All Your Other Ways von -Moonshine- ================================================================================ Kapitel 15: - Liz - ------------------- Liz fühlte sich wie ein Zombie. Und wahrscheinlich sah sie auch so aus. Sie hatte die ganze Nacht in ihren Klamotten vom Vorabend verbracht - nein, sie hatte nicht in ihnen geschlafen, weil sie gar nicht geschlafen hatte! -, und ein Blick in den Spiegel hatte ihr bestätigt, dass sie dunkle Ringen unter den Augen hatte und alles in einem... ziemlich verhärmt und alt und müde aussah. Aber das war ihr egal. Sie fühlte sich... gar nicht. Da war etwas in ihrem Inneren, dass sie als Eisblock bezeichnet hätte. Als etwas Gefrorenes, Erstarrtes, das es ihr leichter machte, durch den Tag zu kommen. Und das sie sinnvolle Entscheidungen treffen ließ, ohne dass sie Bedauer darüber empfand. Und genau deshalb betrat sie an diesem Morgen seelenruhig das Büro der alten Hexe und legte ihr mit einer fast schon gespenstischen Gefasstheit einen Briefumschlag auf den Tisch. Einen Briefumschlag, in dem sich ihre Kündigungspapiere befanden. Mrs. Witch starrte sie aus großen Augen an, während Liz erklärte, dass sie sich die nächsten drei Wochen Urlaub nehmen würde, bis die Kündigung Anfang des nächsten Monats in Kraft träte. Auf die verdutzten, schwachen Widerspruchsversuche ihrer ehemaligen Chefin reagierte sie gar nicht erst und war wieder aus dem Gebäude verschwunden, noch ehe irgendjemand die Sachlage realisieren oder analysieren konnte. Nichts spielte sich in ihren Gedanken ab, als sie mit ihrem Spider, den sie heute ausnahmsweise mal benutzte, zu ihrer Wohnung fuhr, dort ihre Sachen packte und sich auf den Weg nach North Collingham machte. Wie durch einen Schallschutz hörte sie den Verkehrslärm, ihre Nachbarin, die sie grüßte und das Dudeln des Radios, bis sie es abschaltete. Alles, was in ihren Ohren pochte, war ihr Herz, laut und regelmäßig und dumpf. Mit einem Tempo, das sie vorher aus Besonnenheit vermieden hatte, raste sie aus der Stadt heraus, auf die freien, ländlichen Straßen Mittelenglands, als wollte sie nicht nur John und der Stadt, sondern auch ihren Gefühlen entkommen. Doch natürlich war es sinnlos. Irgendwann musste sie loslassen, und als sie begriff, dass sie ihrem Schmerz nicht davonlaufen konnte - nicht einmal nach Hause zu ihren Eltern - und er sie immer einholen würde, ließ sie los und es überkam sie. Sie drosselte ihre Geschwindigkeit und machte das Radio wieder an, damit da noch etwas anderes war, das sie hörte, anstatt den immer dröhnenden Worten von John in ihrem Ohr. "Jemanden zu finden, der zu einem passt und den man liebt..." Hatte er etwa sie damit gemeint? Natürlich hat er dich damit gemeint, du dumme Nuss, schalt sie sich. Wen sonst? Warum hatte sie es nicht früher gemerkt? Warum hatte sie dem ganzen nicht früher Einhalt geboten? Es war ihre eigene Schuld, dass sie sich nun so fühlte, wie sie sich fühlte. Sie hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen, aber nun war sie genau dort, wo sie niemals hatte sein wollen. Und obwohl sie Judy widersprochen und versucht hatte, Mel vom Gegenteil zu überzeugen, so konnte sie es nicht länger vor sich selbst geheim halten... Natürlich hatte John sie eingefangen. Irgendwie hatte er es geschafft. Und das, was sie für ihn empfand war - vermutete sie zumindest - so etwas wie Verliebstein. Aber wie konnte er das geschafft haben, was vor ihm niemand zuwege gebracht hatte? All die coolen Typen mit ihren verschmitzen Grinsen, ihren spannenden Leben und ihren draufgängerischem Äußeren. Mit ihren Motorrädern, die einem die Luft wegbleiben ließen, wenn man damit fuhr, und mit ihren wirklich unkonventionellen Ideen und den unausgereiften Umgangsformen. Wie hatte John es geschafft, sich an all