Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 86: Seth ---------------- Die Stimmung im Palast war eisig kalt, leblos fast und absolut unwirklich. Sie war bedrückend und das machte ihr Angst. Hätte nicht alles gut sein müssen? Jetzt, da der Krieg vorbei war, hätte da nicht gefeiert werden sollen? Und doch waren die königlichen Gemäuer wie ausgestorben. Stille war das Einzige, das überall präsent war. Präsent und einengend nahm sie jede Luft zum Atmen, jede Freude und jede Freiheit. Es war ganz und gar falsch. Wann war diese Todeskälte eingezogen in diese Welt? Woher stammte diese Leere, die alles ergriff? Was bedeutete all die Beklommenheit? Anfangs hatte das Drachenmädchen geglaubt, dass es sich nur um ihre persönlichen Eindrücke handelte, doch inzwischen hegte sie keinerlei Zweifel mehr: Der Palast und all das Leben darin waren im Begriff zu streben. Kisara schüttelte angespannt den Kopf, doch niemandem fiel es auf, denn niemand war hier. Lediglich die Wachen waren auf ihren Posten, doch auch sie erschienen eigenartig blass und hoffnungslos. Oder bildete sie sich das ein? Redete sie es sich schon ein, nur weil im Moment alles nach Erlösung zu schreien schien? Sie hatte ein ganz seltsames Gefühl. In der Nacht hatte sie kaum Schlaf gefunden und die daraus folgende Müdigkeit und die Erschöpfung taten ihr übriges um sie selbst in dieser Apathie gefangen zu halten. Irgendetwas würde passieren, da war sie sich sicher. Die Luft, die sie atmete, knisterte voller Vorahnungen, schmeckte kälter als sonst. Sie seufzte leicht. Sie konnte den Palast nicht verlassen, auch wenn es ihr die einzig sinnvolle Möglichkeit war, der Schande zu entgehen. Sie konnte nicht gehen. Nicht jetzt. Sie war verstoßen worden von dem Mann, dem sie ihr Herz geschenkt hatte und doch war er es, der sie nun an diesem Ort festhielt. Er brauchte ihre Hilfe, das spürte sie ganz genau. Wann, wenn nicht jetzt, sollte sie ihre Treue unter Beweis stellen? Sie hatte nie aufgehört ihn zu lieben... Alles, was zwischen ihnen schief gegangen war, hatte sie nicht gewollt und erstrecht nicht beeinflussen können. Es überstieg ihr Verständnis und ihr Vorstellungsvermögen bei weiten, doch nie hatte jemand danach gefragt. Dennoch befand sie sich nun ganz automatisch auf dem Weg zu ihm. Dies war nicht die Zeit um der alten Liebe hinterherzulaufen, die sie doch längst verloren hatte. Dies war nicht die Zeit um ungestellte Fragen zu stellen. Es musste etwas geschehen und es würde etwas geschehen, das wusste sie genau. Sie würde da sein, wenn sie gebraucht wurde, sie wollte ihrem Leben damit wieder einen Sinn geben. Wieso sie das wollte, wusste sie selbst nicht und sie war äußerst froh, dass niemand ihr diese Frage stellte, denn sie hätte keine Antwort geben können. Es waren andere Zweifel, die ihren Verstand beschäftigten, andere Fragen, für die sie sich selbst immer wieder selbst verurteilte. Warum eigentlich Mana?, fragte sie sich immer wieder und kam doch zu keiner Lösung. Warum nicht sie? Sie hasste sich für diese Gedanken, doch landete immer wieder bei demselben Punkt, alles drehte sich nur im Kreis und nahm kein Ende. Sie wusste, dass Seth das Mädchen liebte auf eine Art und Weise, wie er sie niemals geliebt hatte, auch wenn sie nicht verstand, was er an ihr fand, was so schrecklich besonders an ihr war. Doch das war es nicht, was sie so sehr quälte. Einzig und allein die eine Frage beschäftigte sie und hielt sie wach, Nacht für Nacht, seitdem alles zerstört worden war: Hätte er dasselbe für sie getan? Sie wusste es nicht. Sie würde es wohl auch niemals erfahren. Sie wollte es auch gar nicht. Zu schmerzhaft konnte die Antwort sein, die er ihr zu geben hatte. War es doch nur der Drache gewesen? Der Drache und die Macht, die seine Kontrolle versprach? Ja, sie hatte etwas zu bieten gehabt. Sie hatte es immer noch. Und doch hatte Seth sie freigegeben. Er musste gewusst haben, dass er damit auch den Anspruch auf die Macht des weißen Drachen verlor... War er also nicht dessen Bann erlegen? Seths Verhalten war widersprüchlich. Einerseits hatte er alles dafür getan um aufzusteigen, doch in dem Moment, da er fast alles erreicht hatte, was er je angestrebt hatte, hatte er alles von sich gestoßen und auf wackligem Fundament gebaut. Für die Liebe? Es passte nicht zu ihm. Sie bog in