er. Ich warf ihm einen bösen Blick zu. "Haha, sehr witzig", sagte ich trocken und ging voraus zu meiner Wohnungstür, um auch diese zu öffnen. Ich hatte genau darauf geachtet, ob nicht irgendein ominöser Briefumschlag im Briefkasten lag und auch auf der Fußmatte ließ sich nichts vorfinden. Das war gut. Mal sehen, ob meine Wohnung noch lebte. Langsam schloss ich auf und steckte vorsichtig den Kopf herein. Alles sah noch genauso aus wie vor ein paar Tagen, als ich sie verlassen hatte. Erleichtert atmete ich auf und schlüpfte durch die Tür. Sean schlenderte ganz lässig hinter mir herein. Es war Samstag Morgen und er hatte mir angeboten, mich nach Hause zu fahren, damit ich ein paar Sachen mitnehmen konnte. Kleidung und anderes, was ich sonst noch brauchte. Meinen zaghaften Vorschlag, mich doch einfach ganz da zu lassen, wollte er gar nicht hören. Ich deponierte die Post auf dem Schreibtisch und machte mich geschäftig daran, mein Zimmer nach Zeug abzusuchen, das ich bei Sean möglicherweise gebrauchen könnte. Zum Beispiel musste ich ein neues Buch mitnehmen, das Alte hatte ich schon ausgelesen. Hatte ja auch genügend Zeit, jetzt, wo ich von der Arbeit "suspendiert" war und während dem ganzen anstrengenden und ehrlich gesagt etwas peinlichen "Sean-aus-dem-Weg-Gehen". Gerade stand ich grübelnd vor meinem Bücherregal, als das vertraute Klingeln ertönte, das mir in letzter Zeit so eine Angst eingejagt hatte. Das Telefon! Ich erstarrte und wand mich hilflos an Sean. Unsere Blicke begegneten sich und er hob fragend die Augenbrauen. "Soll ich rangehen?", bot er an. Ich nickte zögernd und trat ganz dicht an ihn heran, um möglicherweise mitzuhören. Er hob den Hörer an sein Ohr. "Hallo?" Schweigen. Niemand antwortete. Doch dann, ganz plötzlich, quakte es vorwurfsvoll aus der Muschel heraus, aber ich konnte nicht verstehen, was die aufgebrachte Frauenstimme sagte. "Einen Moment", gebot Sean der keifenden Frau am Telefon gelassen und hielt mir den Telefonhörer hin, grinste. "Für dich." Zaghaft ergriff ich ihn und hielt ihn mir ans Ohr. "Ja?" "Wer war das?!" Sofort entspannte ich mich wieder und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. "Jo", stellte ich aufatmend fest. Es war meine beste Freundin und ich war unendlich froh, ihre Stimme zu hören. "Ja, Jo", herrschte sie mich scharf an. "Dieselbe Jo, die schon seit Tagen versucht, dich zu erreichen, du Tröte!" Obwohl sie so aufgebracht war, konnte ich mir mein verräterisches Lächeln, das sie zum Glück nicht sehen konnte, nicht aus dem Gesicht wischen. "Wo hast du gesteckt? Und wer ist dieser Kerl? Ist ER das?" Sie ließ mir gar keine Zeit, etwas zu sagen. "Er hat 'ne schöne Stimme." Ich war ganz erschlagen von ihrem Redefluss und ihren ganzen Fragen. "Ja...", murmelte ich noch etwas irritiert, nicht so recht wissend, worauf ich zuerst eingehen sollte. Sean entfernte sich aus Höflichkeit etwas weiter weg, aber ich konnte an seinem Blick erkennen, dass er trotzdem neugierig war. Er stellte sich ans Fenster und schaute hinaus, hörte aber dennoch jedes Wort, das ich sagen würde. Indessen ließ Jo wieder einen Schwall Fragen los. "Und, wie ist er so? Ist er nett? Sieht er genauso gut aus, wie seine Stimme sich anhört? Warst du etwa die ganze Zeit bei ihm?" Ich warf einen nervösen Blick zu Sean. "Ähm... Jo... ich kann grad nicht so gut reden", murmelte ich verhalten. Sofort wandte sich Sean zu mir und grinste süffisant. "Oh, wenn es um mich geht, lass dich von meiner Anwesenheit nicht stören. Mir macht das gar nichts aus." Sehr großzügig. So ein arroganter... "Es geht gar nicht um dich", stutzte ich ihn zurecht und rümpfte die Nase. "Wir haben auch noch andere Gesprächsthemen, Mister, auch wenn das schwer zu glauben ist." Eine glatte Lüge, aber sein Ego war meiner Meinung nach schon groß genug. Das musste nicht auch noch verhätschelt werden. Er glaubte mir nicht, das konnte ich glasklar an seinem durchtriebenen Lächeln erkennen, aber er