Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 60: Bitterkeit ---------------------- Die Kämpfe zogen an ihm vorbei, ganz so, als gäbe es sie gar nicht. Sie waren unwichtig, absolut nebensächlich. Sein Schrei verklang dumpf, hasserfüllt und doch nicht wichtig. Die Zeit schien still zu stehen, als er sein kaltes und nun lebloses Gesicht betrachtete. Karim. Immer schon hatten sie alles gemeinsam gemacht, standen sich näher als Brüder. Und nun war er nicht mehr da. Hingerichtet wie ein Tier, von einem Mann, der dafür zahlen würde. Und wenn es das letzte wäre, das er tat, er würde Seth dafür büßen lassen, dass er sich eingemischt hatte. Seth. Wie viel Hass konnte ein Mann auf sich ziehen? Wie viel Hass konnte ein Mann spüren? Er war grenzenlos. Es gab nichts mehr, das ihn noch würde aufhalten können, nichts, absolut gar nichts mehr könnte ihn zurückhalten. Der Hohepriester gehörte ihm, ihm ganz allein. Weder Atemu noch Seth verspürten Mitleid. Sie beide standen noch immer auf dem Schlachtfeld und selbst wenn sie auch nur eine Sekunde Ruhe gehabt hätten, sie hätten sie nicht an Karim oder an Shada verschwendet. Shadas Schreie halten in ihren Ohren wider wie glockenklarer Gesang, eine tiefe Freude und Genugtuung, die die beiden beflügelte und ihnen neuen Antrieb gab. Es war nur recht und billig, dass dies geschehen war, und auch Shada würde schon bald nicht mehr schreien können. Doch bevor der Hohepriester sich seinem eigenen Ziel widmen konnte, musste er sich um die Truppen kümmern: sowohl die eigenen als auch die gegnerischen. Er schmetterte Befehle heraus und hoffte, dass sie an die richtigen Menschen gelangten. Letztendlich war es gleich. Jeder wusste, was zu tun war. Doch seine Pflicht konnte er nicht vernachlässigen und er hatte auch gar nicht die Gelegenheit dazu. Die Hinrichtung eines einzigen Priesters ging in der kriegerischen Menge unter ohne beachtet zu werden. Niemand kümmerte sich um ein einziges Todesopfer, selbst wenn der Hohepriester persönlich es niedergestreckt hatte, während im Lärm von klingendem Metall mehr kostbares Blut floss, das auf diese Art und Weise einfach nur vergeudet wurde. Niemand kannte die Namen der Opfer, niemand achtete auf ihre Gesichter. Libyer, Ägypter. Seite an Seite. Im Tod waren sie alle gleich. Sinnlos hingeschlachtet wegen territorialen Ansprüchen. Es war eine Schande. Blinder Gehorsam und Treue zu ihrem Herrn brachte keinen Ruhm, keine Ehre. Nur Leid und Verzweiflung und Kämpfe, die scheinbar nie enden konnten, da niemand aufgeben wollte. Auch Atemu und Seth blieben von der Routine des Tötens, des Auslöschens nicht verschont. Erbarmungslos bekriegten sie jeden, der sich ihnen in den Weg stellte, stießen sie zu Boden, töteten sie. Doch des Hohepriesters Ziel waren nicht die libyschen Truppen. Dies war nicht sein Krieg, er war hineingeraten, ganz genau so wie die Bauern, die auf diesem Feld ihr Leben ließen. Und doch gab es einen Unterschied zwischen ihnen, der sich nicht durch ihren Stand erklären ließ: Seth wollte kämpfen, er wollte töten und hassen. Und er tat es auch. Seine Beute fest im Blick trachtete er nach deren Leben. Shada hatte Karim vor sich aufs Pferd gezogen, er wollte ihn ganz offensichtlich nicht hier, nicht zertreten werden lassen, wie er es verdient gehabt hätte. Er wollte ihn in Sicherheit bringen, doch sehr bald schon musste er einsehen, dass er nicht zu große Rücksicht auf seinen gefallenen Freund nehmen durfte, wollte er nicht ebenfalls zugrunde gehen. Er hatte keine Zeit für den Hohepriester, hatte keine Zeit sich ihm entgegen zu stellen, wenn er selbst überleben wollte. Shada suchte sein Heil in der Flucht. Er griff nach den Zügeln des Pferdes und versuchte dem Kriegsgetümmel zu entkommen, immer weiter entfernte er sich von Seth, der voller Verachtung seine Feigheit verurteilte. Er hatte nicht vor, ihn entkommen zu lassen. Die Freude ihn zu töten, würde er niemandem anderes gönnen. Der Hohepriester erkämpfte sich eine Schneise durch die libyschen Truppen, geführt von der Millenniumsmagie, die erbarmungslos jeden traf, der ihm den Weg versperren wollte. Er ließ sich nicht aufhalten, war hoch konzentriert und seine Nerven bis ans äußerste angespannt. Er kam näher. Die Libyer