Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 55: Provokation ----------------------- Krieg. Es war kaum zu glauben, dass es soweit tatsächlich hatte kommen müssen. Die Grausamkeit war allgegenwärtig. Niemand konnte sich dem entziehen, auch nicht der ägyptische Pharao. Seine außergewöhnliche Position im Land half ihm nicht weiter, brachte ihm hier auf dem Schlachtfeld absolut gar nichts. Wie jeder seiner Männer hatte auch er um sein Leben zu kämpfen, vielleicht sogar ein wenig mehr als die anderen, da seine Krone ihn zu einem begehrten Ziel machte. Er hatte sein Schwert gezogen, setzte sich von Gegnern umgeben stur zur Wehr. Er wollte nicht kämpfen, sah den Sinn darin nicht. Wieso sollte das sein? Wieso musste es sein? Er hatte doch bei Teana zu sein, gerade jetzt, da sie ihn so sehr brauchte. Warum war dies dazwischen gekommen? Sie hatten während seiner ganzen Regentschaft keine Probleme mit den Libyern gehabt, wieso ausgerechnet jetzt? Was hatte sie dazu veranlasst ihr Territorium nun erweitern zu müssen? Er war ein friedlebender Pharao, er legte großen Wert darauf, dass sein Volk in Wohlstand und Frieden leben konnte, nicht darauf sein Herrschaftsgebiet auszubauen. Missmutig erstach er einen weiteren seiner Feinde und zog das Schert wieder heraus aus dem nun leblosen Körper. Dann sah er sich um. Es waren wirklich viele, doch sie hatten nur schwache Waffen und wenig Strategie. Er atmete leicht auf und schickte eine Truppe zu einer größeren Ansammlung von Gegnern. Vielleicht würde der Kampf ein wenig leichter werden, als er es erwartet hatte, doch er würde nicht der naive Narr sein, der seine Gegner unterschätzte. Zu vieles stand auf dem Spiel, zu vieles musste bewahrt werden. Nicht weit entfernt von ihm kämpfte Seth seinen eigenen Kampf. Hätte er die Wahl gehabt, hätte er mit großem Vergnügen mit angesehen, wie Shada und Karim sich niedermetzeln lassen mussten, doch auch er konnte der Schlacht nicht entgehen. Die Libyer ließen sich nicht weiter ignorieren, doch durch die Wucht seines abgrundtiefen Hasses waren sie bald zurückgedrängt. Er führte sein Schwert wie kein zweiter auf dem Feld, getrieben nur von Wut und Abscheu. Beiläufig, so schien es, gab er den Truppen seine Befehle, während er selbst voller Inbrunst kämpfte und damit nicht nur seinen Feinden einen Schauer über den Rücken jagte. Mit der rechten Hand lenkte er seine tödliche Klinge, in der linken hielt er seinen noch viel tödlicheren Millenniumsstab. Er kannte keine Gnade, dachte nicht daran, auch nur den kleinsten Bauernsohn zu verschonen, wenn dieser seine Waffe gegen ihn richtete. Es war ihm gleich, wie viele Menschenleben er auslöschte, blinder Zorn regierte seinen Verstand. Er versuchte krampfhaft an nichts zu denken, wollte auf keinen Fall an irgendetwas erinnert werden. Nicht jetzt. Nicht hier. Er brauchte seine volle Konzentration für den Krieg, der seine einzige Gelegenheit war um zu verdrängen. Nur so gelang es ihm, die zwei Priester nicht auf der Stelle zu töten. Er scherte sich nicht um ihre Leben, doch er wollte, dass sie die Qual spürten, wollte, dass sie ihn darum baten ihrem Leid ein Ende zu setzen. Er wollte es hören und deshalb mussten sie leben – vorerst. Einzig und allein die Pfeile konnten ihm wirklich gefährlich werden, da sie wie aus dem Nichts auftauchten und kaum Zeit ließen zu reagieren. Im ungleichen Kampf Mann gegen Mann waren die Geschosse, die von außen kamen, der einzige Trumpf. Als ein weiterer Pfeil nur Zentimeter vor seinem Kopf