diesen vorbei zu schlängeln und sich in ihrem Herzen einzunisten, obwohl dort kein Platz für ihn hätte sein sollen? Sie hasste ihn dafür. Hasste ihn, dass er ihr solche Gefühle beschert und dass sie nun damit zu kämpfen hatte. Aber sie würde ihm nicht auch noch ihre Freiheit opfern. Er hatte sich gestern klar genug ausgedrückt und auf keinen Fall wollte sie sich selbst so hintergehen. Nicht ein Mann auf dieser Welt würde sie dazu bringen, für ihn alles aufzugeben. Nicht einmal John, nicht einmal jemand, der sie so verrückt machte. Schon seltsam, ging ihr durch den Kopf. London war immer ihr sicherer Ort gewesen. Ihr sicherer Hafen. Groß, laut, grau - aber sicher. Ein Ort, an den sie immer zurückkehren konnte, wenn sie erschöpft von ihrer Familie oder für einen ihrer Artikel unterwegs gewesen war. Und jetzt wollte sie nur noch weg von hier. Gar nichts mehr war an London sicher - John hatte ihr alle Sicherheiten genommen, die sie zu glauben gehabt hatte. Und das, ohne dass sie es bemerkt hatte. Sie ärgerte sich furchtbar über sich selbst. Während der Fahrt war sie abwechselnd wütend und verzweifelt, und beide Emotionen wechselten sich ab, bevor eine der beiden ihren Höhepunkt erreichen konnte. Doch als sie nach Dyke's End einbog und das Haus ihrer Eltern in Sicht kam, fühlte sich Liz einfach nur noch ausgelaugt und tieftraurig. Und plötzlich begriff sie, dass das ihr sicherer Hafen war. Ihre Zufluchtsstätte, wann immer es ihr schlecht ging, wann immer sie Sehnsucht nach etwas Bekanntem hatte und wann immer sie sich in der großen Stadt verloren fühlte. Liz war niemand, der sofort anfing zu heulen, wenn es hart auf hart kam. Liz hatte auch nicht vor, hier herum zu flennen, wie ein kleines Mädchen. Nicht wegen einem Typen. Schon gar nicht wegen John. Das wäre ja noch schöner! Sie zwang sich, sich zusammenzureißen, und dachte an ihre Mutter, die ihr gleich die Tür öffnen und sie begrüßen würde. Sie würde sofort sehen, dass etwas nicht stimmte. Und Liz verspürte widersprüchliche Gefühle. Einerseits wollte sie sich in der Sicherheit des mütterlichen Schoßes flüchten und sich trösten lassen, andererseits hatte sie den leisen Verdacht, dass ihre Mutter sie ganz und gar nicht verstehen würde. Vor allem dachte sie wahrscheinlich noch immer, John wäre ein Musiker, wenn Judy ihr nicht Bescheid gesagt hatte. Und Judy plauderte niemals irgendetwas aus, es sei denn, man bat sie darum. Liz hatte sie nicht gebeten. Sie seufzte, parkte ein und schnappte sich ihre Tasche. Sie könnte Judy heute Abend anrufen und sie herbestellen. Oder sie könnte auch nach Lincoln fahren, wo Judy, Alan und Micky wohnten, aber obwohl Liz Alan mochte, war er immer noch ein Kerl und er war einfach "da" - und bei so etwas war ein Mädchenabend immer viel, viel besser. Sie wunderte sich, dass die Tür nicht sofort aufsprang, noch bevor sie klingeln konnte, so wie immer. Und es dauerte auch ziemlich lange, bis sie von innen Schritte hörte, die ganz bestimmt nicht ihrer Mutter gehörten. Liz runzelte die Stirn. Es war Danny, der da in der Tür stand - verwundert und etwas entsetzt starrte er seine Schwester schweigend an. Liz brachte ein klägliches Lächeln zustande. Der skeptische Blick ihres Bruders setzte ihr zusätzlich zu. Seit wann war sie eigentlich so dünnhäutig? Das musste dringend aufhören! "Hallo", begrüßte sie ihn und er trat zur Seite und ließ sie eintreten. "Hi", murmelte er, einsilbig wie immer. "Was machst du hier?" Liz zuckte nur mit den Schultern, ließ ihre Tasche am Fuß der Treppe stehen und schlenderte ein wenig durch den Flur, steckte den Kopf in die Küche, in das Wohnzimmer. Es war erstaunlich ruhig in dem Haus - was sie nur selten erlebt hatte. Verwundert sah sie wieder Danny an. "Wo sind denn alle?" "Dad ist arbeiten." Das hatte