Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 104: Sonnenuntergang ---------------------------- Es war ein Seufzen, das von ihren Lippen erklang, nicht mehr. Shadas Verschwinden hatte alles besiegelt. Schreie ertönten, doch es waren keine Schreie des Hasses. Es waren Schreie der Angst. Die Libyer flohen, rannten wild durcheinander nur um weg zu kommen, rannten um ihr Leben. Weg von dem Nebel, von dem eine solch unfassbare Gefahr ausging. Nur diejenigen von ihnen, die der Falle mit Todesmut entgegen blickten und jene, die noch mitten in einem Kampf steckten, blieben – mussten bleiben. Und Meira strich sich ihr Haar hinter die Ohren. „Es ist also soweit...“, murmelte sie still vor sich hin, so vieles war geschehen... „NEEEEEIIIIIN!!!“ Die Zeit stand still. Sein Herz schlug schneller, als er es fassen konnte, schlug ihm bis zum Hals. Es durfte nicht wahr sein. Er konnte es nicht glauben. Kisaras lebloser Körper lag in seinen Armen, er hatte es nicht übers Herz bringen können, sie einfach zur Seite zu legen. Es war seine Pflicht, doch er konnte es nicht. Er musste kämpfen, doch auch das konnte er nicht. Wie hatte es nur so weit kommen können? Er konnte es nicht glauben. Sie konnte nicht tot sein... Selten zuvor hatte Seth sich so hilflos gefühlt wie in diesem Moment. Adalias Worte klangen laut in seinen Ohren, und die Vorwürfe, die er sich nun machte, konnte keine sachliche Darstellung neutralisieren. Er hatte nicht mehr mit ihr über ihre Gefühle gesprochen, hatte sich nicht mehr bei ihr bedankt. Und nun – nein. Nun würde er nie wieder mit ihr sprechen. Sanft strich er über ihr langes, weißes Haar, zärtlich fast, wie früher. Kisara... „Nein...“, hauchte er mit erstickter Stimme, kraftlos. Wäre er nur schneller gewesen, hätte er sie doch nur beschützt! Kisara... Es schnürte ihm die Kehle zu. Ein Gefühl, das er kaum zu deuten wusste. So vieles hatte zwischen ihnen gestanden, so viele Missverständnisse... Doch sie war immer da gewesen. Kisara... Es war ein kaltes Lachen, das ihn in die Realität zurückholte und den Brünetten aufsehen ließ. Cyrus. Jetzt hatte er seinen Gegner gefunden, den Mann, der all das zu verantworten hatte. Er erhob sich langsam, doch festentschlossen, stellte sich schützend vor Kisaras Körper. „Dafür wirst du bezahlen!“ Als Pharao war es seine Pflicht sein Volk zu verteidigen, doch was war seine Pflicht als Freund?! Der Violetthaarige jedoch nahm ihn in keinster Weise ernst. „Du?“, fragte er und der Spott in seiner Stimme konnte nicht missgedeutet werden, „Du willst gegen mich bestehen?“ Er lachte erneut auf, voller Hohn. Ein fieses Grinsen lag auf seinem verzückten Gesicht. Noch immer hielt er den Nebel in seinen Händen, bereit ihn jederzeit zu weiteren Geschossen zu formen. „Niemand von euch besitzt die Macht mich zu besiegen“, sagte er unbeeindruckt, selbstsicher, eiskalt und berechnend. Seths Blick war versteinert. Es durfte nicht sein... „Nicht einmal du!“, fuhr der Nebelherrscher fort, ohne auf ihn zu achten, „Mein... Pharao!