vorbeizischte, erschrak der Hohepriester. Es war äußerst knapp gewesen, er hatte ihn nicht kommen sehen, nichts hätte ihn warnen können. Nach Fassung ringend starrte er in die Richtung aus der der Pfeil gekommen war und blickte in Shadas wütendes Gesicht. Seth kniff die Augen zusammen. Dafür würde er büßen. Dass der Kahlköpfige keinen Bogen zur Hand hatte, fiel ihm in seinem Hass nicht auf, doch es kümmerte ihn auch nicht. Es war so leicht an die Waffe der Feinde heranzukommen, dass es gerade zu lachhaft war. Das würde er bezahlen, dafür würde er schon sorgen. Er setzte sein Pferd in Bewegung, einige der Libyer, die ihm im Weg standen einfach niedertrampelnd, andere zwang er mit seinem Schwert in die Knie. Einem weiteren Pfeil, der auf ihn abgefeuert wurde, wich er aus, dieses Mal war er vorbereitet. Shada würde ihm nicht entkommen. Er hatte seiner Beute genügend Vorsprung gegeben, beschloss er instinktiv, es war an der Zeit, die Jagd zu eröffnen. Die Jagd, die in einem Blutbad enden sollte. Es war zum verrückt werden. In einer solchen Situation hatte er sich nie befunden, einen solchen Kampf hatte er noch nie geführt. Immer wieder riss ihn der Gedanke an Rache aus dem Konzept der Verteidigung, immer wieder hinderte er ihn daran, klar zu denken. Ihre Situation war aussichtslos wie nie zuvor, doch er würde sich dem entgegenstellen. Seth. Er würde seine Rache bekommen. Mit dem gestohlenen Schwert kämpfte er brutal gegen die Truppen, die ihn angriffen. Es waren allesamt Libyer, da er noch immer sein ägyptisches Priestergewand trug, doch es war ihm gleich. Er metzelte nieder, wer es wagte, ihn herauszufordern. Schnell hatte er ein weiteres Schwert freigekämpft und warf es Karim zu. Sein Freund sollte nicht schutzlos bleiben, auch wenn der Hohepriester dies zweifellos gewünscht hatte. „Wahrscheinlich besser bei deinen Kampfeskünsten“, neckte er den muskulösen Priester nicht weit von ihm, so langsam fand er Gefallen an der Brutalität des Kampfes. Vor allem der Gedanke an die Qual, die er noch für Seth bereithielt, machte ihm das Gemetzel zu einem Hochgenuss. Ihre Rache würde furchtbar sein, das wusste er genau. Wenn erst der Zauber abgeklungen war, der ihre Kräfte blockierte, dann… Nichts würde ihn dann noch aufhalten, auch nicht die libyschen Horden, die im Weg standen. Voller Vorfreude erstach er einige der Bogenschützen und kämpfte sich zwischen sie. Dabei stieß er einen der Krieger an, der gerade zielte, und riss den Bogen herum. Der Pfeil verfehlte knapp den Kopf des Hohepriesters und Shada erschrak. Es war so nahe gewesen… Er durfte nicht vergessen, dass diese Libyer das gleiche Ziel hatten wie er. Er grummelte. Schön und gut, der Priester hatte Glück gehabt, doch er sollte sich bloß nichts darauf einbilden. Es hatte überhaupt nicht in seiner Absicht gelegen, ihn zu retten. Dies würde nicht noch einmal passieren. Karim hatte offenbar nicht mitbekommen, was soeben geschehen war und insgeheim war Shada froh darüber. Er hätte ihn noch ewig damit aufgezogen, dass er den Hohepriester nicht einfach hatte verrecken lassen, so wie es hätte passieren sollen. Blitzartig drehte der Größere sich um und fing das Schwert, das seine Chancen drastisch verbesserte. Mit diesem neuen Schwert hatte er es bei weitem nicht so schwer sich zu verteidigen und vor allem konnte er auch selbst angreifen. Im Krieg war man ohne Waffe nur ein halber Mann, weniger Wert als die Reittiere, die eine so kostbare Quelle falscher Sicherheit darstellten, Schutz, der von