Liz sich schon gedacht. "Und Mum ist bei Bekannten in Langford." Eine Weile starrte Liz ins Leere. Die Information, dass ihre Mutter jetzt gerade nicht verfügbar war - dass im Moment eigentlich überhaupt keiner verfügbar war - setzte sich wie ein schwerer Stein in ihrem Brustbereich ab und erst, als sie Danny's entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte, wurde ihr bewusst, dass ihre Augen sich mit Tränen gefüllt hatten. Tränen! Liz hatte nicht mehr geheult, seit sie 13 Jahre alt gewesen war. Und als sie mit 16 den Liedtext "Supergirls don’t cry" gehört hatte, hatte sie sich fest vorgenommen, niemals wegen irgendetwas zu weinen. Das brachte einen einfach nicht weiter und war Zeitverschwendung. Nur schwache Menschen heulten über unabänderliche Tatsachen. Starke Menschen lösten Probleme! Schnell versuchte sie, die Tränen wegzublinzeln, aber je länger Danny sie anstierte - mittlerweile verzweifelt und verängstigt - desto schlimmer fühlte sie sich. "Liz?", hakte er schließlich vorsichtig und leise nach. "Alles okay?" Sie nickte und eilte hastig an ihm vorbei. Reden konnte sie jetzt nicht, denn der Kloß in ihrem Hals machte das unmöglich. "Soll ich vielleicht... Mum anrufen?" Danny schlich hilflos hinter ihr her, dabei wäre es ihr am liebsten gewesen, er würde sie in Ruhe lassen. Dass sie hier so die Kontrolle verlor, war ihr zutiefst peinlich. "N... nein", stammelte sie erstickt. Sie war immer die starke Schwester gewesen, fiel ihr ein. Danny hatte sie noch nie so gesehen. Kein Wunder, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Dann fühlte sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter. Nur ganz leicht berührte er sie, als hätte er Angst, dass sie ihm den Arm abreißen würde. Und diese Berührung war ausschlaggebend. So viel Trost sie sich im Moment auch wünschte, dass er ausgerechnet von Danny kam, von dem sie es am wenigsten erwartet hatte, ließ alle ihre Mauern einstürzen und sie lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter und konnte sich nicht mehr zurückhalten. Unbeholfen, aber ausdauernd und schweigend strich Danny ihr über den Rücken, während sie stumm schluchzte. Erst, als sie langsam verstummte, wagte er es, das Wort an sie zu richten. "Liz", flüsterte ihr Bruder eingeschüchtert, "was ist passiert?" Sie schüttelte nur den Kopf, doch er ließ sie nicht mehr vom Haken. "Ich rufe Mum an, wenn du es mir nicht sagst", grummelte er streng, und sie musste unter ihren Tränen ein wenig grinsen. Diese Einschüchterungsversuche hatte er sich eindeutig bei ihr abgeguckt. "Ich hab mit John Schluss gemacht", murmelte sie undeutlich, die Stirn immer noch an Danny's warmer Brust. Er räusperte sich. "Dein Freund?" "Jetzt nicht mehr..." Danny atmete laut aus. "Oh Gott. Ich dachte schon, jemand hätte dich überfallen oder schlimmeres", gestand er erleichtert und die Erleichterung machte es ihm einfacher, sie nun ganz fest in die Arme zu schließen und zu drücken, was ihr unendlich gut tat. "Was hat er gemacht? Soll ich ihn für dich verprügeln?" Liz konnte ein ersticktes Lachen nicht unterdrücken, doch dann musste sie schon wieder weinen, als sie daran dachte, dass John absolut nicht der Typ dafür war, verprügelt zu werden. Doch nicht der gradlinige, aufrichtige, ein bisschen trottelige John, der immer das Richtige im richtigen Augenblick sagte - bis auf dieses eine Mal. "Nein", schluchzte sie wimmernd und Danny seufzte. "Ich hab auch meinen Job gekündigt", gab sie kleinlaut zu. "Den hast du eh gehasst", erwiderte Danny trocken, was sie wieder zu einem verzweifelten Lachen brachte. Ihr Bruder war wirklich ein toller Mensch. Warum hatte sie das nicht früher entdeckt? "Stimmt." Sie löste sich von ihm und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Wie gut, dass