Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde von Linchan ================================================================================ Kapitel 10: Zuneigung --------------------- Nalani wollte Kelar nicht den Spaß gönnen, sich über ihren Ärger zu amüsieren, deshalb schwieg sie. Sie erzählte niemandem von dem, was im Keller geschehen war – wirklich etwas geschehen war ja auch nichts, sagte sie sich dann, um sich selbst zu beruhigen. Aber im Inneren kochte sie vor Zorn und Hass auf ihren Schwiegervater und die Widerwärtigkeit, die er besessen hatte, allein an so etwas zu denken. Dann schalt sie sich selbst, es wäre ihre eigene Schuld, sie hätte Kelar das zutrauen können, sie hätte wissen müssen, dass er das versuchen würde. Sie fragte sich, was sie tun würde, wenn er sie noch einmal alleine erwischen und an die Wand nageln würde. Dann würde er gewappnet sein und ihre Zauber würden ihr nichts mehr nützen. Und wenn er es schaffte und sie schwanger wurde…? Schwanger mit einem Bastard, einem Monster gezeugt vom Vater ihres eigenen Mannes? Die Gedanken erschafften ihr eine dermaßene Übelkeit, dass sie sich beinahe übergeben hätte, während sie im Bett neben ihrem Mann lag und ihm wohlweißlich den Rücken kehrte. Sie setzte sich rasch auf, als sie das Gefühl bekam, der Brechreiz würde sie übermannen; aber sobald sie saß, wurde es ein wenig besser und sie fasste nur keuchend nach ihrem Mund. „Was hast du? Bist du krank?“ fragte Tabari sie, der sich auch aufgesetzt hatte und sie von hinten anblickte. „Nein… mir geht es gut,“ murrte sie nach einer Pause und senkte den Kopf, sodass ihr die schwarzen Haare über die Schultern fielen. Tabari war nicht überzeugt. Vorsichtig, weil er Angst hatte, sie würde ihn vermöbeln, streckte er eine Hand nach ihr aus. Sie reagierte heftiger als erwartet und zuckte zusammen, als er sie sanft an der Schulter fasste. „Du zitterst ja…“ „Fass mich nicht an!“ schrie sie urplötzlich und sprang aus dem Bett, und erschrocken riss er die Hand zurück und blinzelte. „Ich wollte dir doch nicht wehtun!“ empörte er sich, „Übertreib mal nicht, Nalani, wenn es dir doch gut geht, wieso machst du dann so einen Firlefanz?!“ Sie schnappte nach Luft. Würde bewahren. Er durfte auf keinen Fall erfahren, was sie bedrückte. „Du bist widerlich, das ist alles!“ fauchte sie deshalb, und er starrte sie an. Dann schnappte er kurz nach Luft, legte sich wieder hin und drehte ihr den Rücken zu. „Ist gut, ich habe verstanden. Nacht,“ knurrte er, und sie blinzelte überrascht. „Was denn, kränkt dich das?“ wunderte sie sich. Tabari sagte kein Wort mehr. Offenbar war er wirklich beleidigt. Nalani legte sich wieder mit genügend Abstand neben ihn ins Bett und kehrte ihm abermals den Rücken. Schließlich sprach er zuerst wieder. „Wir haben uns lange nicht mehr richtig das Bett geteilt, Nalani… denkst du nicht, dass es mal wieder Zeit ist?“ Sie erschauderte. Ja, es war die Zeit im Monat, in der zu sehr großer Wahrscheinlichkeit kein Leben in ihr entstehen würde, wenn sie es taten… normalerweise empfand sie nichts, auch nicht, wenn sie darüber sprachen, es war ihr gleich und sie tat es nur, damit er Ruhe gab; aber jetzt fuhr sie bei dem Gedanken an die Vereinigung unwillkürlich zusammen und dachte nicht an Tabari, sondern an seinen widerlichen Vater, der sie befummelt hatte. Alleine die Vorstellung, was gewesen wäre, hätte er es geschafft… „Nein, nicht!“ keuchte sie entsetzt, als Tabari es wagte, sich zu ihr umzudrehen und sie noch nicht mal angefasst hatte. Sie rückte von ihm weg. „Nicht heute Nacht!“ „Wann denn?!“ knurrte er verbiestert, „Du regst mich auf mit deinem ewigen Hinhalten, heute nicht, morgen nicht, übermorgen nicht, wenn denn, an meinem Geburtstag vielleicht mal, oder was?!“ „Du bist widerwärtig!“ schnappte sie, „Du denkst ja nur an das Eine! Ist das alles, was ich dir bedeute?! Bin ich wirklich nicht mehr als deine Matratze und Kindergebärmaschine?! Vergiss es, Tabari!“ Damit war das Thema für sie erledigt. Tabari zog eine Braue hoch und seufzte resigniert. Bei ihrer Laune verging ihm die Lust sowieso. „Und ich?“ murmelte er dann dumpf, während er sich wieder umdrehte und an die Wand des dunklen Zimmers sah, „Bin ich für dich etwa mehr als der nervende Idiot, den du nur an dich ran lässt, damit er die Klappe hält? Wenn ich widerwärtig bin, bist du es genauso, Nalani.“ Das waren seine letzten Worte, den Rest der Zeit, bis sie einschliefen, schwiegen sie. Tabari ärgerte sich über seine Frau, die ihm schweigend den Rücken kehrte. Wie sollte er denn so seinem Vater endlich seinen Thronerben zeugen, wenn diese störrische Frau sich weigerte, mit ihm zu schlafen? Und er ärgerte sich darüber, dass sie ihn für so dumm hielt, nicht zu merken, dass sie es nur zuließ, wenn überhaupt, damit er Ruhe gab und sie nicht weiter belästigte. Sehr befriedigend war das wirklich nicht, zu wissen, dass man so ungewollt war. Und je länger sie sich von ihm abwandte, desto geringer wurde in ihm die Lust, überhaupt je wieder mit ihr das Bett zu teilen. Er sollte mit seinem Vater sprechen und eine neue Frau nehmen, eine, die ihm gehorchte, ihn nicht grün und blau schlug und die vor allem einfach schwanger wurde und einen gesunden Sohn gebar. Sollte Nalani doch zum Mond fliegen, ihm war es gleich. Am besten wäre, wenn er seinen Vater einfach davon überzeugen könnte, dass sie doch Unglück brachte und ein Dämonenkind war. Jetzt musste er nur noch einen Fehler an ihr finden, etwas, das sie unwiderruflich als Dämon ausweisen könnte. Er würde ihnen nur beiden einen Gefallen tun, wenn er Kelar davon überzeugte, dass es zwecklos war; sie wollte ihn nicht und er sie auch nicht. Sein Vater würde sicher grummeln, aber der Rest der Welt würde wenigstens einmal denken, dass er, Tabari, etwas richtig gemacht hatte… In den nächsten Tagen kühlte das Wetter erheblich ab. Auf den Holzmond folgte der Mond der Stürme, der seinem Namen wenig Ehre machte, er brachte keinen Sturm, aber Regen. Regen in Massen. Nalani hasste den Dauerregen, der die Wiesen überflutete, der sie zwang, die meiste Zeit im Schloss zu verbringen. Sie schaffte es zwar den größten Teil des Tages, den anderen aus dem Weg zu gehen, aber draußen wäre es noch viel leichter gewesen als im Schloss. Sie wollte ihre Ruhe, sie wollte niemanden sehen. Erst recht nicht Kelar oder Tabari, aber sie fürchtete auch, Salihah und Kiuk könnten ihre Gedanken lesen, wenn sie zu viel bei ihnen war, und herausfinden, was passiert war. Es in sich hinein zu fressen war falsch und schwer, das wusste sie… aber um es mit den anderen zu teilen war sie zu stolz, zu sehr beschämte sie diese abscheuliche Schande. Und der Schmutz war noch immer da, egal, wie oft sie sich wusch, egal, wie viel Seife sie benutzte, er war immer noch da. Und es fühlte sich scheußlich an und brachte sie zum Zittern, wenn sie daran dachte. Sie saß in einem der kleinen Turmzimmer am winzigen Fenster und starrte hinaus in die trübe Landschaft Lyriens. Der Wind fegte den Regen über die Wiesen und von oben sah das Gras aus wie grünes Wasser, das der Wind streifte und das damit Wellen schlug. Wasser… fiel es ihr ein, und sie überlegte sich, dass sie die Zeit mit Üben totschlagen könnte. Wenn sie ihre Eltern stolz machen und Geisterjägerin werden wollte, müsste sie noch viel lernen. Ihren geist zu beherrschen, die geisterwinde zu lenken… die Dinge, die Nomboh ihr nicht hätte beibringen können. Manche Dinge, die schwersten Dinge im Aufgabenbereich der Schamanen, musste ein jeder alleine lernen, kein Mensch konnte ihm dabei helfen. Sie hob im Sitzen die Hände und ließ einen kleinen Wasserzauber darin entstehen, den sie hin und her schwenkte und allmählich wachsen ließ. Das Gefühl der Energie des Wassers, die durch ihren Körper floss, tat ihr gut und lenkte sie von ihren Sorgen ab. Das Wasser war schön… es war gut. Es ließ sie vergessen… Sie beschloss tapfer, bis zum Ende des Winters das Element perfekt und tadellos zu beherrschen. Damit vertrieb sie sie übrige Zeit und sie konnte vergessen… vielleicht könnte sie dann einmal wieder schlafen, ohne vom Ende der Welt oder von Kelars Händen zu träumen, die sie berührten und schändeten. „Ich bring‘ ihn um… eines Tages bring‘ ich ihn um!“ schwor Salihah grantig und warf theatralisch ihre schwarzen Haare nach hinten, während sie bei Chimalis‘ in der oberen Stube auf einem Sessel saß. „Wenn mich meine Kopfschmerzen nicht vorher umbringen, versteht sich, haha!“ Sie lachte dämlich und sah hinauf zu Zoras und Keisha, die mit gerunzelter Stirn vor ihr standen. „Ich kann versuchen, mit den Heilern zu sprechen, meine Kräfte reichen nicht aus, um deine Kopfschmerzen für immer zu beseitigen, wie es scheint…“ murmelte Keisha besorgt, und Salihah winkte ab. „Die hassen mich, die bringen mich noch eher um als die Kopfschmerzen! Ich habe ja Medizin, ich komme ja zurecht, macht euch keine Sorgen!“ „Du solltest nicht so viel trinken, sonst hast du morgen noch mehr Schmerzen…“ machte Zoras verunsichert, als sie energisch nach der Flasche auf dem Tisch griff und sich großzügig einschenkte. Ihre Hand zitterte dabei so heftig, dass sie die Hälfte daneben goss und darauf halblaute Entschuldigungen vor sich hin murmelte. „Du liebe Zeit, ich bin wirklich erbärmlich, entschuldigt mich… ich schäme mich ja für mich selbst fast so sehr wie für meinen wahnsinnigen Gemahl…!“ stöhnte sie, während Zoras kam und mit einem Taschentuch den verschütteten Schnaps aufwischte. „Reiß dich zusammen, Salihahchen,“ zischte er ihr streng zu, als er vor ihrem Gesicht kurz innehielt, „Ich kann verstehen, dass du wütend bist, aber jetzt übertreibst du.“ „Übertreiben!“ fauchte sie, „Ich will ihn umbringen, er ist widerwärtig und ich hasse ihn, ihn und sein verfluchtes Laudanum! Dieser elende Schweinehund, dieser verfluchte Mistkerl, wenn ich heimkehre, werde ich ihn zerfetzen! Aus seiner Haut mache ich einen Bettvorleger und seine Eingeweide verfüttere ich an die Schweine aus den Dörfern! Nichts soll übrig bleiben, damit sein Geist ja nicht-…!“ Zoras hielt ihr die Hand auf den Mund, ehe sie weiter sprechen konnte. „Sprich es nicht aus,“ sagte er streng, „Die Geister werden dich hören und es gegen dich drehen. Komm jetzt, du solltest ins Bett gehen. Du bist sturzbetrunken und redest Schwachsinn, Salihah.“ „Ich bin nicht betrunken!“ nölte sie und trank ihr Glas hastig aus, „Mir geht es blendend!“ Er schüttelte nur den Kopf und gab Keisha ein Zeichen, ihm zu helfen, und zu zweit schafften sie die verwirrte Frau in ihr Gästezimmer und ins Bett. Plötzlich hörte Salihah auf, zu protestieren, und sank wie ohnmächtig ins Bett, als der Alkohol wohl seine Wirkung verstärkte. „Wir werden alle sterben…“ keuchte sie und fing plötzlich an zu weinen, „W-wir werden alle untergehen und ich bin Schuld, weil ich Kelar nicht bändigen konnte! Und Kelar ist Schuld, weil sein Geist wahnsinnig geworden ist… ich sollte nicht hier sein, ich sollte wo anders sein…“ „Ich kümmere mich um sie…“ seufzte Zoras Chimalis besorgt mit Blick auf die Frau, dann blickte er zu Keisha, die in der Tür stand. Seine Schwägerin senkte den Kopf. „Du kümmerst dich ein bisschen viel um sie in der letzten Zeit, oder?“ wagte sie, es anzusprechen, und der Schwarzhaarige sah sie stumm an. „Zoras, Nomboh und ich werden uns da nicht einmischen, aber…“ „Dann mischt euch auch nicht ein,“ erwiderte er kalt, „Ich weiß, was ich tue, zweifelst du daran?“ „Nein.“ „Siehst du. Hab keine Sorge. Richte Tehya aus, sie solle nicht auf mich warten, das hier dauert.“ „Soll ich ihr sagen, du kümmerst dich um Salihahs Krankheit oder dass du mit ihr ins Bett gehst?“ brummte Keisha schnippisch, und Zoras räusperte sich. „Gar nichts von beidem, sondern genau das, was ich dir gesagt habe.“ Mitten in der Nacht wachte Salihah auf und ihr Kopf fühlte sich an, als wollte er platzen vor Schmerzen. Sie stöhnte und fasste unwillkürlich nach ihren Schläfen. Sie fand sich in dem Bett, in dem sie in Tuhuli immer schlief, obwohl sie sich weder daran erinnerte, sich hingelegt zu haben, noch, sich ein Nachthemd angezogen zu haben. Die Antwort auf ihre Fragen fand sie, als sie Zoras am Fußende ihres Bettes sitzen sah. „Hast du mich hergebracht?“ murmelte sie benommen, und er seufzte. „Hätte ich dich etwa in der Stube im Sessel schlafen lassen sollen? Wie geht es dir?“ „Scheußlich,“ brummte sie, „Mein Kopf fühlt sich an, als würde er explodieren.“ „Willst du mir erzählen, was Kelar dir angetan hat, dass du so tief sinkst und dich halb tot säufst? Das ist doch gar nicht deine Art…“ Sie setzte sich mühsam auf, aber er drückte sie sanft wieder ins Bett und legte sich dann neben sie. „Bleib liegen, das tut deinem Kopf sicher besser. Also, ich höre.“ „Ach, dieser grausame Mann,“ keuchte sie, drehte sich zu ihm um und vergrub sich unversehens in seiner Brust, worauf er sie perplex ansah. „Er ist widerwärtig, das ist alles… viel schlimmer ist, dass ich ihm gegenüber so machtlos bin… ich bin an dieses Geschöpf gebunden, ob ich es will oder nicht. Er ist mein Mann… und ich verabscheue mich dafür, seine Frau zu sein… neulich habe ich die Sklavin aus Kelenth getötet, und obwohl ich ihr einen Gefallen getan habe, sitzt es mir immer noch im Nacken… und dann kam dieser Bastard mit seinem Laudanum, er weiß genau, dass ich es nicht vertrage und… dass ich verrückt werde, wenn ich es vor der Nase habe und…“ „Zu viel Laudanum soll durchaus ungesund sein,“ bestätigte er murmelnd und begann vorsichtig, durch ihre Haare zu streicheln, um sie zu beruhigen, während sie sich an seinem Hemd festkrallte und das Gesicht gegen seine warme Brust drückte. „Und es macht Menschen zu Widerlingen, wenn sie dadurch in Trance geraten,“ brummte sie, „Ich erinnere mich nicht an alles, weil ich so berauscht war von der Medizin, aber wir haben es getrieben wie wilde Tiere, es war abscheulich.