Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 69: Liebe ----------------- Wollte er lächeln? Wollte er es lassen? Als Hohepriester von Ägypten war er schon auf viele skurrile und absurde Situationen gestoßen, doch keine war so eigenartig gewesen, wie diese hier. Vor ihm stand ein Mädchen, das in Kinderschuhen zu gehen schien, die ihm viel zu groß waren. Unaufhörlich lächelnd stolperte sie vor sich hin und kam doch nirgendwo an. Mana. Seine Verlobte. Er schluckte. Es hatte sich so vieles verändert. Ihr das Gedächtnis zu nehmen war nur eine Kleinigkeit gewesen, ein Schritt, der leicht gewesen war im Vergleich zu dem, was ihm nun bevorstand. Er hatte es ihr versprochen. Er hatte ihr versprochen, dass sie bei ihm bleiben durfte und er hatte ihr versprochen, dass sie glücklich sein würde. Niemals hätte er den Preis dafür erfassen können. Ihre großen, kindlichen Augen strahlten – doch die Freude war nicht echt. Sie schien ihm entgegen zu schreien und ihn für all das verantwortlich machen zu wollen, was er getan hatte. War es bei Akim ebenso gewesen? Waren auch seine Augen anklagend gewesen? Anklagend dafür, dass er ihm das Leben genommen hatte, das ihm eigentlich zugestanden hätte? Das ihr eigentlich zugestanden hätte? Er hatte sich nicht zu beklagen. Ihre letzten ehrlichen Worte an ihn, er musste sie im Gedächtnis behalten. Er allein konnte sie in Erinnerung behalten. Es gab keine Magie in Mana, die alles rückgängig machen konnte, denn sie hatte all dem zugestimmt. Sie hatte ihn darum gebeten, alles ungeschehen zu machen – wirklich alles. Es gab kein Zurück. Er atmete tief durch. Sollte er sie aufgeben, nur weil sie bereit gewesen war, alles zu opfern? Weil er alles geopfert hatte? Nein. Sie konnte nichts dafür. Sie saß vor ihm, lächelte ihn an und wartete auf seine Antwort. „Sei Adalia nicht böse…“, versuchte er sie zu besänftigen, „Sie musste streng sein, ich habe sie darum gebeten. Immerhin sollte sie auf dich aufpassen.“ Adalia nicht zu vertrauen wäre ein törichter Fehler gewesen, den er nicht zu machen bereit war. Er kannte sie, wusste, wie sie in bestimmten Situationen reagierte. Er war sich ihrer unendlichen Treue bewusst. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie hatte ihr wirklich eine ganze Menge beigebracht und darüber war er sehr froh. „Ich kann ihr gar nicht böse sein“, grinste Mana und schaute kurz zu der Priesterin. „Aber ich kann auf mich selbst aufpassen!“ Sie quängelte leicht. Er schluckte erneut. Wenn sie es nur gekonnt hätte… Er musterte ihr forderndes Gesicht. „Du möchtest in den Garten?“ „Ich möchte sogar sehr gern in den Garten!“ Sie war sofort Feuer und Flamme. Sie stand auf, und sah aus glänzenden, grünen Augen zu ihm auf. „Gehen wir? Gehen wir?“, drängelte sie, ergriff seine Hand und tat so, als würde sie ihn zur Tür ziehen wollen. In diesem Moment trat die Priesterin an sie beide heran, die sich bis dahin zurückgehalten hatte. „In den Garten?“, murmelte sie leise, die Worte wiederholend. „Verzeiht“, bat sie förmlich, „Ich würde vorschlagen bis zum Morgen damit zu warten.“ Zu bildhaft war die Erinnerung daran, was beim letzten Mal geschehen war. War es wirklich klug, das Mädchen erneut einer solchen Belastung auszusetzen? Vielleicht konnte sie in den Garten gehen, wenn er dabei war … Doch ihr Körper brauchte definitiv Ruhe. Manas Augen wurden noch größer. „Bitte, bitte, bitte!“, flehte sie energisch und zog die Mundwinkel trotzig nach unten. Sie ließ des Priesters Hand los und stellte sich direkt vor Adalia, um sie selbst ansprechen zu können. „Bitte! Ich lauf‘ nicht weg und ich bleibe in der Nähe und bin ganz brav!“ Adalias Blick wurde weich. „Aber es ist doch schon fast dunkel, du kannst doch gar nichts mehr erkennen draußen.