sie sich heute nicht geschminkt hatte - in weiser Voraussicht anscheinend. Sie warf Danny ein verheultes, verlegenes Lächeln zu. "Tut mir leid... Ich geh besser mal nach oben, um mir ein Zimmer einzurichten." "Bleibst du?", wollte er wissen. Sie nickte. "Eine Weile. Tut mir leid für..." Sie beschrieb eine vage Handbewegung, "das hier... Die Heulerei." Danny zuckte unbeteiligt mit den Achseln. "Kein Problem. Soll ich Mum wirklich nicht anrufen? Sie könnte in fünf Minuten da sein?" "Nein, schon okay. Sie wird früh genug merken, dass ich hier bin." Danny nickte, aber er war nicht besonders überzeugt. Als sie sich ihre Tasche schnappte und nach oben ging, spürte sie noch immer seinen besorgten Blick im Rücken. Innerhalb weniger Stunden hatte sich Liz's Verzweiflung in Groll verwandelt, was vielleicht damit zusammenhing, dass bereits jemand ihr Ego getätschelt hatte. Danny's Zuwendung war mehr gewesen, als Liz hatte ertragen können, und mehr, als sie jemals von ihrem Bruder erwartet hatte. Schon seit längerer Zeit machte ihr das eher kühle Verhältnis zu ihm zu schaffen, denn sie war als Kind wild und laut und Danny war immer jemand gewesen, der sich am wenigstens wehren konnte. Natürlich hatte sie das damals ausgenutzt. Kate zum Beispiel - sie und Danny waren wie gute Freunde. Sogar mehr als das. Sie waren sich ähnlich und dann wiederum nicht. Beide waren von einem eher stilleren, ernsten Naturelle, doch während Kate wissbegierig und eine kleine Streberin war - und Liz meinte das bestimmt nicht abwertend - war Danny immer schweigsam und einsilbig gewesen - zumindest in ihrer Gegenwart. Nie wusste sie, was in seinem Kopf vorging, was er denken könnte, was er mochte, was er wollte. Er war immer ein Rätsel für sie gewesen - und je mehr sie versucht hatte, das Rätsel zu lösen - notfalls mit Gewalt-, desto mehr hat er sich zu einem noch größeren Rätsel für sie entwickelt. Als Kind war ihr das nicht klar gewesen, aber nun wurde ihr nach und nach bewusst, dass Danny kein Rätsel war, dass es zu knacken galt - er war einfach nur ihr Bruder. Ein junger Mann, der, umgeben von lauter Weibern, seine eigene Nische hatte finden müssen, um inmitten des Amazonentrupps nicht unterzugehen. Zumindest, dachte sie, beschäftigte sie sich jetzt nicht mehr so viel mit John. Danny war eben auch den ein oder anderen Gedanken wert. Er hatte sein Wort gehalten und Mrs. Winston nicht sofort in Alarmbereitschaft versetzt. Als Liz - zwei Stunden später - den Schlüssel im Schloss hörte, horchte sie auf. Ihre Mutter musste doch den Spider in der Auffahrt gesehen haben? "Liz?", rief sie sogleich auch durch das ganze Haus. "Bist du zu Hause?" "Ja, Mum!", brüllte Liz zurück und erinnerte sich an früher, wenn Gespräche zwischen den Kids ständig von Zimmer zu Zimmer geschrieen wurden, bis Mr. Winston, ihr Vater, dann ein Machtwort sprach - beziehungsweise von unten hoch brüllte. Liz, die daran gegangen war, die Schränke und Schubladen ihres alten Zimmers auszuräumen und wieder neu einzusortieren, erhob sich und machte sich auf den Weg nach unten. Da ihr nicht mehr zum Heulen zumute war, sondern sie einfach nur noch in ihrer schlechten Laune schwelgte, entschied sie sich dagegen, ihrer Mutter von John zu erzählen. Sie würde es ja doch nicht verstehen. Während ihre Mutter angeregt über das Leben der Hammonds aus dem Nachbarort - der übrigens aus nur einer einzigen Straße bestand -, plauderte, hatte es sich Liz in der Küche gemütlich gemacht und schaute ihr dabei zu, wie diese fröhlich brabbelnd Tee zubereitete. Doch dann drehte sie sich zu Liz um und maß sie mit den Augen. Prüfend schaute sie sie an und überlegte. "Was ist, Mum?", hakte Liz misstrauisch nach. "Judy hat mir von deinem Freund erzählt." Verdutzt schwieg Liz. Also doch! "Dieser