“ Zoras räusperte sich. „Er ist dein Mann, war es wirklich abscheulich? Jede Frau schläft mit ihrem Mann, oder?“ „Kelar ist ein Monster und kein Mann,“ stöhnte sie, „Wenn ich mich von einer Bestie besteigen lasse und zulasse, dass sie mich nach Strich und Faden durchnimmt, ist das widerlich. Verflucht, ich komme mir vor, als hätte ich mit einem Tier geschlafen.“ Er konnte das nachvollziehen angesichts Kelars wirklich nicht mehr sehr menschlichem Verhalten, ersparte sich aber einen Kommentar dazu. „Gräm dich nicht,“ flüsterte er dann nur, „Es ist nicht deine Schuld, was hier vor sich geht, Salihahchen. Du bist eine starke und wunderbare Frau, du weißt das genauso gut wie ich. Dass du ihn nicht mehr bändigen kannst ist nicht deine Schwäche, es war Bestimmung der Geister. Und du wusstest es doch… oder nicht? Du wusstest von Anfang an, seit du ihn zum ersten Mal gesehen hast, dass er wahnsinnig werden würde… dass du ihn lange festhalten könntest, aber dass die Leine eines Tages reißen würde. Nicht wahr?“ Sie drückte sich etwas fester gegen ihn und sagte lange nichts, was er als Bestätigung seiner Worte auffasste. „Schlaf mit mir,“ bat sie dann leise, und er löste sich verwundert von ihr und sah ihr ins Gesicht. Sie sah erschöpft aus und nicht gesund. Und mehr noch als an den Kopfschmerzen lag es an der seelischen Belastung, die Kelar ihr war. Ihr Geist war genau wie ihr Körper am Ende seiner Kräfte. Er fragte sich, wie lange sie das noch durchhalten würde, und er verfluchte ihren Mann innerlich erzürnt darüber, dass er es dazu hatte kommen lassen. Wie konnte ein Mann seiner Frau sowas antun? Wie konnte man Salihah sowas antun? Er richtete seine Frau wissentlich zu Grunde und lachte darüber. Was für ein abscheulicher Mann er doch war… Kelar verdiente Schlimmeres als den Tod. Aber davon waren sie weit entfernt… und je länger sie versuchten, ihn einzuholen und zu fangen, desto größer wurde Kelars Macht… „Hast du nicht Kopfschmerzen, Liebste?“ murmelte Zoras verunsichert, als sie sich streckte und begann, sein Gesicht zu küssen. Ihre Hände schnürten langsam sein Hemd auf und berührten dann seine nackte Brust darunter, was ihn erschaudern ließ. „Doch… aber wenn du es jetzt tust, erinnere ich mich vielleicht wieder daran, wie es ist, mit einem Mann zu schlafen, und nicht mit einem Monster… dann vergesse ich meine scheußlichen Gedanken und dann werden die Schmerzen weniger…“ „Lässt du zu, dass Keisha versucht, einen guten Heiler aufzutreiben, damit er sich mal deinen Kopf ansieht?“ verlangte er als Gegenleistung, obwohl seine Hände bereits begannen, ihr leichtes Hemd hochzuschieben und ihren nackten Körper darunter zu streicheln. Sie stöhnte leise und schloss die Augen, als seine Hände zwischen ihre Schenkel glitten. „Denkst du… wirklich, jemand von denen traut sich, mich zu behandeln? Ich habe Anthuriens Gouverneur in Öl gekocht, die Menschen haben Angst vor mir.“ „Solange man dich nicht wissentlich hintergeht, muss man sich nicht vor dir fürchten,“ grinste er, „Dieser Depp aus Anthurien hatte seinen Tod verdient, er hat dich doch belogen und dich unterschätzt, weil du eine Frau bist. Und du hast mit seinem Tod den Krieg beendet, es war recht so. Keisha ist selbst Heilerin, sie kann mit den Leuten reden. Salihah, ich mache mir Sorgen um dich, das ist alles. Ich würde mich wohler fühlen, wenn du das zuließest.“ „Dann sei es so,“ gab sie schließlich seufzend nach und streifte ihm dabei sanft das Hemd von den Schultern, ehe sie ihn aufforderte, sich auf sie zu legen, als sie sich vorsichtig auf den Rücken drehte. Normalerweise saß sie oben, aber sie fürchtete, ihr Kopf würde platzen, wenn sie sich jetzt hinsetzte. Er rollte sich über sie und keuchte heftig, als ihre Hände an seiner Hose zu nesteln begannen. „Dann fällt mir ja wenigstens ein Stein vom Herzen,“ murmelte er dabei, „Wenn deine Schmerzen fort sind, gewinnst du deine Kraft sicher zurück…“ „Sprich nicht mehr von Schmerzen, Liebster,“ seufzte sie wohlig, während sie ihn sanft zu sich herunter zog und sie einen leidenschaftlichen Kuss teilten, sie ihre Lenden erhitzte. Als sie sich lösten, senkte sie keuchend den Kopf. „Sei… bitte zärtlich…“ murmelte sie dann etwas verlegen über ihre Empfindsamkeit in dem Moment, „Ich will mich ausnahmsweise mal nicht wie ein Tier paaren…“ Er musste lächeln, beugte sich herunter und küsste kurz, aber zärtlich ihre Lippen. Danach hielt er mit dem Gesicht ganz dicht vor ihrem einen Moment inne, bevor er leise flüsterte: „Ich liebe dich, Salihahchen…“ Sie brauchte darauf nichts mehr zu sagen. Sie schlang nur liebevoll die Arme um ihn und zog ihn herunter in einen weiteren, innigen Kuss, während er sich vorsichtig auf sie legte. Der Regen hatte aufgehört. Zumindest draußen, nicht in den Gemütern der Menschen. Nalani fragte sich, ob Tabari wütend auf sie war, weil sie ihn widerlich genannt hatte. Er sprach jedenfalls nicht mehr mit ihr, was sie verwunderte, vor allem, als er am Ende des Mondes der Stürme nicht mal versuchte, mit ihr zu schlafen, obwohl die richtige Zeit im Monat jetzt wieder gekommen war. Nicht, dass es sie störte, aber irgendwie kam ihr die Ruhe trügerisch vor. Er machte das doch sicher nicht, um ihr den Gefallen zu tun, weil er merkte, dass sie nicht bereit war, mit ihm das Bett zu teilen… oder hatte er jetzt etwa aufgegeben? Sie war ihm zwar heimlich dankbar dafür, dass er sie in Ruhe ließ, aber irgendetwas störte sie an dem Gedanken dennoch, obwohl sie nicht erklären konnte, was es war. Jetzt, wo der Winter fast da war und sie fast nur noch drinnen waren, lief sie ihrem blonden Mann oft über den Weg, er grüßte sie nicht und sah sie nicht an, und irgendwie bekam sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie nachts schweigend neben ihm im Bett lag und sie sich verbissen gegenseitig den Rücken kehrten. Sie beschloss tapfer, einen kleinen Schritt auf ihn zuzugehen. „Tabari?“ Er sah auf, während er dabei war, in der Stube auf einem Sessel sitzend auf seinen unterschlagenen Beinen einen Stapel Bücher aufzuhäufen, die er offenbar studieren wollte. „Was ist?“ sprach er tatsächlich mit ihr, aber er war offenbar arg beschäftigt und schenkte ihr keine große Beachtung. „Kommst du mit Kiuk und mir nach Tasdyna? Die Reparaturen des Dorfes sind seit dem Feuer im Sommer immer noch nicht ganz fertig und jetzt im Winter wird es schwer mit abgedeckten Dächern, wir wollen ihnen beim Bauen helfen.“ Sie fand sich sehr großzügig, ihn darum zu bitten, mitzukommen; davon abgesehen, dass jede helfende Hand gebraucht wurde und es auch für Tasdyna gut wäre, zeigte sie zum ersten Mal seit sie ihn kannte Interesse ans einer Anwesenheit; der sollte gefälligst stolz auf sie sein… Tabari war weder stolz noch interessiert an ihrem Angebot. „Ich hab keine Zeit für Tasdyna,“ murrte er, „Ich versuche, Geisterjäger zu werden. Wieso helft ihr da mit, Sukutais Vater hat doch sicher genug Geld, um Sklaven zu kaufen, die das machen…“ Nalani brummte und bereute es schon wieder, ihn angesprochen zu haben. „Hast du mal von sowas wie Hilfsbereitschaft gehört?“ fragte sie ihn kalt, „Menschen helfen in Not einander. Aber dir ist sowas vermutlich fremd, dein Vater würde ja auch niemandem helfen, warum solltest du es also tun, Prinz Lyra?“ Damit kehrte sie ihm den Rücken und ging davon. Tabari hob den Kopf und sah ihr schweigend hinterher. In Tasdyna war der Bär los. Offenbar hatten die Dorfbewohner alle viele Leute von außerhalb mitbringen können, die beim Abdecken der Dächer helfen würden. Kiuk und Nalani wurden von einer fröhlichen Sukutai begrüßt, die beiden stürmisch um den Hals fiel (Kiuk etwas heftiger). „Ich bin euch sehr, sehr dankbar für eure Hilfe!“ plapperte sie los, „Herr Vater hat uns alle losgeschickt und jeder sollte in den Nachbardörfern Freunde oder andere Bekannte oder wen auch immer bitten, mitzuhelfen, denn jetzt im Winter wird es echt schwer mit zu wenigen Häusern! Zwei Häuser von großen Familien sind immer noch unbewohnbar, das heißt, das eine war es bis gestern, aber bei dem Regen ist das provisorische neue Dach heruntergekommen und es hat hinein geregnet…“ „Sukutai…“ versuchte Kiuk verhalten, sie auszubremsen, aber sie redete ausgelassen weiter. „Und außerdem ist der Viehstall der Noh-Familie zusammengebrochen, überall rannten Hühner und Gänse durch das Dorf, das hättet ihr sehen sollen! Mein Herr Vater kam gestern Abend mit einer Kutsche heim ins Dorf und da sprang eine Ente dem Kutscher auf den Schoß und hackte wie verrückt, sie hätte ihn fast tot gehackt, aber er hat sie verscheucht und vor Schreck hat die Ente ihm ein Ei auf den Schoß gelegt…“ „Habt ihr denn die Hühner, Gänse und Enten wieder eingefangen?“ fragte Nalani beunruhigt. „Zumindest die meisten, Kadim hat sich richtig aufgeregt, weil ihm sein Geflügel abhanden kommt. Wenn ihr irgendwo draußen also ein Huhn oder eine Gans seht, fangt das Tier bitte ein! Das war ein Affentheater gestern deshalb, Kadim hat gebrüllt ‚Meine Hühner! Meine Gänse! Verflixt und zugenäht, meine Hühner! Meine Gänse!‘ , seine beiden kleinen Töchter haben geschrien, weil sie Rührei wollten und die Hühner gackerte und gockelten durch das ganze Dorf, und mittendrin mein Herr Vater in seiner Kutsche und der Kutscher mit dem Ei auf dem Schoß…“ Kiuk fasste Sukutai an den Schultern und sie hörte auf zu reden. „Sukutai – erzähl das doch später, wir müssen jetzt alle zusammen die Häuser reparieren, den Stall von Kadim dann vermutlich auch, oder?“ „Sicherlich, jetzt hat Kadims Frau die Hühner und Gänse in die Küche geholt, damit sie nicht weglaufen, das ist ein ziemlicher Tiermist in der Küche. Und eine von den Töchtern wollte so gern eine Gans mit ins Bett nehmen-… ach, du hast recht, das erzähle ich ein andermal. Nun, also die Familien, deren Häuser nicht bewohnbar sind wegen der Dächer, wohnen jetzt verteilt in anderen Häusern, Naminah, die Frau des Schmieds, wohnt zum Beispiel mit ihren beiden Babys bei uns im Haus, der kleine Sohn ist auch mit dabei, der kann jetzt sogar laufen, fällt aber alle Nas‘ lang um. Der Schmied ist mit vieren der älteren Kinder bei unseren Nachbarn, die drei Ältesten haben wir bei den Tahiks untergebracht. Ihr seht also, es besteht wirklich leichter Platzmangel…“ „Moment,“ fiel Nalani ihr ins Wort, „Der Schmied hat zehn Kinder?! Zehn?!“ „Ja, bis vor drei Monden waren es noch acht, Naminah hat Zwillinge bekommen, zwei kleine Mädchen!“ „Du liebe Güte,“ murmelte die Schwarzhaarige irritiert. Sukutai kicherte über ihre Verwirrung, ehe sie endlich ins Dorf gingen und damit begannen, gemeinsam das Dach des Hauses jenes Schmieds zu reparieren. Das ganze Dorf war auf Achse, um mitzuhelfen. „Überhaupt, hatte Tabari keine Zeit?“ fiel Sukutai dann ein, und Nalani fragte sich, wieso sie vom Thema viele Kinder auf Tabari zu sprechen kam. Sie dachte an Tabari und ihre Laune verschlechterte sich sofort. „Ach, der!“ schnappte sie so nur, „Der hat offenbar besseres zu tun, als würde der je von seinem Ross herabsteigen, um mit uns im Dreck zu wühlen!“ Sukutai hörte ihr zu und warf Kiuk einen verhaltenen Blick zu, der nur den Kopf schüttelte. Tabari und Nalani waren wirklich kein Bilderbuchpaar; aber niemand verübelte es ihnen, da sie sich schließlich nicht ausgesucht hatten, zu heiraten. Dennoch war es unangenehm, Menschen dabei zusehen zu müssen, wie sie gezwungen waren, miteinander auszukommen und es nicht auf die Reihe kriegten… Sie reparierten den Stall der Familie Noh und der Mann namens Kadim war sehr erfreut, dass er sein Geflügel nicht mehr in seiner Küche halten musste. Die Dächer der zerstörten Häuser richtig winterfest abzudecken war eine langwierigere Sache und nicht so leicht, wie man sich das vorgestellt hatte. „Wahrscheinlich pfuschen die in den Städten mit dem Material,“ beschwerte sich ein Tischler aus einem der umliegenden Dörfer, „Ich hab’s ja gesagt, Herr, wir hätten das Holz aus unserem Dorf nehmen sollten, es ist viel stabiler und wasserdicht!“ „Wie kann Holz wasserdicht sein?“ wunderte sich Sukutais Vater, Telepathenratsoberhaupt Dotai, aber der Tischler sagte nur noch ‚Ich hab's ja gesagt, ich hab's ja gesagt!‘ . „Nun, wie dem auch sei, wir werden wohl morgen weiterarbeiten müssen, es wird schon dunkel und im Dunkeln lässt es sich schwer arbeiten. Ich bedanke mich sehr herzlich bei allen Helfern, es ist sehr großzügig von euch allen, das für unser Dorf zu tun. Ich verzeihe jedem, der morgen nicht noch mal die Zeit und die Kraft hat, herzukommen, aber ich verneige mich vor denen, die es tun werden. Ihr tut vor allem den Menschen, die in diesen Häusern wohnen sollen, einen riesigen Gefallen. Die Ernte war schlecht dieses Jahr, da wäre es von Vorteil, wenigstens ein warmes Haus zu haben.“ Alle stimmten dem Ratsvorstand nickend zu. „Dann dürft ihr jetzt heimgehen, wer helfen möchte soll morgen bei Sonnenaufgang hier sein, damit wir morgen fertig werden!