“ Es war tatsächlich schon ungewöhnlich dunkel, selbst für die bereits fortgeschrittene Zeit. Die Idee war nicht die beste, doch die Entscheidung lag bei Seth. Sie wollte sich nicht in den Vordergrund drängen, schon gar nicht seine Autorität untergraben. Der Hohepriester betrachtete die beiden Frauen aufmerksam. Das Spiel, das sich zwischen ihnen entwickelt hatte, war geradezu beeindruckend. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass Mana – seine kleine Mana – nun so anders war. Er konnte sie nicht einsperren. Sollte sie nicht glücklich werden können? Sie wollte in den Garten und er würde ihr ihren Wunsch erfüllen. Zu lange schon hatte sie seinetwegen zurückstecken müssen. „Also schön…“, gab er schließlich nach, „Aber wir bleiben nicht lange.“ Sie wusste nicht, ob es eine gute Idee war, doch sie wollte sich nicht widersetzen. Leicht unglücklich verließ die Priesterin hinter Seth und Mana das Zimmer und blickte direkt in Akims überraschte Augen. Sie seufzte leicht, verschloss die Tür hinter sich und schritt auf das Drachenmädchen zu. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie sie, wohlwissend, dass der Hohepriester selbst sich wohl um Mana kümmern wollte für den Moment. Die Weißhaarige lächelte schwach. „Ja, alles in Ordnung“, hauchte sie leise, konnte den Blick jedoch nicht von Mana und Akim abwenden. Sie wirkte bedrückt. Die Priesterin folgte ihrem Blick. „Wieso ist er wieder hier?“, wollte sie wissen, doch es war kein Befehl in ihrer Frage. Kisara traute dem Jungen, das hatte sie längst erkannt. Und Adalia akzeptierte ihre Meinung. Kisara zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich selbst nicht so genau…“, gab sie zu, und die Brünette nickte verstehend. Sie würde es schon noch erfahren… Das Mädchen neben ihr seufzte leise, senkte den Blick, als der Hohepriester der Priesterin zunickte. Sie legte ihr eine Hand auf die Schulter und lächelte sie aufmunternd an. „Er hat dich nicht vergessen“, flüsterte sie ihr zu und schien damit genau den Nerv des Drachenmädchens getroffen zu haben. „Ich weiß…“, murmelte sie, doch ihre Unsicherheit war nicht zu übersehen. Die Brünette nickte nur. „Ich muss jetzt gehen, Mana braucht ein Kindermädchen“, entschuldigte sie sich und machte einige Schritte von ihr weg. Die Weißhaarige lächelte besorgt. „Pass‘ gut auf sie auf, ja?“, bat sie nur. Adalia beeilte sich, es ihr zu versichern. Sie kam nicht darum herum, sich Sorgen um das Mädchen zu machen. Beizeiten wirkte sie äußerst angeschlagen und zurückgewiesen. Sie würde mit Seth darüber reden müssen, beschloss die Priesterin. Kisara hatte ihr Herz am richtigen Fleck, ihre Unterstützung war wirklich überaus hilfreich. Und sie verdiente eine angemessene Behandlung. Er hatte nicht erwartet, dass sie so stürmisch war. Kaum, dass er seine Worte ausgesprochen hatte, war sie losgelaufen, hatte die Tür aufgerissen und war in den Gang hinausgelaufen. Hätten nicht allein schon ihre Verletzungen ihr eine solche Reaktion unmöglich machen müssen? Er wusste es nicht. Ein verlorenes Gedächtnis schien andere Maßstäbe zu setzen, wie er nun feststellen musste. Auch er hatte noch sehr viel zu lernen. Er musste lernen, besser mit ihr umgehen zu können, damit er ihre Bedürfnisse würde erkennen können. Ihre Reaktion auf den jungen Mann, in den sie förmlich hineingelaufen war, war ebenso überraschend wie schmerzhaft für den Hohepriester. Akim. Was tat er hier? Wieso war er hier? Und was hatte er mit Mana zu tun? Hatte nicht sie selbst keinen Kontakt mehr gewollt, seit er wieder zu seinen Geschwistern übergelaufen war? Zurückgekehrt, sollte er wohl eher sagen… Er hatte sich gegen Mana gestellt, als er seine Erinnerungen zurück bekommen hatte. Wieso also tat er nun so, als wären sie noch immer Freunde? Diese Freundschaft hatte er nie verstanden. Beruhte sie auf Mitleid? Hatte Mana Mitleid mit ihm gehabt, als er noch bei Seth am Palast gewesen war, ohne Erinnerungen und ohne Hoffnung? Hatte er nun Mitleid mit ihr? Weil er sich in ihr sah? Mana war freudig auf ihn zu gelaufen, hatte ihn beim Namen gerufen und strahlte ihn an. Auch er lächelte, begrüßte sie freudig. Er blickte nicht zum Hohepriester. „Weißt du was?