Rockstar." Okay, vielleicht doch nicht so ganz. Liz knurrte leise. "Er ist kein Rockstar, Mum." Beth machte eine wegwerfende Handbewegung. "Star oder nicht, er macht diese grässliche Musik, oder? Johnny heißt er?" Liz hatte wirklich keine Lust, ihrer Mutter alles noch einmal von vorne vorzukauen und deshalb nickte sie nur einmal kurz mit dem Kopf. Sollte sie doch denken, was sie wollte. Aber dass die Sprache mal wieder auf John gekommen war, passte ihr gar nicht. Anscheinend wurde sie verfolgt! Dabei wollte sie nichts mehr, als ihn endlich aus ihren Gedanken verbannen zu können. Sie kannte die Reaktionen ihrer Mutter bereits in- und auswendig. Deshalb wusste sie auch, dass Mrs. Winston sich, obwohl sie Liz wieder den Rücken zugewandt hatte, missbilligend die Lippen aufeinander presste und die Augenbrauen zusammen schob. Sie wusste auch, dass sie sich viel Mühe gab, um nichts dazu zu sagen, aber früher oder später würde sie sich doch nicht zurückhalten können. Liz’s restliche Laune sank nun auch in den Keller. Sie war nicht hierher gekommen, um sich Vorwürfe anzuhören. Vielleicht war es ein Fehler gewesen. Aber vielleicht war sie auch einfach nur total schlecht drauf! In diesem Moment kam jemand zur Haustür herein und Kate's Kopf erschien im Türrahmen. "Oh!", machte diese überrascht und sah Liz mit großen Augen an. "Was machst du denn hier?" Das gleiche hätte Liz auch gerne gefragt. Sie warf ihrer Mutter einen fragenden Blick zu, den diese nicht beachtete. "Was wohl? Ich besuche Mum und Dad", blaffte sie ihre Schwester an. "Aha." Ohne sich von ihrer Laune beeindrucken zu lassen, schob Kate sich neben sie an den Tisch und suchte sich einen grünen Apfel heraus - Kate war schon immer der Typ für die grünen, sauren Äpfel gewesen. Dann rieb sie ihn kurz an ihrem Ärmel und Mrs. Winston warf ihr einen amüsierten Blick zu. "Die sind gewaschen, Liebes." Was auch sonst? Ohne Liz zu beachten wandte sich Kate an ihre Mutter. "Wo ist eigentlich Danny?" "Der ist abgehauen, kurz nachdem ich gekommen bin", knurrte Liz, doch das war nur die halbe Wahrheit. Etwas Essentielles hatte sie ihrer Schwester und ihrer Mutter verschwiegen... "Ach", sagte Bethany mild, da sie anscheinend merkte, wie es um Liz's Befinden stand, "er ist bestimmt wieder zu seiner Freundin gefahren.“ Liz und Kate schauten beide geschockt auf und Kate ließ ihren Apfel sinken. "Freundin?", wiederholte Liz und wechselte einen überraschten Blick mit Kate. Plötzlich fühlte sie sich ausgeschlossen. Nicht nur von ihrer Familie, die ihr anscheinend auch nur das nötigste erzählte, sondern... von der ganzen Welt der Beziehungen und Gefühle da draußen. "Er hat eine Freundin? Wieso kriegt man eigentlich nichts mehr mit, wenn man nicht mehr zu Hause wohnt?" Kate war derselben Meinung. "Kaum ist man aus dem Haus, wird einem nichts mehr erzählt", stimmte sie zu, "Du hättest uns ja auch etwas erzählen können, Mum!", warf Liz ihrer Mutter vor. "Du plauderst doch sonst so gerne aus dem Nähkästchen." "Nun hört doch auf, Kinder." Mrs Winston holte zwei Tassen aus dem Hängeschrank und füllte diese bis zum Rand voll mit dem eben gebrühten Kaffee, der die ganze Küche mit seinem typischen Duft erfüllte. Schon der Geruch machte Liz wacher. Dabei wollte sie sich jetzt eigentlich nur noch im Bett einrollen und ihren ganzen Kummer verschlafen. Sie vermisste John so. Schon jetzt, nach nur einem Tag. Sie hätte jetzt selbst mit ihm in einem Café sitzen können - oder irgendwo anders. In seiner Wohnung, in ihrer Wohnung, in der U-Bahn oder irgendwo im Park. Aber nein. Er musste ja alles kaputtmachen. Er musste ihr ja sagen, dass er sie liebte, dass er sich nach Heirat, Familie, einem Hund sehnte. Es hätte so schön sein können. Sie und er, vogelfrei, ungebunden. Aber einfangen lassen