zweifelhafter Dauer war. Doch auch wenn ihre Chancen seit ihrem Erwachen gestiegen waren, davon auszugehen, dass sie allein der Übermacht trotzen konnten, war viel zu waghalsig und riskant. Sie mussten hier weg und das schleunigst. Viel zu viel Zeit hatten sie schon im Kriegsgetümmel verbringen müssen. Shada kämpfte sich durch die Menge, stieg über Leichen an die Seite Karims. Sie hatten eine bessere Ausgangsposition, wenn sie Seite an Seite kämpften, wenn sie ihre Kräfte vereinten. Der Schwarzhaarige blickte sauer auf, doch nur für einen kurzen Moment, denn er musste sich dem Abschlachten seiner Feinde widmen. Lästige Pflichten, für die es genug Sklaven zu geben hatte, eine Aufgabe, der er nicht einmal die geringste Genugtuung abgewinnen konnte. Nie zuvor hatte er um sein Überleben bangen müssen, nie zuvor hatte er Angst gehabt vor dem nahenden Tod. Nicht einmal als sie Bakura im Tempel des Anubis gestellt hatten, hatte er diese Gefahr für sein ganzes Sein so deutlich gespürt wie hier zwischen all den hingerichteten Körpern, die einst Menschen gewesen waren. Es war einzig und allein Seths Schuld, er, der sie unbedingt ins Verderben stürzen sehen wollte und all das nur wegen einer diebischen Tochter… Ein Lächeln legte sich auf Karims Gesicht und er ritt wieder auf den Hohepriester zu. Finster betrachtete er ihn. „Was glaubst du?“, rief er Seth entgegen und grinste breit, „Wie geht es deiner kleinen Schlampe?“ Provokation war das beste Mittel um ein wenig Spaß in die ganze Angelegenheit zu bringen und Seth sprang sofort auf seine Herausforderung an. Er reagierte wie mechanisch. Programmiert. Ganz genau wie erwartet. „Wage es ja nicht!“, brüllte er voller Hass, nie zuvor hatte ihn ein lebender Mensch so sauer gesehen. Wieder waren die Libyer vergessen, wieder wurden sie nur getötet, wenn sie ihm absichtlich in die Quere kamen und dann auch ohne jemals Aufmerksamkeit vor ihrem Tod bekommen zu haben. Namenlose Leichen, ohne Gesichter. Shada zuckte unmerklich zusammen, grinste dann aber ebenfalls. „Aber er hat doch recht!“, fauchte er den Hohepriester an, konnte sich aber ansonsten nicht weiter einmischen, weil die angreifenden Krieger ihn auf Trab hielten. Er gab sich alle Mühe zusätzlich Karim den Rücken frei zuhalten, doch die Soldaten kamen auf ihn zu und drängten ihn zurück. Er wusste, er konnte sich auf Karim verlassen, doch den Spaß wollte er sich eigentlich nicht entgehen lassen. Er würde ihm doch wohl nichts von ihrem süßen Geheimnis erzählen? „Ich erlaube es nicht, dass ihr so über sie sprecht!“, donnerte des Priesters Stimme über das Feld, so zornig, dass seine Worte allein schon bedrohlicher kaum hätten sein können, doch Karim lächelte nur amüsiert. Schwachpunkt gefunden, dachte er aufgeregt und starrte Seth an. „Willst du wissen, wie es war?“, fragte er mit einem gierigen Unterton in der Stimme, „Sie hat geschrien, weißt du?“ Oh ja, es machte ihm Spaß Seths fassungslos erbarmungsloses Gesicht zu betrachten, jede Reaktion auf seine Worte zu verfolgen und vorauszusehen. „Sie war so schlecht…“, beklagte er sich kopfschüttelnd, „Was findest du nur an dem kleinen Ding?