Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 35: Finsternis ---------------------- Zum tausendsten Male, so schien es, blickte er über die Karten, vergewisserte sich ihrer Genauigkeit und Aktualität, doch es brachte nichts neues. Die libyschen Heeresführer hätten kaum einen geeigneteren Ort für einen offenen Kriegsschauplatz wählen können, strategisch ungeeignet für die zwar auf schlammigen Untergrund geübten, jedoch verstreuten Truppen der ägyptischen Armee. Kurzum: die Bedingungen für Ägypten standen denkbar schlecht, viel länger als eine Nacht hätte es gebraucht um die Krieger zu positionieren, mehr Zeit, doch Zeit war knapp. Sie standen im Krieg, es gab keine Zeit, keine Pläne, nur Handlungen, Taten, die sprechen mussten, und zwar eine eindeutige Sprache. Die Sprache, die er zu sprechen gedachte. Erbarmungslosigkeit bis zur Kapitulation, dann Gnade und die Chance auf ein neues Leben für die Überlebenden. Sein Weg stand klar vor ihm, Seth besah sich seine Aufzeichnungen. Gerade wollte er ein weiteres Mal seine Unterlagen prüfen, als die Tür aufgestoßen wurde. Er schreckte auf, sah erzürnt zur Tür. „Wie kannst du es wa-“, setzte er an, stockte jedoch, als er erkannte, wer direkt vor seinen Augen stand. „Was hast du getan?!“, brüllte er den Mann an, der die Tür so unsanft geöffnet hatte, lief auf ihn und die Gestalt in seinen Armen zu. Fassungslos betrachtete er sie. Mana. Seine Mana. Was war geschehen?! Der Mann trat an ihm vorbei, grimmig und mit zusammengezogenen Augenbrauen. Er legte sie sanft auf dem vor ihm stehenden Bett ab, noch immer war sie in ihre eigene Decke gehüllt. Sie stöhnte leicht auf, rührte sich ansonsten aber nicht. Fieberträume hielten sie gefangen. Gefangen in einer Welt, die keine Schatten kannte. Einer Welt ohne Licht. „Das war ich nicht“, erklärte Xerxes in sich gekehrt und an Seth gerichtet, „Die zwei Männer, die das getan haben, liegen im Zimmer nebenan.“ Er blickte dem Hohepriester direkt in seine eisblauen Augen, in denen sich die Fassungslosigkeit spiegelte. „Sie wollte zu Seth“, sagte Xerxes leise, „Das seid Ihr, nicht wahr?“ Im Grunde wusste er, dass er den Hohepriester vor sich hatte, doch es schien ihm sicherer zu betonen, dass er auf Manas Wunsch hin gehandelt hatte, er wollte jetzt nicht in seiner Haut stecken. Seine Eigene schon schien ihm unpassend. Doch Seth beachtete ihn kaum weiter. Er nickte nur knapp setzte sich dann neben Mana auf das Bett. „Mana?“, fragte er leise, seine Stimme ungewohnt unsicher, „Kannst du mich hören?“ Ob sie seine Worte verstand oder nicht, war schwer zu sagen. Sie zitterte, schüttelte sich immer wieder und krümmte sich vor Schmerz zusammen, jede Bewegung schien sie anzustrengen. Das Blut war allgegenwärtig. Immer wieder schrie sie auf, ihre Worte waren nicht klar. Doch aus ihrem Gestammel und Gekeuche waren die Worte 'Seth', 'Akim' und 'Hilfe' immer wieder herauszuhören. Seth war völlig überfordert, er wusste nicht, was er tun sollte, wie er ihr helfen konnte. Wusste nicht einmal, was wirklich geschehen war. Er wusste nur, dass sie ihn brauchte, und das mehr als jemals zuvor. Er musste sie beruhigen, ihr irgendwie ihre Angst nehmen. „Du bist in Sicherheit...“, versuchte er ihr zu erklären, „Beruhige dich...“ Doch seine Worte halfen nicht, Mana zeigte keinerlei Reaktion, und sie verlor noch immer Blut. Ihre Blutungen mussten gestoppt werden, ihre Verletzungen behandelt. Seths Blick fiel auf Xerxes, ernst und streng. „Warte hier!