Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 40: Adalia ------------------ Es war wirklich eigenartig. Wie oft hatte sie sich gewünscht zu ihm zurückkehren zu können? Nichts hatte sie sich sehnlicher gewünscht, als wieder an seiner Seite zu dienen. Sicher. Einst einmal war alles anders gewesen, einst einmal hatte er zu ihr auf gesehen. Das war nun schon so viele Jahre her. Adalia dachte gern zurück an ihre gemeinsame Zeit. Die Zeit, da er als einfacher Junge im Dorf ihres Vaters gelebt hatte, die Zeit, da seine Herkunft noch im Dunkeln gelegen hatte. Mehrfach in ihrem Leben hatte er sie überrascht. Er war seinen Weg gegangen, hatte sich weit über sie erhoben. Doch er hatte sie nicht vergessen. Schon kurz nach seinem Aufstieg war auch sie in den Palast eingezogen, er hatte sie zu seiner Schülerin und so schließlich zur Priesterin und zur Frau gemacht. Dann hatte er sie weggeschickt. In einem Tempel sollte sie dienen, Einfluss und Macht lag in der Position, die er ihr übertragen hatte, und doch war sie enttäuscht gewesen. Dass sie schließlich zu seiner Ernennung zum offiziellen Thronfolger an den Palast zurückkehrte, verdankte sie einzig und allein einer glücklichen Fügung und ihrem starken Willen. Sie hatte ihre Chance genutzt, hatte die Zügel ergriffen, als sie ihr angeboten worden waren. Des Priesters Verlobung war eine bittere Überraschung gewesen. Ein kleines Mädchen, nicht einmal fertig mit der Ausbildung, ungezogen und frech. Und doch hatte sie erreicht, wovon Adalia immer geträumt hatte. Das Vertrauen und die Liebe des Hohepriesters, des Mannes, von dem sie glaubte, dass sie ihn besser kannte, als kaum jemand anderes hier im Palast. Sie war es schließlich gewesen, die mit ihm aufgewachsen war, sie war es schließlich gewesen, die alles mit angesehen hatte. Als sie ihn endlich wiedersehen durfte, wirkte er wie verwandelt. Alles nur wegen einem kleinen Mädchen. Adalia senkte den Kopf. Und doch hatte er sie nie vergessen. Er hatte sie zu sich geholt, nun, da er jemanden brauchte, der sich um das Mädchen kümmerte. Genoss sie nicht auch sein Vertrauen? Hatte sie ihn jemals wirklich verloren? Adalia lächelte bei dem Gedanken daran. Nein, er hatte sie auserwählt, wieder einmal. Er hatte sie niemals vergessen. Sie reichte Mana ihre Hand. „Komm' her“, hauchte sie sanft, „Ich bin Adalia.“ Das kleine brünette Mädchen schaute interessiert zu ihr auf, wendete ihren Blick ab von dem Raum, in den Seth ohne sie zurückgekehrt war. Freudig ergriff sie die ihr angebotene Hand, trat ein paar Schritte auf Adalia zu. „Adalia?“, wiederholte sie zögernd und unsicher, lächelte dann aber, als auch die Priesterin ihr ein Lächeln schenkte. „Ich bin Mana“, stellte auch sie sich vor, ohne darüber nachzudenken, dass die Frau das längst wusste. „Wo ist Seth?“, fragte sie leise. „Warte hier“, sagte Adalia freundlich, „Der Priester kommt gleich zurück.“ Unwillkürlich stieg in ihr ein unbekanntes Gefühl auf, es erschien ihr, als hätte sie ein unglaublich zerbrechliches Wesen vor sich, das die Welt mit großen Augen betrachtete und doch nicht verstand, was sich um sie herum abspielte. Ein Wesen, dass sie unter allen Umständen beschützen musste. Es war wirklich kaum zu glauben, dass es sich bei dem Mädchen um die gleiche Person handelte, wie noch am Abend zuvor, als sie voller Freunde in Seths Arme gefallen war. Mana lächelte sie an und nickte kurz. Seth kam gleich wieder, das war etwas, das sogar sie verstehen konnte. Sie