Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 36: Vergessen --------------------- „Den gibt es doch gar nicht.“ Prompt fiel Akim in Meiras Gedanken ein. Verstört sah er sie an. Im Tempel des Anubis, also? Das konnte nicht sein. Er war doch einst... Er hatte in sich seiner Zeit als Diener von Seth so manchen Scherz erlaubt und immer wieder gegen irgendwelche Regel verstoßen. Niemals war ihm wirklich etwas geschehen deswegen, doch er hatte oft nächtelange Predigten des Priesters über sich ergehen lassen müssen. Irgendwo hatte er Gerüchte über den Tempel aufgeschnappt, Gerüchte, die so interessant gewesen waren, dass er tagelang nach dem geheimen Heiligtum gesucht hatte. Er war sogar in das Gemach des Pharaos eingebrochen, doch auch dort hatte er keine Antworten gefunden. Niemand hatte ihm den Weg erklären können. Er schüttelte den Kopf. Einen solchen Tempel gab es nicht. „Der Pharao kennt ihn nicht“, fügte er hinzu, da seine Geschwister ihn skeptisch musterten. „Dann macht es Sinn, dass der Mann sich dort aufhält“, schlussfolgerte Cyrus sofort, er wollte jetzt nicht über Akims Hirngespinste reden, es gab wichtigeres, bedeutend wichtigeres. Auch Meira teilte die Meinung ihres kleinen Bruders nicht, lächelte aber verständnisvoll, war weniger abfällig als der Ältere. „Er ist da“, wiederholte sie mit fester Stimme, „Ich weiß es. Die Kette lügt nicht...“ Auch über ihn log sie nicht. Die Rothaarige sah ihn verträumt an, eine leichte Bitterkeit lag in ihren Augen. Cyrus riss sie aus ihren Gedanken. „Also gehen wir hin?“, fragte er, „Suchen wir ihn?“ Es war mehr ein Vorschlag als eine Frage, doch die Dringlichkeit, die aus seinen Worten klang, war nicht zu überhören. Nun betrachtete Akim ihn seinerseits wenig begeistert. Er hielt nicht viel davon, erneut nach dem Tempel zu suchen, zumal es diesen ja überhaupt nicht gab. Davon war er zumindest überzeugt. Und doch stellte er sich seinem Bruder nicht in den Weg. Meira antwortete an seiner statt. „Nein“, sagte sie, noch immer lächelnd, „Dazu ist später noch genug Zeit. Wenn der Krieg beginnt, wird es schon sehr bald sehr ruhig sein im Palast“, erklärte sie nachdenklich, „Dann haben wir genug Zeit, uns unauffällig nach diesem Tempel umzusehen... Wir sind schließlich nicht gerade das, was man geladene Gäste nennt.“ Ein Schmunzeln legte sich auf ihre Lippen, wurde breiter bis sie spöttisch auflachte. Nein, das waren sie wirklich nicht. Ihre Brüder stimmten in das Lachen mit ein, und obwohl alle drei lachten, klang doch nur Cyrus Stimme wirklich echt. „Da hast du wahrscheinlich Recht“, gab er zurück, „Freuen wir uns also auf den Krieg!“ Mana hatte die Augen geöffnet, hörte den Arzt noch das Zimmer verlassen, doch sie wartete mit einem Wort, bis er die Tür geschlossen hatte. Anhand der vielen Verbände konnte sie sich einen Reim darauf machen, was kurz zuvor geschehen war, auch wenn sie es nicht bewusst gespürt hatte. Stille Tränen liefen über ihre Wangen, unaufhaltsam. Sie konnte sie einfach nicht stoppen, zu groß war die Verzweiflung. „Seth“, flüsterte sie leise, ehe ihre Stimme erneut zu Versagen drohte. Angesprochener drehte sich zu ihr um, setzte sich wieder zu ihr ans Bett und sah sie an. Ihr Blick war schmerzverzehrt. Es war nicht ganz sicher, ob sie versuchte, weiter von ihm weg zu rutschen, sie hatte ihre Hände in die Decke gekrallt, schaffte es aber nicht, sie zu