Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 97: Bestimmung ---------------------- Eine Minute... Eine halbe... 20 Sekunden... 10... 9... Er hatte wirklich lange genug gewartet. Viel zu lang eigentlich schon. Wieso sollte er überhaupt abwarten? Er, der König der Diebe? Entschlossen stand Bakura auf, kehrte dem Zimmer und seinem Thron den Rücken. Bequem war es nicht gerade gewesen, doch das machte nichts. Er hatte ja anderes in Aussicht. Ein fieses Lächeln zierte sein Gesicht – um es genau zu nehmen hatte es ihn nicht verlassen, seit Adalia gegangen war. Adalia. Es war wirklich an der Zeit nach der Priesterin zu suchen. Er hatte immerhin noch eine Rechnung mit ihr zu begleichen und sie hatte nun wirklich genug Vorsprung. Sie war nicht ernsthaft davon ausgegangen, dass er sie so einfach würde ziehen lassen, oder? Nein, mit Sicherheit nicht. Er musste davon ausgehen, dass sie intelligenter war als seine sonstigen Opfer, sonst versprach auch dieses Spiel nur wenig Spaß. Unberechenbarkeit, das war es, das er schätzte. Und genau das war es auch, was er an den Menschen, die sich die Herrschenden nannten, vermisste. Langeweile und Eintönigkeit – war das denn ein Lebensinhalt? Still und heimlich verließ Bakura sein Versteck. Schritt für Schritt trugen seine Füße ihn durch die ausgestorbenen Gänge des Palastes. Hier war wirklich auch schon einmal mehr los gewesen. Was nur beschäftigte all die unglücklichen Menschen so sehr? Natürlich wusste er längst Bescheid. Er war vermutlich derjenige, der über all die Vorkommnisse am Besten informiert war, doch Mitleid hatte er deswegen noch lange nicht. Wieso sollte er auch? Es geschah ihnen nur recht. Sie, die sie seine Heimat vernichtet hatten... Sollten sie ruhig leiden. Er könnte einfach nur warten, bis sie alle an ihrem Schmerz erstickten, doch lohnte sich das? Nein. Er wollte seinen Spaß haben mit diesen Menschen, die so hoch standen und die so tief fallen konnten. Er wollte teilhaben an dem Chaos, das nur zu seinem Vorteil sein konnte. Anfangen würde er bei der Priesterin. Sie hatte nicht nur die Aufgabe ignoriert, die er ihr gegeben hatte, nein. Sie hatte ihm auch etwas gestohlen. Und so etwas konnte er überhaupt und unter keinen Umständen tolerieren. Ihre Abmachung war nun hinfällig und auch wenn er von Anfang an gewusst hatte, dass sie sie nie zu halten gedachte, sollte sie nun die Konsequenzen zu spüren bekommen. Er hatte das Kind der Prinzessin gewollt und ihr damit die Information geschenkt, nach der ihr Herz so sehr verlangt hatte – doch der Preis, den sie dafür zahlen musste, war niemals ein totes Kind gewesen. Sie selbst war der Preis und sie hatte ihre Freiheit äußerst bereitwillig verspielt. Sie hatte Mut, das gefiel ihm. Doch nun gehörte sie ihm. Die Vereinbarung, die sie einst getroffen hatten, machten sie nun zu seinem Besitz – ein Preis, den er einfordern wollte. Ungestört ging der König der Diebe durch den Palast. Auf jede Art der Tarnung hatte er verzichtet und trotzdem kreuzte niemand seinen Weg. Es war schon fast langweilig einfach. Die überraschende Ankunft der libyschen Gäste schien wirklich alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wo mochte die Priesterin sein? Eigentlich kam nur das Gemach des Hohepriesters – Pharao sollte er wohl sagen – in Frage. Sie ging schließlich dort ein und aus, wo Mana war. Es war berechenbar. Es war uninteressant. Doch die Vorfreude trieb ihn weiter. Ein einziger Blick aus dem Fenster genügte und seine Stimmung war auf dem Hochpunkt. Das Getümmel auf dem Schlachtfeld, das so nahe war, amüsierte ihn königlich, er grinste finster. Sollten sie sich nur alle gegenseitig abschlachten, es war ihm nur recht. Bakura rieb sich die Hände in gieriger Erwartung. Er war bereit, die Reste aufzumischen, der geeignete Moment für ihn rückte immer näher. Und dann würde er zuschlagen! Dann würde ihm die ganze Macht zuteil werden, ihm! Ihm ganz allein! Vorerst jedoch sollte er sich auf Adalia beschränken. Sie kam zuerst, dann alle anderen. Nur ein einziges Mal das Schlachtfeld überschauen musste er noch – er musste sich wenigstens vergewissern, dass sie nicht dummerweise auf die törichte Idee gekommen war, sich in die Kämpfe einzumischen. Doch nirgendwo konnte er jemanden erkennen, der ihr auch nur im Entferntesten ähnlich sah und das