“, herrschte er ihn an, doch es war gar nicht nötig, Xerxes hätte nicht im Traum daran gedacht, in dieser Sekunde nicht auf den Befehl des Hohepriesters zu hören. Seth selbst war aufgesprungen, zur Tür gestürmt und hatte die Wachen mobilisiert. Sie sollten sich aufteilen, einen Arzt sofort zu ihm schicken und die zwei Männer, die sich in Manas Gemach befanden, sofort einsperren. Ohne Zeit zu verlieren, auf der Stelle. Dann kehrte der Priester zurück an Manas Seite. Keine Veränderung. Mana lag noch immer zitternd da, zitternd und gekrümmt. Schließlich schlug sie ruckartig die Augen auf, blickte starr und panisch um sich, ohne dabei wirklich etwas zu sehen, ohne zu verstehen, wo sie sich befand. Schnell kauerte sie sich in der Mitte des Bettes zusammen, kleiner noch als sie es sonst war, zitternd, vor sich hinstarrend. Ihr Blick war leer, ihre Augen schienen grau zu sein, all die Farbe hatten sie vergessen, kein Licht spiegelte sich in ihnen. Um Fassung ringend, blickte Seth sie an. Er rief ihren Namen, immer wieder, sie musste ihn hören. Doch sie tat es nicht. Er versuchte es wieder, versuchte mit seinen Worten zu ihr durchzudringen, sie irgendwie zu erreichen, doch er scheiterte. Immer wieder. Es klopfte an der Tür. Sauer fuhr Seth herum, „Lass die Höflichkeiten und beeil' dich!“, fauchte er die sich langsam öffnende Tür an. Als der Arzt den Raum schließlich sichtlich irritiert betrat, wurden für eine Sekunde die Umrisse von Shada und Karim sichtbar. Dann fiel die Tür wieder zu. Der Arzt, der nun im Zimmer war, war sichtlich verstört. Schon öfters war er zu dem Hohepriester gerufen worden, doch was auch immer gewesen war, Seth hatte immer auf den Respekt bestanden, der ihm zustand. Dass er es nun nicht tat, beunruhigte den Mann sehr. Sein Name war Qadir, er war der Arzt des Palastes und der Beste seines Faches. Er trat auf das Bett zu, blickte verwirrt und erschrocken zu Mana. „Was ist geschehen?“, fragte er sachlich. Was hatte das Mädchen so zugerichtet? Noch bevor Seth das Wort ergreifen konnte, setzte Xerxes zu einer Erklärung an, knapp zwar, und doch schien es ihm angemessen, dass er auf die Frage antwortete, denn der Hohepriester hatte ja selbst noch keine Antwort bekommen. „Diese zwei unangenehmen Priester sind über sie hergefallen“, sagte er, und sein Tonfall hätte ihm wohl einen Tadel eingebracht, wäre die Situation nicht so angespannt gewesen. Seths Blick löste sich für keine Sekunde von Mana, ungläubig starrte er sie an, beobachtete ihre hilflosen Versuche, ihren Gedanken zu entfliehen. „Nun hilf ihr schon!“, zischte er aufgebracht, und allen Beteiligten war sofort klar, dass er nur Qadir gemeint haben konnte. Ungeduldig wippte er mit dem Fuß auf und ab, untätig zu sein war etwas, das ihm zutiefst missfiel, besonders jetzt, da es um Mana ging. Unterdessen versuchte er es weiter, sie irgendwie anzusprechen, rief immer wieder ihren Namen. Ihre Augen waren inzwischen nicht mehr geschlossen, sie standen offen, doch sie schien nicht durch sie zu sehen. Ihr Blick war glasig, in die Ferne gerichtet, völlig ausdruckslos. Qadir betrachtete sie leise seufzend. Im Grunde konnte er nichts für sie tun, er konnte nur ihren Körper heilen, doch zurückkommen musste sie ganz von allein. Die wahren Schmerzen spürte sie nicht in ihren Gliedmaßen, nicht in ihrem Körper. Ihr Blick und das Zittern verrieten es und sagten dem Arzt gleichzeitig, dass er ihr nicht wirklich helfen konnte. Und dennoch musste er es versuchen. Er legte seine Sachen auf das untere Ende des Bettes, schritt dann langsam auf Mana zu. „Dann lasst mich einmal sehen...