wichen zurück. Shadas Vorsprung schrumpfte in sich zusammen. Er kam nur schwerfällig voran, aufgehalten durch die Kämpfe, denen er nicht entgehen konnte. Mit Karim, der auf dem Rücken des Pferdes lag, war er eine leichte Beute, angreifbar, verletzlich. Seth dagegen war mächtig und angsteinflößend. Er kam seiner Beute immer näher. Gerade, als er weit genug herangekommen war um angreifen zu können, tat der Kahlköpfige mit der lächerlichen Tätowierung etwas, womit Seth nicht gerechnet hatte. Er erstach einen ägyptischen Krieger, dem das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand und warf dessen Leiche direkt vor die Hufe des hellbraunen Pferdes, das den Hohepriester trug. Das Tier, für gewöhnlich furchtlos und kampferfahren, scheute und warf seinen Reiter ab. Hierin allein sah Shada seine Chance. Er ergriff das Schwert, das Karim getragen hatte und das nun nutzlos an seiner Seite hing und schleuderte die Klinge mit vollster Kraft in den Rumpf des Tieres. Es brach auf der Stelle im Todeskampf zusammen, alles unter sich begrabend, das nicht schnell genug war um zu entkommen. Seth hatte keine Wahl. Er sprang von seinem treuen, gefällten Hengst noch während dieser zu Boden ging. Als das Tier begann sich in seiner Qual zu wälzen, war er bereits außerhalb der Reichweite. Doch nun musste er kämpfen. Er musste kämpfen, wenn er überleben wollte. Er musste kämpfen, wenn er es Shada heimzahlen können wollte. Seinem Pferd beraubt, wagten die Libyer ihn direkt anzugreifen. Sie zielten mit ihren Waffen auf ihn, Pfeile, Schwerter, Dolche. Sie alle schienen nur auf diesen einen Moment der Schwäche gewartet zu haben, damit sie zuschlagen konnten. Shada war währenddessen längst entkommen, der Hohepriester hatte es nicht ändern können. Er hatte nicht vor in dieser Schlacht zu fallen, er hatte nicht vor klein beizugeben, nur weil er nun nicht mehr auf einem Pferd saß. Er war nicht hilflos. Zum ersten Mal spürten die libyschen Truppen nun, was es hieß, den Hass des Hohepriesters von Ägypten gegen sich prallen zu spüren. Sein Ruf war allseits bekannt, grausam und kalt. Erbarmungslos. Mit Schwert und Stab verteidigte er sich bis aufs Blut, doch die feindlichen Angriffe ebbten nicht ab, im Gegenteil. Er war einer der zwei großen Heerführer der ägyptischen Armee und deshalb eines der Hauptangriffsziele, gerade nun, da er verwundbar geworden war. In Massen prasselten die Angriffe auf ihn nieder. Er konnte sie zwar in Schach halten, doch es kostete eine Menge Kraft, die er anderweitig sehr gut hätte gebrauchen können. Er verlor den Überblick, konzentrierte sich nur noch auf den Kampf. Er verteidigte sich nicht nur, er schlug auch zurück. Er hatte versprochen, dass er sich an ihnen rächen würde und sein Durst nach Blut war noch nicht gestillt. Einer war noch übrig. Und er hatte versprochen zurückzukehren – zu ihr. Er hatte nicht vor auch nur ein einziges seiner gegebenen Versprechen zu brechen. Die Grenzen der Belastbarkeit waren keine Grenzen, die ihn einengten. Er kämpfte außerhalb der bewussten Wahrnehmung, auf einer anderen Ebene. Nicht gegen sich selbst, nicht gegen seine Feinde. Sie waren nur Spielfiguren in einem Kampf, den sie zu verlieren bestimmt waren, seit dem Moment, da sie ihn erblickten. Er kämpfte einfach nur um zu überleben, mit dem Körper, der die tödliche Klinge führte, als wäre sie mit seinem Fleisch verbunden, mit seinem Geist, der den Millenniumsstab zielgenau einsetzte. „Es läuft gut, sie sind zu verstreut und sie haben keine Möglichkeit zu fliehen“, erklärte eine ernste Stimme hinter ihm, von einem Pferd hinunterblickend, eilig und dennoch nicht gehetzt. „Ein wahrlich gut entwickelter Plan, wirklich. Hättest du trotzdem Interesse an einem ruhigeren Ort?