“ Murmelnd löste die Traube der Menschen sich auf. Der Ratsvorstand zitierte Kiuk und Nalani noch einmal zu sich, während die anderen schon in ihre Heimatdörfer zurückkehrten. Sukutai stand an Kiuks Seite und wiegte sich fröhlich hin und her. „Und dieser Winter wird ein Desaster,“ sagte ihr Vater zu Kiuk und sah ihn verhalten an, „Ich hoffe, wir kriegen alle Babys und alten Leute durch den Winter, aber mit den Vorräten sieht es übel aus. – Was ich dich fragen wollte, Kiuk, was macht deine Mutter? Ich habe lange nichts von ihr oder den Geisterjägern gehört, ist sie mit denen noch in Kontakt?“ „Ja, durchaus,“ machte Kiuk, „Sie ist oft in Tuhuli und trifft sich mit ihnen. Soll ich ihr ausrichten, dass sie sich bei Euch melden soll, Herr?“ „Nicht so förmlich,“ schnaubte Sukutais Vater und rückte seinen Kragen zurecht, „Du bist schließlich der Sohn des selbsternannten Königs dieses Landes…“ Nalani grinste in sich hinein. Ihr gefiel der spöttische Unterton, mit dem der Mann über Kelar sprach. Kiuk verneigte sich tief und höflich. „Ach, überhaupt nicht, ich bin ja sowieso Luft für meinen Vater. Ich lege mich vor Eure Füße, Herr, wenn ich als Seelenmagier einmal auch Eurem Rat beizuwohnen wünsche, steht Ihr weit über mir.“ „Nun, wenn das so ist, Kiuk – ja, richte deiner Mutter aus, sie solle sich bei mir oder dem Rest unseres Ordens melden und Bericht erstatten. Bei der Herbstsitzung hat sie gefehlt, ist etwas Schlimmes geschehen?“ „Nein… sie wollte hingehen, aber sie war sehr krank,“ meinte Kiuk noch immer mit geneigtem Oberkörper, „Sie hatte grausame Kopfschmerzen, ich entschuldige mich hiermit schon mal an ihrer Stelle für ihr Fehlen.“ „Nicht doch, wenn du sagst, sie war krank, erklärt das ja alles. Ich hoffe doch, es geht ihr besser. Ja, weil sie von uns im Orden die einzige ist, die so viel mit dem Rat der Geisterjäger zu schaffen hat und die ja doch größten Teils für die Politik zuständig sind, sind ihre Berichte von diesen Räten immer sehr wichtig für uns. – Nun, das war es eigentlich auch schon. Ihr könnt jetzt auch gehen. Und Sukutai, komm bitte mit mir mit, du wirst dir hier draußen noch einen Schnupfen holen.“ Er streckte die Hand nach der Tochter aus und sie nahm sie mit einer höflichen Verneigung entgegen, ehe sie sich strahlend zu Kiuk und Nalani umdrehte. „Bis morgen, ihr zwei, kommt gut heim!“ Tabari fragte sich, ob er mit Nalani nach Tasdyna hätte gehen sollen. Als sie am späteren Abend mit seinem Bruder heimkam, war er wie Luft für sie, sie würdigte ihn keines Blickes und unterhielt sich mit Kiuk, als wäre er gar nicht da. Es ärgerte ihn, dass sie so abweisend war, aber er hielt sich zurück und sagte nichts dazu, während er beobachtete, wie sie mit Kiuk in der Stube verschwand. Wie machte Kiuk das, dass er sich so gut mit Nalani verstand? Mit Kiuk kam sie ja wunderbar klar, aber zu ihm war sie immer hässlich – na ja, er musste zugeben, dass er auch nicht besonders nett zu ihr gewesen war. Aber wieso war sie jetzt wütend, nur weil er nicht mit nach Tasdyna gewollt hatte? Er musste üben, er musste den Respekt seines Vaters wiedergewinnen, den zu verlieren er seit Jahren dabei war – Nalani verstand ihn einfach nicht. Sie hasste seinen Vater, vermutlich wollte sie gar nicht verstehen, dass er versuchte, ihn stolz zu machen. Aber so einfach war es eben nicht… er war der Stammhalter des Lyra-Clans, sein Vater erwartete von ihm, einmal Familienoberhaupt zu sein. Und Kelar würde ihn nun einmal nur dann akzeptieren, wenn er sich genauso benahm wie er. Und Nalani erwartete von ihm, dass er sich seine eigenen Gedanken machte, womit er aber seinen Vater verärgern würde. Sollte er sich jetzt etwa zwischen der Pietät gegenüber seinem Vater und der Loyalität zu seiner Frau entscheiden? Allmählich wuchs ihm die Zerrüttung der Familie über den Kopf und er ärgerte sich darüber, dass alle Dinge von ihm erwarteten und er für alle den Hampelmann spielen sollte. Zeug einen Sohn hier, hab deinen eigenen Geist da, werd Geisterjäger hier, hab Respekt vor mir da. Er konnte es nicht mehr hören, er wollte raus aus diesem verdammten Schloss, aus dieser Familie, wo sich alle gegenseitig an die Gurgel sprangen, weg von seinen Eltern, die sich gegenseitig den Tod wünschten und die beide nie zufrieden mit ihm waren… sein Vater wollte, dass er so wurde wie er, seine Mutter wollte das Gegenteil. Konnten sie nicht einfach nur einen Sohn in ihm sehen, verdammt? Keinen Erben irgendeines ohnehin zu Grunde gehenden Landes, kein Spiegelbild eines mächtigen Mannes, der Angst und Schrecken auf der Welt verbreitete? Waren seine Eltern eigentlich jemals liebevoll zu ihm gewesen wie andere Eltern zu ihren Kindern? Er erinnerte sich kaum noch an seine frühe Kindheit. Alles, was er wusste, war, dass sein Vater wollte, dass er perfekt war, dass sein Vater ihn von klein auf erzogen und gelehrt hatte. Er war streng gewesen, hatte selten gelobt und oft getadelt, aber liebevoll war er niemals gewesen. Und seine Mutter hatte derweil seinen kleinen Bruder betüdelt und lieb gehabt. Kiuk hatte sie auf den Arm genommen, wenn er geweint hatte, sie hatte ihm Schlaflieder gesungen, wenn er nicht hatte schlafen können, sie hatte ihn getröstet, wenn er Angst gehabt hatte. Und bei ihm hatte es geheißen: „Sei ein tapferer Junge, mein Sohn.“ Das war alles. Und eine schwere Aufgabe stand ihm noch bevor, wenn er seinen Vater davon überzeugen wollte, ihn und Nalani zu trennen. Dem Vater eine Bitte zu stellen war etwas sehr schwieriges und Tabari vermied es grundsätzlich, denn der Vater erfüllte selten Wünsche, eigentlich nie. Er beschloss tapfer, es einmal mit Neugierde zu versuchen, als er in des Vaters Arbeitszimmer trat an jenem Abend. „Wieso ausgerechnet Nalani, Vater?“ Kelar Lyra war damit beschäftigt, auf einer Landkarte die Dörfer schwarz anzumalen, die er dem Erdboden gleich gemacht oder versklavt hatte, weil sie nicht hatten knien wollen. „Wie bitte?“ brummte er deshalb nur, während e um Enmoria einen schwarzen Kohlekreis zog. „Warum sollte ausgerechnet Nalani meine Frau werden? Sie wird nicht schwanger, sie ist aufmüpfig, was an ihr macht sie zu einer guten Frau?“ Sein Vater durchschaute ihn sofort. „Du willst eine neue, was?!“ Tabari erstarrte und Kelar sah grummelig von seiner Karte auf. „Ich werde dir sagen, warum sie. Du bist mein Sohn, ein Erbe des Clans. Du sollst starke Söhne zeugen, Söhne mit mächtigen, magischen Blut, das dem Namen Lyra gebührt! Und sie ist die Tochter eines Geisterjägers, die Tochter eines uralten, mächtigen Clans. Eure Kinder werden das Blut des Lyra-Clans und das Blut des Kandaya-Clans in sich vereinen, das ist eine mächtige Kombination. Von den anderen Geisterjägern hat niemand sonst eine Tochter, die ich dir hätte geben können, außer Zoras Chimalis, aber…“ Sein Blick wurde jetzt zornig. „Die kleine Bratze dieses Bastardes wäre dir niemals ebenbürtig, du verdienst dieses Dreckstück nicht. Deshalb Nalani. Wenn sie dich nicht ranlässt, nimm dir ´ne Schlampe aus ´nem Dorf oder ich kauf dir ´ne Sklavin, aber meine Erben sollen Nalanis Söhne sein, nicht die einer namenlosen Schlampe.“ Tabari schluckte, aber es fiel ihm schwer, weil er einen unangenehmen Kloß im Hals hatte. Das klang nicht danach, als hätte er eine Chance, sein Vorhaben durchzusetzen. „Muss es denn unbedingt eine Geisterjägertochter sein?“ murmelte er und senkte den Kopf, „Ich meine, deine Frau ist doch auch nur Telepathin und deine Mutter war sogar bloß Heilerin, solange wenigstens eines ihrer Gene schwarzmagisch ist, ist es doch-…“ „Nein, ist es nicht!“ fluchte der Vater und warf mit dem Kohlestift nach Tabari. „Du dummer Junge, verdammt, wenn nur die Hälfte ihrer Gene schwarz ist, besteht auch nur zu fünfzig Prozent die Chance, dass euer Sohn auch ein Schwarzmagier mit zwei schwarzen Genen wird! Salihah hat Glück gehabt und meine Mutter auch, aber eben auch nur einmal, meine Schwester ist Heilerin und dein Bruder ist Telepath! Dieser Mischmasch reicht mir schon, in Zukunft hat diese Familie nur noch Schwarzmagier zu heiraten und zu gebären, wie es früher einmal war! Es gab reine Schwarzmagierfamilien, reine Heilerfamilien und reine Telepathenfamilien, heute hat irgendwie jeder mit jedem, das vermischt das Blut und das ist nicht nur für uns Schwarzmagier schlecht, die Heiler sind ja auch besser, wenn sie zwei weiße Gene haben, obwohl die wenigstens im Gegensatz zu uns mit einem Gen ihrer Farbe schon Heiler sein können, um richtiger Schwarzmagier zu sein, brauchst du aber zwei schwarze, weil die Schwarzmagie höher, gefährlicher und mächtiger ist als die Seelenmagie und die Weißmagie!“ „I-ich weiß doch, Vater…“ stammelte der Sohn unterwürfig, „Ist gut, ich habe verstanden. Ich dachte nur, es erspare vielleicht Zeit und Ärger ohne Nalani.“ „Fauler Sack!“ tadelte sein Vater ihn wütend, „Die Familie gebührend zu ehren erfordert eben Arbeit! Und tss, du nennst es Arbeit, einen Sohn zu zeugen, was bist du denn für ein Mann? Es liegt an deinem dämlichen Geburtstag, du hättest eigentlich ein Mädchen werden sollen!“ Er lachte gehässig und Tabari errötete vor Scham, als er fortfuhr: „Der Tag der Erde, der Tag der Wintersonnenwende ist der Tag der Weiblichkeit und Passivität! Wenn an diesem Tag ein Junge geboren wird, wird er weibisch, dumm und schwach! Und deine Frau ist ausgerechnet am Himmelstag geboren, kein Wunder, dass du sie nicht beherrschen kannst, sie ist sicher maskuliner als du, du Jammerlappen! Grundgütiger, wieso habe ich das bei deiner Geburt übersehen? Ich hätte dich aussetzen sollen im Hungermond, dann wäre mir die Schande eines Sohnes, der seine Frau nicht mal schwängern kann, erspart geblieben!“ Tabari brannte vor Scham über diese üblen Beleidigungen, senkte tief sein Haupt und verließ dann mit einer artigen Verneigung wortlos den Raum. Wenn es etwas gab, was einen Mann schwerer verletzte als dass sein Vater ihm keinen Respekt erwies, dann, dass sein Vater ihn weibisch nannte. Verdammt, er war nicht weibisch! Der Tadel seines Vaters nagte mächtig an ihm, als er in der Nacht ins Schlafzimmer kam. Nalani lag bereits umgezogen im Bett und sah nicht einmal auf, als er hereinkam, obwohl er genau wusste, dass sie wach war. Dass sie ihn ignorierte, machte ihn noch wütender und er fühlte sich veräppelt von der ganzen Welt, weil kein Mensch ihn auch nur ansatzweise respektierte. „Ich weiß, dass du wach bist,“ schnauzte er seine Frau so unverhofft an, um seiner Wut Luft zu machen, während er um das Ehebett herum auf seine Seite ging und anfing, sich auszuziehen. „Du könntest mich wenigstens grüßen, wenn ich reinkomme, du undankbares Biest!“ „Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“ brummte Nalani, die ihm seinen Zorn durchaus anmerkte. Es war ein anderer Zorn als der, den er hatte, wenn sie ihn widerlich nannte oder sonst wie beleidigte; es war heftiger. Irgendetwas musste geschehen sein, dass er so stinksauer war. Aber es war ihr gleich, sie würde sich sicherlich nicht um seine Probleme kümmern. Ihm waren die Menschen in Tasdyna schließlich auch egal. „Du läufst mir über die Leber!“ fuhr er sie an und warf wutentbrannt mit seinem Hemd nach ihr, „Du siehst mich nicht an und redest nicht mit mir, verdammt, du bist meine Frau und mir zu Gehorsam verpflichtet!“ Sie setzte sich auf und riss sich sein Hemd vom Kopf, um es wütend auf ihn zurück zu werfen. „Hast du sie noch alle, schrei mich nicht so an, ich habe dir nichts getan!“ „Du ignorierst mich!“ fauchte er, „Und du wirst nicht schwanger, du machst das mit Absicht, oder nicht?! Entweder du tötest die Früchte in deinem Leib oder du machst etwas anderes, dass du immer noch nicht schwanger bist! Ich habe keine Lust mehr auf deine Mimoserei, entweder du machst jetzt freiwillig die Beine breit und wirst endlich schwanger, oder ich werde dich zwingen, und glaub mir, das kann ich, ich bin verdammt noch mal ein Mann!“ Er regte sich richtig auf und wurde immer lauter und Nalani starrte ihn konfus an. Was war denn in ihn gefahren, dass er so ausrastete? Sie hatte ihn noch nie so erlebt. Als sie in sein Gesicht sah, fuhr sie zurück, denn von seiner üblichen Dummheit oder Naivität war nichts übrig. Er war wütend und sein Gesicht war plötzlich eine furchtbare Grimasse, die selbst Nalani einen Schauer über den Rücken jagte – ehe sie weiter denken konnte, stürzte er sich plötzlich auf sie und warf sie um auf das Bett, um sich wütend über sie zu knien und ihre Hände am Bett festzupinnen. „Hast du mich verstanden, Wachtel?!“ fuhr er sie immer noch zornig an und riss wütend an ihrem Nachthemd, „Zieh dich aus, na los!“ „Lass mich los, du perverses Schwein!“ schrie sie entsetzt und schlug wütend nach ihm und zappelte, als er versuchte, sie mit Gewalt auszuziehen, aber er wich ihren Händen geschickt aus und seine Hände griffen energisch und immer noch wütend nach ihren Brüsten, um sie zu drücken, bis es ihr schmerzte und sie keuchte. Er war ein Monster – er war doch so wie sein Vater! Unwillkürlich dachte sie wieder an den Keller und an Kelars Hände, ehe sie wieder in Tabaris Gesicht sah; und plötzlich war es nicht mehr Tabaris, sondern Kelars Gesicht, und er grinste sie gehässig an mit seinen spitzen Eckzähnen, die denen eines Raubtieres glichen. Sie schrie vor Angst laut auf und Tabari zog umgehend vor Schreck seine Hände zurück und starrte sie an. Plötzlich wand sie sich unter ihm und wimmerte, sie wollte sich panisch von ihm losreißen und sich wegdrehen. „Fass mich nicht an!