Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 34: Erwachen -------------------- Sie lief schlurfend durch die Gänge, seufzte leise. Unzählige Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Was sollte sie noch hier? War sie überhaupt noch willkommen? Wollte sie noch weiter in diesem Palast leben? Und wenn nicht, wo sollte sie sonst hin? Kisara warf ihr langes helles Haar über die Schulter, und bog in einen weiteren Gang ein. Wo sie eigentlich hinging, wusste sie nicht, und es war ihr auch völlig egal. Sie hatte kein Ziel. Sie hatte einst eines gehabt, an der Seite des Hohepriesters ein Leben führen, das ihrer Wert war. Sie, die sie den weißen Drachen kontrollierte, sie, die sie eigentlich von der Straße kam. Seth hatte sie einst gerettet, hatte ihr den Weg in den Palast geebnet. Zu Anfang hatte sie geglaubt, er hätte es nur auf den Drachen und die Macht dahinter abgesehen, doch nun wusste sie, dass das nicht der einzige Grund gewesen sein konnte. Wäre es der Fall gewesen, wäre sie nun mit Sicherheit nicht mehr am Leben. Und trotzdem hatte Seth sie in gewisser Weise getötet. Seine Ernennung zum Thronfolger und seine Verlobung mit Mana am Abend zuvor waren Dinge, die sie zwar hinnehmen musste, aber die sie nicht akzeptieren konnte. Sie hatte ihn verloren, das wusste sie. Doch dass er es so endgültig meinte, konnte sie kaum verkraften. Sie wusste einfach nicht wieso... Sie hatte kaum etwas getan und doch hatte sie Seths Hass auf sich gezogen. Er hatte sie in den Palast gebracht. Wo sollte sie nun hingehen? Sollte sie bleiben? Hatte es überhaupt einen Sinn, dass sie blieb? Würde es noch jemanden interessieren? Sie atmete tief durch, ein leicht sandiger Wind wehte ihr um die Nase. Sie hatte den Palast verlassen, stand nun im Hof und blickte gen Himmel. Wohin würde ihr Weg sie noch führen? Wenn sie nur wüsste, was noch vor ihr lag. Sie wusste sich kaum zu entscheiden, was sie nun tun sollte. Sie wollte bleiben. Sie wollte nicht zurück auf die Straße. Dies war der erste Ort, an dem sie jemals sicher gewesen war, der erste Ort, den sie je ihre Heimat genannt hatte. Der sich verdunkelnde Himmel lächelte sie an. Nein. Es war noch nicht an der Zeit, das Nest zu verlassen. Unruhig blickte Akim auf, er fühlte sich merkwürdig. Seltsam, dachte er, er hätte schwören können, dass er jemanden gehört hatte. Jemand der nach seinem Namen rief. Bildete er es sich ein? Halluzinierte er? Neben ihm saßen Meira und Cyrus, doch keiner von beiden schien etwas gesagt zu haben. Er kratzte sich hinterm Ohr. „Habt ihr das auch gehört?“, fragte er in die Stille hinein, doch sie schienen ihn nicht zu beachten. Cyrus sah seine Schwester eindringlich an, sie musste weitersprechen, es war wichtig, dass sie verstanden, was ihre Vision bedeutete. Der weißhaarige Mann. Wieso war er so wichtig? Wer war er? „Was ist mit dem Mann?“, fragte er ungeduldig nach, gespannt darauf, dass er es endlich verstand. Fast zeitgleich wiederholte Akim seine Worte, und verstand so nicht, was Cyrus ausdrückte. Er war verunsichert, sicher, da hat jemand nach ihm gerufen, doch niemand war hier, wie sollte das möglich sein? „Ich habe ganz sicher jemanden sprechen gehört...“, sagte er. Die Rothaarige richtete ihren Kopf auf und lenkte ihre Aufmerksamkeit zunächst auf ihren jüngeren Bruder, dann auf Cyrus, der die Augen genervt verdrehte. Doch Meira war anderer Meinung. „Ich habe nichts gehört“, erklärte sie wahrheitsgetreu, doch sie wusste instinktiv, dass ihr Bruder die Wahrheit sagte. Er hatte keinen Grund zu lügen und außerdem hätten ihn andernfalls seine Augen verraten. Dennoch ging Meira auf Cyrus Themenwechsel ein. „Der Mann ... Ich habe es nicht so richtig verstanden, aber er scheint eine wichtige Person zu sein ... Jemand, der nach Macht strebt ... Und den Untergang Ägyptens wünscht ...“ Sie wusste nicht, wie sie in Worte fassen sollte, was sie gesehen und vor allem gefühlt hatte. Die richtigen Worte sickerten davon bevor sie sie fassen konnte, zu viele Eindrücke waren auf sie eingedrungen. „Also könnte er uns gefährlich werden?“, hakte Cyrus nach. Musste er sich Sorgen machen? Meira überlegte einen Moment, diese Frage war tatsächlich heikler, als sie sich anhörte. Und doch. Ihre Vision hatte ihr zwar Chaos gezeigt, doch dieser Mann war nicht des Unheils Ursprung. „Nein“, antwortete sie schließlich nachdenklich, „Ich denke nicht, dass er uns gefährlich werden kann ... Er kennt nicht die Macht der Nebel.