“ Atemus Hand legte sich für eine Sekunde auf seine Schulter, dann blickte Seth auf und schwang sich hinter seinen Cousin auf dessen Pferd. Des Pharaos Millenniumspuzzle glühte, als er die feindlichen Truppen davon abhielt, sein Vorhaben zum Scheitern zu bringen. „Jederzeit“, antwortete Seth grimmig, und stach vorher noch auf einen herbeigeeilten und der Millenniumsmagie entkommenden Mann ein, der seine Waffe gezogen und angriffsbereit hielt. Wieder auf einem Pferd sitzend konnte er für einen kurzen Moment durchatmen und verschnaufen. Nie hatte er gedacht, dass so etwas möglich sein konnte, doch er war Atemu wirklich dankbar. Der Pharao trieb sein Pferd zur Eile an, es war in ausgezeichneter Verfassung und wurde durch das zusätzliche Gewicht nicht behindert. Gemeinsam ritten sie aus dem Gedränge hinaus, in die Peripherie des Schlachtfeldes. Die Fußsoldaten hatten keine Möglichkeit ihnen zu folgen, ihre Waffen waren zwar tödlich, doch sie hatten den Gefahrenradius längst verlassen, als sie verstanden, was geschehen war. Shada war entkommen. Eine tiefe Bitterkeit durchströmte Seths Körper, nun da der Adrenalinrausch ein wenig nachließ. Es hätte nicht geschehen dürfen, es hatte alles anders verlaufen sollen, ganz anders. Atemu trieb sein Pferd weiter. Er hatte das verwaiste Reittier eines Mannes entdeckt, ob libysch oder ägyptisch konnte er nicht sagen. Doch es schien gesund zu sein. „Meinst du, du schaffst es?“, fragte er an Seth gewandt und deutete auf das fremde Tier, doch der Priester antwortete nicht. „Cousin?“ Seth zwang sich, seinen Gedanken nicht nachzugeben. Shada war entkommen. Na und? Sollte er sich verkriechen, solange er noch konnte. Er würde ihn schon noch in die Finger bekommen. Er konnte sich nicht ewig verstecken. Eine Ratte wie er, die das luxuriöse Leben am Palast gewohnt war ... Er würde sich früher oder später zu erkennen geben. Und dann würde er ihn kriegen. „Für wen hältst du mich?!“, fragte er den Pharao und sah ihn leicht empört an, ehe er gekonnt vom Pferd sprang und die Zügel des anderen Tieres packte. Es scheute zunächst, ließ sich dann aber beruhigen. Und Seth saß auf. „Ich war nur besorgt über deinen Zustand“, gab Atemu ehrlich zurück. Das Schwert erneut fest umfasst, blickte er zurück auf die kämpfenden Truppen. Sein Blick fiel auf den Horizont. Die Sonne ging schon unter, es wurde bereits dunkel. Nur noch ein wenig Zeit blieb ihnen im Hellen. Vielleicht täuschte es, doch das rötliche Licht, das sich über alles legte, war wie ein Schleier, der alles langsam aber sicher in die Dunkelheit zog. War es dies, was er gewollt hatte? Sie verstand es nicht. Das Licht der untergehenden Sonne brach sich in ihrem roten Haar, ließ es im Schatten der Verborgenheit glitzern. Was sollte es bringen? Was hatte er geplant für sie? Hier zu sitzen und zu beobachten machte das Ganze nicht weniger grausam, nicht weniger zerstörerisch. Gab er wirklich alles auf für sie? Nur um diesen Krieg führen zu können? Die Melancholie, in die Meira von Zeit zu Zeit verfiel, seitdem sie gesehen hatte, was die Millenniumskette ihr zu zeigen in der Lage gewesen war, war spürbar, doch Cyrus bemerkte sie nicht. Er beobachtete die Schlacht, die ihn so sehr in den Bann zog und war blind für alles, das in seiner Nähe geschah. Würde es etwas bringen, wenn sie ihm sagte, was sie gesehen hatte? Würde es ihn stoppen? Sie bezweifelte es. Nein, er würde nicht aufhören. Er würde weiter machen, genau wie sie. Hatte sie denn etwas verändert? Sie war nicht unschuldig. Sie war kein Engel. Ihre Sünden ließen sich nicht wieder rein waschen und sie legte es auch gar nicht darauf an. Wenn nur Akim bei ihnen bleiben würde ... Sie hatte ihren Bruder schon einmal verloren. Damals hatte sie alles dafür gegeben, ihn eines Tages wiedersehen zu können, und jetzt drohte er ihnen erneut entrissen zu werden. Akim. Cyrus. Wieso erkannten sie nicht, was es bedeutete? Wieso sahen sie nicht, was sie nicht zu ändern vermochten? Wieso begriffen sie nicht, wovor sie ihr Herz verschloss, ehe es zerbrechen würde? Alles nur für ein kleines Mädchen? Alles nur für Macht? Welchen Sinn hatte all die Zerstörung? Und warum wollte sie sich nicht dagegen auflehnen? Warum nur ließ sie alles geschehen, alles passieren? Meira atmete tief durch und warf ihr Haar über ihre Schultern. Dies war nicht der Moment für sie zu handeln. Längst war sie in die Falle getreten, die alle traf, die die Zukunft gesehen hatten: Ohnmacht. Das Wissen, nichts ändern zu können, weil die Alternative einen verschleierten, unbekannten Weg darstellte. Und wer wählte schon das Unbekannte, wenn der vorherbestimmte Weg sich klar und deutlich vor ihm ausbreitete? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)