“ schrie sie dabei hysterisch, „Lass mich endlich in Ruhe!“ Tabari war völlig entsetzt über ihre Reaktion und sie schaffte es, ihn von sich herunter zu schubsen, sodass er auch ins Bett fiel. Sie sprang auf und rannte im Nachthemd wie sie war aus dem Schlafzimmer, die Tür hinter sich zu knallend. „Was zum Geier habe ich denn jetzt gemacht…?!“ keuchte Tabari völlig perplex und lag immer noch benommen auf dem Bett, nachdem Nalani schon längst weg war. Er hatte sie doch kaum angefasst – ja, er war nicht sehr sanft gewesen, und plötzlich tat es ihm unglaublich leid, er hatte ihr sicher wehgetan. Oh nein, jetzt würde sie ihn erst recht nicht mehr an sich heran lassen; wie sollte er denn so seinen blöden Erben zeugen? Ihm kam der Gedanke, dass er Nalani suchen müsste. Sie war sicher im Schloss geblieben, sie war fast nackt und draußen war es saukalt. Aber sie war seinetwegen weggerannt, es war seine Pflicht, sie zu beruhigen und ins Bett zu bringen… er wollte nicht Schuld daran sein, dass sie schrie und Angst hatte, obwohl er nicht verstand, wieso sie sich vor ihm fürchtete. Seit wann hatte sie vor ihm Angst? Hatte überhaupt jemand vor ihm Angst? Nicht einmal Kiuk hatte Angst vor ihm… unsicher setzte der Blonde sich auf und zog sein Hemd wieder an, um seine Frau zu suchen; dann verwarf er den Gedanken doch wieder. Wenn sie ihn fürchtete, war er sicherlich der Letzte, den sie sehen wollte… Verflucht, was sollte er denn jetzt machen? Immer, wenn er versuchte, etwas hinzubiegen, machte er es schlimmer, als es vorher gewesen war… Als er am nächsten Tag aufwachte, war es schon hell. Nalani war nicht da und der junge Mann setzte sich brummend im Bett auf und fuhr sich verpennt mit den Händen über das Gesicht. Nalani stand immer sehr früh auf und dabei wachte er dann auf, das war in sofern gut, dass er definitiv nicht vor Mittag von selbst aufwachte, wenn sie mal nicht da war. Er war noch nie ein Morgenmensch gewesen und er fragte sich insgeheim, wie Nalani so verrückt sein konnte, freiwillig so früh aufzuwachen; er tat es dann nur, damit sein Vater ihn keinen Faulpelz schimpfte und er den Tag sinnvoll nutzen konnte. Wenn er einmal seinen Vater ablösen und Familienoberhaupt sein würde, ging es endlich mal nach ihm und das erste, was er einführen würde, war die Regel, dass es vor Mittag kein Frühstück zu geben hatte… Während er sich fertig anzog und sich im Bad Gesicht und Hände wusch und versuchte, seine zotteligen blonden Haare etwas zu bändigen, fiel ihm seine Frau wieder ein, die verschwunden war. Plötzlich bekam er Panik; was, wenn sie doch weggerannt war? „Nalani?!“ brüllte er so durch das ganze Schloss und gab es kurzfristig auf, seine Haare zu richten. Sie antwortete nicht, niemand sagte etwas. Er hastete hinunter in die Küche, in die Stube, in die Halle und suchte sie überall. Natürlich antwortete sie nicht, sie antwortete ihm nie; vermutlich wollte sie ihn nicht sehen und er konnte es ihr nicht verübeln. Was genau er in der Nacht falsch gemacht hatte verstand er zwar immer noch nicht, aber er wusste, dass er sie verärgert hatte. Und sie war sehr nachtragend, das hatte er in den Jahren, die sie nun schon bei ihm war, gelernt. Er wollte irgendetwas tun, um sie gütig zu stimmen; sein Vorhaben, sie loszuwerden und eine neue Frau zu nehmen, war jedenfalls dahin, sein Vater hatte klar und deutlich seinen Standpunkt erklärt. Er würde nur Kinder aus Nalanis Bauch akzeptieren… das hieß, er musste den Rest seines Lebens mit dieser Frau zurechtkommen. Da war es von Vorteil, zu kooperieren, wie er es einst genannt hatte; er schämte sich inzwischen für die unglückliche Wortwahl. „Kooperieren, welche Frau würde mit einem Mann kooperieren?!“ murmelte er jetzt verärgert über seine eigene Idiotie, „Verdammt, ich habe so viel falsches gesagt und es vermutlich letzte Nacht – womit auch immer – komplett vermasselt, was mache ich denn jetzt nur?! Vater wird mich häuten und braten, wenn ich nicht bald ein Kind in Nalanis Bauch gepflanzt habe…“ Er seufzte theatralisch und bemitleidete sich kurz selbst für sein Unglück. Dann setzte er die Suche nach seiner Frau fort und lief wieder hinauf, um jedes Zimmer zu durchstöbern. „Nalani! Bitte komm zu mir, ich… will doch nur mit dir sprechen!“ Was Besseres fiel ihm nicht ein, großartig. Niemand antwortete ihm und er grummelte. Er musste etwas finden, womit er sie erfreuen könnte, dann käme sie vielleicht… Er bekam eine Idee. „Ich komme mit dir nach Tasdyna, wenn du willst, und Kiuk, und wem sonst noch!“ Jetzt bekam er eine Antwort, aber nicht von seiner Frau. „Nach Tasdyna? Da bist du aber zu spät, Tabari, Nalani und Kiuk sind schon vor Sonnenaufgang nach Tasdyna gegangen.“ Tabari sah erschrocken hinauf. Am oberen Ende der Treppe stand seine Mutter. Als er sie ansah, dachte er kurz an Nalanis Sorge um sie und stellte auch fest, dass sie blass im Gesicht war; blasser als normal, sie war eine Frau von hohem Rang und adelig, alle Adeligen waren blass, weil sie im Gegensatz zu den Bauern nicht den ganzen Sommer über in der sengenden Sonne arbeiten mussten. „W-was?“ war sein verwirrter Kommentar, weil er sich mehr auf die ungesunde Blässe seiner Mutter als auf deren Worte konzentrierte. Salihah kam die Treppe zu ihm herunter und blieb vor ihm stehen. „Ich sagte, Nalani und Kiuk sind längst in Tasdyna. Du bist spät auf, Tabari, du hast verschlafen.“ Er sah nur verwirrt zu ihr herunter. Ja, das wusste er selbst… Sie schwiegen eine Weile. „Du bist groß geworden,“ murmelte Salihah plötzlich und fasste nach seinem Oberarm, und er senkte den Kopf. „Du redest, als hättest du mich Jahre nicht gesehen, Mutter.“ „Mir kommt es auch vor, als wäre dem so…“ gestand sie leise, „Du bist viel fort, ich bin viel fort… wann habe ich zum letzten Mal so vor dir gestanden und war einfach nur deine Mutter? Und wann standest du zum letzten Mal so vor mir und warst einfach nur mein erstgeborener Sohn…? Du warst garantiert kleiner als ich, als es so war, da bin ich sicher.“ Tabari sagte nichts. Das bedrückte ihn; sie sprachen tatsächlich wenig miteinander. Dass er gestern noch gedacht hatte, seine Mutter hätte ihn nie geliebt, kam ihm jetzt schäbig und pietätlos vor. „Dass ich kleiner war als du ist schon her…“ murmelte er dann benommen, und Salihah lachte kalt. „Ja, das meine ich ja. Dein Bruder ist jetzt auch so groß wie ich, ihr überholt mich noch alle. Dabei bin ich für eine Frau gar nicht so klein.“ „Nalani wird sicher nicht größer als du,“ vertröstete er sie lächelnd, und sie lächelte auch. Dieses Mal war es ein warmes Lächeln. „Es geht gar nicht darum, er wie groß ist, Tabari. Ich möchte mich bei dir entschuldigen, dass ich so wenig Zeit hatte… in den letzten Jahren hatte ich die weder für dich noch für Kiuk noch für Nalani.“ „Das ist in Ordnung, du hast selbst viel Ärger,“ meinte er, und sie sah verblüfft auf. Was wusste er denn von ihrem Ärger? Und er überraschte sie erneut, als er weiter sprach: „Hast du… immer noch Kopfschmerzen, Mutter?“ Salihah blinzelte. Kopfschmerzen? Ach ja, Kopfschmerzen. „Im Moment nicht,“ sagte sie, „Sie kommen und gehen, wie sie wollen. Sorge dich nicht, Tabari… ich habe noch zu viel Verantwortung auf dieser Welt, um mich von Schmerzgeistern begraben zu lassen.“ Sie lächelte erneut und strich ihm motivierend über die Wange, ehe sie an ihm vorbei ging und hinunter in die Stube. „Ach,“ fiel ihr dann noch ein, als sie fast weg war, und ihr Sohn sah verwirrt über die Schulter, „Was deinen Streit mit Nalani angeht… das ist jetzt deine eigene Sache, du bist ein Mann und selbst verantwortlich für die Dinge, die du tust und sagst. Zeig ihr, dass du das weißt…“ Die Arbeiten in Tasdyna waren am Abend abgeschlossen und das ganze Dorf jubelte. Zur größten Freude des Dorfvorstandes und auch Telepathenratsvorstand Dotais waren fast alle Helfer des vergangenen Tages erneut gekommen, gemeinsam mit den Bewohnern von Tasdyna waren alle Häuser wieder bewohnbar gemacht worden. Telepathenratsvorstand Dotai belohnte die gesamte Helferarmee mit einem verhältnismäßig großen Festmahl, zu dem er alle einlud, natürlich auch das gesamte Dorf. Selbst die Reichen wie die Dotais sparten an Nahrung, da die Ernte schlecht gewesen war, daher hätte sich keiner an den Speisen tot essen können, aber das ganze Dorf und noch die Hälfte aus allen möglichen Nachbardörfern zu bewirten war sehr großzügig. Nalani und Kiuk waren natürlich auch eingeladen und dank Sukutai saßen sie bei ihr und ihrer Familie am Tisch. „Und Tabari hielt es wieder nicht für nötig, auch zu kommen?“ fragte Sukutais Vater an Kiuk und Nalani gewendet, „Na ja, dann verpasst er das Essen, hat er selbst Schuld.“ „Ach, der,“ machte Nalani kaltherzig, „Ich habe ihn nicht mehr gefragt heute, er wäre ja ohnehin nicht mitgekommen. Ich verschwende meinen Atem nicht, um ihn jemals wieder um etwas zu bitten, ich habe aus gestern eindeutig gelernt. Ich entschuldige mich für die Unhöflichkeit und die Arroganz meines Mannes, Herr.“ Sie neigte den Kopf und Sukutais Vater seufzte. „Das musst du nicht, ich habe nichts anderes erwartet. Er schlägt wohl nach seinem Vater, ihr und Salihah tut mir wirklich leid, wenn ihr jetzt zwei von diesen Verrückten am Hals habt.“ Nalani lachte kaltherzig auf und freute sich diebisch über die Worte des Mannes. Endlich jemand, der es richtig sah. Sie schätzte den Mann wirklich. Erstaunlicherweise war es Kiuk, der widersprach. „Mein Bruder ist nicht wie mein Vater, er ist ganz anders,“ versuchte er, zu erklären, „Wenn mein Vater lange Zeit nicht zu Hause ist, merkt man es, dann kommt plötzlich Tabaris wahrer Geist zum Vorschein, nur ein bisschen, aber immerhin. Er versucht sein Leben lang verbissen, wie Vater zu sein, aber er kann es nicht und das frustriert ihn. Ich muss wissen, dass Tabari nicht wie Vater ist…“ Er seufzte kurz und schien zu überlegen, ob er weitersprechen sollte, dann tat er es: „Denn mein Bruder hat mich nie verprügelt, wenn er über irgendetwas wütend war…“ Als sich die Runde langsam auflöste am späten Abend, waren Nalani und Kiuk unter den Letzten, die gingen. Sukutai bot ihnen fröhlich an, doch über Nacht zu bleiben, aber die beiden hielten es für besser, heimzukehren, bevor Kelar oder womöglich Tabari vor Wut über ihre Abwesenheit Tasdyna verbrennen würde; das betraf zwar mehr Nalanis Abwesenheit als Kiuks, denn der war allen egal, wie er selbst sagte, aber er fühlte sich Nalani gegenüber ungerecht, wenn er sich die Freiheit nahm, einfach in Tasdyna zu bleiben und die Frau alleine zurück ins Schloss zu schicken, wo doch alle wussten, wie sehr Nalani das Schloss und den Rest der Familie – ausgenommen Salihah – verabscheute. Sukutai begleitete die beiden höflich zum Zaun des Dorfes, der auch wieder hergerichtet worden war. „Vielen Dank für die Einladung und für eure Mühe, Sukutai,“ sagte Nalani artig und verneigte sich, Sukutai tat es ihr sofort gleich. „Nicht der Rede wert, für euch ist das doch selbstverständlich!“ Sie strahlte und Nalani musste lächeln. Sie war wirklich ein liebes Mädchen. Kiuk sah nur errötet zu Boden und schien nichts sagen zu wollen. Sie standen kurz alle drei schweigend da, dann wandte Nalani sich wissend von den beiden ab. „Ich beeile mich besser und gehe vor,“ meinte sie, „Es ist wirklich kalt geworden.“ Ohne einen Kommentar abzuwarten ging sie los und Kiuk keuchte entsetzt, Sukutai blinzelte. „Habe ich sie verärgert?“ wollte das Mädchen beunruhigt wissen, „Habe ich etwas Schlimmes gesagt, Kiuk?“ Sie sah ihn an und er spürte sein Gesicht abermals in Flammen aufgehen bei ihrem hübschen Anblick. Oh nein, sie hatte Nalani gewiss nicht verärgert. Und er würde seine Schwägerin später tadeln sie so unverfroren offensichtlich zu zweit zu lassen. „Dumme Sukutai,“ seufzte er darum nur über ihre Naivität, den Rest seiner Gedanken sprach er nicht aus; sie war Telepathin, sie würde wissen, was er meinte, ohne dass er es sagen musste. Das war das Angenehme daran, mit einem Seelenmagier zu sprechen… man brauchte gar keine Worte. Das Mädchen senkte ebenfalls leicht verlegen mit einem rosa Schimmer auf den Wangen den Kopf. „Ich bin nicht dumm,“ nuschelte sie lächelnd, „Ich mache mir nur immer zu viele Sorgen, ob ich höflich genug bin.