wollte sich Liz auf keinen Fall. Liz starrte grimmig vor sich hin und schnippte achtlos einen Krümel vom Tisch auf den Boden. "Wer ist es denn?", wollte Kate neugierig wissen, während ihre Mutter die Kaffeetasse vor Liz stellte, die sofort danach griff wie nach einem Rettungsseil, das einer Ertrinkenden zugeworfen wurde. Vielleicht würde sie durch den Kaffee ein bisschen zur Vernunft kommen und ihr Gehirn würde wieder seinen normalen Betrieb aufnehmen. Hoffen konnte sie zumindest. Begierig nahm sie einen Schluck und heulte sofort auf. "Heiß!" Das trug auch nicht gerade zu ihrer Laune bei. Mit verbrannter Zunge - Liz hätte vor Wut am liebsten laut aufgeheult und auf irgendetwas eingeschlagen - schob sie schlechtgelaunt die Tasse von sich. Bethany betrachtete sorgenvoll ihre Tochter, dann wandte sie sich Katie zu und beantwortete ihre Frage. "Das weiß ich nicht. Irgendein Mädchen aus seiner Klasse, aber als Mutter weiß man ja sowieso nur so viel, wie es gut für einen ist." Sie seufzte und warf Lizzie einen bedeutungsvollen Blick zu, den diese gekonnt ignorierte. Liz wusste ganz genau, was ihre Mutter ihr damit sagen wollte. Sie wusste, dass irgendetwas mit ihr vor sich ging, sie wusste nur noch nicht, was. Aber Liz konnte sich nicht mehr zurückhalten. Der Groll in ihrer Brust war so weit angeschwollen, dass sie ihrem Ärger Luft machen musste, da sie sonst das Gefühl hatte, sie würde daran ersticken. "Toll", spottete sie und rümpfte die Nase. "Für alle hängt der Himmel voller Geigen. Wie schön!" "Ach, halt doch die Klappe", keifte Kate nun ihrerseits - etwas, das Liz nicht vorausgesehen hatte -, und biss geräuschvoll in ihren Apfel. Für einen kurzen Augenblick vergaß Liz ihren Kummer und warf ihrer Schwester einen verwunderten Blick zu. Dann machte es Klick. "Ach ja", sagte sie trocken, als sie sich erinnerte. "Weiß er es noch immer nicht?" Kate warf ihr tödliche Blicke zu, während Liz ungerührt aggressiv in ihrem Kaffee herumrührte, den sie anzurühren eigentlich gar nicht mehr gedachte. "Wer weiß was nicht?", fragte Mrs. Winston interessiert, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich mit ihrer Kaffeetasse zu den Mädchen an den Tisch, um mit ihnen einen Kaffeeklatsch zu halten. "Niemand", sagten beide Mädchen wie aus einem Mund und wandten sich voneinander ab, um sich gegenseitig nicht zu verraten. Ihre Mum seufzte ergeben. "Genau das meine ich", beklagte sie sich, warf ein paar Zuckerwürfel in den Kaffee und rührte um. "Und welche Laus ist DIR eigentlich über die Leber gelaufen?", hakte Kate mürrisch nach und sah Liz auffordernd an. Was soll's, sagte Liz sich. Ist ja auch egal. Früher oder später würden es ja doch alle erfahren. "Johnny", antwortete sie mit einem Zähneknirschen. Sie benutzte absichtlich den "anderen" Namen, denn so war es einfacher, nicht an den John zu denken, der er in Wirklichkeit war. Mrs. Winston verzog unglücklich das Gesicht. "Ihr Freund", warf Bethany freudlos ein, aber Liz schnaubte nur und schüttelte den Kopf. "Ex-Freund, besser gesagt!" "Ex-Freund?", japste Mrs Winston erfreut - ihre Augen waren tellergroß und... voller Begeisterung. Liz rollte genervt die Augen. Das Verhalten ihrer Mutter ging ihr ziemlich gegen den Strich, auch, wenn sie es eigentlich im Vorfeld schon geahnt hatte. "Das war ja klar, dass du dich darüber freuen würdest, Mum." Sofort versuchte Bethany, sich zusammenzureißen und schnellstmöglich das erfreute Grinsen von ihrem Gesicht abzustreifen, jedoch ohne viel Erfolg. "Entschuldige, Liebes." Sie probierte, eine bekümmerte Miene aufzusetzen, was ihr aber auch nur teilweise gelang. "Was ist denn passiert?" "Ihr werdet es nicht glauben!", ereiferte sich Liz empört, da sie plötzlich die ganze Situation wieder vor Augen hatte und die Wut in