bewegen. Der Hohepriester wusste kaum, was er sagen sollte. „Es tut mir Leid“, hauchte er, er wollte ihr helfen, doch er konnte nicht. Er fühlte sich schrecklich, hatte sie im Stich gelassen, genau in dem Moment, da sie ihn am meisten gebraucht hatte. Er hatte die Gefahr nicht erkannt, nicht erwartet, dass die zwei Priester ihr auflauern würden. Er hatte vorgehabt, sie mit an die Grenze zu nehmen, damit Mana vor ihnen sicher wäre, doch sie hatten sich dem widersetzt, ohne, dass sie von seinen Plänen gewusst hatten. Mana schüttelte heftig den Kopf, hielt aber sogleich wieder inne in der Bewegung, denn ein Schwall von Schwindel verwirrte ihre Gedanken. Sie drehte sich auf ihren Bauch, die Schmerzen ignorierend, und fing an hemmungslos zu weinen. Immer wieder ertönten zwischendurch ihre Schreie, Ausrufe, die Seth nur tatenlos mitansehen konnte. Dass sich auch Xerxes noch immer im Raum befand, kümmerte weder den Priester noch das Mädchen. Mana hustete wieder, würgte dabei etwas Blut hervor. Sie hielt ihre Hand vor den Mund, starrte das Blut fassungslos an. Unzählige Bilder schossen durch ihren Kopf, ließen sie erzittern. Verzweifelt drehte sie sich wieder um, hielt Seth ihre blutige Hand hin. Hilflos blickte sie ihn an, hilflos, zitternd, voller Angst. Der Hohepriester schwieg, er wollte das nicht sehen, aber auch nicht wegsehen, er hätte sie niemals allein lassen dürfen. Vorsichtig strich er das Blut ihrer Hand mit seinem Gewand ab, es musste doch irgendetwas geben, das ihr helfen konnte... Doch die Brünette zog ihre Hand sofort wieder weg, die Berührung machte ihr Angst. Sie verstand nicht, wieso sie ihn so fürchtete, verstand die ganzen Zusammenhänge nicht, verstand im Augenblick so gut wie gar nichts. Noch immer liefen ihre die Tränen über ihr Gesicht. „Mana...“, flüsterte Seth besorgt und verbittert, „Ich tue dir nichts...“ Er bereute es, ihre Hand genommen zu haben, er wollte ihr keine Angst machen, doch er wusste nicht, wie er sich anders verhalten sollte. Sie schüttelte leicht den Kopf, wieder hustend. Auch sie wusste nicht, was sie denken sollte, sah ihn an, sah das Mitleid in seinen Augen. Diese eisblauen Augen, die sie so liebte. Er wollte ihr nicht schaden. Sie nickte leicht, versuchte schwach zu lächeln, doch es misslang ihr. Hoffnungslos legte sie ihre Arme um sich selbst, versuchte sich Halt zu geben in einer Zeit, da der Boden unter ihren Füßen wegzubrechen schien. „Es tut ... so weh...“, brachte sie hervor, voller Anstrengung und doch hätten ihre Worte nicht deutlicher sein können. „Mana...“, gab Seth unsicher zurück, er dachte nach, es musste doch etwas geben, dass er machen konnte. Doch es kamen ihm nur die Worte des Arztes in den Sinn. „Du brauchst jetzt eine Menge Ruhe...“ Es kam ihm lachhaft vor, diese Worte waren so leer und unnütz und doch waren es die einzigen, die Sinn machten. Das Mädchen nickte wieder, im Bett lag sie ja schon. „Bleibst du... bei... mir?