“ Er spie das Wort heraus, schrie es ihm entgegen wie einen schmutzigen Ausdruck, gehässig, ohne ihm in irgendeiner Weise Respekt entgegen zu bringen. Er trat dichter an ihn heran, sicheren Schrittes an all seinen Feinden vorbei, die allesamt wie erstarrt auf jede seiner Bewegungen warteten und doch nichts zu tun wagten. Und dann schweifte sein Blick über den Kopf des Pharaos hinweg, und das Grinsen auf seinem Gesicht wurde breiter. „Sieh an“, sprach er lächelnd und ein Schauer raste über Seths Rücken, da war etwas in Cyrus Augen. Ein Glitzern, voller Erwartungen, voller Begeisterung. Der Brünette wagte es kaum sich umzudrehen, doch er hatte keine andere Wahl. Was sollte er sehen? „Die Nächste, die sich bereitwillig für dich opfert!“ Seine Worte waren wie Gift und die Bedeutung sofort klar. Doch viel, viel grausiger war der angsterfüllte Schrei, der unnatürlich laut, vielfach verstärkt durch den Nebel zu ihm getragen wurde. Die Stimme, die ihm so vertraut war. Die Stimme, die er hier auf gar keinen Fall hören wollte... „Seth!“, rief sie panisch, umherirrend, „SEEEEETH!“ Und dann sah er sie. Und sein Atem stockte. Mana. Nein. Was tat sie hier?! Sie durfte nicht hier sein! „MANAAA!“, schrie er entsetzt, unfähig, den Blick auf ihr ruhen zu lassen, oder ihr entgegen zu gehen. Immer wieder schweifte er zu Cyrus, der zielsicher in den Nebel gegriffen hatte. Die Kugel leuchtete rot, grell, tödlich. Und Mana kam näher, stolperte über unzählige Leichen auf sie zu. Völlig verstört. Seth starrte sie an, entsetzt, wie versteinert, die Hände waren ihm gebunden. Cyrus hatte sein Ziel gefunden und er hatte recht in all seinem Spott, in all seinem Hohn. Er hatte nicht die Macht ihn zu besiegen und mit Mana hier, auf dem Schlachtfeld... Auserwählt. Das nächste Opfer des Nebels... Er durfte sie nicht verlieren... Und Cyrus warf. Die Nebelkugel entzündete sich noch im Flug. Die Nächste, die sich bereitwillig für ihn opferte... „MANAAA!!!“ Ihre Augen brannten, die Tränen wurden vom Staub des aufgewirbelten Sandes weggeweht und ihre Sicht verschwamm immer weiter. Als Mana schließlich durch das Tor gerannt war, konnte sie nur erschrocken stehen bleiben. Ruckartig. Es war grausig mit anzusehen. Dass sie sich hier überhaupt nicht wohl fühlte, war schon von Weitem zu erkennen. Auf wackligen Beinen versuchte sie den Körpern auszuweichen, nicht in das Blut und die Zerstörung hineinzutreten. Und sie schrie. Akim war immer ruhiger geworden. Seths Schrei hatte ihn irgendwie aufgerüttelt, nie zuvor hatte er ihn so schreien hören. Schmerzerfüllt. Verzweifelt. Kisara lag tot in seinen Armen und das machte ihn sprachlos. Erschüttert. Das hatte er nicht gewollt. Sie war immer unglaublich zivilisiert mit ihm umgegangen. Es war unfassbar. Und es war der Nebel gewesen. Nein. Dies war Cyrus Wille. Cyrus Wunsch nach Vergeltung. Akim blickte auf Seth herab, konnte die blanke Angst in seinen Augen sehen. Nur ein einziges Mal in seinem Leben hatte er diesen Ausdruck auf dem Gesicht des Brünetten gesehen. Doch es ging nicht um sein eigenes Leben. Dieses Mal nicht. Und Mana kam näher. Cyrus griff in den Nebel, formte seine mörderische Waffe. Kisara war bereits tot... Sein Blick huschte auf seinen Bruder, dessen Absicht vollkommen klar war. Diesen Angriff konnte sie nicht überstehen. Mana würde dem Drachenmädchen folgen... Cyrus Kugel verkörperte all den Hass, den er auf dieses Königreich verspürte. Und Mana war das Ziel. Akim hatte