ihr aufwallte über den Abend und wie er gelaufen war. Und was John zu ihr gesagt hatte! Bethany und Kate's Augen hingen praktisch an ihren Lippen und beide warteten, was Mr. Rockband-Johnny so Unglaubliches angestellt haben mochte, das selbst Liz verscheucht hatte - sie würden niemals darauf kommen! "Er hat..." Sie machte eine Kunstpause, um den Effekt auszuprobieren, bis Kate unruhig wurde und auf ihrem Sitz hin und her rutschte. "Er hat mich in so ein piekfeines Restaurant geführt und etwas von Heiraten, Betziehung und so weiter erzählt! Außerdem hat er mir nach - nur drei Monaten! - einen Anhänger geschenkt... schenken wollen. So, als wollte er mich ganz und gar für sich alleine." In der Küche herrschte Totenstille. Niemand wagte es, etwas zu sagen. Liz schwieg triumphierend und blickte Kate und ihre Mutter Bestätigung heischend an. Es sollte doch wohl jedem hier klar sein, dass drei Monate für so ein Gespräch viel zu wenig waren? Wenn es nach Liz ginge, war sogar ein Leben lang für so ein Gespräch nicht ausreichend. Aber John hatte es ja darauf anlegen müssen. Und das hatten sie beide nun mal davon. Sie passten einfach nicht zusammen - sie wollten verschiedene Dinge. Es ging nicht. Mrs. Winston machte als erste den Mund auf. "Ooh...", machte sie ratlos. Kate war in ihrer Wortwahl kreativer. "Oh nein, wie furchtbar", höhnte sie. "Jemand will sein restliches Leben mit dir verbringen, das muss wirklich schlimm sein. Arme Lizzie." Diese warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Kate war wirklich unausstehlich, wenn sie mal wieder die Sarkasmustüte auspackte - was selten geschah, aber es geschah. "Schon seit Wochen war er so seltsam und hat merkwürdige Andeutungen gemacht, aber als er mich dann in dieses piekfeine Restaurant eingeladen hat..." Sie verzog das Gesicht, als sie sich daran erinnerte. "Und ich habe noch gehofft, er schlägt mir nur einen Dreier vor oder so... aber DAS war jawohl der Gipfel!" Natürlich übertrieb sie. Niemals hatte sie so etwas gedacht - geschweige denn gehofft. Aber es wäre etwas gewesen, mit dem sie hätte umgehen können, oder zumindest besser umgehen können als mit "Ich liebe dich" - oder wie auch immer John das formuliert hatte. Kate und ihre Mutter wurden beide tiefrot im Gesicht, was ihren Spruch fast schon wieder rechtfertigte. "Aber... Schätzchen...", stammelte Mrs. Winston, nicht wissend, was sie auf all das sagen sollte, und immer noch erschüttert. Wahrscheinlich würde jetzt eine Strafpredigt kommen, über den richtigen, angemessenen Sprachgebrauch. Sie kam ihrer Mutter, die bereits den Mund aufmachten, zuvor: "Och, Mum, halt mir bitte keinen Vortrag. Echt, ich hab schon genug zu leiden. Ich dachte, Johnny wäre cool und nicht so ein altmodischer Spießbraten. Hätte ich von Anfang an gewusst, dass er Einer dieser gutbürgerlichen Stockkonservativen ist, die noch an die "Institution Ehe" glauben - oh Gott!" Sie fasste sich an den Kopf und atmete tief durch. "Dabei habe ich ihm nie das Gefühl gegeben, bis zum Ende meines Lebens mit ihm zusammen sein zu wollen..." Sie schüttelte verstört den Kopf und blickte verwirrt von Beth zu Kate, als könnten die ihr sagen, was sie falsch gemacht hatte. Oder hatte sie ihm vielleicht doch das Gefühl gegeben? Sie wusste es nicht - sie wusste plötzlich gar nichts mehr. Sie konnte weder ihr eigenes, noch sein Verhalten einordnen. Sie war einfach nur... total durch den Wind! "Wow", platzte es beeindruckt aus Kate heraus, die Lizzie's Monolog fasziniert mitverfolgt hatte. "Das muss ja echt die große Liebe gewesen sein." Liebe. Das Wort schnitt in ihr Herz. Aber das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen. Kate war schon immer so gewesen - ein bisschen konservativ, nach den alten Werten strebend. Dabei konnte sie