blickte erwartungsvoll auf den Raum, wankte dann kurz. Verwirrt drehte sie sich zu Adalia um, die sogleich schützend einen Arm um sie gelegt hatte. Die Versiegelung aufzuheben war eine Kleinigkeit gewesen, und doch hatte es den Hohepriester eine unglaubliche Willenskraft gekostet. Jeder Gedanke an das was in diesem Raum geschehen war, machte ihn rasend vor Wut. Glaubten sie ernsthaft, dass sie sich mit seiner Macht messen konnten?! Ein letztes Mal noch blickte er sich in dem Zimmer um, ehe er ihm seinen Rücken zukehrte und auf Adalia und Mana zuging. „Sie muss zurück ins Bett, mein Herr“, sagte die Priesterin ernst und besorgt, das Mädchen konnte sich ja kaum auf den Beinen halten. Der Priester nickte nur, ehe er sich seiner Verlobten zuwandte. „Kannst du laufen?“, fragte er. Jede Bewegung musste ihr unglaubliche Schmerzen bereiten, dachte er, doch Mana schien das nicht zu stören. Sie schüttelte entschieden Kopf, sie wollte nicht zurück ins Bett. „Mana hat geschlafen!“, beharrte sie, lief dann grinsend ein Stück vor. Adalia lief sofort hinter ihr her, bereit, sie jederzeit aufzufangen, sollte sie ihr Gleichgewicht erneut verlieren. Dass sie sich überhaupt so bewegen konnte mit all ihren Verletzungen, grenzte wirklich an ein Wunder. Seth blieb zurück, verschloss das Zimmer hinter sich. Mana sollte nicht noch einmal dort hineinkommen können. Tief in Gedanken versunken folgte er den beiden Frauen. Als er nicht sofort nach kam, drehte Mana sich um und lief zu ihm zurück. Freudig warf sie ihre Arme um seine Hüfte, und lachte leise. Er war ihr vertraut, sie hatte keine Angst vor ihm. Seth hielt sie für einen Moment fest, folterte sich selbst mit seinen Erinnerungen an die wahre Mana und senkte dann den Kopf um sie an anzusehen. „Komm, gehen wir zurück“, sagte er ein weiteres Mal. Das Mädchen sah ihn an, den Blick verzogen. „Nicht schlafen?“, bettelte sie kopfschüttelnd, und dieses Mal gab der Priester ihr nach. „Von mir aus kannst du wach bleiben...“, meinte er resignierend, „Aber du legst dich ins Bett, damit zu Ruhe hast.“ Doch das war Mana nicht genug, damit war sie nicht zufrieden. „Nicht ins Bett“, maulte sie kindlich trotzend, und drehte sich um. Ihr Blick fiel nach draußen. Dort war in der Zwischenzeit alles dunkel geworden. Dunkel. Es kam ihr unglaublich bekannt vor, unglaublich vertraut, sie hatte das gerade erst gespürt. Interessiert zeigte sie auf die in Schatten liegende Welt. „Wie im Traum?“, fragte sie Seth, der jedoch nicht verstand, was sie ihm sagen wollte. Er schüttelte fragend den Kopf. „Was für ein Traum?“, fragte er nach, wie sollte er ihr etwas erklären, wenn er nicht mal wusste, was sie ihm sagen wollte? Es war wirklich zum verrückt werden, von einer Sekunde auf die andere schien es, als wäre jenes Band, das sie Beide einst verbunden hatte, einfach verschwunden. Mana sah zwischen der Dunkelheit und dem Hohepriester hin und her. „Im Traum“, sagte sie lächelnd, „Alles...“, sie unterbrach sich stockend, suchte nach dem richtigen Wort, doch es wollte ihr nicht einfallen. Wieder zeigte sie nach draußen, in der Hoffnung, dass er verstand. „In deinem Traum ist alles dunkel?“, versuchte Seth für sich zu übersetzen und Mana nickte strahlend. „Ja“, jubelte sie, „Ist gut?“ Seth lächelte sie an. „Ja“, antwortete er sanft, „Da musst du dir keine Sorgen machen.