“ „Das bist du,“ meinte er ehrlich, trat auf sie zu und strich ihr eine Haarsträhne hinter die Ohren, worauf sie strahlend den Kopf hob und verliebt zu ihm hochsah. Er schnappte nach Luft. „Und d-du… bist wunderschön…“ Sukutai sagte nichts, sondern streckte sich vorsichtig und küsste ihn sanft auf die Lippen. Nalani linste im Gehen über die Schulter und drehte sich gehorsam, aber grinsend wieder ab, als sie sah, dass die beiden sich innig küssten und dass das Mädchen energisch die Arme um seinen Nacken geschlungen hatte und ihn fest an sich heranzog. Sie freute sich für die beiden und ihr Glück, ohne darüber nachzudenken, dass sie dieses Glück der unschuldigen, zärtlichen Liebe niemals erfahren würde; jedenfalls nicht mit Tabari. Und auch, wenn sie ihn nicht mochte, war sie eine ehrenhafte Frau, sie würde nicht auf den Gedanken kommen, ihn zu betrügen. Selbst dann nicht, wenn er es täte… sie würde immer besser sein als er, sie würde nicht zulassen, mit ihm gleichgestellt zu sein. Nein, da waren ihr Stolz und Ehre wichtiger als die Erfahrung zu machen, jemanden aus tiefstem Herzen zu lieben. Das Neujahr stand bevor. Schon zu Beginn des Wintermondes, in dem die Sonne kaum noch aufging, in dem es beinahe durchgehend dunkel war in Dokahsan, hatte es heftig zu schneien begonnen. Jetzt, am Ende des Mondes und auch des Jahres, lag wieder so viel Schnee, dass jeden Tag geschippt werden musste, um die Wege passierbar zu halten. In den Dörfern spielten die kleinen Kinder ausgelassen im Schnee herum. Nalani beobachtete die Dorfleute aus der Nähe gern, vor allem die Kinder, wie sie vergnügt johlend im Schnee spielten. Nalani freute sich ausnahmsweise mal über den Schnee, denn er half ihr dabei, das Wasser im Zaubern besser zu beherrschen. Schnee war genau genommen auch nur Wasser und sie konnte die weiße Masse dafür benutzen, das Zaubern zu üben. Das war das einzige, womit sie sich beschäftigte, während der Winter auf seinen Höhepunkt zuging, als der Hungermond vor der Tür stand. Es dämmerte schon wieder, nachdem die Sonne ganz kurz geschienen hatte an dem Tag, als Nalani sich schwer atmend und erschöpft vom vielen Üben in den Schnee fallen ließ und da einfach eine Weile lag, Arme und Beine von sich gestreckt und in den dunklen Himmel starrend. Es war so still… das Lachen der Dorfkinder aus der Nähe verstummte jetzt langsam, weil ihre Eltern sie nach Hause holten. An dem Tag war Nalani südlich vom Schloss auf eine Schneewiese in der Nähe der Dörfer gegangen zum Üben. Plötzlich beugte sich etwas Kleines über sie und sie sah blinzelnd in das Gesicht eines sehr kleinen, schwarzhaarigen Mädchens. „Du die Schneefrau?“ Nalani setzte sich konfus auf, worauf das kleine Kind zurücktrat und sich seinen Schal ins Gesicht zog. „W-was? Schneefrau?“ machte sie perplex. Sie sah in einiger Entfernung noch ein etwas größeres Mädchen und eine Frau auf sich zukommen, offenbar die Mutter. Die Frau hatte einen sehr dicken Babybauch. „Entschuldigt meine kleine Tochter bitte,“ sagte die Frau und verbeugte sich verlegen, „Sie hat gestern das Märchen von der Schneefrau vorgelesen bekommen und nennt seitdem alle Frauen, die im Schnee liegen, Schneefrau… sie hat es nicht böse gemeint.“ „Ist doch schon gut,“ meinte Nalani und rappelte sich hoch, während das kleine Mädchen kichernd zu seiner Mutter rannte und ihre Hand nahm. Das größere Mädchen nahm die andere Hand der Frau. „Sie hat doch nichts Böses getan.“ Diese Dorffrau war sehr höflich und scheu, dachte sie bei sich. „Wieso liegst denn im Schnee, du da?“ fragte das ältere Mädchen jetzt neugierig, und die Mutter schalt es: „Sag nicht Du da zu einer fremden Frau von höherem Rang, Tuwa! Das gehört sich nicht und nicht alle sind so freundlich wie diese Frau hier, manche werden zornig und stecken dich dafür in einen Kochtopf!“ Nalani runzelte die Stirn. „Ich kenne niemanden, der ein kleines Kind wegen so etwas kochen würde,“ meinte sie verblüfft. „Aber tot gemacht, Kopfi ab,“ machte die ältere Tochter wichtig nickend. Die Mutter keuchte. „Um Himmels Willen. Hat dein Vater dir das erzählt?!“ „Vati hat gesagt, der König macht bei Leuten Kopfi ab, wenn sie nicht brav sind!“ Nalani hustete. Na, das war aber ein umsichtiger Vater. Die schwarzhaarige Mutter verbeugte sich förmlich. „Entschuldigt bitte, dass meine Tochter eine so lockere Zunge hat.“ „Ist doch schon gut,“ meinte Nalani und lächelte, „Wer einem kleinen Kind wegen so etwas zürnt, ist doch nicht ganz gar im Kopf, bei allem Respekt.“ Jetzt lächelte die Mutter auch und hielt sich kurz ihren runden Bauch. „So etwas höre ich selten von den edlen Leuten. Wie erfreulich. Kommt jetzt, ihr zwei, es wird schon duster, wir müssen heim! Vater fragt sich bestimmt schon, wo wir sind, und ihr seid ganz nass vom Herumtollen im Schnee!“ „Gehst du auch heim, Frau?“ strahlte das Mädchen Nalani an, und Nalani lachte. „Ja… muss ich wohl. Ich möchte nicht, aber ich muss trotzdem.“ „Wieso willst du nicht?“ fragte das Kind, und die Mutter seufzte. Diese Fragerei! Nalani seufzte kurz. „Weil… mein Mann ein Idiot ist und ich keine Lust habe, zu ihm zu gehen.“ Das Mädchen verstand das nicht richtig, die Mutter schon eher, und sie seufzte traurig. Wie gut, dass es unter den ärmeren Leuten nicht so verbreitet war, Leute zwangsmäßig zu verheiraten. „Das tut mir leid,“ sagte sie daher, und das kleine Mädchen plapperte munter weiter: „Wieso ist er ein Idiot? Hat er Doofe Kuh zu dir gesagt? Akritok hat zu mir Doofe Kuh gesagt, ich hab ihn gehauen!“ Nalani musste unwillkürlich lachen und die Mutter hustete. Oh ja, gehauen hatte sie Tabari auch… „Nein, er hat nicht Doofe Kuh gesagt… das ist schwer zu erklären. Er möchte, dass ich ein Baby bekomme, aber ich möchte keins.“ Die Mutter sah so mitleidig aus, dass Nalani fürchtete, sie würde zu weinen anfangen. Diese Frau war so nett, Nalani hätte sie gerne umarmt, das kam ihr dann aber doch unpassend vor. „Mutti hat ein Baby!“ sagte die Kleine stolz und zeigte auf den Bauch ihrer Mutter, „Im Frühling kommt es!“ Nalani lächelte. Ja, das sah sie. „Viel Glück Euch und Eurer Familie,“ sagte sie höflich, und die Frau starrte sie erschrocken über so viel Höflichkeit an. „Der Himmel möge Euch mehr Glück bringen,“ murmelte sie dann überwältigt und Nalani lächelte. „Es wird schon. Jetzt kommt rasch heim, bevor Euer Mann sich sorgt, Frau. Alles Gute, auch den beiden Mädchen.“ Sie lächelte den beiden Kleinen zu und die Ältere winkte fröhlich, als Nalani sich auf den Heimweg machte. Der König machte also denen den Kopf ab, die nicht brav waren. Ja, das sah Kelar ähnlich, dem selbsternannten König von Lyrien, dachte Nalani sich grantig, als sie zurück ins Schloss gekehrt war und sich in ihrem Schlafzimmer für das Bett fertig machte. Tabari war noch nicht da. Sie beide gingen sich aus dem Weg seit der Sache mit Tasdyna. Kiuk und Sukutai ließ Nalani in letzter Zeit etwas unter sich; die beiden sollten ihre Beziehung genießen und sich in Ruhe lieb haben, sie wollte sich nicht dazwischen drängen, auch wenn sie sicher war, dass keiner von beiden sie als störend empfunden hätte. Sie drei verstanden sich sehr gut. Aber sie hatte ohnehin momentan keine Lust, mit ihren beiden Freunden etwas zu machen, ihre Gedanken hingen viel mehr an ihren Wasserzaubern oder an ihrem merkwürdigen Mann. Tabari war sehr in sich gekehrt gewesen im vergangenen Mond. Er hatte kaum mit ihr gesprochen, hatte sie aber auch nicht böse angesehen oder ihr sonst wie signalisiert, dass er wütend wäre. Und wenn er wütend auf sie wäre, wäre es ihr gleich. Er kümmerte sich ohnehin nicht um sie, sein Vater und dessen Anerkennung waren ihm ja viel wichtiger. Was scherte es sie, um was er sich kümmerte? Er war ihr auch egal… er war seltsam und sie verstand ihn nicht. Sie hatte es lange versucht, aber inzwischen war sie auf dem Weg, es aufzugeben. Sie würde wohl bis ans Ende ihres Lebens seine Frau und Mutter seiner Missgeburten sein, wenn sie es denn tatsächlich dazu kommen lassen müsste… Unwillkürlich dachte sie schaudernd an Kelar zurück und an den grauenhaften Moment im Keller. „Wenn Tabari zu dumm dafür ist, dich mit Leben zu füllen, werde ich es selbst tun…“ Sie erstarrte. Nein! dachte sie panisch und sprang mit einem Satz auf, als sie ihr Nachthemd noch in den Händen hielt und nackt im Schlafzimmer stand. Wenn sie nicht schwanger wurde, würde er wiederkommen… und dafür sorgen, dass sie nicht mehr entkam, bis er hatte, was er wollte, dessen war sie sicher. Und er war der Herr der Geister – um ihn zu besiegen, fehlte es ihr definitiv an Erfahrung, egal, wie talentiert man sie nannte. Wenn er wieder käme, wäre sie verloren… Plötzlich ging die Tür auf und Nalani fuhr panisch herum in der Befürchtung, es wäre Kelar; sie war erleichtert, als es nur Tabari war, der endlich mal im Schlafzimmer auftauchte. „Oh,“ machte Tabari und sah sie verblüfft an, in der Tür stehen bleibend, „Ich dachte, du schläfst bereits.“ In den letzten Wochen waren sie sich nie abends begegnet; Nalani war früh schlafen gegangen und wenn Tabari gekommen war, hatte sie schon im Bett gelegen. Jetzt stand sie davor, splitternackt, in den Händen hielt sie das Nachthemd, das sie anziehen wollte. Er erwischte sich dabei, sie etwas länger als nötig anzustarren und mit den Blicken die sanften Konturen ihres weiblichen Körpers nachzufahren. Verdammt… genau deswegen kam er doch immer spät genug, um sie abends nicht mehr wach erleben zu müssen. Nachdem sie bei seinem letzten Versuch vor über einem Monat, seinen Erben zu zeugen, so ausgerastet und panisch geflüchtet war, hatte er es nicht einmal gewagt, sie anzusehen, während sie sich umzog. Mochte ihre Seele noch so kaltherzig sein, ihr Körper war der einer Frau und wenn er schon nie auf seine Kosten kam bei ihr wusste er nicht, wie lange er an sich halten konnte, wenn er zu viel von ihr sah… und er wollte sie nicht verletzen. Er schloss hastig die Tür hinter sich und wandte ihr errötend den Rücken zu, während sie sich das Nachthemd überzog und sich ebenfalls von ihm weg drehte. „Wäre dir wohl lieber gewesen, wäre ich schon zu Bett gewesen?“ fragte sie dann kalt, und ein Schauer fuhr ihm über den Rücken beim Klang ihrer Stimme. „Du verstehst das falsch. Ich dachte, du willst mich sowieso nicht sehen, da erspare ich mir das Du bist widerwärtig von dir, wenn ich erst komme, wenn du schläfst,“ murmelte er verlegen und spürte, wie sein Körper unruhig wurde, als er sich an den Anblick seiner nackten Frau erinnerte, und er schloss bebend die Augen, um sich zu beherrschen. Er sah so nicht, wie sie erzitterte. „Ist mir auch gleich,“ murmelte sie, „Gute Nacht, Tabari.“ Mit diesen Worten legte sie sich ins Bett und löschte die Talglampe auf dem Nachttisch. Es wurde duster im Zimmer. Tabari stand noch eine ziemlich lange Weile an derselben Stelle und bewegte sich nicht, bis Nalani ihn dazu aufforderte. „Wolltest du wie ein Storch im Stehen schlafen?“ Er räusperte sich und beeilte sich dann, auf seine Bettseite zu kommen und damit anzufangen, sich auszuziehen. Seine Frau sagte nichts mehr. Im Dunkeln erkannte er nur schwach die Umrisse ihres Körpers im Bett, wie sie da lag und ihm wie gewohnt den Rücken kehrte. Er schnappte unwillkürlich nach Luft, als er wieder an ihren hübschen Körper denken musste. Verdammt… dass er sie zum letzten Mal berührt hatte, war zwei Monde her… Als die Nervosität zu groß wurde, während er eine Weile schweigend neben ihr gelegen hatte, entschloss er sich tapfer, sie anzusprechen. „Sag mal… meinst du eigentlich nicht, dass wir… lange nicht beieinander gelegen haben, Nalani…?“ Er wurde immer leiser, als er sah, wie sie bei seinen Worten zusammenfuhr. Tabari wunderte sich. Irgendetwas war mit ihr geschehen, früher hätte sie ihn schon beim Ansetzen des Satzes geschlagen und gefaucht, wie er auf die Idee käme, sie würde sich von ihm besteigen lassen, jetzt… bekam sie Furcht, wenn er das Thema ansprach… „Hmm,“ machte Nalani nur und antwortete damit weder mit Ja noch mit Nein. Ihr Mann rutschte vorsichtig ein Stück dichter. „Ich meine damit, ich will mit dir schlafen,“ machte er es leicht gereizt etwas deutlicher, und Nalani bewegte sich nicht, Hmmte wieder nur. Er sah sie ungeduldig von hinten an. Konnte sie nicht wenigstens vernünftig antworten? Sie sagte zwar nicht Ja, aber Nein sagte sie auch nicht… „Ich meine jetzt, heute Nacht,“ sagte er dann und rutschte noch ein Stück dichter. Jetzt bewegte sie sich und rutschte etwas weg. Aha, das war ja wenigstens das gewohnte Nein. „Ich möchte heute nicht,“ kam es dann doch von ihr. Tabari schnaubte. „Ich finde, du strapazierst meine Geduld ein wenig über, Frau,“ knurrte er, „Seit zwei Monden haben wir es kein Mal getan, ich habe mich bis heute niemals beschwert. Ich war sehr geduldig mit dir und habe dich sehr lange in Frieden gelassen, weil ich ja weiß, dass du mich nicht willst, ich finde, du bist mir was schuldig!“ „Von wegen schuldig, bei dir piept’s wohl,“ brummte sie. „Geh weg, nicht heute, Tabari.“ Er dachte nicht daran. „Du bist eine Frau und stehst in der Gesellschaft unter mir,“ sagte er kalt, „Dafür nimmst du dir ganz schön viel heraus, ehrlich gesagt. Ich richte mich schon unser ganzes Eheleben lang nach dir und deinen Bedürfnissen – na ja, eher Nichtbedürfnissen in diesem Fall – und von dir kommt nicht ein einziger Schritt zurück, findest du das gerecht?“ „Es ist die Zeit des Mondblutes,“ log sie grantig in der Hoffnung, ihn sich damit vom Hals zu halten, das zog eigentlich immer. Aber Tabari schien plötzlich intelligenter geworden zu sein. „Garantiert nicht, die hattest du vor über einer Woche schon, verkauf mich nicht für dumm,“ erwiderte er und rutschte wieder ein Stück näher, „Ich habe keine Lust mehr auf deine Ausreden, verflucht, es ist so schon unbefriedigend genug, mit dir zu schlafen, wenn man weiß, dass du das nur über dich ergehen lässt, damit ich die Klappe halte! Ich sage das jetzt zum letzten Mal auf die freundliche Art, Nalani, dreh dich um, bitte.“ Nalani drehte sich tatsächlich um, aber nicht, um zuzulassen, dass er sie nahm, sondern um einen schnippischen Kommentar zu liefern: „Ach, und wenn ich jetzt nicht spure, vergewaltigst du mich, du großer Held?“ „Provozierst du mich?“ „Ich hab keine Angst vor dir, Tabari,“ schnaubte sie, „Du kannst mir gar nichts, du Jammerlappen.