seine Worte gehört. Er starrte auf sie, er starrte auf Seth, der sie nicht beschützen konnte. Und dann konnte er nicht mehr. Konnte nicht mehr zusehen, konnte nicht mehr warten. Reflexartig wehrte Akim die Nebelkugel seines Bruders mit seiner eigenen ab, wodurch deren Flugbahn sich verschob. Die beiden Kugeln explodierten direkt zwischen ihnen. Und als der Rauch sich legte, stand Akim vor Mana. Es war ihre einzige Chance... „Du hast recht, Bruder“, sagte er voller Verbitterung, die er von sich selbst nicht kannte und blickte Cyrus voller Bedauern an. Seine Stimme zitterte, als er weiter sprach, doch die Hand, die in den Nebel griff, war ganz ruhig. „Keiner von ihnen hat die Macht, dich zu besiegen...“ Akim blickte zu Mana. Die kleine Mana. Seine kleine Mana... Er hatte unendlich viel Mitleid für sie und er blinzelte. „ICH habe sie...“ Seine ohnehin schon erschütterte Stimme brach, als er Cyrus angriff. Und dann schloss er die Augen. Ein einziger Atemzug genügte. Meira wusste, was nun geschehen musste. Sie weinte. Weinte bitterlich. Sie hätte die Macht gehabt, Akim aufzuhalten. Sie hätte es tun können... Doch sie schaffte es nicht, weinte einfach nur bitterliche Tränen. ‚Cyrus...‘, dachte sie verzweifelt, ‚Akim... meine Brüder...‘ Cyrus hatte Akims Angriff nicht kommen sehen. Der Macht des Nebels beraubt, konnte er ihm weder ausweichen noch ihn abwehren. Er bekam den Angriff mit aller Wucht ab, wurde nach hinten geschleudert, in den Nebel hinein, der ihn jedoch nicht mehr halten konnte, denn Akim hatte ihm diese Macht genommen. Entsetzt sah der Ältere seinen Bruder an, schaffte es noch, zu ihm aufzusehen. Und dann lächelte er. „Ich habe gewusst...“, presste er hervor, „dass du... uns eines Tages ... verraten würdest...“ Mit letzter Kraft brachte er seine Worte heraus. Er konnte sich nicht mehr aufrecht halten, brach zusammen. „Akim... mein Bruder.“ Seine Augen drohten zuzufallen. Sein letzter Blick galt seiner Schwester, die herbei geeilt war, geführt von ihren eigenen Tränen. Die Millenniumskette hatte sie längst achtlos in den Sand fallen gelassen. „Meira...“ Als der Kopf ihres Bruders zur Seite fiel, konnte Meira ihre Gefühle kaum noch kontrollieren. Sie spürte eine eisige Kälte in sich aufsteigen. Nichts von alle dem, was sie gesehen hatte, hätte sie in irgendeiner Weise auf diesen Moment vorbereiten können. Immer war er an ihrer Seite gewesen, zu jeder Zeit war er ihre Familie gewesen. Ganz automatisch und ohne, dass sie irgendetwas hätte steuern können, fiel sie vor ihm auf die Knie und küsste ihn zärtlich auf die Stirn, benetzte dabei seine Wangen mit ihren salzigen Tränen. Doch Meira wusste auch, dass es noch nicht vorbei war. Sie zwang sich, wieder aufzustehen. Ihre Füße trugen sie zu Akim, doch ihr Kopf blieb gesenkt. Sie blickte erst zu ihm auf, als sie direkt vor ihm stand. Nie zuvor hatten ihre Augen eine strahlendere Farbe. „Akim...“, flüsterte sie und legte ganz sanft beide Arme um seinen Körper, kuschelte ihren Kopf an seine Schulter. Er war inzwischen etwas größer als sie, das war ihr nie zuvor aufgefallen. „Endlich ist es vorbei...“, sie schluchzte, sprach jedoch mit gefasster Stimme. Die Stimme einer Frau, die ihre Grenzen kannte. Obwohl er gerade erst ihren Bruder getötet hatte, fürchtete sie ihn nicht. „All das Leid... Und die Zerstörung... Es ging doch um gar nichts mehr...