einen Gang ein, der direkt zu des Hohepriesters Gemächern führte. Wie oft schon war sie hier gewesen, wie oft schon hatte sie ihre Zeit hier verbracht, doch nun fühlte sie sich wie eine Fremde, die sich unerlaubt in seine Nähe schlich. Was sollte sie tun? Sie hatte doch nur ihn hier im Palast, er allein hatte ihr einen Platz gegeben, er allein hatte sie von der Straße geholt und damit ihre Pein beendet. Die Pein, die ihre blasse Haut mit sich gebracht hatte, ihr strahlend weises Haar. Auf der Straße war es grau gewesen, dreckig und strähnig, doch trotzdem anders und dadurch abstoßend. Immer war sie allein gewesen, gejagt und vertrieben bis in die Gefangenschaft. Auch damals schon hatte er sie befreit. Auch damals schon hatte er ihr dabei geholfen, ihre Ketten zu sprengen. Und dann war er an den Palast gekommen, ein vielversprechender junger Priester, ohne seine eigene hohe und edle Abstammung zu kennen und hatte es allen bewiesen und alles in Erfahrung gebracht. Damit hatte sich für ihn alles verändert und doch hatte er sie wieder befreit. Er hatte sie an den Palast geholt und ihr ein Leben ermöglicht, dass sie sich nie erträumt hätte. Hatte er ihr nun all das genommen? Nein. Sie hatte ihre Freiheit, konnte ein Leben in Würde führen und war relativ angesehen. Doch war das Großzügigkeit? Hatte er sie lediglich so lange an die goldene Hand genommen, bis sie gelernt hatte auf eigenen Füßen zu stehen? Noch ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, wurde die Tür aufgerissen und Mana lief ihr direkt in die Arme. Als sie in ihrem Gemach angekommen war, atmete Adalia erst einmal tief durch. Erleichterung floss durch ihren gesamten Körper, ließ sie sich unwillkürlich schütteln. Die Anspannung hatte sie in jeder Faser gespürt und als diese nun von ihr abfiel, traf es sie ziemlich unvorbereitet. Die Priesterin musste sich setzen. Sie zitterte und ihr war kalt. Bakura war wirklich nicht zu unterschätzen und für einige lange Stunden hatte sie nicht gewusst, ob er sie jemals wieder freigeben würde. Sie hätte ihm auch wochenlang die Stirn geboten, wenn es nötig gewesen wäre, niemals hätte sie klein beigegeben und sich ihm unterworfen. Nichts in der Welt hätte sie dazu zwingen können, nicht einmal ihre eigene Schwäche. Und doch musste sie sich eingestehen, dass es knapp gewesen war – sehr knapp. Viel zu knapp um es genau zu nehmen. Es gefiel ihr überhaupt nicht, kratzte an ihrer Selbsteinschätzung. Doch niemals hätte sie sich unterworfen. Jeder Drohung zum Trotz, jede Tat hätte er bereut und genau das würde er noch tun, wenn sie sich erst einmal wieder gefasst hatte. Die Schriftrollen hatte sie achtlos zu Boden fallen lassen. Sie würde sich gleich darum kümmern. Zunächst einmal brauchte sie einen Augenblick um sich zu sammeln. Sie lag auf ihrem Bett auf dem Rücken und starrte an die Decke. Nur langsam wich die Kälte aus ihren Gliedern, nur langsam gelang es ihr sich wieder auf sich selbst zu besinnen. Langsam, aber doch mit Bestimmtheit. Es brauchte mehr um sie zu unterwerfen, als einen lähmenden Zauber, ein paar Dolche und ein hinterhältiges Lächeln. Nun war dies kein Kampf mehr, den sie für Seth oder Mana führte, nein. Nun war es ein Kampf um ihre eigene Ehre, den sie gewiss nicht zu verlieren gedachte. Die nächste Begegnung mit dem Meisterdieb würde ganz gewiss anders verlaufen. Sie lächelte. Oh ja, er würde staunen, wenn die Erkenntnis ihn traf. Er würde sie bewundern und verachten – und der heftigsten Niederlage seines Lebens gegenüberstehen. Sie zweifelte nicht eine einzige Sekunde lang an ihrer Überlegenheit. Er hatte sie überrascht, hatte Glück gehabt. Doch das war nun vorbei. Er konnte sich nicht mit ihr messen, war ihr niemals gewachsen. Sie hatte den besten Lehrer gehabt, den sie hätte kriegen können und sie hatte immer alles gegeben und ihn noch nie enttäuscht! Sie würde jetzt nicht damit anfangen. Tief durchatmend setzte Adalia sich auf, das zerrissene Gewand, das sie immer noch trug, fiel einfach herab, ohne dass sie sich daran störte. Es war eine Last gewesen kein ordentliches Gewand zu haben, hatte sie ziemlich behindert. Nun, da sie sich wieder frei bewegen konnte, war diese Last von ihren Schultern genommen. Wie viel Zeit war schon vergangen, seit sie Seth aus dem Teich gezogen hatte? Es schien Ewigkeiten her zu