“ Tabari richtete sich halb auf und starrte sie an. Jammerlappen. Das hatte er schon mal gehört… schon öfter. „Kein Wunder, dass du sie nicht beherrschen kannst, sie ist sicher maskuliner als du, du Jammerlappen! Grundgütiger, wieso habe ich das bei deiner Geburt übersehen? Ich hätte dich aussetzen sollen im Hungermond, dann wäre mir die Schande eines Sohnes, der seine Frau nicht mal schwängern kann, erspart geblieben!“ Er biss sich wütend auf die Oberlippe bei dem Gedanken. Verdammt, er war weder weibisch noch ein Jammerlappen! Er sah in Nalanis Augen und sah den Spott darin, ihre ganze Verachtung ihm gegenüber, und es machte ihn plötzlich derartig wütend, dass er zornig zischte und sich dann plötzlich über sie rollte, gewaltsam ihre Hände packte und sie ans Bett pinnte, damit sie ihn nicht schlagen konnte. „Wage es nicht, in diesem Ton mit mir zu sprechen!“ brüllte er sie wutentbrannt an, „Und du solltest mich besser fürchten, verdammt noch mal, ich bin stinksauer und ich werde nicht länger Rücksicht auf deinen Firlefanz nehmen!“ Nalani keuchte und starrte ihn fassungslos vor Schreck an, ehe er sich wütend herunter beugte und in ihren Hals biss. Sie zappelte und versuchte, ihn von sich herunter zu schubsen, aber er hielt sie fest. „Aufhören!“ kreischte sie und zappelte heftiger, als sie spürte, wie seine Zunge ihre Haut streichelte, und ein grausiger Schauer durchfuhr ihren ganzen Körper. Da war er wieder, der Keller. Und über ihr das blutrünstige Monster, das gewaltsam versuchte, sie zu nehmen, ihr wehzutun. Sie stieß einen panischen Schrei aus und riss mit aller Kraft ihre Hände aus seinem Griff los, bevor sie ihm eine schallende Ohrfeige verpasste mit solcher Wucht, dass sie ihn glatt von sich herunter warf. Tabari hustete und starrte sie verblüfft an, als sie aus dem Bett sprang und panisch vor ihm zurückwich. Da war sie wieder, ihre Furcht, und er war genauso entsetzt wie beim letzten Mal, während er nach seiner brennenden Wange fasste. Was war mit ihr los? „Scher dich weg!“ kreischte sie vollkommen außer sich und rannte hysterisch zur Tür, „Verschwinde endlich, lass mich endlich in Frieden! Ich hasse dich, ich will dich nie wieder sehen, du abscheuliche Bestie!“ Tabari erhob sich langsam und sah sie fassungslos an. In diesem Moment war es, dass ihm aufging, dass sie gar nicht mit ihm sprach. Sie meinte irgendwen anderes, irgendwen, den sie fürchtete. Und plötzlich machte es mehr Sinn. Er packte ihre Arme, als sie im Begriff war, aus dem Zimmer zu stürzen, und sie fuhr zu ihm herum und starrte ihn wie wahnsinnig an, als er sie energisch festhielt. Sein Zorn war verflogen und Nalani war entsetzt, als es plötzlich Sorge war, die sie in seinen Augen sah. „Um Himmels Willen, Nalani,“ keuchte er, „Wer hat dir was angetan?! Wer hat dich verletzt, dass du ihn jetzt fürchten musst?! Sag es mir und ich sorge dafür, dass er seine Strafe bekommt… dass er es wagt, meine Frau anzurühren!“ Nalani schnappte nach Luft. Was sagte er da? War das Tabari, der das zu ihr sagte? Der bereit war, für sie etwas zu tun? „Wer bist du und was hast du mit meinem egoistischen Mann gemacht?“ Tabari zog sie vorsichtig wieder ins Zimmer. Sie erschauderte, als er sie plötzlich in seine Arme zog. Mit Schrecken stellte sie fest, dass es angenehm warm an seiner Brust war, und sie ließ zu, dass er sie umarmte, während sie zitternd die Stirn gegen seinen Oberkörper lehnte. Mit einem Mal wich ihre Panik einer tiefen Verzweiflung und Traurigkeit, und sie musste sich beherrschen, um nicht zu weinen anzufangen. Sie wollte nicht vor ihm weinen, sie wollte stark sein… sie durfte keine Schwäche zeigen und ihm zeigen, dass er fähig war, sie zu beherrschen… das durfte er nicht glauben, niemals! „Lass mich los,“ murmelte sie, „Es geht mir gut, es ist alles in Ordnung.“ „Nichts ist in Ordnung,“ widersprach er und ließ sie nicht los. „Du verschweigst mir etwas, sprich. Was ist passiert? Ich merke doch, dass du dich verändert hast… du hast nicht vor mir Angst, Nalani, aber dennoch läufst du davon, wenn ich dir zu nahe komme.“ „Sowas merkst du…?“ murmelte sie schnippisch, ohne das Gesicht von seiner Brust zu heben. Er seufzte und senkte den Kopf, um ihn leicht auf ihren zu legen. „Sprich mit mir,“ flüsterte er, „Hat dir jemand wehgetan?“ Sie erzitterte. Ja, dein verdammter Vater, du Arsch, dachte sie, aber sie schluckte den Satz noch herunter und hütete sich, ihn auszusprechen. Wer wusste, was geschah, wenn sie es ihm sagte? Er würde ihr vielleicht nicht glauben, weil er wusste, dass sie ihn gegen Kelar aufbringen wollte. Und wenn es ihm tatsächlich endlich die Augen öffnen würde, wäre es auf eine brutale Weise. Nein… sie hatte auch ihre Würde. Sie würde nie darüber sprechen, denn täte sie es, würde sie Kelar nur einen widerwärtigen Gefallen tun, wenn er mitbekam, dass sie an seiner Grausamkeit zerbrach. Sie würde ihm diesen Gefallen niemals tun und er würde sich ärgern, dass sie es einfach wegsteckte. „Es ist schon gut,“ meinte sie daher nur dumpf. „Es hat mir niemand wehgetan. Ich bin stark, mir tut nichts weh.“ „Du lügst…“ Tabari lachte bitter, und sie errötete unwillkürlich, als er sie etwas fester an sich drückte und mit der Hand flüchtig durch ihre schwarzen Haare streichelte. „Aber wenn du es um keinen Preis sagen möchtest, akzeptiere ich das.“ Er ließ sie jetzt los und schob sie etwas weg, um ihr ins Gesicht zu sehen. „Ich muss mich bei dir entschuldigen. Ich habe mich eben wie ein Idiot benommen, ich hätte dir nie wehtun dürfen. Vergib mir, meine Frau.“ Und dann verneigte er sich tatsächlich vor ihr und sie starrte ihn ungläubig und noch benommen von der angenehmen Wärme seines Körpers an. Was war hier los? Ihr kam die Welt verkehrt vor, als sie sich beide wieder ins Bett legten und Nalani ihm jetzt nicht den Rücken kehrte. Sie empfand plötzlich keinen Groll mehr gegen ihn, er war wie ausgewechselt und sie war es irgendwie auch… ihr Trotz und ihr Starrsinn hatten sich verabschiedet, sie wusste nur nich, wohin. Sie sah ihren Mann an, der dicht neben ihr lag und sie ebenfalls schweigend und ganz in Ruhe ansah. „Was ist nur los mit uns?“ murmelte Nalani dann dumpf und betrachtete ihn eine Weile. „Wieso hassen wir uns so und… wieso tun wir es jetzt gerade nicht…?“ „Ich hasse dich nicht,“ sagte er leise und senkte irgendwie verlegen seinen Blick. Nalani verstand sein Verhalten nicht und Tabari spürte eine unangenehme Röte in sein Gesicht kriechen. Nein, er hasste sie nicht. Und im Moment war sie ihm nicht mal lästig und er spürte das seltene Bedürfnis, sie einfach zu umarmen und zärtlich zu ihr zu sein. Wenn er sie sonst berührt hatte, war er nicht sonderlich zärtlich oder gar liebevoll gewesen, weil sie sowieso nicht füreinander empfanden; sie beide hatten es eben über sich gebracht und fertig. Aber jetzt war die Welt verkehrt. Er rutschte zu ihr heran und zog sie vorsichtig in seine Arme, obwohl er etwas erstaunt war, dass sie es tatsächlich zuließ. Und nicht nur das, seine Frau hob das Gesicht zu seinem und legte sanft ihre weichen Lippen auf seine, um ihn zu küssen. Das war eine Sensation – sie küsste ihn freiwillig, das hatte sie noch nie getan. Er spürte einen eigenartigen Schauer über sich kommen, als er ihren zärtlichen Kuss erwiderte und seine Hände begannen, sanft über ihre Schultern und ihre Oberarme zu streicheln. Erstaunlicherweise drückte sie sich plötzlich sanft gegen seinen Körper und hob ein Bein, um es über seine Beine zu legen, und er löste sich leise keuchend aus dem Kuss. „D-du hast es dir anders überlegt…?“ stammelte er, denn diese Geste war mehr als eindeutig gewesen, während ihre Unterkörper sich kurz streiften, als sie sich noch etwas dichter an ihn zog. Sie drehte errötend das Gesicht nach unten. Schaudernd dachte sie wieder an ihren Schwiegervater. Wenn sie nicht bald schwanger wurde, würde er wieder kommen… sie konnte sich jetzt entscheiden, ob sie ein Kind von Tabari empfangen würde oder einen Bastard dieses Monsters, wenn er die Geduld mit ihr verlor. Die Wahl war nicht schwer… zumindest nicht in dem Moment. „Ich war auch ungerecht,“ gab sie dumpf zu hören und er schluckte. „Im Moment bin ich kein bisschen wütend auf dich… ich weiß nicht, wann das wieder vorkommen wird, also sollten wir diese Nacht ausnutzen. Lass uns… noch mal probieren, ein Kind zu bekommen.“ Es war merkwürdig und ungewohnt und ein Schwall von seltsamen Empfindungen durchströmte sie beide, als sie sich ein weiteres Mal küssten. Nalani legte sich auf den Rücken und zog ihren Mann auch sich, wo er sich mit den Armen am Bett abstützte. Ihre Hände fuhren langsam und so sanft wie noch nie über seinen Bauch und seine Brust, strichen langsam das dünne Oberteil seines Schlafanzugs nach oben. Sie lösten sich kurz voneinander, damit er sich das Oberteil ausziehen konnte, und Nalani keuchte kurz, als er sich aufsetzte und ihr Nachthemd nach oben schob, um mit geweiteten Augen ihren nackten Körper darunter zu betrachten, als sehe er sie zum ersten Mal. „Ich habe… dir glaube ich nie gesagt, dass du schön bist, Nalani…“ murmelte er benommen, als sie sich mit etwas Mühe selbst ganz aus ihrem Hemd schälte und es achtlos auf den Boden warf. „Sprich nicht,“ bat sie leise und legte die Arme um seinen nackten Oberkörper. Ungeahnt energisch zerrte sie ihn zu sich herunter und zog ihn in einen weiteren, innigen Zungenkuss, hörte ihn über sich verblüfft keuchen, während ihre Lippen sich sanft und doch auf seltsame Art verlangend gegeneinander pressten. Nalanis Hände fuhren über seinen Rücken zu seinen Seiten, dann weiter hinunter zum Bund seiner Hose, als sie den Kuss beendeten und er sich über ihren Busen beugte, um mit der Zunge über ihre Brüste zu fahren. Sie stöhnte leise und spürte eine Welle aus Hitze über ihren Körper schwappen, als seine Hände ihre Haut berührten und sie begann, seine Hose nach unten zu zerren. Er ließ kurz von ihr ab, um sich selbst ganz auszuziehen und Zeit zu sparen, ehe er sich wieder auf sie legte. Sie reckte vorsichtig den Kopf und fuhr mit der Zunge über seine Brust, als seine Hände ihre Hüften und ihren Bauch streichelten, als würde er den Kindeskeim durch Beschwörung in ihren Bauch bekommen. Sie seufzte leise und erzitterte unter seinen Berührungen, als sie den Kopf wieder zurück ins Kissen lehnte und zuließ, dass er sich zwischen ihre Schenkel legte. Er war hart und heiß zwischen ihren Beinen wie eine Metallstange, die man ins Feuer gehalten hatte, und Nalani stöhnte, als sie sich fühlte, als würde er ihren Unterleib ebenfalls verbrennen. Keuchend klammerte sie sich an ihn und zog ihn energisch an sich heran, damit er den letzten Abstand zwischen ihnen überwand und sie langsam ausfüllte, wie er es oft getan hatte; aber dieses mal war es anders. Zum ersten Mal ärgerte Nalani sich nicht darüber, dass ihr Körper nach der Vereinigung verlangte, und sie ließ zu, dass sie Hitze empfand, als sie sich heftig miteinander zu bewegen begannen. Sie presste sich heftig atmend gegen ihn und er strich mit den Händen über ihren nackten Körper und hinterließ dabei Spuren aus Feuer auf ihrer Haut, sodass sie schrie. Er erstickte ihren Schrei mit einem Kuss, während er sich weiter bewegte, und hielt sie fest, als sie ob des mächtigen Feuers wild um sich schlug und schließlich mit den Beinen seinen Rumpf umschlang, ihn an sich heran zerrend. Er war sehr positiv überrascht von der Intensität, mit der sie plötzlich mitging, und es steigerte seine Erregung, dass sie zum ersten Mal tatsächlich Feuer zu spüren schien, wenn er mit ihr schlief. Und er brachte ihr Feuer, als er sich tiefer bewegte und sie unter ihm laut stöhnend zusammenfuhr in dem Moment, in dem er sich in ihr ergoss. Sie spürte einen Schauer aus purer Hitze über sich kommen und krallte sich japsend an Tabaris Rücken fest, als sie mit einem Mal ein ungewohnt angenehmes Gefühl der Euphorie umfing, einem so mächtigen Glücksgefühl, wie sie es noch nie zuvor empfunden hatte. Es trieb sie hoch in den Himmel und sie hatte das Gefühl, nach den Sternen greifen zu können, bis die Hitze in ihr langsam abebbte und sie erschöpft und glücklich zurück ins Bett fiel, wo sie keuchend liegen blieb. Tabari rollte sich stöhnend von ihr herunter und sie lagen eine Weile heftig atmend einfach nur da, ohne zu sprechen oder sich anzusehen. Dann griff Tabari seufzend nach der Bettdecke und schlug sie über sich und seine Frau, während sie sich zum ersten Mal, seit sie verheiratet waren, zu ihm drehte und sich vorsichtig gegen ihn kuschelte, als sie zusammen nackt unter der Decke lagen. Zum ersten Mal hatte sie etwas empfunden dabei… zum ersten Mal hatte sie das Bedürfnis, in seinen Armen einzuschlafen. Seine Brust war immer noch so angenehm warm… „Stört es dich, wenn ich so schlafe?“ fragte sie leise, und er sah sie verblüfft an. „Stören? Was? Unsinn… es ist… bleib ruhig da.