Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 83: Traum ----------------- Schritt für Schritt lief die Zeit voran, Sekunde um Sekunde verging und niemand konnte sie stoppen. Nichts auf dieser Welt konnte sie aufhalten, weder die Millenniumsmagie, noch die Magie des Nebels. Es war der natürliche Lauf der Dinge. Wie sollte man sich da widersetzen? Die Zeichen waren eindeutig, Vergangenheit, Gegenwart – und Zukunft. Alles geschah so, wie die Kette es ihr gezeigt hatte, ohne Einschränkungen, ohne Zweifel an dem, was da kommen würde. Meira schluckte einmal schwer. Ihr Bruder tat alles, was in seiner Macht stand, um diesen Krieg in Bewegung zu bringen – diese Mal sollte es kein Entkommen geben. Der Priester, den er zu seiner Marionette gemacht hatte, tat ihr schon fast Leid für seine Blauäugigkeit. Aber nur fast. Im Grunde war er ihr völlig egal. Er war ersetzbar und er würde es schon noch merken. Selbst wenn sie ihn also von seinem Vorhaben hätte abbringen können, so wäre doch die entstehende Lücke schnell geschlossen. Der Stein war ins Rollen gebracht und niemand konnte sich dem Lauf des Schicksals widersetzen. Hätte sie es gekonnt? Hätte sie es getan, wenn sie nicht vorher schon alles gesehen hätte? Hätte sie sich dann diesem Kampf angeschlossen? Rache… War es ein Lebensgefühl, das so erstrebenswert war, dass man alles dafür riskierte? Sie wusste es nicht. Ihr großer Bruder hatte immer alles für sie getan, hatte sich immer um sie gekümmert. Immer war er da gewesen und all seine Taten waren nur ihretwegen geschehen. Doch war es Rache, die sie wollte? Rache dafür, dass sie so sehr verletzt worden war? Es war nicht das Mädchen gewesen, das sie so zugerichtete hatte, das hatte die Rothaarige längst durchschaut. Sie war nur das Medium gewesen, nichts weiter. Seit dem Moment, als Akim zu ihnen zurückgekommen war, hatte sie gewusst, dass es seine Magie gewesen war, die sich gegen sie gerichtet hatte. Das Mädchen hatte bereits gebüßt und doch war ihr Preis noch nicht gezahlt. Wollte sie sich an Akim rächen? Hätte sie es tun sollen? An ihrem eigenen Bruder? Nein. Und die Rache für ihn? Meira lächelte traurig. Cyrus trat für sie beide auf, doch eigentlich stand es ihm nicht zu, dies zu entscheiden. Sie hatte es immer gewusst und auch jetzt wusste sie es. Sein Starrsinn allein führte ihn und seine unersättliche Gier nach Macht. Er war der Mächtigste von ihnen allen, doch das war ihm noch immer nicht genug. Geblendet von all seinen Möglichkeiten übersah er, was sie längst gesehen hatte. Was sie ihm verschwiegen hatte… Meira hüllte sich selbst in einen Nebel ein, verbarg sich darin und entfernte sich immer weiter von ihrem Bruder, während dieser seine Schachzüge in die Tat umsetzte. Er beachtete sie sowieso jetzt nicht. Die Libyer interessierten sie nicht. Sie hatte nur noch Augen für die Kette, die sie nun in ihren Händen hielt und traurig betrachtete. Sie seufzte. Die Millenniumskette. Würde nun wirklich alles wahr werden? Gab es kein zurück? Jedes einzelne ihrer Worte kam ihm vor wie seine gerechte Bestrafung für all das, was er getan und nicht getan hatte, für all das, was er war und für all das, was er aus ihr gemacht hatte. Jedes einzelne Wort schnitt tief und prägte sich ein, doch durfte er keine Regung zeigen, durfte nicht zugeben, wie sehr er darunter litt sie so zu sehen. Es war nur gerecht, dass es ihm nun so schwer fiel mit ihr umzugehen, es war gerecht, dass er zu schweigen hatte, denn wenn er nur