“, sprach er sanft und näherte sich Mana. Mit einem Mal zogen sich ihre Pupillen zusammen, sie starrte ihn kalt an. „Lass mich!“, rief sie, „Rühr' mich nicht an!“ Ihr wütender Ausbruch hinterließ Ratlosigkeit. Unsicher blickte Seth sie an, hoffend, dass sie ihn dieses Mal verstand. „Mana...“, hauchte er, „Er will dir helfen...“ Er musste sie überzeugen, aber er wusste nicht, wie er es anstellen sollte, dass sie seine Worte spürte. Doch sie tat es nicht. Stattdessen kippte ihr Kopf ein weiteres Mal zur Seite, zu schreien strengte sie weit mehr an, als sie verkraften konnte. Qadir blickte mitleidig auf das bewusstlose Mädchen. „Vielleicht ist es erst einmal besser so“, sagte er ruhig und gefasst, doch wer ihn kannte, der wusste, dass es ihn nicht kalt ließ. Vorsichtig begann er, sie gerade hinzulegen, ihren verkrampften Körper zu entspannen, damit ihr Körper zur Ruhe kommen konnte. Behutsam ging er mit ihr um, auf keinen Fall wollte er ihr weitere Schmerzen zufügen. Unter den wachsamen Augen von Seth, schaffte er es schließlich. Er drehte sich zu Xerxes um. „Hole mir eine Schüssel mit Wasser, ja“, bat er höflich, aber dringend und Xerxes wäre der Bitte auch gern nachgekommen, doch er kannte sich im Palast einfach nicht aus und so wusste er nicht, wohin er gehen sollte, doch es war auch gar nicht nötig. Seth selbst war sofort aufgesprungen um eigenhändig das Wasser zu besorgen. Als er es Qadir schließlich reichte, nahm dieser es leicht verwundert, aber dankbar entgegen. Er stellte sie auf den Tisch und tauchte ein sauberes Tuch in die warme Flüssigkeit ein, bis es vollständig darin versank. „Vielleicht ist es besser“, begann er zögernd und blickte die beiden ihn beobachtenden Männer an, „wenn Ihr nicht zu nahe am Bett steht. Für den Fall, dass sie aufwacht.“ Besorgnis lag in seiner Stimme, im Augenblick war es sehr viel leichter so, die Bewusstlosigkeit hielt zumindest die schlimmsten ihrer Gedanken von ihr weg, wenn auch bei weitem nicht alle, wie aus Manas noch immer krampfhaften Bewegungen zu schließen war. Seth stimmte ihm zu, wollte aber selbst keinen Meter weichen. Also zog er Xerxes zurück, der es kommentarlos mit sich machen ließ. Er wollte nicht im Weg stehen. Der Hohepriester stellte sich an die andere Seite des Bettes, sodass er bei Mana bleiben konnte, ohne jedoch den Arzt in der Ausübung seiner Pflichten zu behindern. Dieser begann vorsichtig ihre zu Fäusten geballten Hände zu öffnen um ihr die Decke wegzunehmen. Nur so konnte er seine Arbeit machen, nur so konnte er ihr helfen, auch wenn sie sich dagegen sträubte. Qadir begann, Manas Wunden zu säubern und ihr die zerrissenen Kleider auszuziehen. Sie waren verklebt mit ihrem Blut und ließen sich so nur schwer von ihrer Haut lösen. Schrecklich. Es war einfach nur schrecklich. Das Mädchen tat ihm Leid, die Schmerzen, die sie hatte erdulden müssen, waren absolut nicht gerechtfertigt gewesen. Und doch war es geschehen. Es war es noch lange nicht ausgestanden. „Sie braucht neue Kleidung“, sagte Qadir angespannt und doch ruhig, er konnte sie nicht unbekleidet lassen, sie würde es nicht verstehen, sie würde noch