Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 82: Teana ----------------- Pflichten, die es zu erfüllen galt, standen ihm bevor, unzählige Aufgaben für den Pharao Ägyptens. Reden, Ansprachen und Feste zu ihrem Sieg, Gedenken an die Opfer und die Neuordnung der politischen Lage an der Grenze – die Liste war schier endlos. Anliegen, die für den Krieg zurückgestellt worden waren, hatten nun Priorität und mussten angehört werden, ebenso jene, die neu hinzugekommen waren. Atemu seufzte schwer. Wie nur sollte er seine eigenen Gedanken ordnen um dem Volk gerecht zu werden? Wie nur seine Trauer, seine Wut und seine Angst unterdrücken und als Gebieter über sein Reich herrschaftlich auftreten? So vieles hatte sich verändert in der Zwischenzeit, so viele Einschnitte hatte es gegeben. Wie nur sollte er verkünden, dass die Götter sein Kind verstoßen hatten? Wieder schien sich seine Brust zu verkrampfen. Der Gedanke an den Verlust des Kindes stach tief hinein in sein Herz und doch war es noch immer nicht ausgestanden. Wie nur sollte er es Seth mitteilen? Er musste die traurige Neuigkeit dringend erfahren, nun, da er neben Atemu selbst der einzig übrige Thronanwärter war. Wie würde er dazu stehen können? Sicher kam ihm diese Nachricht nicht weniger ungelegen. Ihn nun ins Licht der Öffentlichkeit zu ziehen war gewiss nicht von Vorteil, denn nicht nur auf den Hohepriester würde vermehrt geachtet werden. Nun, da das Kind tot war und Teana sich noch nicht davon erholt hatte, würden die Blicke auf Seth und Mana ruhen. Von ihnen würde man erwarten Stärke zu zeigen, während der Pharao es vor Kummer und Sorge nicht konnte. Mana... Ohne Erinnerungen. Seth war im Augenblick nicht bereit für die Öffentlichkeit und er konnte es ihm nicht verübeln. Wie nur wollte er Mana nun schützen? Ihre Veränderung durfte kein Aufsehen erregen. Sie würden sie in der Luft zerreißen! Und es war seine Pflicht ihnen die Zeit zu verschaffen, die sie nun brauchten. Seine ganz allein. Denn letztendlich war es nur ihm zu verdanken, dass dies alles überhaupt geschehen war. Wenn er nur jemanden anderes für den Unterricht erwählt hätte... Es war seine Pflicht sie zu schützen. Sie vor unnötigen Fragen zu bewahren und er würde ihr gerecht werden. Denn zumindest das war er Mana schuldig. Und was war er sich selbst schuldig? Entschlossen drehte er sich um und setzte sich in Bewegung. Die Öffentlichkeit konnte warten. All das hatte noch Zeit. Wenig Zeit dagegen hatte: Teana. Die Libyer zu überzeugen ihm zu folgen, war eine Kleinigkeit gewesen, wesentlich einfacher, als er es sich vorgestellt hatte. Nicht, dass er diesem Priester sonderlich viel zugetraut hätte, doch wenn es ihm nicht gelungen wäre die feindlichen Krieger davon zu überzeugen ihm zu folgen, nun dann wäre es auch kein sonderlicher Verlust gewesen. So machte es die ganze Sache um einiges einfacher. Einfach und interessant. Er konnte die Fäden im Hintergrund lenken, die Richtungen vorgeben und musste sich nicht selbst die Finger dreckig machen. Es war einfach großartig. Alles verlief nach seinem Willen und sollte doch etwas geschehen, war es nicht von Belang, denn alle Figuren waren unwichtig und austauschbar. Cyrus leckte sich genüsslich über seine Oberlippe. Die Ägypter würden sich schon sehr bald wünschen, niemals geboren worden zu sein und er freute sich über alle Maßen darüber. Seine Rache würde perfekt sein, niemals wieder würde irgendjemand auf dieser jämmerlichen Welt es wagen sich an seiner Familie zu vergreifen. Niemals wieder… Erst hatten sie ihnen Akim genommen und schließlich auch Meira so zugerichtet. Seine geliebte Schwester. Wer auch immer dafür verantwortlich gewesen war, würde zahlen – und das Mädchen ebenfalls. Und Akim? Sein Bruder Akim. Jahre lang war er verschollen gewesen, sie hatten nicht einmal gewusst, dass er noch am Leben war, bis er schließlich wieder vor ihnen stand. Der Priester, der ihn unterworfen hatte, hatte nie dafür gebüßt. Nie den Preis mit Blut gezahlt. Es war an der Zeit, dass er lernte zu bereuen; es war an der Zeit, dass er verstand, dass es Mächte gab, die die seinen bei Weitem übertrafen. Akim… Er hatte sich so sehr verändert und doch war er derselbe geblieben. In all den Jahren hatte er doch nie den Spaß an Spielen verloren. In all den Jahren hatte er nie das Lachen verloren… Und doch war er nicht