sagte nichts weiter und ließ mich weiter telefonieren. Wie sich schnell herausstellte, hatte Joanna mir lediglich mitteilen wollen, dass sie früher als erwartet zurückkommen würde. Schon in wenigen Wochen! Ich freute mich wahnsinnig, als sie das erzählte, und wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen, aber sie war ja gerade Tausende von Meilen von mir entfernt, also musste ich mir das für später aufheben. Oder ich würde mit Sean vorlieb nehmen müssen, immerhin war er gerade verfügbar und bestimmt nicht die schlechteste Wahl auf Erden... Jo nannte mir noch den genauen Termin. Die Flugtickets waren schon gebucht und bezahlt und sie warnte mich noch vor, dass sie nicht mehr anrufen würde, weil ihr langsam das Geld ausging. Wie ich glaubte, auch der eigentliche Grund für die verfrühte Rückkehr. Ziemlich gelöst und gut gelaunt verabschiedete ich mich von ihr und berichtete Sean von der tollen Neuigkeit. Obwohl es ihm sicherlich mehr oder weniger egal war, lächelte er höflich und freute sich für mich mit. Danach packte ich schnell meine Sachen und wir fuhren zurück. Die Dinge entwickelten sich immer besser und meine Laune war fast auf dem Höhepunkt, wäre da nicht dieses beklemmende Gefühl irgendwo im Hintergrund, das mir sagte, mich nicht zu sehr zu freuen, dieser Leichtigkeit nicht zu trauen, weil es noch immer ein Bekloppter auf mich abgesehen hatte. Wir würden sehen, was die nächsten Tage noch mit sich bringen würden... Nachdem es gestern so schrecklich viel geregnet hatte, war heute ein erstaunlich sonniger Tag. Es passte irgendwie zu meiner guten Laune. Ich war absolut glücklich, denn ich hatte Sean und er war so toll und eh und jäh, und bald würde ich auch noch Joanna haben. Was wollte ich denn mehr? Ich klickte auf "Abmelden" bei meinem Email-Account und wollte gerade aufstehen, als mir etwas anderes einfiel. Ich wollte doch schon seit einer Ewigkeit mal bei Ebay wegen ein paar günstigen Spielzeugen für den Kindergarten suchen. Unser Budget war zurzeit etwas knapp bemessen... Welcher Teufel mich ritt, wusste ich nicht, denn als die Seite geladen war, tippte ich, wie von selbst, "Edelstahltöpfe" in die Suchzeile und drückte neugierig auf die Entertaste. Immerhin fehlten mir ja sämtliche Töpfe zu Hause und ich musste mir früher oder später neue zulegen. Da ich momentan bei Sean war, fiel das nicht so sehr ins Gewicht, aber in meiner verlassenen Wohnung befanden sich gerade mal zwei Pfannen und ein sehr kleiner Kochtopf. Sofort spuckte mir die Seite ein paar wenige Ergebnisse aus und ich überflog die Resultate. Eins davon war gekennzeichnet mit "52 Gastronomie-Geschirrteile". So viele brauchte ich nun auch wieder nicht... Ich schaute weiter. Das zweite Ergebnis umfasste einen Topf und eine Pfanne. Auch nichts für mich. Erst das dritte Resultat erweckte meine Neugier. Ich klickte auf das Bild des Topfsets und las mir die Beschreibung durch, wobei mir fast die Luft wegblieb! Ich führte mir das Bild noch einmal zu Gemüte und starrte es sekundenlang unbeweglich an. Das waren sie! Das waren meine Töpfe! "D... das... sind ja meine!", stammelte ich verblüfft und aufgebracht. Sean, der auf der Couch saß und in die Zeitung versunken war, blickte auf. "Was sagst du?" Ich drehte mich zu ihm um und starrte ihn aus großen Augen an, zeigte auf den Bildschirm. "Meine Töpfe! Die gestohlen wurden! Da sind sie, ich habe sie gefunden!" Zappelnd rutschte ich auf dem Stuhl hin und her und winkte ihn aufgeregt zu mir heran, während er die Zeitung weglegte, aufstand, zu mir herumkam und sich hinter mich stellte. Er beugte sich vor und betrachtete schweigend die Internetseite, die auf dem Bildschirm prangte. "Emily", sagte er langsam, ganz so, als spräche er zu einem Kind oder einer Geistesgestörten. "Es gibt sicher Hunderte von diesen Edelstahltöpfen und dass das ausgerechnet die sind, die dir gestohlen wurden, ist eher... na ja, unrealistisch." "Aber sie sind es!", beharrte ich