“ Sie wusste es, konnte es nicht verkraften. „Nur noch um Macht... Macht, die niemand verdient hat...“ Und sie sah ihm ins Gesicht, ganz so, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen. Seine Arme hielten ihren Körper, der vor Trauer zitterte, doch wagte sich an einem Lächeln. Ein verlorenes Lächeln, das auf dem Schlachtfeld und in all ihrer Verzweiflung unterging. „Du hast es verstanden...“, hauchte sie zärtlich und voller Stolz, „Werde glücklich... mein geliebter Bruder...“ Sie strich ihm über die Wange, schloss die Augen. Und dann küsste sie ihn, während sie ihren Körper an den Nebel übergab, und langsam aus seinen Armen verschwand. Stille. Es war, als hielt jeder der Anwesenden den Atem an. Das Schlachtfeld wirkte wie ausgestorben, obwohl so viele hier waren. Was sich soeben vor seinen Augen abgespielt hatte, konnte Seth nicht verstehen. Die Wucht der Nebelexplosion hatte ihn zu Boden gedrückt, er war über Kisaras Körper gebeugt, hielt sie fest, ganz einfach weil dies das einzige war, das er tun konnte. Jede andere Handlung hatte Akims Macht unterbunden. Doch selbst, wenn dies anders gewesen wäre; er hätte nicht gewusst, was er hätte tun sollen. Fassungslos blickte er von Akim zu Cyrus, beobachtete dann, wie Meira vor seinen Augen verschwand. Doch auch er hatte ihre Worte gehört. Alles, was geschehen war... Nur Hass. Er konnte sehen, wie der Nebeljunge schmerzverzehrt die Augen schloss. „Finde Frieden... Meira...“, hauchte er, voller Liebe, doch seine Schwester konnte ihn schon nicht mehr hören. Auch über Seths Wangen rannen Tränen und er konnte es sich nicht erklären. Es war einfach unbeschreiblich – unbeschreiblich grausam. Nichts von alle dem hatte einen Sinn gehabt... Seths Blick erstarrte, als er Mana wieder sehen konnte. Sie war völlig durcheinander, verschüchtert und hilflos, die Augen vor Schreck weit geöffnet. Ohne Sinn... Er wollte zu ihr laufen, wollte ihr die Augen zuhalten, die Sicht verwehren, doch es war zu spät. Sie hatte es bereits gesehen. „Wie konnte all das nur geschehen...“ Zu seiner Überraschung und zu seinem Entsetzen, war es Akim, der an seine Seite trat. Er sah erst ihn ernst an, dann fiel sein Blick auf Kisara. Er senkte sein Haupt, wie um sie zu ehren. „Pharao“, setzte er plötzlich an, wandte sich direkt an Seth, blickte ihm in seine eisblauen Augen. Seine Stimme war weder kalt noch vorwurfsvoll. Sie war ruhig. Ruhig und belegt. „Du hast sie immer gewollt...“, sprach er angespannt, „Die Krone, die du jetzt trägst... Doch zu welchem Preis... Sieh‘ dir dein Königreich an...“ Und der Vorwurf wurde lauter, sein trauriger Blick verlor sich in der Menge, bis er Mana fand und er wurde immer leiser. Seth hielt den Atem an. „Was hast du ihr nur angetan?“ Er wollte ihm widersprechen, wollte ihn in die Schranken weisen. Doch er konnte es nicht. Denn Seth wusste, dass er recht hatte. Manas Zustand bewies es mehr als eindeutig. Und er konnte es nicht mit ansehen. Nur kraftlos kamen die Worte über seine Lippen, die nun niemandem mehr helfen konnten: „Es tut mir Leid...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)