mehr zuhause. Seine Heimat konnte er nicht mit Überzeugung als solche betrachten. Und sein Umgang im Palast war zweifelhaft. Meira mochte davon ausgehen, dass sie es vor ihm verbergen konnten, doch es war Cyrus nicht entgangen, dass sein jüngerer Bruder noch immer im Palast ein und aus ging, ganz so wie es ihm beliebte. Nur welchen Zweck er damit verfolgte, das war ihm nicht ganz klar. Es kümmerte ihn nicht. Es war seine Sache. Doch wenn er den Hohepriester nicht für seine Taten bluten lassen wollte, so konnte er sich nicht heraushalten. Diese Rache würde er sich nicht entgehen lassen. Das Heer war bereit, kampferprobt und verbittert. Es war die perfekte Mannschaft um sie für seine Zwecke zu benutzen. Sie hörten auf das Wort des ägyptischen Priesters, der von ihnen allen wohl die meiste Wut im Herzen hatte und dieser hörte auf sein Wort. Er selbst glaubte wohl, dass er ihn hintergehen konnte, doch Cyrus wusste es besser. Es versprach interessant zu werden. Shada formte das Heer und gab ihm eine Aufstellung, verteilte Waffen an all jene, die ihr Geschütz in der vorangegangenen Schlacht verloren hatten und deckte auch sich selbst wieder ordentlich ein. Die Pferde wurden angetrieben, kranke oder verletzte Tiere ausgetauscht. Unentwegt schrie er ihnen Parolen des Hasses zu, schürte ihre Abscheu und ihre Verachtung vor den Mördern ihrer Verwandten und Freunden, vor den Unterdrückern ihrer Freiheit und vor den Unterwerfern ihres Willens. Es war gerade zu lachhaft, wie sehr er sich in seine neue Aufgabe hineinsteigerte; lachhaft wie nötig er es hatte, ihnen seine eigene Wut aufzudrängen. Das Heer hatte eine Aufgabe, die nur eine einzige Handschrift trug: Zerstörung. Cyrus schüttelte den Kopf. Shada hatte sich an die Spitze der Truppen begeben und führte sie nun an, trieb sie der Hauptstadt des ägyptischen Reiches entgegen. Der ehemalige Priester zuckte lässig mit den Schultern, als er den Blick des Nebelherrschers auf sich spürte. Sein Grinsen sprach eine eindeutige Sprache. Eine Hoffnung, die der Violetthaarige zu zerschlagen gedachte. Er hatte nicht vor den Hohepriester jemandem anderen zu überlassen, doch sollte der Kahlköpfige ruhig glauben, was er wollte. Er konnte ihn nicht täuschen, und wenn er sich einbildete, dass er untätig bleiben würde, dann war er naiv. Naivität war so leicht zu brechen… Die Zeit war gekommen dem Ganzen die nötige Atmosphäre zu verschaffen und sich selbst einzubringen. Er bewegte zwar strategisch die Figuren, doch den Spaß des Krieges würde er sich nicht länger entgehen lassen. Zu lange hatte er sich herausgehalten, zu lange nur beobachtet. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, zu dem es sich lohnte sich die Finger zu beschmutzen, nun, da all die lästige Vorarbeit getan war. Dieses Mal würde er es zuende bringen. Dieses Mal gab es kein Zurück. Er schmiss seine Hände gen Himmel, lachte in die entstehende Finsternis hinein. Der Nebel, den er rief, war schwarz, erstickte jedes Licht und jeden Funken Hoffnung im Keim, denn er war erfüllt von den Schreien, den klagenden Lauten, die der Wind über das Schlachtfeld getragen hatte und die im höchsten Ton und im Tode endeten. Er war zurück gekommen. Konnte es auf etwas anderes hinauslaufen? Sie brauchte ihn, er allein blieb übrig, wenn er es von ihrer Perspektive aus betrachtete. Er war ihr engster Vertrauter. Wer sollte ihr beistehen, wenn nicht er? Es war alles so unfassbar… Eben noch waren sie dabei eine kleine Familie zu werden, zwar unter ständiger Beobachtung, aber dennoch glücklich. Und nun? Es war alles wie zerstört. Das Kind war tot, Teana lag im Sterben und er konnte nichts tun. Wieso nur sie? Wieso sie beide? Welches Verbrechen hatte er gegen die Götter begangen? Welchen Verrat getan? Er betrachtete sie stumm. Die Überreste seine Familie, die letzten Fäden, die noch nicht gerissen waren. Teanas Leben. Er musste sie unbedingt retten, musste ihr unbedingt beistehen, ganz egal was es kostete. Wenn er nur kein Pharao gewesen wäre… Die Last auf ihren Schultern wäre so viel leichter gewesen. Zwar hätte er dennoch in die Schlacht ziehen müssen, doch er hätte jemanden dafür verantwortlich machen können, jemanden verfluchen. So blieb nur er selbst. War es nicht genau so, wie sie alle es ihm gesagt hatten? Vor dem Krieg? Wie Teana es ihm gesagt hatte? Wie sogar Mana – er schluckte beim Gedanken an sie wiederum – es ihm gesagt hatte? Er hatte alles dafür vorbereitet, dass Seth ihn als Pharao ersetzen konnte, sollte ihm etwas zustoßen, und alle Warnungen in den Wind geschlagen um das Heer selbst anzuführen. Hatte er denn gezweifelt, dass Seth allein das Heer nicht hätte führen können? Nein. Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, dass nicht er zum Opfer dieses Krieges werden würde, sondern Teana. Weit ab von der Grenze, verborgen hinter dicken Mauern, die hätten Schutz bieten sollen. Alles war anders gekommen, als er es erwartet hatte. Was blieb ihm nun? Welche Alternative hatte er noch? Teana brauchte ihn, brauchte ihn dringender als je zuvor. Also musste er stark sein für sie. Wenigstens ein einziges Mal wollte er seinen Pflichten als Ehemann gerecht werden, nicht als Pharao. Die Politik hatte bereits zu viele Opfer gefordert, die nicht mehr wieder gut zu machen waren. Zu hoch war der Preis gewesen, den sie alle zu zahlen gehabt hatten. Teana. Sie wühlte sich im Bett umher, unruhig, kalter Schweiß auf der Stirn. Und der Arzt war ratlos. Was konnte er da tun? Was sollte er tun? Was wurde von ihm verlangt? Welch übermenschliche Tat sollte er vollbringen um die Götter gnädig zu stimmen? Er war kein Gott. Er hatte nie einer sein wollen. Er wollte doch nur … Teana. Immer nur Teana. Teana, wie sie ihn lächelnd ansah. Teana, wie sie majestätisch ihre Pflichten erfüllte. Teana, wie sie traurig in die Gegend blickte, wenn die Welt zu viel von ihr verlangte. Teana, wie sie lachte, Teana, wie sie weinte. Immer nur Teana. Seine Teana. Langsam erhob er sich, war dann aber doch schneller, als er selbst es erwartet hätte, an ihrem Krankenbett und ergriff ihre Hand. „Teana“, flüsterte er eindringlich, „Bitte…“ Sie musste aufwachen, sie musste kämpfen, sie musste leben! Sie musste, sie musste, sie musste! Doch sie zeigte keine Reaktion. Qadir trat an ihn heran, musterte ihn aufmerksam. „Herr, ich möchte Euch noch einmal bitten dieses Zimmer zu verlassen“, sprach er nachdrücklich, „Es steht sehr ernst um sie…“ Atemu bedachte ihn mit einem todbringenden Blick. „Genau deswegen bleibe ich!“, zischte er in einem Ton, der jeden Widerspruch nicht duldete. Er war noch immer der Pharao und Qadir nur ein Arzt. Er drehte sich wieder zu seiner Liebsten, drückte ihre zarten Finger ein wenig fester und strich ihr sanft über ihre Stirn und ihre Wangen. „Teana, bitte wach auf…“ Sie ließ sich nicht aus ihren finsteren Träumen reißen, doch sie wurde ruhiger. „Atemu“, hauchte sie schwach, gefangen in sich selbst und es war nur ein leises Murmeln, so dass er noch nicht einmal sicher sein konnte, sie wirklich gehört zu haben. Trotzdem versuchte er aus diesem einen kleinen, leisen Wort neue Hoffnung zu schöpfen, Hoffnung, die er so sehr benötigte. „Teana? Hörst du mich?“, fragte er wieder, wurde ungeduldiger, „Wach auf, bitte! Du musst aufwachen und kämpfen, hörst du?! Lass mich nicht allein…“ Seine letzten Worte waren erstickend, es schnürte ihm die Kehle zu. Doch keine Veränderung. Sie hörte ihn nicht und ihre Augen blieben geschlossen. Nur einmal noch… Nur einmal noch wollte er sie lächeln sehen, nur einmal noch wollte er in ihre strahlenden Augen blicken… Nur ein einziges Mal… Verzweiflung machte sich breit. Er schüttelte sie leicht, rief immer wieder ihren Namen. Täuschte er sich, oder nahm ihre Körpertemperatur ab?! Bei allen Göttern, er konnte nur beten, dass er es sich einbildete… Was sollte er denn nur ohne sie tun?! „TEANA!“, rief er wieder, er war immer lauter geworden. Er schüttelte sie, er schüttelte seinen Kopf, die Tränen schossen ihm in die Augen und er konnte nichts dagegen tun. „VERDAMMT!“, schrie er, starrte den Arzt an, „TU DOCH WAS!“ Er brüllte, einfach so, brüllte ohne Sinn und Verstand jeden an, der ihm in den Weg kam, jede helfende Hand, die nichts für sie tun konnte. Und doch blieb immer nur Teana. Er wollte nicht weg von ihr, er wollte doch nur ihr Lächeln sehen, nur ihr Lächeln! War das denn zu viel verlangt?! Er rückte näher an sie heran, bettete verzweifelt seinen Kopf auf ihre Brust und lauschte ihrem schwachen, unregelmäßigen Herzschlag. „Wach auf… Wach einfach auf!“, flehte er und schlug mit der Faust auf das Bett neben sich, „Nicht du auch… nein… Wach auf, Teana!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)