empört. Ich würde jawohl noch mein Eigentum erkennen können! "Schau doch, hier..." Ich scrollte runter und tippte mit dem Finger auf den Monitor, auf die Beschreibung. "Hier steht, dass zwei Deckel fehlen! Und weißt du, warum?!" Er schüttelte den Kopf. "Weil einer mir runtergefallen und zerbrochen ist und den anderen haben sie nicht mitgenommen! HA!", rief ich triumphierend. Sean runzelte die Stirn und starrte schweigend weiterhin auf den Bildschirm. "Glaubst du wirklich...", begann er und ich konnte die Unsicherheit in seiner Stimme hören, "dass jemand so dumm ist und die Hehlerware so öffentlich verkauft?" Ich zuckte mit den Schultern. "Ist doch egal. Das hier sind aber meine Töpfe!", verlangte ich. "Schau doch." Ich tippte wieder auf den Monitor. "Die Postleitzahl!" Es war die Postleitzahl unserer Stadt. Sean sog hörbar die Luft ein. "Tatsächlich...", murmelte er ungläubig. "Ich muss sofort ins Revier und das melden. Auch die anderen Waren müssen überprüft und mit dem Gestohlenen abgestimmt werden und..." Er war schon auf dem Weg zur Tür, als er plötzlich wie angewurzelt stehen blieb und sich zu mir umdrehte. "Oder... ich kann auch anrufen", meinte er dann entschuldigend und ein wenig kleinlaut an meine Adresse. Das klang ja fast so, als wollte er mich nicht allein lassen. Ich lächelte ihm beruhigend zu. "Geh nur. Ich komm schon zurecht." Er schüttelte entschieden den Kopf. "Ich wollte heute sowieso noch die Wäsche waschen." Was für eine lausige Ausrede aus der Mund eines Mannes. Allerdings hatte ich auch noch Schmutzwäsche und er hatte mir versprochen, dass ich seine Waschmaschine benutzen könnte. So brauchte ich mich nicht auf Klamotten zu beschränken, solange ich bei ihm war. "Ich auch", seufzte ich. Und dann sagte ich etwas, was ich im nächsten Augenblick schon wieder bereute: "Ich hab nicht so viel, also können wir..." Dann hielt ich inne, schluckte, als mir die eigentliche Bedeutung klar wurde, und errötete bis in die Haarspitzen. Er starrte mich genauso überrascht an und zu meinem großen Erstaunen kratzte er sich unangenehm berührt am Oberarm, lächelte sogar ein wenig verlegen, unsicher. "Oh, vergiss es. Das war eine dumme Idee, ich weiß auch nicht...", stammelte ich, als er mich unterbrach: "Nein, nein... ist schon gut, ich... mir hat bis jetzt nur noch niemand angeboten, meine Wäsche zu waschen. Zusammen mit seiner", fügte er schmunzelnd hinzu. Ich senkte meinen Blick und meine Augen flatterten unruhig hin und her. "Tja, also..." Stotternd suchte ich nach etwas, was ich fixieren konnte. "Dann wasch du zuerst deine und danach kann ich... meine..." Ich wurde zum Ende hin immer leiser und meine Stimme versagte endgültig, noch ehe ich zuende sprechen konnte. Ich fühlte mich echt wie ein Idiot. Wie konnte ich ihm so was nur aufdrängen! Ich hatte mal wieder nicht nachgedacht... "Ich dachte, du hast nicht so viel?", hakte er nach, ganz unschuldig. Ich nickte. "Tja, ich hab auch nicht allzu viel... also... lohnt es sich ja praktisch nicht, die Maschine zweimal anzuwerfen, oder?" Erstaunt blickte ich auf, schaute ihn an und er zwinkerte mir schelmisch zu. Dann nahm er seine Jacke vom Haken, denn er stand immer noch in der Nähe der Tür und sah mich bittend an. "Darf ich?" "Ja, na klar, geh nur", japste ich aufgeregt. Hatte er mir gerade zugestanden, unsere Wäsche zusammen waschen zu dürfen?? Das war ja so aufregend! Ich hatte noch nie zusammen mit einem Mann die Wäsche gewaschen... Ich stellte mir vor, wie seine Kleidung und die meine in der Wäschetrommel durcheinandergewirbelt wurden und gezwungenermaßen waren da auch Unterwäscheteile dabei... zumindest in meiner Fantasie. Schon allein bei dem Gedanken wurde ich rot, konnte mir aber auch ein Grinsen nicht verkneifen. Sean runzelte belustigt die Stirn. "Ich beeil mich und... lass die Wäsche am besten liegen, bis ich wieder da bin, denn sonst komm ich mir vor wie ein Sklaventreiber. Ich mach das dann schon, ja?" Ich bejahte