reichte ihm als Bestätigung, denn die Wahrscheinlichkeit war eh nur ausgesprochen gering gewesen. Sie würde ihr blaues Wunder erleben. Sie würde bereuen, dass sie das Kriegsgeschehen nicht vorgezogen hatte. Er schritt voran. Nur ein weiteres Mal abbiegen und schon kam das Gemach in Sichtweite. Er war bereit. Um sich herum hatte er die Seelen von Kul Elna versammelt, auch sie waren voller Vorfreude, voller Gier und voller Hass. Die Sucht nach Vergeltung trieb sie alle weiter. Und dann stand er vor der Tür. Mit viel Kraft trat er gegen die Tür, sodass es schepperte. Mit einem giftigen Grinsen ging er durch die zerstörte Tür, Manas erschrockenes Gesicht war das erste, das er sah und es gefiel ihm. Dieser Ausdruck war es, den er immer in ihren Augen hatte sehen wollen, als ihre lächerliche Mutter sie vor ihm mit allem geschützt hatte, was ihr geblieben war. Das Kind war immer trotzig und frech gewesen – jetzt in diesem Moment sah sie ihn zum ersten Mal so an, wie es sich für sie geziemte. Natürlich war Adalia hier. „Meine Damen“, sagte er und verbeugte sich spöttisch vor ihnen, dann ging er zielstrebig auf die Priesterin zu und sein Blick zeigte keinerlei Gnade. „Ich glaube, du schuldest mir noch etwas!“ „Das hat sie gesagt?“ Adalia wirkte nicht überrascht. Natürlich hatte Kisara dem Mädchen versprochen, dass sie gleich wieder kommen würde. Wer versprach ihr denn etwas anderes? Immer nur versprach jeder seine Rückkehr. Doch wer von ihnen wollte dieses Versprechen einhalten? Wer konnte es? Und wer floh lieber vor den Konsequenzen? Die Priesterin wusste um diese Folgen. Die Folgen, die unausweichlich waren. Sie wusste es, so wie sie gewusst hatte, dass der Tod Teanas die Krönung des Hohepriesters nach sich ziehen würde. Mana die Rückkehr zu versprechen sorgte für unglaubliches Leid. Preise, die das künstliche Lächeln der neuen Prinzessin forderte. Preise, die jeder einzelne von ihnen zu zahlen hatte. Auch Adalia. Doch das Mädchen lächelte sie an. Dies war ihr Preis. „Dann wird sie sicher auch zurückkommen“, sagte sie freundlich „Kisara hält, was sie verspricht.“ Manas kindliche Art kam ihr äußerst entgegen. Es half ihr dabei, ruhig zu bleiben, obwohl sie noch immer jedes Geräusch von draußen hören konnte. Unwissenheit war grausam. Sie konnte nur vermuten, ob die Schlacht gut oder schlecht verlief, konnte sich nur verlassen auf die Schreie, die der Wind herantrug. Alles war unglaublich stumpf. Der Nebel fing jedes Geräusch ab und filterte es scheinbar. Jeder Triumph wurde entstellt, nur Panik blieb zurück. Adalia konnte nur froh sein, dass Mana ihr so bedingungslos Glauben schenkte. Das kleine Mädchen, um das die Welt sich zu drehen schien. Was sollte nun aus ihr werden? Prinzessin? Gar Königin? Es war unmöglich. Wie sollte das gehen? Der Platz an Seths Seite beinhaltete die Krone. Eine Krone, die sie nicht tragen konnte. Es beinhaltete Aufgaben, die sie niemals erfüllen konnte. Anforderungen, die ihr Können überstiegen. Und eine Natürlichkeit, die sie einfach nicht mehr ausstrahlte. Konnte sie all das lernen? Konnte man sie so herrichten, dass sie dafür bereit wäre? Für die Öffentlichkeit? Es war ihr wirklich ein Rätsel. Manas Schicksal hing allein von Seth ab. Ein Wort von ihm entschied, ob sie lachte oder ob sie weinte, ob sie glücklich war oder traurig, ob sie Erinnerungen hatte oder nicht. Ein einziges Wort genügte. Alles lag allein in seiner Hand. Und jetzt? Er kämpfte dort draußen nicht nur um das Land, sondern ums pure Überleben. Sie standen einer Übermacht gegenüber und jeder von ihnen wusste es. Machte dieses Wissen einen Sieg nicht fast unmöglich? Sie musste warten und auf seine eigene Macht vertrauen. Doch es gefiel ihr nicht. Es passte nicht zu ihr. Es entsprach nicht ihrer Natur, abzuwarten. Sie war ein Mensch der nicht hoffte, sondern handelte. Doch jetzt musste sie warten. Warten und ein Kind bewachen, solange bis er selbst sie von seiner Seite verweisen musste. Er hatte doch keine Wahl. Er hatte keine Alternative. Mana war nicht bereit für die Öffentlichkeit. Die Offenbarung von Seths geheimer Leidenschaft am Tag seiner Ernennung hatte das Hindernis ihres niedrigen Standes überwunden. Doch jede öffentliche Präsentation hatte ihre Regeln und jede Ausnahme ihre Grenzen. Interessiert musterte Mana die Priesterin. Sie