“, plapperte das Mädchen munter, „Wir gehen in den Garten!“ Voller Stolz verkündete sie es, drehte sich strahlend zu Seth und wieder zurück zu Akim. Die eingefrorene Stimmung zwischen ihnen konnte sie nicht fühlen. „Du musst unbedingt mitkommen!“, verkündete sie freudig, „Ich muss euch was zeigen! Euch beiden!“ Wusste sie, was sie da verlangte? Vermutlich nicht. Doch er hatte nicht die Wahl dies zu entscheiden. Ob er es wollte oder nicht, er musste ihn nun hier dulden. Mana wollte ihn hier bei sich haben und ihn nun zu verbannen würde sie nur verletzen. Er konnte es nicht. Mit strengen Blicken musterte er den Jungen, dann fiel sein Blick auf die Weißhaarige, die im Hintergrund stand. Die Bitte um Verständnis und um Nachsicht stand ihr ins Gesicht geschrieben. Er seufzte. „In den Garten?“, fragte Akim kurz nach und nickte dann. „Also gut, ich komme mit.“ Seine Stimme klang freundlich. Was immer er hier vor hatte, er tat es, um ihr einen Gefallen zu tun. Er musste es wohl so hinnehmen. Seth zog es vor, lieber nichts dazu zu sagen und ging stattdessen ein paar Schritte voraus. „Kommst du?“, fragte er das Mädchen und blickte kurz zu Adalia zurück, die mit Kisara im Gang stehen geblieben war. Er nickte ihr leicht lächelnd zu, während er auf Mana wartete. Diese hatte Akims Hand gepackt, zog ihn ein kleines Stück mit, damit er es sich nicht anders überlegen konnte und ließ ihn dann wieder los. Sie strahlte ihn noch einmal an und lief dann selbst los, an Seth vorbei, kichernd und begeistert, drehte sich dann um zu ihm und tapste rückwärts weiter. Ihr Kopf lag schief und eigentlich war es ein absolutes Wunder, dass sie nicht das Gleichgewicht verlor. Sie grinste glücklich vor sich hin. Seth folgte ihr, Akim ebenfalls. Der Abstand zwischen ihnen war maximal, ohne dass einer von ihnen bewusst darauf achtete. Der Hohepriester stockte kurz. Manas freudiges Gesicht gefiel ihm, so oft schon hatte er sie lachen sehen, so oft hatte sie ihn herumkommandiert und – Er schüttelte den Kopf, entsetzt von sich selbst. Er durfte es nicht denken, nicht einmal für eine einzige Sekunde lang durfte er zurückdenken, wenn er es ihr nicht noch schwerer machen wollte. Doch wie sollte er das schaffen, wenn allein schon ihr braunes Haar im Wind wehte und förmlich nach ihm rief? Es war zum verrückt werden! Wie sollte er sich dem entziehen?! Mana grinste sie noch einmal an, dann drehte sie sich wieder um und lief weiter, so schnell ihre Füße sie trugen. Sie kannte den Weg noch vom letzten Mal und nun, da sie endlich wieder hierher durfte, konnte sie es kaum erwarten. Es erschien ihr Ewigkeiten her zu sein; sie musste unbedingt sehen, ob sich irgendetwas verändert hatte. War alles wie im Traum? War da auch eine solche Dunkelheit? Sie lief die Stufen zum Garten hinab, streckte die Arme in die Höhe und atmete die frische Luft ein. „Endlich!“, schrie sie in den Himmel hinein, erschrak kurz, als sie sah, wie dunkel dieser schon war, grinste schwach und sah sich nach den anderen um. „Wieso seid ihr so langsam?“, beschwerte sie sich, und stemmte die Fäuste in die Seite. Der Violetthaarige war es, der als erster auf ihre Provokation ansprang. „Sind wir doch gar nicht!“, rief er ihr hinterher und lachte. Auch er war inzwischen im Garten angekommen, stellte sich zu ihr. „Da bin ich!