“ Wie sollte ihr Traum auch in Farben erstrahlen können? Es gab schließlich kaum noch Gedanken, auf die ihr Unterbewusstsein hätte zurückgreifen können. Mana lächelte zufrieden, kletterte auf die Fensterbank und setzte sich hin. Sie forderte Seth auf, sich neben sie zu setzen, was dieser jedoch ganz entschieden verneinte. Er konnte es einfach nicht. Die Erinnerung durchzuckte ihn wie ein messerscharfer Blitz. An diesem Ort hatte er sie einst geküsst, Ewigkeiten schien das nun schon her zu sein. Adalia, die das Spiel zwischen Mana und Seth aufmerksam beobachtet hatte, räusperte sich leise und ergriff das Wort. „Sollten wir sie nicht lieber ins Bett bringen, Herr?“, fragte sie vorsichtig und besorgt. Nie zuvor hatte sie Seth so wenig herrisch gesehen, nie zuvor hatte er so tief verwundet gewirkt, obwohl sein Körper doch unversehrt geblieben war. „Das sollten wir“, stimmte er ihr zu, unentschlossen, bis Manas Lachen von einem erschöpfenden Husten unterbrochen wurde. Er baute sich vor ihr auf, sie brauchte Ruhe, ganz dringend. Ohne weiter darüber nachzudenken, was er tat, legte er seine Arme um Mana und hob sie hoch. Äußerst vorsichtig um ihr nicht noch weiter weh zu tun, trug er sie zu seinem Gemach und legte sie, ihren Protesten zum Trotz, in sein Bett. „Du bleibst jetzt bitte liegen, hörst du?“, sagte er und sah sie ernst an, es war von außerordentlicher Wichtigkeit, dass sie nur dieses eine Mal auf ihn hörte. Schmollend sah Mana ihn an, schüttelte den Kopf, blieb aber liegen. Sie griff nach der Decke, zog sie quer über sich und sah äußerst beleidigt aus. „Es ist nur zu deinem Besten“, verteidigte sich Seth und blickte sie freundlich an. Ihr Groll war fast niedlich. Vorsichtig drehte der Priester die Decke richtig und deckte sie vernünftig zu. Schließlich beugte er sich zu ihr herunter und strich ihr sanft über die Wange. Des Mädchens Züge lösten sich sofort, ihre Augen schlossen sich, als er sie berührte und sie lächelte. „Also tust du mir nun den Gefallen und bleibst liegen?“, bat Seth und Mana nickte brav. „Danke schön“, hauchte Seth, seine Freundin betrachtend. Er wusste nicht, was er denken sollte, alles hatte ganz anders ablaufen sollen, alles hatte ganz anders kommen sollen. Es wäre so einfach gewesen. Wenn er sie nur bei sich behalten hätte... Er selbst... Seth seufzte. Der Gedanke gefiel ihm überhaupt nicht, doch um zu verhindern, dass Mana wieder weglaufen konnte, war es das Beste, die einzige Hilfe, die er Adalia noch mit auf den Weg geben konnte. Und so versiegelte er schwer atmend den Raum. Tiefes und gleichmäßiges Ein- und Ausatmen verrieten, dass Mana tatsächlich wieder eingeschlafen war. Seth blickte erleichtert auf. Wenigstens Manas Körper schien noch auf ihre Bedürfnisse zu achten, wenn auch sie es nicht tat. Und auch der Priester war erschöpft, man sah es ihm an und die Sorge stand Adalia ins Gesicht geschrieben. „Ihr solltet ebenfalls etwas schlafen“, schlug sie vorsichtig vor, ohne ihm etwas vorschreiben zu wollen, denn so etwas lag ihr fern. Seth ließ seinen Blick zu ihr schweifen, wirkte plötzlich um Jahre gealtert. „Würdet Ihr auf sie achten?