war froh, dass sie wieder da war. Sie freute sich wirklich darüber. Einfach so in den Arm genommen zu werden und endlich Antworten zu bekommen, bedeutete ihr viel. Sie konnte sie beruhigen. Sie konnte ihr helfen. Und wenn Kisara erst wieder da war, dann würde sie es ihr sagen. Und wenn Kisara erst wusste, dass Seth sie nicht hasste, dann konnte sie doch auch wieder glücklich werden. Dann musste sie nicht mehr traurig sein, dann konnte sie wieder richtig lächeln! Die Brünette war ganz aufgeregt. Sie lächelte Adalia an. Die Ältere war wirklich toll, sie mochte sie wirklich sehr gern. Sie war immer da, erklärte ihr immer alles. So wollte sie auch irgendwann einmal sein. So wie Adalia. Und dann – Dann flog die Tür auf. Ein lauter Schlag schlug die Tür gegen die Wand, sorgte dafür, dass Mana zusammenzuckte. Ruckartig drehte sie sich zur Tür, ohne auf den Schmerz in ihrer Seite zu achten, der durch die schnelle Bewegung ausgelöst worden war. Sie zog die Luft erschrocken ein. Adalia reagierte blitzartig. In Sekundenschnelle hatte sie Mana hinter sich gezogen und sich dem Eindringling in den Weg gestellt. Keine einzige Möglichkeit blieb, an ihr vorbei zu kommen. Sie konnte noch nicht einmal richtig sehen. „BAKURA!“, schrie sie und auch Mana hatte ihn erkannt. Adalias gereizte Stimme machte ihr Angst. „Ich schulde dir gar nichts!“ Was war denn wieder los? Erschrocken wich das Mädchen einige Schritte zurück. Wieso hatte Adalia sie denn zurückgeschoben? Und wieso war er wieder hier? Wieso passierte das alles? War das ‚normal‘? Es war nicht gut. Das wusste Mana. Wieder versuchte sie den ungebetenen Gast anzustarren und dieses Mal gelang es ihr einen Blick zu erhaschen. Ihr... Vater? Seth hatte ihr ja etwas über ihn erzählt, doch sie konnte es nicht so recht glauben. Sie konnte es nicht fassen. Was sollte das denn bedeuten? War sie dann auch böse? Sie wollte nicht böse sein! Sie wollte nicht so sein wie er. Sie wollte so einen Vater nicht! Er störte. Er sollte nicht hier sein. Sie wollte Kisara doch erzählen, dass alles in Ordnung war, sie wollte doch, dass Kisara wieder gute Laune hatte! Und sie wollte sich mit ihr freuen können... Aber jetzt? Jetzt war er hier, nicht Kisara. Das war doch schon wieder falsch. Das war doch nicht richtig. Wieder stellte Adalia sich vor sie, versperrte ihr die Sicht. Wieder schob sie sie weiter zurück. Und wieder verstand Mana es nicht. Was wollte er hier? Schulden? Wieder versuchte Mana an der Priesterin vorbeizusehen. Und wieder gelang es ihr. Doch es machte es nicht besser. Das war falsch! Einfach nur falsch! Sie wollte jedes Wort verstehen können, wollte jede Bedeutung kennen, wollte alles wissen, doch sie verstand einfach gar nichts! Sie schluckte. Es gab etwas, das wollte sie noch viel mehr, als es zu verstehen. Sie wollte weg. Sie wollte verschwinden. Seth... Sie wollte zu Seth. Unbedingt. Jetzt sofort, auf der Stelle. Aber Adalia hatte gesagt, sie sollte hier bleiben. Kisara hatte gesagt, sie sollte hier bleiben. Seth hatte gesagt, sie sollte hier bleiben. Sie wollte weg. Und jetzt war Bakura hier. Wieso sollte sie hier bleiben?! Die Worte, die Adalia und er wechselten, die sie sich entgegen schrien, konnte Mana kaum verstehen. Sie konnte sie nicht aufnehmen. Konnte sie weder wiedergeben noch sie erklären. Sie verstand es nicht. Sie wusste nicht, was das sollte. Sie wusste überhaupt nichts. Mana schüttelte den Kopf. Nein. Das war falsch. „Du entkommst mir nicht.“ Nein. Was war das nur? „Du bist mein!“ Was ging denn nur vor sich? Sie verstand es nicht. Sie war so verwirrt, so unglaublich durcheinander. Lippen, die sich auf ihre Haut legten, eine Zunge, die das Blut mit Speichel benetzte. „LASS MICH LOS!“ Mana schluchzte. Das war ganz und gar nicht gut. Draußen nicht, und hier drinnen auch nicht. All die Schreie, die durch das Fenster drangen, Schreie im Raum. Um sie herum. In ihrem Kopf. Überall. Seth. Verunsichert versuchte Mana Adalias Blick zu bekommen. Die Erlaubnis zu gehen. Die Erlaubnis wegzulaufen. Die Erlaubnis zu fliehen. Nicht hier zu bleiben. Und dann sah sie die Waffe in seiner Hand. Und Mana lief. Sie konnte nicht schreien. Sie konnte nicht stehen bleiben. Sie konnte nicht zurück sehen. Sie konnte nur laufen. Seth. Sie musste zu Seth. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)