“ Mana niederzumachen war viel interessanter, als selbst er es erwartet hatte. Die Farbe im Gesicht seines Feindes zeigte alles zwischen aschfahl und zornesrot. Es war köstlich, er hatte genau gewusst, dass es so werden würde, wenn man die richtigen Stellen traf. Jene Punkte, die wirklich wund waren, Punkte, an denen es wirklich weh tat. Seths Augen weiteten sich vor Entsetzen. Die Dreistigkeit war unglaublich, wie konnte er es wagen, auch nur das Wort an ihn zu richten? Das Gefühl, das nun durch seinen Körper zog, schwappte wie mächtige Wellen voran, zerstörerisch wie die flammende Hitze, die in der Wüste herrschte. Die Kaskade, die Karims Worte und vor allem sein hämisches Lachen in ihm auslöste, ließ ihn schutzlos zurück, nichts war nun wichtiger als der grenzenlose Hass, der ihn sein Pferd antreiben ließ, vorbei an den Männern, die entsetzt zurücksprangen, als sie den Ausdruck in seinen Augen sahen. Das Schwert hielt er fest in seiner Hand, umklammert, sodass die Handknochen weiß hervorstachen. „Du bist nichts weiter als Abschaum“, zischte er, „Nicht würdig, auf dieser Welt zu leben!“ Er quetschte die Worte heraus, seine Zähne fest aufeinander gepresst, um seine Gefühle im Zaum zu halten. Karims Augen weiteten sich vor Schreck. Er konnte ihm nicht ausweichen, es gab keinen Weg zurück, zur Seite oder in sonst eine Richtung, die ihm eine Rettung hätte sein können. Noch bevor der Hohepriester einen weiteren Atemzug getan hatte, rammte er seine treue Klinge durch die Brust des Peinigers, dem das Entsetzen im Gesicht stand. Er sank zu Boden, unfähig sich auf seinem Pferd zu halten und keuchte. Das erschrockene Tier suchte sein Heil in der Flucht, galoppierte davon, ehe es jemand aufhalten konnte. Das Blut sickerte in Stößen aus Karims Wunde, als Seth sein Schwert zurückzog. Diese Klinge war viel zu schade, als dass er sie hier verlieren würde. Die rote Flüssigkeit brachte den Hohepriester wieder zur Besinnung, ließ die blinde Wut zu einer Woge aus Begeisterung und Genugtuung werden. „So siehst du gleich viel besser aus…“, hauchte er und betrachtete Karim zufrieden. „Karim!“, schrie Shada und die Panik in seiner Stimme klang wie Musik in des Hohepriesters Ohren, „KARIM!“ Fassungslos kämpfte sich Shada seinen Weg frei auf seinen gefallenen Freund zu, er konnte es noch gar nicht wirklich wahr nehmen. Als er endlich zu ihm durchgekommen war, blickte er blass auf Karim herab und dann in Seths Gesicht, der sich grinsend zu ihm umdrehte. „Du mieses Stück Dreck!“, brachte er hervor, bevor seine Stimme brach. Er sprang vom Pferd, ließ sich neben Karim nieder und schüttelte ihn unsanft. „Sha…da…“, brachte dieser hervor, doch ihm war nicht mehr zu helfen, er verlor sein Blut viel zu rasch und das Bewusstsein sickerte damit langsam aber sicher in nicht mehr erreichbare Ferne. „Was ist denn?“, fragte Seth hinterhältig und genoss es zu verfolgen, wie die Erkenntnis sich langsam in Shadas Gehirn brannte. „Die Realität kann grausam sein, nicht wahr?“, fragte er und es war eine grimmige Karikatur dessen, was er selbst fühlte. Shada schaffte es nicht, seinen Blick von Karim abzuwenden. Immer und immer wieder schüttelte er den Kopf, als wenn damit etwas geändert werden könnte, als könnte er es damit ungeschehen machen. Seth kümmerte sich nicht weiter um sie. Sollten sie in ihrem Leid ertrinken, Karim würde es auf alle Fälle tun. Damit war der erste von zweien erledigt, dachte er und betrachtete stolz das Schwert, das nun durch des Verräters Blut geziert wurde. Nur kurz fiel sein Blick auf den Pharao, der wohl für einen Augenblick etwas hatte sagen wollen, dann aber doch den Mund schließ, bevor ein Wort des Tadels ihm entweichen konnte. Er wusste es genauso wie er. Sie hatten nichts anderes verdient. Ihr Schmerz war seine Genugtuung. Seine ganz eigene Provokation. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)