“, fragte er sie ein weiteres Mal, ohne an ihrer Antwort zu zweifeln und doch wollte er sicher gehen. Sie hatte zugesagt, ohne zu wissen, was es tatsächlich bedeutete; nun, da sie sich ein eigenes Bild von der Situation hatte machen können, wollte er ihre Entscheidung erneut hören. Nur dann war er sich sicher, dass er Mana in ihrer Obhut würde lassen können. Die Priesterin zögerte keine Sekunde. „Selbstverständlich, Herr“, gab sie selbstsicher zurück, ihren Entschluss zu ändern, hieße das Vertrauen des Hohepriesters zu enttäuschen und sie hatte wirklich lang genug darum gekämpft, dass er ihr Achtung entgegen brachte, als dass sie es nun so leichtfertig wieder aufs Spiel gesetzt hätte. Sie setzte sich an Manas Bett um über ihren Schlaf zu wachen. Seth hingegen war vor das Zimmer getreten um den im Gang stehen gebliebenen Xerxes noch einmal zu sprechen. Er hatte darauf bestanden, dass dieser noch einen Augenblick wartete, bis er ein paar Minuten Zeit für ihn aufbringen konnte, und Xerxes, der noch immer kaum verstehen konnte, was eigentlich geschehen war, hatte nicht widersprochen. Als Seth nun auf ihn zutrat, wirkte er gefasst. „Könntest du...“, setzte der Priester an, überlegte, was er ihm nun am besten sagte, „Könntest du vorerst Stillschweigen darüber bewahren, was hier geschehen ist?“ Es war kein Befehl und das überraschte den Boten, ein einziges Wort des offiziellen Thronfolgers hätte genügt, und er hätte Schweigen müssen. Und doch, und das rechnete er dem Mann, der ihm gegenüber stand, hoch an, hatte er keinen Befehl ausgesprochen. Er nickte. „Die libyschen Truppen sind bereits auf dem Vormarsch, morgen früh geht es los“, sagte Xerxes und blickte Seth ausgesprochen beunruhigt an. „Was werdet Ihr nun tun?“ „Als Hohepriester und Thronfolger dieses Landes ist es meine Pflicht, die Truppen in die Schlacht zu führen“, gab dieser nur zurück, sachlich, kalt und doch bedrückt. „Es ist meine Pflicht, alles andere als unwichtig anzuerkennen.“ Xerxes sah ihm mit festen Blick in die Augen. Er wollte ihm Mut zu sprechen, Respekt und Anerkennung. Doch vor allem sprach er ihm auf diese Weise sein Vertrauen aus. „Mein Priester?“ Adalias Stimme klang unsicher, als sie auf ihn zuging. „Das solltet Ihr Euch vielleicht ansehen...“ Still führte sie ihn zurück an das Schlaflager und zeigte auf Manas Hand. Ein weißer Schleier hatte sich darum gelegt, ein Schleier, der die Priesterin ratlos zurückließ. „Ich habe versucht, danach zu greifen, aber es ist unmöglich.“ Mana schien noch immer zu schlafen, nur der Schleier bewegte sich um sie herum, kroch langsam auf Adalia zu, die ihn voller Unbehagen betrachtete. „Nebel...“, flüsterte Seth und schüttelte den Kopf. Darüber nachdenkend, beugte Seth sich zu Mana herab und legte ihr behutsam eine Hand auf die Stirn. Wenigstens das Fieber war heruntergegangen. „Aber, mein Priester“, sagte Adalia, die noch immer nichts verstand, und auch nicht wusste, was sie von der Sache halten sollte, „Sie kann doch diesen Nebel nicht gerufen haben? Was glaubt Ihr?“ Seth seufzte, und zuckte dann mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat“, gab er zu, „Doch dieser Nebel ist mir nicht unbekannt.“ Sein besorgter Blick fiel auf Mana, die zusammengekauert, aber friedlich lächelnd noch immer die Augen geschlossen hatte und tief und fest schlief, ehe er sich wieder von ihr abwendete und Adalia ernst ansah. „Ich möchte Euch warnen, Adalia... Dieser Nebel... Ich kenne genau drei Personen, die den Nebel willentlich als Waffe einsetzen. Und ich fürchte, dies ist auch ihr Werk...“ Er trat einige Schritte auf sie zu, „Adalia, Ihr wart meine beste Schülerin. Ihr solltet Euch auf einiges gefasst machen. Die Aufgabe, die ich Euch übertragen habe, wird mit Sicherheit nicht einfach sein...“ Adalia nickte. Er dachte noch immer an sie. Er hatte sie niemals vergessen. Und er würde sie nicht vergessen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)