“ In Gedanken versunken erreichte der Hohepriester als Letzter ihr Ziel. Er hatte es nicht allzu eilig. Zum einen musste er sich erst seinen Gedanken entledigen, zum anderen hatte er nicht viel Interesse daran, dem Jungen zu nahe zu kommen. Er war gefährlich. Seth wusste es und es gefiel ihm gar nicht, dass Mana ihn so nahe an sich heran ließ. Natürlich hatte Adalia ihn gewarnt, dass Akim hier gewesen war, doch dass er nun einen solchen Stellenwert für Mana hatte, war alles andere als gut. Er hatte die Macht, ihr ohne jeden Kampf das Leben zu nehmen. Doch das war es nicht, was der Hohepriester fürchtete. Die Frage, die sich ihm jedoch stellte, war, ob Akim es wagen würde, sich offen gegen ihn zu stellen, solange Mana in der Nähe war. Es hätte ihn nicht gestört, wenn er nicht gewusst hätte, dass er dadurch die Möglichkeit bekam, Mana vollständig zu zerstören. Er konnte sie nicht aus den Augen lassen. „Aber ich bin immer noch schneller!“, kicherte sie Akim entgegen und strahlte wieder in die Runde. „Ich muss euch etwas zeigen!“ Sie lief voraus, verschwand hinter dem ersten Busch. Sie war auf dem Weg zum Teich, sie wusste, dass er hier sein musste und dennoch schien sie die Dunkelheit ein wenig einzuschüchtern. Flüchtig sah sie sich um, Seths und Akims Rufe vernehmend. Sie blinzelte. Es legte sich ein Lächeln auf ihr Gesicht, als sie das Wasser erblickte. Alles war nun wie in ihrem Traum, und doch war es anders. Sie wusste, dass sie nicht allein war. Langsam trat sie daran heran, stellte sich demonstrativ neben den Teich und zeigte darauf. „Hier!“, rief sie ihren Begleitern entgegen, enttäuscht fast, dass diese nicht schnell genug waren. „Mana?“ Seth gefiel es überhaupt nicht, dass er sie nicht sehen konnte. Er wollte sie in seinem Blickfeld haben, wollte da sein können, wenn sie ihn brauchte und sie nicht dann erst noch suchen müssen. Er wollte, dass sie bei ihm blieb, doch wie sollte er das machen? Er konnte sie nicht an die Kette legen. Er lief ihr hinterher, Akim noch immer ignorierend. Dieser sah die Sache nicht so eng, sondern gab sich alle Mühe, das ganze in ein lustiges Spiel für Mana zu verwandeln. Er hatte gewartet, bis er sie nicht mehr sehen konnte, bis er hinter ihr herlief. „Ich bin schneller!“, rief er lachend, wusste jedoch selbst genau, dass es nicht stimmte. Sie war schon immer schneller gewesen als er, aber sie hatte sich auch immer schon dadurch ärgern lassen. Als sie schließlich den Teich und Mana erreichten, stockten sowohl Akim als auch Seth. Der Jüngere biss sich kurz auf die Unterlippe, schaute flüchtig zu dem Hohepriester, ehe er seinen Blick wieder auf die Kleinste richtete. Sie wusste wirklich, wie sie ihn effektiv quälen konnte, das musste er ihr schon lassen. Entgeistert starrte der Brünette auf das Wasser. Dieser Ort war voller Erinnerungen; Erinnerungen, die zwar für Mana leer waren, ihn jedoch zu foltern wussten. Er versuchte zu lächeln. Sie wusste es nicht, sie konnte es nicht wissen. „Was ist mit dem Teich?“ Mana kicherte ihn an, strich sich mit dem Arm über das Gesicht, als würde sie etwas wegwischen, und strahlte ihn fasziniert an. „Ist er nicht wunderschön?! Ich habe hiervon geträumt!“ Das Mondlicht spiegelte sich an der Oberfläche, ehe es von dem Schatten verdeckt wurde. Mana stand mit dem Gesicht zu Seth und zu Akim, lächelte. „Ich finde es wunderbar hier!“, rief sie grinsend, bevor sie stockte. Ihr Strahlen schien zu gefrieren, sie kniff die Augen zusammen und sah aus, als würde sie schreien wollen. Sie brachte keinen Ton hervor, doch sie fiel nach hinten, direkt auf das Wasser zu. Ein letzter erstickter Schrei drang aus ihrem Mund hervor, ehe sie die Wasseroberfläche mit dem Hinterkopf zuerst durchbrach und in eine Tiefe gezogen wurde, die der Teich zuvor nicht gehabt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)