rechtzeitig eingeschritten wäre, hätte es niemals soweit kommen müssen. Es hatte in seiner Macht gestanden, all das zu verhindern, doch er hatte es nicht getan. Weil er nicht geglaubt hatte, dass so etwas innerhalb der sicheren Mauern des Palastes möglich war, weil er nicht geglaubt hatte, dass Atemu sich in der Wahl seiner Priester so sehr hatte täuschen können. Er hatte all das nicht gewollt. Er war nur seinem Herzen gefolgt, nur ein einziges Mal. Hatte Schwäche gezeigt, nur ein einziges Mal… Verletzbarkeit war etwas, das er sich nicht leisten konnte in einer Zeit wie dieser. Eine Zeit, die einem alles abverlangte, die das absolute Maximum forderte. Eine Zeit, in der Handeln auf dem Tagesplan stand und nicht bereuen. Eine Zeit, die von politischem Interesse war, eine Zeit, in der alle Wunden noch frisch waren, doch auch eine Zeit, in der ihr Sieg schwer wiegte. Eine Zeit wie diese. Und was tat er? Was war alles, woran er denken konnte? Pausenlos? Rundum die Uhr? ... Ein Mädchen ohne Erinnerungen. Die Etikette verlangte eine Partnerin an seiner Seite, eine Frau, die breit war die Krone mit ihm zu tragen, sollte er eines Tages Atemus Platz einnehmen. Eine Frau, die bereit war, ihr Wohl für das Volk und für das Land zurückzustellen. Eine Aufgabe, die Mana nun nie im Leben würde erfüllen können. Er seufzte tief. Was sollte er tun? Er konnte sie nicht allein lassen mit all ihren Fragen, konnte sie nicht einfach links liegen lassen. Er konnte Adalia bitten, sich um sie zu kümmern, doch er konnte sie nicht ignorieren. Es ging einfach nicht. Wenn sie nur endlich schlafen würde, wenn sie sich nur endlich Ruhe gönnen würde… Doch sie war aufgewühlt und aufgeregt, nun, da er wieder da war. Ihre Worte hatten ihn tief traurig gestimmt. Nachdenklich nahm er ihre Hand in die Seine. „Du wirst die Bedeutung deiner Gefühle kennen, glaube mir“, versuchte er sie zu besänftigen, davon ausgehend, dass er sie nie auf solch einfache Weise überzeugen konnte, doch sie stimmte ihm zu. „In Ordnung“, antwortete sie und kicherte – und Seth musste sich zwingen nicht zu entsetzt zu schauen. Ihr altes Selbst hätte ihm niemals geglaubt, hätte solange auf ihn eingeredet, bis sie selbst nicht mehr wusste, worum es ihr eigentlich ging – doch niemals hätte sie nachgegeben. Sie verglich ihre Hände mit seinen, war erstaunt und fasziniert, als sie erkannte, dass ihre Finger wesentlich kleiner waren als seine und spielte damit. Sie strich über seine Haut, sanft und langsam und stieß ihn damit in die Hölle. Er hatte es kaum verdient. Er genoss ihre Nähe und hätte sich im selben Moment für solche Gedanken ohrfeigen können. Ihre Berührungen brachten ihn durcheinander, genauso wie ihre Worte. Sie glaubte ihm? Wie konnte sie? Wieso hinterfragte sie nicht, wieso protestierte sie nicht? Wieso nur hatte er sie nicht behalten können, wieso nur war alles so schief gegangen? Sie kicherte, drückte sich dann an ihn. Sie suchte seine Nähe, immer und immer wieder, doch was sollte er tun? Sollte er ihren Wunsch erfüllen? War es wirklich ihr Wunsch? Ihr Lachen klang so verspielt, so vertraut. Ohne recht einen Einfluss auf seine Handlungen zu haben, schloss er seine Arme um sie. Er hielt sie fest und genoss. Für diesen einen Moment wollte er vergessen, für diesen einen Moment wollte er einfach nur froh sein, dass sie hier war. Nie hätte er gedacht, dass er so sehr an ihr hängen würde, nie hätte er gedacht, dass so etwas jemals möglich sein konnte. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er ihren Geruch aufsog. Sie kicherte, offenbar kam es ihr eigenartig vor, doch sie wehrte sich nicht. Im Gegenteil, sie schien Vertrauen zu fassen und hielt sich an ihm fest, kuschelte sich in seine Umarmung und strahlte. Dieser Blick gefiel ihm so viel besser als all die Traurigkeit und die Unsicherheit, die sie zuvor ausgestrahlt hatte. Wenn er nur dafür sorgen könnte, dass sie wenigstens so fröhlich blieb, dann hätte er zumindest eine Sorge weniger. Doch er war realistisch genug um zu wissen, dass es nicht möglich war. Die Kälte allein, die er auslösen würde in dem Moment, da er sie loslassen musste, war Grund genug, weshalb er das Lächeln auf ihrem Gesicht nicht festigen, nicht einfrieren konnte. Auf seinem auch nicht. Ihre Nähe war wie ein ungeahnter Schatz für ihn, doch er konnte nicht damit umgehen. Fasziniert betrachtete sie seine Augen, die sie fixiert hatten. Zögerlich hob sie ihre Hand und legte sie ihm an die Wange – der Hohepriester wäre am liebsten vor ihr geflohen. Sie, die sie ihn so in der Hand hatte, sie, die sie eine solche Kontrolle über ihn zu besitzen schien… Er musste sich das einbilden. Es konnte nicht real sein. In dem Moment, als er den Millenniumsstab losgelassen hatte und der Zauber damit permanent war, hatte er gewusst, dass eine solche Vertrautheit nie wieder möglich sein konnte. Es musste einfach ein Traum sein… Erschreckend genau, detailliert und realistisch ein grausames Abbild der Wirklichkeit – ein Traum, aus dem er nicht mehr erwachen wollte. Er lehnte sein Gesicht gegen ihre Hand, sah sie verlegen lächelnd an. Sie erwiderte seinen Blick, hielt mit ihrer anderen Hand die Seine ganz fest. Als sie die Worte sprach, die sein Herz scheinbar zerspringen ließen, sah sie fröhlich aus. „Ich bin mir sicher…“, murmelte sie leise, doch er verstand jedes Wort. Sie hörte nicht auf zu strahlen, lächelte ihn freudig und voller Erwartungen an. Doch waren es wirklich Erwartungen, die sie an ihn setzte? Wartete sie auf etwas? Verlangte sie es? Er konnte ihren Blick nicht deuten, doch er nahm ihn gefangen, hielt ihn in seinem Bann und er konnte nichts dagegen tun. Sein Verstand versuchte ihn aufzuhalten, schrie förmlich danach, dass er Vernunft annahm, doch sein Körper arbeitete scheinbar von allein. Er kam ihr näher. Immer und immer näher, konnte jede feine Pore in ihrem Gesicht sehen, bis er sich nicht mehr dagegen wehren konnte. Langsam und vorsichtig legte er seine Lippen auf ihre, küsste sie ganz sanft. Sie zuckte kurz erschrocken zusammen, zog jedoch nicht zurück, schloss die Augen und erwiderte. Sie schien genauso wenig darüber nachzudenken, was sie hier taten wie er und für den Augenblick war es ihm völlig egal. Es schien das einzig Richtige jetzt hier zu stehen und das Mädchen seiner Träume zu küssen. Er zog sie dichter an sich, sie kuschelte sich bereitwillig an ihn und als er den Kuss schließlich löste, strahlte sie immer noch. Eine leichte Röte hatte sich auf ihre Wangen geschlichen, sie wirkte etwas schüchtern. Ihr allererster Kuss – so schien es, war es gewesen, obwohl das natürlich nicht stimmte. Sein Herz schlug wie wild und alle Bedenken und Zweifel waren wie weggeblasen. War es so einfach? Er hätte noch stundenlang so mit ihr stehen können. Die Zeit spielte keine Rolle, solange sie nur da war. Sie war so lange nicht da gewesen… Sie strich ihm mit ihren Fingerspitzen über den Nacken und er genoss. Genoss jede ihrer Berührungen, jedes