“ So musste es sein. Der Nebel hatte sie noch nie im Stich gelassen, der Nebel hatte sie immer geführt, egal welche Wege sie auch beschritten hatten. Verbissen versuchte die Rothaarige die Bilder festzuhalten, die langsam ihr Bewusstsein verließen. „Er befindet sich zur Zeit in einem Tempel“, sagte sie leise, „Im Tempel des Anubis.“ Die Vorbereitungen liefen in vollem Gange, die Diener liefen wie in Scharen durch die Gegend, jeder überbrachte die Nachrichten und Befehle, die er ihnen auftrug auszurichten. Hochkonzentriert studierte der Hohepriester die Karten, das Gebiet an der libyschen Grenze war kein Neuland für ihn, ganz im Gegenteil. Oft war er dort gewesen, doch eine Gefahr hatte er nicht ausmachen können. Die Zeiten hatten sich geändert. Die freundlichen Menschen, denen er auf all seinen Reisen begegnet war, all sie waren nun Feinde, gegen die er in den Krieg ziehen musste. Libyen war entfesselt, der Krieg in vollem Gange. Auch wenn Seth stets geglaubt hatte, jeder bekäme nur was er gesät und verdient hätte, so zweifelte er nun selbst daran. Die Menschen wollten keinen Krieg. Es war wichtig, dass die Schlacht nicht auf ihrem Rücken ausgetragen wurde, nur wenn das gewährleistet wäre, könnte es irgendwann wieder zu einem Frieden zwischen den beiden Völkern kommen. Fieberhaft betrachtete Seth die Karten, bemühte sich die optimale Strategie herauszufinden, den optimalen Weg zwar den Krieg zu gewinnen, aber die Zahl der Opfer gering zu halten. Sowohl auf ägyptischer, als auch auf libyscher Seite. Dennoch würde er kämpfen, dennoch würde er morden. Und er würde zurückkehren. Er hatte es versprochen und er glaubte fest daran. Nichts auf dieser Welt würde ihn davon abhalten können. Auch der beste Krieger konnte fallen, das wusste auch Seth, doch mit Hilfe der Millenniumsmagie konnte kaum einer ihm wirklich gefährlich werden. Kaum einer konnte ihm nahe genug kommen, um ihm ernsthaft zu schaden. Und er würde kein Erbarmen kennen, seinem Ruf und seinem Amt gerecht zu werden. Er würde siegreich sein. Er hatte keine Sekunde gezögert, doch das schreckliche Schauspiel, dass sich direkt vor seinen Augen abgespielt hatte, konnte er kaum fassen, es graute ihm davor. Durch jeden Gang war er ihnen gefolgt, den Priestern, die so arrogant und selbstsüchtig nur sich liebten. Er hatte sie verfolgt, weil sie von einer unglaublich finsteren Aura umgeben gewesen waren, eine Aura, die nicht einmal auf dem Kriegsschauplatz so zu spüren war. Blanker Hass. Und doch war er zu spät gekommen, Xerxes betrachtete verbissen die zwei Männer, die nun am Boden lagen. Was sich hier abgespielt hatte, war deutlich zu lesen, das Mädchen lag noch immer in ihrem Blut, entblößt, denn ihre Kleidung war zerrissen. Wäre er schneller hier gewesen, hätte er dies vielleicht noch verhindern können, so jedoch konnte er ihr Leid nur noch beenden, nicht jedoch es verhindern. Er war aus einem Gefühl heraus in Manas Zimmer gelaufen, hatte die Tür aufgebrochen, und die ganze schmerzhafte Situation hatte sich vor seinen Augen dargestellt. Sein Vorteil war es gewesen, dass die beiden Priester abgelenkt waren durch ihre eigene Grausamkeit, so konnte er sie mit einem gezielten Schlag in den Nacken zu Fall bringen. Was nun mit ihnen geschah lag nicht in seiner Macht. Wichtiger war das Mädchen. Er eilte zu ihr, beugte sich zu ihr herunter. Was er sah konnte er nicht fassen. Vorsichtig schob er ihr ihr blutverklebtes Haar zur Seite, um ihr Gesicht sehen zu können. Das Mädchen zuckte heftig zusammen, Xerxes zog seine Hand sofort zurück. „Kannst du mich hören?“, fragte er besorgt. Er hatte die Kleine schon einmal gesehen, erkannte ihr Gesicht, obwohl es nichts mehr von der Lebensfreude versprühte wie zuvor. Das Mädchen vom Fest. Sie öffnete ihre Augen einen Spalt, nur um sie sogleich wieder zusammenzukneifen. Schmerzhaft verzog sie das Gesicht. „Lass... mich...“, brachte sie kraftlos hervor, hustend und kaum imstande zu sprechen. Stumm liefen die Tränen über ihr Gesicht, stumm schrie sie nach Hilfe. „Warte...“, sagte er ernst, „Ich werde dir nicht wehtun...