mehr Angst bekommen. Und doch konnte er selbst sich für den Moment nicht darum kümmern, er hatte alle Hände voll damit zu tun, sie so gut es ging zu versorgen. Er zog ein zweites Tuch hervor und legte es ihr auf die Stirn, nachdem er auch dieses mit der Flüssigkeit getränkt hatte, und begann, sie zu untersuchen. Ein paar endlos erscheinende Minuten lang herrschte eine tödliche Stille, bis schließlich eine junge Dienerin eintrat, frische Kleidung für Mana in den Händen. Seth hatte den Befehl gegeben sie zu besorgen, er selbst wollte Manas Krankenbett nicht verlassen. Er konnte kaum glauben, was geschehen war, es schien so abwegig, so vollkommen irreal und doch war es geschehen. Am Morgen noch hatte sie unbeschwert gelacht, zwar einen Kater gehabt, und doch, was sie glücklich gewesen. Es schien so unendlich lange her zu sein... Und nun war ihr Lachen in weite Ferne gerückt. Qadir verband ihr die Brust und legte ihr einen Verband um den Kopf, kümmerte sich um ihre Schürfwunden. Dann nahm er die Kleidung entgegen und zog sie ihr vorsichtig an, bemüht, ihr keine Schmerzen zu bereiten. Er legte sie wieder unter die Decke, was sie im Augenblick brauchte, war Zeit. Zeit zum Verarbeiten. Und sie musste schlafen, damit sich ihr Körper erholen konnte, musste ruhen, damit die Verletzungen abheilen konnten. Sie musste nun viel Stärke zeigen, damit sie leben konnte. Er schüttelte leicht den Kopf, blickte den Hohepriester aus bedauernden Augen an. Betroffen musterte er diesen, wie er den Blick von Mana nicht abwenden konnte, das Gesicht wie versteinert. Eine Maske fast, eine Maske, die all seine Gedanken verschloss, und die es doch nicht schaffte, seinen Zorn zu unterdrücken und zu verbergen. Den Zorn auf die Männer, die dies zu verantworten hatten, die Priester, die seine Wut herausgefordert hatten. Sie würden für alles bezahlen, würden jede Schramme büßen, die sie Mana zugefügt hatten. Und sie würden bereuen, dass sie ihm jemals begegnet waren. Schließlich durchbrach Qadirs Stimme die Stille. „Sie hat hohes Fieber“, begann er zu erklären, „Einige ihrer Knochen sind in Mitleidenschaft geraten, mindestens eine Rippe ist gebrochen. Prellungen überall.“ Er wurde immer leiser. „Aber ich kann nichts für sie tun... Gegen solche Schmerzen habe ich kein Mittel. Ich kann sie kaum lindern...“ Es tat ihm Leid. Es tat ihm so unendlich Leid, dass er nichts ausrichten konnte, dass er sie mit ihren Schmerzen im Stich ließ. Doch er konnte nichts tun. Tief durchatmend blickte er Mana an, seufzte. „Ich weiß nicht, ob sie es schaffen wird, gegen das Fieber zu gewinnen... in ihrem Zustand...“ Mehr konnte er nicht sagen. Das Einzige, das er ihr verordnen konnte, war absolute Ruhe, den Kampf musste sie selbst kämpfen. Seth antwortete nicht. Er wusste einfach nicht, was er hätte sagen sollen. Die Stille war bedrückend, beängstigend fast und doch dasjenige, dass seine Gedanken am besten zusammenfasste. Er nickte nur. Qadir packte seine Sachen zusammen und erhob sich. „Das wäre es dann für mich“, sagte er leise und schaute zwischen Seth und Xerxes hin und her. „Sie braucht Ruhe, ich komme morgen früh wieder vorbei. Gebt mir bitte Bescheid, sollte eine Veränderung eintreten.“ Er ging zur Tür. dort drehte er sich noch einmal um, blickte zu Mana und anschließend direkt in Seths Augen. „Es tut mir Leid...“, hauchte er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)