Lächeln, jeden ihrer schüchternen Blicke. Nie hätte er erwartet, dass dies noch einmal geschehen würde, nie hätte er gedacht, dass er seine Sorgen noch einmal würde ablegen können. Wenn auch nur für einen Moment... Er war müde, unbeschreiblich müde, doch er wollte es nicht zulassen. Nicht jetzt. Er konnte später noch schlafen. Seit er aus dem Krieg zurückgekehrt war, hatte er nicht geschlafen, doch es spielte keine Rolle. Nichts in der Welt hätte ihn nun ins Bett gebracht, nichts in der Welt hätte ihn nun dazu gebracht, sich von ihr zu entfernen. Nun, da er sie endlich wieder halten konnte… So vieles hatte sich verändert und doch war nicht alles anders. Sie war immer noch da, oder? Seine Gefühle für sie hatten sich nicht verändert… Aber er hatte sich verändert. Die Zeit der Trennung hatte ihm viele Gelegenheiten gegeben über ihre Beziehung nachzudenken, nun, da ihm jede Wahl freigestanden hätte – dem Versprechen zum Trotz. Jede Erklärung hatte in seiner Hand gelegen, jede Alternative. Sie hatte bei ihm bleiben wollen und er hatte dafür sorgen sollen, dass sie glücklich werden konnte – das waren ihre einzigen Bedingungen gewesen. Nichts verlangte, dass er sie trotz allem zu seiner Königin machte. Die Etikette widersprach sich selbst in diesem Punkt: Nach ihrer Verlobung auf dem Fest – wie viele Jahre schien das schon her zu sein – gab es im Sinne der Öffentlichkeit nur den Weg sie zur Frau zu nehmen, doch jede Regel des Anstandes schlug diesen Weg unter den gegebenen Umständen aus. Woran also sollte er sich halten? Es gab praktisch keine Vorgaben. Es gab nur sie und ihn und was sein Herz und sein Verstand ihm sagten. Und diese sprachen eine eindeutige Sprache: Er hatte keine Wahl. Schüchtern hauchte Mana dem Priester einen weiteren Kuss auf die Lippen, den dies wiederrum vollkommen unvorbereitet traf. Er erwiderte, gab sich der Verführung in, die sie für ihn ausstrahlte. Er konnte nicht an die Folgen denken jetzt, nicht an die Konsequenzen. Es war ihm alles egal, solange es nur nicht aufhörte. Sie strahlte noch immer und hielt seinen Verstand dadurch gefangen. Er unterbrach ihren Blickkontakt, zog sie an sich und vergrub seine Nase lächelnd in ihrem Haar, was sie zum kichern brachte. Wenn dies ein Traum war, dann wollte er ihn festhalten solange es ging, egal was es kostete. Er sog ihren Geruch ein, wie ein Ertrinkender, der den rettenden Luftzug spürte und genoss einfach nur ihre Nähe. Er atmete tief durch, schloss die Augen und konnte das Gähnen nicht mehr unterdrücken. Es war eine ganz natürliche Reaktion, trotzdem war sie ihm unangenehm. Er wollte nicht schlafen, nicht jetzt. Er wollte für immer hier stehen bleiben und niemals wieder aus diesem Traum erwachen, doch die Realität hielt dem nicht stand. Er brauchte den Schlaf und Mana kannte die Symptome. Souverän übernahm sie das Kommando. Sie grinste ihn an und stemmte ihre Arme in ihre Taille. „Du musst unbedingt schlafen!“, bestimmte sie, legte ihre Hände auf seine Brust und schob ihn rückwärts zum Bett. Mit etwas unbeholfenen Bewegungen brachte sie ihn dazu sich hinzulegen und deckte ihn zu. Wer müde war, der musste schlafen, damit es ihm besser ging. Das hatte Adalia gesagt und Adalia hatte recht. Und deswegen musste Seth jetzt schlafen. Widerstandslos ließ der Hohepriester sich von ihr dirigieren, zog sie dann neben sich, legte ihr seinen Arm um die Schultern und schlief fast augenblicklich neben ihr ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)