“ Wenn er nur früher gekommen wäre, wenn er nur schneller gewesen wäre... Das Mädchen zitterte am gesamten Körper, zuckte immer wieder, stöhnte und schrie vor Schmerz auf. „Lüg' nicht...“, hauchte sie schwach. Xerxes wagte es nicht, näher an sie heranzutreten, er wollte ihr nicht noch mehr Angst machen. Die ganze Situation war einfach nur bizarr, er war an den Hof gekommen, um vom Leid an der Grenze zu berichten, um Hilfe für all seine Freunde zu erbitten. Nun stellte er fest, dass die Grausamkeit bereits Einzug gehalten hatte, hinter die sicheren Mauern des Palastes geschlichen wie ein Feuer, dass die Hoffnung bereits im Keim erstickte. Ohne darauf zu achten ob er sie verletzte, schob er die bewusstlosen Körper von Karim und Shada mit dem Fuß zur Seite, ging zu Manas Bett und griff nach der weichen Decke, die dort lag. Dann hockte er sich wieder zu Mana herunter, hielt ihr den weißen Stoff hin. „Hier...“, sagte er mit ruhiger Stimme, „Damit kannst du dich bedecken.“ er hätte es selbst getan, hätte die Decke selbst über ihren Körper gelegt, doch in dem Fall hätte er ihre Angst sicher nicht gemindert. Sie kannte ihn nicht, wieso sollte sie ihm trauen? Er selbst hätte sich nicht getraut. Doch ihre zerrissene Kleidung und ihren geschundenen Körper zur Schau zu stellen, wäre eine Beleidigung für sie. Mana drehte ihren Kopf zur anderen Seite, zog ihre Stirn kraus und kniff die Augen zusammen. Und doch nahm sie die Decke an, hüllte sich mühsam darin ein, die Schmerzen konnte sie kaum ertragen. Sie krümmte sich zusammen, die Augen waren leer. Verzweiflung blickte Xerxes an, als Mana ihren Kopf wieder in seine Richtung lenkte, die Schmerzen ignorierend, die jede Bewegung ihr bereitete. „Holst... du... Seth...?“, fragte sie ihn leise. Sein Gesicht, dass dem des Priesters so ähnlich war, schien sie auf eine gewisse Weise zu beruhigen. „Ich soll dich mit den Beiden hier allein lassen?“, fragte er ernst und schüttelte den Kopf. Es war völlig unklar, wie lang es dauern würde, bis zu wieder erwachten, und wenn das geschah, durfte Mana auf keinen Fall hier in ihrer Nähe sein. „Komme mit mir, und ich bringe dich zu ihm“, schlug er stattdessen vor, „Allerdings weiß ich nicht, wo ich ihn finden kann...“ Seth. Seine Augen hatten ihn also nicht getäuscht. Dieses Mädchen war also wirklich des Hohepriesters Verlobte, das kleine lachende Mädchen, dass am Festabend auf so unglaubliche Weise geehrt worden war. Es war wirklich Ironie des Schicksals, dass er ausgerechnet sie jetzt so wiedergefunden hatte. Mana lachte bitter auf, ohne jedoch mehr als einen krächzenden Ton herauszubekommen. „Ich kann mich wohl kaum bewegen...“ Sie sah ihn an, zitterte wieder etwas stärker und bäumte sich vor Schmerz auf. Seth. Akim. Wieso nur waren sie nicht hier? „Bitte...“, flehte sie. Xerxes war mehr als besorgt, er musste doch irgendetwas für die Kleine tun können. „Wo finde ich ihn? Sage es mir, ich suche ihn“, versicherte er. Vielleicht war es keine gute Idee, sie jetzt mit den beiden Priestern allein zu lassen, eine viel schlechtere Idee jedoch war es, überhaupt nichts zu unternehmen. Erneut hustete Mana, Blut lief über ihre Lippen. „Nicht... weit von... hier...“ Sie hustete, es wurde stärker. Sie zitterte, hatte ihren Körper nicht unter Kontrolle, krallte sich fest an der Decke. „Nein... nein...“ Mana schrie immer wieder auf, die Bilder in ihrem Kopf hielten sie gefangen, ließen sie nicht los. Wieder hustete sie, wieder schrie sie auf. Und schließlich verlor sie das Bewusstsein. Xerxes riss die Augen auf, sah Mana an, schüttelte sie leicht. „Kannst du mich hören?!“, fragte er leicht panisch, „Wach auf!“ Doch sie reagierte nicht. Er konnte sie nicht länger hier lassen, konnte nicht länger warten. Sie musste schwere Verletzungen haben, die Sprache des Blutes war eindeutig. Kurzentschlossen hob er sie vom Boden auf, hielt sie sanft und doch fest in seinen Armen und lief durch die Tür auf den Gang. Seth. Er musste Seth finden. Doch er hatte noch immer keine Ahnung, wo er nach ihm suchen sollte. Er sah sich um. Nicht weit von hier. Leider handelte es sich bei 'nicht weit von hier' nicht um eine genaue Ortsangabe. Niemand war zu sehen, niemand, den er fragen konnte. Er musste sich beeilen. Und so lief er mit Mana los, blieb vor der ersten Tür stehen, die er sah und trat sie mit dem Fuß auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)