“ Er räusperte sich ebenfalls etwas außer Atem und rutschte dann noch ein Stück dichter zu ihr hin, als sie den Kopf sanft gegen seine Brust lehnte. Er fühlte sich auch wohl; zum ersten Mal hatte er das Gefühl, bei Nalani etwas nicht falsch gemacht zu haben… Die Welt stand eben Kopf. Der Schnee blieb liegen, als der Hungermond und der Neujahrsmond längst vorbei waren und eigentlich der Frühling kommen sollte. Die Geister dachten sich wohl, den Frühling in dem Jahr ausfallen zu lassen und statt der lang ersehnten ersten Wärme des Jahres kam nur ein neuer Kälteeinbruch, der den Boden bis diverse Zoll hinunter gefrieren ließ. Besonders auswirken tat sich der lange, harte Winter auf die Bevölkerungszahl in Lyrien. Dank der vorausgegangenen grausigen Ernte hatte die Nahrungsknappheit das Volk so stark reduziert wie es bisher kein in den Annalen notierter Winter geschafft hatte. Die unruhigen und verängstigten Menschen sammelten sich zornig zu neuen Aufständen, weil sie meinten, die neue Regierung und die Auflösung des Senats wären Schuld am Unglück. „Selbst unter dem verkorksten Haufen alter Männer, die nur geredet haben, ging es uns besser!“ schimpften die Bauern, „Aber jetzt sterben unsere Kinder und Alten und hunderte von Säuglingen mussten ausgesetzt werden im Hungermond, damit sie den Frauen nicht das Leben aus den Brüsten saugen! Findet ihr das gerecht? Ist das euer großes, neues Land?!“ Kelar Lyra hatte überhaupt keine Probleme damit, den Spieß einfach umzudrehen und so alle schuld von sich zu weisen. „Wenn die Kinder, Alten und Säuglinge sterben mussten, dann waren sie zu schwach für das Land, für das Leben, das noch sehr viel härter werden wird als es dieser harmlose Winter war! Wer jetzt schon versagt, kann eben einpacken, es ist der Wille der Geister! Und ihr werdet ja wohl nicht wagen, euch den Geistern zu widersetzen…?“ Die Bauern waren darauf noch verängstigter und wagten nicht mehr zu sprechen. „Nein, die Geister zürnen nur denjenigen, die nicht mit ganzem Herzen hinter dem – meinem – Land stehen wollen, die innerlich zaudern, sich zu unterwerfen! Ich bin barmherzig… ich könnte euch alle samt mit dem Tode bestrafen für eure Gedanken, für eure widerwärtigen Aufstände, die mir nichts anhaben können… aber ich werde es nicht tun…“ Er reckte herrisch grinsend den Kopf und die Männer mit den Mistgabeln fuhren erbleichend zurück, als er seine diabolischen Eckzähne bleckte und sein mörderischer Blick sie beinahe aufzuspießen schien. Er war nicht nur ein sehr mächtiger Herr der Geister, er war definitiv ein Monster. „Ich werde nur verlangen, dass ihr kniet!“ Und sie knieten. Wer nicht kniete, bezahlte mit seinem Leben oder schlimmerem. Kelar genoss seine Macht, während er oft in Yiara war, um sein Land zu verwalten, wie er es nannte – aber mit wirklicher Verwaltung hatte das, was er tat, wenig zu tun. Und mehr denn je ärgerte er sich darüber, so auf seine Frau angewiesen zu sein, obwohl er sie verabscheute und nur wegen ihrer Sehkraft überhaupt noch mit ihr sprach. Und er brauchte ihre Visionen, die besser und deutlicher waren als seine eigenen, obwohl er der Herr der Geister war, der mächtigste Schamane Tharrs; das ärgerte ihn zusätzlich, aber diesen Umstand war er schon so gewohnt, das er das tapfer schlucken konnte. Salihah war immer die bessere Seherin von ihnen beiden gewesen und ihre Sehkraft war besser als die aller Geisterjäger, die Kelar je getroffen hatte, zusammen. Obwohl er das Gefühl hatte, dass seine immer noch wunderschöne und kaltherzige Frau langsam zu schwächeln begann, ihr Blick reichte nicht mehr so weit wie früher, als hätte sich ein Schleier vor ihre Augen gelegt. Und Salihah konnte genauso wenig ohne ihn wie er ohne sie. Zu lange waren sie aneinander gebunden gewesen, als dass sie das Band jetzt mit Gewalt hätten lösen können… und sie überwachte bei der Gelegenheit Kelars Arbeit in Yiara oder eher seine nicht vorhandene Arbeit; ein letzter, krampfhafter Versuch, die Bestie in Ketten zu legen, bevor sie alles in Schutt und Asche legen könnte wie ein bösartiger Waldbrand, den niemand zu löschen vermochte. „Die Bevölkerung nimmt nicht zu, sondern ab,“ behauptete Salihah am Ende des Frühlingsmondes genervt, als sie im ehemaligen Senat von Yiara bei ihrem Mann am Schreibtisch stand und unter ihren linken Arm einen Haufen Papierrollen klemmte. Ein Pergament hatte sie in den Händen, die aktuellste Auswertung der Volkszählung, für die einige der treuen (knienden) Untertanen durch das ganze Land geschickt worden waren. „Im Vergleich zum letzten Frühjahr ist das ganze Volk beinahe um ein Drittel geschrumpft.“ Kelar saß vor ihr an seinem Schreibtisch und malte auf einer neuen Landkarte weitere ausgerottete Dörfer schwarz an. „Na und?“ brummte er. Salihah schnaubte. „Das heißt, das ist schlecht, du Narr,“ meinte sie, „Ein Herrscher, unter dem das Volk nicht wächst und gedeiht sondern schrumpft, kann doch kein guter Herrscher sein, geht denn das nicht in deinen stählernen Schädel?“ „Pff, Volk!“ schnaubte er ebenfalls und malte ein weiteres Dorf grantig an, bevor er leise zu lachen begann. Salihah beunruhigte sein irres Lachen. „Was schert mich das Volk, was scheren mich die Tattergreise und die nutzlosen Windelkinder, die verreckt sind?! Sie waren eben zu schwach, in Zukunft werden Frauen aus Lyrien nur noch starke Kinder gebären, die solche Winter durchhalten! Tun sie es nicht, ist es doch nicht mein Problem!“ „Doch, das ist es, denn in fünfzehn Jahren werden dir diese Kinder als Arbeiter fehlen,“ schnarrte seine Frau, legte die Papierrollen unsanft auf seinen Schreibtisch und zog die oberste Schublade heraus, aus der sie die Augen verdrehend eine kleine Flasche mit Laudanum holte. „Ich kriege Kopfschmerzen von deiner Torheit, Kelar, du kannst dich nicht hier hinsetzen und deine Macht genießen, du musst schon etwas tun, damit das alles funktioniert! Die Brötchen des Bäckers backen sich schließlich auch nicht alleine!“ „Nimm deine blöden Papiere von meiner Karte und vergleiche mich nicht mit einem Bäcker, du Hure,“ zischte er verärgert, während sie aus einem Schrank an der Wand ein Weinglas schnappte und sich Laudanum einschenkte, das sie mit einem Wasserzauber verdünnte und sich dann in den Hals kippte. Sie seufzte zufrieden, als das angenehm taube Gefühl der Schmerzlosigkeit ihren Kopf durchströmte und Kelars Stimme plötzlich nicht mehr so schneidend und schmerzend klang. Er seinerseits lehnte sich in seinem Sessel zurück und grinste sie gehässig an. „Meine Güte, bist du tief gesunken, Salihah, langsam bist du auf deine Medizin ja geiler als auf deinen Liebling Chimalis, was?!“ Sie sah ihn mit trüben Augen und benommen vom Rausch der Droge an, und ein ebenso diabolisches Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Erst treibst du mich mit dem verfluchten Laudanum in den Wahnsinn, indem du es mir vor die Nase stellst, und dann wunderst du dich, dass ich darüber herfalle? Du bist gut… ich bin nicht geil auf die Medizin, ich versuche nur, klar zu denken, weil du es schon nicht tust und weil ich es mit den verdammten Kopfschmerzen nicht kann.“ Kelar schnaubte und malte weiter in aller Ruhe auf seiner Karte herum. „Nun, die abnehmende Bevölkerung ist eine Sache, die zweite und dringendere ist die Außenpolitik,“ fuhr die Frau dann fort, ging wieder zum Tisch und stützte sich an der Platte ab. „Dein Lyrien ist kein eigenes Land, de facto sind wir eine Provinz des Landes Kisara und sind dem König von Kisara untergeordnet und zu gehorsam verpflichtet. Ich weiß, das passt dir nicht, aber versuch gar nicht erst, Lyrien von Kisara zu trennen oder unabhängig zu machen! Es würde blutig enden, das sage ich dir, denn dieser König kann die Armeen von acht Provinzen auf unsere eine Provinz hetzen, wenn ihm nicht passt, was du treibst. Bei aller Euphorie über deine Macht über diese Provinz solltest du daran denken, dich mit dem König gut zu stellen, und genau dafür waren die Senatoren da, die du getötet hast. Der König in Vialla erwartet von uns Berichte über die Verwaltung Dokahsans, kommenden Mond findet in der Hauptstadt unten eine Ratsversammlung der Senatoren statt, bei der aus allen Provinzen Männer ins Schloss des Königs kommen und besprochen wird, was zu tun ist und was wo los ist.“ Kelar Lyra sah stirnrunzelnd von seiner Karte auf. „Na und?!“ fluchte er abermals. „Wir haben keinen Senat, wir haben niemanden, der da hingehen könnte, also musst du es selbst tun als selbsternannter Herrscher dieser Provinz. Du musst nach Vialla gehen und dem König Bericht erstatten.“ Ihr Mann schnaubte. „Der König ist nicht mein König!“ zischte er grantig, und Salihah verengte die Augen. Das hatte sie befürchtet… das war nicht gut. „Der König kann mich mal kreuzweise und was diese Senatoren der anderen Länder machen geht mir am Arsch vorbei! Provinz, du nennst mein Land, das Vaterland und die Wiege der Schamanen, also eine Provinz! Wir sind zu besserem, höherem bestimmt als dazu, eine verdammte Provinz eines dämlichen Landes zu sein, das auch noch on einem Nichtmagier reagiert wird! Oh nein, ich werde garantiert nichts dazu beitragen, dass der König glaubt, ich würde mich ihm zu Füßen legen, niemals! Soll er doch kommen mit seinen acht Armeen, die Menschen fürchten uns, hah! Sie fürchten sogar dich, eine harmlose Frau, nachdem du den Gouverneur von Anthurien gebraten hast, die können uns nichts! Mit uns ist die Macht der Geister, die Macht der Mächte der Schöpfung! Du glaubst doch nicht, dass eine Armee hirnloser Affen die Mächte des Himmels und der Erde bezwingen kann!“ Er lachte laut auf und sie schnaubte. „Spiel nicht mit deinen Gaben, Kelar,“ warnte sie ihn, „das ist ein sehr böses Spiel, das du gerade im Kopf hast, denk nicht einmal daran! Wir können Dokahsan nicht von Kisara abspalten, wir haben einen uralten Vertrag geschlossen mit den Menschen von Kisara und sind unabänderlich ein Teil dieses Landes, der König mag uns fürchten und respektieren, wie es die Gesetze verlangen, aber er wird uns nicht schaden, solange wir ihm auch nicht schaden, so sind wir einander nützlich!“ „Pah!“ brüllte er und erhob sich, „Unabänderlich? Das werden wir ja sehen, wenn ich in diesem Misthaufen von Senatshaus diesen Vertrag gefunden habe, zerreiße ich ihn vor des Königs Augen in Stücke, da soll er sehen, was er mit mir macht! Ich ordne mich diesem Schwachkopf nicht unter, er hat immerhin zugesehen, wie der Wichser aus Anthurien versucht hat, uns auszurotten! Das war dem Scheißkerl recht, dafür wird er bluten, von wegen sie tun uns nichts, wenn wir ihnen nichts tun, diese Leute in Vialla sind eingebildete Schnösel und Rassisten und du weißt das genauso gut wie ich! Nicht nur wir Schamanen, die Lianer haben da auch drunter zu leiden, die schieben sie zwischen Kisara und Janami hin und her, ich werde mich sicher nicht diesen Schweinen unterwerfen!“ „Das ist Wahnsinn, nicht alle Menschen sind so und wir sollten darüber stehen als von den Geistern bevorzugtes Volk, denn uns verleihen sie Kräfte, die sie den Menschen nicht geben! Die Menschen beneiden uns und verachten uns deshalb, weil wir besser sind als sie, und wir sollten nachsichtig sein und keinen Krieg vom Zaun brechen. Die Menschen haben uns die gaben gegeben, damit wir Gerechtigkeit schaffen und die Natur im Gleichgewicht halten, nicht, um andere zu unterwerfen.“ „Heh, du sprichst weise, Seherin!“ schnarrte er und kam ihr gefährlich nahe, sie blieb, wo sie war, als er sein Gesicht so dicht vor ihres hielt, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. „Weise und dennoch dumm und veraltet. Mit Pazifismus kommen wir heutzutage nicht mehr weit bei dem Gesindel! Und zum allerletzten Mal… ich werde mich einen feuchten Dreck um den König und seine dämlichen Senatoren kümmern! Sollen die sehen, wo sie bleiben, und es wird ihnen eines Tages leid tun, dass sie uns ausnutzen und unterdrücken wollten… die Menschen sind grausam, sie wollen alles und jeden beherrschen! Dafür werden sie bluten, das schwöre ich!“ Salihah seufzte nur, als er ihr den Rücken kehrte, und sie behielt ihre Gedanken wohlwissend für sich. Dann bist du den Menschen, die du verurteilst, doch gar nicht so unähnlich… Der Frühling ließ auf sich warten. Noch immer lag Schnee, als der Kälbermond anbrach, obwohl die weiße Decke auf dem Land schon dünner geworden war und die Donne sich jeden Tag etwas länger über den Horizont wagte. „Die Himmelsgeister verfluchen uns,“ nörgelte Nalani, während sie in der Küche am Tisch saß und vor sich eine Tasse Kaffee stehen hatte. Zoras hatte Salihah bei ihrem letzten Besuch in Tuhuli eine Dose mit dem eigenartigen Pulver mitgegeben, worüber Nalani sich sehr gefreut hatte. Sie hatte das seltsame fremdländische Getränk wirklich vermisst, und irgendwie besserte es ihre miserable Laune tatsächlich etwas. „Tun sie das wirklich, Herrin?“ fragte der Esel züchtende Küchenjunge verblüfft, der den Abwasch machte. Nalani brummte. „Sie schicken uns keinen Frühling, das ist Fluch genug, oder nicht? Ich habe es so satt, hier meine Zeit totzuschlagen, wo ja ohnehin jeder kommt und geht wann er Lust hat! – Verzeih, dass ich dir die Ohren volljammern muss, aber mein Mann hört mir ja nicht zu und alle anderen sind ebenfalls weg.“ „Oh, nicht doch, Herrin, jammert mir die Ohren voll, ich bitte Euch darum,“ lachte der Küchenjunge, „Es ist mir eine Ehre, wenn Ihr mich als Zuhörer wählt.“ Er meinte seine Worte völlig ernst und Nalani seufzte und trank einen Schluck Kaffee. „Ich möchte einen Kuchen backen,“ behauptete sie plötzlich, „Ich möchte einen Kuchen mit frischen Beeren backen, aber es gibt keine verdammten Beeren und das ärgert mich.“ „Ja, das ärgert mich auch, ich hätte auch längst mal einen Kuchen gebacken.“ „Aber es gibt ja keine verdammten Beeren!