nicht einmal ihr Problem mit Jake aus der Welt schaffen, obwohl es überhaupt kein Problem gab. "Ach, was weißt du schon, Schwesterherz", wies sie ihre Schwester in die Schranken. "Da draußen in der Welt gibt es mehr als nur Heirat und Kinder. Glaubst du, ich will den Rest meines Lebens als Hausfrau verbringen mit spuckenden und schmutzigen Gören, die mir am Rockzipfel hängen? Nein danke!" Liz hielt augenblicklich die Luft an, als sie das Gesicht ihrer Mutter bemerkte, die sie aus zusammengekniffenen Augen kalt ansah, und fügte sogleich viel freundlicher hinzu: "Nicht alle Kinder können so pflegeleicht sein wie wir es waren." Bethany hob skeptisch eine Augenbraue. "Glaub mir, Kind, du warst alles andere als pflegeleicht und hast mich und deinen Vater alle Nerven gekostet. Und nun muss ich mir so etwas von dir anhören?" Aber wütend war sie nicht, und Liz seufzte erleichtert auf. "Jedenfalls, ich hab ihm den Laufpass gegeben." Mrs. Winston massierte sich mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck die Schläfen. "Kind", murmelte sie erschöpft, "jetzt bist du erwachsen und kostest mich noch immer alle Nerven..." Kate stützte einen Ellenbogen auf dem Tisch ab. "Und was machst du jetzt?", wollte sie wissen. Liz zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Erst einmal hier bleiben." Beth verschluckte sich fast an ihrem Kaffee und starrte ihre Zweitälteste entsetzt an, während diese ungerührt einen Schluck aus ihrer Tasse nahm. "Hier... bleiben...?", wiederholte Beth unbehaglich, in der Hoffnung, sich verhört zu haben. Doch Liz nickte nur. "Und was ist mit deiner Arbeit?" "Ich hab heute morgen gekündigt. Bis die Kündigung in Kraft tritt, hab ich mir Urlaub genommen." Liz grinste schief. Kate und Bethany blieb bei dieser Ansage der Mund offen stehen. Liz zuckte teilnahmslos mit den Schultern. "Ich hab ihn eh gehasst", erinnerte sie sich an Danny's Worte. Er hatte ja recht. Aber hatte sie nicht ein wenig zu vorschnell gehandelt? "Dein Freund macht dir einen Antrag und du verlässt ihn und deinen gutbezahlten, sicheren Job willst du auch aufgeben? Was hast du eigentlich für ein Problem? Ergibt das in deinem Kopf vielleicht einen Sinn, der uns Normalsterblichen verborgen bleibt?", redete Kate ihrer älteren Schwester weiter ins Gewissen, die sich davon allerdings kein bisschen beeindruckt zeigte. "Erspar mir die Moralpredigt, Kate, bitte." Hatte sie sich nicht selbst schon genug dieser Moralpredigten gehalten? Nun mischte sich auch Beth ein, die zuvor stumm und bleich am Tisch gesessen und sich kreideweiß im Gesicht an ihre Tasse geklammert hatte. "Aber sie hat recht! Was machst du nur mit deinem Leben, Kind?" "Mum", stöhnte Lizzie genervt. "Ich bin 23 und hab noch viel vor. Denkst du, ich will auf ewig bei diesem Klatschblättchen arbeiten? Nein, danke." Naserümpfend warf sie einen Blick aus dem Fenster, wo gerade ein silberner Rover in die Auffahrt biegen wollte, in der bereits Lizzie's Spider Fastback stand. Es war ihr Vater, der da gerade nach Hause kam, und das war eine willkommene Abwechslung. Sobald Mr. Winston im Haus war, würden wieder andere Dinge wichtig sein und sie musste vor diesen beiden Spießbürgern nicht mehr Rede und Antwort stehen. Außerdem sehnte sie sich danach, wieder in ihr Zimmer zu huschen und zu schlafen. Sie war unglaublich müde - was kein Wunder war, denn die Nacht war sie nicht zum schlafen gekommen. Ihr Dad hupte kurz ungeduldig und Liz erhob sich. "Ich geh mal den Weg freimachen", murmelte sie. "Und ich dachte, sobald sie erst mal aus dem Haus sind, kommen sie nicht mehr wieder", hörte sie ihre Mutter im Hinausgehen noch sagen. "Na was soll's, Platz genug ist ja da und ich koche sowieso immer viel zu viel." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)