zwar, wusste aber gleichzeitig, dass ich sicherlich nicht auf ihn warten würde. Erstens wollte ich schon alles gemacht haben, bevor er wiederkam und zweitens, und ganz wichtig, war bei meiner Wäsche ganz eindeutig auch meine Unterwäsche dabei und na ja, das machte ich dann doch lieber selber, fernab von seinen Blicken... Mir kam es gar nicht in den Kopf, dass er womöglich dieselben Bedenken haben könnte, nur eben wegen seiner Unterwäsche. Ich wurde fast ein bisschen rot und stopfte unsere Wäsche blitzschnell in die Wäschetrommel, ohne richtig hinzusehen. Das war wirklich eine peinliche Angelegenheit und ich konnte nur hoffen, dass Sean mir deswegen nicht allzu böse sein würde. Als ich fertig war mit dem Beladen der Waschmaschine, schlich ich mich schuldbewusst in die Küche, um meinen Kopf in den Kühlschrank zu stecken. Wie lange würde Sean wohl wegbleiben? Lange würde es sicherlich nicht mehr dauern, immerhin war er schon fast eine Stunde weg... In meine Überlegungen hinein klopfte es an der Tür, begleitet von einem flötenden "Emily, ich bin's", das eindeutig zu Mrs. Delaney gehörte. "Herein!", rief ich und die Tür öffnete sich zaghaft, woraufhin sie hereintrat. Ich lächelte ihr aufmunternd zu. Heute war ein echt schöner Tag! "Oh, Emily, Kindchen, ich hab hier etwas für Sie." Sie kam gemächlich zu mir herüber und schwenkte einen Briefumschlag in der Hand. "Vorhin hielt ein rotes Auto und das hier lag eben vor der Tür..." Ich schaute zur ihr herüber und schloss mit einem flauen Gefühl die Kühlschranktür wieder zu. Jemand legte einen Briefumschlag vor die Tür. Das kannte ich schon... Jemand legte bei Sean einen Briefumschlag für mich vor die Tür, obwohl doch niemand wusste, dass ich hier war! Das kannte ich noch nicht, aber mir blieb auch gar nichts erspart. Beunruhigt streckte ich die Hand nach dem weißen Umschlag, auf dem in dicken, bereits bekannten Buchstaben mein Name verzeichnet war, aus und nahm ihn an mich. Meine Hände zitterten und mein Herz klopfte unnatürlich schnell vor Angst, aber während Mrs. Delaney noch hier war, musste ich mich zusammenreißen. Ich zwang mich zu einem halbherzigen "Danke" und wischte mir mit meinem Ärmel über die Stirn. "Dann lass ich Sie mal Ihren Brief lesen", verabschiedete sich Mrs. Delaney mit einem sorgenvollen Stirnrunzeln und verschwand wieder durch die Tür, während ich abwesend nickte und mich nicht so recht traute, den Umschlag aufzureißen. Nach einigem Hin und Her – ich war doch zu feige und mir schwante Unheilvolles – entschied ich mich dazu, auf Sean zu warten. Ich musste mich wirklich überwinden und über meinen Schatten springen, um nicht auch diesen Brief vor ihm geheim zu halten, damit er sich nicht noch mehr sorgte – und außerdem war es gerade so schön zwischen uns, diese erneute Drohung würde den wundervollen Tag eindeutig kaputtmachen -, aber ich hatte es ihm versprochen und ich wusste auch, dass ich ihm mehr Vertrauen schenken sollte. Es fiel mir zwar schwer, denn jedes Mal, wenn ich ihn ansah, wurden mir die Unterschiede zwischen ihm und mir bewusst, doch trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen -, war es wirklich nötig, dass ich mich nicht mehr so in mein Schneckenhäuschen zurückzog. Nicht lange dauerte es, bis er zurückkam. Sofort erblickte er den Umschlag in meiner Hand, mit meinem Namen drauf, und schüttelte nur stumm, fassungslos den Kopf, als ich ihm einen unsicheren Blick zuwarf. Langsam und erstaunlich ruhig, was eindeutig seine Anwesenheit hervorrief, riss ich den Brief auf und holte das weiße Blatt heraus, auf dem nur ein einziger Satz geschrieben stand. Ein Satz, dem ein übergroßes Ausrufezeichen folgte. Der Inhalt war nicht überraschend und dann wiederum doch. Es schockte mich jedes Mal auf's Neue. "Halt dich ein für alle Mal von ihm fern, sonst wirst du es bereuen!" _____ Link zu den ELT Short- & Lovestories: in der Kurzbeschreibung. ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)