“ schimpfte die junge Frau weiterhin, und der Küchenjunge wusste darauf nichts Neues zu sagen, so lächelte er nur verwirrt. Nalani ärgerte sich gar nicht wirklich über den Kuchen, fiel ihr auf, was wollte sie plötzlich mit einem Kuchen? Sie war mit der Gesamtsituation unzufrieden. Das Land verschlechterte sich mit Kelars merkwürdiger Herrschaft, das Volk hungerte und starb dahin und niemand kümmerte sich darum, hatte sie das Gefühl. Tabari war nicht zu Hause, weil sein Vater ihn mit nach Yiara geschleppt hatte, damit er etwas über die Politik und die Herrschaft über Lyrien lernte; Nalani hatte ihn beinahe ausgelacht, als er ihr erzählt hatte, weswegen er nach Yiara ging. „Du lernst, wie dein Vater Politik betreibt? Das kann dir jeder Bauer sagen, ich kann es auch! Knie nieder oder ab mit dem Kopf!“ Tabari hatte ihr ihren Tadel an seinem Vater wie immer sehr übel genommen, hatte sie als Lügnerin beschimpft und war dann gegangen, seitdem war er in Yiara und sie war wieder einmal froh, ihn nicht sehen oder seine grausame Dumm- und Blindheit ertragen zu müssen. Wie konnte man nur mit solchen Scheuklappen durch das Leben wandeln, ohne zu stolpern? Sie fragte sich, ob Tabari wirklich nicht wusste, was sein Vater für ein Verbrecher war, oder ob er einfach nur pietätvoll war und seinen Vater eben ehrte, wie ein Sohn es normalerweise tat? Aber wie konnte man jemanden reinen Gewissens ehren? Außerdem war sie froh, dass Kelar und Tabari eine Weile weg waren, weil jetzt niemand darüber meckerte, dass sie immer noch nicht schwanger war. Ihr Mondblut kam unglaublich unregelmäßig seit dem grausamen Winter, aber es kam, des beste Zeichen dafür, dass sie nicht schwanger war. Wenn Kelar das nächste Mal ins Schloss kam und erfuhr, dass sie immer noch Mondblut vergoss, wer wusste, was er dann tun würde? Sie erschauderte bei den Gedanken und trank ungeduldig ihren Kaffee aus. In dem Moment tauchte Salihah in der Küche auf, eingehüllt in einen schweren und aufwendig verzierten Wintermantel, als wollte sie aufbrechen. „Wo ist Kiuk?“ fragte sie ihre Schwiegertochter und rieb sich ungeduldig die Schläfen, „Wieso ist er nicht da, wenn man ihn braucht?“ Nalani blinzelte. „Er ist bei Sukutais Familie in Tasdyna. Ich dachte, das wüsstest du, was ist los? Willst du ausgehen?“ Salihah seufzte, rieb sich hastiger die Schläfen und ging dann eilig durch die Küche an dem Jungen vorbei zum kleinen Küchenschränkchen an der Wand. Nach reichlichem Wühlen in den Schubladen fand sie ein braunes Fläschchen mit Laudanum. Nalani sah ihr konfus zu, wie sie sich mit zitternden Händen ein Glas schnappte und das Schmerzmittel mit Wasser mischte, um sich das Getränk hastig in den Hals zu kippen. „Was ist los, bist du krank…?“ „Es wird schon,“ stöhnte die Frau und atmete tief ein und aus, um die Medizin wirken zu lassen. Dann steckte sie das wieder geschlossene Fläschchen murmelnd in ihre Manteltasche. „Ist ja beinahe leer, Küchenjunge, besorge mir neues Laudanum, die Vorräte gehen zur Neige.“ „Schon wieder?“ machte Nalani verblüfft, ehe der Küchenjunge etwas sagen konnte, „Du nimmst das Zeug viel zu oft, das kann doch nicht gesund sein! Und was wolltest du jetzt von Kiuk?“ „Himmel,“ seufzte sie und schüttelte sich kurz, „Ich muss sofort nach Tuhuli und mit dem Chimalis-Clan sehr wichtiges besprechen. Ich wollte Kiuk mitnehmen, weil Tabari nicht da ist und ich einen von euch brauchen werde, wenn-… ist auch in Ordnung, dann kommst du mit, Nalani. Ich hoffe, es ist in Ordnung für dich, aber bitte begleite mich, es ist von äußerster Dringlichkeit und wenn mein Sohn lieber mit seiner Freundin turtelt, hat er eben Pech gehabt, so sehr ich seine Liebe zur kleinen Sukutai auch befürworte, an allererster Stelle steht immer das Volk.“ Nalani war verwundert. Ihre Schwiegermutter war wirklich aufgewühlt, sie fragte sich, was geschehen sein mochte, dass sie so nervös war. Es war besser, sich zu beeilen. „Ich hole schnell meinen Mantel, dann kann es sofort losgehen, Mutter.“ Nalani war eine ziemlich lange Zeit nicht mehr in Tuhuli gewesen, fiel ihr auf, als sie mit der Kutsche die Straßen passierten und auf das Anwesen der Chimalis‘ zufuhren. Die Stadt hatte sich verändert, auch hier hatten der Winter und der Hunger gewütet. Wo sonst von Leben und Lachen erfüllte Straßen gewesen waren, herrschte jetzt Stille. Im Anwesen war die Stimmung etwas gereizt. Keisha schenkte am laufenden Band allen Tee ein, selbst dann, wenn die Tassen noch halb voll waren und es nicht nötig gewesen wäre, während alle um den Stubentisch saßen, abgesehen von Tehya und Enola. „Dann will der Schwachkopf also wirklich dem König die Stirn bieten?“ fragte Zoras Chimalis grantig, als Salihah berichtet hatte, was Kelar zu den Ratsversammlungen gesagt hatte. Nalani war entsetzt – dann war die Politik, die Kelar betrieb, noch schlimmer als sie gedacht hatte. Wie gut, dass sie mitgekommen war, so erfuhr sie gleich alles Wichtige. Selbst der dreizehnjährige Meoran nahm an der Besprechung der Erwachsenen teil. „Das ist ja großartig, unser Land hungert so vor sich hin und der denkt sich, den Vertrag zu verbrennen!“ Der Mann fuhr sich verärgert durch die schwarzen Haare, die ihm ungewöhnlich unordentlich vom Kopf abstanden, als wäre er gerade erst aus dem Bett gefallen. „Als hätten wir nicht genug Ärger.“ „Dann müssen wir auf alle Fälle verhindern, dass er den Vertrag findet,“ meinte Nomboh und aß einen Keks vom Stubentisch, „Wenn er das wirklich tut, haben wir die Soldaten von acht Ländern am Hals und das wird sehr viel ungemütlicher als das mit Anthurien.“ „Das wird er nicht tun, vertrau mir,“ meinte Salihah, „Den Vertrag habe ich schon gefunden und nach Yatoret gebracht, die Stadt ist am südlichsten in Dokahsan und Kelar wird da sicherlich nicht hingehen, und zum Niederbrennen wegen irgendwelcher Aufstände ist Yatoret zu groß. Ich wollte den Vertrag zuerst zu uns ins Schloss bringen, aber ich hielt das Risiko für zu groß, dass Kelar ihn dort zufällig findet. In Yatoret ist der Vertrag erst mal sicher.“ „So ein kleines Stück Pergament bewahrt uns den Frieden…?“ seufzte Nomboh und nahm noch einen Keks. Nalani nahm unwirsch ebenfalls einen Keks und wünschte sich innerlich eine Tomate dazu, die sie um diese Jahreszeit niemals bekommen würde. Nichts hatte sie da von dem, was sie sich wünschte, weder Beeren für einen Kuchen noch eine schöne, rote, reife Tomate zu ihrem Keks! „Ein Ärger ist das mit den Tomaten,“ murmelte sie zu sich, und Keisha, die neben ihr saß, sah sie blöd an. „W-wie war das?“ „Ach, schon gut. Ich habe nur laut gedacht, verzeiht bitte.“ „Du liebe Güte,“ stöhnte Zoras Chimalis und fuhr sich nervös durch die Haare, „Der Vertrag, ja, ja, schön, gut, und… ich meine… was machen wir jetzt mit der Ratssitzung? Wir haben keinen Senat mehr, öffentlich bekannt ist das nicht, das heißt, jeder in Vialla wird erwarten, dass jemand von hier kommt.“ „Das ist ein Problem,“ erwiderte Salihah und beobachtete ihn, während sie sprach, wie er sich immer noch nervös über das Gesicht fuhr und dann wieder seine Haare raufte. „Und noch ein größeres Problem wäre, wenn sie herausfänden, dass wir den Senat aufgelöst haben und vor allem, dass unser selbsternannter König keine Ahnung von der Verwaltung hat. Wenn sie diese politische Schwäche bemerken, werden sie wie die Hornissen in Dokahsan einfallen und es wird ein zweites Anthurien geben, wenn nicht schlimmer. Ich werde am besten selbst nach Vialla fahren und dort vor den Rat treten.“ „Das ist völlig unmöglich, Salihahchen – entschuldige, dass ich so dazwischen fahre,“ mischte Zoras sich ein, „Du bist eine Frau, diese allerhöchsten Ratssitzungen der Senatoren vor dem König sind nur Männern zugängig, es gibt keine weiblichen Senatoren und niemand wird dir erlauben, zu sprechen. Außerdem kennen die deine Geschichte mit dem Ölbad in Pinhu, das ist keine gute Idee.“ Salihah blinzelte. Ja, das war irgendwie wahr. „Und was machen wir dann?“ fragte sie unverblümt. Zoras seufzte. „Ich werde gehen…“ schlug er vor, „Wir werden zusammen gehen, Salihah. Ich bin kein Politiker und kein guter Redner, du kannst das sehr viel besser als ich. Ich weiß nicht, was Sache ist, und wie ich mit diesen Leuten zu reden habe, du musst mir dabei helfen. Aber du kannst nicht vor den Rat des Königs treten, das werde ich tun müssen.“ „Dann geht ihr beide nach Vialla ohne Kelars Erlaubnis?“ fragte Nomboh, „Er wird euch am Spieß braten, alle beide, und niemand darf diese Provinz verlassen… Kelar wird es erfahren und alles dafür tun, dass ihr nicht hinaus kommt…“ Sein Bruder lachte. „Entschuldige, aber ich bin auch Geisterjäger! Ich wäre beinahe Herr der Geister geworden, ich denke, ich habe das Zeug dazu, hinter Kelars Rücken hinaus zu gelangen. Die nächste Frage wäre aber, wenn ich da ankomme, werde ich mich wohl als Senator ausgeben müssen; wir Schamanen haben uns nicht in die Politik der Menschen einzumischen und kein Schamane ist jemals Senator gewesen, das ist vor dem Gesetz dieses Landes Kisara gar nicht möglich. Die Leute außerhalb Dokahsans werden wissen, dass Kelar der neue Herrscher des Landes ist, aber sie denken, dass es zusätzlich noch einen Senat gibt, der für die Verwaltung mit zuständig ist. Wenn wir sie nicht wissen lassen dürfen, dass wir in Wahrheit keinen Senat, sondern bloß einen Tyrann haben, werden wir ein Lügenmärchen beginnen müssen und das wird übel.“ „Wir müssen nicht lügen, die Senatoren sind korrupt,“ behauptete Salihah, „Wir kaufen sie uns alle und sie werden schweigen, dafür sorge ich.“ „Man kann nicht jeden Politiker kaufen, meine Liebe,“ machte Zoras Chimalis etwas skeptisch, und sie lehnte sich mit einem eigenartigen Grinsen zurück. „Man nicht, aber ich kann es. Diese Leute werden uns aus der Hand fressen.“ Nalani zog eine Braue hoch und Nomboh räusperte sich gekünstelt. Salihahs Verhandlungsmethoden waren extrem fraglich, das waren sie schon damals beim Gouverneur von Anthurien gewesen; aber sie funktionierten, wenn nötig mit Nachhilfe. „Dann ist es beschlossene Sache,“ gab der Führer des Chimalis-Clans sich geschlagen und erhob sich, „Wir haben keine Zeit zu verlieren, wir sollten umgehend aufbrechen, der Weg nach Vialla ist weit. Auf dem Weg nach Süden kommen wir an eurem Schloss vorbei, Salihahchen, dann packst du deine Sachen und wir sind sofort weg. Ich bin sofort wieder da, du und Nalani wartet am besten im Wagen.“ „Wie lange werdet ihr fort sein?“ fragte Nalani, als sie auf dem Weg zurück zum Schloss waren. „Sicher einen halben Mond,“ machte Zoras Chimalis, der gleich mitgekommen war, „Wenn wir uns beeilen und mit ein wenig Hilfe von Salihahs Teleport können wir in fünf Tagen in Vialla sein, bis alles geregelt ist vergehen gewiss einige Tage und dann noch mal fünf Tage zurück.“ „Wieso teleportierst du euch nicht direkt hin?“ wundert Nalani sich an Salihah gewendet, und die frau seufzte. „Das kann ich natürlich rein theoretisch… aber da die Strecke sehr weit ist, erfordert er eine Menge Kraft; das größte Problem ist, dass Kelar es bemerken würde, wenn ich so viel Macht auf einen Schlag benutze. Er wird sofort wissen, dass es dafür wäre, nach Vialla zu kommen, und wer weiß, was er dann anstellt. Nalani, gib gut acht, während ich weg bin. Beobachte Kelar und pass auf deinen Mann auf, sobald er zurückkommt. Tabari mag unter Kelars Fittichen stehen, er ist aber kein böser Mensch. Ich ärgere mich, weil ich Wochenlang nicht alles kontrollieren und beobachten kann, was Kelar tut… du wirst das jetzt tun müssen, Kiuk wird dir helfen.“ „Was genau sollen wir tun?“ „Gar nichts,“ mischte Zoras sich ein, „Ihn beobachten und einfach nur aufpassen, dass er das Land während unserer Abwesenheit nicht in Schutt und Asche legt.“ „Ich werde mir die größte Mühe geben, ihr beide habt mein Wort.“ Sie verneigte sich und er lachte. „Du bist so förmlich, immer noch, hör doch endlich damit auf, Nalani.“ „Was ist mit Tehya und Enola? Kommen sie denn ohne Euch zurecht?“ „Natürlich, ich bin viel weg, die kennen das. Nomboh wird auf alle aufpassen, während ich außer Landes bin. Wobei mir das jetzt gerade nicht richtig passt, die beiden alleine zu lassen… Enola hat letzte Nacht zum ersten Mal das Frauenblut vergossen, sie war völlig verzweifelt und hat geglaubt, sie müsste sterben, es hat uns die ganze Nacht und viel Mühe gekostet, sie zu beruhigen; deswegen bin ich auch so unausgeschlafen heute, verzeiht das, ihr beiden.“ „Sie vergießt das Mondblut?“ machte Nalani verdutzt, „Müsst Ihr als ihr Vater Euch dann nicht um das Blutritual kümmern?“ „Ja, aber diese Sache ist noch wichtiger, deswegen hab ich diese meine Verantwortung in die Hände meiner Frau gelegt. Sie wird für Enola einen Mann suchen, der sie zur Frau macht.“ Nalani sah betrübt aus dem Fenster. Bei dem ganzen Gerede von Mondblut spürte sie auch ihren eigenen Unterleib plötzlich leicht unangenehm ziehen und sie strich sich flüchtig über den Bauch. Offenbar bekam sie ihre Blutzeit jetzt auch. Den letzten Mond hatte das Mondblut ausgelassen bei ihr, was sie entsetzt hatte; dass es jetzt wieder kam, war eigenartig, beruhigend und doch aufwühlend zugleich. Jedenfalls war sie nicht schwanger. _______________________ So... eigentlich gehörten dieses und das nächste Kapi zusammen, aber... es war so lang, dass ichs geteilt habe x__x' also... jah. o.o das nächste Kapi kommt dann in ein paar Tagen oder so^^' Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)