“, fragte sie und hatte doch gleichzeitig Angst vor der Antwort. Er war Hohepriester, er hatte gar keine Zeit, sich jetzt um sie zu kümmern, hatte doch so vieles zu tun, so viele Pflichten. Sie war doch nur eine Last für ihn, jetzt ganz besonders. Doch er nickte. „Natürlich bleibe ich bei dir“, gab er zurück und schien auch wirklich so zu meinen. Mana lächelte leicht, noch immer zitternd zwar, und trotzdem hob sie ihre Hand und legte sie auf die Seine. Sie hielt sich schwach daran fest, und schloss die Augen, presste ihre Oberschenkel krampfhaft aneinander. Der Hohepriester stand fassungslos daneben, strich ihr über ihre zarte Haut. Die beiden würden das bereuen. Sie würden niemals wieder glücklich werden und wenn es das Letzte wäre, das er tat. Er kniff die Augen grimmig zusammen. Mana riss die Ihrigen panisch wieder auf, schüttelte den Kopf und schrie kurz auf. Ihr schmerzverzehrter und flehender Blick fiel auf den Hohepriester. „Hilf mir... bitte...“ Genau das war es, was er tun wollte, doch er wusste nicht wie. „Sage mir, was ich tun kann“, sagte er schließlich, „Wenn es in meiner Macht liegt, dann werde ich es tun...“ War es ein leeres Versprechen? Was konnte er tun? Hilfesuchend sah sie ihn an, ein Funke Hoffnung glänzte für eine Sekunde in ihren matten Augen, ehe er wieder erlosch. Seth würde ihr helfen. Er konnte so etwas. Ganz bestimmt. „Nimm die Bilder weg... die Gedanken...“, sagte sie leise, ohne wirklich zu wissen, was sie da sagte, „Oder die Schmerzen...“ Ihre Augen weiteten sich schlagartig. „Nicht weggehen!“, schrie sie, zuckte heftig zusammen. Der Priester betrachtete sie nachdenklich. „Ich gehe nicht weg...“, versprach er, seufzte dabei. Er überlegte, dachte eine ganze Weile nach. „Ich kann nichts gegen die Schmerzen tun...“, antwortete er zögernd, „Aber...“ Er wagte es nicht, diesen Gedanken auszusprechen. Mana blickte ihn verzweifelt an. „Aber?“, fragte sie. Aber war ein Grund zum aufatmen, oder? Also gab es eine Möglichkeit? Er zögerte noch einen weiteren Moment, ehe er sich dazu durchrang, sah sie ernst an. „Die Gedanken könnte ich dir nehmen...“ Und Mana verstand. Akim. Auch sie sah ihn ernst an, drückte seine Hand. Sie konnte kaum noch sprechen, völlig andere Gedanken nahmen ihr nun die Luft zum Atmen. Und doch dachte sie darüber nach. „An wie viel werde ich mich erinnern können...?“, fragte sie leise. „Das kann ich dir nicht sagen...“, die Stimme des Hohepriesters wirkte gefasst und doch wankend. Er blinzelte ein paar Mal. Möglicherweise an gar nichts mehr, doch das auszusprechen vermochte er nicht. Mana schien in sich selbst zu versinken. Immer und immer hörte sie sich selbst schreien, doch sie wollte nicht wieder das Bewusstsein verlieren, nicht jetzt. Sie hatte Seths Worte verstanden. Er wusste es nicht, konnte nichts garantieren. „Was wird dann aus uns?“ Sie musste es wissen, musste wach bleiben, musste ihm jetzt zuhören. Sie musste ihm vertrauen, wenn sie ihr Leben in seine Hände lege wollte. Sie musste vertrauen, musste glauben. Und doch konnte sie kaum einen klaren Gedanken fassen, konnte kaum verstehen, was es überhaupt bedeutete. Seth blieb gefasst, während er sie ansah, blieb gefasst, während er sprach. „Wir werden zusammen bleiben...“, sagte er und blickte sie dann aber fast ebenso verzweifelt an. „Es ist deine Entscheidung...“ Er flüsterte die Worte fast, wollte sie selbst nicht über die Lippen bringen und doch spürte er, dass sie das Einzige waren, das ihr noch Hoffnung gab. „Ich kann dich von all den Gedanken befreien...“ Das Mädchen krallte ihre Fingernägel in seine Hand, die Aussicht machte ihr Angst. Die Erinnerungen verlieren? Das wollte sie nicht. Immer wieder kam ihr Akim in den Sinn. Sein Bild, seine verspielte Art. Und doch war es nicht er gewesen. Sie hatte so viel Spaß mit ihm gehabt. Doch es war nicht er gewesen... „Es tut weh...