sein, doch dabei waren lediglich ein paar Stunden vergangen. Eine Nacht, die ihre Ausgangssituation und ihre Möglichkeiten grundlegend verändert hatte. Sie war nun in der Position etwas zu erreichen, sie hatte Handlungsspielraum. Ein ganz neues Gefühl von Begeisterung und Aufregung erfüllte ihr Bewusstsein, ließ ihr Herz schneller schlagen, während sie ein frisches – und vor allem heiles – Gewand überstreifte und dann zu Boden sah, zu dem Ort, wo die Schriftrollen noch immer lagen. Die Rollen, die Manas geheimnisvolle Vergangenheit dokumentierten, sie lagen ihr direkt zu Füßen. Die Priesterin bückte sich danach und betrachtete sie unschlüssig. Sollte sie sie öffnen und sich vergewissern, dass es sich um die richtigen Rollen handelte? Adalia war sich fast sicher, dass es eine Finte gewesen war. Sie war nicht in der Position gewesen Forderungen stellen zu dürfen, und trotzdem hatte Bakura bereitwillig seinen Trumpf nicht nur präsentiert, sondern auch abgegeben. Es passte nicht zu seinem sonst so berechneten Spiel, es passte ganz und gar nicht. Und sie glaubte auch nicht daran. Ein Risiko wollte sie dennoch nicht eingehen. Der Entschluss war schnell gefasst. Was immer auch auf diesen Schriftrollen stand, es interessierte sie nicht. Es hatte aber auch niemanden sonst zu interessieren und genau deswegen musste sie jegliche Beweise vernichten. Mit einem kurzen Klatschen auf ihre zweite Hand, die die Rollen hielt, gingen die Pergamente in Flammen auf. Magische Flammen, die zwar ihre Hand nicht verbrannten, von den Rollen jedoch nicht mehr als Staub zurückließen. So einfach war sie nicht zu kaufen. Sie klopfte sich die Aschereste von den Händen und atmete tief durch. Die vergangene Nacht war nicht umsonst gewesen. Es war an der Zeit das Wissen zu nutzen, das sie von dem Weißhaarigen bekommen hatte, das er ihr bereitwillig serviert hatte. Das Kind der Prinzessin war tot? Sie konnte es nicht so recht glauben, war nicht überzeugt davon. Was für eine Garantie gab es für das Wort des Diebes? Keine einzige. Sie musste sich vergewissern, musste herausfinden, wie viel Wert die Information in sich trug. Was war mit dem Kind geschehen? Sie musste es wissen. Musste wissen, was es bedeutete, musste abschätzen, was sie damit anfangen konnte. Wenn das Kind bereits nicht mehr am Leben war, dann konnte man viele Facetten betrachten, die sicher nicht das Licht erreicht hatten. Facetten, die alles veränderten. Wie sollte sie vorgehen? Hatte Bakura recht? Oder log er? Es war in entscheidender Wiese interessant. Das tote Kind nahm dem Pharao den einzigen Erben. Unentschlossen schritt Adalia im Zimmer auf und ab, die Hand umschloss fest einen Gegenstand, den sie dem Räuber entwendet hatte. Teanas Kind... Immer wieder musste sie an Bakuras Worte denken. Es schien tatsächlich niemand nach ihr zu suchen. Er hatte tatsächlich nur Augen für sie... Der Stich traf tief. War sie überhaupt wichtig? War sie wirklich nur ein Mittel zum Zweck? Einfach nur gut genug um sich um Mana zu kümmern? Wenn sie an das Mädchen dachten, das so vieles gewonnen und noch viel mehr verloren hatte, wurde sie traurig. Sie hatte Mitleid mit ihr, verspürte aber gleichzeitig auch eine tiefe Eifersucht. Sicher war sie nun bei ihm... Die Priesterin biss sich auf die Lippe. Doch was würde geschehen, wenn Seth Pharao wurde...? Er würde sich niemals auf sie verlassen können... Sie stand am Fenster und sah grübelnd hinaus ohne die Schönheit der Welt wahrzunehmen. Sonst hätte sie die Zeichen vielleicht erkannt. So jedoch hing sie einfach nur ihren Gedanken nach, strich mit den Fingern fast zärtlich über den Gegenstand, der inzwischen vor ihr lag. Die Aufgabe, die Bakura ihr gegeben hatte.., Dass er nicht die Befugnis hatte, über sie zu bestimmen, würde er noch lernen. Solange er sich nicht an die Abmachungen hielt – und das tat er nicht, dafür hätte sie alles aufs Spiel gesetzt – war jeder Deal hinfällig. Er machte den entscheidenden Fehler sie zu unterschätzen, doch sie ließ sich nicht benutzen. Von niemandem! Schließlich hatte sie einen Entschluss gefasst. Vorsichtig ließ sie den Gegenstand in ihrem Gewand verschwinden, sodass nichts blieb, außer einem eisigen Gefühl auf der Haut. Ein verträumtes Lächeln legte sich auf ihr Gesicht. Für Seth... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)