“, sagte sie zögernd, „Aber... ich will nicht alle Erinnerungen verlieren... Wie würdest du mir die Schmerzen erklären...?“ Unentschlossen blickte sie ihn an, es war vollkommen klar, dass er ihr die Entscheidung nicht abnehmen würde. Sie war fassungslos gewesen, als sie erfahren hatte, dass Seth Akim die Erinnerungen genommen hatte. Jetzt wünschte sie sich genau diesen an ihre Seite. Er würde es ihr erklären können, würde wissen, was sie machen sollte. Er wusste, was es bedeutete. Mana selbst wusste es nicht. Immer wieder verschwamm ihre Sicht, immer wieder bäumte sie sich vor Schmerzen auf. „Vielleicht ist es aber besser so...“ Sie schloss die Augen, versuchte die Bilder zu vertreiben, doch sie wurden sogar noch deutlicher, als sie alles daran legte, sie nicht zu sehen. Der Hohepriester sah sie an, schüttelte leicht den Kopf. Was sie ihm sagen wollte, hatte er nicht so recht verstanden. „Was ist besser?“, fragte er leise nach, und blickte in ihre verbitterten Augen. Dass ihre Fingernägel inzwischen blutige Schlieren über seine Haut zogen, war ihm völlig gleichgültig. „Wenn ich meine Erinnerungen verliere...“, sprach das Mädchen das Urteil für sich selbst aus, biss sich sogleich auf ihre Lippe. Langsam nickend beugte sich der Priester ihrem Willen. Er wollte es nicht, doch er wusste, dass er es tun musste. Er drückte kurz ihre Hand. „Also soll ich es machen?“ Er vergewisserte sich, wollte diese Entscheidung nicht treffen. Er hatte sie einmal getroffen, nie wieder hatte er vor der Wahl stehen wollen. Doch dieses Mal ging es nicht um sein Leben. Die Kleine hielt ihre Augen geschlossen. Sie war verwirrt, versuchte sich zu fassen, ihre Gedanken zu ordnen. Schließlich setzte sie sich auf, die wieder in ihr aufsteigende Übelkeit hatte nun keinen Platz in ihrem Bewusstsein. Sie vermied es beharrlich, Seth anzusehen, sein Blick allein hätte sie in ihrer Entscheidung wanken lassen. „Du lässt mich nicht allein?“, fragte sie schüchtern, anstatt zu antworten, „Du tust mir nichts, und“ Und plötzlich sah sie ihn aus vor Tränen glitzernden Augen an, „Du sorgst dafür, dass ich glücklich werde...?“ Ihr Blick traf den Hohepriester tief ins Herz. Er schluckte, nickte aber. „Das wirst du...“, sagte er, und nichts hätte er lieber getan als an der Front zu stehen, anstatt nun hier zu sein, „Ich verspreche es dir...“ Sie kniff ihre Augen zusammen, rang lange mit sich. Sie nickte schwach. „Dann bin ich... bereit...“ Ein weiteres Aufkeuchen ließ sie erzittern, ließ sie ihren Körper krümmen. Hilflos und leer sah sie ihn an, voller Angst, Verzweiflung und Bedauern. Seth atmete tief durch, griff mit geschickter Hand nach dem Gegenstand, den er immer bei sich trug und den er nun betroffen ansah. Den Millenniumsstab. Er wollte diesen Zauber niemals wieder anwenden. Langsam traf sein Blick den Ihrigen. „Mana?“, hauchte er und sie sah ihn fragend an, darauf wartend, dass er weitersprach. Der Millenniumsstab leuchtete auf, Seth richtete ihn direkt auf Mana. Seine Gedanken waren klar, waren so eindeutig wie nie zuvor. „Ich liebe dich...“ Seine Stimme versagte, er hatte das Gefühl, als bliebe ihm die Luft weg, etwas zog sich ganz eng zusammen in ihm. Er kniff die Augen zusammen, führte den Zauber aus. Im nächsten Moment fiel der Millenniumsstab scheppernd zu Boden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)